Jerry Cotton Sonder-Edition 160 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 160 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Filmproduzent Gary Hale wurde erpresst. Die Mafia hatte ihn am Wickel. Sie wollte die Traumfabrik unter ihre Kontrolle bringen. John Jordan war sein Star. Publikumsliebling Nummer eins. Aber hinter den Kulissen flüsterte man sich zu, er sei mit der Mafia im Bunde. Man drehte einen Kriminalfilm. Hauptdarsteller: John Jordan. Im Drehbuch stand Mord. Und er sollte ihn begehen. Aus dem Spiel wurde blutige Wirklichkeit. Der Star erschoss seine Partnerin. Wieder im Auftrag der Gangster? Angst und Verzweiflung herrschten in den Gefilden der Traumfabrik, als wir vom FBI die Ermittlungen aufnahmen. Die Nacht der Todesengel brach an ...


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Seitenzahl: 188

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Die Nacht der Todesengel

Vorschau

Impressum

Die Nacht der Todesengel

Filmproduzent Gary Hale wurde erpresst. Die Mafia hatte ihn am Wickel. Sie wollte die Traumfabrik unter ihre Kontrolle bringen. John Jordan war sein Star. Publikumsliebling Nummer eins. Aber hinter den Kulissen flüsterte man sich zu, er sei mit der Mafia im Bunde. Man drehte einen Kriminalfilm. Hauptdarsteller: John Jordan. Im Drehbuch stand Mord. Und er sollte ihn begehen. Aus dem Spiel wurde blutige Wirklichkeit. Der Star erschoss seine Partnerin. Wieder im Auftrag der Gangster? Angst und Verzweiflung herrschten in den Gefilden der Traumfabrik, als wir vom FBI die Ermittlungen aufnahmen. Die Nacht der Todesengel brach an ...

1

Still stand die junge Frau in der Dunkelheit.

Blondes Haar fiel schimmernd auf die nackten Schultern, in den weiten blauen Augen glänzte das Mondlicht. Die Lippen, blutleer und zitternd, bewegten sich, als formten sie unhörbare Worte.

Da war es wieder!

Schritte in der Nacht! Leise, schlurfende Schritte, die näher kamen, immer näher, unaufhaltsam wie das Verhängnis.

Die junge Frau erbebte. Flatternd hoben sich ihre schmalen Hände, krampften sich in den Stoff der paillettenbesetzten Abendrobe. Dicht und undurchdringlich wie schwarze Watte war die Finsternis, und dennoch bewegte sich etwas darin, etwas wie ein noch tieferer Schatten. Da kam es! Eine große Gestalt, leicht gebeugt wie unter einer Last, die Schritte unsicher. Wirr hing das dunkle Haar in das fahle Gesicht des Mannes. Die Augen brannten in eisigem Gletscherblau. Matt schimmerte die Pistole in seiner Rechten. Der Lauf schwang hoch und richtete sich auf die Brust des Opfers.

»Nein«, wimmerte die junge Frau. »Nein ...«

Die Lippen des Mörders verzerrten sich zu einem Lächeln. Sein Finger krümmte sich.

Grell schlug eine Feuerzunge aus dem langen Lauf der Waffe. Dumpf brach sich das Brüllen des Schusses, hallte als rollendes Echo von den Wänden wider – und durch den Körper der jungen Frau ging ein Ruck wie vom Hieb einer unsichtbaren Riesenfaust.

Sie taumelte.

Immer noch hatte sie die Hände über der Brust verkrallt. Doch jetzt quoll Blut in rotem Schwall zwischen ihren Fingern hervor. Die Lippen zuckten. Langsam, ganz langsam senkte die Frau den Kopf, sah an sich hinunter, und die blauen Augen weiteten sich in ungläubigem Entsetzen.

Die Knie gaben unter ihr nach.

Mit einem Wehlaut sank sie in sich zusammen, die blutigen Hände wie Halt suchend ausgestreckt. Ihre Glieder zuckten. Unendlich mühsam hob sie noch einmal den Kopf. Sie blickte in das starre Gesicht des Mörders. In ihren Augen lagen Schmerz und Staunen und eine verzweifelte Frage.

»Nein«, flüsterte sie. Und dann schrie sie: »Nein! Nein ...«

Schrie gellend und lang gezogen, bis ihre Stimme brach, bis sich ihr Körper noch einmal aufbäumte und erschlaffte, bis ihr Kopf zur Seite fiel und sich das blonde Haar gleich einem goldschimmernden Vlies über das verzerrte Gesicht breitete.

Sie rührte sich nicht mehr. Nur das Blut rann lautlos und unaufhaltsam unter ihrem Körper hervor.

Und der Mörder lächelte.

Zwei, drei Sekunden lang lastete die Stille wie ein körperliches Gewicht im Raum.

»Licht!«, kommandierte jemand.

Deckenleuchten flammten auf. Lange Neonröhren, deren Befestigungen und Zuleitungen ein Netz unter den Trägern der Dachkonstruktion bildeten. Fahlweiße Helligkeit erfüllte jeden Winkel der ehemaligen Turnhalle, fiel auf den reglosen Körper der blonden Frau, auf den Mann mit der Pistole – und auf ganze Batterien von Scheinwerfern und Kameras, die die gespenstische Szene im Halbkreis umgaben.

Konstantin Moustakis, der griechische Regisseur, stand in seiner ganzen Länge von fast sechs Fuß auf dem Regiestuhl und wischte sich Schweißperlen aus dem Gesicht. Er grinste, und seine tief liegenden schwarzen Augen funkelten.

»Großartig«, sagte er zufrieden. »So gut bist du noch nie gestorben, Carol.« Er wandte sich dem Mann mit der Pistole zu, der sich jetzt ebenfalls mit einem Taschentuch Schweiß und weiße Schminke aus dem Gesicht wischte. »Als Monster wärst du 'ne Niete, Johnny-Boy, aber den Hypnotouch hast du wirklich erstklassig drauf.«

»Nenn mich nicht ›Johnny‹«, knurrte John Jordan erschöpft. Er wischte immer noch an der Schminke herum, unter der allmählich seine sonnengebräunte Haut zum Vorschein kam. Ein paar Techniker nickten ihm zu. Sie stachen die Daumen nach oben als Zeichen der Anerkennung. John Jordan lächelte und ging zu der jungen Frau hinüber, die immer noch mit dem Gesicht am Boden lag.

»Eh, Carol! Du darfst auferstehen, die Szene ist gestorben.«

Die junge Frau rührte sich nicht. John Jordan runzelte die Stirn. Hinter ihm schob sich ein grauhaariger, untersetzter Bursche durch die Reihe der Klappstühle, Doc Sheriman, der Arzt des Filmteams. Er beugte sich über die junge Schauspielerin, griff nach ihrer Schulter und hob ihren Oberkörper an.

»Carol? Ist Ihnen nicht gut?«

Der Kopf der jungen Frau hing haltlos nach unten. Doc Sheriman drehte, unwillig brummend, den schmalen Körper auf den Rücken, während die Schatten des Regisseurs, des Scriptgirls und einiger Techniker über ihn fielen. Mit einem dumpfen Laut fiel Carols Hinterkopf auf den Boden. Das Haar glitt aus ihrem Gesicht. Die blauen, weit aufgerissenen Augen starrten gebrochen zur Decke.

Der Arzt fuhr zurück.

»Um Himmels willen ...« Seine Stimme krächzte. »Das ist ... das ist ...«

»Was, zum Teufel?«, schrie Moustakis. Doch er sah es schon selbst. So klar und eindeutig, wie es jeder sah.

Der grauhaarige Arzt hob den Kopf. Fassungsloses Entsetzen lag in seinen Augen. Seine Stimme zitterte. Die Worte klangen schrill und hysterisch.

»Sie ist tot! Sie ist tot, Moustakis! Sie ist wirklich tot ...«

Für die Dauer eines Herzschlags hätte man eine Stecknadel fallen hören.

Die Neonröhren summten. Irgendwo tropfte ein Wasserhahn mit entnervender Regelmäßigkeit. Durch die verhängten Fenster der Halle drang das ferne Brausen des Verkehrslärms von Manhattan. Konstantin Moustakis schluckte krampfhaft. An seinem Hals bewegte sich der Adamsapfel. Flecke hektischer Röte brannten auf seinen Wangen.

»Tot?«, flüsterte er. »Erschossen?«

Der Arzt nickte. Ganz vorsichtig berührte er den nassen Stoff der Abendrobe. »Es ist Blut, Moustakis! Blut! Keine Farbe ...«

»Aber ...«

Moustakis verstummte.

Langsam wandte er den Kopf. Genau wie das Scriptgirl neben ihm, genau wie der Chefbeleuchter, die Kameraleute, die Techniker. Sie starrten Jordan an. John Jordan, der immer noch die Pistole in der Faust hielt und dessen von Schweiß und Schminke verschmiertes Gesicht an eine Maske erinnerte.

»Mörder!«, flüsterte Konstantin Moustakis. Und noch einmal: »Mörder! Verdammter, dreckiger Mörder ...«

Idiot, dachte ich.

Mein Blick bohrte sich ins diffuse Halbdunkel der Lagerhalle. Wer immer hier Container und Kisten gestapelt hatte, besaß nicht den geringsten Sinn für Ordnung. Aber mit dem Idioten meinte ich nicht den verantwortlichen Lagerverwalter, sondern den Spitzel, der mich herbestellt hatte.

Komparse war er. Ein Typ aus der Filmbranche. In dieser Branche ermittelten wir, mein Freund und Partner Phil Decker und ich, denn alles sprach dafür, dass die Mafia ihre Krallen nach dem neuen gewinnträchtigen Geschäft ausstreckte. Die Filmleute hatten New York entdeckt, den brodelnden Großstadthexenkessel, steinerne Realität anstelle der süßlichen Traumkulisse von Hollywood. Und kaum dass die erste große Verleihfirma hierher übersiedelte, gründete auch schon die »ehrenwerte Gesellschaft« eine eigene Produktion. »GGG« – das sollte »Gardoli, Gilmer und Genoffrio« heißen. Interessant war unter diesen dreien nur Carlo Genoffrio. Der große Don Carlo, der vor nichts zurückschreckte! Nicht einmal davor, in seinem eigenen Haus einen Staatsanwalt ermorden zu lassen, der auf seiner Lohnliste gestanden hatte und der Polizei aufgefallen war. Es war nur ein Gerücht, das diese Version von Attorney Williams' Tod erzählte. Doch seit dieses Gerücht durch die New Yorker Unterwelt ging, summte es jedes Mal in meinem Schädel, wenn ich den Namen Carlo Genoffrio hörte.

Offiziell sollten wir eine Serie rätselhafter Unfälle und eindeutiger Sabotageakte bei Dreharbeiten klären. Es waren FBI-Fälle, weil die Beteiligten jeweils aus den verschiedensten Bundesstaaten und teilweise aus dem Ausland zusammengewürfelt waren. Für Phil und mich war klar, was und wer dahintersteckte. Wir hatten Genoffrio im Visier. Und an Genoffrio hatten wir auch gedacht, als der Spitzel angerufen hatte und uns brisantes Material über eine bekannte Persönlichkeit anbot, die angeblich in den Mord an dem Staatsanwalt Ferris Williams verstrickt sei.

Jetzt beobachtete Phil von draußen die Lagerhalle, und ich verwünschte im Stillen die Dummheit von Leuten, die einfach nicht einsehen, dass Drugstores, Kneipen oder belebte Straßenecken als Treffpunkt viel sicherer sind als dunkle, abgelegene Winkel.

Langsam tastete ich mich durch das Gewirr von Kistenstapeln. Völlig verdreckte Fensterscheiben filterten das Licht des ohnehin trüben Spätnachmittags zu gestaltlosem Grau. Ein paar Gabelstapler standen herum, reglos wie schlafende Monster. Zwischen den hochgetürmten Containern nistete wattige Dunkelheit. Ich rollte unbehaglich die Schultern. Es war zu still hier. Gespenstisch still. Falls der Spitzel mich nicht verschaukelt hatte, wäre es für den Burschen längst an der Zeit gewesen sich zu zeigen.

»Hallo!«, rief ich halblaut. »Kommen Sie aus Ihrem Loch heraus, Mann!«

Schweigen.

Dann eine heisere, vor Aufregung hohe Stimme. »Cotton?«

Ich zögerte mit der Antwort. Auf diese krumme Tour hatten sich auch schon Berufskiller vergewissert, ob sie auch das richtige Opfer vor die Kanone bekamen. Ein Prickeln zog über meine Haut, das intensive, unabweisbare Gefühl naher Gefahr. Ehe ich zu einem Entschluss kam, wurde es irgendwo im Hintergrund der Halle lebendig.

Etwas scharrte.

Ein metallisches Klicken, dann ein gleichmäßiges, ziemlich lautes Surren. Zwei Sekunden brauchte ich, bis ich wusste, was es war. Ein Elektromotor, einer der Gabelstapler. Jetzt hörte ich auch das Rollen der Hartgummireifen auf dem Betonboden.

Ich begriff.

Begriff schlagartig, blitzhaft.

»Vorsicht!«, schrie ich. »Weg von den Containern, Mann! Hierher!«

Dabei rannte ich bereits los, durch die Gasse zwischen den Kistenstapeln, dorthin wo ich die heisere Stimme gehört hatte. Ich stolperte, stürzte fast, fing mich wieder.

Irgendwo rechts von mir wurde ein zweiter Elektromotor angeworfen.

Licht sickerte durch ein Skylight. Es beleuchtete einen freien Platz vor dem geschlossenen Rolltor, groß genug, dass notfalls Lastwagen rangieren konnten. Öllachen schimmerten auf dem Betonboden. Fast bis zur Decke stapelten sich gelb lackierte Container mit knallroten Firmenzeichen. Vor dieser grellbunten Wand stand der Spitzel, der mich hierherbestellt hatte.

Wie ein aufgescheuchtes Huhn stand er da: ein kleiner, hagerer Bursche mit schütterem Haar und schwarzen, aufgerissenen Augen. Er schwankte, konnte sich nicht entscheiden, ob er vor oder zurück sollte, auf mich zulaufen oder in der nächstbesten Deckung verschwinden. Mein Anblick ließ ihn zusammenzucken. Hinter ihm, jenseits des Containerstapels, surrte der Motor des Gabelstaplers wie eine zornige Hornisse.

Ich wusste, dass ich keine Chance hatte, das Verhängnis aufzuhalten.

In der Sekunde, in der sich der Hagere herumwarf, um im Schatten unterzutauchen, erschütterte ein Stoß die Wand aus gelben Kisten. Holz splitterte. Etwas kreischte misstönend. Ich hörte Schritte, die aus der Gefahrenzone hetzten. Ich sah, wie sich die Wand neigte. In letzter Sekunde sah es auch der grauhaarige Spitzel.

Sein Gesicht verzerrte sich.

Gellend schrie er auf – ein lang gezogenes Heulen, das nicht enden wollte. Es war, als schlüge ein gigantischer Brecher über ihm zusammen. Ohrenbetäubendes Krachen und Poltern übertönte den Schrei. Der Mann warf die Arme hoch, eine sinnlose Gebärde der Abwehr. Dann verschwand er zwischen stürzenden Kisten, wirbelnden Brettern und einer Staubwolke, die binnen einer halben Sekunde die ganze Halle ausfüllte.

Zwei Yards vor meinen Füßen krachte ein gelber Container auf den Boden und löste sich in seine Bestandteile auf. Holzwolle quoll heraus, irgendwelche elektrischen Geräte blinkten. Mir war kalt, eiskalt von innen her. Ich wusste, dass der magere Mann tot war, dass er es nicht überlebt haben konnte. Aber ich kämpfte mich keuchend, hustend und verbissen durch die Trümmer dorthin, wo ich ihn zuletzt gesehen hatte.

Halb zertrümmerte Container versperrten mir den Weg.

Ich packte zu, zerrte – da hörte ich das Surren der Elektromotoren durch das Pochen des Bluts in meinen Ohren. Eiskalt strich etwas über meinen Rücken. Ich ließ die Holzkante los und wirbelte herum. Immer noch waberten gelbliche Staubwolken. Schwarz und massig traten die Konturen des Gabelstaplers aus dem Nebel.

Das Ding jagte genau auf mich zu!

Ein stählernes Ungetüm, gelenkt von einem vermummten Schatten.

Ich sah funkelnde Augen hinter den Sehschlitzen einer tief herabgezogenen Pudelmütze. Ich sah die blinkenden Hebearme, die wie Stoßzähne auf mich zielten. Buchstäblich in letzter Sekunde warf ich mich zur Seite.

Ich landete zwischen Holzwolle, Latten und Transistorradios, wälzte mich herum und fluchte wild, weil mir Glassplitter die Haut an den Händen aufrissen. Krachend bohrten sich die Stahlzähne des Gabelstaplers in ein Containerwrack. Eine Stimme schrie etwas. Räder ratterten. Das gespenstische Surren erfüllte die Luft. Als ich herumwirbelte, stockte mir der Atem.

Drei der unförmigen Fahrzeuge rollten in geschlossener Front auf mich zu.

Und ich konnte nicht ausweichen. Links war die Außenwand der Halle. Rechts ein Wall von Trümmern, die mich zerquetschen würden, wenn sie ins Rutschen gerieten. Die Luft schien zu dröhnen. Noch im Aufspringen hatte ich instinktiv zur Waffe gegriffen. Jetzt lag der 38er schwer und kühl in meiner Rechten. Ich wusste, dass ich nur noch eine einzige Chance hatte.

Eiskalt visierte ich den Kerl an, der den mittleren Gabelstapler lenkte.

Er brüllte erschrocken. Im nächsten Sekundenbruchteil übertönte der peitschende Knall der Waffe seine Stimme. Er wurde an der Schulter getroffen. Die Wucht der Kugel riss ihn halb herum. Instinktiv versuchte er, sich an der Lenkung festzuklammern – und jäh geriet der Gabelstapler aus der Richtung.

Metall kreischte, als sich die schwerfälligen Fahrzeuge berührten. Sie wurden von einer mörderischen Gewalt durchgerüttelt und schoben sich im Pulk nach links auf die Wand der Halle zu. Neben mir hatte es der vierte Gangster geschafft, den aufgespießten Container abzuschütteln. Der Bursche setzte den Stapler zurück und wollte erneut Anlauf nehmen, um mich niederzuwalzen. Doch in derselben Sekunde öffnete sich mit ohrenbetäubendem Quietschen eines der Rolltore.

Eine breite Bahn von trübem grauem Licht.

Eine schattenhafte Gestalt – und laut und peitschend die Stimme.

»FBI! Das Haus ist umstellt! Werft die Waffen weg.«

»Feds!«, brüllte jemand.

Blitzartig waren die Kerle von den Gabelstaplern herunter, rissen den taumelnden Verletzten mit und stürmten in eine der Gassen zwischen den Kistenstapeln. Als ich über das Containerwrack hinwegsprang, klappte bereits eine Tür, eine der zahlreichen Seitenpforten. Ich sprintete ebenfalls in die Gasse, hielt auf das helle Viereck zu und erreichte die Tür in der Sekunde, in der draußen ein Motor im höchsten Drehbereich aufheulte.

Mit durchdrehenden Hinterrädern startete der Wagen.

Ich erkannte, dass es ein dunkler Pontiac war. Da verschwand der Schlitten auch schon zwischen den verfallenen Schuppen des Hafengeländes.

Es hatte keinen Sinn, die Verfolgung aufzunehmen. Mein Jaguar stand auf der anderen Seite der Halle. Natürlich konnte keine Rede davon sein, dass das Haus umstellt war. Phil hatte geblufft, hatte alles auf eine Karte gesetzt. Jetzt kam er mit raschen Schritten durch die Halle. Sein Gesicht war bleich. Ich vermutete, dass ich auch nicht besser aussah.

Mit dem Handrücken wischte ich mir den Schweiß von der Stirn. Phils Blick glitt über die zusammengestürzten Container.

»Der Spitzel?«, fragte er heiser.

Ich nickte. Meine Kehle war wie zugeschnürt, meine Stimme klang fremd.

»Irgendwo da drunter. Wir brauchen die Mordkommission. Und die Feuerwehr! Sonst schleppen wir morgen früh noch Kisten.«

Es dauerte eine halbe Stunde.

Phil und ich standen schweigend im Zwielicht aus grauer Dämmerung und fahlem Neon und sahen zu, wie die Container vorsichtig mit Handhaken und einem kleinen Spezialkran auseinandergezerrt wurden. Lieutenant Harry Easton von der Mordabteilung Manhattan East konnte mit seinen Leuten vorerst auch nur warten. Obwohl keiner von uns noch irgendwelche Hoffnung gehabt hatte, war die Wirklichkeit ein Schock.

Ich hätte den mageren grauhaarigen Mann nicht mehr erkannt, wenn ich nicht gewusst hätte, dass er es sein musste. Der Polizeiarzt brauchte nur einen Blick. Dann kehrte er resignierend die Handflächen nach oben. Der Mann war tot. Er sah so aus, als hätte er jeden einzelnen Knochen im Körper gebrochen. Identifizieren konnten wir ihn nur noch anhand der halb zerfetzten, blutverschmierten Papiere.

Joseph Cattano, fünfundvierzig Jahre alt, wohnhaft in Jersey City. Filmkomparse sei er, hatte er mir am Telefon gesagt. Wir würden herausfinden, für wen er gearbeitet hatte, wir würden seine Vergangenheit und seinen Bekanntenkreis aufrollen. Diese Ermittlungen mochten am Ende auf die Spur der Mörder führen. Im Augenblick ging es uns vor allem um das Material, das er uns hatte übergeben wollen und um dessentwillen er gestorben war. Die Killer waren schnell gewesen, aber nicht schnell genug. Und sie hatten einen Fehler gemacht, als sie den Containerstapel zum Einsturz gebracht hatten. Dadurch hatten sie sich jede Chance verbaut, ihr Opfer zu filzen.

Zehn Minuten später fanden wir die flache schwarze Aktentasche.

Vielleicht war sie dem Toten aus den Händen gerissen worden. Vielleicht hatte er sie vorher zwischen den Containern versteckt, ich wusste es nicht. Phil zog Latexhandschuhe über, bevor er den verbogenen Schnappverschluss der Tasche öffnete. Vorsichtig zog er einen blauen Schnellhefter heraus. Ich sah ihm über die Schulter, als er den Deckel aufklappte.

Fotos!

Unscharfe Amateurfotos. Im Park vor einer Luxusvilla aufgenommen. Die technische Qualität ließ zu wünschen übrig. Aber die abgebildeten Personen waren trotzdem zu erkennen.

Ein freundlicher alter Mann mit leicht hängenden Schultern, länglichem, lächelndem Gesicht und grauen Schläfen: Don Carlo Genoffrio.

Neben dem Mafiaboss stand sein persönlicher Leibwächter Vic Rocca, dieser ausgeflippte Ex-Major mit dem verbrannten Gesicht und den hasserfüllten Augen, den Don Carlo irgendwann während seiner groß angelegten Rauschgiftgeschäfte in Vietnam aufgegabelt hatte. Den nächsten in der Reihe kannte wohl jeder: John Jordan, Filmstar. Er stand ganz oben in der Branche. Er hatte den Arm um die Schultern einer schönen schwarzhaarigen Frau gelegt. Danach kamen zwei dicke Managertypen, die eine Blondine betatschten, ein schmaler, lächelnder Brillenjüngling – und dann, halb abgewandt, ein Gesicht, das ich dutzendfach auf den Fotos der Mordkommission gesehen hatte.

Ferris Williams.

Staatsanwalt von Beruf, privat ein leidenschaftlicher Spieler und korruptionsverdächtig – im Haus des Mafiabosses Carlo Genoffrio während einer Party von unbekannten Tätern ermordet.

Kein Zweifel, die Bilder, die uns der tote Spitzel hatte zuspielen wollen, waren während jener Mordparty im Hause Genoffrio aufgenommen worden.

Und wenn sie irgendeinen Hinweis enthielten, würden wir ihn finden.

2

Sanft rollte der Wagen vor dem schmiedeeisernen Tor aus. Ein offener Mustang, goldmetallic. Das Gesicht der Fahrerin wurde von einer riesigen Sonnenbrille verborgen. Um den Kopf hatte sie einen Seidenschal geschlungen. Die langen Enden mussten hinderlich wirken, wenn sie im Fahrtwind flatterten. Mit elegantem Schwung stieg die Frau aus. Ihr hautenger goldener Overall leuchtete mit dem Wagen um die Wette.

Marcia Jordan wandte sich vom Fenster des Bungalows ab und seufzte. Melissa – ausgerechnet! Melissa Montesi war einmal ihre Freundin gewesen. Das lag lange zurück. Oder doch nicht so lange? Drei Jahre, dachte Marcia. Damals war sie eine unerfahrene junge Frau gewesen, die nicht begriff, was um sie her passierte. Noch einmal seufzte sie.

»Tee für zwei«, rief sie dem Hausmädchen zu, dann ging sie rasch zur Tür, um ihre frühere Freundin einzulassen, bevor sie einen Menschenauflauf verursachte.

Melissa Montesi hatte sich um keinen Deut verändert, wenn man davon absah, dass sie zu ihrer hypermodernen Kleidung jetzt echte Brillanten trug. Sie rauschte herein, küsste Marcia auf die Wangen und rief mindestens ein Dutzend Mal »Honey«, »Baby« und »Darling«, während sie sich mit gekonntem Schwung des Kopftuchs und der Sonnenbrille entledigte. Sie hatte das gleiche schwarze Haar wie Marcia Jordan und die gleichen dunklen Augen, aber damit erschöpfte sich die Ähnlichkeit auch schon. Melissa Montesi war ein aufstrebender Filmstar, ein Geschöpf ihrer Werbemanager, unecht von den strahlend weißen Jacketkronen bis zum sündigen Augenaufschlag. Marcia war John Jordans Frau und fühlte sich glücklich und ausgefüllt in ihrer traditionellen weiblichen Rolle.

Der Tee kam. Melissa fischte Süßstofftabletten aus einer Tasche des goldfarbenen Overalls und redete eine Viertelstunde lang über die Probleme der Schlankheit. Marcia hatte solche Probleme nicht, was im Wesentlichen daran lag, dass sie Haus und Garten weitgehend selbst versorgte. Sie tat es gern. Und sie wusste, dass sich John, ihr Mann, in den freien Stunden zwischen aufreibenden Dreharbeiten auch von noch so diskretem Personal gestört fühlen würde.

»Ich verstehe nicht, wie du das aushältst«, behauptete Melissa, als hätte sie die Gedanken ihres Gegenübers gelesen. »Haushalt, Garten – puh! Du hast dich doch früher nicht um so etwas gekümmert!«

»Eben deshalb«, sagte Marcia ruhig. »Ich will anders leben als früher, ganz anders. Ich möchte so wenig wie möglich an die Vergangenheit erinnert werden, verstehst du?«

Melissa verstand immerhin, dass zu dieser Vergangenheit auch die alte Freundschaft zwischen ihnen gehörte. Das Lächeln in dem schönen, perfekt geschminkten Gesicht erlosch. Die dunklen Augen begannen zu flirren. Etwas wie Feindseligkeit lag in ihrem Blick. Marcia fragte sich, ob sie zu deutlich geworden war.

»Ich wollte nur mal kurz vorbeischauen«, erklärte Melissa. »Wie geht es John?«

»Gut, danke.« Marcia zögerte und biss sich auf die Unterlippe. »Und ...wie geht es meinem Vater?«

»Großartig! Er ist der kommende Mann in der Branche, glaub mir!« Melissas Lächeln wirkte naiv. Es war jedoch unechte Naivität. Unecht wie fast alles an ihr. »Schade, dass es mit mir und John noch nichts geworden ist, nicht wahr? Mit dem gemeinsamen Film, meine ich.«

»Ich weiß, was du meinst ...« Marcia wollte noch etwas hinzufügen. Doch dann schwieg sie und schüttelte unmerklich den Kopf. Auch ihr Lächeln war jetzt maskenhaft, ein Lächeln kühler Höflichkeit. »Es war nett, dass du mich besucht hast, Melissa. Ich hoffe, wir sehen uns bald einmal wieder.«

Die Montesi warf ihre schwarze Mähne zurück.

Als sie aufstand, flirrte der Ärger über die deutliche Verabschiedung in ihren Augen. Aber sie beherrschte sich. Rasch schlang sie sich den Flatterschal um den Kopf. Die Sonnenbrille schob sie in eine Tasche des goldfarbenen Anzugs. Marcia begleitete die Besucherin nach draußen. In der offenen Tür ließ sie noch einmal das Zeremoniell mit Kuss und Umarmung über sich ergehen.

Jenseits des schmiedeeisernen Tors blitzte etwas auf.

Marcia zuckte zusammen, wandte den Kopf – und wieder flammte das Blitzlicht. Fünf Reporter hatten sich versammelt, peilten durch die Sucher ihrer Kameras, schossen Aufnahmen von dem Bungalow, dem Park und den beiden jungen Frauen. Melissa lächelte strahlend. Sie warf sich sichtlich in Pose. Deshalb also hatte sie darauf verzichtet, die Sonnenbrille aufzusetzen! Marcia fühlte Ärger in sich hochsteigen und eine ungewisse Unruhe. Sie zwang sich zu einem einigermaßen heiteren Lächeln, weil sie wusste, dass alles andere nur verrückte Spekulationen in der Presse ausgelöst hätte.

Eine Affäre mit der Montesi hatte man John ohnehin schon dreimal angehängt.

Außerdem Affären mit der Holmes, mit Julia Clarkett, mit einem Dutzend Starlets. Geschichten dieser Art erschienen fast jede Woche. John Jordan war ein Star, und ein Star ohne Affären kam im Weltbild der Klatschkolumnisten nicht vor. Wenn er nur ausschließlich Charakterrollen gespielt hätte! Aber er machte mehr als das. Er spielte strahlende Helden. Er moderierte Fernsehshows. Er war mit seinen Platten in der Hitparade.

Marcia winkte ihrer früheren Freundin noch einmal zu. Dann beeilte sie sich, die Tür hinter sich zu schließen. Morgen würden die Fotos in den Klatschspalten erscheinen. Ein halbes Dutzend Reporter würde sich ein halbes Dutzend verschiedener Geschichten dazu einfallen lassen. Abenteuerliche Geschichten. Vielleicht mit der Tendenz, dass sich John Jordans Ex-Geliebte und seine Frau gegenseitig trösten, während der Star mit der schönen Carol Holmes ...

Marcia musste lachen.