Jerry Cotton Sonder-Edition 162 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 162 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Stahlkönig Cole Nicholson feierte mit New Yorks Prominenz eine rauschende Party. Phil und ich gehörten zu den Gästen. Unauffällig bewachten wir einen bedeutenden arabischen Multimillionär. Es war ein angenehmer Auftrag. Schöne Frauen, wohin das Auge blickte. Nur zwei Dinge missfielen mir. Ein Serviermädchen träufelte K.-o.-Tropfen in die Sektkelche. Kellner und Köche waren in Wirklichkeit eine Gruppe von Attentätern. Sie hatten Bomben zur Champagnerparty mitgebracht ...


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Seitenzahl: 173

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Bomben zur Champagnerparty

Vorschau

Impressum

Bomben zur Champagnerparty

Stahlkönig Cole Nicholson feierte mit New Yorks Prominenz eine rauschende Party. Phil und ich gehörten zu den Gästen. Unauffällig bewachten wir einen bedeutenden arabischen Multimillionär. Es war ein angenehmer Auftrag. Schöne Frauen, wohin das Auge blickte. Nur zwei Dinge missfielen mir. Ein Serviermädchen träufelte K.-o.-Tropfen in die Sektkelche. Kellner und Köche waren in Wirklichkeit eine Gruppe von Attentätern. Sie hatten Bomben zur Champagnerparty mitgebracht ...

1

Fahles Neonlicht lag über der Zufahrt der Tiefgarage.

Die blonde junge Frau auf dem Beifahrersitz gähnte verhalten. Ihr Begleiter hatte den schweren Rambler Ambassador zu scharf nach rechts gezogen. Narouz Assadi, Leiter einer arabischen Wirtschaftsdelegation, musste aussteigen, um die rote Plakette einzuwerfen, die die Schranke hochgehen ließ. Er fluchte halb laut.

Als er die Plakette in den Schlitz warf, schnellte jenseits der rot-weißen Schranke eine Gestalt aus dem Schatten.

Etwas flog durch die Luft, kollerte über den Beton und rollte schließlich unter den Wagen. Narouz Assadi fuhr herum. Für eine kurze Sekunde sah er den Schatten, der zwischen den geparkten Wagen davonhetzte. Dann schien die Welt mit einem grellen Blitz in Fetzen zu reißen.

Die Handgranate detonierte unter der Vorderachse, zerriss die Bodenwanne und hob den Rambler ein Stück empor. Der Benzintank explodierte mit einer grellen Stichflamme. Blauweißes Feuer hüllte den Wagen ein.

Narouz Assadi wurde von der Druckwelle gegen die Wand der Garageneinfahrt geschleudert. Sein Hinterkopf knallte gegen Beton. Bewusstlos kippte er zur Seite. Er hatte Glück und landete im Schutz des Betonsockels, der Ein- und Ausfahrt trennte. Der Regen aus Trümmern, Glasscherben und verbogenen Metallteilen fegte über ihn hinweg, ohne ihn zu verletzen.

Sekunden später war nur noch das Prasseln und Zischen der Flammen zu hören.

Irgendwo schrien Menschen durcheinander. Schritte trampelten. Eine Sirene gellte in der Ferne. Es dauerte nur Minuten, bis der erste Löschzug der Feuerwehr zur Stelle war.

Aber für die junge Frau, die neben Narouz Assadi im Wagen gesessen hatte, kam jede Hilfe zu spät.

Es war eine kühle Nacht.

Jobb Trebish erwachte von der Feuchtigkeit des Bodens, die ihm durch die abgeschabte Jacke bis auf die Knochen drang. Trebish stöhnte, wälzte sich herum und spürte die Feuchtigkeit nun auch auf den Lippen. Seine Kehle war trocken. Die Zunge fühlte sich wie ein Stück Leder an. Trotzdem hatte er wenig Lust, die Tropfen des letzten Regens von den Grashalmen zu lecken.

Ächzend richtete er sich auf und blickte umher.

Eine nasse Wiese am Wegrand. Ziemlich weit entfernt die Lichter von Hoboken. Jobb Trebish fasste sich an den schmerzenden Schädel. Er musste ganz schön blau gewesen sein, wenn er ausgerechnet hier seinen Rausch ausgeschlafen hatte.

Dunkel entsann er sich, dass in der letzten Kneipe, aus der man ihn hinausgeworfen hatte, vom Sport, vom Wandern und vom gesunden Lebenswandel die Rede gewesen war. Irgendwie musste ihn da wohl der Rappel gepackt haben, und er hatte beweisen wollen, dass er durchaus noch in der Lage war, eine ausgedehnte Nachtwanderung zu unternehmen. Also war er losmarschiert. Natürlich nicht, ohne sich vorher am Bahnhofskiosk noch eine Taschenflasche Fusel zu besorgen.

Seine Hand tastete unter die Jacke.

Da war die Flasche! Als er sie schräg gegen das Mondlicht hielt, stellte er fest, dass sogar noch ein Rest des schauderhaften Gemischs aus klarem Schnaps und Magenbitter übrig war. Genießerisch schraubte Jobb Trebish den Verschluss ab, setzte die Flasche an den Mund und ließ den Stoff durch die Kehle gurgeln.

Danach fühlte er sich etwas besser.

Allerdings längst noch nicht gut genug, um den Weg nach Hoboken zurückzumarschieren. Wozu auch? Auch dort wartete kein warmer Ofen auf ihn, Trebish pflegte auf Parkbänken, in Telefonzellen oder U-Bahn-Schächten zu schlafen. Irgendetwas in dieser Preislage konnte er auch in unmittelbarer Nähe finden. Leicht torkelnd kam er auf die Beine und drehte sich einmal um die eigene Achse, um die Umgebung zu erforschen.

Keine fünfzig Yards von ihm entfernt erhob sich ein Gebäudekomplex wie ein Haufen überdimensionaler schwarzer Bauklötze.

Die Fabrik! Trebish kannte das längst stillgelegte Unternehmen. Es lag zu weit von den nächsten Häusern entfernt, als dass sich jemals ein Cop dorthin verirrt hätte. Trebish grinste breit. Die Fabrik war genau richtig für seine Zwecke. Zumindest würde er ein trockenes Plätzchen finden, eine Gelegenheit, endlich weiterzupennen, ohne dass er sich auf der nassen Wiese Rheumatismus holte.

Entschlossen lief er auf den dunklen Gebäudekomplex zu.

Die Aussicht auf ungestörten Schlaf beflügelte ihn. Binnen weniger Minuten erreichte er die verfallene Mauer. Er zwängte sich durch eine Lücke in dem geborstenen Tor und schob sich dann vorsichtig durch die Reste dessen, was einmal die gläserne Eingangstür des Verwaltungstrakts gewesen war.

Jobb Trebish bemerkte nichts Verdächtiges.

Er sah sich in der Halle um, die vom Mondlicht schwach erhellt wurde. Der Fahrstuhlschacht war zugemauert. Aber es gab Treppen, die nach oben und unten führten. Trebish zögerte einen Moment. Er wog Vor- und Nachteile gegeneinander ab. Dann entschied er sich für die Kellertreppe, weil er sich dort unten den besten Schutz vor der unangenehmen Zugluft versprach.

Vorsichtig tastete er sich die Stufen hinunter.

Die Treppe selbst war dunkel. Sie mündete auf einen Flur, in den von irgendwoher Licht fiel. Kein Mondlicht. Es war der Widerschein von Lampenlicht. Als Trebish das bemerkte, blieb er für ein paar Sekunden unschlüssig stehen.

Lampenlicht?

Wer, zum Teufel, konnte hier unten hausen? Und wieso waren überhaupt die elektrischen Leitungen noch intakt? Die wurden doch in einem verlassenen Gebäude meist sehr schnell demontiert! Jobb Trebish runzelte die Stirn. Fast war er geneigt, so leise wie möglich umzukehren und sich wieder davonzumachen.

Dann dachte er an den langen Weg. Und daran, dass sich um diese Zeit in einer abbruchreifen Fabrik eigentlich nur Leute seines Schlags herumtreiben konnten. Saufbrüder und Stadtstreicher! Er beschloss, zumindest einen vorsichtigen Blick zu riskieren.

Auf Zehenspitzen schlich er über den langen Flur.

Die Tür des hellen Zimmers stand offen. Jobb Trebish kniff die Augen zusammen, schob behutsam den Kopf vor und spähte um die Ecke. Der Kellerraum war leer. Aber er war ganz sicher nicht der Schlupfwinkel eines Obdachlosen.

Hier wohnte jemand!

Hatte sich häuslich eingerichtet.

Trebishs Blick erfasste bunte aufblasbare Sessel, Luftmatratzen mit Decken an den Wänden, ein Radio, sogar einen Fernsehapparat. Nichts fehlte, auch nicht ein Regal voller Konservendosen und ein Stapel Bücher und Zeitschriften. In der Mitte des Zimmers stand ein niedriger, roh gezimmerter Holztisch. Lose Blätter lagen auf der Platte. Blätter mit Grundrisszeichnungen, eine Landkarte, ein paar Hochglanzfotos. Neugierig trat Jobb Trebish näher.

Kopfschüttelnd starrte er auf das Sammelsurium von Papieren, deren Bedeutung ihm schleierhaft blieb.

Sein Blick glitt über das Regal. Kein Tropfen Alkohol, verdammt.

»Dreck!«, murmelte Jobb Trebish und wollte sich wieder abwenden.

»Sehr richtig«, sagte eine ruhige, schleppende Stimme hinter ihm.

Trebish zuckte zusammen, als hätte ihn ein Peitschenhieb getroffen.

Scharf sog er die Luft durch die Zähne und fuhr herum. Er schwankte leicht. Die plötzliche Bewegung brachte seinen ohnehin gestörten Gleichgewichtssinn durcheinander. Für einen Augenblick schaukelte das Bild vor seinen Augen. Es dauerte mehrere Sekunden, bis er den Mann im Türrahmen deutlicher sah.

Er war ein breitschultriger, noch junger Mann. Er hatte dichtes rötliches Haar und graugrüne Augen, die er zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen hatte, und ...

Jobb Trebish hielt den Atem an.

Sein Blick war auf die Pistole gefallen.

Der junge Bursche hielt eine schwere Luger in der Faust. Die Mündung zielte auf Trebishs Brust. Von einer Sekunde zur anderen hatte er das Gefühl, als zöge sich eine unsichtbare Schlinge um seine Kehle zusammen.

»Was ... was ...?«, stammelte er.

»Wer bist du?«, fragte der Rothaarige gedehnt.

Trebish schluckte krampfhaft. Er war plötzlich stocknüchtern. Und er fühlte die Drohung, die von seinem Gegenüber ausging, fühlte sie mit jeder Faser.

»Trebish«, flüsterte er mechanisch. »Jobb ... Trebish ...«

»Was willst du hier? Wer schickt dich?«

»Niemand ... Nichts ... Ich meine ... will gar nichts! Hab nur 'nen Unterschlupf für die Nacht gesucht. Ich verschwinde ja schon wieder, Mister ...«

Der Rothaarige nickte langsam.

»Sicher«, sagte er gelassen. »Du verschwindest, Mac! Du verschwindest auf Nimmerwiedersehen ...«

Er krümmte den Finger.

Donnernd brach sich das Echo des Schusses in dem engen Keller. Jobb Trebish, der Stadtstreicher aus Hoboken, fühlte nur noch den harten Schlag an der Brust und dann gar nichts mehr.

Uniformierte Cops sorgten dafür, dass der Verkehr auf der 7th Avenue weiterlief. Die Einfahrt der Hotelgarage war abgeriegelt. Hinter den rot-weiß lackierten Sperrböcken drängten sich Neugierige. Ich ließ zwei Fahrzeuge der Feuerwehr passieren. Dann setzte ich den Jaguar hinter den grauen Kastenwagen der Mordkommission.

Mein Freund und Partner Phil Decker zeigte einem herbeieilenden Uniformierten den FBI-Ausweis. Der Cop salutierte und rief etwas über die Schulter. Aus der Gruppe der Kriminalbeamten im Hintergrund löste sich eine große, breitschultrige Gestalt mit blondem Wikingerbart: Lieutenant Wyn Heggelbach von der Mordabteilung Manhattan South.

Er tippte mit dem Zeigefinger an den Rand einer imaginären Mütze. Sein Anzug war voll Ruß. Ein Zeichen dafür, dass er zwischen verkohlten Trümmern herumgekrochen war. Gern machte er so etwas nicht. Bart und Statur sind nämlich das Einzige an ihm, das an einen Wikinger erinnert. Sonst ist er – nächst unserem indianischen Kollegen Zeerookah – der bestgekleidete Polizist des Großraums New York.

Im Augenblick hatte sein Modejournalimage allerdings gelitten.

Er rieb sich über das Kinn und verteilte Ruß auf seiner Haut, während er mit dem Kopf nach hinten wies. Das ausgeglühte Gerippe eines Wagens versperrte die Zufahrt. Die Feuerwehrleute hatten die junge Frau herausgeholt. Aber ein Blick genügte, um zu erkennen, dass sie auf der Stelle tot gewesen sein musste. Lieutenant Heggelbach atmete hörbar aus.

»Wird schwer sein, sie zu identifizieren«, meinte er. »Eine Prostituierte, am Times Square aufgelesen. Sämtliche Papiere sind verbrannt, und der Mann kennt nur den Vornamen: Yvonne.«

»... der auch nicht gerade echt klingt«, ergänzte ich. »Der Anschlag galt dem Fahrer?«

»Anzunehmen.« Heggelbach nickte. »Narouz Yussuf Mohamed Assadi.«

»Auch das noch«, sagte Phil ergriffen.

Ich zog die Unterlippe zwischen die Zähne. Wer Narouz Assadi war, wusste in New York mittlerweile jeder Schuljunge. Die Zeitungen hatten ausgiebig darüber berichtet, dass ein gewisser Cole Nicholson seinen in Schwierigkeiten geratenen Stahlkonzern mit dem Geld eines arabischen Ölscheichtums wieder auf die Beine bringen wollte. Narouz Assadi hatte den Ölstaat bei den Verhandlungen vertreten. Sie waren von Erfolg gekrönt! Eine Menge Menschen würden ihre Arbeitsplätze behalten, und der Stadt New York blieb ein guter Steuerzahler erhalten.

Und jetzt hatte jemand diesem arabischen Santa Claus eine Handgranate in den Weg geworfen.

Politische Motive? Ein Fanatiker, der etwas gegen Petro-Dollars in der amerikanischen Wirtschaft hatte? Irgendwelche Exilgruppen, die die Revolution, die sie in ihrem Heimatland nicht machen konnten, auf das Pflaster von New York verlegten? Es war zu früh, um darüber zu spekulieren. Am ehesten würde uns Narouz Assadi selbst die Antwort geben können. Das glaubte ich jedenfalls.

Er kauerte auf einem Betonsockel und ließ sich vom Polizeiarzt die Platzwunde am Hinterkopf behandeln. Der Doc verschwendete reichlich Jod, aber Assadi verzog keine Miene. Er war ein großer, hagerer Mann mit schmalem Ledergesicht und tief liegenden jettschwarzen Augen. Sicherlich passte ein Burnus besser zu seinem Typ als der elegante, jetzt schmutzige und zerrissene Smoking.

Schweigend betrachtete er unsere Dienstausweise. Dann stand er auf und schüttelte uns die Hände mit einer merkwürdig feierlich anmutenden Geste.

»Ich verstehe das nicht«, sagte er mit seinem harten Akzent. »Ich habe keine Erklärung, Gentlemen. Absolut keine ...«

Meinem Eindruck nach konnte er sich wirklich nicht vorstellen, wer hinter dem Anschlag stecken mochte. An einen Zufall oder eine Verwechslung glaubte er allerdings auch nicht. Er schilderte die Ereignisse, soweit er sie in Erinnerung hatte. Er versuchte, den Mann zu beschreiben, der die Handgranate geworfen hatte. Doch außer solch vagen Merkmalen wie »groß«, »schlank« und »wendig« kam nichts dabei heraus.

Die Frau hatte Assadi in einem Lokal am Times Square kennengelernt.

Wir würden herausfinden, wer sie gewesen war. Ihr Gesicht ließ sich nicht mehr erkennen. Assadi konnte sie jedoch beschreiben. Und wir kannten den klingenden Vornamen, den sie sich zugelegt hatte. Yvonne.

Narouz Assadi vermied es, zu dem Leichnam hinüberzusehen. Wahrscheinlich dachte er daran, dass er nur durch einen unwahrscheinlichen Zufall dem gleichen Schicksal entronnen war.

Der Rest der Nacht verging mit ziemlich fruchtlosen Ermittlungen.

Wir identifizierten die tote Yvonne als eine gewisse Kate Culp aus Alabama. Aber auch das brachte uns nicht weiter. Der Anschlag konnte nicht der jungen Frau gegolten haben. Der Täter hatte in der Tiefgarage des Hotels gelauert. Er musste vorher einen Fluchtweg ausgekundschaftet haben. Er hatte Assadis Mietwagen gekannt. Und vermutlich auch die Zeit, zu der er gewöhnlich ins Hotel zurückkehrte. Es gab nur zwei Wege, den Attentäter zu erwischen. Entweder fanden wir ein schlüssiges Motiv, oder wir warteten, bis es der Bursche noch einmal versuchte.

Drei Tage wollte Narouz Assadi noch in New York bleiben.

Drei Tage, in denen er geschützt werden würde. Ich war nicht überrascht, als der Chef diese Aufgabe Phil und mir übertrug.

»He, Mister!«

Der hagere Araber fuhr zusammen. Seit einer halben Stunde hockte er an einem der Tische des Drugstores und starrte in sein leeres Glas. Zitronenlimonade, dachte der Wirt verächtlich. Wer, zum Teufel, trank um sechs Uhr morgens Zitronenlimonade? Der Wirt war entschlossen, den schweigsamen Gast an die frische Luft zu setzen. Er brauchte Platz. In einer Viertelstunde spätestens begann der große Ansturm. Der Wirt wollte keine Limonade verkaufen, sondern kannenweise Mokka. Dazu Sandwiches, Eier mit Schinken und Pfannkuchen mit Ahornsirup.

»Zahlen, Mister?«, fragte er mit einem Ausdruck mühsam gewahrter Höflichkeit.

Der Araber blickte auf. Er war sehr groß und sehr blass und hatte pechschwarzes Haar. In den dunklen, tief in den Höhlen liegenden Augen glomm jetzt plötzlich ein merkwürdiges Feuer. Ihr Ausdruck erschütterte die Arroganz des Drugstorebesitzers.

»Noch mal das Gleiche«, sagte der Mann leise.

Der Wirt nickte nur.

Widerspruchslos servierte er die nächste Limonade und nahm das Geld, das der hagere Gast auf den Tisch warf. Der Blick des Arabers wirkte schon wieder abwesend. Er schien durch alles hindurchzugehen. Er trank die Limonade in kleinen Schlucken. Als er das Glas zur Hälfte geleert hatte, setzte er es mit einem harten Ruck zurück auf den Tisch.

Hastig stand er auf und ging zur Tür.

Sein Gesicht hatte sich jäh verändert. Ein plötzlicher Entschluss straffte es, machte es fahl und maskenhaft starr.

Er wusste, dass der gemächlich an dem Drugstore vorbeirollende Wagen nicht der war, dem er seit Tagen folgte, sondern nur so ähnlich aussah. Aber der Anblick des Wagens hatte ihn wieder daran erinnert, dass längst noch nicht alles verloren war. Er hatte wieder die wahnwitzige Entschlossenheit in seinem Inneren geweckt. Unter den halb gesenkten Lidern funkelten seine Augen vor Hass.

Er dachte an seinen Bruder, der umgekommen war.

Umgekommen in einem schmutzigen, verkommenen Gefängnis.

Er dachte an die Schuldigen. Oder diejenigen, die er für schuldig hielt. Er dachte an den Racheschwur, den er geleistet hatte, und mit einer wilden Bewegung ballte er die Hände zu Fäusten.

Minuten später hatte er ein Taxi gefunden.

Der Fahrer war ein dicker, mürrischer Mann. Er warf nicht einmal einen Blick auf den Fahrgast, der als Adresse ein Hotel an der 7th Avenue nannte.

Der Kastenwagen rollte durch die Mittagssonne.

Ein auffälliger Wagen: kanariengelb und mit den Reklamesprüchen eines Partyservice dekoriert. Johnson's arrangierte alles, von der Tortenschlacht bis zur Orgie. Johnson's lieferte notfalls auch eine preisgünstige Champagnermarke in größeren Mengen, falls besonders anspruchsvolle Kunden den Wunsch hatten, in Sekt zu baden.

Bob Skinner, der Fahrer, dachte an die kunstvolle Hochhaustorte, als der Transporter über ein Schlagloch rumpelte. Skinner mäßigte das Tempo. Sein Blick hing am Heck des ebenfalls gelben Ford, in dem Barkeeper, Kellner und Serviererinnen fuhren. Johnson's Catering war ein großes Unternehmen, draußen auf Long Island ansässig, wo es Fischteiche und Wildgehege unterhielt, Frischegarantie für die Zutaten der berühmten kalten Büfetts. Bis nach Midtown Manhattan brauchten die Wagen eine gute Stunde.

Bob Skinner gähnte. Er war glücklicherweise nur der Fahrer. Er brauchte sich nachher nicht auf der langweiligen Prominentenparty herumzuärgern, sondern konnte sich im Wagen für ein paar Stunden aufs Ohr legen.

Die Bremslichter des Ford leuchteten vor ihm auf.

Skinner nahm vorsichtig Gas weg. Die Hochhaustorte vertrug keine ruckhafte Fahrweise. Der Ford wurde scharf nach rechts gezogen und stoppte. Jetzt konnte auch Skinner sehen, dass weiter vorn die Straße versperrt war.

Ein Unfall, dachte er.

Ein grüner Volkswagen stand quer. Vor der offenen Tür lag eine reglose Gestalt in den Scherben des Scheinwerfers. Ein junger Mann fummelte mit dem Warndreieck herum. Drei, vier andere Leute umstanden den Bewusstlosen. Eine Frau winkte. Eine hübsche Frau mit rabenschwarzem Haar und dunklen, ein wenig harten Zügen.

Skinner brachte den Kastenwagen zum Stehen. Neben ihm richtete sich Joseph Stark auf, der so etwas wie ein Kontrolleur war – oder eigentlich sein sollte. In Wahrheit kontrollierte er meist den Geschmack der Drinks, die Charly mixte. Die Alkoholfahne bekämpfte er mit Pfefferminzbonbons. Auch jetzt lutschte er eins.

»Unfall?«, fragte er undeutlich.

»Das siehst du doch, Mann! Verdammt, warum fahren die ihren Karren nicht von der Straße? Wir müssen weiter!«

»Na los, sehen wir zu, ob wir ihnen ein bisschen Dampf machen können.«

Sie stiegen aus.

Auch ihre Kollegen hatten den gelben Ford verlassen. Joseph Stark rannte mit langen Schritten über die Straße. Skinner folgte ihm ohne Hast. Ihm war es gleich, ob sie eine Viertelstunde früher oder später in dem Hochhaus in Manhattan ankamen. Er brauchte den Zeitverlust schließlich nicht wieder aufzuholen.

»He, verdammt noch mal!«, fauchte Stark einen der jungen Männer an. »Könnt ihr den Schlitten nicht von der Straße bringen? Ihr haltet den ganzen Verkehr auf!«

Der Junge starrte ihn an. Er war groß und breitschultrig, hatte rötliches Haar und graugrüne Augen. Was für fanatische Augen!, dachte Bob Skinner überrascht. Und das kräftige, flächige Gesicht war zwar glatt und beherrscht, vermittelte aber den Eindruck, als brodelte es darunter.

»Dreckskerl!«, sagte der Bursche. »Du könntest wenigstens so tun, als kümmerte es dich, ob hier jemand Hilfe braucht.«

Joseph Stark schluckte verblüfft. Skinner glaubte zu verstehen.

»Ist ja gut«, sagte er beschwichtigend. »Klar helfen wir euch. Dein Freund da, ist er schwer verletzt?«

Der Rothaarige lächelte. Sein Blick wanderte zu der reglosen Gestalt.

»He, Jim«, sagte er halblaut. Und im nächsten Augenblick überstürzten sich die Ereignisse.

Der angeblich Verletzte sprang auf wie eine Katze.

Der Rotkopf griff unter die Jacke und holte mit einer blitzartigen Bewegung eine Pistole hervor. Die Frau mit dem scharf geschnittenen Gesicht bückte sich zu einem Deckenbündel auf der Straße. Als sie sich wieder aufrichtete, hielt sie eine leichte Bügel-MP im Anschlag.

»Okay«, sagte sie mit einer hellen, harten Stimme. »Nehmt die Hände hoch! Wenn ihr vernünftig seid, habt ihr eine Chance, mit dem Leben davonzukommen.«

2

Narouz Assadi hatte eine helle, moderne Suite gemietet.

Er reiste mit kleinem Gefolge. Zwei Sekretäre, die nebenan wohnten, und ein Chauffeur, den er nie für Privatfahrten in Anspruch nahm, da der Mann vom Staat bezahlt wurde. Die restlichen Mitglieder der Delegation hatte Assadi bereits nach Los Angeles geschickt, wo sie anderweitige Verhandlungen vorbereiten sollten. Unser Schützling war ein Prinzipienmensch. Unbestechlich, unnachsichtig gegen jede Art von Schluderei. Äußerst empfindlich gegen alles, was danach aussehen konnte, als machte er sich einen schönen Tag auf Staatskosten. Die Party, für die er sich im Augenblick umzog, war eine Pflichtübung. Cole Nicholson wünschte, den erfolgreichen Vertragsabschluss zu feiern.

Phil und ich trugen bereits Smoking. Da ein neuer Anschlag auf Narouz Assadi nicht auszuschließen war, mussten wir ebenfalls an der Party teilnehmen. Bei einer solchen Veranstaltung einen Mann abdecken zu müssen, ist normalerweise eine ziemlich kitzlige Angelegenheit. In diesem besonderen Fall erleichterte Narouz Assadis Persönlichkeit unsere Aufgabe. Selten hatten wir jemanden zu schützen gehabt, der sich so diszipliniert und vernünftig verhielt wie dieser große, hagere Araber.

Er lächelte, als er sich vom Spiegel abwandte, vor dem er seine Smokingschleife gebunden hatte. Mit einer mechanischen Bewegung tastete er über die Beule am Hinterkopf. Besonders gut konnte er sich eigentlich nicht fühlen. Aber er war eben ein disziplinierter Typ, den so leicht nichts umwarf.

»Nun denn«, sagte er in seinem harten, manchmal etwas gestelzten Englisch. »Gehen wir, Gentlemen. Ich hoffe, ich mache Ihnen nicht allzu viele Schwierigkeiten.«

»Sicher nicht. Es ist kaum anzunehmen, dass sich unter Mister Nicholsons Gästen ein Attentäter befindet.«

»Vor allem, da der Mann mich eigentlich für tot halten müsste, Agent Cotton.« Assadi nickte.

Er blieb stehen und wartete, da er inzwischen gemerkt hatte, dass wir ihn grundsätzlich nicht als Ersten durch irgendeine Tür treten ließen. Phil war es, der auf den Flur hinausglitt. Assadi folgte ihm, ich machte den Schluss. Im Grunde rechnete keiner von uns ernsthaft damit, dass innerhalb des Hotels oder während der Party etwas passierte. Doch auch wir werden in solchen Situationen zu Prinzipienmenschen. Und bekanntlich gibt es nichts, was es nicht gibt.

Minuten später bekamen wir es demonstriert.

Auf eine verdammt handgreifliche Weise.

Die Fahrstuhlkabine schwebte nach unten. Ihre Tür war aus Glas, die Schiebetüren zu den einzelnen Stockwerken ebenfalls. Narouz Assadis Suite lag im achten Stock. Zwei Etagen tiefer lauerte der Killer.