Jerry Cotton Sonder-Edition 168 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 168 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Verbittert lebte der Mafioso in Italien. Die USA hatten ihn vor Jahren abgeschoben. Sein bester Freund Marco hatte ihn verraten. Da bot sich plötzlich Gelegenheit zur Rache. Der Ausgewiesene erfuhr, dass Marcos Tochter Olivia nichtsahnend Italien besuchte. Schmerzhaft musste Olivia erfahren, dass er überallhin reichte - der lange Arm der Mafia ...


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Seitenzahl: 215

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Der lange Arm der Mafia

Vorschau

Impressum

Der lange Arm der Mafia

Verbittert lebte der Mafioso in Italien. Die USA hatten ihn vor Jahren abgeschoben. Sein bester Freund Marco hatte ihn verraten. Da bot sich plötzlich Gelegenheit zur Rache. Der Ausgewiesene erfuhr, dass Marcos Tochter Olivia nichtsahnend Italien besuchte. Schmerzhaft musste Olivia erfahren, dass er überallhin reichte – der lange Arm der Mafia ...

1

Als Olivia Petrella die Tür zu einem sehr hohen Raum öffnete, verzog sie das Gesicht. Dichter Tabaksqualm füllte das Zimmer wie Flussnebel. Sie wedelte mit einer Hand, um die Schwaden zu verteilen.

»Puh!«, machte sie laut.

Die Männer, die sich die Zeit mit Kartenspielen oder Fernsehen vertrieben, standen respektvoll auf. Olivia lief an ihnen vorbei.

Als Kind hatte sie sich vor diesen Männern mit den ausdruckslosen Gesichtern und harten Augen gefürchtet. Immer waren sie in ihrer Nähe gewesen. Wie Schutzengel. Oder wie düstere Schatten. Bis sie einen von ihnen bei ihrem ersten Rendezvous im Park des Hunter College überraschte. Hinter einem Baum lauerte er, das Walkie-Talkie in der Hand.

Noch in derselben Nacht war sie empört zu ihrem Vater gefahren und hatte energisch verlangt, diese Art der Überwachung einzustellen. Seufzend hatte sich Marco Petrella, der große Marco Petrella, dem Wunsch seiner einzigen Tochter beugen müssen. Er wollte sie nicht verlieren, wie er seine Söhne verloren hatte.

»Ihr Vater telefoniert gerade, Miss Olivia«, sagte Jack Passantino.

Er war ein großes, hageres Scheusal mit vorquellenden Augen und fahler Haut. Obwohl er bei ihrem Erscheinen rasch das Jackett über seine Schultern geworfen hatte, konnte sie den Kolben einer schweren Pistole erkennen, der unter seiner Achsel hervorragte.

Olivia lächelte ihm zu. »Es ist gut, Jack.«

Sie wusste, dass dieser Mann ihrem Vater treu ergeben war, genau wie Pasquale Lupica und die anderen. Sie öffnete die Verbindungstür zum Arbeitsraum ihres Vaters und steckte den Kopf hindurch.

Sein leuchtete auf. Er winkte ihr, während er ein paar Zahlen in den Telefonhörer rief und auflegte. Er stand auf und kam hinter dem Schreibtisch hervor.

Petrella war ein stämmiger Mann mit dichtem graumeliertem Haar, das den breiten Schädel wie Unkraut überwucherte. Der Kopf saß auf einem kräftigen Hals, der unwillkürlich an einen Laternenmast erinnerte.

Olivia ließ sich von ihrem Vater kurz an die Brust drücken, um sich dann lachend zu befreien.

»Dad! Ich verreise nicht! Ich will mich nur mit ein paar Leuten treffen, etwas essen und mich unterhalten.« Sie betrachtete das breite Gesicht ihres Vaters. Es war in den letzten Jahren fleischig geworden. Er hatte auch etwas Fett angesetzt. Dabei suchte er fast täglich Teddy's Gym an der Madison Avenue auf, strampelte und schwitzte sich dort einige Pfunde ab.

»Wen triffst du?«, erkundigte er sich in beiläufigem Tonfall.

»Dad, wir hatten doch etwas ausgemacht!« Ihr Gesicht verdüsterte sich.

»Schon gut«, lenkte Marco Petrella ein. »Ich ... ach, lassen wir das. Ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, nach Europa zu fliegen.«

Olivias Augen wurden groß. Sie spürte, dass sich in diesem Moment eine Entwicklung anbahnte, die sie erwartet hatte. Ihr Vater war ein Kämpfer.

»Venedig, Florenz, Rom. Du studierst schließlich Kunstgeschichte, mein Kind. Ich habe das nicht vergessen.« Er betonte das Wort ich ganz besonders.

»Ach, Dad!«, rief sie.

Er lächelte. Seine Augen betrachteten sie mit einem Ausdruck hündischer Ergebenheit. »Sieh mal, du brauchst eine andere Umgebung. Ich beobachte dich sehr aufmerksam, mein Kind. Hier in Amerika kommst du nicht weiter. Ich weiß nicht, woran das liegt. Das neue Semester beginnt in wenigen Wochen, und du hast dich noch nirgendwo eingeschrieben.«

»Du schnüffelst mir nach!«

»Nein, mein Kind. Ich kümmere mich nur etwas um dich. Dazu habe ich nicht nur das Recht, sondern vor allem auch die Pflicht.«

Olivia legte ihrem Vater schnell eine Hand auf den Arm. »Dad, ich bin erwachsen! Begreif das doch. Ich werde mich in der Columbia University einschreiben.«

»Warum ausgerechnet Columbia?« Er trat einen Schritt zurück, wodurch Olivia ihre Hand von seinem Arm nehmen musste. In seinen Augen erschien dieser harte, abweisende Schimmer, den sie kannte und fürchtete, obwohl sein Zorn sie nur sehr selten getroffen hatte. Ihre Brüder Matteo und Ricardo hatten diesen Blick viel öfter gesehen. Und er hatte sie aus dem Haus getrieben.

»Dad, nicht doch ...« Sie wollte noch etwas sagen. In diesem Moment meldete sich die Sprechanlage mit einem herrischen Summton.

Petrella drückte eine Taste. »Ich will nicht gestört werden!«

»Es ist wichtig, Don Marco!«, drang Jack Passantinos Stimme aus dem Gerät.

Olivia presste die Lippen aufeinander. Viele Italo-Amerikaner vom alten Schlag redeten ihren Vater noch mit Don an.

»Was gibt's denn?«

»Reilly hat sich in eine Schießerei verwickeln lassen. Die Cops haben ihn hochgenommen.«

»So ein Stümper! Lass ihn schmoren!«

»Es heißt, er hätte einen umgelegt.«

Olivia stürzte zur Tür. Sie hörte die Stimme ihres Vaters.

»Olivia, bitte, bleib! – Jack, wo ist er?«

»Auf dem dreiundzwanzigsten Revier.«

»Schick Wyler hin. Er soll sich um den Narren kümmern.«

»Wyler?«, fragte Passantino. »Er soll doch ...«

»Tu, was ich dir auftrage!« Petrella drehte sich um.

Olivia hatte bereits die Tür geöffnet.

»Olivia, bitte! Lass uns reden!«

Sie schüttelte den Kopf und ließ ihren Vater einfach stehen.

Phil Decker steuerte den großen Sedan auf den Fahrzeughof hinter dem roten Backsteinbau an der 102nd East, in dem das 23. Revier untergebracht war. Wir stiegen aus. Der Desk Sergeant deutete mit einer Daumenbewegung nach hinten. Wir gingen gleich zum Squad Room der Detectives durch.

Kirby und Martinez, die beiden Detectives, die Joe Reilly festgenommen und aufs Revier verfrachtet hatten, machten einen erschöpften Eindruck. Sie hatten dem Gangster nicht einmal die Handschellen abgenommen. Reilly saß auf einem Drehstuhl und bewegte sich hin und her. Dabei grinste er selbstgefällig. Kirby und Martinez sahen uns erleichtert an. Kirby deutete auf Reilly.

»Darf ich bekanntmachen? Joe Reilly, Schläger und Revolverschwinger. Cotton und Decker, FBI. Jerry, Phil, je eher Sie diesen Strolch hier wegschaffen, desto besser.«

»FBI?« Der Gangster klirrte mit der Handfessel. »He, he! Was wollt ihr von mir?«

»Du kommst in den Bundesknast«, erklärte Martinez genüsslich. Er grinste wie jemand, der einen anderen übers Ohr gehauen hat.

»Bundesknast? Ich höre immer Bundesknast! Wieso das?« Der Strolch kniff die Lider zusammen.

Kirby kümmerte sich nicht um den Kerl. Er sortierte den Stoß Papiere, den er vorbereitet hatte. Reilly zeterte laut, obwohl er kaum zu begreifen schien, dass es ihm jetzt an den Kragen ging.

Joe Reilly, achtunddreißig Jahre alt, weiß, hatte sich seit seiner verkommenen Jugend als brutaler Schläger hervorgetan. Seit vielen Jahren gehörte er zu einer von Marco Petrellas Unterorganisationen. Reillys Auftauchen im Bereich des 23. Reviers an der Grenze zwischen dem Barrio, dem spanischen Teil Harlems, und dem Harlem der Schwarzen, stellte für uns ein weiteres Signal dar. Es war ein Mosaiksteinchen und passte zu den anderen, die wir bisher zusammengetragen hatten.

Marco Petrella dehnte seinen Einflussbereich nach Norden hin aus. Nach Harlem. Dort war durchaus Geld zu machen. Mit jungen schwarzen Frauen, die er als Prostituierte einsetzen konnte. Die arbeitslosen jungen Männer waren eine leichte Beute für die Dealer, die ihnen für die Unterstützung minderwertige Drogen andrehten. Und schließlich war da Geld aus den verschiedenen Sanierungsprogrammen der Stadt und des Staats.

Ja, Marco Petrella, der Krake, wie er von seinen Feinden auch genannt wurde, streckte seine Fangarme nach Norden aus. Dort würde er unweigerlich auf Widerstand stoßen. Auf die schwarzen Bandenführer.

In Harlem hatten wir, alle Polizeikräfte der Stadt, Probleme genug. Deshalb bestand bei den Behörden die Neigung, sofort scharf durchzugreifen, bevor es zu offenen Bandenkriegen kam.

Martinez drückte Phil das Überweisungsformular in die Hand. »Es fehlt nur noch die Unterschrift des District Attorney. Aber Sie können ihn ruhig schon mitnehmen, G-men. Die Boys von der Mordabteilung schieben ihren Bericht ebenfalls nach.«

»Mord?«, schrie Reilly. »Wer faselt hier von Mord?«

»Halt die Klappe«, sagte Kirby.

»Ich habe euch was gefragt, ihr Bastarde!«, brüllte Reilly. »Wieso schiebt ihr mich in den Bundesknast ab?«

»Wegen Bandenverbrechens«, sagte ich ruhig. »Bandenverbrechen ist Bundessache ...«

In diesem Moment fiel mein Blick auf einen ziemlich großen Schwarzen, der in der Tür zum Squad Room stand. Ich weiß nicht, wie lange er dort schon stand und uns beobachtete. Denn erst als ich ihn bemerkte, kam er auf uns zu.

Er trug einen anthrazitfarbenen Maßanzug mit Weste und cremefarbenem Hemd samt passender Krawatte. Er hatte dichtes krauses Haar und ein längliches Gesicht mit flacher Nase.

»Wen sehen meine entzündeten Augen!«, rief Kirby.

Die Augen des Schwarzen waren rehbraun und sanft. Ohne Kirby zu beachten, schob er sich an Reilly heran. Mich streifte er mit einem Blick. Er deutete auf das Überweisungsformular in Phils Hand.

»Darf ich mal sehen?«, fragte er und nahm es an sich. Zu Reilly gewandt sagte er: »Hat man Sie über Ihre Rechte belehrt? Haben Sie telefonieren dürfen?« Rasch überflog er das Formular.

»He, wer bist du?«, fragte Reilly. »Sag bloß, du bist mein Anwalt!«

»Ich bin Marvin Wyler, Ihr Anwalt, richtig.«

»Ich habe dich nicht angefordert.«

»Haben Sie einen anderen Anwalt mit der Wahrnehmung Ihrer Interessen betraut?«, fragte Wyler.

»Ich habe ...« Reilly verstummte. Er leckte sich die Lippen. »Schön, schön, ich komme jetzt in einen weißen Knast. Da bekomme ich einen weißen Anwalt.«

»Sie haben mich als Anwalt oder gar keinen.« Er zog eine vorbereitete Vollmacht aus der Innentasche seines eleganten Anzugs, die er dem Gefangenen zu schnippte. »Unterschreiben Sie.« Er hielt ihm einen Kugelschreiber hin.

Reilly rührte sich nicht. »Ich will Sie nicht!«

Martinez grinste. »Junge, du kannst keinen besseren bekommen als ihn. Er ist 'n Hammer! Dein Boss hätte ihn nicht geschickt, wenn ...« Der Detective verstummte, als Wyler ihm einen durchdringenden Blick seiner rehbraunen Augen zuwarf.

Dann wandte Wyler sich mir zu. »Wieso interessiert sich das FBI für Reilly?«

»Bandenverbrechen, Mister Wyler.«

Reilly schoss in die Höhe. Aber Kirby legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte ihn auf den Stuhl zurück.

»Können Sie das näher erläutern? Oder ist es ein bloßer Verdacht?«

Martinez nahm seine handschriftlichen Notizen auf. »Er hat eines von Giant Baughmans illegalen Wettbüros überfallen.«

Reilly wollte wieder aufbrausen. »Überfallen? Ich? Ich spaziere da rein, und die schwarzen Kerle ...«

»Schweigen Sie!«, unterbrach ihn Wyler. Überrascht klappte Reilly den Mund zu. »Ja, Detective Martinez? Fahren Sie fort.«

»Er hat dort gestänkert, bis ein paar andere Anwesende ihn hinausschmeißen wollten. Da hat er sich auf eine Schlägerei eingelassen. Irgendwann im Verlauf der Auseinandersetzung hat er einen Revolver gezogen und Father Robinson erschossen.«

»Was heißt hier erschossen?«, brüllte Reilly. »Ich hab ihm eine verplättet! In Notwehr! Die Kerle sind mit Messern auf mich losgegangen!«

»Robinson war nicht bewaffnet«, erklärte Martinez. »Wir haben Zeugen zuhauf.«

Wyler warf das Überweisungsformular mit einer verächtlichen Bewegung auf den Schreibtisch. »Sind das Tatsachenbehauptungen, die Sie da anführen, Detective Martinez?«

»Ich habe nur zusammengefasst, was die Zeugen am Tatort gesagt haben. Die genauen Wortprotokolle bekommen Sie von der Mordabteilung.«

»Was machte ein Priester in einem Wettbüro?«, erkundigte sich der Schwarze.

»Father Robinson war kein Pastor, nicht einmal ein Prediger«, antwortete Kirby. »Er wurde nur Father genannt, weil er stets schwarze Anzüge trug und salbungsvolle Reden führte. Im Übrigen war er als Trickbetrüger vorbestraft.«

»Können wir jetzt gehen?«, schaltete sich Phil ein.

Reilly zerriss die Vollmacht und blies die Schnipsel auf den Boden. »Ich will einen richtigen Anwalt!«

Wyler hob die Schultern. Als sein Blick mich wieder streifte, glaubte ich, so etwas wie Erleichterung darin zu sehen.

Ich ging zu dem Kaffeeautomaten und warf fünfzehn Cents ein. Ich sah zu, wie die schwarze Brühe in einen Plastikbecher lief. Phil und Marvin Wyler kamen ebenfalls herüber. Ich warf noch einmal Geld ein. Wyler bedankte sich höflich, als ich ihm einen Becher reichte.

»Schwarz ist doch richtig?«, sagte ich.

»Genau, danke.« Er schlürfte das heiße, bittere Zeug.

»Marvin Wyler«, sagte Phil und beäugte den Schwarzen über den Rand seines Bechers hinweg. »Haben Sie nicht einmal für den Bezirksstaatsanwalt in der South Bronx gearbeitet?«

»Stimmt.«

»Und warum arbeiten Sie jetzt für einen Gangster?«, fragte mein Freund ohne Umschweife.

»Ich arbeite nicht für einen Gangster«, erklärte der Anwalt zurückhaltend. »Ich bin Rechtsanwalt und vertrete die Interessen derjenigen, die meine Dienste beanspruchen.«

»Marco Petrella, zum Beispiel«, sagte ich.

»Zum Beispiel«, bestätigte Wyler ausdruckslos. Er warf den leeren Becher in einen Abfallkorb. »Danke für den Kaffee.« Er ging zu Reilly zurück, wir folgten ihm. »Haben Sie Ihre Ansicht geändert?«

»Nein, zum Teufel!«

Wyler lächelte. »Dann eben nicht. Es wäre mir ein Leichtes gewesen, gegen Ihre Überführung in das Bundesuntersuchungsgefängnis Widerspruch zu erheben. Und ich wäre damit durchgekommen. Vielleicht kann der weiße Anwalt noch etwas machen, wenn Sie in der Park Row sind.«

Immer noch lächelnd ging Wyler zur Tür.

Kirby bedeutete dem Gangster aufzustehen. Er führte ihn in den Fahrzeughof, wo er ihn hinten in unsere Dienstlimousine verfrachtete.

Vorn an der Straße röhrte ein schwerer Motor auf. Dann huschte ein flacher italienischer Sportwagen durch mein Blickfeld. Hinter dem Steuer saß Marvin Wyler.

Phil stieß mich an. »He, hast du die Mieze gesehen, die da neben ihm saß?«

Ich lächelte. Sicher hatte ich die Frau gesehen. Marvin Wyler schmückte sich mit einer weißen Schönheit. Warum auch nicht?, dachte ich. Er war ein verdammt gut aussehender Bursche, und er würde Karriere machen. Mit Petrella oder sonst jemandem.

Phil klemmte sich hinter das Steuer des Wagens, während ich hinten neben Joe Reilly Platz nahm. Mein Freund steuerte die Lexington Avenue an und fuhr dann nach Süden. Es wurde jetzt schnell dunkel.

»Drück ruhig drauf.« Ich hatte nämlich keine Lust, mir die halbe Nacht mit einem Halunken wie Joe Reilly um die Ohren zu schlagen.

2

Marco Petrella kaute auf dem erloschenen Zigarrenstummel herum, während er durch die Scheibe seines Arbeitszimmers auf den Central Park West hinuntersah. Ein paar alte Ladys führten ihre Hunde aus. Sie hielten Kehrschaufel und Plastikbeutel in der Hand, um das, was ihre Lieblinge unweigerlich von sich gaben, sogleich wieder einsammeln zu können, wie es seit einiger Zeit vom Gesetz verlangt wurde.

New Yorker, haltet eure Stadt sauber!

Angewidert ließ Petrella seinen Blick über die Baseballspieler wandern, die das letzte Licht des Tages für einige Übungsschläge nutzten. Er blickte nach Norden, wo im Dunst die dunklen Häuser Harlems standen.

Harlem. Nur zwanzig Blocks entfernt. Und dennoch eine Stadt wie auf einem anderen Planeten. Ruinen, Arbeitslose, Süchtige. Man sollte nicht meinen, aus diesen Ruinen noch etwas anderes herauspressen zu können als das verseuchte Blut der armseligen Kreaturen, die dort hausten.

Petrella lächelte. Er selbst machte sich ja dort die Finger nicht schmutzig. Das besorgten andere für ihn. Lee Baughman, der sich Giant, der Riese, nennen ließ und doch nur ein Zwerg war im Vergleich zu ihm, Marco Petrella.

Baughman sträubte sich noch. Aber nicht mehr lange, dann zappelte er an Petrellas Haken. Die wahre Macht war da, wo das Geld war. Hier in Mid Manhattan. Die anderen Mafiafamilien würden stillhalten, wenn er versuchte, seinen Einflussbereich nach Norden auszudehnen. Sie würden sogar froh sein, dass er nach Harlem auswich und sich nicht über ihre abgesteckten Bezirke hermachte, in denen sie dick und fett geworden waren.

Er, Marco Petrella, hatte sein Leben lang gekämpft. Um jeden Straßenblock, den er haben wollte, hatte es lange Auseinandersetzungen gegeben. Er hatte die West Side im nördlichen Mid Manhattan beansprucht, und er hatte sie bekommen. Um diesen Sieg, den Meilenstein in seiner Laufbahn, für alle sichtbar zu markieren, war er vor nunmehr acht Jahren in das Hotel am Central Park West gezogen. Er hatte zwei komplette Etagen im Arcadian gemietet, in dem stattlichen Gebäude aus grauem Stein mit den Kupferdächern, die vom Grünspan hell leuchteten.

Ja, alles, was er hatte haben wollen, hatte er schließlich auch erhalten. Auch dieses Haus. Damals gehörte es einem alten Mann, der den Erlös der langfristigen Pachtverträge in Florida verbrauchte und nicht daran dachte, es zu verkaufen. Da war er eines Tages nach einem rätselhaften Schockerlebnis in ein Sanatorium eingeliefert worden, in dem er vermutlich heute noch dahinsiechte. Ein entfernter Neffe, den das Gericht als Vormund für den alten Mann einsetzte, hatte das Haus bald an Petrella verkauft.

Ein- oder zweimal im Jahr, wenn das Wetter klar war, fuhr Marco Petrella auf die Aufsichtsplattform im Rockefeller Center hinauf. Von dort aus konnte er das grüne Dach seines Hauses, des Arcadian, sehen.

Das Hotel, das die unteren sechs Etagen einnahm, florierte sogar, wie Petrella mit geheimer Verwunderung immer wieder feststellte.

In diesem, dem siebten Stockwerk, lag sein Arbeitszimmer. Daran schloss sich ein kleiner privater Ruheraum mit eigenem Bad und einer intimen Bar. Von der Existenz dieser Nebenräume wusste Felicia, seine Frau nichts. Sie hatte hier ohnehin nichts verloren.

Die anderen Räume der Zimmerflucht wurden von seinen Leuten bewohnt. Von Lupica und Passantino, von den Hitmen und Leibwächtern. Wie viele Männer hier ständig lebten und wie sie alle hießen, wusste er nicht so genau. Dafür war Jack Passantino zuständig, der den Rang eines House Captain bekleidete. Er war auch für die Sicherheit von Marco Petrellas Familie verantwortlich.

Die achte Etage hatte er zu einer exklusiven Wohnung mit großer Dachterrasse ausbauen lassen. Dort, unter den mit Grünspan-Kupfer gedeckten Erkern und Türmchen, lebte er mit seiner Frau Felicia und seiner Tochter Olivia. Sie hatten Platz genug, weil seine beiden Söhne Matteo und Ricardo es vorgezogen hatten, das Haus des Vaters zu verlassen.

Petrella wusste natürlich, wo sie lebten und was sie machten. Aber er wusste auch, dass er sie verloren hatte. Sie waren unfähig, die Tradition der Familie zu begreifen und sie fortzusetzen. Sie zogen eine lächerliche Angestellten-Existenz dem geachteten Leben eines Mannes vor, der zur ehrenwerten Gesellschaft gehörte und dem die Menschen gleichen Schlags ihren Respekt erwiesen!

Seine Söhne hatten ihn früher gefürchtet, das wusste er. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass etwas falsch daran sein konnte. Später hatten sie begonnen, ihn zu verachten, weil sein Handeln nicht mit den bürgerlichen Gesetzen und Konventionen in Einklang stand. Nein, sie verstanden es nicht. Sie verzogen sich an das andere Ufer dieses Kontinents. Marco verachtete sie.

Nur Felicia, ihrer Mutter, schrieben sie wohl zu den Familienfesttagen. Vermutlich riefen sie auch Olivia regelmäßig an. Aber mit ihm, Marco, der ein Leben voller Entbehrungen hinter sich hatte und der den Respekt seiner Familie beanspruchen durfte, wollten sie nichts gemein haben. Das war bitter. Umso argwöhnischer beobachtete er seine Tochter. Sie wollte er nicht verlieren. Unter keinen Umständen.

Olivia war jetzt zweiundzwanzig Jahre alt. Sie war eine moderne junge Frau. Ein amerikanisches Girl. Auch wenn er sie wie eine Italienerin erzogen hatte. Auch wenn sie wie eine Prinzessin aussah, die in einem sizilianischen Palazzo lebte.

Petrella beugte sich vor, als ein schwarzer Sportwagen aus dem Verkehrsfluss ausscherte und in der Haltebucht vor dem Haus stoppte. Der Portier des Arcadian eilte beflissen herbei und öffnete den Wagenschlag. Mit einer geschmeidigen Bewegung glitt ein hochgewachsener Schwarzer aus dem niedrigen Iso Rivolta. Petrella sah auf das glänzende krause Haar und die breiten Schultern hinab. Der Mann drückte dem Portier einen Geldschein in die Hand und drehte sich um. Dabei legte er kurz den Kopf in den Nacken und sah an der Fassade hinauf. Marco Petrella zuckte unwillkürlich zurück, als hätte der Mann ihn bei etwas Verbotenem oder Anstößigem überrascht.

Warum fühlte er sich in der Nähe dieses Mistkerls eigentlich wie ein dummer Junge?

Er trat an den Schreibtisch. Aus den Ecken des großen Raums krochen die Schatten. Er schaltete die Schreibtischlampe an und drückte auf einen Knopf der Sprechanlage.

»Pasquale soll reinkommen«, sagte er. »Und wenn Wyler erscheint, lasst ihn warten, den Bastard, verstanden?«

»Ja, Don Marco«, bestätigte Jack Passantino.

Pasquale Lupica schob sich in den Raum. Er blieb neben der Tür stehen, nachdem er sie leise geschlossen hatte.

Petrella deutete auf die schmale lederbezogene Bank in der Ecke neben dem Kamin. Lupica setzte sich. Er saß aufrecht und wachsam.

Marco Petrella ließ sich in den Sessel hinter seinem Schreibtisch fallen und legte die Fingerspitzen gegen die Schläfen. Es war sehr still.

Er sah Pasquale an, der dem Blick standhielt. Pasquale war grau geworden, stellte Petrella überrascht fest. Mein Gott, wie lange war Pasquale schon bei ihm? Seit zehn oder elf Jahren? Nein, es mussten schon zwölf Jahre sein. Er hatte Pasquale übernommen, nachdem Al Gardino ausgewiesen worden war. Pasquale hatte ihm seitdem treu gedient, obwohl er, Petrella, an Al Gardinos Abschiebung in die alte Heimat nicht unbeteiligt gewesen war. Al war damals ein einflussreicher Revierfürst auf der Upper East Side gewesen, der ebenfalls Anspruch auf die West Side erhob.

Petrella lenkte seine Gedanken auf Pasquale Lupica zurück. Pasquale hatte sich schnell in Petrellas Organisation Respekt verschafft. Pasquale scheute sich nicht, selbst einen Revolver abzufeuern, wenn es keine andere Möglichkeit gab, ein Problem zu lösen.

Petrella musste seinen damaligen Caporegime liquidieren, weil er begonnen hatte, die eigenen Geschäfte auszuweiten. Auf Kosten seines Dons, versteht sich. Danach machte er Pasquale Lupica zum Caporegime. Das war jetzt acht Jahre her, und er hatte seinen Entschluss seitdem kein einziges Mal bereut.

Pasquale war wie er selbst, Petrella, oder wie Gardino, den die Justizbehörden nach einem entwürdigenden Verfahren in die alte Heimat zurückgeschickt hatten. Ein Mann vom alten Schlag!

Wieso kam er heute auf Al Gardino? Al hatte doch einen Sohn, wenn er sich recht erinnerte. Der Junge war mit seinem Vater nach Italien zurückgegangen, wie es sich gehörte. Er müsste jetzt um die dreißig sein, schätzte Petrella. Der junge Gardino wäre ein Mann für Olivia. Ja, bei der heiligen Mutter Gottes, was wäre das für eine Verbindung!

»Hörst du noch hin und wieder von Al?«, fragte er plötzlich.

»Al Gardino? Al schickt mir einmal im Jahr ein Paket, immer zu meinem Namenstag. Parmaschinken, Salami ...«

Marco Petrella sah sich in seinem Arbeitszimmer um, als erwachte er aus einer tiefen Bewusstlosigkeit. Er sah jenseits der Schatten die mit dunklem Holz getäfelten Wände und die goldverzierten Stuckleisten unter der Decke. Er liebte diesen Raum, der für ihn so etwas wie ein Symbol darstellte. Oder den Mittelpunkt eines Tempels. Das Haus am Central Park. Es bedeutete ihm ungleich mehr als den reinen materiellen Wert, obwohl der beträchtlich war.

Er starrte auf die Sprechanlage, bis ihm einfiel, dass er ja angeordnet hatte, Marvin Wyler warten zu lassen. Er drückte die Sprechtaste.

»Jack«, sagte er.

»Ja, Don Marco?«

»Ist Wyler da?«

»Er ist vor zehn Minuten gekommen, Don Marco.«

»Schick ihn rein.«

Petrella betrachtete seine Hände. Es waren breite Hände mit kurzen Fingernägeln. Dichtes schwarzes Haar wucherte auf den Fingergliedern. Er hörte, wie die Verbindungstür zum Vorraum geöffnet wurde und Jack Passantino dem Besucher bedeutete, langsam auf den Schreibtisch zuzugehen.

Marco wusste, dass Jack den Schwarzen nach Waffen durchsucht hatte. Petrella kannte genau die entwürdigende Wirkung dieser Prozedur, weshalb er sie oft ganz bewusst einsetzte. Wie neuerdings bei Marvin Wyler, seit er wusste, dass der ...

»Sir«, sagte Wyler.

Petrella blickte auf.

Der Schwarze stand vor seinem Schreibtisch. In lässiger Haltung. Die Hände – gepflegte, kräftige Hände – hingen locker herab.

»Was haben Sie wegen Reilly erreicht? Wo ist er jetzt?«

»Die G-men haben ihn. Er wurde ins Bundesuntersuchungsgefängnis überführt.«

»Und Sie haben nichts dagegen unternommen?« Petrellas Stimme klang kehlig vor unterdrückter Wut.

Nicht dass er sich Sorgen wegen Reilly gemacht hätte, Reilly war ein kleines Licht. Er konnte ihm kaum gefährlich werden. Er, Petrella, hatte dem Halunken ja nicht befohlen, jemand umzulegen. Reilly hatte lediglich den Auftrag gehabt, im Bezirk dieses größenwahnsinnigen Giant Baughman für Unruhe zu sorgen, um den Burschen an den Verhandlungstisch zu zwingen. Und wegen seiner Interessen in Harlem hatte er vor einiger Zeit Verbindung mit Marvin Wyler aufgenommen.

Er hatte sich genau über diesen Schwarzen informiert. Dabei fand er schnell heraus, dass er ein brillanter Kopf war. Ihm stand eine große Karriere bevor. Wyler würde mit Sicherheit eines Tages für die Wahlen zum District Attorney kandidieren. Bis dahin wollte er ihn in der Tasche haben.

Das war jetzt vorbei. Natürlich fand Marco Petrella die schwache Stelle dieses Burschen heraus. Der Kerl war scharf auf weiße Mädchen. Davon gab es weiß Gott genug. Doch ausgerechnet ... Er ballte die Hände zu Fäusten und grub die Fingernägel in seinen Handballen. Am liebsten hätte er sich die Ohren zugehalten, als Wyler mit ruhiger dunkler Stimme erklärte, weshalb er nichts für Reilly hatte tun können.

»Es wäre kein Problem gewesen, Mister Petrella«, sagte der Anwalt. »Ich hätte darauf bestehen können, Reilly sofort dem District Attorney vorzuführen. Wenn der entschieden hätte, Anklage zu erheben, hätte die Bundespolizei ihn nicht bekommen. Aber Reilly hat sich geweigert, die Vollmacht zu unterschreiben.«

»Ich brauche Ihre Dienste nicht mehr«, sagte Petrella unvermittelt. Er bedachte sein Gegenüber mit einem schnellen, lauernden Blick.

Marvin Wyler behielt seine lässige Stellung bei. Er verlagerte nur sein Körpergewicht auf den anderen Fuß.

»Sir? Haben Sie mich deshalb herbestellt?« Ausdruckslos sah der Anwalt ihn an. »Ist es wegen Reilly?«

Petrella hatte den Kopf wieder gesenkt, um die Wut nicht zu zeigen, die in seinen Augen loderte.

Marvin Wyler räusperte sich. »Oder ist es vielleicht, weil Ihre Tochter und ich ...«

Marco Petrellas Kopf stieß vor. »Meinen Sie, ich wüsste nicht längst, dass Sie sich an meine Tochter herangemacht haben?« Das Blut stieg ihm zu Kopf und presste seine Augen aus den Höhlen. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so wütend gewesen zu sein. Und jetzt grinste der Kerl auch noch.

Wyler lächelte mühsam. Seine Augen schienen sich für einen Moment zu trüben wie Glasscheiben, die beschlagen. Falls er unter der schwarzbraunen Haut erblasste, so war das nicht zu erkennen.

»Meine Tochter geht nicht mit einem Schwarzen! Deshalb brauche ich Sie nicht mehr. Sie werden meine Tochter nicht mehr wiedersehen.«

»Mister Petrella, natürlich werde ich Ihre Tochter wiedersehen. Mehr noch, Mister Petrella, ich werde mich sogar in ihr Bett legen und meinen ...«

Petrella schoss in die Höhe. Mit einem heiseren, tierischen Schrei warf er sich über die Tischplatte. Seine Fäuste krallten sich in Marvin Wylers Jackett. Mit einem wilden Ruck zog er den Oberkörper des völlig überraschten Mannes herab.

Pasquale Lupica flog aus seiner Ecke herbei. Er rammte seine Schulter zwischen sie und trat Wylers Füße unter dessen Körper weg. Der Anwalt stürzte und schlug mit dem Kinn auf die Tischplatte. Lupica packte Petrellas Handgelenke und löste sie aus dem Stoff von Wylers Jackett.