Jerry Cotton Sonder-Edition 170 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 170 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Motorbootrennen in New Orleans! Begeisterung an den Ufern, als das Siegerboot durchs Ziel schoss. Am Steuer der Millionenerbe Ken Trevelyan. Niemand ahnte: Wir spendeten Beifall für einen Toten ...


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Seitenzahl: 203

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Beifall für einen Toten

Vorschau

Impressum

Beifall für einen Toten

Motorbootrennen in New Orleans! Begeisterung an den Ufern, als das Siegerboot durchs Ziel schoss. Am Steuer der Millionenerbe Ken Trevelyan. Niemand ahnte: Wir spendeten Beifall für einen Toten ...

1

Die schräg stehende Sonne warf einen Schweif aus flüssigem Silber über das Wasser des Lake Pontchartrain. Die Heckwellen der rasenden Schnellboote schnitten graziös anmutende Muster in den glitzernden Spiegel.

Ich kniff die Lider zusammen, um die Augen vor den grellen Reflexen zu schützen. Am liebsten hätte ich mich in den See gestürzt, denn es war heiß, sehr heiß. Und feucht. Der Wind, der vom Golf hereinblies, war warm und schwer, und er brachte keine Kühlung.

Im Gegenteil. Die Luft war geschwängert vom Geruch der Sümpfe und dem Gestank der Raffinerien an der nahen Küste. Und wenn der Wind umsprang, trug er den erstickenden Dunst der Fischfabriken von New Orleans und dem südlichen Bayou heran.

Mein Hemd klebte nass am Körper, und ich fragte mich, welcher Teufel mich geritten haben mochte, als ich das vertraute Pflaster Manhattans mit dem moskitoverseuchten Marschland des Mississippideltas vertauschte.

Ich bog die Krempe meines breitrandigen Stetson etwas in die Höhe und angelte nach dem Feldstecher, den ich auf dem Sitz des Pontiac abgelegt hatte. Ich presste die Okulare an die Augen. Die Gummimanschetten waren glühend heiß.

Ich suchte ein rotes Boot mit weißen Seitenstreifen, das gerade im Pulk der verbliebenen Renner um die westliche Wendemarke herumtanzte.

Eines der härtesten Speedboatrennen des Jahres neigte sich nach zwei mörderischen Stunden seinem Ende zu. Von den sechzehn im Endlauf gestarteten Booten befanden sich noch sieben auf der Strecke. Eines war in Flammen aufgegangen. Zwei andere waren an den Wendemarken drüben bei Ruddock gekentert. Schnellboote der Küstenwache hatten die Piloten rechtzeitig aus dem Wasser gefischt. Die anderen Teilnehmer waren Opfer der Hitze geworden. Sie hatten einfach aufgehört zu funktionieren.

Scheinbar lautlos glitten die flachen, breiten Boote über den See. Nur wenn sie nahe an meiner Position vorüberdonnerten, konnte ich das dumpfe Krachen hören, mit denen sie immer wieder auf die Wasseroberfläche schlugen.

Ich hielt das rote Boot mit den weißen Seitenstreifen im Visier. Es hatte sich jetzt endgültig von der Spitzengruppe gelöst und schoss auf die Ziellinie zu. Nichts und niemand konnte den Sieg des jungen Ken Trevelyan und seines Co-Piloten aufhalten.

Das Boot schien die Wellen kaum noch zu berühren. Wie ein Pfeil schoss der flache Rumpf dahin. Salzige Gischt überzog die gekrümmte Scheibe mit einem undurchsichtigen Film. Die Männer im Cockpit konnte ich nicht sehen. Mit schweißfeuchten Fingern stellte ich das Glas noch schärfer ein.

Ich stand neben dem Pontiac, Eigentum des West Feliciana County in Louisiana, auf dem weit in den See vorspringenden Verladekai eines Schwefelsilos. In den Beton eingelassen verliefen die großen Rohre, an deren Enden die Spezialschiffe angedockt wurden. Die Mauern und der Uferstreifen, die Hafenstraße, die flachen Werkstattschuppen und die hohen Silos waren von einer zähen gelbgrauen Schicht Schwefelstaub überkrustet.

Dem wenig einladenden Aussehen der Anlage hatte ich es wohl zu verdanken, dass mir die Aussichtskanzel allein gehörte. Für die Zuschauer hatte man einen ansehnlicheren Uferstreifen freigegeben, und die überdachten Tribünen zwischen Madisonville und Mandeville konnten an die zwanzigtausend Personen aufnehmen. Weitere zwanzigtausend drängten sich auf dem Pontchartrain Causeway, der gebührenpflichtigen Straße, die, zweiundzwanzig Meilen lang, den See auf Betonstelzen überquerte und die südöstlichen Countys des Staats mit New Orleans verband.

Von den Tribünen her hörte ich ein anschwellendes Brausen, als die Zuschauer das rote Boot heranschießen sahen. Das Brausen blieb wie das Summen eines Bienenschwarms in der Luft stehen, wo es sich mit dem Triumphkonzert aus den Signalhörnern der unzähligen Freizeitboote entlang des Seeufers vermischte. Die letzten Flamingos und Ibisse, die es noch im Schilf ausgehalten hatten, flogen auf.

Ken Trevelyans Boot, die Coral Bride, raste heran. Es füllte jetzt das Blickfeld meines Feldstechers. Nur noch wenige Sekunden, dann würde es vorbeischießen, und ich würde die beiden Männer sehen, die in ihren grellfarbenen Overalls und den großen Helmen mit den getönten Schutzgläsern wie Raumfahrer aussahen und nicht wie Wassersportler.

Ich hörte das Schlagen des flachen Rumpfes. Bei der Geschwindigkeit, die diese Renner erreichten, war das Wasser hart wie eine Betonpiste. Schnurgerade fegte das Boot vorbei. Das Cockpit öffnete sich meinem Blick.

Mir stockte der Atem.

Nur ein Mann war an Bord. Er hing leblos über dem Steuerruder. Der Kopf in dem großen Helm schien sich zwischen dem Ruderrad und der Steuerkonsole verklemmt zu haben. Die hinabhängenden Arme pendelten mit den Bewegungen des Boots kraftlos hin und her.

Dann war der Spuk vorbei, und ich stieß keuchend die Luft aus. Die Hitze hatte mein Hirn in einen nassen Schwamm verwandelt. Mein Verstand arbeitete zwar einigermaßen präzise, aber etwas langsamer als sonst.

Die Coral Bride hatte doch erst vor zwei Minuten die Wendemarke passiert! Ich hatte gesehen, wie sie, von harter Hand gezwungen, über das Wasser gesprungen war und erneut Kurs auf das Ziel genommen hatte. Und jetzt ...

Unwillkürlich verfolgte ich das davonrasende Boot. Es schoss auf die Zielgerade zu, die auf drei Meilen parallel zu den Tribünen verlief. Zwei Boote mit hohen Flydecks vom Mandeville Jachtklub bildeten die Ziellinie. Die Fahnen und Wimpel flatterten träge im Wind.

Ich konnte unter dem Zielband hersehen. Der Auslauf war vielleicht noch einmal drei Meilen lang. Flimmernd in der kochenden Luft lag der Pontchartrain Causeway scheinbar direkt auf dem Wasser. Die Zuschauer an den Geländern bildeten eine gesichtslose Masse, eine geschlossene Mauer. Plattformen mit den Kameras der Fernsehstationen reckten sich in den Himmel.

Ken Trevelyans Boot würde als Erstes unter dem Zielband herlaufen. Doch es würde weiterrasen, schnurgerade, solange der Treibstoff reichte.

Oder bis es an einem der Betonpfeiler zerschellte.

O verflucht! Ich warf den Feldstecher in den Pontiac, sprang hinein und startete.

Ich legte alle Schalter auf der Mittelkonsole um. Die Warnlichter auf dem Dachbügel begannen zu kreisen. Die Bullhörner pumpten winselnde Schallwellen hinaus. Das Funkgerät war auf die Welle des West Feliciana County eingestellt. Es erlaubte nur eine einzige Umschaltung, und zwar auf die Frequenz der Louisiana State Police. Hier im Tammany County konnte ich mit dem Ding also kaum etwas anfangen. Bis ich einem Deputy oder State Trooper erklärt hätte, was los war, wäre die Coral Bride längst an einem Pfeiler des Pontchartrain Causeway zerschellt.

Ich trieb den Wagen die Werkstraße hinauf, wobei ich eine hohe Fahne aus Schwefelstaub hinter mir herschleppte. Dann knüppelte ich die Kiste über die Betonstraße, die zwischen dem Seeufer und dem Highway herlief. Am Straßenrand standen die Wagen der Zuschauer, die jetzt unten vom Ufer aus die letzten dramatischen Minuten des Rennens verfolgten.

Wohin wollte ich? Ich kannte die Gegend ja kaum. Wenn ich falsch abbog und in einer Sackgasse landete, war alles aus.

Die Abzweigung nach Madisonville sauste vorbei. Die Straße kam wieder näher ans Ufer heran. Am Fahnenmast über einem Jachtklub flatterten die Flaggen. Bootsschuppen und Werkhallen nahmen mir die Sicht auf das Wasser.

Da! Wieder eine Straße, die rechts abbog. Sie war schmal. Führte sie zu einer Fabrik? Zu einer Werft? Das Schild bemerkte ich erst im letzten Moment.

Check-in Point – nur Rennteilnehmer.

Ich wirbelte das Lenkrad herum, nahm den Fuß vom Gas und tippte auf die Bremse. Das Heck brach aus. Ich gab wieder Gas, und die begonnene Drehbewegung ging in ein Schlingern über. Die Reifen radierten den Asphalt. Als ich das Gaspedal voll durchtrat, schoss der Pontiac mit dem Wappen des West Feliciana County auf den Türen und dem Dach gehorsam in die abschüssige Straße, an deren Ende ich ein hohes Maschendrahttor bemerkte. Es war geschlossen.

Die beiden Wächter spritzten zur Seite, als sie mich wie einen wildgewordenen Wasserbüffel heranrasen sahen.

Durch die Maschen des Tors sah ich eine betonierte Fläche, die bis zum Ufer reichte. Dort bildete sie eine Kaimauer. Links lagen zahlreiche Landungsstege und eine Mole, auf der Fahrzeuge standen. Werkstattwagen, Krankenwagen, die Fahrzeuge der Zeitnehmer und Betreuer und weiß der Geier was noch. Das alles musste ich in Sekunden verarbeiten.

Draußen auf dem glitzernden Wasser jagte ein roter Strich heran. Es war die Coral Bride. Ich ließ den Fuß auf dem Gas und biss die Zähne zusammen.

Als der Streifenwagen durch die Latten brach und den Maschendraht zerfetzte, zog ich den Kopf ein. Der Pontiac raste über die betonierte Fläche. Ein Eisverkäufer zerrte seinen Karren eilig auf einen Wiesenstreifen. Der Wagen schlingerte herum und schlitterte dann auf die Kante der Kaimauer zu. Verdammt, ich durfte nicht baden gehen.

Gegensteuern! Gasbremsen!

Das Lenkrad ruckte in meinen Fäusten. Als ich das Gaspedal gegen das Bodenblech trat, packten die Räder auf dem rauen Beton und schleuderten die Kiste vorwärts, auf eine lang gestreckte Bude zu, unter deren Zeltdach sich ein paar Dutzend Leute drängten. Monteure in verschmierten Overalls, ausgeschiedene Piloten in ihren knallbunten Anzügen, Betreuer, ein paar Frauen.

Ihre Köpfe ruckten herum. Die Augen, die eben noch die Siegesfahrt der Coral Bride verfolgt hatten, saugten sich an dem schwarz-weißen Wagen fest, der wie eine ferngesteuerte Bombe auf sie zuraste.

Mein Fuß war längst wieder auf der Bremse. Die Gestalten im Schatten der Bude erwachten jäh zum Leben. Sie hechteten aus der Gefahrenzone. Das Heck des Pontiac sauste haarscharf an einer Ecke des Schuppens vorbei. Dann rumpelten die Räder über die Bohlen eines Holzstegs, der auf Pontons lag. Die Boote, die daran festgemacht waren, begannen zu schaukeln.

Bevor der Pontiac stand, hatte ich bereits die Handbremse angezogen und die Tür aufgestoßen. Jetzt sprang ich heraus und rannte über den Steg. Fast am Ende lag ein hellgelbes Boot mit grellroter Bugspitze. Es war mir im zweiten Vorlaufrennen aufgefallen, als es lange Zeit unangefochten an der Spitze gelegen hatte und einem sicheren Sieg entgegenfuhr.

Beim letzten Wendemanöver draußen auf dem See geschah es dann. Der Pilot des gelben Boots hielt sich eng an der Tonne, als ein anderes Boot, das der Gelbe bereits überrundet hatte, aus dem Ruder lief, sich querstellte und sich überschlug. Es klatschte aufs Wasser und schlingerte dem Gelben in den Kurs. Der Pilot versuchte auszuweichen. Er berührte das kieloben treibende Boot des anderen, schrammte an dessen Rumpf entlang und wurde aus dem Kurs gebracht. Bevor er seinen eigenen Renner wieder unter Kontrolle bringen und zur Strecke zurückkehren konnte, war die Verfolgergruppe vorbei.

Ich hatte Glück. Der Pilot war bei seinem Boot. Er untersuchte den Rumpf auf Schäden Er blickte auf, als er meine Schritte auf dem Steg hörte. Er hatte ein längliches Gesicht mit einem blonden Kinnbart. Seine Augen weiteten sich, während ich über ihn hinwegsprang und federnd im Cockpit landete. Ich ging sofort in die Knie und hielt mich am Bordrand fest.

Ich deutete auf die Coral Bride, die jetzt mit kurzen Sprüngen über die Wellenspitzen setzte.

»Hinterher!«, keuchte ich. »Los, Mann, stellen Sie jetzt keine Fragen!«

Mit einem Ruck löste ich den Schifferknoten der Spring, mit der das Boot festgemacht war. Der Bärtige verlor tatsächlich keine Zeit. Er ließ die Maschine an, und sofort spürte ich die verhaltene Kraft mit allen Fasern meines Körpers.

Der Mann stieß sich mit dem Fuß ab. Der Bug schwenkte herum. Das sah noch fürchterlich langsam aus. Die Coral Bride raste zwischen den Booten her, die die Ziellinie markierten. An den Tribünen und am Ufer brandete Beifall auf.

Der Bärtige riss das Gas auf, und die jähe Beschleunigung warf mich zu Boden. Dann flog das Boot auf den See hinaus und steuerte in spitzem Winkel auf die Coral Bride zu, die mit unverminderter Geschwindigkeit auf den Pontchartrain Causeway zuraste.

Was war mit Ken Trevelyan geschehen? Ich musste es unbedingt wissen.

Als ich den Namen Trevelyan vor etwa zwei Wochen zum ersten Mal hörte, wusste ich noch nicht, dass der im Süden, im alten Süden, einen guten Klang hatte. Ich erinnere mich, in New York herrschte diese trockene Backofenhitze, an die man sich nach einiger Zeit gewöhnt und in der man sich ganz wohlfühlt, wenn man seinem Körper nicht allzu viel Anstrengungen und Belastungen zumutet. Da die Hitze auch die Aktivitäten unserer »Kunden« lähmte, hatten meine Kollegen und ich eine relativ ruhige Zeit.

John D. High, Chef des FBI New York, war seit einigen Tagen kaum noch für seine G-men zu sprechen. Wenn wir ihn sahen, befand er sich in der Gesellschaft eines großen, schweren Mannes, einer Gestalt, die direkt einem dickleibigen Familienroman entsprungen zu sein schien. Eine dichte eisgraue Löwenmähne bedeckte den hohen Schädel. Helle graue Augen von eindringlicher Schärfe lagen in einem Gesicht, dessen Haut altem, rissigem Leder glich.

Der Mann trug leichte seidene Maßanzüge, die die Kraft seiner Schultern und den federnden Gang betonten, Hände wie Kohlenschaufeln pendelten locker an den Seiten hinab.

Ein Jugendfreund des Chefs, hieß es, ein Studienkamerad. Der Anschein bestätigte diese Auskunft. Denn die beiden Männer verstanden sich ganz offensichtlich großartig. Die gelassene, heitere Art, in der sie miteinander plauderten, war typisch für ein vertrauensvolles Verhältnis, das viele Stürme überdauert hatte.

Und dann sah ich diesen Löwenkopf in der Zeitung. Seite drei. Theodore A. Trevelyan, Big Teetee, Oberhaupt der Trevelyan-Dynastie aus Angola, West Feliciana County, Louisiana. Aus der Zeitung erfuhr ich zum ersten Mal von der erbitterten Familienfehde, die nun schon mehr als hundert Jahre andauerte und seitdem zahlreiche Opfer gefordert hatte.

Hundert Jahre!

Es war ein zum Leben erwachtes Familienepos aus dem alten Süden. Vor hundertvierzehn Jahren, im Bürgerkrieg, schlug sich ein Südstaatler namens Terence Theodore Trevelyan rechtzeitig auf die Seite der Sieger. Bei den Yankees brachte er es bis zum Oberst. Und in dieser Eigenschaft ließ er einen jener Südstaatenbarone, die am Althergebrachten festhielten, an einem Baum in seinem eigenen Park aufknüpfen.

Besonders peinlich an der Affäre war, dass der Henker und sein Opfer Nachbarn gewesen waren. Beide zählten zum alten Mississippi-Adel. Und beide besaßen riesige Plantagen im Delta mit vielen Hundert Sklaven.

Der Südstaatenbaron, den Oberst Trevelyan unter fadenscheiniger Begründung hatte aufhängen lassen, hieß Jean-Pierre Galmier.

Der Name Galmier war mir bekannt. Er stand nicht nur als Synonym für den uralten Mississippi-Adel. Er stand für den Traum eines amerikanischen Lebens. Heute verkörperte der Name Galmier Reichtum und Macht mit neuem Geld im Hintergrund. Mit Geld aus Salz- und Schwefelbergbau, aus Öl und Industriebeteiligungen. Im Golf von Mexiko gehörten den Galmiers zwei Dutzend Bohrinseln. Das geförderte Öl wurde auf eigenen Schiffen zu den Raffinerien überall im Land transportiert.

Und doch waren die Galmiers die alten romantischen Südstaatler geblieben. Nach dem Tod des Clanchefs und in den Wirren der Nachkriegszeit hatten sie ihren Besitz am Mississippi verloren. Sie hatten mehr als vierzig Jahre gebraucht, um den Grundstock zu einem neuen Vermögen zu legen. Im Ersten Weltkrieg war es dann so weit. Zum neuen Reichtum gesellte sich Macht, denn der Krieg in Europa ließ den Bedarf an Salpeter und Schwefel in ungeahnte Höhen schnellen. Und die Galmiers besaßen die Kontrolle über die Gruben und Minen im Süden der Staaten.

Mitte der Zwanzigerjahre hatten sie dann einen alten Schwur eingelöst und ihren verlorenen Besitz am Mississippi mit dem alten Herrenhaus zurückgekauft. Für einen Betrag, der in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Wert des Gebäudes und des umliegenden Landes stand.

Ein amerikanischer Traum. Und Träume haben keinen Preis.

Ich faltete die Zeitung zusammen und legte die Beine auf meinen Schreibtisch. Ich war früh ins Office gekommen an diesem Morgen. Die Sonne hatte den Grund der Straßenschluchten noch nicht erreicht, und es war noch verhältnismäßig kühl draußen.

Nach dem Artikel auf Seite drei erkannte ich jetzt einige Zusammenhänge.

Innerhalb der letzten drei Monate waren mehrere Anschläge auf Schiffe der Galmier Line verübt worden. Bei einem Brand auf einem Tanker, der drüben in Brooklyn zur Überholung auf der Werft lag, hatte es drei Tote gegeben. Ein Mitglied des Galmier-Clans hatte seiner Erbitterung Luft gemacht und in einem Interview, das von zahlreichen Massenblättern nachgedruckt wurde, die Familie Trevelyan des Mordes beschuldigt. Damit war die Fehde nach Jahren scheinbarer Ruhe wieder offen ausgebrochen.

Theodore A. Trevelyan flog nach New York, um sich dem Staatsanwalt zur Verfügung zu stellen und sich gegen die Vorwürfe zur Wehr zu setzen.

Brandanschläge auf Schiffe passen schlecht zu dieser Art Krieg, dachte ich. Männer wie Big Teetee oder Aristide Galmier – so hieß das Oberhaupt der Gegenseite – brachten es fertig, sich an einem frühen Morgen, mit Duellpistolen bewaffnet, auf einer nebelverhangenen Wiese zu treffen und das, was zwischen ihnen stand, auszuschießen. Oder die Söhne würden übereinander herfallen, ihrem heißen Blut gehorchend. Doch diese Menschen würden kaum bewusst Unbeteiligte in Gefahr bringen.

Das Summen meines Telefons riss mich aus meinen Gedanken.

»Cotton!«

Am anderen Ende der Leitung war Helen, die Sekretärin des Chefs.

»Der Chef möchte dich sehen, Jerry«, sagte sie.

2

Im Vorzimmer duftete es nach Helens fabelhaftem Kaffee. Die Brühe, die ich am Morgen in der Cafeteria getrunken hatte, konnte sich dagegen nicht behaupten. Helen lächelte. Sie wirkte gelöster als in den letzten Tagen.

Ich deutete auf die geschlossene Tür zum Chefbüro. »Ist er wieder in die Gegenwart zurückgekehrt? Keine Golfpartie mit dem alten Studienfreund? Kein Ausflug nach Montauk? Nichts?«

»Nichts, Jerry. Mister Trevelyan ist gestern Abend noch nach New Orleans zurückgeflogen. Geh schon hinein. Ich bringe den Kaffee nach.«

Mr. High blickte nur kurz auf, als ich sein Office betrat. Er deutete auf den Besucherstuhl und widmete sich dann wieder einem Formular. Erst als Helen den Kaffee brachte, legte er das Blatt zur Seite und sah mich an. Etwas starr, wie mir schien. Sein zerklüftetes Gesicht war wie immer ausdruckslos.

»Die Vorwürfe gegen Theo Trevelyan entbehrten jeder Grundlage«, begann er ohne Umschweife.

Ich starrte ihn verblüfft an.

»Haben Sie denn die Angelegenheit nicht verfolgt?«, fragte Mr. High, der meine Verblüffung seinerseits mit Erstaunen registrierte.

»Ich habe eben erst den Artikel im Herald gelesen, Sir.«

»Ja. Die Voruntersuchung beim Bezirksgericht Brooklyn fand gestern Nachmittag statt. Es gibt keine Anzeichen, die auf eine Mitwirkung eines Mitglieds der Familie Trevelyan hindeuten. Keine. Das ist nicht nur meine Ansicht, das ist die offizielle Feststellung des District Attorney. Eine Sonderabteilung des FBI untersucht die Anschläge von Washington aus, weil es mehrere Vorfälle dieser Art gab, die in verschiedenen Bundesstaaten stattfanden. Aber, Jerry, die Galmiers werden sich nicht mit diesem Untersuchungsergebnis zufriedengeben. Und auch Trevelyan ... er ist ein Heißsporn, Jerry.«

Ich nickte.

»Er wird es nicht auf sich sitzen lassen, dass sein Name in den Schmutz gezogen wird. Ich habe mit dem FBI-Chef von Louisiana in Baton Rouge gesprochen. Seit geraumer Zeit gärt es wieder zwischen den Familien. Vorgestern erst gab es einen vorläufigen Höhepunkt. Leslie und Kendrick Trevelyan, Theos Söhne, sind in einen Klub eingefallen, in dem einige der jüngeren Galmiers verkehren. Es kam zu einer wüsten Schlägerei mit mehreren Verletzten. Das Klubhaus glich am Schluss nur noch einem Trümmerhaufen.«

»Wenn der County Sheriff nicht durchgreift ...«

»Sie wissen, wie das in diesen Countys aussieht, Jerry«, unterbrach der Chef mich. »Die Sheriffs und die District Attorneys sind Wahlbeamte. Entweder stehen sie zwischen den Feuern, oder sie werden mehr oder weniger einer Seite zugerechnet. In der Regel sind sie Familien wie den Trevelyans oder Galmiers gegenüber machtlos.«

Ich trank meinen Kaffee. Ich wusste nicht, worauf mein Chef hinauswollte. Für einen Einsatz von unserer Seite aus bestand kein Anlass. Oder? Mr. High ließ sich nicht in private Auseinandersetzungen ziehen. Das war ausgeschlossen.

»Wenn Sie die Hintergründe kennten, würden Sie meine Besorgnis teilen, Jerry. Theo Trevelyans Vater hat in den Zwanzigerjahren mit Landspekulationen Pech gehabt. Es heißt, der alte Galmier, Aristide Galmiers Vater, hätte seine Finger im Spiel gehabt. Etwas Druck auf die Bankiers, gesperrte oder plötzlich gekündigte Kredite, Dinge in der Art, hätten ihn in die Enge getrieben. Die Trevelyans haben damals fast ihre ganzen Ländereien verloren. Sie haben ohnehin starr an der Landwirtschaft festgehalten und noch Baumwolle angebaut, als die Preise stürzten und sich die anderen Pflanzer im Süden längst auf Reis umgestellt hatten, der bessere Erträge abwarf. Sie haben nur ihr altes Herrenhaus in Angola behalten und den alten Namen. Und ihre Würde. Stolz und Leidenschaft, das sind die Werte, nach denen diese Menschen leben, die ihnen mehr bedeuten als alles andere.« Er seufzte.

Ich wartete, dass er weitersprach.

»Big Teetee hat die Karre mühsam wieder aus dem Dreck gezogen. Jetzt lebt die Familie ganz gut von einer erfolgreichen Pferdezucht. Sie sind, nach landläufigen Maßstäben, reich zu nennen, wenn sie sich auch nicht im Entferntesten mit den Galmiers messen können. Jerry, neunzehnhundertachtunddreißig wurde Aristide Galmiers Vater bei einem Duell getötet. Es gab keinen vernünftigen Zweifel daran, dass Teetees Vater der überlebende Duellpartner gewesen war. Aber die alten Hitzköpfe haben ihren Streit so ausgetragen, dass nichts zu beweisen gewesen war und niemand mit hineingezogen wurde. Den Anlass zu diesem Duell hatte Teetee gegeben. Er hatte eine Affäre mit Aristides Schwester Juliette begonnen. Die junge Frau hatte sich hoffnungslos in ihn verliebt. Ich habe sie gekannt. Sie war eine schwarzhaarige Person von geradezu unwirklicher Schönheit.« Der Chef räusperte sich und blickte zwischen seine Hände.

»Und?«

»Ja«, fuhr er fort, »ich habe sie einmal kennengelernt. Wir studierten damals an der Universität von Minnesota. Es war unverantwortlich von Teetee, dass er die Frau an sich band, denn die Galmiers hätten vor nichts zurückgeschreckt, um eine Verbindung zwischen den beiden zu verhindern. Aber sie brauchten sich nicht anzustrengen. Teetee ließ die Kleine sitzen. Ich weiß bis heute nicht, was damals wirklich vorgefallen ist. Teetee sprach niemals darüber. Vielleicht hat er Juliette in sich verliebt gemacht, um die Galmiers zu treffen, und zwar dort, wo es sie am meisten schmerzte – bei ihrer Ehre und ihrem Stolz. Es war eine tragische Geschichte, Jerry, denn Juliette beging Suizid.«

Mein Gott, dachte ich, das ist doch alles längst vorbei! Das ist Jahrzehnte her!

»Aristide war damals jung und heißblütig. Er schwor, Teetee umzubringen, ihn und seine Familie zugrunde zu richten. Teetee lebt heute noch. Denn es gab einen Zwischenfall, der Aristide vielleicht ernüchtert hat. Aristides jüngerer Bruder hat auf eigene Faust versucht, die Schande auszulöschen. Er gehörte damals, als Siebzehnjähriger, bereits einem Fliegerklub in Baton Rouge an. Kaum hatte er seinen ersten Alleinflug absolviert, flog er nach Angola. Er hatte sehr an Juliette gehangen, wissen Sie? Er stürzte sich mit seiner Maschine auf eines der pompösen Häuser, das er für das der Trevelyans hielt. Das Haus wurde vollständig zerstört. Außer dem Jungen kamen fünf unbeteiligte Menschen ums Leben.«

Der Chef schwieg, die Erinnerungen standen jedoch leibhaftig im Raum.

»Glauben Sie«, fragte ich, »Aristide hat nun mit seinem Interview und der Beschuldigung gegen Teetee den Krieg wieder eröffnet?«

»Das meint Teetee. Und das ist auch die Ansicht des FBI-Chefs von Baton Rouge, der die Familiengeschichte aufmerksam verfolgt hat. Ich persönlich glaube, dass der Krieg nie wirklich unterbrochen gewesen war. Vor zwölf Jahren kam Teetees Frau, die ebenfalls aus einer alten Louisiana-Familie stammte, bei einem Reitunfall ums Leben. In den Unfall soll ein Fahrzeug verwickelt gewesen sein, das nie ermittelt werden konnte. Ungeklärt blieb auch die Frage, weshalb Yvonne Trevelyan zu der Straße geritten war, auf der sich der Unfall dann ereignete. Seit jenem Tag vor zwölf Jahren beschäftigen sowohl die Trevelyans als auch Galmiers Leibwächter. Die Galmiers unterhalten eine richtige private Polizeitruppe. Sie können es sich am ehesten leisten.« Der Chef sah mich wieder an, und in seinen grauen Augen lag ein harter Schimmer. »Irgendwann engagiert einer einmal einen Killer. Vielleicht unbewusst, vielleicht nicht ...«

Ich fragte mich erneut, weshalb der Chef mir diese Familiensaga erzählte. Ich sollte es bald erfahren.

John D. High räusperte sich. »Dem FBI in Louisiana sind die Hände gebunden. Die Bundespolizei ist nicht zuständig. Sie wäre es nicht einmal, wenn jetzt irgendwann ein Mord geschähe. Der FBI-Chef wies mich darauf hin, dass der Sheriff des West Feliciana County seit geraumer Zeit einen Deputy sucht. Er will einen Allroundman haben. Er muss auch Erfahrung in Mordfällen mitbringen. Der Sheriff hat keine eigene Mordabteilung. Bei Gewaltverbrechen muss er die Metropolitan Police von Baton Rouge einschalten.«

»Sir, ich ...«

»Warten Sie bitte, Jerry. Teetee hat mir da etwas erzählt. Kendrick, sein zweitältester Sohn, behauptet seit einigen Tagen, er wüsste, wer seine Mutter auf dem Gewissen hat. Er will den Beweis liefern und mit dem Schuldigen abrechnen. Aber erst nach dem Pontchartrain-Rennen, was immer das ist. Ich weiß nur, dass es in der nächsten Woche am Sonntag stattfindet. Teetee meint, sein Sohn habe in der Tat etwas herausgefunden. Doch er kann sich nicht vorstellen, was es ist.«

Der Chef verstummte. Ich sollte nach Louisiana. Das war mir inzwischen klar geworden.

»Und ich soll verhindern, dass ein junger Hitzkopf jemanden umlegt? Sir, ich ...«

»Es wäre doch nur für ein, zwei Wochen, Jerry. Und nicht wegen Ken oder Teetee ...«

»Aber ich kann als Fremder nicht hopplahopp einen hundertjährigen Krieg beenden! Sir, Sie sollten es mit einem Absolventen der Diplomatenschule versuchen.« Oder besser mit der Nationalgarde, dachte ich düster.