Jerry Cotton Sonder-Edition 174 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 174 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Sie lebten in New York.
Juan Lopez, der die Freiheit ersehnte.
Jane Mondell, die die Liebe suchte.
Jack Gaconetti, der das große Geld wollte.
Und Ann McKenzie, die Gerechtigkeit verlangte.
Sie fanden jedoch alle nur - die Straße der Tränen.


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Inhalt

Cover

Straße der Tränen

Vorschau

Impressum

Straße der Tränen

Sie lebten in New York. Juan Lopez, der die Freiheit ersehnte. Jane Mondell, die die Liebe suchte. Jack Gaconetti, der das große Geld wollte. Und Ann McKenzie, die Gerechtigkeit verlangte.

Sie fanden jedoch alle nur – die Straße der Tränen.

1

Am Donnerstagvormittag gab es auf der mittleren Strecke der Fifth Avenue einen Menschenauflauf. Es lag an dem Aufgebot an Polizisten, die sich vor dem größten Juweliergeschäft New Yorks versammelt hatten.

An der Ecke stand ein gepanzertes Transportfahrzeug. Statt einer Windschutzscheibe wies es nur schmale Sehschlitze auf. Die Türen hatten keine Griffe, und der Laderaum hatte nicht einmal Sehschlitze.

Als der Wagen angehalten hatte, waren die Polizisten schon da. Sie umringten das Fahrzeug. Drei Polizeilimousinen schirmten es zur Straßenseite so ab, dass niemand es mehr hätte rammen können. Die anderen Cops – alle für diesen Sondereinsatz mit Maschinenpistolen bewaffnet – bildeten je zwei Sperrriegel nach Norden und Süden. Der innere ließ eine Gasse zwischen dem gepanzerten Transportfahrzeug und dem Eingang zum Juweliergeschäft frei. Die äußeren Sperrketten sorgten dafür, dass die Fußgänger in dieser Gegend gar nicht erst bis an den inneren Riegel gelangten.

»Benutzen Sie bitte die andere Straßenseite«, hörte man die Cops immer wieder sagen. »Oder gedulden Sie sich ein paar Minuten. Die Straße wird gleich wieder freigegeben.«

Zuerst sah es nicht danach aus.

Aus dem Transportwagen stieg der Beifahrer und wartete, bis der Fahrer seine Tür von innen wieder verriegelt hatte. Dann betrachtete er die Absperrungen der Polizei und nickte zufrieden.

Eine blonde, gut aussehende Frau in einem schwarzen Seidenkleid, das ihre schlanke Figur betonte, trat zu ihm. Sie trug schwarze Pumps mit hohen Absätzen, war so geschminkt, dass man es kaum sah, und hatte diese selbstbewusste, zugleich freundliche und zurückhaltende Art, wie man sie oft bei Karrierefrauen findet.

»Ich bin Jane Mondell«, sagte sie. »Die Verkaufsleiterin. Kommen Sie bitte mit!«

Der Beifahrer zählte knapp dreißig Jahre, trug einen schweren Colt am Gürtel seiner Uniform und hatte den wachsamen Blick eines zum Misstrauen geschulten Mannes. Wortlos nickend folgte er ihr in die Verkaufsräume des Juweliergeschäfts, von dem es in New York heißt, dass es das größte der Welt sei.

Die Verkaufsräume waren durch breite Durchgänge zueinander hin geöffnet. Auf diese Weise entstand eine Art Mittelraum, der von allen der größte war. Und wiederum in seiner Mitte stand eine gläserne Vitrine. Daneben hatten sich ein paar Leute versammelt.

»Darf ich vorstellen?«, sagte Jane Mondell und zeigte auf einen etwa Fünfzigjährigen, der dichtes schwarzes Haar mit ein paar silbrigen Fäden an den Schläfen und das markante Kinn eines bekannten Hollywooddarstellers hatte. »Das ist T. H. Morelli, unser Vizepräsident und zugleich Verantwortlicher für die Sicherheit unserer Ausstellungsstücke.«

Der Beifahrer nickte ihm stumm zu.

Jane Mondell zeigte auf einen farblosen, etwas hageren Jüngling: »Mister Atkinson von der Northern Insurance.«

Der Beifahrer nickte.

Jane Mondell zeigte auf den stämmigsten Mann neben der gläsernen Vitrine. »Detective Lieutenant Malcolm von der City Police. Der Lieutenant wird Ihnen bestätigen, dass er die Vitrine für einbruchsicher hält.«

»Stimmt«, sagte Malcolm. »Es ist unzerbrechliches Panzerglas in drei Schichten. Könnten Sie nicht einmal mit einem Vorschlaghammer zertrümmern.«

»Das Schloss?«, fragte der Beifahrer.

Der hagere Jüngling von der Versicherung trat vor. »Ist nur mit zwei Schlüsseln gleichzeitig zu öffnen. Einen hat Miss Mondell, die tagsüber immer hier in den Verkaufsräumen ist. Den anderen wird Mister Morelli übernehmen, der tagsüber in den Büroräumen in der 2. Etage zu finden ist. Außerdem ist die Vitrine mit Direktleitung an die Alarmeinrichtungen des nächsten Polizeireviers angeschlossen.«

In dem Gesicht des Beifahrers verriet nichts, ob er beeindruckt war oder nicht. Mit leiser Stimme fragte er nur: »Und nachts?«

»Kommen Sie bitte«, sagte Jane Mondell.

Die Gruppe setzte sich in Bewegung. Jane Mondell führte sie in den hinteren Verkaufsraum. Von dort ging eine Tapetentür in einen kurzen Korridor, der eine Biegung machte. Dahinter fing die Kellertreppe an. Außer der Tapetentür schien es keinen Zugang zu diesem Korridor zu geben.

Sie stapften die breite, mit einem roten Läufer ausgelegte Treppe hinab. Unten kamen sie an ein offen stehendes Gittertor.

»Hier beginnt die Tresorwand«, erklärte T. H. Morelli und zeigte auf die beiden Seiten rechts und links des Gitters, wo die waagerechten Stäbe im Beton verschwanden. »Sie ist über siebzehn Inch dick und mit Alarmdrähten durchzogen, die ebenfalls mit dem nächsten Polizeirevier verbunden sind.«

»Über dieselbe Leitung wie oben die Vitrine?«, fragte der Beifahrer.

Morelli blickte fragend zum Lieutenant.

Malcolm schüttelte den Kopf. »Getrennte Leitungen. Außerdem mit eigenem Notstromaggregat. Selbst eine Stromsperre im städtischen Netz würde die Leitungen nicht matt setzen.«

»Gut«, sagte der Beifahrer. »Aber das mit dem Gitter gefällt mir nicht. Warum keine massive Tür?«

Jane Mondell lächelte. »Das ist ja erst der Anfang. Bitte kommen Sie.«

Alle hoben die Füße, um über den dicken Stahlrahmen hinwegzusteigen, in dem die Gittertür hing. Sie durchquerten den großen Tresorraum mit seinen Regalen und Fächern. Hinter einer Wand, die aus lauter Stahlblechfächern bestand, wandten sie sich nach rechts.

Vor ihnen lag der Tresor im Tresor.

Eine breite Panzertür stand weit offen. In den Seiten glänzten silbrig die fast schenkeldicken Querriegel.

»Hier bewahren wir nachts und übers Wochenende die kostbarsten Stücke auf«, erklärte Morelli die letzten Sicherheitsvorkehrungen. »Die Wand dieser inneren Kammer ist über vierzig Inch stark. Auf allen Seiten, auch oben und unten! Außerdem wird diese innere Kammer von Lichtschranken abgeschirmt. Und als letztes Hindernis haben wir das hier einbauen lassen – für sündhaft teures Geld übrigens.« Er zeigte auf drei kleine gezackte Zahlenrädchen.

»Was ist das?«, fragte der Mann in der grünen Uniform.

»Miss Mondell stellt jeden Morgen ihr Körpergewicht ein. Sie ist die Einzige, die den Raum betreten kann, ohne die Alarmanlage auszulösen. Und da hinten – sehen Sie, da, im mittleren Fach – steht die Kassette. Sobald Miss Mondell die Anschlüsse hergestellt hat, ist die Kassette unabhängig von allen anderen Alarmanlagen direkt mit dem Revier verbunden. Wenn jemand die Kassette nur streichelt, gibt es bei der Polizei Alarm. Ganz abgesehen davon, dass wir es für unmöglich halten, überhaupt bis hierher vorzudringen.«

Der Beifahrer zeigte die erste Bewegung. Er fuhr sich mit der sehnigen Hand über das blauschwarze Kinn. Er hatte einen starken Bartwuchs und dachte, das Ganze ist hervorragend, sündhaft teuer, nach menschlichem Ermessen völlig sicher. Und das Ganze hat den einen unüberwindbaren Schwachpunkt, den alles hat, was Menschen erfinden.

»Okay«, sagte er. »Holen Sie die Kassette heraus.«

Jane Mondell stieg in die innere Kammer, nahm die Kassette und sah den Beifahrer fragend an.

»Wer ist für die Übernahme verantwortlich!«, fragte er.

T. H. Morelli verzog die Hollywoodmundpartie zu einem hinreißend schönen Lächeln. »Miss Mondell in erster Linie. Wenn sie sagt, dass es seine Richtigkeit hat, unterschreibe ich mit.«

»Okay«, sagte der Beifahrer und wandte sich an die blonde Frau. »Die Übergabe erfolgt in unserem Fahrzeug. Sie und der Mann von der Versicherung steigen mit ein. Von den anderen kommt keiner näher als fünf Schritte an unseren Wagen heran – oder wir fahren sofort ab. Ist das klar?«

Gemeinsam stieg man die Stufen wieder hinauf und durchquerte die Verkaufsräume. Auf der Straße hatte sich die Menge der Neugierigen mindestens verdoppelt. Gehorsam blieben die Männer zurück. Bis auf Atkinson, der zusammen mit Jane Mondell und dem Mann in der grünen Uniform zu dem gepanzerten Transportfahrzeug lief.

Es gab eine ganze Zeremonie.

Zuerst legte der Mann in der grünen Uniform die Linke gegen einen Sehschlitz auf der Fahrerseite und bewegte rhythmisch den Daumen. Dann wurde im Inneren des Fahrzeugs irgendetwas bewegt, und man hörte das Surren eines Elektromotors. Danach umrundete der Beifahrer den Wagen und stellte an einem Zahlenschloss, das hinter einer Klappe verdeckt knapp über der Stoßstange angebracht war, eine Kombination ein.

Wieder surrte der Motor im Fahrzeug. Und nun endlich zog der Beifahrer einen Schlüssel.

»Kommen Sie rein in unsere gute Stube«, sagte er einladend, nachdem sich die dicke Stahltür geöffnet hatte.

Eine Glühbirne brannte an der Decke und sandte ein zu helles Licht aus. Das Ganze glich einem niedrigen Käfig. Es gab zwei Sitzbänke an den Seiten, und auf jeder saß ein Mann in grüner Uniform und mit einer Maschinenpistole. Zwischen ihren benagelten, schweren Marschstiefeln stand ein stählerner Kasten, den der Beifahrer aufschloss. Nach all den Vorbereitungen, die man im Juweliergeschäft getroffen hatte, musste es fast enttäuschend wirken, als er einfach den Deckel des Kastens hochhob und einen Einsatz herausnahm.

Der Einsatz war mit blauem Samt ausgeschlagen. Darauf lag eine Kette aus sieben Reihen zu je sechsundneunzig Perlen. Alle untereinander verbunden durch eine kunstvolle asiatische Silberschmiedearbeit aus dem 15. Jahrhundert.

»Mein Gott«, sagte Jane Mondell unwillkürlich. »Die Rawalpindi-Kette! Sie ist es tatsächlich ...«

An die Tür meines Pensionszimmers hatte ich ein Kärtchen geheftet, darauf stand Jerry Conant.

Hätten die falschen Leute gewusst, dass ich in Wahrheit Jerry Cotton heiße, hätte ich kein Zimmer mehr gebraucht.

Am Donnerstagvormittag wurde ich von einem energischen Klopfen geweckt. Ich fuhr hoch, betrachtete schlaftrunken die verblichene Tapete, die abgenutzten Möbel und das mit einem Blümchenmuster bezogene Bett.

Es klopfte wieder.

»Jaja!«, rief ich. »Ich komme!«

Auf meiner Uhr war es halb zehn. Trotzdem spürte ich noch den billigen Whisky in meinem Kopf. Ich nahm die Hose vom Stuhl und fuhr hinein. Unter dem Kopfkissen zog ich den kurzläufigen Colt hervor und schob ihn in die Hosentasche. Barfuß schlurfte ich zur Tür.

»Wer ist da?«

»Ich bin's, Mac! Nun mach schon auf!«

Ich tat es und brummte: »Du fehlst mir noch. Warum holst du mich aus dem Bett? Gibt es Arbeit?«

»Nein, aber ein Frühstück.« Mac Reese kam herein. »Wenn du es bezahlst.«

Mac Reese war vierunddreißig Jahre alt, über fünfeinhalb Fuß groß und ungefähr hundertfünfzig Pfund schwer. Seine Leidenschaft waren breit gestreifte Anzüge und karierte Hemden, die nicht einmal in der Farbe zum Anzug passten. Beim FBI wussten wir von ihm nur, dass er am 21. Februar 1945 in St. Clair, Missouri geboren war und bisher zweimal wegen Beteiligung an Bandenverbrechen gesessen hatte.

Ich zeigte auf den einzigen Sessel, den es in meinem Zimmer gab, und drehte den Wasserhahn auf, um meinen Rasierpinsel anzufeuchten.

»Im Ernst«, fuhr Mac fort, »du hast mir gestern Abend beim Pokern alles abgenommen. Gibst du ein Frühstück aus? Oder kannst du mir bis morgen ein paar Bucks pumpen? Da bekomme ich eine Prämie.«

Ich seifte mich ein. »Wofür kriegst du morgen eine Prämie?«

»Fürs Stoffholen.«

Mit Stoff meinte er Heroin, und ich wusste es nur zu gut. Während ich anfing, mich zu rasieren, sagte ich: »In meiner rechten Jackentasche. Aber nimm nicht alles.«

»Du bist ein Kumpel«, meinte Mac und pfiff, als er die Geldscheine aus meiner Jackentasche hervorholte. »Wie viel hast du heute Nacht gewonnen?«

»Weiß ich nicht genau. Um die hundertzwanzig.«

»Ich nehme fünfzig. Ist das okay?«

»Okay. Kannst du mich nicht mal beim Stoffholen mitnehmen? Wenn's dafür Prämien gibt?«

»Lässt sich nicht machen. Wir haben ein flottes Flugzeug. Zwei Düsen, ein verdammt schöner kleiner Flitzer! Allerdings passen nur zwei Leute rein. Außerdem ist der Boss da besonders vorsichtig. Ist doch klar, bei zwei Pfund von dem Zeug steht ja ein Vermögen auf dem Spiel.«

»Morgen Abend lade ich dich ein«, versprach er. »Wir machen einen drauf. Ich zahle alles. Du kannst mich ja abholen.«

Mac lebte von einem Tag zum anderen, und da er wieder ein paar Dollars in der Hosentasche fühlte, wurde er großzügig.

»Wo?«, fragte ich und hatte nicht die geringste Lust dazu.

Und dann schlug die Bombe so unvermittelt ein wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

»Pass auf, drüben in Jersey gibt es die neue Interstate 280. Die führt nördlich an Beaufort vorbei. Du fährst durch das kleine Nest zwei Meilen nach Süden. Da geht nach links ein Feldweg ab, an dem ein Schild steht. Zur Norwich-Farm. Kannst du gar nicht verfehlen. Dann den Feldweg lang, bis das Wäldchen anfängt. Da liegt die Wiese, wo wir gegen sechs Uhr abends landen werden, wenn Ed so pünktlich ist wie immer.«

Ich musste mich anstrengen, um weiterhin gleichmütig zu erscheinen. Er hatte verraten, wo sie mit einem zwei Pfund Heroin landen wollten. Seit Wochen spielte ich den kleinen Ganoven für den großen Gaconetti, und es war mir nicht möglich gewesen, mehr als unbedeutende Kleinigkeiten in Erfahrung zu bringen. Dann leiht man einem Mac Reese fünfzig Dollar, und auf einmal regnet es Informationen.

Ich seifte mich ein zweites Mal ein. »Wer ist Ed? Wir haben doch keinen Ed bei uns.«

»Nicht in der Gang. Ed steuert die Maschine. Ein Teufelskerl von einem Pilot. Das kannst du mir glauben. Ed Schuller heißt er. Wenn der über den Golf von Mexiko dahinzischt, meinst du, dir würden die Füße nass, so niedrig fegt der unterm Radar durch.«

»Golf von Mexiko? Fliegt ihr um die halbe Welt?«

»Fast. Hör mal, mir kannst du es sagen, ich verrate es nicht. Hast du heute Nacht gemogelt?«

»Nein«, sagte ich.

»Konnte ich mir eigentlich auch nicht denken. Waren ja neue Karten.«

Er interessierte sich nur noch für das Pokerspiel der letzten Nacht. Ich wusch mich, zog mich an, und wir gingen frühstücken. In den Straßen herrschte der übliche New Yorker Betrieb. Die Luft war lau und roch ganz nach Frühling. Doch meine Gedanken waren nicht bei den luftig gekleideten Frauen, nach denen sich Mac ein ums andere Mal umdrehte. Auf irgendeine Weise musste ich einen Kontakt zum FBI herstellen, ohne dass Mac auch nur der geringste Verdacht kommen konnte. Nur wie?

Ich hatte keinen Appetit, wusste jedoch, dass man gerade mit einem Kater besonders gut frühstücken soll, und bestellte Schinken mit Rühreiern, Würstchen, einen Pfannkuchen mit Ahornsirup und ließ mir alle paar Minuten die Kaffeetasse wieder auffüllen. Mac war offenbar den Fusel gewohnt und frühstückte mit gutem Appetit. Er hatte sich nach den Rühreiern sogar ein kleines Steak bestellt, und das brachte mich endlich auf die Idee.

»Das mit morgen«, sagte ich beiläufig, »gibst du auch ein richtiges Abendessen aus? Dann zahl ich eine Flasche Jack Daniels.«

Mac pfiff. Es war seine zweite Leidenschaft. Er pfiff, wenn er eine hübsche Frau sah. Wenn er Geld gewann. Wenn er Geld verlor. Wenn es plötzlich regnete. Wenn es aufhörte zu regnen. Es gab kaum eine Gelegenheit, die Mac nicht eines Pfiffes für würdig gehalten hätte.

»Jack Daniels!«, wiederholte er. »Ist das Zeug wirklich so gut?«

»Ich weiß noch was Besseres«, sagte ich. »Tullamore Dew.«

»Was is'n das?«

»Irischer. Aus dem Steinkrug. Da müssen wir aber was um den Hals binden. So was bekommt man nur in den feineren Läden.«

»Verdammt«, rief Mac begeistert, »warum sollen wir uns nicht mal was Feineres gönnen! Dafür lasse ich mir sogar einen Schlips umbinden. Nur das darfst du keinem sagen.«

Ich war sofort hellwach. Mac beugte sich herüber zu mir.

»Du wirst mir den Schlips binden müssen«, flüsterte er. »Ich lern das einfach nicht, okay?«

»Bestimmt«, sagte ich enttäuscht und kaute weiter. »Da muss ich mir nur meinen Anzug aus der Reinigung holen. Du bist mir sonst zu elegant.«

Mac strahlte. Ich ließ mir abermals Kaffee auffüllen. Und wenn es anfangs noch so schwierig erscheint, nach einem Kater muss man gut frühstücken. Ich zündete mir die erste Zigarette an und hatte keinen Kater mehr. Auch Mac rauchte und interessierte sich wieder für die Frauen, die draußen auf der Straße vorbeitrippelten.

»Bin gleich wieder da«, brummte ich und ging zu den Toiletten.

Ich riegelte mich ein. Das Toilettenpapier war zu weich. Etwas anderes hatte ich nicht. Also nahm ich die Rückseite vom Stanniol aus der Zigarettenpackung. In Kleinstschrift notierte ich: New Jersey. Interstate Highway 280. S Beaufort. Zwei Meilen S links Feldweg »Zur Norwich-Farm«. Wiese hinter Wäldchen morgen, Freitag, 6 Uhr abends, Landeplatz Privatmaschine mit zwei Pfund Heroin.

Und dann drehte ich das Stanniol mit der Silberseite nach außen zu einem winzigen Kügelchen zusammen. Ich ließ es in meiner rechten Rocktasche verschwinden und kehrte ins Lokal zurück.

Als ich mich gerade zu einer letzten Tasse Kaffee Mac Reese gegenüber hinsetzen wollte, klopfte mir jemand dröhnend auf die Schulter, und eine lärmende, mir nur allzu gut bekannte Stimme fragte: »Hallo! Kennen wir uns nicht?«

2

Der Chef der Kriminalabteilung im Police Department of New York City war knapp fünfzig Jahre alt, mittelgroß und aus dem Süden. Kenner konnten heraushören, dass er aus Georgia stammte. Er machte keinen Hehl daraus, dass seine Vorfahren Baumwolle angepflanzt, Sklaven besessen und sich mit den Seminolen-Indianern herumgeschlagen hatten.

An diesem Vormittag wäre Hank Stephenson lieber gegen die Seminolen geritten, als das zu tun, was ihm bevorstand. Er ließ seinen Fahrer kommen.

»Bill, können Sie mir einen Blumenstrauß besorgen?«, fragte er.

Bill Wordland schaute überrascht auf. »Einen ...?«, wiederholte er.

»Einen Blumenstrauß, ja! Was, zum Teufel, ist an einem Blumenstrauß so sensationell, dass Sie Ihren Mund nicht wieder zukriegen?«

»Gar nichts, Chef. Ich meine nur.«

Die Brauen in Stephensons Gesicht schoben sich bedrohlich aneinander.

Bill Wordland erkannte offenbar die aufdämmernde Gefahr. »Ich meine nur, Chef, Sie müssten mir schon sagen, was für welche. Und für wie viel Geld.«

Die Brauen kehrten entspannt in ihre Ausgangsposition zurück.

»Ach so, ja, natürlich«, murmelte Stephenson. Er war überzeugter Junggeselle und fand sich vor derartigen Problemen immer ein wenig hilflos. »Sie sind für eine Lady«, versuchte er zu erklären, merkte jedoch sofort, dass sein Fahrer völlig falsche Schlüsse zog. »Für eine Kollegin«, schob er schnell nach. Und nun schien es ihm, als bekäme sein Fahrer geradezu einen lüsternen Blick. »Aus dienstlichem Anlass!«, brüllte er deshalb – und ärgerte sich sofort, dass er gebrüllt hatte. Seine Brauen näherten sich wieder einander und erzeugten auf der Nasenwurzel eine steile Falte.

»Sir«, rief Wordland schnell, »um diese Jahreszeit macht sich ein bunter Frühlingsstrauß immer gut!«

Unwillkürlich blickte Stephenson zum Fenster. Die Stahl- und Glastürme der neueren Wolkenkratzer glänzten im Sonnenlicht wie bronzierte, überdimensionale Schmuckkästen. Am Himmel hingen ein paar winzige Wölkchen reglos im zarten Blau.

»Ja«, sagte Stephenson, »ich glaube, das ist eine gute Idee, Bill. Warten Sie, ich komme gleich mit. Fahren Sie mich die Fifth Avenue hinauf. Aber halten Sie unterwegs irgendwo, um mir die Blumen zu holen.«

»Okay, Chef.«

Da Hank Stephenson, wie die meisten einsamen Menschen in einer solchen Lage, nicht mit Geld sparte, fiel der Strauß zu seiner Zufriedenheit aus. Der kräftige Oberkörper seines Fahrers verschwand hinter dem riesigen Bukett, als Bill Wordland vom Blumenladen zurückkehrte.

»Ja«, sagte Stephenson, »ich glaube, das ist ein hübscher Strauß.«

»Chef«, meinte Wordland überzeugt, »wenn ich mit so einem Riesenstrauß nach Hause käme, dürfte ich das ganze nächste Jahr lang vom Kegeln zu spät nach Hause kommen.«

Stephenson als Junggesellen blieb diese Ehemannslogik seines Fahrers unverständlich. Er ließ weiterfahren, die breite Fifth Avenue hinauf, bis er sein Ziel erspäht hatte.

»Suchen Sie sich irgendwo einen Parkplatz, Bill«, befahl er. »Es wird vielleicht eine Stunde dauern.«

»Okay, Chef.«

Zehn Minuten später trat Stephenson in der 32. Etage aus dem Fahrstuhl und sah sich suchend um. Mit dem riesigen Blumenstrauß in der Hand kam er sich ein wenig vor wie ein Oberschüler auf dem Weg zur ersten Verabredung. Die vielen Leute, die ihm in den verzweigten Korridoren des Wolkenkratzers begegneten, hatten alle jenes wissende, verständnisvolle Lächeln im Gesicht, das ältere Menschen jungen Verliebten entgegenbringen. Jedenfalls kam es Stephenson so vor, und er machte ein grimmiges Gesicht. Endlich hatte er die Tür gefunden, die er suchte.

Ann McKenzie – All kinds of investigations –, war in zierlichen Goldbuchstaben unter die Nummer des Apartments geschrieben. Nachforschungen aller Art, dachte Stephenson, während er vor der Tür stand und plötzlich keinen Mut mehr hatte. Warum macht sie diesen Unsinn? Warum ist sie nicht bei uns geblieben? Detective in der Kriminalabteilung der Stadt New York. Verdammt, ist das kein ausgezeichneter Job? Bei einem solch verständnisvollen Boss, wie ich es bin?

Er starrte auf die zierliche Schrift und sah Ann McKenzie so deutlich vor sich, als wäre es gestern erst gewesen, seit sie sich das letzte Mal die Hand geschüttelt hatten. Dabei musste es gut und gern ein halbes Jahr her sein. Er fühlte sich unbehaglich. Allen Ernstes überlegte er, ob er nicht wieder gehen und den Strauß unten in der Halle für sie abgeben sollte.

Dann nahm ihm das Schicksal die Entscheidung ab. Die Tür ging auf, und zwei Möbelträger kamen heraus, die breiten Gurte über den Schultern, mit denen sie irgendein sperriges Möbelstück hier herauftransportiert hatten. Und hinter ihnen erschien Ann McKenzie auf der Schwelle.

Sie sah überhaupt nicht so aus, wie er sie in der Erinnerung hatte. Statt der betont weiblichen Kleidung, die er immer so an ihr geschätzt hatte, trug sie einen knallgelben Overall, unter dessen Oberteil ein kariertes Baumwollhemd sichtbar wurde. Sie hatte die Ärmel bis über die Ellenbogen hochgekrempelt. Ihre makellose weiße Haut schien nichts von Sonnenbräune zu halten. Der schlanke Hals trug den rassigen Kopf in natürlicher Anmut. Das kastanienbraune Haar, sonst eine nicht zu bändigende Flut, war mit einigen Klammern und Haarnadeln dicht zusammengesteckt. Die tiefen braunen Augen wirkten selbst in diesem Augenblick der Überraschung verträumt. Und wieder einmal bewunderte Hank Stephenson ihre Fähigkeit, jede Situation sofort zu beherrschen.

»Hallo, Hank«, sagte sie, als wären sie verabredet gewesen. »Das ist aber nett, dass Sie gekommen sind.«

Er trat über die Schwelle, roch den Duft wilder Äpfel, der immer von ihr ausging, und es war ihm, als träte er in eine Traumwelt. Sie nahm ihm die Blumen ab, bedankte sich, suchte eine Vase, bot ihm einen Drehstuhl und Zigaretten an, setzte Wasser für Kaffee auf und erklärte, dass ihre Büromöbel erst gestern und die letzten sogar gerade erst gekommen seien. Stephenson stellte verwundert fest, dass er überhaupt nicht mehr verlegen war. Ja, er hatte fast das Gefühl, er gehörte hierher.

Nach zehn Minuten zog er das Jackett aus und krempelte die Ärmel hoch, um ihr beim Aufstellen der Möbel zu helfen. Sie hatte sich ein Vorzimmer, ein zweites als mögliches Archiv und schließlich ihr eigentliches Arbeitszimmer eingerichtet. Kein Regal, kein Schreibtisch, kein Karteischrank stand da, wo sie es haben wollte. Hank Stephenson griff zu. Dabei dachte er nicht einen Augenblick daran, was für ein Gesicht sein Fahrer machen könnte, wenn er den Chef der Kriminalabteilung wie einen Möbelträger hätte arbeiten sehen.

Es war mehr als eine Stunde vergangen, als Ann McKenzie plötzlich entschieden erklärte: »Hank, jetzt ist Pause. Ich falle um vor Hunger, und Sie brauchen bestimmt auch Ihren Lunch.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, griff sie zum Telefon und bestellte irgendwo im Hause gegrillte Hähnchen und Bier. Als sie den Hörer auflegte, trafen sich für einen Moment ihre Blicke. Stephenson fühlte, wie sein Herz schlug. Ann McKenzie zupfte Nadeln und Klammern aus ihrem Haar, schüttelte ein-, zweimal ihren Kopf und war wieder umrahmt von der rotschimmernden Flut ihrer Mähne.

Sie muss mindestens dreißig sein, dachte Hank. Wenn sie erklärte, sie sei zweiundzwanzig, würde es jeder glauben müssen.

»Warum haben Sie bei uns aufgehört, Ann?«, fragte er. »Privatdetektive gibt es in New York fast so viele wie arbeitslose Schauspieler. Es wird nicht leicht werden für Sie.«

»Ich weiß, Hank. Aber wenigstens in den nächsten fünf Jahren werde ich keine Not leiden. Die Lebensversicherung von Joseph hat für die Einrichtung hier gereicht. Und es ist noch so viel übrig, dass ich fünf Jahre lang gut leben könnte. Selbst wenn ich in dieser Zeit keinen einzigen Dollar verdiente. Und das will ich doch nicht hoffen.«

»Die Lebensversicherung ...«, murmelte Hank Stephenson und dachte an den Krach, den er – ohne ihr Wissen – bei der Versicherungsgesellschaft geschlagen hatte, als sie nach einem Jahr immer noch nicht ausgezahlt war.

Sicher, es war Merkwürdiges geschehen. Dass ein Detective wie Joseph McKenzie tot aufgefunden wird und nach dem Befund der Ärzte an einer tödlichen Dosis Heroin gestorben sein soll, ermuntert keine Versicherungsgesellschaft der Welt, einfach das Geld hinzublättern. Schließlich hatte Hank Stephenson die Auszahlung der Lebensversicherung an Joseph McKenzies Witwe durchgesetzt.

Stephenson nahm kaum wahr, dass Ann McKenzie an die Tür ging, wo es geklingelt hatte. Er dachte daran, was es seinerzeit für einen Wirbel gegeben hatte, als Joseph McKenzie mit der leeren Spritze neben sich im düsteren Winkel einer Subway Station gefunden worden war. Am ganzen Körper hatte es nicht ein Anzeichen von Gewaltanwendung gegeben. Er musste sich die Spritze selbst gesetzt haben.

Aber warum, zum Teufel?

Dass er vorher nie gespritzt hatte, bezeugten die Ärzte. Warum auf einmal? Und warum gleich eine mörderische Dosis? Suizid? Warum?

Er hatte die hübscheste Frau, die sich ein Mann wünschen konnte, und dazu in ihr eine Kollegin, die aus eigener Anschauung an seinen beruflichen Problemen Anteil nehmen konnte. Sie hatten keine finanziellen Schwierigkeiten. Es gab nicht den leisesten erkennbaren Grund, warum er hätte Suizid verüben sollen. Doch es gab auch nicht die geringste Spur dafür, dass andere ihn mit der Spritze umgebracht hätten.

Hank Stephenson fuhr sich mit müder Geste übers Gesicht. Es war nicht der einzige Fall, den man nicht klären konnte, und es würde auch nicht der letzte bleiben. Wenn irgendwo auf dieser Welt, dann merkte man bei der Kriminalpolizei sehr schnell, dass alles Menschenwerk Stückwerk bleibt, dass Allwissenheit und Vollendung dem gewöhnlichen Sterblichen nicht zugedacht sind. Mit dieser Erkenntnis galt es zu leben und täglich neu seine Pflicht zu tun.

»Hm?«, brummte er, weil er meinte, dass Ann McKenzie etwas gesagt hätte.

»Ihr Hähnchen und Ihr Bier, Hank.«

Sie schob es ihm über die spiegelblanke, brandneue Schreibtischplatte.

Wir sitzen uns gegenüber, als wäre es unser gemeinsames Büro, schoss es ihm durch den Kopf.

»Danke«, sagte er. »Und damit Sie nicht ewig nur von Hähnchen leben müssen, will ich Ihnen etwas sagen, Ann. Ich glaube, ich habe den ersten Klienten für Sie.«

Juanita Lopez stand einen Augenblick unschlüssig neben ihrem Koffer. Die Sonne brannte bereits wie in mittäglicher Glut vom wolkenlosen Himmel, und die Männer in den gefleckten Kampfanzügen und mit den schwarzen Sonnenbrillen suchten Schatten hinter ihren Schützenpanzern oder wo es sonst Schatten gab. Sie sahen alle kräftig und wohlgenährt aus, die uniformierten Männer von der Garde des Präsidenten. Nicht wie die Arbeiter in den Blechhütten und Holzbuden zu Füßen der Bergkette.

Sie bückte sich und nahm den Koffer auf. Gerade in den nächsten paar Minuten kam es darauf an, dass sie ihre Nervosität beherrschte. Sie musste völlig sicher wirken. Und außerdem war sie die Tochter von Juan Lopez, der mit dem Präsidenten aus den Bergen gekommen war. Damals, als es das Land von einer wüsten Tyrannei zu befreien galt. Sollten sie sehen, dass sie eine Tochter der Revolution war!

Entschlossen drückte sie die Schwingtür des Flughafengebäudes auf. Die große Halle lag fast menschenleer. Juanita sah sich suchend um. Über den geschlossenen Schaltern standen noch die Namen der größten Flugverkehrsgesellschaften der Welt. Sie wirkten wie blanker Hohn auf diesem fast zum Absterben gebrachten Flughafen.