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Unbekannte Gangster entführten die Braut unseres Kollegen Steve Dillaggio. Für Phil und mich war es Ehrensache, zu Sandras Rettung rund um die Uhr zu arbeiten. Da stießen wir auf eine neue Waffe der Mafia: das Mörder-College!
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Seitenzahl: 174
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Das Mörder-College
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Impressum
Das Mörder-College
Unbekannte Gangster entführten die Braut unseres Kollegen Steve Dillaggio. Für Phil und mich war es Ehrensache, zu Sandras Rettung rund um die Uhr zu arbeiten. Da stießen wir auf eine neue Waffe der Mafia: das Mörder-College!
1
Geduckt wie ein Tier stand er im Widerschein der sprühenden Neonkaskaden.
Rauch kräuselte sich vor der Mündung der Pistole, die er in der Faust hielt. Hinter ihm ragte schwarz und still die Rückfront eines Mietshauses auf. Das bunte Licht drang in jeden Winkel des Hinterhofs, verwischte die Konturen und ließ die Regentropfen am Gestänge der eisernen Feuerleitern rot funkeln – rot wie Blut.
Mein Blick glitt zu der schlaffen Gestalt auf dem nassen, schmutzigen Pflaster.
Bennie Blue ... Ein kleiner Spitzel. Einer jener Gestrandeten, nach denen kein Hahn kräht. Jetzt hatte er ein Loch in der Stirn. Und der Mörder stand noch vor ihm, die Waffe in der Hand, das Gesicht im düsteren Widerschein der Neonreklamen nicht zu erkennen.
Eine halbe Sekunde, dann warf er sich herum.
»Halt!«, schrie ich. »Stehen bleiben oder ...«
Er rannte.
Ich hielt den 38er schon in der Faust. Neben mir riss mein Freund und Partner Phil Decker die Waffe aus dem Schulterholster. Ich feuerte. Dabei zielte ich auf die Beine des Flüchtenden. Aber in dieser verdammten Finsternis war kein sicherer Schuss anzubringen.
Absätze klapperten in der schmalen Einfahrt.
Ich rannte ebenfalls und jagte dem Killer nach. Er war schnell. Die Angst saß ihm im Nacken und peitschte ihn vorwärts. Mit ein paar Sätzen erreichte er die Eighth Avenue, und dort tauchte er binnen Sekunden in der Menge unter.
Sechs Uhr abends!
Rushhour in Manhattan.
Ein dichter Strom von Passanten schob sich über die Gehsteige, die meisten eilig, viele fast im Laufschritt. Selbst wenn ich den Killer entdeckt hätte, wäre es schwierig gewesen, ihn zu stoppen. Er war bewaffnet. Und ich hätte nicht schießen können, ohne Unbeteiligte zu gefährden.
Wahrscheinlich wusste er es.
Vielleicht triumphierte er jetzt. Auf jeden Fall fühlte er sich sicher. Denn ihm musste klar sein, dass es unmöglich gewesen war, im zuckenden, ungewissen Licht sein Gesicht genau zu erkennen. Und dass wir ihn schon beim Betreten des Hinterhofs beobachtet hatten, konnte er nicht ahnen.
Es war Zufall gewesen, dass wir ein paar Minuten vor der vereinbarten Zeit hier aufgetaucht waren.
Eigentlich hatten wir ins Theater gehen wollen. Phil Decker, unser Kollege Steve Dillaggio und ich. Und drei nette Frauen, mit denen wir in einem Lokal in der Nähe zum Abendessen verabredet waren. Wir hatten die Wagen abgestellt und waren das letzte Stück zu Fuß gegangen. Phil und ich wollten noch einen kleinen Schlenker machen, um unseren V-Mann zu treffen. Er hatte eine heiße Sache, behauptete er. Aber Bennie Blue bombardierte uns ständig mit angeblich heißen Tipps. Er war hochgradig alkoholsüchtig, fast immer pleite. Und wenn er nirgends mehr einen Drink schnorren konnte, versuchte er eben, bei der Polizei ein paar Dollars abzustauben.
Heiß waren seine Tipps fast nie.
Alle Jubeljahre lieferte er mal etwas Brauchbares. Wenn er anrief und von seinen »brandheißen Sachen« fabulierte, gingen wir zu dem jeweiligen Treffpunkt, um uns anzuhören, was er zu bieten hatte. Meist steckte nichts dahinter. Oder es war eine Kleinigkeit, die wir an die zuständigen Kollegen weiterleiteten. Deshalb hatten wir auch nicht damit gerechnet, dass Bennies Tipp unser Programm für den heutigen Abend durcheinanderbringen würde.
Diesmal musste Bennie Blue wirklich auf eine heiße Sache gestoßen sein.
Sie hatte ihn das Leben gekostet. Und wir kannten den Mörder. Wir wussten, dass er ein großer Fisch war, und wir konnten ihn überführen.
»Sculler«, sagte Phil neben mir gepresst. »Rick Sculler persönlich!«
Ich nickte.
In dem düsteren Hinterhof war inzwischen auch unser Kollege Steve Dillaggio aufgetaucht. Mit zusammengepressten Lippen starrte er auf den Toten.
»Entwischt?«, fragte er knapp.
»Er konnte in der Menge untertauchen, aber wir haben ihn erkannt. Es war Rick Sculler.«
Steve hob überrascht den Kopf. »Sculler, Jerry? Delgados Mann? Der hat eigenhändig einen Mord begangen?«
»Die Sache muss ihm auf den Nägeln gebrannt haben. Ich nehme an, Bennie ist belauscht worden, als er mit uns telefoniert hat.«
»Das heißt, er hatte wirklich etwas in der Hand. Und jetzt? Großfahndung?«
»Sicher. Doch ich glaube nicht, dass Sculler untertaucht. Er weiß nicht, dass wir ihn schon beim Betreten des Hofs gesehen und hundertprozentig erkannt haben. Er wird versuchen, sich ein Alibi zu verschaffen. Das kann er am besten in dem Lokal, in dem er Geschäftsführer spielt.«
Steve nickte nachdenklich.
Phil war bereits unterwegs, um über Funk alle notwendigen Schritte einzuleiten. Wir würden Sculler erwischen. Er war ein wichtiger Mann in Buster Delgados Organisation. Zu verlieren hatte Sculler nichts mehr. Wenn es uns gelang, ihn zu einer Aussage zu bewegen, konnten wir vielleicht auch Delgado zu Fall bringen.
Der Theaterabend war jedenfalls gestrichen.
Sandra, Jill und Carol würden wieder einmal enttäuscht werden. Doch die drei pflegten da recht verständnisvoll zu reagieren. Sie hatten nämlich auch Berufe, bei denen der pünktliche Feierabend selten war. Sandra Brook und Jill Hefner arbeiteten für ein Detektivbüro. Und Carol Gilmore als freiberufliche Journalistin konnte auch nicht immer Freizeit machen, wenn sie gerade mochte.
Steve steuerte die nächste Telefonzelle an, um die Frauen zu benachrichtigen.
Ich streifte dünne Einweghandschuhe über und begann, den Toten zu durchsuchen. Ohne Ergebnis. Wahrscheinlich würden wir nie genau erfahren, was Bennie Blue gegen Rick Sculler in der Hand gehabt hatte.
Das spielte ja auch keine Rolle mehr.
Anthony Gerrick wusste nicht, wie spät es war.
Sie hatten ihm die Uhr abgenommen. Genau wie alles andere, was er bei sich getragen hatte. Im Zimmer brannte ständig eine Lampe. Die geschlossenen Rollläden ließen gerade so viel Licht durch, dass er Tag und Nacht unterscheiden konnte. Im Augenblick war es dunkel draußen. Gestern Abend hatten sie ihn geschnappt, hierhergebracht und sich dann einfach nicht mehr um ihn gekümmert.
Aber jetzt kamen sie.
Gerrick hörte die Schritte und fuhr mit einem Ruck hoch. Die Kette klirrte. Diese verdammte Kette, die seit mehr als vierundzwanzig Stunden sein Handgelenk mit dem eisernen Bettgestell verband.
Schweiß bildete sich auf Gerricks Stirn.
Kamen sie, um ihn zu töten? Nein, dachte er. Wenn sie mich töten wollen – warum dann all diese Umstände? Überfall, Kidnapping, die Fahrt im Kofferraum eines Wagens, die Gefangenschaft. Sie hätten ihn gleich abknallen können, als sie ihn in der Tiefgarage erwischt hatten. Aber was, zum Teufel, wollten sie von ihm?
Er wusste nicht, wer sie waren.
Er wusste nicht einmal, wo er sich befand. Doch er ahnte, dass es nur einen Mann gab, der dahinterstecken konnte.
Baccara.
Carlo Baccara. Don Carlo ...
Gerrick schloss die Augen und lauschte. Hundertmal hatte er sich in den letzten Stunden für den Leichtsinn verflucht, die Warnung der Mafia in den Wind geschlagen zu haben. Er musste verrückt gewesen sein, als er glaubte, er könnte mitten in Don Carlos Gebiet ein Racket aufziehen. Die Warnung war deutlich gewesen. Warum hatte er nicht darauf gehört? Warum?
Sinnlose Fragen.
Gerrick hörte den Schlüsselbund klirren und kämpfte vergeblich gegen die würgende Angst an. Die Tür schwang auf. Eine Tür aus hellem Naturholz, genauso neu und gepflegt wie Teppich und Tapeten. Nur das Eisenbett passte nicht. Und es war das einzige Möbelstück. Gerrick hatte sich vergeblich den Kopf darüber zerbrochen, wozu das Zimmer normalerweise dienen mochte.
Er kannte die Männer nicht, die über die Schwelle traten.
Sie waren jung, zählten noch keine dreißig Jahre. Schlanke, smarte Burschen vom Typ des Nachwuchsmanagers. Einer von ihnen hielt eine flache italienische Beretta in der Hand. Der andere trat ans Bett, um die Handschelle aufzuschließen – Gerrick schauerte.
»Was ...?«, begann er heiser.
»Folgen Sie uns bitte, Mister Gerrick.«
Die Stimme klang weich und modulationsfähig. Der zweite Mann lächelte und machte eine auffordernde Geste zur Tür hin. Die Pistole in seiner Hand wirkte fast beiläufig, wie ein bedeutungsloses Spielzeug.
Gerrick war übel.
Seine Knie zitterten, als er aufstand und zur Tür wankte. Der Mann, der die Handschelle aufgeschlossen hatte, ging voran. Der Bursche mit der Beretta folgte in knapp drei Schritten Abstand. Der Weg führte durch einen mit Teppichen belegten Flur, über eine moderne frei stehende Wendeltreppe in eine elegante Wohnhalle.
Ein Nebenzimmer war das Ziel.
Der Mann an der Spitze öffnete die Tür. Wieder machte er eine einladende Geste – und Gerrick glaubte zu träumen.
Eine kleine, intime Bar lag vor ihm.
Theke, Hocker, ein paar Tische – alles von bunten, gedämpften Wandlampen beleuchtet. Zwei Tische und drei Hocker waren besetzt. Männer in Smoking und Abendanzügen schlürften Champagner und unterhielten sich leise. Irgendwo im Hintergrund kam die dezente Musik einer Combo vom Tonband und ließ die Szene vollends unwirklich erscheinen.
Gerrick starrte den Mann an, der hinter der Theke mit einem silbernen Mixbecher hantierte.
Ein großer, schlanker Mann. Weißes Dinnerjacket, graue Schläfen, helle Augen. Und das Gesicht ...
Gerrick musste zweimal hinschauen, um zu erkennen, was mit diesem Gesicht nicht stimmte. Es war zu starr, fast völlig ausdruckslos. Die Haut spannte. Und an den Schläfen und im Haaransatz gab es dünne rote Linien – Narben.
Irgendwann einmal musste dieser Mann schwere Gesichtsverletzungen erlitten haben, die von einem Facharzt der plastischen Chirurgie korrigiert worden waren.
Einem Stümper. Oder die Verletzungen waren so schlimm gewesen, dass sich kein besseres Ergebnis erzielen ließ. Gerrick schluckte. Sekundenlang hatte er seine schreckliche Lage vergessen. Jetzt packte ihn wieder die Angst, als er den Blick der kalten hellen Augen spürte.
Der Mann mit dem starren Gesicht verzog die Lippen zur Andeutung eines Lächelns.
»Treten Sie näher, Mister Gerrick«, forderte er mit einer Stimme, die genauso ausdruckslos wie seine Züge war.
Mechanisch folgte Gerrick der Aufforderung.
Das Gefühl zu träumen wurde stärker. Stimmengewirr, leise Musik und Gläserklirren schoben sich wie ein Vorhang zwischen ihn und die Wirklichkeit. Niemand nahm Notiz von ihm. Niemand außer dem Mann hinter der Theke. Es war, als hätte er, Gerrick, als ganz normaler Gast irgendeine beliebige Bar betreten.
»Wer sind Sie?«, brachte er heraus. »Was wollen Sie von mir?«
»Später, Mister Gerrick. Nehmen Sie erst einmal einen Drink.«
Lächelnd schraubte der Mann den Mixbecher auf und füllte ein gekühltes Glas. Gerrick griff danach wie ein Verdurstender. Seine Finger zitterten. Er brauchte dringend ein gewisses Quantum Alkohol. Nach dem ersten Schluck stellte er fest, dass er einen ausgezeichneten Apricot Blossom trank, seinen Lieblingsdrink. Das machte das Ganze noch makabrer und unwirklicher.
Wollte Baccara mit ihm spielen?
Lauerte der Mafiaboss in irgendeinem Versteck, beobachtete ihn, weidete sich an seiner Angst und Verwirrung? Unsinn, dachte Gerrick.
So wichtig war er gar nicht. Carlo Baccara würde sich bestimmt nicht länger mit ihm befassen, als es dauerte, einen Mordbefehl zu geben.
»Bitte«, flüsterte Gerrick kläglich. »Sagen Sie mir doch endlich, was Sie von mir wollen.«
»Nichts Besonderes, Sir. Ich hoffe, Sie werden mir die etwas ungewöhnliche Art der Einladung verzeihen. Mein Name ist Danford. Robert Danford.«
Am anderen Ende der Theke rutschte in diesem Augenblick einer der jungen Männer vom Barhocker.
Er gähnte verhalten – so wie der Gast einer ganz normalen Bar gegähnt hätte, der sich zum Gehen entschloss. Gerrick nahm einen zweiten Schluck von dem Cocktail, weil er hoffte, dass der Alkohol seine Nerven beruhigen würde. Der Unbekannte ging an ihm vorbei. Und was dann geschah, vollzog sich so blitzartig, dass Gerrick keine Zeit blieb, es zu begreifen.
Er spürte die Berührung im Rücken.
Heiß und scharf zuckte etwas durch seinen Körper. Er riss den Mund auf und schnappte nach Luft. Von einer Sekunde zur anderen schien in seiner Brust eine brennende Hölle zu toben. Gerrick wollte schreien. Aber bevor er auch nur einen Laut herausbekam, kippte er schlaff nach vorn, und sein Kopf fiel auf die Bartheke.
Aus seinem Rücken ragte der Griff eines kleinen Dolchs.
Stille sank herab. Irgendjemand stellte das Tonband ab. Nur noch das Tropfen der Flüssigkeit war zu hören, die aus dem umgestürzten Glas rann. Der junge Mann, der Gerrick den Dolch in den Rücken gestoßen hatte, blieb ein paar Schritte neben seinem Opfer stehen und sah fragend in die Runde.
Robert Danford lächelte.
»Geht klar, Joe«, sagte er mit seiner kalten, ausdruckslosen Stimme. »Sie sind bei uns aufgenommen. Jetzt sind Sie einer von uns.«
2
Die Gang, der Rick Sculler angehörte, funktionierte nach dem gleichen Muster wie zahlreiche andere Syndikate.
Buster Delgado, der Boss, saß in seiner Supervilla, von Leibwächtern abgeschirmt, gab die Befehle und führte im Übrigen das Leben eines normalen, gesellschaftsfähigen Bürgers. Die Nachtclubkette, die seine Geschäfte mit Rauschgift und Prostitution tarnte, wurde von einem Geschäftsführer geleitet. Dieser Geschäftsführer hieß Rick Sculler, und sein Hauptquartier befand sich in einem Stripschuppen mit dem bezeichnenden Namen Battlefield.
Es war noch verhältnismäßig früh am Abend, als wir das »Schlachtfeld« betraten.
Lautlos und unauffällig war das Gebäude abgeriegelt worden. Wenn wir Glück hatten, konnten wir auch noch diejenigen von Scullers Komplizen einsammeln, die sein falsches Alibi bezeugten und sich dadurch der Beihilfe schuldig machten. Je mehr Festgenommene, desto größer die Chance, eine Bresche in die Mauer des Schweigens zu schlagen. Wir hatten jedenfalls dafür gesorgt, dass keine Maus mehr aus dem Gangsternest entwischen konnte.
Phil und ich stiegen als Erste die drei Stufen zum Eingang hinauf, öffneten die schwere Relieftür und sahen uns im Foyer um.
Links führte eine Treppe in die oberen Stockwerke. Rechts gab es eine Garderobennische mit einem Schild, das auf den Preis für die Beaufsichtigung der Hüte hinwies: fünf Dollar. Auf der Theke saß eine Art Neandertaler. Rausschmeißerfigur, aufgedunsene Züge und, passend wie die Faust aufs Auge, eine struppige, bis zu den Schultern herabwallende Mähne. Bei unserem Anblick sprang der Bursche auf den Boden. Er baute sich vor dem Vorhang auf, der den Eingang zur Bar abdeckte.
»Noch geschlossen«, grunzte er.
»Den Eindruck hatten wir eigentlich nicht«, behauptete ich.
Der Neandertaler kniff die Augen zusammen. Jetzt sah er so freundlich aus wie ein gereizter Bisonbulle.
»Erst in 'ner halben Stunde«, knurrte er. »Und nur für Klubmitglieder.«
Klar, nur für Mitglieder.
»Klubs« dieser Art sind ein alter Hut. Die Mitgliedskarten gibt es für jedermann an der Abendkasse, und der »geschlossenen Gesellschaft« darf dann mehr geboten werden, als normalerweise die Gesetze erlauben. Einziger Unkostenfaktor für den Lokalbesitzer sind die gedruckten Mitgliedskarten. Und das wird durch den Vorteil wieder wettgemacht, dass niemand eingelassen zu werden braucht, der unerwünscht ist. Zum Beispiel Polizeibeamte, sofern sie keinen richterlichen Durchsuchungsbefehl haben.
Wir hatten einen. Er war notwendig, da wir sonst den Haftbefehl gegen Rick Sculler nicht vollstrecken konnten. Phil griff in die Tasche.
»Das ist ein Durchsuchungsbefehl«, erläuterte er. »Und das hier eine Dienstmarke des Federal Bureau of Investigation. Halte die Hände ruhig, mein Junge! An dem Alarmknopf würdest du dir gewaltig die Finger verbrennen.«
Der Neandertaler schluckte erschrocken.
Eine Sekunde schien er zu schwanken. Der Zorn seines Bosses erschien ihm offenbar bedrohlicher als die Gefahr, sich die Finger zu verbrennen. Mit einer überraschend schnellen Bewegung wirbelte er herum, fiel halb über die Theke und streckte den Arm aus.
Wir hatten etwas Ähnliches erwartet.
Ich federte vor und fing das Gelenk des Burschen ab, ehe er den unauffälligen schwarzen Knopf erreichen konnte. Wütend schrie er auf. Wieder wirbelte er um die eigene Achse. Er holte aus und wollte mir mit der ganzen Wucht der Drehung die Faust in den Leib jagen. Doch im letzten Moment erstarrte er.
Seine Augen funkelten immer noch vor Wut. Die Revolvermündung, die ihm Phil zwischen die Rippen drückte, war selbst für seinen sturen Schädel ein überzeugendes Argument.
Langsam und widerstrebend spreizte er die Arme ab.
»Gut so«, lobte Phil. »Rechts um, marsch!«
»Aber ...«
»Widerstand gegen die Staatsgewalt«, zählte mein Freund auf. »Behinderung eines Polizeieinsatzes. Möglicherweise Beihilfe zum Mord. Genügt das?«
»M-m-mord?«, stotterte der Bursche entsetzt.
»Du sagst es. Also setz dich in Bewegung! Und überleg dir ruhig schon mal, ob in deinem Fall nicht Reden Gold und Schweigen pure Unvernunft ist.«
Der Neandertaler fiel förmlich in sich zusammen.
Folgsam trottete er zur Tür, wo er von Steve Dillaggio in Empfang genommen wurde. Zwei andere Kollegen postierten sich als Eingreifreserve im Foyer. Phil und ich steuerten den Vorhang an, öffneten die dahinterliegende Tür und tauchten ins lilablaue Dämmerlicht der Bar.
In einem hatte der Gorilla die Wahrheit gesagt, auf dem »Schlachtfeld« spielte sich tatsächlich noch nichts ab.
Jedenfalls konnte ich niemand entdecken, der wie ein normaler Nachtschwärmer aussah. Die Tische waren unbesetzt, die Instrumente auf dem Musikerpodium noch eingepackt. Hinter der Theke spülte ein italienischer Keeper lustlos Gläser. Vor ihm auf den Hockern saßen lediglich Rick Sculler und sein engerer Mitarbeiterstab.
Wir kannten alle vier.
Die kannten uns auch. Sie sahen uns sofort, doch sie nahmen unser Erscheinen mit bemerkenswertem Gleichmut zur Kenntnis. Wahrscheinlich waren sie vorbereitet. Wenn Bennie Blues Telefongespräch mit dem FBI nur teilweise belauscht worden war, musste Rick Sculler immerhin damit rechnen, dass der Spitzel seinen Namen genannt hatte. Nur von dem entscheidenden Punkt ahnte Sculler nichts, das sah ich ihm an.
Er hatte sich umgezogen. Er trug jetzt einen cremefarbenen Seidenrolli zum dunkelblauen Anzug. Neben ihm zupfte der übergewichtige Hal Bentley an seinen Manschetten. Lorne Barring und Jason Drago beschäftigten sich angelegentlich mit ihren Drinks. Wenn wir sie fragten, würden sie behaupten, dass sie alle vier schon seit dem späten Nachmittag hier saßen.
»Die hohe Bundespolizei«, sagte Sculler gedehnt. »Und ohne Mitgliedskarten. Die Gentlemen scheinen wild auf Ärger zu sein.«
»Den Ärger werden Sie bekommen, Sculler«, sagte ich trocken.
»Ach wirklich? Dann haben Sie also einen Durchsuchungsbefehl?«
»Sie sagen es. Und außerdem einen Haftbefehl. Ausgestellt auf den Namen Richard Sculler.«
Das höhnische Lächeln bröckelte aus seinem Gesicht.
Er wusste, dass kein Richter einen Haftbefehl nur auf die Tatsache hin ausstellt, dass ein Spitzel einen Namen genannt hat. Und er wusste auch, dass Bennie Blue am Telefon keine entscheidenden Informationen herausgerückt hatte. Scullers dunkle Augen wurden schmal und wachsam.
»Haftbefehl?«, wiederholte er. »Mit welcher Begründung?«
»Mordverdacht, Sculler.«
»Ach! Und wen soll ich abserviert haben?«
»Bennie Blue. Heute Abend um sechs Uhr in einem Hinterhof an der Achten Avenue.«
Die genaue Zeitangabe hätte ihn stutzig machen müssen. Aber er konzentrierte sich darauf, Erleichterung zu mimen.
»Alles Blödsinn«, behauptete er. »Fragen Sie meine Freunde. Die werden Ihnen erzählen, wo ich heute Abend um sechs Uhr war.«
»Wirklich?«
Ich sah in die Runde. Die drei Gangster hatten gehört, dass es um Mord ging. Wenn sie Sculler jetzt ein Alibi lieferten, war das Beihilfe. Und wir konnten es beweisen. Erfahrungsgemäß würde das der allgemeinen Gesprächigkeit der Herrschaften sehr förderlich sein.
Der hagere Jason Drago verzog die Lippen.
»Wir waren hier«, sagte er. »Alle vier. Die ganze Zeit.«
»Seit wann genau?«
»Seit fünf Uhr«, behauptete Lorne Barring.
»Und Rick hat sich nicht weggerührt«, bekräftigte Bentley. »Nicht mal pinkeln ist er gegangen. Nicht wahr, Mario?«
Mario war der italienische Keeper. Er nickte, obwohl er sich sichtlich unwohl in seiner Haut fühlte.
»Fein«, sagte ich. »Nennen Sie uns bitte Ihren vollen Namen, Mario.«
Er schluckte. »Lubelli. Mario Salvatore.«
»Okay«, sagte ich. »Mario Salvatore Lubelli, Hal Bentley, Lorne Barring, Jason Drago – Sie sind vorläufig festgenommen unter dem Verdacht der Beihilfe zum Mord. Ich lese Ihnen jetzt Ihre Rechte vor und ...«
»Moment mal!«, fauchte Sculler. »Das könnt ihr nicht machen! Das ist Einschüchterung von Zeugen! Mein Alibi ...«
»Ihr Alibi ist einen Dreck wert, Sculler«, sagte ich sanft. »Wir haben Sie am Tatort gesehen, mit der Waffe in der Hand.«
»Quatsch! Es war ...«
Er stockte abrupt.
Beinahe hätte er sich verraten.
Ich lächelte matt.
»Stimmt«, sagte ich. »Es war dunkel in dem Hof. Aber wir haben Sie schon gesehen, als Sie die Einfahrt betreten haben, Sculler. Wir sind Ihnen gefolgt. Aus dieser Schlinge werden Sie Ihren Kopf nicht mehr herausziehen.«
Er starrte mich an.
Ungläubig, mit weiten, flackernden Augen. Auch seine Komplizen saßen sekundenlang wie erstarrt auf ihren Hockern. Es war der italienische Keeper, der als Erster reagierte.
»Sie haben mich gezwungen!«, sprudelte er hervor. »Ich musste tun, was sie wollten. Sie hätten mich erledigt, wenn ich nicht ...«
»Du Schwein!«, brüllte Lorne Barring jähzornig und warf sich herum.
Seine Faust zuckte auf den Keeper zu. Eine völlig idiotische Reaktion. Doch in diesen spannungsgeladenen Sekunden hatte sie Signalwirkung.
Sculler versuchte es.
Schon einmal hatte ich erlebt, wie schnell er war. Im ersten Moment sah es so aus, als wollte er Barring in den Arm fallen. Aber er dachte gar nicht daran. Mit einer blitzartigen Bewegung packte er seinen Komplizen an der Schulter, riss ihn herum und trat dabei wuchtig gegen den Barhocker.
»Halt!«, schrie ich.
Sculler ließ sich nicht stoppen.
Der Hocker war umgekippt. Lorne Barring torkelte mit rudernden Armen auf uns zu. Phil und ich hatten bereits die Waffen gezogen. Barring stolperte genau in der Schusslinie herum, und jetzt rutschten auch Hal Bentley und Jason Drago von den Hockern.
Zeit genug für Rick Sculler, um die Pistole aus dem Schulterholster zu reißen. Dabei marschierte er schon rückwärts, der Hintertür zu. Sein Gesicht verzerrte sich. Er war entschlossen, einfach loszuballern, ohne Rücksicht auf seine Komplizen. Je mehr Verwirrung, desto größer seine Chance. So jedenfalls sah seine Rechnung aus – wir reagierten jedoch schneller, als er erwartete.
Ich hatte mich schon zur Seite geworfen, als der Gangster seinen Komplizen auf uns zustieß.