Jerry Cotton Sonder-Edition 178 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 178 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Der Fremde kam nach Amerika, um zu töten. Bei den Opfern fanden wir keinen Hinweis auf den Mörder. Nur ein Doppelkreuz als Todesmal. Es war das Geheimzeichen der Horror-Gang ...


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Inhalt

Cover

Die Horror-Gang

Vorschau

Impressum

Die Horror-Gang

Der Fremde kam nach Amerika, um zu töten. Bei den Opfern fanden wir keinen Hinweis auf den Mörder. Nur ein Doppelkreuz als Todesmal. Es war das Geheimzeichen der Horror-Gang ...

IDie Zufälle

Er kam am Donnerstag, dem 22. März in New York mit einer ganz gewöhnlichen Linienmaschine an.

Das Flugzeug hatte im Warteraum B gut zwanzig Minuten lang kreisen müssen, denn der Luftraum über dem Kennedy Airport war überfüllt. Boston und alle anderen Flugplätze im Nordosten der Vereinigten Staaten konnten wegen schwerer Unwetter keine Landeerlaubnis erteilen und schickten die ankommenden Maschinen weiter nach New York. Doch für die dortigen Fluglotsen war das kein Grund zur Panik. In New York ist man Betrieb gewohnt.

Als die PanAm-Maschine an der Reihe war, wurde sie vom Tower heruntergeholt, eingewiesen und auf ihre Landebahn geschickt. Sie rollte aus. Der Strom der Passagiere schob sich langsam auf die Gepäckausgabe zu.

Der Mann ließ sich mitschieben, suchte seinen Koffer vom Gepäckband und reihte sich in die Schlange vor der Zollabfertigung ein. Der Beamte von der Einwanderungsbehörde prüfte den Pass, las den fremdartigen Namen Hadjuban Nosigora und fragte sich sicher, wie er diesen Namen aussprechen sollte, wenn er ihn aussprechen müsste. Selbst wenn er sich mehr auf die Beschaffenheit des Passes konzentriert hätte, wäre ihm wohl kaum aufgefallen, dass der Pass gefälscht war. Denn es war eine sehr gute Fälschung. Mit einem gewohnheitsmäßigen Lächeln gab er das Reisedokument zurück und wandte sich dem nächsten Passagier zu.

Der Mann schob seinen Koffer zwei Schritte weiter und geriet an einen Zollbeamten, der wütend war, weil seine Ablösung nicht kam.

»Tourist?«, kaute er mit Kaugummi mahlenden Kiefern hervor.

Der Mann nickte stumm.

Der Zollbeamte warf einen Blick auf die elektrische Uhr in der Halle.

»Ich hab Sie gefragt, ob Sie als Tourist einreisen wollen?«

Der Mann nickte noch einmal, stumm wie zuvor.

Der Zollbeamte stemmte den linken Fuß auf den niedrigen Tisch der Gepäckkontrolle, stützte den linken Ellenbogen auf das hochgereckte Knie und legte das massive Kinn in die hochgereckte Hand. Trotz dieser vorgebeugten Haltung war er noch immer so groß wie der Mann vor ihm.

»Sind Sie erkältet?«, fragte er mit falscher Freundlichkeit.

»Nein«, erwiderte der Mann verwundert. »Wieso?«

»Weil Sie gefälligst zu antworten haben, wenn ich Sie was frage! Kapiert, Sir? Also: Tourist?«

»Ja.«

»Wie lange wollen Sie bleiben?«

»Das weiß ich noch nicht.«

»Das wissen Sie noch nicht? Hören Sie mal, wenn ich verreise, dann weiß ich vorher, wie lange ich bleiben werde, oder?«

»Ich weiß es noch nicht.«

Nosigoras Gesicht blieb ausdruckslos.

»Mann, Mann, Mann!«, rief der Zollbeamte. »Wie geht das bei Ihnen, hm? Sie kommen nach Amerika als Tourist, aber Sie wissen nicht, wie lange Sie bleiben werden? Gehören Sie zum Rockefeller-Clan, oder drucken Sie sich Ihr Geld selbst, oder was? Also, wie lange wollen Sie bleiben?«

Nosigora stand unbeweglich wie eine asiatische Götzenfigur. »Ich weiß es noch nicht.«

Der Zollbeamte nahm den Arm vom Knie, den Fuß vom niedrigen Tisch und richtete sich zu seiner imponierenden sechseinhalb großen Figur auf.

»Koffer aufmachen!«, befahl er.

Nosigora tat es. Der Zollbeamte riss die sauber gefalteten Hemden auseinander, betastete die beiden Anzüge aus Hongkong, zog die zusammengerollten Socken auseinander, kippte das Seifenstück aus der Kunststoffdose und schraubte schließlich noch die Zahnpastatube auf. Nosigoras Gesicht verriet nicht die leiseste Empfindung. Der Zollbeamte fuhr mit der Hand die Innenseiten des Koffers ab und stutzte, als er das kleine Klemmfach an der Rückseite fühlte.

»Was ist da drin?«, fragte er.

»Mein Geld.«

»Zeigen Sie mal. Kann ja genauso gut ein Päckchen Opium oder sonst was sein.«

Nosigora holte einen braunen Briefumschlag hervor, klappte die Verschlusslasche auf und hielt das Päckchen hin. Der Zollbeamte bekam große Augen. Hundertdollarnoten – und gleich bündelweise. Er starrte auf das Vermögen, bis ihm jemand von hinten auf die Schulter schlug.

»Entschuldige, dass ich zu spät gekommen bin«, sagte der Kollege. »In so einem verdammten Schlagloch ist mir der linke Vorderreifen geplatzt. Himmel, war ich sauer. Krieg mal deine Karre bei vollem Verkehr aus der dritten Spur an den Straßenrand.«

Wäre der Kollege noch ein paar Minuten länger ausgeblieben, vielleicht hätte der Zollbeamte den Koffer so gründlich untersucht wie die darin befindlichen Kleidungsstücke. Vielleicht hätte er dann den raffiniert eingebauten doppelten Boden entdeckt. So wurde die ungnädige Prüfung abrupt abgeschlossen.

»Erledigt«, bekam Nosigora zu hören.

Dann durfte er seinen Koffer wieder zumachen. Er tat es mit unerschütterlicher Ruhe. Eine Dreiviertelstunde später fuhr er in einem Yellow Cab bereits durch das nördliche Manhattan. In der 102nd Street ließ er sich absetzen, wartete, bis das Taxi um die nächste Ecke verschwunden war, und ging mit seinem Koffer zwei Querstraßen weiter. Er stapfte die Stufen zum Kellergeschoss eines baufälligen Mietshauses hinab und blieb vor der schweren Eisentür stehen, auf der in verblichener roter Schrift stand:

Jack Goal

Leihhaus – Darlehen aller Art

Nosigora drückte die Klinke nieder und zog die schwere Tür auf. Noch einmal ging es sechs ausgetretene Stufen abwärts. Nosigora fand sich in einem unübersehbaren Gewirr alter Möbel, wertloser Bilder, gebrauchter Autoreifen und abgenutzter Sportgeräte wieder. Die einzigen beiden Fenster waren von innen mit stabilen Eisenläden verschlossen. Vier Glühbirnen spendeten ein düsteres Zwielicht.

Nosigora stellte seinen Koffer ab.

»Hallo!«, rief er.

Irgendwo hinter dem alten Plunder polterte etwas, Schritte wurden laut. Dann schob sich Jack Goal hinter einem Kleiderschrank hervor, dessen Politur so zerkratzt war, als hätte jemand versucht, die Landkarte von Texas mit allen Feldwegen in den Lack einzuritzen.

Jack Goal war nur knapp fünfeinhalb Fuß groß, aber er hatte Schultern wie der schwergewichtigste Stauer im Hafen. Den breiten Stummelfingern sah man an, dass sie Telefonbücher zerreißen konnten. Aus seinen hellen wasserblauen Augen musterte er ihn abwartend.

»Mister Goal?«, fragte Nosigora.

»Hm«, brummte Jack Goal.

»Verzeihung«, sagte Nosigora höflich. »Nur können Sie mir beweisen, dass Sie wirklich Mister Jack Goal sind?«

»Beweisen? Ich? Ihnen? Mister, Sie sind doch nicht krank, oder?«

Nosigoras Gesicht blieb ausdruckslos. »Es tut mir sehr leid, Sir, aber ich muss auf meiner Bitte bestehen. Es ist sehr wichtig für mich, dass ich mir absolut sicher bin, tatsächlich mit Mister Jack Goal zu sprechen.«

»Also an Verrückten fehlt's in der Gegend ja weiß Gott nicht«, brummte Goal, »dass einer in meinem Laden aufkreuzt und verlangt, ich soll beweisen, dass ich auch wirklich ich bin – das ist neu, Mister. Wie haben Sie sich diesen Beweis vorgestellt? Soll ich meine Geburtsurkunde vorlegen? Den Führerschein? Die letzte Steuererklärung und eine Aussage von meinem Friseur? Oder wie haben Sie sich das sonst gedacht?«

»Vielleicht können Sie Ihren linken Ärmel ein wenig zurückschieben?«, schlug Nosigora vor.

Goals Stirn schob sich in Falten. »Den linken Ärmel? Warum? Was erwarten Sie dabei?«

Nosigora sah ihn zwei, drei Sekunden stumm an, noch immer mit dem ausdruckslosen Gesicht eines Pokerspielers. »Ich erwarte eine Tätowierung und eine Narbe.«

Jack Goal öffnete den etwas zu breit geratenen Mund, es kam nur ein krächzender Laut über die Lippen. Mit der Rechten fuhr er sich über die Stirn und den weit zurückliegenden Haaransatz. Er musste sich räuspern, bevor er sprechen konnte.

»Die Tätowierung«, sagte er, »das ist kein Kunststück, die haben Tausende in meinem Leben schon zu Gesicht bekommen, Tausende! Aber das mit der Narbe, das können keine zehn Leute wissen. Woher wissen Sie's? Woher?«

Nosigora machte eine höfliche Geste.

»Darf ich bitte erst sehen?«, fragte er.

Jack Goal krempelte den linken Ärmel hoch. Er drehte den Arm ein wenig und hielt seinem geheimnisvollen Besucher den blauen Anker mit den gekreuzten Schwertern hin. Genau unter der Spitze des Ankers befand sich die auffällige Narbe, fast wie eine Wiederholung der Schwerter.

»Gut«, sagte Nosigora. »Jetzt kann ich offen mit Ihnen sprechen. Ich möchte bei Ihnen etwas kaufen.«

»Was?«

»Waffen. Eine deutsche Walther-Pistole und einen deutschen Anschützkarabiner mit aufmontiertem Zielfernrohr. Und dazu ausreichend Munition. Hier sind tausend Dollar – als Anzahlung. Ich komme morgen wieder.«

Draußen stieg Nosigora die Stufen zur Straße hinan und wandte sich nach rechts, dem East River zu. Als er ein Abbruchhaus passierte, sah er auf den rußgeschwärzten Ziegelsteinen die obszönen Aufschriften, die irgendwelche Straßenbanden hinterlassen hatten.

Und es war purer Zufall, dass ausgerechnet in dieser Straße und an diesem Haus in aggressivem Rot jenes Symbol leuchtete, das das ganze FBI und die New Yorker Stadtpolizei beschäftigen sollte wie selten ein rätselhaftes Zeichen zuvor: zwei senkrechte Balken, die von zwei waagrechten gekreuzt wurden.

Das Doppelkreuz. Nosigora betrachtete es lange Zeit.

Nancy Price drückte weinend die Wohnungstür hinter sich zu. Sie konnte es nicht ertragen, wenn sich ihre Eltern stritten. Es kam in letzter Zeit immer häufiger vor. Ja, zweimal hatten sie sich sogar geschlagen. Nancy setzte sich auf die Treppe und weinte leise vor sich hin.

Warum konnten sie sich nicht vertragen wie andere Eltern? Warum konnten sie nicht zum Wochenende gemeinsame Ausflüge machen und überhaupt endlich ein bisschen Zeit für sie haben? Die Welt der Erwachsenen war so verwirrend. Es gab so viel zu fragen, so vieles, das sie nicht verstand. Aber nie hatten Mummy oder Dad Zeit für sie.

Nancy wischte sich mit dem Handrücken die Tränenspuren aus dem Gesicht und stapfte lustlos die Stufen hinab. Ihrer Figur nach hätte man sie getrost für siebzehn oder noch älter halten können. Doch sie war in ihrer geistigen Entwicklung zurückgeblieben und hatte allenfalls die Reife einer Zehnjährigen.

Tatsächlich zählte sie fünfzehn Jahre, sie war immer ein in sich gekehrtes Mädchen gewesen. Selbst zu Gleichaltrigen fand sie nur schwer Kontakt. Seit einiger Zeit litt sie unter ihrer Einsamkeit, was früher nicht der Fall gewesen war. Sie glaubte, es wäre allein die Schuld der immer häufiger streitenden Eltern.

Nancys Eltern wohnten in den George Washington Houses an der Second Avenue, zwischen der 97th und der 104th Street. Es gab ein paar kleine Grünanlagen mit Spielplätzen, und Nancy machte sich auf den Weg dahin. Der dumpfe Schmerz, der ihr die Tränen herausgetrieben hatte, saß noch immer in ihrer Brust, verging jedoch allmählich. Als sie den Spielplatz an der Ecke der 102nd Street erreicht hatte, wurde sie endgültig vom lärmenden Trubel der spielenden Kinder abgelenkt.

Schüchtern stellte sich Nancy an den Rand der Grünfläche und sah ihnen zu. Plötzlich zuckte sie zusammen. Ein roter Gummiball hatte sie am Kopf getroffen. Sie bückte sich und hob den Ball auf, um ihn zu der Gruppe der spielenden Kinder zurückzuschleudern.

Und es war purer Zufall, dass ausgerechnet die vierzehnjährige Jean Marshall den Ball von Nancy Price auffing.

Auch beim FBI gibt es so etwas wie Dienstzeiten. Nur ist bei uns noch keiner alt geworden, der diesen Begriff allzu wörtlich genommen hat. Ein Kollege, der inzwischen in Washington in der Zentrale Karriere gemacht hat, drückte das einmal so aus: »Erledige alle Arbeit, die an einem Tag überhaupt nur irgendwie zu schaffen ist, und wenn du nur zwei Überstunden machen musstest, dann sei deinem Schöpfer und deinem Schicksal dankbar. Du bist beim FBI, Junge! Wie viele Amerikaner können das schon von sich behaupten?«

Ich musste an diesen Satz denken, als am Donnerstag kurz vor sieben Uhr abends in unserem Office das Telefon klingelte.

Ich nahm den Hörer. »Cotton.«

»Hallo!«, brummte eine tiefe Stimme, mit der ich zunächst nichts anzufangen wusste.

Weil ich von einem langen, harten Arbeitstag müde und abgespannt war, ließ ich mich zu der Äußerung hinreißen: »Wer immer Sie sein mögen, Mister Hallo, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt feststellen, dass Sie sich verwählt haben.«

»Den Eindruck habe ich ganz und gar nicht«, erwiderte die sonore Stimme von Bundesanwalt Quaston, die ich jetzt erkannte.

»Entschuldigung, Sir«, sagte ich artig.

»Macht nichts. Ich weiß ja, wie spät es ist. Sagen Sie mal, Cotton, Sie haben heute Vormittag auf dem Flughafen eine gewisse Mona Claridge festgenommen, richtig?«

»Phil Decker und ich. Ja, Sir, das ist richtig.«

»Und sie hatte acht Unzen Heroin bei sich?«

»Ja, Sir.«

»Wo hatte sie den Kram versteckt?«

»Überhaupt nicht, Sir. Sie hatte das Zeug einfach in ihrer Reisetasche. Denn dass zwei Nachthemdchen um das Päckchen gewickelt waren, würde ich noch nicht ein Versteck nennen, Sir.«

»Sicher ... Aber es will mir nicht in den Kopf, dass die heute das Zeug schon völlig offen transportieren.«

»Sir, Miss Claridge ist Stewardess. Die Ladys werden leider – wie das übrige fliegende Personal – nur höchst selten kontrolliert. Die Zollbeamten kennen die Frauen alle, na ja, wie das eben so geht.«

»Sie wollen sagen, dass unsere Zollbeamten bei den hübschen Stewardessen eher einen Flirt im Kopf haben als ihre Vorschriften?«

»Nein, Sir, das habe ich nicht gesagt.«

»Sie haben es angedeutet, Cotton.«

Ich hielt einfach den Mund. Bundesanwalt Quaston war ein erfahrener Mann und ein beliebter Vorgesetzter. Wenn er ausnahmsweise einmal irgendeine Verstimmung an mir abreagieren wollte, bitte, ich kann mindestens genauso geduldig sein wie eine Telefonleitung.

Nach ein paar Sekunden fragte er: »Habe ich Sie gekränkt, Cotton?«

»Nein, Sir.«

»Mann, Cotton, nun seien Sie nicht so kurz angebunden! Ich habe gerade erst Ihr Vernehmungsprotokoll gelesen und mache mich anschließend auf den Weg zum Nachtrichter wegen der Ausstellung eines Haftbefehls. Da wüsste ich ganz gern ein wenig mehr als den Aktentext. Wie sind Sie der Frau überhaupt auf die Spur gekommen?«

»Durch eine eifersüchtige Freundin, Sir. Die beiden haben zusammen ein Apartment. Da merkt jede ganz genau, was die andere treibt. Sie sind offenbar beide in denselben Mann verliebt, nur war Miss Claridge erfolgreicher. Jetzt ist die andere eifersüchtig und hat uns angerufen.«

»Sie wusste, dass Mona Claridge Rauschgift schmuggelt?«

»Nein. Sie wusste nur, dass Miss Claridge irgendetwas schmuggelt, doch sie wusste nicht, was es war.«

»Woher wusste sie es?«

»Sie sagte, keine Stewardess verdiene so viel Geld, dass sie sich so viele Kosmetikartikel und so viele Kleider wie Mona Claridge vom Gehalt erlauben könne.«

»Manchmal sollten wir dankbar sein, dass es noch eifersüchtige Frauen gibt.«

»Manchmal ja, Sir.«

»Hat sie gesagt, an wen sie das Zeug liefert?«

»Ja. Natürlich an den großen Unbekannten. Sie weiß weder seinen Namen noch seine Adresse. Aber ich denke, dass sie es uns noch anvertrauen wird. Mona Claridge war, unseren Computerinformationen zufolge, noch nie in einem Gefängnis. Die erste Nacht in einer Zelle fördert die Bereitwilligkeit zur Zusammenarbeit häufig sehr.«

»Hm. Hatten Sie in letzter Zeit schon einmal einen ähnlichen Fall? Ich meine, Rauschgiftschmuggel durch eine Stewardess?«

»Nein, Sir. Denken Sie an etwas Bestimmtes?«

»Ja ... Die Geschichte ist etwa zwei Jahre her. Auch eine Stewardess und auch Heroin.«

»Vielleicht handelt es sich um denselben Empfänger, Sir. Vielleicht lässt er den Transport gern von Stewardessen erledigen. Können Sie versuchen, sich genauer zu erinnern, Sir?«

Jetzt war ich neugierig geworden. Menschen neigen nun einmal zur Bequemlichkeit, das gilt für Ganoven aller Art genauso wie für gesetzestreue Bürger. Deshalb haben Einbrecher ihre besonderen Objekte und ihre immer wiederkehrenden Methoden. Jeder Zuhälter bringt auf fast immer die gleiche Masche Frauen dazu, für ihn auf den Strich zu gehen. Warum sollte ein Dealer nicht Stewardessen für den Rauschgiftschmuggel gewinnen?

»Erinnern, Cotton, erinnern ... Ja, eines fällt mir ein: Der Fall kam damals nicht vom FBI an unsere Anklagebehörde, sondern vom Zoll. Deshalb können Sie nichts davon wissen. Aber mehr will mir im Augenblick nicht einfallen ... Bleiben Sie an der Strippe, Cotton. Ich gehe in die Registratur und suche mir die Akte heraus.«

Um diese Zeit konnte ihm keine Sekretärin mehr zur Verfügung stehen. Deshalb sagte ich: »Sir, wenn Sie morgen früh ...«

»Nichts da. Wenn es eine Möglichkeit gibt, einen Großdealer heute noch hinter Schloss und Riegel zu setzen, wollen wir es auch heute tun. Bleiben Sie dran. Es wird eine Weile dauern. Ich kenne mich in der Registratur nicht so aus und werde also suchen müssen.«

»In Ordnung, Sir.«

In diesem Augenblick konnte niemand auf der Welt ahnen, dass unser Diensteifer an diesem Abend ein Menschenleben kosten würde.

Ich klemmte mir den Telefonhörer zwischen Schulter und Ohr und war froh, dass Phil gerade von seinem Gang zur Kantine zurückkam – mit zwei dampfenden Kaffeebechern in der Hand.

»Himmel!«, schimpfte er und schüttelte die gespreizten Finger, nachdem er die heiße Last auf meinem Schreibtisch abgestellt hatte. »Wann werden die endlich mal ein Material erfinden, an dem man sich nicht die Finger verbrennt?«

»Nie«, sagte ich.

Phil zeigte auf den Telefonhörer und fragte leise: »Wer ist dran?«

»Bundesanwalt Quaston.«

Während wir vorsichtig den heißen Kaffee schlürften, erzählte ich Phil vom Inhalt des Telefongesprächs mit dem Anklagevertreter beim Bundesgericht.

»Wer hat eigentlich Nachtdienst?«, fragte ich nach einer Weile.

»Einsatzleiter vom Dienst ist Steve Dillaggio. Sein Stellvertreter Zeerookah. Warum?«

»Falls wir noch rausmüssen, um uns diesen Dealer zu holen, nach dessen Adresse Quaston jetzt in den Akten sucht. Wer acht Unzen Heroin bezieht, ist kein Einzelhändler. Dahinter steckt eine Organisation. Und Ruhm hin, Ehre her, ich habe keine Lust, mich nur mit dir allein heute Abend mit der ganzen New Yorker Mafia anzulegen. Ich gehe nicht ohne Verstärkung raus.«

»Du scheinst alt zu werden«, meinte Phil.

»Weil ich keine Suizidabsichten habe?«

»Nein. Weil du endlich vernünftig wirst.«

»Danke.« Ich unterdrückte ein Gähnen und schaute auf die Uhr. Es war 19:20 Uhr. Quaston musste offenbar lange suchen.

Phil hatte sich wieder an seinen Schreibtisch gesetzt und sich über die Akten gebeugt, die er aufarbeiten musste. Vor langer Zeit hatten wir beide mal einen Film über die Frühgeschichte des FBI gesehen. Wir waren aus dem Lachen nicht herausgekommen. Die G-men in dem Film hatten kaum etwas anderes zu tun, als blitzschnell zu schießen. Im ganzen Film sahen wir sie nicht ein einziges Formular auszufüllen. Ich schielte mit schräg gehaltenem Kopf – wegen des eingeklemmten Telefonhörers – auf den Papierberg, der sich auf meinem Schreibtisch angesammelt hatte. Bestimmt ausreichend für weitere zwei Stunden Arbeit.

»Der lässt dich aber warten«, murmelte Phil, ohne von seinen Akten aufzublicken.

»Kann man wohl sagen.«

Ich sah auf die Uhr. 19:32 Uhr. Sollte Quaston etwa vergessen haben, dass ich – nein, da waren entfernte Schritte im Hörer zu vernehmen, die deutlich näherkamen. Jetzt verstummten die Schritte. Gleich würde sich der Bundesanwalt melden. Ich nahm den Hörer wieder in die Hand.

Quaston meldete sich nicht. Dafür waren plötzlich wieder Schritte zu hören. Diesmal entfernten sie sich, und zwar sehr schnell. Als würde jemand rennen!

»Hallo!«, rief ich in den Hörer. »Hallo, Quaston!«

Wieder war es völlig still in der Leitung. Mir kam die Sache seltsam vor. Anderseits wusste ich, wie viele Tausende und Abertausende von Akten in der Registratur einer großen Bundesbehörde hängen. Also klemmte ich mir den Hörer noch einmal zwischen Schulter und Ohr, lehnte mich in meinem Schreibtischsessel zurück und wartete.

Diesmal dauerte es nicht lange. Höchstens anderthalb Minuten später waren wieder eilige Schritte zu hören, erkennbar von zwei Personen. Dann war etwa fünf Sekunden lang Stille, bis eine überraschend helle, junge Männerstimme durch die Leitung drang.

»Hallo! Hallo? Wer spricht dort?«

Wahrscheinlich ein Nachtwächter, der die Runde durch die Büros macht, dachte ich.

»Hier ist das FBI. Agent Cotton am Apparat. Legen Sie den Hörer nicht auf! Bundesanwalt Quaston ist nur in die Registratur gegangen, um eine Akte zu holen.«

Durch die Leitung krächzte ein heiseres Räuspern. »Wo, eh, wohin ist Mister Quaston gegangen, Sir?«

»In die Registratur«

»Nun, eh, Sir, ich meine, eh, das glaube ich nicht, Sir.«

Jetzt hob mein Freund Phil den Kopf und legte seinen Kugelschreiber beiseite. Er sah gespannt zu mir herüber.

Ich wechselte den Hörer in die andere Hand und sagte etwas lauter als vorher: »Was soll das heißen? Sie glauben nicht, dass der Bundesanwalt in die Registratur gegangen ist? Wer sind Sie überhaupt?«

»Patrolman Fisher vom fünften Revier der City Police, Sir. Der Hausmeister hier vom Bundesgericht hat mich gerade von der Straße hereingeholt. Es ist nämlich so, Agent Cotton, Bundesanwalt Quaston kann gar nicht in der Registratur sein. Er liegt tot neben seinem Schreibtisch.«

IIEine unruhige Nacht

Draußen fieselte ein leichter Märzregen. Die wenigen Straßenbäume standen mit nackten Ästen schwarz glänzend im bunten Neonlicht der zahllosen Reklamen. Die Fahrbahn sah aus wie frisch lackiertes Schwarz, unterbrochen von den stumpfen Flecken der Schlaglöcher. New York, sprachen- und völkerschwirrendes Babel der Neuzeit, ist pleite. Angestellte der Stadtverwaltung, Lehrer, sogar Polizisten mussten entlassen werden. Wo soll da noch Geld herkommen, um Straßen auszubessern?

Ich hatte das Warnlicht eingeschaltet und fuhr eine noch zu verantwortende Geschwindigkeit. Es war unser Glück. Knapp drei Wagenlängen vor uns schoss ein gelber Ford auf die Kreuzung heraus, schlingerte und gewann um Haaresbreite die Richtung vor uns. Ich hatte schon die Bremse angetippt, schimpfte auf den Leichtsinn gewisser Autofahrer und bekam von Phil einen Rippenstoß.

»Wir hatten Vorfahrt«, knurrte ich.

»Das weiß ich. Der Verrückte will was von uns!«

Jetzt bemerkte ich es auch. In dem gelben Ford vor uns gestikulierte einer an der hinteren Scheibe, und ein anderer ruderte mit dem Arm aus dem geöffneten Seitenfenster. Dabei leuchteten die Bremslichter auf.

Ich hielt eine Handbreit hinter ihnen und stieg aus. Der feine Nieselregen betupfte beinahe zärtlich mein Gesicht. Ich klappte den Trenchcoatkragen hoch und machte zwei Schritte vorwärts. Neben uns strömte der Verkehr der frühen Abendstunden in unübersehbaren Autoreihen. Aus dem Ford vor uns platschten zwei kurze Füße in die Pfütze neben der Fahrertür. Dann schob sich allmählich ein gewaltiger Bauch aus dem Wagen, und schließlich wurde auch der runde Kopf mit dem schmuddeligen Wildlederhut sichtbar.

Johnny O'Connor vom Herald. Ich kannte ihn fast so lange, wie ich New York kenne. Ein guter Mann. Doch ich war nicht in der Stimmung, einem noch so guten Mann durchgehen zu lassen, dass er mir bei einer Einsatzfahrt auf gefährliche Weise die Vorfahrt nahm.

»Hallo, Cotton«, sagte O'Connor leutselig wie immer. »Hab Ihre Mühle im letzten Augenblick noch erkannt. Fahren Sie jetzt erst runter?«

»Um ein Haar könnte ich überhaupt nirgendwo mehr hinfahren«, knurrte ich.

»Bei mir brauchen Sie keine Angst zu haben. Ob Sie's glauben oder nicht, ich kann Auto fahren. Also los, Cotton, wieso fahren Sie jetzt erst zum US Court House?«

»Was bringt Sie auf die Idee, dass ich dahin fahre?«

»Cotton!« Johnny O'Connor brachte es trotz seiner vielen Speckröllchen fertig, eine beleidigte Miene aufzusetzen. »Vor knapp zehn Minuten kam die Meldung im Zweiten Programm von NBC, Lokalnachrichten: Bundesanwalt Quaston in seinem Office ermordet. Und Sie kommen mit Warnlicht von Ihrem Verein runtergefegt. Also, wo soll's da schon hingehen? Aber warum erst jetzt? Sind schon andere G-men am Tatort?«

»Keine Ahnung«, log ich. »Und jetzt lassen Sie uns vorbei, oder Sie entdecken eine neue Seite an mir, Johnny.«

Er schob sich trotz des Regens den Hut ins überquellende Genick und starrte furchtlos zu mir herauf. »Quaston war verheiratet, ja? Hat er Kinder? Wie viele?«

Ich stopfte wütend meine Fäuste in die Manteltaschen. »Johnny, ich weiß es nicht. Quaston und ich hatten keinen privaten Kontakt. Und selbst wenn ich es wüsste, würde ich es Ihnen nicht heute Abend auf die Nase binden.«

»Mein Gott, warum bloß? Das mit Ihrer Vorfahrt ...«

»Das hat damit nichts zu tun. Ich möchte nur nicht daran schuld sein, dass Sie noch heute Abend seiner Witwe und seinen Kindern mit Ihren blödsinnigen Fragen auf die Nerven gehen. Und jetzt lassen Sie mich vor, oder die Karte an Ihrem Hut ist bald keinen verrosteten Nickel mehr wert.«

Ich zeigte auf die Pressekarte, die er links unter das Hutband geklemmt hatte, zog ihm den Hut bis auf die Nasenspitze herab und drehte mich um. Ich setzte mich ans Steuer und hatte nur einen Gedanken: Hoffentlich sind nicht Phil und ich diejenigen, die offiziell die Witwe benachrichtigen müssen. Dann warf ich den Rückwärtsgang ein, setzte ein paar Yards zurück und schoss wieder vorwärts. An dem gelben Ford vorbei. Vielleicht war Johnny O'Connor jetzt böse mit mir. Ich konnte es nicht ändern.

»Nimm dir Zeit«, sagte Phil leise.