Jerry Cotton Sonder-Edition 180 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 180 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

May war eine faszinierende Frau. Kein Mann konnte ihr widerstehen. Aber sie war nur einem treu - dem Syndikat! Ich war dabei, als es zur Katastrophe kam. Freund und Feind feierten die letzte Party im Penthouse ...

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Inhalt

Cover

Die letzte Party im Penthouse

Vorschau

Impressum

Die letzte Party im Penthouse

May war eine faszinierende Frau. Kein Mann konnte ihr widerstehen. Aber sie war nur einem treu – dem Syndikat! Ich war dabei, als es zur Katastrophe kam. Freund und Feind feierten die letzte Party im Penthouse ...

1

Stadtrat Morton klammerte sich ängstlich ans Geländer. Seit vielen Jahren hatte er nicht mehr auf Schlittschuhen gestanden. Er schien es verlernt zu haben. Die verteufelten Dinger wollten ihm immer die Beine unter dem Körper wegreißen, sobald er losließ.

Er gab sich einen Ruck und wagte ein paar unbeholfene Schritte. So schwer hatte er es sich nicht vorgestellt.

Zu den Klängen sanfter Instrumentalmusik aus den Lautsprechern jagten viele Menschen so rasant um die Bahn, dass Morton Neid empfand. Heute war Einweihung der neuen Kunsteisbahn. Darum tummelten sich vorwiegend Erwachsene darauf.

Ein Stoß traf ihn. Er geriet ins Wanken und ruderte heftig mit den Armen. Insgeheim fluchte er. Mit gezwungenem Lächeln suchte er in der Menge nach dem Grobian, der ihn angerempelt hatte.

Unmöglich zu finden! Er sah nur huschende Umrisse auf Kufen.

Wieder klammerte er sich ans Geländer. Er verfluchte den Beschluss, dass alle Mitglieder des Stadtrats die Eisbahn persönlich einweihen sollten.

Dann musste er jedoch lächeln. Wähler sprachen ihn freundlich an. Eine Mrs. Kershman. Und ihr Mann, ein großer, gutmütiger, hart arbeitender Autoschlosser. Bürger aus Mortons Wahlbezirk.

Sie wechselten einige Worte, und er setzte seinen staksigen Weg fort. Er musste den Leuten zeigen, dass sich auch ein Mann, der die oberste Stufe der beruflichen Erfolgsleiter erreicht hatte, keinen Zacken aus der Krone brach, wenn er bei ganz einfachen Dingen noch mal von vorn anfing.

Während er sich unbeholfen voran arbeitete und sich sagte, dass er sicherer wurde, suchte er nach seiner Frau und den Kindern. Ethel hatte die beiden Kleinen dick eingepackt, denn ironischerweise wartete das Wetter ausgerechnet zur Eröffnung einer Kunsteisbahn mit eisigen Temperaturen auf.

Er konnte Ethel in der Zuschauermenge nicht entdecken. Es war in einer Kleinstadt eben nicht zu vermeiden, dass sie alle möglichen Bekannten traf und dort höfliche Begrüßungsworte wechselte. In dieser Beziehung hatte sie ihn stets hervorragend unterstützt. Die Menschen, die ihn in den Stadtrat gewählt hatten, kannten ihn als jemanden, der sich nicht zu erhaben fühlte, um mit ihnen zu reden. Und Ethel hielt sich an dieses Prinzip.

Er beugte sich vor und stellte fest, dass er seine Körperhaltung schon besser kontrollieren konnte.

Wieder traf ihn ein Stoß, härter diesmal. Der jähe Schwung riss ihm die Beine nach vorn weg. Doch plötzlich waren Fäuste da, die seine Oberarme packten. Stahlkufen in Bremsstellung knirschten neben ihm. Zwei Männer, hochgewachsen und sportlich. Morton hatte sie nie gesehen. Er blinzelte verwirrt. Er musste sich von dem Schreck erholen. Denn vor einem Sturz hatte er höllische Angst. Was, wenn er sich die Knochen brach! Nicht auszudenken. Er hatte sich selbst im Beruf und in seinem politischen Amt so sehr verplant, dass schon ein einziger Tag Arbeitsausfall einer Katastrophe gleichkam.

»Danke«, knurrte er, »aber nächstes Mal passen Sie bitte besser auf.«

»Wir helfen Ihnen ein bisschen«, sagte der Mann zu seiner Linken. »Kommen Sie, Mister Morton. Wenn man weiß, wo's langgeht, lernt man viel schneller.«

Morton wandte den Kopf nach links. Woher kannte der Fremde ihn? Der Mann hatte ein schmales Gesicht mit schwarzem Schnauzbart und grinste anzüglich. Auf dem Kopf trug er eine blau-weiß-rot geringelte Strickmütze. Dazu einen schwarzen Trainingsanzug und wollene Knieschützer. Morton blickte nach rechts. Der zweite Kerl war ähnlich gekleidet, sah nur etwas breiter und massiger aus und hatte ein bartloses Gesicht mit einem nicht minder unverschämten Grinsen.

Morton wehrte sich gegen den Griff. Er versuchte sich zu befreien. Verdammt noch mal, er konnte sich nicht lächerlich machen, sich wie ein kleines Kind herumführen lassen! Doch sein Widerstand war nur schwach. Einmal weil er fürchtete, durch eine zu heftige Bewegung zu stürzen, einmal weil die Fäuste der Männer wie Schraubenstöcke waren.

»Lassen Sie los!«, befahl er. Es sollte energisch klingen. Aber als er seine eigene Stimme hörte, war es eher kläglich.

Die beiden Männer lachten, stießen sich ab und zogen ihn mit sich fort ins Gewühl der geübten Eisläufer. Das Tempo raubte ihm den Atem. Mal hatte er das Gefühl, dass er vornüberkippte, dann wieder, als glitten ihm die Füße nach vorn weg. Die Fremden hielten ihn jedoch mit unglaublicher Sicherheit.

»Sehen Sie, Mister Morton, es kann verdammt gefährlich werden, wenn man sich aufs Glatteis wagt, habe ich recht?«

Morton spürte eine unausgesprochene Drohung. Er wandte den Kopf nicht zur Seite, wollte etwas sagen, brachte nur ein Krächzen heraus. Wieder versuchte er sich zu befreien. Der Griff war jetzt noch härter und unbarmherziger geworden. Die Panik begann als brennender Schmerz in seinem Magen und stieg bis in den Hals hinauf.

Eine scharfe Kurve. Sie rissen Morton mit sich herum wie eine Gliederpuppe. Ein deutliches Zeichen, über welche enorme Körperkraft sie verfügten. Als sie die Gerade wieder erreichten, fuhr der Fremde fort.

»Es ist so, Mister Morton, manchen Leuten passt es nicht, wenn ihnen eine Sache versaut wird, für die sie schon eine Menge Vorarbeit geleistet haben. Besonders schlimm ist das, wenn jemand seine Finger reinsteckt, nur um sich in der Öffentlichkeit wichtig zu machen. So einer darf sich dann nicht wundern, wenn man ihm auf die Füße tritt.«

»Ich ... ich verstehe ... nicht«, ächzte Morton.

»Oh, Sie verstehen verdammt gut, Mann.«

Wieder rasten sie durch eine Kurve, und die Panik brannte heftiger in ihm. Warum, zum Teufel, schrie er nicht? Seine Freunde waren da, alle, die er kannte. Die halbe Stadt war da, und alle würden ihm helfen!

Der Fremde störte seine Gedanken.

»Aber keine Angst, Mister Morton. Wenn Sie wissen, was wir meinen und das in Zukunft beherzigen, werden alle Beteiligten zufrieden sein. Wenn Sie es nicht einsehen, müssen Sie dauernd damit rechnen, dass irgendwas passiert. Wie leicht es dazu kommen kann, sehen Sie ja. Man sollte sich eben nicht aufs Glatteis wagen ...« Er lachte leise.

Auch der andere, der kein Wort gesagt hatte, lachte jetzt.

Thomas Morton fühlte einen Schauer über seinen Rücken kriechen.

»Wir zeigen Ihnen noch mal die richtigen Schritte«, erklärte der Schnauzbärtige mit falscher Freundlichkeit.

Sie legten Tempo zu. Die Menschenmenge war nur noch eine unüberschaubare Masse, durch die sie hindurchstießen wie ein Boot durch dichtes Schilf. Auf einmal war wieder das Geländer zu sehen.

Jäh wurde Morton herumgerissen. Die beiden Männer vollführten eine wilde Kreiselbewegung. Um ihn herum drehten sich die Menschen wie in einer Jahrmarktsschleuder.

Plötzlich waren die Fäuste nicht mehr da. Im selben Moment spürte er einen Stich. Schmerz explodierte in ihm, durchbohrte ihn vom Rücken her.

Und er hatte das Gefühl, in eine endlose Leere geschleudert zu werden. Er wollte schreien. Dann löschte ein neuer, trockener Schmerz alles in ihm aus. Stumm sank er an dem Geländer zu Boden.

Nicht sofort beachteten ihn die Menschen. Stürze gab es alle paar Sekunden. Erst als sich Morton nicht wieder aufrichtete, wurden die Zuschauer hinter dem Geländer aufmerksam. Und erst als sie das Blut auf dem Eis sahen, begriffen sie.

Eine Frau schrie.

Meine Überstunden hatte ich hinter mir, wie es sich für einen Mann im karrierebewussten Alter gehörte. Nicht dass ich mich körperlich abgespannt fühlte. Eher unausgelastet. Es war für mich nun einmal ungewohnt, von morgens um neun bis abends um sieben am Schreibtisch in einem Großraumbüro zu sitzen und über Zahlenkolonnen und ausgedruckten Formularen aus der elektronischen Datenverarbeitung zu brüten. Die drei Pausen und den jeweils dazugehörigen Gang zur Betriebskantine konnte man nicht als körperlichen Ausgleich bezeichnen.

Ich ließ meinen hellblauen Chevrolet Camaro über die Betonrampe in die erleuchtete Tiefgarage hinabrollen. Im Schritttempo rangierte ich in die Parkbucht Nummer 26. Der Camaro stammte aus San Francisco, war dort als Gebrauchtwagen auf meinen Namen gekauft worden. Besser gesagt, auf den Namen, unter dem ich hier in Tappan lebte und werkelte. Noch trug der hellblaue Durchschnittsflitzer die Frisco-Zulassung. Ich hatte bislang keine Zeit gefunden, den Wagen umzumelden und neue Kennzeichen anmontieren zu lassen.

Ich stieg aus, knöpfte meine warm gefütterte Jacke zu und nahm die Pelzmütze und den handlichen Aktenkoffer von der hinteren Sitzbank. Ich war in den tiefsten Winter geraten, hier, an der südlichen Grenze des Bundesstaats New York. Drüben in New Jersey, nur einen Katzensprung entfernt, hatten sie mit den gleichen eisigen Temperaturen zu kämpfen. Das Wetter verhielt sich wie die Leute, hinter denen ich her war. Es scherte sich den Teufel um Staatsgrenzen.

Im kalten Neonglanz ging ich zum hinteren Ende der Tiefgarage, Pelzmütze und Aktenkoffer in der linken Hand. Eine grau lackierte Stahltür war die Verbindung zu den oberirdischen Etagen des Gebäudes, in dem der Konzern viel zu große Apartments für seine Mitarbeiter eingerichtet hatte. Das war keine Verschwendungssucht. In einigen Jahren, wenn das Unternehmen seinen Auftrag in dieser Stadt erledigt hatte, würden die Apartments an Normalfamilien vermietet werden.

Ich öffnete die Stahltür.

Ein Motor begann zu dröhnen. Es war, als hätte ich ihn mit dem Griff zum Türknauf eingeschaltet. Nichts Besonderes, denn die Garage stand voll mit Autos, und sicher gab es Leute, die nach Arbeitsschluss jetzt bereits zum angenehmeren Teil des Abends aufbrachen.

Ich betrat den schmalen Gang, der zum Treppenhaus und zu den Fahrstuhlschächten führte. Am anderen Ende, zehn Yards weiter, gab es eine zweite Tür. Der Gang diente als Luftschleuse, schirmte den wärmeren Wohnteil des Hauses von der kalten Garage ab. Mir fiel auf, dass das Licht ausgeschaltet war.

Hinter mir brüllte der Motor. Reifen kreischten.

Meine Nerven schlugen Alarm. Ich wirbelte herum und wollte zurück.

Ein grelles Scheinwerferpaar raste aus der hellen Weite der Tiefgarage auf mich zu. Mir blieben nicht einmal Sekundenbruchteile, um mich mit einem Sprung aus der Türöffnung zu retten. Blieb nur die Flucht nach vorn, und auch die war knapp. Höllisch knapp!

Bremsen quietschten, als ich mich in den Gang warf.

Mit dem letzten Schwung knallte die Stoßstange zwischen den gleißenden Scheinwerfern gegen die Tür und schmetterte sie ins Schloss.

Mich traf es im Sprung gegen die Schuhsohlen. Ich verlor das Gleichgewicht und schlidderte der Länge nach in völliger Dunkelheit über harten Beton. Aktenkoffer und Pelzmütze machten sich selbstständig.

Fluchend rappelte ich mich auf und tastete nach den kühlen Betonwänden des Gangs.

Der Motor brummte im Leerlauf, trotz der geschlossenen Tür deutlich hörbar. Ich brauchte nicht herumrätseln. Der fremde Wagen stand mit der Stoßstange dahinter, Handbremse angezogen, und sperrte mich ein.

Ich tastete mich zurück, fand den Knauf und bewegte ihn. Die Tür ließ sich nicht einmal fingerbreit öffnen. Ich wandte mich ab und lehnte mich mit dem Rücken an die Betonwand rechts. Alte Taktik.

Zeige deine Breitseite niemals einer geschlossenen Tür!

Wenn der dahinter anfängt zu schießen, zielt er meist zuerst in die Mitte. Das haben sie uns schon bei den ersten Gehversuchen auf der FBI-Akademie in Quantico eingebläut.

Ein Geräusch ließ mich herumkreiseln.

Mattes Licht flutete durch das sich öffnende Rechteck am anderen Ende des Gangs. Der Schein der Notbeleuchtung aus dem Treppenhaus.

Ein Schatten schob sich in das helle Rechteck, die breitschultrige Statur eines Mannes, scharf gezeichnet wie ein Scherenschnitt. Ein zweiter folgte ihm, hielt anscheinend die Tür offen. Ihre Gesichter konnte ich nicht erkennen.

»Caldwell, stimmt's?«, sagte eine raue Stimme.

»Richtig«, antwortete ich. »Jefferson Caldwell, auf dem Landweg frisch importiert aus Frisco.«

Die beiden Schatten lachten glucksend.

»Humorlos ist er nicht, der Junge«, stellte der mit der rauen Stimme fest.

»Dafür hirnlos«, erklärte der andere breit. »Kein normaler Mensch kommt mit dem Auto aus Frisco rauf. Einer, der 'n bisschen denken kann, verscheuert seine Karre da unten, nimmt das Flugzeug und kauft sich hier oben 'ne neue Kiste. Aber Buchhalter sind ja wohl Leute, die jeden Penny zweimal umdrehen. Wahrscheinlich hat er ausgerechnet, dass er im eigenen fahrbaren Untersatz fünfzehn Dollar zwanzig billiger dran ist.«

»Danke für die ausführliche Ansprache«, entgegnete ich lächelnd.

»Für einen Schreibtischhengst hat er 'ne verdammt große Klappe, wie?«

»Lass ihn! Das macht man wie bei Kindern – gar nicht beachten. Wie lange bist du hier, Caldwell?«

»Sechs angenehme Wochen. Das heißt, bis jetzt waren sie angenehm.«

Wieder dieses glucksende Lachen. Die Schatten der beiden Männer waren wie eine unüberwindliche Barriere.

»Sieht so aus, als ob du schnell begreifst, Junge«, meldete sich die raue Stimme wieder. »Das Leben ist hart und manchmal gefährlich. Wie leicht kann einem was passieren! Du passt nur ein einziges Mal nicht auf, und schon wirst du von einem Auto überfahren.« Die vordere Silhouette hob die Arme zu einer theatralischen Geste. »Es gibt ja so verdammt viele Möglichkeiten, was einem alles zustoßen kann.«

»Kann ich mir vorstellen«, erwiderte ich ungerührt. »Nur sollte man eigentlich denken, dass ein Buchhalter ziemlich ungefährlich lebt. Jedenfalls hab ich mir das bisher immer eingebildet.«

»Yeah, Caldwell, da kannst du mal sehen, wie schnell sich eine Lage ändern kann. Im Grunde hast du natürlich recht, mein Junge. Du bist ein kleines Licht und kannst normalerweise keinen Schaden anrichten. Wenn ein kleines Licht am falschen Platz sitzt, könnte es trotzdem Schwierigkeiten geben. Könnte, sage ich!«

»Was wäre also zu empfehlen?« Ich tat, als überlegte ich laut. »Eine Luftveränderung vielleicht?« Allmählich ging mir das Spiel auf die Nerven.

»Donnerwetter«, antwortete der Raustimmige verblüfft. »So viel Pfiffigkeit hätten wir dir nicht zugetraut. Ehrlich nicht. Du machst es uns richtig leicht, Caldwell. Dann weißt du ja auch, dass es für einen kleinen Angestellten immer besser aussieht, wenn er selbst die Kündigung einreicht, als ...«

»So klein bin ich nun auch wieder nicht«, unterbrach ich ihn gekränkt. »Bei der Einstellung wurde mir ausdrücklich gesagt, dass es sich um einen leitenden Posten handelt.«

Der Schatten wischte mit der flachen Hand durch die Luft. »Sorry, Caldwell, das sollte keine Beleidigung sein. Natürlich bist du 'n leitender Angestellter. Bei deinem Grips musst du das ja sein, sonst würdest du die Zusammenhänge nicht so schnell begreifen.«

»Okay«, sagte ich. »Dann ist ja alles klar. Jetzt geht nach Hause, Jungs!« Ich machte zwei Schritte nach vorn, bückte mich blitzschnell und schleuderte dem Wortführer meinen Aktenkoffer entgegen.

Es kam zu überraschend für ihn. Er versuchte sich zu ducken, konnte aber nicht mehr verhindern, dass ihn das kantige Wurfgeschoss irgendwo am Oberkörper traf. Er stieß einen wütenden Knurrlaut aus.

Die winzige Zeitspanne des Erschreckens genügte mir, um bei den Kerlen zu sein. Mit einem Rammstoß trieb ich den vorderen gegen seinen Partner, der unter seinem Jackett nestelte. Gemeinsam torkelten die beiden in die Helligkeit des Treppenhauses. Ich sah sie jetzt gut. Der Wortführer war untersetzt, hatte einen kantigen Schädel mit kurzen dunklen Haaren. Der andere verfügte ebenfalls über beträchtliche Schulterbreite, war schlanker und größer. Unter dem Anprall seines Komplizen ging er auf der freien Fliesenfläche zwischen Fahrstuhl und Treppe zu Boden.

Der Untersetzte erholte sich als Erster von meinem überraschenden Angriff. Er blieb senkrecht und setzte zum Gegenangriff an.

Ich blockte seine Fäuste mühelos ab und konterte mit einer Geraden, die ihm den Atem raubte. Erneut wankte er rückwärts. Wahrscheinlich verlor er in diesen Sekunden seinen Glauben an die Welt und an das Bild, das er sich von einem papiertrockenen Buchhalter gemacht hatte.

Ich hatte wenig Zeit, denn der Große war im Begriff, sich an der Treppe aufzurappeln. Unbarmherzig durchbrach ich den zweiten Angriffsversuch des Untersetzten. Mit drei gezielten Hieben setzte ich ihn außer Gefecht. Lautlos sank er in sich zusammen und streckte sich auf den kalten Fliesen aus.

Der andere hatte es endlich geschafft, die Rechte unter sein Jackett zu schieben. Noch ein Sekundenbruchteil, und er würde mir das Stück Stahl zeigen, das mich einschüchtern sollte.

Ich schnellte auf ihn zu. Meine Handkante traf seinen Unterarm in dem Moment, als er die Waffe schon fast frei hatte. Die schwere Automatik fiel ihm aus den kraftlosen Fingern und landete vor seinen Füßen mit dumpfem Klacken auf dem Boden. Ungläubig starrte er auf seinen rechten Arm, der schlaff und wie gelähmt herabhing. Nur die Schmerzen sagten ihm wahrscheinlich, dass dieser Arm noch zu seinem Körper gehörte.

Ich packte den Mann am Kragen und zog ihn zu mir heran.

»Ich hatte euch höflich gebeten, nach Hause zu gehen«, sagte ich leise und drohend. »Versucht es nicht noch einmal! Beim nächsten Mal würdet ihr wahrscheinlich den Krankenwagen brauchen.«

Er starrte mich mit großen Augen an, als wäre ich eine Erscheinung aus einer fremden Welt. Sein Mund stand noch immer offen, während ich die Pistole aufklaubte, mir meinen Aktenkoffer und meine Pelzmütze schnappte und im Fahrstuhl verschwand. Dass sie noch Lust auf einen Besuch in meiner Wohnung verspürten, war nicht zu erwarten.

Den wilden Mann zu markieren, gehörte zu meiner Rolle. Irgendjemand war nervös geworden. Den Grund dafür kannte ich nicht. Aber es musste derselbe Grund sein, aus dem ich als neuer Mann in der Buchhaltung des Konzerns unbequem wurde. Und jetzt gab ich ihnen Rätsel auf. Vielleicht stieg die Nervosität dadurch ein bisschen.

Natürlich wurde es für mich nun auch gefährlicher.

2

Der Fahrstuhl stoppte mit einem gedämpften Ruck. Geräuschlos glitten die beiden Schiebetürteile aus mattem Aluminium beiseite.

Robert R. Valence spürte seinen Herzschlag bis zum Hals. May brachte es immer noch fertig, ihn aufgeregt wie einen kleinen Jungen zu machen. Er lächelte bei diesem Gedanken und trat in die Teppichbodeneleganz des Penthousekorridors hinaus. Er fühlte sich unwohl mit nur einer langstieligen Rose in der Hand. Seine Art wäre ein mächtiger Blumenstrauß gewesen, den er mit beiden Armen gerade umfassen könnte. Aber May liebte kleine Aufmerksamkeiten, das hatte sie oft genug betont. Und Robert wollte ihr zeigen, dass er das noch immer wusste.

Zögernd ging er auf das Messingschild mit der Schnörkelgravur zu. In der Mitte des Schilds befand sich eine faustgroße Mulde mit dem Klingelknopf. Darunter der Namenszug. Ebenfalls eingraviert.

May Valence.

Robert blieb stehen, betrachtete die Schrift und empfand eine seltsame Art von Stolz. Ihr Name an dieser Wohnungstür bedeutete jene Selbstständigkeit, die sich May immer gewünscht hatte. Und Roberts Stolz rührte aus der Tatsache, dass er ihr diese Selbstständigkeit ermöglicht hatte.

Er atmete tief durch, tastete nach seinem Krawattenknoten und drückte den Klingelknopf. Der Gong tönte leise.

Robert R. Valence trug einen eleganten dunkelblauen Wintermantel, dessen Schnitt seine Statur schlank und breitschultrig erscheinen ließ. Der Mantel überdeckte auch den sonst deutlichen Bauchansatz. Den schleppte er nun seit acht Jahren mit sich herum, und es war sein heimlicher Kummer. Jogging und regelmäßige Hallenbadbesuche halfen nichts. Robert erinnerte sich genau an seinen dreißigsten Geburtstag. Damals war er fünfeinhalb Jahre mit May verheiratet gewesen, und an diesem Tag hatte sie sich zum ersten Mal über seinen beginnenden Wohlstandsbauch lustig gemacht.

Er riss seine Gedanken in die Wirklichkeit zurück. Er hatte den Eindruck, aus der Wohnung leise Musik zu hören. Doch er mochte sich täuschen. Das Penthouse war hervorragend isoliert. Ein wirklich guter Bau, ohne jeden Pfusch. Dank seiner eigenen Kenntnisse und dank seiner guten Beziehungen zu den verschiedenen Fachleuten hatte er das Penthouse damals auf Herz und Nieren prüfen lassen, bevor er es kaufte. Er bereute den Entschluss nicht. Nicht einmal heute.

Er klingelte noch einmal.

Erst Minuten später klirrte die Sicherungskette, und die schleiflackweiße Tür wurde einen Spalt weit geöffnet.

Mays große braune Augen blickten ihn erstaunt an. Die wenigen winzigen Sommersprossen rings um ihren Nasenrücken waren faszinierend wie eh und je. Sie trug kein Make-up an diesem Abend. Ihr schmales, fein geschnittenes Gesicht wirkte jugendlicher als in all den Jahren zuvor. Robert erschien es so, und er genoss sekundenlang ihren Anblick, der ein Gefühl der Wärme bis in seine letzten Nervenfasern verströmen ließ.

»Bob!« Sie sagte es sanft, für ihn klang es zärtlich.

»Hallo, May, Darling.« Er räusperte sich und hielt die langstielige Rose in den Türspalt. »Ich dachte, ich schaue noch einmal vorbei, nach Feierabend.«

Mays Augen leuchteten. Ihr Blick wechselte vom frischen Rot der Blüte zu Robert.

»Das war nicht nötig, Bob. Oh, ich freue mich sehr, ganz ehrlich. Aber weißt du auch, dass du es mir schwer machst, uns beiden ...?«

Hoffnung ließ sein Herz schneller klopfen. Sie wies ihn nicht ab, wie sie es sonst getan hatte. Vielleicht hatte die Zeit des Alleinseins ihre Gedanken in eine ruhigere Bahn gelenkt.

Er riskierte es.

»Hast du einen Schluck zum Aufwärmen für mich?«, fragte er behutsam. »Draußen ist es mörderisch kalt. Nur eine Zigarettenlänge und dann ...«

Ihr Lächeln verschwand. »Weißt du, Bob, es ist so ... du kannst gern hereinkommen. Nur .... ich habe Besuch. Wenn es dich nicht stört ...«

Ein Schmerz stach in seinen Magen.

»Du weißt, dass es mich nicht stört«, zwang er sich zu sagen. »Erstens habe ich kein Recht mehr auf solche Gefühle, und zweitens sind wir beide vernünftige erwachsene Menschen. Das haben wir wohl zu oft vergessen. Du bist frei in all deinen Entscheidungen, May.«

Sie lächelte wieder. Irgendwie schien sie erleichtert. Ja, er musste sie wirklich davon überzeugen, dass er eine Menge dazugelernt hatte. Dass er der Mann geworden war, den sie sich immer vorgestellt hatte.

Sie nickte.

»Entschuldige, dass du so lange draußen stehen musstest. Komm!« Sie löste die Sicherungskette und ließ ihn eintreten.

Er betrachtete sie mit unverhohlener Bewunderung. Jedes Mal, wenn ich sie jetzt sehe, dachte er, ist es so neu und so aufregend wie damals, als wir uns kennenlernten. Vielleicht muss man sich von dem Menschen, den man liebt, erst trennen, um festzustellen, wie sehr man ihn wirklich liebt.

»Danke«, sagte er heiser.

May ging voran. Sie trug die Rose in ihren schmalen Händen wie etwas Kostbares. Robert folgte ihr durch die weiße Halle, in der matte Wandlampen ein behagliches Licht verstreuten. Die Tür zum Wohnzimmer stand halb offen. Tatsächlich war gedämpfte Musik zu hören. Herb Alpert and the Tijuana Brass. Robert erinnerte sich an die Platte, die May jeden Tag zehnmal hören konnte. Er hatte ihr die Stereoanlage mit sämtlichem Zubehör überlassen, wie alles im Penthouse. Nur seine ganz persönlichen Dinge hatte er mitgenommen. Es war nicht billig gewesen, eine eigene Wohnung neu und komplett einzurichten.