Jerry Cotton Sonder-Edition 182 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 182 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Ein Mann wurde erschossen. Ein anderer erwürgt. Ein dritter nahm sich das Leben. Die drei hatten eines gemeinsam: Sie kannten Peggy Steven ... Jetzt war ich an der Reihe. Denn sie klingelte an meiner Tür: Peggy, die 30-Dollar-Lady.


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Inhalt

Cover

Die 30-Dollar-Lady

Vorschau

Impressum

Die 30-Dollar-Lady

Ein Mann wurde erschossen. Ein anderer erwürgt. Ein dritter nahm sich das Leben. Die drei hatten eines gemeinsam: Sie kannten Peggy Steven ... Jetzt war ich an der Reihe. Denn sie klingelte an meiner Tür: Peggy, die 30-Dollar-Lady.

1

Gordon Peacock legte seine Luger auf das Bett und setzte sich daneben. Auf der goldfarbenen Brokatüberdecke wirkte die blau schimmernde Waffe wie ein Fremdkörper von einem anderen Stern.

Das schwarze Mündungsloch zeigte auf Gordon Peacock. Er fröstelte und drehte den Lauf in eine andere Richtung.

Seine Stirn war schweißnass. Er schwitzte unter den Armen, dass ihm das Hemd am Körper klebte. Peacocks Puls raste. Stoßweise pfiff sein Atem durch die zusammengebissenen Zähne.

Gordon Peacock war kein Mörder, nicht einmal ein Verbrecher.

Peacock war Geschäftsmann, der noch nie in seinem Leben einen Menschen getötet hatte. Auch nicht im Vietnamkrieg.

Blicklos starrte er auf die Luger, die sich so tief in die Decke eindrückte, dass eine fast vollständig ebene Fläche entstand. Die tödliche Waffe eingebettet in den Luxus, den das Blenheim Statler Hotel seinen Gästen bot.

Seine Gedanken schweiften ab und verloren sich in der dampfenden grünen Hölle Asiens. Er hörte wieder die schrillen Schreie und Pfiffe fremdartiger Tiere und spürte die Feuchtigkeit, die sich wie eine Hand um seinen Hals legte und ihm das Atmen erschwerte. Regen prasselte auf das Blätterdach des Dschungels und klatschte auf seinen Helm. Seine Armeestiefel mahlten schmatzend durch den aufgeweichten Boden.

Patrouillengang in Vietnam. Damals hatte er das Handwerk des Tötens gelernt.

Szenenwechsel.

Asphaltdschungel von Manhattan. Und nun wollte er töten. Sie sollten ihn nicht umsonst gedrillt haben.

Er war so in die Enge getrieben, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Nur durch einen Mord glaubte er, seine Existenz vor dem skrupellosen Erpresser retten zu können.

Er war siebenunddreißig und hatte sich eine neue Lebensstellung geschaffen. Vor seinem Einsatz war er in der Firma einer von vielen gewesen. Nach seiner Rückkehr hatte er sich kopfüber in die Arbeit gestürzt und Karriere gemacht.

Heute war er jemand. Er hatte es zum Manager gebracht. Er bewohnte mit seiner Frau und seinen beiden Kindern ein eigenes Haus. Er hatte Aussichten, nächstes Jahr noch eine Sprosse auf der Erfolgsleiter nach oben zu fallen.

Und das alles sollte zu Ende sein, weil sich ein mieser Erpresser an seine Fersen geheftet hatte?

»Niemals«, flüsterte Gordon Peacock. »Niemals!«

Er trat an das Fenster seines Hotelzimmers und presste die Stirn dagegen. Die Kühle der Scheibe tat ihm gut. Seine Gedanken klärten sich.

Seine Frau Linda stammte aus einer angesehenen Familie seiner Heimatstadt. Sie war konservativ erzogen worden und besaß strenge Moralvorstellungen. Ließ Peacock es darauf ankommen und spielte der Erpresser das Material seiner Frau in die Hände, so drohte die Scheidung. Dann verlor er die Kinder und war in der Firma unten durch. Dallas war nicht New York. Dort galten andere gesellschaftliche Regeln. Nach einem solchen Skandal könnte er keinen leitenden Posten in der Firma übernehmen.

Die andere Möglichkeit war, dass er nachgab und die Forderung des Erpressers erfüllte. Das ginge vielleicht einige Monate lang gut. Aber irgendwann müsste es herauskommen. Und dann wäre er nicht nur gesellschaftlich und beruflich erledigt, sondern landete sogar im Gefängnis.

Blieb ihm nur noch die letzte Möglichkeit. Mord!

»Es ist Notwehr«, flüsterte Gordon Peacock.

Sein Atem beschlug die Scheibe. Draußen begann es zu regnen. Dämmerung senkte sich auf Manhattan. Wiesen, Wege und Bäume des Central Park tief unter Gordon Peacock verschwammen zu einer grauen Brühe.

Es ist Notwehr, sagte er sich immer wieder, bis er es selbst glaubte. Hastig stieß er sich vom Fenster ab und ging mit drei langen Schritten zum Bett. Seine Finger schlossen sich um den kühlen Stahl der Luger.

Er ließ das Magazin herausgleiten, überprüfte es, schob es wieder zurück und wog die Waffe in der Hand.

Entschlossen steckte er die Luger in die Tasche seines Jacketts, die sich zu weit ausbeulte. Zögernd holte Peacock die Waffe heraus, überlegte und schob sie unter den Gürtel seiner Hose.

Sie zog schwer nach unten, aber niemand bemerkte sie, wenn er das Jackett schloss.

Gordon Peacock hatte sich entschieden. Er wollte dem Erpresser noch eine Chance geben. Nutzte er sie nicht und blieb bei seiner Forderung, hatte er sein Todesurteil gesprochen.

Peacock verließ sein Zimmer und lief zum Aufzug.

Peggy Steven fiel ihm ein. Ihr hatte er das alles zu verdanken. Wäre er ihr niemals begegnet, gäbe es keine Erpressung und keinen Mordplan.

Peggy Steven!

Eine hübsche Larve, hinter der sich das Verderben verbarg. Ein Abgrund!

Der Aufzug hielt auf seiner Etage. Gordon Peacock öffnete die Fäuste und bemühte sich um ein gleichmütiges Gesicht.

Ein grauhaariger Mann stand in der rechten hinteren Ecke. Eine Blondine, zu jung und zu kurvenreich, presste sich kichernd an ihn und kraulte unter dem Jackett seinen Bauch. Der Grauhaarige grinste verlegen, als Gordon Peacock die Kabine betrat.

»Abwärts, Sir?«, fragte der Fahrstuhlboy.

»Zum Restaurant«, antwortete Peacock.

Er hatte keinen Appetit. Aber er musste sich ganz unauffällig benehmen, damit ihm die Polizei nicht hinterher auf die Schliche kam.

Hinterher ... das bedeutete: nach dem Mord.

In Höhe der 54th Street begann es zu regnen. Die Tropfen fielen zuerst vereinzelt und zersprangen wie Minibomben auf der Windschutzscheibe meines Jaguar. An der 55th Street brach der Platzregen los und trommelte auf das Wagendach. Die Scheibenwischer kamen kaum nach. Sie schaufelten den dicken Wasserfilm auf der Windschutzscheibe nach beiden Seiten. Kaum hatten sie einen Bogen vollendet, als bereits wieder glasige Schleier über die Scheibe flossen.

Ich nahm den Fuß vom Gaspedal und stoppte an der Ampel der 57th Street. Rot. Ich ließ den Querverkehr vorbei und überlegte, warum ich nicht wie Tausende New Yorker pünktlich Feierabend machen konnte. Es war sechs Uhr abends. Vor einer Minute noch hatten sich die Leute, die nach Hause hasteten, auf den Bürgersteigen gedrängt. Jetzt standen sie in Hauseingängen oder stürmten die Zugänge zur Subway, sprangen in Busse und enterten die wenigen freien Taxis. Die Bürgersteige waren wie leer gefegt. Die Wassertropfen hüpften auf der lang gestreckten Kühlerhaube meines Wagens noch einmal hoch, ehe sie ineinanderflossen. Hagelkörner mischten sich darunter.

Ich war nicht nach Hause unterwegs, sondern fuhr zum Blenheim Statler Hotel. Von dort hatte vor zwei Stunden ein Paul Allen aus Jersey City angerufen und darum gebeten, wir sollten einen G-man zu ihm schicken. Er werde aber erst nach sechs Uhr im Hotel sein. Am Telefon wollte er nicht mit der Sprache herausrücken. Er vertröstete uns auf das persönliche Treffen.

Die Ampel sprang auf Grün um. Ich fuhr weiter, erreichte Central Park South, bog rechts ein und suchte einen Parkplatz. Aussichtslos. Rechter Hand reihte sich vor den Hotels und Apartmenthäusern ein Wagen an den anderen. Sogar Einfahrten waren zugeparkt.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite war eine Lücke frei. Ehe jemand sie mir wegschnappen konnte, scherte ich nach links aus und ließ den Jaguar mit den Vorderrädern auf den Bürgersteig holpern, der am Central Park entlangführte.

Der Regen trommelte auf den Wagen.

Ich beugte mich vor und starrte zum Himmel hinauf. Bleigrau hingen die Wolken über meinem Kopf. Es hatte keinen Sinn, auf besseres Wetter zu warten. Ausgerechnet jetzt.

Ich stieß die Tür auf, sprang ins Freie und verlor prompt meine Schlüssel. Bevor ich sie aufgehoben und den Jaguar abgeschlossen hatte, war ich bereits von oben her durchnässt.

Auf der Fahrbahn stand das Wasser handbreit. Ehe ich den rettenden Eingang des Blenheim Statler Hotel erreichte, stand das Wasser auch in meinen Schuhen.

Der livrierte Pförtner, selbst im Trockenen unter dem rot-weiß gestreiften Baldachin, betrachtete mich mitfühlend.

»Tut mir schrecklich leid, Sir«, sagte er. Der Baldachin, als Regenschutz gedacht, führte bis zur Bordsteinkante. Diese war ebenfalls zugeparkt. »Wir haben schon die Polizei angerufen, damit sie hier Ordnung schafft. Einige Leute haben ihre Wagen einfach vor der Zufahrt stehen lassen.« Er hob den Kopf und blickte nach beiden Seiten Central Park South entlang. »Wenn man die Polizei schon einmal braucht, kommt sie natürlich nicht.«

»Ist gut, ich bin Kummer gewöhnt«, sagte ich, schüttelte den Regen aus den Haaren und versuchte, nicht an meine nassen Kleider zu denken.

Wenigstens war es in der ganz in Marmor gehaltenen Hotelhalle warm. Sämtliche Plätze der Sitzgruppen waren belegt. In einer Ecke drängten sich zwischen Palmenkübeln ein Dutzend Collegegirls in schmucken blauen Uniformen. Sie sahen ganz so aus, als hätten sie gerade das Hotel verlassen wollen, wären jedoch vom Regen zurückgehalten worden.

Eine der jungen Frauen, eine Blondine mit kesser Stupsnase und Sommersprossen, starrte mich groß an. Um ihre Mundwinkel zuckte es. Sie musste sich das Lachen verbeißen.

Ich zuckte mit den Schultern und grinste zu ihr hinüber. Als ich die Rezeption erreichte, lachte sie bereits. Wahrscheinlich sah ich aus wie eine nasse Katze.

»Sir!« Der dunkelhaarige Clerk mit dem glatten, perfekt rasierten Gesicht und der dynamischen Haltung des Alleskönners sah mit einem leichten Kopfnicken in meine Richtung.

»Ich möchte zu Mister Allen, Mister Paul Allen«, sagte ich. »Melden Sie mich bitte an. Sagen Sie, dass er telefonisch um meinen Besuch gebeten hat.«

»Sofort, Sir. Wen darf ich melden?«

»Mister Allen weiß Bescheid.« Niemand im Hotel brauchte zu wissen, dass ich vom FBI kam.

Der Angestellte sah auf seiner Liste nach und wählte. Ich hörte das Rufzeichen, niemand hob ab.

»Tut mir leid, Sir, aber Mister Allen ...«, begann der Clerk.

»Allen?«, fragte einer seiner Kollegen, der sich bisher mit einer älteren Lady mit blauschwarzen Haaren und strassbesetzter Brille unterhalten hatte. »Mister Allen lässt Ihnen sagen, Sie möchten sofort auf sein Zimmer kommen. Nummer sieben-null-acht.«

Ich nickte ihm zu und ging zum Aufgang. Die Collegegirls waren verschwunden. Schade, dachte ich. Ein so hübscher Anblick könnte den Dienst angenehmer machen und mich das Wasser in meinen Schuhen vergessen lassen.

Siebte Etage, Zimmer Nummer 708. Das war schräg gegenüber dem Aufzug.

Ich betätigte den Türsummer. Drinnen rührte sich nichts. An der Klinke hing der rote Pappstreifen Nicht stören. Trotzdem störte ich und klingelte lang anhaltend. Ich war weder der Zimmerkellner noch ein Vertreter. Paul Allen hatte Hilfe vom FBI angefordert. Das tat kein Mensch ohne triftigen Grund.

Als niemand öffnete, drückte ich gegen die Tür. Sie war nicht abgeschlossen. Ich trat in einen kleinen Vorraum.

Ich schloss hinter mir ab und klopfte an die zweite Tür. Keine Antwort.

»Mister Allen!«, rief ich.

Sicherheitshalber tastete ich nach meinem Schulterholster. Es war alles in Ordnung, der Smith & Wesson griffbereit.

Die Tür schwang auf. Paul Allen bewohnte eines der billigeren Zimmer, die noch immer für meinen Geldbeutel zu teuer gewesen wären. Er hatte kein Licht eingeschaltet, obwohl er im Zimmer war. Ich sah ihn sofort, da es, vom Bad abgesehen, nur diesen einen Raum gab.

Allen lag auf dem Bett. Wenigstens nahm ich an, dass dieser Mann der Paul Allen war, der mit uns telefoniert hatte.

»Mister Allen!«, sagte ich laut und drückte den Lichtschalter.

Eine Deckenlampe flammte auf.

Mitleidlos überschüttete sie den Toten mit kalkigem Licht.

Der Mann war mit einem dunklen Anzug bekleidet. Sein Schlips war gelockert und hing wie ein Strick um seinen Hals. Die Schuhe standen ordentlich neben dem Bett.

Der Mann war tot, kein Zweifel. Seine gebrochenen, weit aufgerissenen Augen starrten auf einen Punkt neben der Tür. Im Moment des Todes hatte sich namenloses Grauen in sein Gesicht gegraben und war festgefroren.

Woran Paul Allen auch immer gestorben war, er hatte keinen sanften Tod gehabt.

Außer mir und dem Toten befand sich niemand im Raum. Ich ging langsam näher und nahm alle Einzelheiten in mich auf. Es gab nichts Verdächtiges. Alles stand oder lag säuberlich geordnet herum. Nichts war verrutscht, heruntergerissen oder durchwühlt worden.

Der Tote zeigte keine Wunden. Mein erster Blick galt seinem Hals im Hemdausschnitt. Dort fand ich keine Würgemale. Er war nicht mit seiner Krawatte erdrosselt worden.

Herzinfarkt? Vielleicht durch Aufregung? Der Anruf bei uns hatte sicherlich einen schwerwiegenden Grund gehabt, der auch eine Attacke hätte auslösen können.

Dann sah ich das Glas auf dem Nachttisch, den weißen Bodensatz und eine leere Seifenschale aus schwarzem Kunststoff. Sie lag neben dem Glas.

Ich roch vorsichtig daran. Mir stieg nur der Duft von Rosenseife in die Nase. Was immer sich in dem Glas befunden hatte, es war geruchlos.

Schon wollte ich zum Telefon greifen und unsere Kollegen von der City Police verständigen, damit sie den geheimnisvollen Todesfall untersuchten, als ich die weiße Ecke eines Blatts entdeckte. Sie ragte aus dem Jackett. Ich wickelte mein Taschentuch um die Finger und holte unter der Jacke des Toten einen Brief hervor. Es sah ganz so aus, als hätte der Umschlag zuerst deutlich sichtbar in den Händen des Mannes gelegen, wäre aber im Todeskampf verrutscht.

AN DAS FBI, stand in Blockbuchstaben auf der Außenseite. Mit dem Taschentuch hielt ich den Brief fest, während ich ihn mit einem Öffner aufschlitzte. Er enthielt nur ein Blatt, mit der Maschine beschrieben. Auf dem Tisch entdeckte ich eine Reiseschreibmaschine. Wir würden später feststellen, ob diese Zeilen auf der Maschine geschrieben worden waren.

Es war ein Abschiedsbrief. Paul Allen erklärte, dass er sich selbst vergiften wolle, weil er den Druck nicht mehr aushalte.

Ich bin Erpressern in die Hände gefallen, die mich ruinieren wollen. Ich kenne die Leute nicht, aber sie lassen nicht locker. Ich glaubte, sie würden Ruhe geben, sobald sie haben, was sie wollen. Doch es ist eine Spirale ohne Ende. Ich kenne nur Peggy Steven. Mit ihr hat alles angefangen. Ich kann nicht mehr. Grüßt meine Frau von mir. Und meine Kinder. Ich kann ihnen nicht unter die Augen treten. Ich habe meinen Namen beschmutzt und bin am Ende ... Ich habe das FBI angerufen und einen Mann hierherbestellt, damit er mich findet und die Zeitungen nicht aufmerksam werden. Ich möchte meiner Frau und meinen Kindern die Blamage ersparen.

Paul Allen

Blieb vorläufig nur eines für mich zu tun. Ich suchte im Jackett des Toten nach seiner Brieftasche, fand sie und ungefähr fünfhundert Dollar, eine Kreditkarte und einen Führerschein, ausgestellt in Jersey City.

Der Tote war Paul Allen. Er hatte als Arzneimittelvertreter gearbeitet. Das erhärtete die Suizidtheorie. Für diesen Mann musste es eine Kleinigkeit gewesen sein, an Gifte heranzukommen.

Auch wenn er sich selbst getötet hatte, blieb es ein Fall fürs FBI. Im Abschiedsbrief war von Erpressung die Rede. Paul Allen kam aus Jersey City und war in New York gestorben. Die Bundespolizei musste sich einschalten.

Ich musste niesen. In den nassen Kleidern fror ich erbärmlich, und meine Füße fühlten sich an wie Eis.

Ich streckte die Hand nach dem Telefon aus, zog sie jedoch ein zweites Mal zurück. Diesmal unterbrach mich der Türsummer.

Ich ging in den Vorraum und schloss die Tür zu Allens Zimmer. Erst danach öffnete ich.

Die Frau war es wert, dass man zweimal hinsah. Sie war fast so groß wie ich, schlank wie ein Mannequin und genauso elegant. Ihr glatt am Kopf anliegendes Haar schimmerte kupferrot. Eine warme, weiche Farbe, die das Smaragdgrün ihrer Augen aufstrahlen ließ. Feine Brauen wölbten sich über den geschmackvoll und dezent geschminkten Augen, denen dunkle Lidstriche etwas Katzenhaftes verliehen.

Ihre sanft geschwungenen Lippen lächelten zurückhaltend. Weiße, wie Perlen glänzende Zähne, dazu Grübchen in den Wangen. Die schrägstehenden, leicht hervortretenden Backenknochen waren echt. Da hatte sie nicht mit Schminke nachgeholfen.

»Ich möchte zu Mister Allen«, sagte die Frau mit einer samtweichen, einschmeichelnden Stimme.

Ich hatte noch Gelegenheit, das teure Kleid aus vielfarbig schillerndem, glänzenden Stoff zu bewundern, das sich wie eine zweite Haut um ihren Körper schmiegte, und die schlanken Beine, die in eleganten schwarzen Schuhen steckten. Dann riss ich mich zusammen.

Der Clerk vorhin an der Rezeption fiel mir ein.

Ich ahmte seinen Ton nach.

»Wen darf ich melden?«

Sie schien keinen Verdacht zu schöpfen. »Mister Allen erwartet mich. Peggy Steven.«

Ich reagierte blitzschnell. Paul Allen hatte Peggy Steven in seinem Abschiedsbrief erwähnt. Mit ihr hat alles angefangen, hatte er geschrieben. Sie musste eine Verbindung zu den Erpressern haben, die Allen in den Tod getrieben hatten.

»Ach, Miss Steven«, sagte ich lächelnd. »Tut mir leid, Mister Allen ist im Moment nicht da.«

Sie runzelte die Stirn. Noch lächelte sie, aber sie hob schon unwillig die Brauen.

»Wir waren fest verabredet, Mister ...?« Sie sah mich fragend an.

»Styner, Jerry Styner«, nannte ich den erstbesten Namen, der mir einfiel. »Ich komme auch aus Jersey City. Ich arbeite für dieselbe Firma wie Mister Allen und soll meinen Kollegen in New York unterstützen. Er ist im Moment nicht da.«

»Das sagten Sie bereits, Mister Styner.« Peggy Steven blickte nervös auf ihre winzige goldene Armbanduhr. »Wann wird er zurück sein?«

»Keine Ahnung, ich bin eben erst gekommen. Ich vermute, er wurde bei einem Kunden aufgehalten. Kann ich Ihnen helfen? Worum geht es denn?«

Sie musterte mich unschlüssig.

Vielleicht sah ich nicht wie ein Arzneimittelvertreter aus in meinen nassen Kleidern und mit den am Kopf klebenden Haaren.

»Ich weiß nicht, Mister Styner, ich ... es ist mehr ...« Sie brach ratlos ab.

»Ich wollte mich nicht einmischen, wenn es etwas Privates ist«, lenkte ich hastig ein.

»Ach nein, das ist es nicht.« Peggy Steven hob die wohlgerundeten Schultern. »Es ist eigentlich ganz einfach. Ich arbeite für einen Hostessenservice. Sie wissen schon, Begleiterinnen für Leute, die in der Stadt fremd sind und jemand suchen, um die Stadt zu besichtigen oder in Restaurants, Kinos oder Theater zu gehen. Mister Allen und ich wollten heute Abend bei Sardi's essen.«

»Keine Ahnung, wann er wiederkommt«, meinte ich. »Vielleicht wird aus Ihrer Verabredung nichts.« Ich fasste einen schnellen Entschluss. »Und wie wäre es, wenn Sie stattdessen mit mir ausgingen? Es bleibt sozusagen in der Familie. Schließlich sind wir von derselben Firma.«

Sie zauberte aus einer Tasche ihres Kleids eine zartrosa Visitenkarte und reichte sie mir.

»Vielleicht sehen wir uns einmal wieder, Mister Styner«, sagte sie noch, ehe sie zum Aufzug lief und den Rufknopf drückte. »Bis dann! Und sagen Sie Mister Allen, dass es mir leidtut.«

»Ich werde es ausrichten«, murmelte ich.

Sie verschwand in der Kabine, und mein Blick fiel auf die Karte in meiner Hand.

Sarina Hostessenservice, Fifth Avenue. Diskret und dezent.

Ich dachte an den toten Paul Allen hinter mir im Hotelzimmer. So diskret und dezent war der Service für ihn nicht ausgefallen.

Jetzt endlich kam ich dazu, alles Nötige zu veranlassen.

Ich rief in unserem District Office an. Diesen Suizid durften wir nicht wie jeden anderen Fall behandeln. Ich kriegte gerade noch Mr. High, unseren Chef, an den Apparat, bevor er nach Hause fuhr. Er sorgte dafür, dass Allens Tod vorerst geheim blieb. Mir blieben die Stunden bis zum nächsten Morgen, um einen Plan auszuarbeiten.

Ich nutzte meine Chance. Bevor ich versuchte, ein paar Stunden Schlaf zu bekommen, war mein Plan fertig.

Die Schlüsselrolle darin spielte Peggy Steven.

2

Am Restaurant des Blenheim Statler Hotel vorbei ging Peggy Steven zu den Telefonkabinen und rief im Office des Sarina Hostessenservice an. Sie meldete, dass der Termin mit Paul Allen geplatzt war, weil sich Allen offenbar bei einem Kunden verspätet hatte, und fragte an, ob es einen Ersatzjob gab, den sie übernehmen konnte.

»Tut mir schrecklich leid, Peggy, das ist aber dumm«, antwortete Mary Blaiter, die Sekretärin des Services. Sie war ein sympathischer, mütterlicher Typ und verstand sich mit »ihren« Mädchen hervorragend, wie sie die Mitarbeiterinnen nannte. »Vor einer halben Stunde habe ich Liz aus ihrer Wohnung geholt. Da ist so ein kanadischer Popanz angekommen, der unbedingt an seinem ersten Abend in New York jemand haben will, der ihm das Händchen hält. Hätte ich das früher gewusst, dass es bei dir nicht klappt, hätte ich Liz in Ruhe gelassen und dich eingeteilt.«

»Kann man nichts machen, Mary«, sagte Peggy Steven mit einem leisen melodischen Lachen. »Dann eben nicht. Bis morgen!«

»Ja, bis morgen, Kindchen.« Mary Blaiter räusperte sich vielsagend. »Gib auf dich acht. Diese Stadt steckt voller Gefahren für kleine Mädchen.«

Peggy Steven lachte noch, als sie auflegte. Gleich darauf wurde sie ernst. Ihr Blick schweifte zu den Türen des Speisesaals. Sie war sich sicher, dass sie einen zahlenden Begleiter für den Abend gefunden hätte, doch dann wäre sie ihren Job los gewesen. Ihr Chef hätte es höchstwahrscheinlich herausgefunden. Vince Sarina hatte überall Augen und Ohren. Er erfuhr die unwahrscheinlichsten Dinge. Peggy staunte manchmal, woher er sie bloß wusste.