Jerry Cotton Sonder-Edition 187 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 187 E-Book

Jerry Cotton

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als ich im Spiegel mein Gesicht sah, erkannte ich mich selbst nicht. Unser Maskenbildner hatte einen neuen Menschen aus mir gemacht. Das war auch nötig. Sie hatten Mr. High mit einem Sprengstoffattentat töten wollen. Jetzt war ich auf ihrer Spur. Sie führte in die Redaktionsräume des Manhattan Morning, und ich wollte dort unerkannt Reporter spielen. Dass es ein Himmelfahrtsjob würde, merkte ich erst, als sie die zweite Bombe legten ...


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 173

Veröffentlichungsjahr: 2022

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Ich, der Reporter

Vorschau

Impressum

Ich, der Reporter

Als ich im Spiegel mein Gesicht sah, erkannte ich mich selbst nicht. Unser Maskenbildner hatte einen neuen Menschen aus mir gemacht. Das war auch nötig. Sie hatten Mr. High mit einem Sprengstoffattentat töten wollen. Jetzt war ich auf ihrer Spur. Sie führte in die Redaktionsräume des Manhattan Morning, und ich wollte dort unerkannt Reporter spielen. Dass es ein Himmelfahrtsjob würde, merkte ich erst, als sie die zweite Bombe legten ...

1

»G-man ...« Die Stimme kam leise und brüchig aus dem Telefonhörer.

Ich hielt noch den Kugelschreiber in der Hand, mit dem ich eine Aktennotiz abgezeichnet hatte. Mechanisch ließ ich ihn fallen und schaltete den Lautsprecher ein.

»Wer spricht?«, fragte ich scharf.

Keine Antwort. Nur schnelles, erregtes Keuchen, das der Lautsprecher verstärkte. Mein Freund und Partner Phil Decker richtete sich kerzengerade auf.

»Die Bombe, G-man«, flüsterte die brüchige Stimme. »Sie geht zu spät hoch ... Zu spät ...«

»Welche Bombe? Und wo?«

»Dynamit! Schnell, G-man! Bei eurem Chef, bei John D. High! Sie werden sterben, alle ...«

Ein Knacken.

Der Unbekannte hatte aufgelegt. Aber ich spürte mit jeder Faser den tödlichen Ernst hinter seinen Worten.

Ein eiskalter Schauer rann mir vom Nacken her das Rückgrat hinunter.

In dem kleinen Konferenzraum in der 26. Etage des Federal Building herrschte dezentes Stimmengemurmel.

Mr. High, Special Agent in Charge und Chef des FBI District New York, hielt einen Sektkelch in der Rechten. Sein silbergraues Haar glitzerte im einfallenden Licht. Das verbindliche Lächeln verriet nicht, was er von der Idee der Gentlemen aus Washington hielt, im New Yorker District Office einen Empfang samt Führung für eine Gruppe in- und ausländischer Journalisten und Zeitungsverleger zu veranstalten.

Das Gemurmel verstummte, als Mr. High das Glas hob. »Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, Ladys und Gentlemen. Lassen Sie uns auf das Gedeihen der freien Presse trinken ...«

»Und auf das Gedeihen unserer glorreichen Bundespolizei!« Einer von New Yorks hartgesottenen Topjournalisten konnte sich die spöttische Bemerkung nicht verkneifen.

Mr. Highs Lächeln veränderte sich nicht.

Er nippte nur an seinem Glas. Jean-Paul Gilles, Korrespondent einer großen französischen Zeitung, beobachtete ihn nachdenklich. Ein beeindruckender Mann, dachte Gilles. Bestimmt kein trockener Bürokrat, schon gar kein sturer Beamtentyp. Die schlanken, feingliedrigen Hände, das schmale Gesicht unter dem silbergrauen Haar und die kultivierte Erscheinung hätten einem Künstler gehören können. Aber in den sensiblen Zügen lagen auch Energie und Härte, kluge Augen verrieten Scharfblick, Einfühlungsvermögen und sichere Menschenkenntnis. Gilles' Aufmerksamkeit wurde durch die langen, sehenswerten Beine einer schwedischen Kollegin abgelenkt.

Einige der Anwesenden traten auf Mr. High zu, um noch ein paar Fragen zu stellen. Assistant Director Clark Norman aus Washington ließ den Blick über die Versammlung gleiten. Führung und Empfang waren seine Idee gewesen. In Washington geschah so etwas öfter. Warum also nicht in New York mit seinem finsteren Ruf als Hochburg der Kriminalität?

Zwei Schritte von dem Mann aus Washington entfernt kämpfte Graydon Reed, der grauhaarige Verleger des Manhattan Morning, offensichtlich gegen das Verlangen nach einer Zigarette.

Auf der anderen Seite des Raums bückte sich Roy Pittson, Publizist aus London, nach der flachen schwarzen Tasche, die er für einen Augenblick an der Wand abgestellt hatte. Auch Roy Pittson hatte noch eine Frage an den New Yorker FBI-Chef. Langsam, mit der typischen Gelassenheit des Engländers, schob sich der Mann aus London durch das Gedränge auf Mr. High zu.

Ich warf den Hörer auf die Gabel.

Phil war so heftig aufgesprungen, dass der Drehstuhl auf seinen Rollen bis an die Wand rasselte. Dynamit, klang es in mir nach. Bei eurem Chef, bei John D. High ...

Kein Wort fiel.

Wir hatten die Stimme des Anrufers gehört und wussten, dass es ernst war. Und noch eins wussten wir: Wenn es überhaupt eine günstige Gelegenheit für ein Attentat auf den New Yorker FBI-Chef gab, dann heute.

Phil hatte sich schon halb herumgeworfen, besann sich jedoch anders und griff nach seinem Telefon.

Er wählte einen Hausanschluss, während ich aus dem Office rannte. Die Tür ließ ich offen. Mein Puls jagte, Schweiß prickelte auf meinem Rücken, nicht nur vom schnellen Lauf. Dynamit, hämmerte es in meinem Schädel. Dynamit ... Dynamit für Mr. High.

Unser Kollege Steve Dillaggio wich zur Seite und starrte mir verblüfft nach, als ich an ihm vorbeijagte.

Etwas in meinem Gesicht ließ ihn stutzen. Ich hörte seine Schritte hinter mir. Kurz vor zwölf! Der Sektempfang musste gleich zu Ende sein. Diese verdammten Bürokraten aus Washington mit ihren Ideen! Das ganze Haus voller Presseleute, ein paar Dutzend fremde Gesichter – jeder Anfänger konnte sich daruntermischen mit einer Bombe in der Aktentasche.

Ich ahnte nicht, wie nah meine von der Angst diktierten Gedankenfetzen der Wahrheit kamen.

Die Tür zum Konferenzraum! Ich biss die Zähne zusammen und sog scharf die Luft ein. Nur keine Panik auslösen! Verdammt, ich musste ...

»Jerry!«, rief Steve Dillaggio hinter mir.

Gleichzeitig öffnete sich auf der linken Flurseite die Tür zu Mr. Highs Vorzimmer. Helen, die Sekretärin des Chefs, erschien mit bleichem Gesicht im Rahmen. Phils Anruf war über ihren Apparat gelaufen wie jedes Gespräch für den Konferenzraum. Mein Freund konnte unmöglich Zeit für irgendwelche Erklärungen gefunden haben. Aber Helens Züge verrieten, dass der Ton seiner Stimme durchaus genügt hatte.

»Jerry, Steve ...«, begann sie atemlos.

Ich wollte sie hastig zurück ins Vorzimmer schieben, doch ich kam nicht mehr dazu.

Der jähe, schmetternde Krach der Detonation war selbst durch die schalldämmende Tür des Konferenzraums zu hören.

Moss Gambler war vom Frühstückstisch aufgestanden.

Nach dem Spätdienst im Umbruch gestern Abend hatte er lange geschlafen. Müde fühlte er sich immer noch. Zu viele Termine, zu viele Zigaretten, wahrscheinlich auch zu viel Whisky. Seine Frau warf ihm einen besorgten Blick zu.

Gambler grinste nur.

Das unbekümmerte Grinsen gehörte zu ihm wie das gelockte blonde Haar und die blauen Augen. Markenzeichen eines berufsmäßigen Sonnyboys, den das Schicksal immer begünstigt hatte.

Jessica Gambler war sein genaues Gegenteil. Eine ruhige junge Frau mit zarten Zügen, dunklem Pagenkopf und nachdenklichen braunen Augen.

Sie lächelte, als Gambler die Arme um sie schlang. Er küsste ihre Nasenspitze.

»Bis nachher, Darling«, sagte er leichthin. »Grüß Tommie von mir, okay?«

»Mach ich. Wirst du spät kommen?«

»Wahrscheinlich. Umbruchwoche, du weißt ja. Bye, Schatz!«

Mit einem Griff schnappte er die zerknautschte Wildlederjacke vom Haken.

Der offene Lotus Esprit parkte vor dem Haus, unabgeschlossen wie immer. Die wertvolle Fotoausrüstung lag auf dem Beifahrersitz – ebenfalls wie immer. Gambler glaubte einfach nicht, dass sich hierher in den ruhigen bürgerlichen Vorort auf Long Island jemand verirren könnte, der Kameras stahl.

Moss Gambler fuhr an dem Kindergarten vorbei, den sein vierjähriger Sohn besuchte.

Das flache Gebäude lag in einem großen Garten voller Spielgeräte. Die Fensterscheiben waren bunt bemalt. Wie jeden Morgen betrachtete Gambler eine bestimmte, etwas windschief geratene Blume – Tommies Meisterwerk! Wie jeden Morgen nahm er sich vor, Tommie in Zukunft mehr Zeit zu widmen. Und wie stets hatte er es schnell wieder vergessen.

Die Mittagsnachrichten aus dem Autoradio erinnerten ihn daran, dass von Morgen eigentlich keine Rede mehr sein konnte.

Der Alte würde bei einer Zufallsbegegnung sicher wieder auf seine charakteristische Art die linke Braue heben. Der Alte kann mich, dachte Gambler vergnügt. Davon abgesehen hatte Graydon Reed heute einen hochoffiziellen Termin beim FBI.

Wäre interessant gewesen, den Laden mal von innen zu sehen, überlegte Gambler.

Sein Blick folgte der Straße, die sich in engen Spitzkehren abwärts wand. Das Gelände senkte sich steil zum Meer hinunter. Gambler sog die frische, salzige Luft ein und wünschte sich, den Tag am Strand zu verbringen statt im Office oder in den benzinverpesteten New Yorker Straßenschluchten.

Vor der nächsten Spitzkehre trat er auf die Bremse.

Ganz kurz verlor der Lotus an Fahrt. Irgendwo im Wageninneren gab es ein ratschendes Geräusch. Moss Gambler drückte den Fuß kräftiger auf das Pedal – und trat ins Leere. Die Kurve flog auf ihn zu.

Felsen, Buschwerk, blauer Himmel über dem Absturz ins Bodenlose. Gamblers Magen verkrampfte sich in der jähen Erkenntnis der Gefahr. Die Bremsen versagten! Er trat wieder und wieder zu. Er trampelte wie verrückt auf dem Pedal herum. Aber der flache, schnittige Sportwagen wurde nur noch schneller.

Buchstäblich in letzter Sekunde gewann Gambler die Herrschaft über seine Nerven zurück.

Blitzschnell schaltete er zurück und riss das Steuerrad herum. Staub wirbelte auf, als die linken Räder über den Randstreifen rollten. Das Heck brach aus, Zweige streiften über den Lack. Gambler grub die Zähne in die Unterlippe, nagelte das Gaspedal ans Bodenblech und beschleunigte eisern, während ihm der kalte Schweiß aus allen Poren brach.

Er segnete das technische Genie des Mannes, der den Lotus entworfen hatte.

Mit Ach und Krach zwang er den Wagen um die Kehre. Das Getriebe kreischte Protest, als er von Neuem zurückschaltete. Zwei Minuten später rollte er im ersten Gang. Er war sich sicher, dass ein paar Zahnräder ihren Geist aufgegeben hatten. Doch er konnte den Lotus nach rechts in den Graben lenken, und das Kratzen kräftiger Äste und Zweige auf dem Blech war unter diesen Umständen Musik in seinen Ohren.

Seine Finger zitterten, als er den Motor abstellte.

Mit dem Handrücken wischte er sich die dicken Schweißperlen von der Stirn. Für ein paar Sekunden blieb er benommen sitzen und wartete darauf, dass sich sein hämmernder Herzschlag beruhigte.

»Verdammter Mist«, murmelte er.

Die Werkstatt hatte gepfuscht. So etwas durfte einfach nicht passieren. Moss Gambler atmete tief durch und stieg aus, um den kurzen Weg zum Haus zurückzugehen.

Mir war kalt, eiskalt von innen her.

Mit zwei Schritten stand ich an der Tür und riss sie auf. Feuer und Rauch. Schreie, Stöhnen, taumelnde Schatten. Ein Lidschlag, eine Ewigkeit – ich weiß nicht mehr, wie lange mein Bewusstsein brauchte, um die Katstrophe zu erfassen.

»O Gott ...« Steve Dillaggios Stimme war ein heiseres Krächzen.

Ich warf mich herum, riss ihn mit und zerrte ihn zu der Nische, wo die Feuerlöscher hingen. Schritte trampelten, irgendwo gellte ein schriller Alarmton und bohrte sich in mein Hirn wie ein glühender Nagel.

Als ich mit dem Feuerlöscher zurückrannte, taumelten mir die ersten Gestalten entgegen. Weiße, verzerrte Gesichter, aufgerissene Augen. Ich biss die Zähne zusammen und drückte mich an der Wand entlang. In der Tür musste ich rücksichtslos die Ellenbogen gebrauchen. Steve blieb dicht hinter mir. Ich hörte ihn keuchen. Chaos herrschte. Eine blinde, besinnungslose Woge der Panik, die die Menschen vorwärts trieb, durcheinanderwirbelte, schlagen, stoßen und treten ließ im verzweifelten Versuch, die Tür zu erreichen.

Ich wich nach rechts aus.

Der zusammengebrochene Konferenztisch brannte. Flammen leckten an den Gardinen hoch und schwärzten die Decke. Alle Fenster waren zersplittert. Der Luftzug fachte das Feuer noch heftiger an. Hart knallte ich die Handkante auf das Ventil des Feuerlöschers.

Weißer, wirbelnder Schaum schoss heraus, ergoss sich zischend in die wabernde Glut und erstickte die Flammen.

Meine Lungen schmerzten.

Ein anderes, helleres Zischen mischte sich in das Geräusch des Feuerlöschers. Dampfschwaden breiteten sich aus. Die Sprinkleranlage, begriff ich. Mein Blick zuckte umher. Das Loch im Fußboden zeigte mir, wo das Zentrum der Explosion lag. Und der Tote zeigte es mir.

Taumelnd kämpfte ich mich weiter.

Ein brennender Sessel. Der Schaumlöscher erledigte, was das herunterrauschende Wasser noch nicht geschafft hatte. Wo war Mr. High? Eine unsichtbare Faust würgte an meiner Kehle und drückte mir unerbittlich die Luft ab. Mit dem Fuß fegte ich ein paar schwelende Holztrümmer beiseite – und da sah ich ihn.

Er lag auf der Seite, reglos.

Blut verfärbte das graue Haar an seinem Hinterkopf. Blutspuren und schwarze Brandflecke bedeckten auch den Anzug. Einen Augenblick überkam mich das schwindelerregende Gefühl eines Sturzes ins Leere. Achtlos ließ ich den Feuerlöscher fallen. Mit zwei Schritten stand ich neben Mr. High, ging in die Hocke und drehte ihn vorsichtig auf den Rücken.

Er lebte. Er war schwer verletzt, aber er lebte. Ich starrte in das weiße Gesicht, fühlte das Heben und Senken der Brust unter meinen tastenden Händen. Immer noch rauschte das Wasser aus den Sprinklerköpfen auf mich herab. Ich merkte nicht einmal, dass Sekunden später jemand die Anlage abstellte.

Phil tauchte auf, Steve Dillaggio, Zeerookah, ein Dutzend anderer Kollegen.

Unser Doc schob mich energisch zur Seite und beugte sich über Mr. High. Ich kam auf die Beine. Draußen auf der Straße heulten Sirenen. Und jetzt drangen auch wieder das Stöhnen der Verletzten und das aufgeregte Geschrei in mein Bewusstsein.

Am liebsten hätte ich die Augen vor dem Bild des Schreckens verschlossen.

Wie ein fernes Echo glaubte ich, die Stimme des anonymen Anrufers zu hören. Diese raue, brüchige Stimme, das fiebrige Flüstern.

»Die Bombe, G-man ... Sie geht zu spät hoch ... Zu spät ...«

Zu spät, wiederholte ich in Gedanken.

Ich erinnerte mich genau an die Worte. Sie hatten sich wie mit Brandzeichen in mein Gedächtnis geprägt.

Allerdings begriff ich beim besten Willen nicht, was dieses »zu spät« bedeuten sollte.

Nur für Minuten hatte sich das District Office in einen Hexenkessel verwandelt.

In dem Augenblick, in dem das Feuer gelöscht war und die ersten Ambulanzen eintrafen, legte sich etwas wie ein unsichtbarer Bann über die Szene. Der Bann jenes disziplinierten, zielbewussten Handelns, das von jedem G-man auch in der kritischsten Situation verlangt wird. Niemand, der nicht kreidebleich und zutiefst geschockt gewesen wäre. Aber auch niemand, der planlos herumlief, den Kopf verlor oder Zeit mit unnützem Gerede vergeudete.

Mr. Highs Stellvertreter Evan Sullivan übernahm das Kommando. Auch er war bei der Explosion im Raum gewesen. Er hatte jedoch nur eine tiefe Schramme an der Stirn davongetragen.

Jetzt gab er mit beherrschter, energischer Stimme seine Anweisungen.

Erste Hilfe, die Versorgung der Verletzten, der Abtransport ins Krankenhaus, das alles lief reibungslos. Die unverletzten Presseleute wurden in Sprechzimmer oder Büros gebracht. Die zuständige Mordkommission war benachrichtigt, ein allgemeiner Alarmplan trat in Kraft.

Es grenzte an ein Wunder, doch es dauerte tatsächlich nicht länger als eine Viertelstunde, bis die Lage sogar in unmittelbarer Nähe des zerstörten Konferenzraums wieder übersichtlich wurde.

Mir war zumute, als lastete ein Tonnengewicht in meinem Magen.

Was tut man, wenn man im Grunde nichts tun kann, nur abwarten? Ich versuchte, den Gedanken an Mr. High mit dem an den anonymen Anrufer zu verdrängen. Warum hatte er gesagt, dass die Bombe zu spät hochgehe? Weil er sein Opfer allein hatte treffen wollen? Weil er in Panik geraten war angesichts der Tatsache, dass der Zünder nicht richtig funktionierte? Dass die Dynamitladung vielleicht mitten in einer Menschenansammlung hochgehen und Opfer fordern würde, die nicht gemeint waren?

Meine Schläfen pochten.

Ein unklarer Impuls zog mich zurück in unser Office, zurück zum Telefon. Wenn der Unbekannte in letzter Sekunde versucht hatte, die Katastrophe zu verhindern, würde er jetzt nicht wissen wollen, was er hier angerichtet hatte? Vielleicht rief er noch einmal an. Vielleicht ...

Meine Gedanken stockten.

Ich hatte den Empfangsraum erreicht, wo sich mehr als ein Dutzend Menschen drängten. Myrna hinter ihrem weißen Pult bediente zwei Telefone gleichzeitig. Lieutenant Easton von der Mordkommission und sein baumlanger Stellvertreter Ed Schulz, beide mit blassen Gesichtern, ließen sich von unserem indianischen Kollegen Zeerookah erste Informationen geben.

Phil hatte ich gesucht, jedoch nirgends entdecken können. Mein Blick glitt über einen sichtlich geschockten jungen Sanitäter, über unseren Cheffeuerwerker Al Baldwin und seine Leute, die auf ihren Einsatz warteten. Steve Dillaggio und der Assistant Director aus Washington bemühten sich gemeinsam, zwei gestikulierende ausländische Journalisten zu beruhigen.

Aber das war es nicht, was meine Aufmerksamkeit erregte.

Irgendwo flammte ein Blitzlicht auf.

Viermal rasch hintereinander.

Als ich den Kopf wandte, fiel mein Blick auf einen hageren dunkelhaarigen Burschen, der gerade die Kamera sinken ließ. Sein schwarzer Anzug saß schlecht. Der Krawattenknoten sah missglückt aus. Ich hatte auf Anhieb das Gefühl, dass der Mann nicht hierher gehörte.

Unruhig schaute er in die Runde. Dann wandte er sich ab.

Die Art, wie er auf die offen stehende Fahrstuhlkabine zu glitt, hatte etwas Verstohlenes. Schlagartig spannte ich mich. Offenbar war ich der Einzige, der den Fremden bemerkt hatte. Ich folgte ihm. Doch da schlossen sich bereits die Glastüren, und die Kabine schwebte abwärts.

Ich nahm den zweiten Fahrstuhl.

Nur mit wenigen Sekunden Verzögerung trug er mich nach unten. Als die Türflügel vor mir auseinanderglitten, sah ich den Hageren quer durch die Halle des Federal Building hasten.

Niemand achtete auf ihn. Der Attentäter befand sich nicht im Haus, das hatte der Anruf bewiesen, und das lag ohnehin klar auf der Hand. Die bewaffneten, uniformierten Wachmänner hatten genug damit zu tun, Neugierige und Sensationsreporter draußen zu halten.

Der Hagere erreichte unbehelligt den Ausgang. Die Glastür öffnete sich, als er die Lichtschranke passierte.

Draußen auf der Plaza stieß ich mit einem kleinen grauhaarigen Mann zusammen, der unter den Reportern wartete. Sein Trenchcoat war ihm zu weit. Eine abgewetzte Kameratasche baumelte um seinen Hals. Er streifte mich mit einem Blick aus unsteten wasserblauen Augen.

Ich murmelte eine Entschuldigung, weil ich ihn angerempelt hatte. Sekunden später hatte ich ihn schon wieder vergessen.

Der kleine Mann zog die Schultern hoch.

Wie alle anderen hatte er zu dem glänzenden, imponierenden Turm des Federal Building hinübergestarrt. Jetzt glitt er ein paar Schritte nach links und zog sich tiefer in den Schutz der Menschentraube zurück. Schultern drückten und stießen ihn. Die Wartenden schlossen sich um ihn wie eine lebendige Mauer. Ab und zu wurden Flüche laut, wenn jemand von hinten zu heftig schob. Uniformierte Cops versuchten, die Neugierigen zum Rand der Plaza abzudrängen. Bei den Reportern stießen sie auf Granit. Die hätte nur ein Bulldozer aus der Nähe des Eingangs, aus dem Dunstkreis der lockenden Sensation vertreiben können.

Der kleine Mann ging weiter.

Es war sinnlos, hier herumzustehen. Er kämpfte gegen das Unbehagen, das ihm die Menge verursachte. Knochige, kräftige Körper, breite Rücken und stoßende Ellenbogen, Köpfe, die ihn alle überragten. Gelächter und zynische Bemerkungen klangen ihm in den Ohren.

»Mann, wird sich der Alte fuchsen, wenn ich ihm den Aufmacher schmeiße!«

»... eine Scheißtechnik, der Laden! Ob du's glaubst oder nicht, da kannst du noch Bleiläuse zählen.«

»Was willst du? Jedenfalls machen sie ein anständiges Layout und keinen Heldenfriedhof voller Hurenkinder ...«

Wieder Gelächter.

Der kleine Mann atmete auf, als er den Rand der Gruppe erreichte. Rasch ging er über die Plaza, sah sich ein paarmal um und verschwand in einer Einfahrt.

Hier vor dem Federal Building konnte er nichts mehr in Erfahrung bringen.

In dem verschachtelten Hinterhof blieb er einen Augenblick stehen. Sein Herz hämmerte. Er wartete, bis sich Puls und Atem etwas beruhigt hatten.

Bevor er den Hof durch die Einfahrt zur Parallelstraße verließ, öffnete er den Deckel einer Müllbox und ließ die leere Kameratasche hineinfallen.

2

Ich weiß nicht, ob ich wirklich glaubte, den Anfang einer heißen Spur zu haben.

Meine Stimmung war so, dass ich auf jede verdächtige Kleinigkeit angesprungen wäre. Vor mir strebte der Hagere eilig dem Broadway zu. Konnte die Kameratasche an seiner Schulter Tarnung sein? Möglich. Aber dann hatte er jedenfalls nicht an dem Empfang teilgenommen. Und er musste sich schon vor der Explosion im Federal Building herumgetrieben haben, weil die Wachmänner danach keinen Reporter mehr hereingelassen hatten.

Ich folgte dem Burschen über die Plaza.

Auf dem Broadway herrschte Mittagsverkehr, ein buntes, quirlendes Gewimmel. Autoschlangen, die wegen der Neugier der Fahrer noch träger vorwärts krochen als sonst. Ich hatte keine Lust, meinen Mann im Gedränge auf dem Gehsteig zu verlieren. Mit ein paar Schritten holte ich ihn ein und tippte ihm auf die Schulter.

Er fuhr herum. Schrecken flackerte in den dunklen, tief liegenden Augen. Das leicht gedunsene Gesicht glänzte von einem dünnen Schweißfilm.

»Ja?«, sagte er gedehnt.

»FBI, Special Agent Cotton.« Ich ließ das Etui mit der Dienstmarke aufklappen. »Darf ich mal Ihre Papiere sehen?«

Er biss sich auf die Unterlippe. Jedermann ist verpflichtet, sich der Polizei gegenüber auszuweisen, das wusste er. Also nestelte er widerstrebend den Presseausweis eines auflagenstarken, aber wenig angesehenen Blatts aus der Tasche.

Bob Valance, zweiunddreißig Jahre alt, gebürtiger New Yorker.

»Danke, Mister Valance«, sagte ich ruhig. »Können Sie mir verraten, warum Sie es so eilig hatten, aus dem Federal Building zu verschwinden?«

Er antwortete nicht.

Das Zucken seiner Mundwinkel spiegelte Wut und Ratlosigkeit, aber keine Angst. Nicht die Reaktion eines Mannes, der sich am Schauplatz seines eigenen Verbrechens ertappt fühlt.

Dass seine Stimme nicht mit der des anonymen Anrufers identisch war, hatte ich ohnehin schon beim ersten Wort festgestellt.

Ich wies auf die Kamera. »Sie wissen, dass ich den Film beschlagnahmen kann, Mister Valance?«

»Quatsch!«, knurrte er.

»Die Fotos sind möglicherweise wichtiges Beweismaterial. Außerdem dürfte Ihnen klar sein, dass wir Sie als Zeugen brauchen.«

»Dann schickt mir eine Vorladung!«, fauchte er. »Sie haben kein Recht ...«

»Ich habe sogar das Recht, Sie vorläufig festzunehmen«, sagte ich trocken. »Verdunkelungsgefahr. Sie haben den Tatort verlassen, ohne jemandem Ihre Adresse zu geben, erinnern Sie sich? Der Film wird übrigens so oder so beschlagnahmt, also ...«

Aus dem Stand wirbelte er herum.

Mir versetzte er einen so heftigen Stoß vor die Brust, dass ich taumelte. Ein paar Passanten blieben stehen. Der Hagere sprang vom Bordstein, rannte auf die Straße – und in der nächsten Sekunde gellte eine Hupe auf.

Bremsen kreischten.

Bob Valance wollte zurückspringen, doch die Stoßstange des heranrollenden Pontiac erwischte ihn noch. Nicht einmal besonders hart. Er wurde herumgeschleudert, stolperte über die Bordsteinkante und stürzte mit dem rechten Arm gegen die Stahlkappe eines Hydranten.

Ein kurzer, gellender Schrei.