Jerry Cotton Sonder-Edition 192 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 192 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

In New Yorks Unterwelt jagten sich die Gerüchte! Es hieß, amerikanische Forscher hätten ein Gegengift gefunden, das alle Heroinsüchtigen für immer heilen könnte. Die Bosse sahen ihre Felle davonschwimmen. Wenn dieses Präparat auf den Markt kam, würde ihr einträglichstes Geschäft, der Rauschgifthandel, tot sein. Und so begannen sie einen erbarmungslosen Krieg gegen die Erfinder des Gegengifts ...


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Seitenzahl: 208

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Das Gegengift

Vorschau

Impressum

Das Gegengift

In New Yorks Unterwelt jagten sich die Gerüchte! Es hieß, amerikanische Forscher hätten ein Gegengift gefunden, das alle Heroinsüchtigen für immer heilen könnte. Die Bosse sahen ihre Felle davonschwimmen. Wenn dieses Präparat auf den Markt kam, würde ihr einträglichstes Geschäft, der Rauschgifthandel, tot sein. Und so begannen sie einen erbarmungslosen Krieg gegen die Erfinder des Gegengifts ...

1

Der Tag war anstrengend gewesen. Er hatte aus nichts anderem bestanden als dem üblichen Klinkenputzen. Meine Suche nach einem Informanten blieb vergeblich. Schon brach die Nacht an diesem regnerischen Tag Ende September herein.

Ich fuhr gerade den West Side Highway von Manhattan Richtung Süden entlang. Für heute hatte ich gründlich die Nase voll. Mit halbem Ohr lauschte ich auf die Durchsagen des Polizeifunks. Meist habe ich ihn eingeschaltet, wenn ich nicht gerade in höchster Eile war.

Die Meldungen gaben das übliche Kaleidoskop eines durchschnittlichen Abends in New York wieder. Verkehrsunfälle, ein Raub, eine unbekannte Leiche, ein flüchtiger Verkehrsrowdy.

Plötzlich horchte ich auf. Der angegebene Ort lag nah an meiner augenblicklichen Position.

»Selbstmörderin im Hotel Ballin, 95th Street West, Manhattan. Will auf die Straße springen. Welcher Wagen ist in der Nähe?«

Es meldete sich keiner. Ich wartete. Automatisch hatte ich den Fuß vom Gas genommen, blinkte nach rechts und hielt auf die nächste Abfahrt vom Highway zu, der hier erhöht verlief.

Der Anruf der Zentrale wiederholte sich. Erneut kam keine Bestätigung.

Anscheinend war kein Patrol Car in der Nähe der 95th Street.

Ich nahm das Mikro aus der Halterung. Mit dem Empfänger stand auch mein Sender auf der Frequenz der örtlichen Polizeifunkzentrale.

»Hier spricht Cotton, FBI«, sagte ich. »Komme ich an?«

»Wir hören Sie deutlich, Cotton.«

»Ich bin in der Nähe und fahre schnell mal hin. Vielleicht kann ich etwas tun. Veranlassen Sie trotzdem das Übliche.«

»Okay, Cotton, danke«, sagte der Zentralesprecher. »Wir sind anscheinend in dieser Gegend im Augenblick etwas knapp. Sie kriegen Hilfe. Over.«

»Over.« Ich hängte das Mikro in die Halterung zurück. Natürlich hätte ich weiterfahren können. Ein Selbstmörder ist an sich keine FBI-Sache. Aber wir helfen, wo es möglich ist.

Drei Minuten später hatte ich die 95th Street West erreicht. Eine Straße aus ziemlich frühen Tagen mit vier- bis sechsstöckigen alten Häusern. Die meisten davon heruntergekommen. Sie führt vom nördlichen Central Park zum Ufer des Hudson.

Schon von Weitem erkannte ich die Gruppe der Schaulustigen. Sie sperrte nahezu die Straße. Ich fuhr meinen Jaguar in eine enge Parklücke, stoppte schräg auf dem Gehsteig und stieg aus.

Gegenüber lag das Hotel Ballin.

Meine Blicke wanderten an der abgebröckelten Fassade hoch. Zunächst war der Grund für die Ansammlung der etwa fünfzig Menschen nicht zu sehen. Dann bemerkte ich die Gestalt oben an der Dachrinne. Sie saß darauf, beide Beine über der Tiefe, als wäre es nur die Einfassung einer Rasenfläche. Mit dem einen Arm stützte sie sich auf die Rinne.

An dem Mansardenfenster über ihr befanden sich zwei Personen. Es sah aus, als redeten sie auf die Gestalt draußen ein. Eine davon machte beschwörende Armbewegungen.

Ich wusste, Eile war geboten. Ein falsches Wort, eine unbedachte Geste und die Unglückliche draußen würde sich in die Tiefe fallen lassen. Sie befand sich etwa sechzig Fuß über dem Gehsteig. Dieser Sturz würde genügen, um sie zu töten.

»FBI, lassen Sie mich durch!« Ich wedelte mit meiner ID Card und drängte mich durch die Neugierigen zum Eingang. Vor dem kleinen Tresen für den Portier blieb ich stehen. »Was ist da oben los?«

»Keine Ahnung, Mister.« Der schwarze Mann hinter dem Tresen sah erst den Dienstausweis und dann mich an. »Die spielt anscheinend verrückt. Na, Sie sind ja jetzt da.«

»Wer ist sie? Hat es etwas gegeben? War jemand bei ihr?«, fragte ich eilig.

»Da.« Der Mann schob mir ein Gästebuch hin. Sein Finger deutete auf einen Namen. Jane Smith, stand da. Ich hatte so einen Namen erwartet. In Absteigen dieser Art tragen sich die meisten Gäste als Smith, Brown oder Fisher ein. Niemand fragt normalerweise danach, ob sie wirklich so heißen.

»Und sonst?«, drängte ich.

»Sie ist allein gekommen. Fiel euch nicht auf – bis eben ...«

Ich verzichtete auf eine weitere Frage. Ich rannte die Treppe hinauf. Der abgetretene Läufer wies Löcher auf und war nachlässig befestigt. Das wacklige Treppengeländer bot nur unzureichenden Halt. Ich musste aufpassen, nicht zu stürzen.

Im sechsten Stock war eine Zimmertür offen. Ein paar Leute davor spähten hinein. Ich betrat den karg möblierten Raum und ging zum Fenster. Dort standen eine Frau und ein Mann. Ich zog sie behutsam weg.

»FBI, Special Agent Cotton. Ich war zufällig in der Nähe«, sagte ich leise, dass die Frau draußen es nicht hören konnte. »Wissen Sie, was los ist?«

»Keine Ahnung, Sir«, sagte die Frau, der Kleidung nach eine Hausangestellte. »Sie ist seit heute Morgen hier. Sieht heruntergekommen aus. Das arme Ding.«

»Wahrscheinlich besoffen oder so«, ergänzte der Mann hart. »Na, versuchen Sie Ihr Glück. Wenn Sie mich fragen, für so eine ist es besser, sie springt und hat den ganzen Schwindel hinter sich.«

Langsam lief ich auf das schmale Fenster zu und beugte mich hinaus. Etwa sechs Fuß schräg unter mir sah ich nun die Frau zum ersten Mal aus der Nähe.

Trotz der mangelhaften Beleuchtung erkannte ich, dass sie noch ziemlich jung war. Jeans, eine hüftlange dünne Jacke, darunter ein T-Shirt, ungepflegtes schulterlanges dunkelblondes Haar.

»Hallo«, sagte ich leichthin, »ziemlich unbequem da draußen. Wollen Sie nicht wieder reinkommen?«

Die Frau wandte mir das Gesicht zu. Sie hatte bis jetzt über die Dächer hinweg in die Ferne geblickt. Ihre Züge waren fein geschnitten, allerdings von Leiden gezeichnet.

Langsam schüttelte sie den Kopf. »Ein Pfaffe, was? Geben Sie sich keine Mühe. In diesen Dreck holt mich keiner zurück, nicht mal Ihr Boss persönlich.«

Sie hielt mich für einen Geistlichen und meinte den lieben Gott.

Mir ging durch den Kopf, was wir von unserem Psychologen für solche Fälle eingetrichtert bekommen hatten. »Ruhig bleiben, ein Gespräch beginnen, Distanz halten«, hatte Dr. Bannerman betont. »Versuchen Sie nicht sofort, den potenziellen Suizidanten von der Tat abzubringen. Reden Sie mit ihm über das Wetter oder die letzten Baseballspiele. Gehen Sie auf das ein, was er sagt. Wenn er auf den Staat, die Polizei oder Gott und die Welt schimpft, schimpfen Sie mit. Sorgen Sie vor allem dafür, dass er sich entspannt. Selbsttötungen geschehen in den seltensten Fällen aus ruhiger Überlegung.«

»Das Leben kann durchaus angenehm sein«, versuchte ich behutsam einzuwirken. »Haben Sie Kummer? Wir könnten darüber reden.«

»Zu spät, Pfaffe.« Es klang endgültig.

»Ich bin vom FBI, mein Name ist Jerry Cotton«, sagte ich und steckte mir mit ruhigen Bewegungen eine Zigarette an. »Möchten Sie auch eine?«

»Seit wann rückt das FBI an, wenn jemand dieses Leben satt hat? Los, hauen Sie ab, verschwinden Sie! Ich hasse all diese professionellen Helfer. Solange man unauffällig dahinvegetiert, kümmert sich kein Schwein darum, ob einer vor die Hunde geht. Erst wenn man die geheiligte öffentliche Ordnung stört, kommt ihr gerannt.«

Die letzten Worte wurden mir wütend entgegengezischt. Ich konnte nicht leugnen, es war etwas daran. Aber ich wollte nicht aufgeben.

»Was müsste geschehen, damit Ihnen geholfen wäre?«

»Mir kann keiner mehr helfen, das Zeug hat mich kaputt gemacht. Da!«

Sie streifte den linken Jackenärmel zurück. Ich sah die dunklen Pünktchen in der Armbeuge und wusste Bescheid. Vereiterte Einstichstellen. Die junge Frau war süchtig.

»Kapiert?«, fragte sie. Ironie schwang in der Frage mit.

»Es gibt Entziehungskuren. Wollen Sie sich von dem Dreckzeug besiegen lassen?« Ich appellierte an ihre Selbstachtung.

»Ich habe es dreimal versucht. Dreimal bin ich rückfällig geworden«, sagte sie bitter und halb in die leere Luft. Ihre Blicke ging durch mich hindurch. »Als Polizist sollten Sie wissen, dass Entziehungskuren einen nicht befreien.«

Dem war nichts hinzuzufügen. Dennoch schöpfte ich Hoffnung. Das Gespräch kam in Gang. In schwachen Ansätzen. Ich brauchte Zeit, viel Zeit. Würde ich sie erhalten?

»Sie haben meine Selbstachtung angesprochen«, sagte die junge Frau.

»Richtig.«

»Gerade weil ich noch einen letzten Rest davon in den Knochen spüre, will ich weg. Sie sehen aus, als könnten Sie das begreifen.«

»Danke«, sagte ich. »Darf ich fragen, wie alt Sie sind?«

»Was würden Sie schätzen?«

»Fünfundzwanzig Jahre«, sagte ich, obwohl die ausgemergelte Gestalt dort unter mir auch zehn Jahre älter sein konnte. »In diesem Alter gibt man nicht auf.«

»Neunzehn bin ich. Seit vier Jahren drücke ich. Mein Körper ist reif zum Wegschmeißen. Seelisch bin ich es schon lange.«

Ich wusste, sei meinte Heroin. Die Altersangabe hatte mich erschreckt, obgleich mir zum Wrack gewordene Jugendliche durchaus nicht fremd waren. Wieder einmal drohte mich der Grimm auf die gewissenlosen Geschäftemacher mit dem weißen Tod zu überwältigen. Ich musste mich beherrschen, um ruhig zu bleiben. Noch war der Kampf um dieses Leben nicht verloren. Wie es mit der Bedauernswerten weitergehen sollte, daran dachte ich in diesem Moment nicht.

Ich brauchte Ruhe und viel Zeit.

Aber das Schicksal hatte anders entschieden.

In der Ferne wurden Signale hörbar. Ich unterschied eine Polizeisirene und das Tuten einer Ambulanz. Die Töne näherten sich.

»Die kommen wohl meinetwegen. Man will mir das rasche Ende nicht gönnen. Lieber soll ich langsam verrecken. Nein!« Die junge Frau rutschte ein Stückchen weiter über die Dachrinne hinaus. »Wollen Sie mir einen Wunsch erfüllen, G-man?«

»Jeden, den ich kann.« Ich musste verhindern, dass meine Stimme bebte.

»Sagen Sie meinem Vater, dass ich nicht verzweifelt war, dass ich nicht gelitten habe. Wollen Sie das tun?«

»Ich verspreche es.«

Während der letzten Sekunden hatte ich fieberhaft nach einer Möglichkeit gesucht, die Todbereite zu fassen.

Es war unmöglich. Selbst wenn ich mich weit aus dem schmalen Fenster beugte, würde ich sie nicht erreichen. Der Abstand war einfach zu groß.

»Er heißt William Peers und ist Manager in Chief der Benson Pharma Corporation. Ich war seine Tochter Joan. Bye, bye, G-man.«

»Nein!«, schrie ich.

Doch der Platz auf der Dachrinne war bereits frei.

Unten ging ein Aufschrei durch die Zuschauer.

Einige Sekunden stand ich unbeweglich, ehe ich vom Fenster zurücktrat. Joan Peers, neunzehn Jahre alt, weilte nicht mehr unter den Lebenden.

Ich brauchte ein paar Augenblicke, um mich zu fassen. Zwar hatte ich schon viele Menschen sterben sehen, aber dieser Tod ging mir an die Nieren. Die Ruhe und Entschiedenheit, mit denen Joan Peers ihr Leben beendet hatte, waren eindrucksvoller als eine wilde Szene.

Dann eilte ich hinunter. Um die Tote auf dem nassen Gehsteig hatte sich ein Ring von Neugierigen geschlossen. Im Augenblick widerten mich die Leute an. Hart bahnte ich mir einen Weg mit den Ellenbogen.

Joan lag mit halb geöffneten Augen auf dem Rücken. Der Sturz aus dem sechsten Stock hatte sie nicht entstellt. Ich beachtete den Nieselregen nicht, der ihr Gesicht benetzte.

Gleich danach trafen ein Patrol Car und eine Ambulanz ein. Ich ging zu den uniformierten Kollegen von der City Police und wies mich aus.

»Es war nichts zu machen, sie wollte sterben.« Ich schilderte kurz den Vorgang.

»Dann können wir die Feuerwehr ja abbestellen.« Der jüngere der beiden Cops kehrte zum Wagen zurück, um eine entsprechende Meldung über Funk zu geben.

Der ältere, ein stämmiger Schwarzer, sah mich von der Seite an. »Was es schlimm?«

»Schlimmer als manches andere.«

»Immer die Jungen«, sagte der Cop. »Das verdammte Sauzeug ist wirklich die Hölle. Man sollte die Schweine, die damit handeln, alle im Hudson ersäufen.« Er ließ einige Sekunden verstreichen. »Wir brauchen Ihre Aussage, G-man. Es genügt, wenn Sie sie schriftlich machen und uns schicken.«

»Okay«, sagte ich. »Sie hat mich gebeten, ihren Vater aufzusuchen.« Damit ging ich in die Hocke und tastete den schlaffen Körper nach Papieren ab. Joan hatte nichts bei sich. Ihre Taschen waren leer. »Ich gehe mal rauf in ihr Zimmer«, unterrichtete ich den Cop.

»Geht in Ordnung, Agent Cotton.« Der Cop nickte mir zu. »Ich veranlasse den Abtransport. Die amtliche Benachrichtigung geht den Angehörigen auf dem Dienstweg zu.«

»Danke.«

Ich drängte mich durch die Neugierigen und begab mich zurück ins Hotel. Langsam stieg ich die Treppe hinauf. Meine Kreppsohlen verursachten dabei kein Geräusch. Niemand begegnete mir. Wer von Gästen und Personal nicht schlief oder arbeitete, verfolgte an einem Fenster die gespenstische Szene unten auf der regennassen Straße.

Als ich den sechsten Stock erreichte, hörte ich aus der offen stehenden Tür von Joans Zimmer Geräusche. Es klang, als durchsuche jemand in fliegender Eile den Raum.

Mit ein paar Schritten war ich da. Ein noch ziemlich junger Mann in Jeanszeug war dabei, die schmierige Bude umzukrempeln. Gerade riss er die Matratzen vom Bett.

»Was machen Sie hier?«

Der Mann fuhr herum. Er war mager, hatte fettiges Haar und ein blasses, pickliges Gesicht. Für einige Sekunden starrte er mich an. Seine Augen flackerten.

»Geht Sie 'nen Dreck an«, sagte er dann.

»Vielleicht doch.« Ich stellte mich in die Tür. »FBI. Wollen Sie die Dienstmarke sehen, oder reicht es, wenn ich es sage?«

»Okay, sie schuldet mir Geld. Ich wollt's mir holen.«

»Sie hat sich umgebracht.«

»Wenn Sie vom FBI sind, sollten Sie das Leben besonders gut kennen. Leben heißt Geld, Geld und noch mal Geld. Wenn Sie keins haben, können Sie verrecken. Und weil sie mir Knete schuldet, suche ich jetzt danach.« Er wandte sich um und kramte weiter.

Es war nicht sein freches Auftreten, das mich zum Eingreifen veranlasste. Mit den Jahren bekommt man einen Blick für Rauschgiftdealer, besonders für die kleinen unter ihnen. Der normale kleine Dealer ist selbst süchtig und verdient sich das Geld für den Stoff, indem er bei einem größeren Händler Rauschgift kauft und es an Endverbraucher verhökert. Der hier sah ganz danach aus.

Ich ging zu ihm hin, packte ihn am Arm und riss ihn herum. »Nicht so hastig, Sportsfreund. Zeig mal, was du in den Taschen hast.«

»Flossen weg!« Der Bursche schlug nach mir. Es war kein Mumm dahinter.

Ich fing den Schlag ab und gab ihm einen Stoß vor die schmächtige Brust, der ihn auf den nackten Bettrost beförderte. Dann fasste ich ihn am Genick, holte ihn hoch und stieß ihn gegen die Wand.

»Hände hoch und Beine auseinander! Du kennst die Leier sicher schon. Ganz artig sein. Sonst nehme ich dich mit. Angriff auf einen Polizisten und versuchter Diebstahl. Es liegt an dir, ob die Latte noch länger wird.«

Meine rasche Aktion hatte ihm die Schneid abgekauft.

Als ich neben dem üblichen Springmesser noch acht Briefchen zutage förderte, wurde er wehleidig.

»Sie hat mir wirklich noch Geld geschuldet, G-man«, winselte er. »Über dreißig Piepen. Ich hab ihr was auf Kredit gegeben. Ihr Alter ist Millionär! Sie musste doch was haben. Wenn unsereiner Verlust macht, kann er im Rinnstein krepieren, G-man. Die Großen kennen kein Erbarmen. Du kriegst bestenfalls 'nen Tritt in den Hintern, wenn sie dich nicht gleich kaltmachen lassen.«

»Geschenkt«, sagte ich. Mein Zorn war plötzlich verflogen. Die Leier hatte ich schon dutzendmal gehört. Und was das Schlimme daran war, sie stimmte aufs Haar. »Komm mit. Ich kann dich nicht laufen lassen. Besitz von Rauschgift – das andere ist vergessen.« Ich holte die Armbänder heraus und legte sie ihm an. »Die Cops sind noch unten. Sie werden dich mitnehmen.«

»D-danke«, stammelte der Bursche. Er hatte aufgegeben.

Ich brachte ihn hinunter. Die Neugierigen, die hinter der eben abfahrenden Ambulanz her geblickt hatten, nahmen mich und den Festgenommenen kaum zur Kenntnis. Es gehört zum Alltag in New York, dass jemand verhaftet wird.

Nachdem die Streife den Dealer mitgenommen hatte, ging ich noch einmal in das Zimmer im sechsten Stock. Unter den wenigen Habseligkeiten fand ich einen zerdrückten Führerschein auf den Namen Joan Maureen Peers und ein Notizbuch. Darin stand unter anderem die Adresse ihres Vaters. Oceanside, 36 Stillman Avenue.

Ich kannte die Gegend. Die Straße lag an der Middle Bay. Dort befindet sich auch der exklusive Country Club. Der Kontrast zu dem armseligen Zimmer im Hotel Ballin hätte kaum größer sein können.

Etwas später fuhr ich nach Hause. Der Regen hatte den Blutfleck auf dem Gehsteig vor dem Hotel weggewaschen, als ich die miese Absteige verließ. Nichts deutete darauf hin, dass hier vor einer knappen Viertelstunde ein junger Mensch aus dem Leben geschieden war, der es noch gar nicht richtig begonnen hatte.

Ich weiß nicht, weshalb mir der Tod von Joan Peers so naheging. Vielleicht hatte mich ihre ruhige Entschlossenheit so beeindruckt. Jedenfalls rief ich später von meiner Wohnung aus meinen Freund und Partner Phil Decker an und sprach mit ihm darüber.

»Verdammt traurig, Jerry«, sagte Phil. »Es ist immer dasselbe. Selbst nach einer Entziehungskur bleibt der Süchtige gefährdet. Er muss sich jeden Tag neu überwinden, um die Finger davon zu lassen.«

»Ich kenne das. Der geringste Anstoß, eine Schwierigkeit etwa, die es zu überwinden gilt, eine Enttäuschung alltäglicher Art und schon hängt er wieder an der Nadel.«

»Das Höllenzeug verändert die Psyche. Es bleibt eine psychische Abhängigkeit, selbst wenn die körperliche überwunden ist. So gesehen sind alle Entziehungskuren unvollständig.«

»Du sagst es, Phil. Wie genau das stimmt, habe ich vorhin wieder gesehen. Glaube mir, es war einfach scheußlich.«

»Ich weiß es, Jerry«, meinte mein Freund. »Ob die Experten einmal etwas entwickeln werden, das diese psychische Abhängigkeit beseitigt oder wenigstens mildert?«

»Zeit wäre es«, sagte ich.

Das Telefon summte.

Jack Dotzman langte nach dem Hörer. »Hallo.«

»Ich bin's. Kannst du sprechen?«

»Moment.« Dotzman hatte die Stimme seines Laufburschen Gino Brolli erkannt. Sein linkes Handgelenk ruckte hoch. Neun Uhr abends vorbei. Wenn Brolli um diese Zeit noch störte, musste es einen gewichtigen Grund geben.

Dotzman gab der Mieze, die er sich für diese Nacht bestellte hatte, einen Wink, das Zimmer zu verlassen. Die schlanke junge Frau mit den unnatürlich groß wirkenden Augen gehorchte sofort.

»Okay, was gibt's?«, fragte Dotzman danach.

»Billy Adams ist hochgegangen«, sagte Brolli. »Vor knapp einer Stunde im Hotel Ballin. Die Cops haben ihn mitgenommen.«

»Wie kam es dazu? Hat er Scheiße gebaut?« Dotzmans Gesicht verzog sich. Auch wenn es sich nur um einen kleinen Dealer handelte – eine Festnahme konnte immer Ärger bedeuten.

»Weiß ich nicht genau, Jack«, sagte Brolli mit einem Schuss Ehrerbietung. »Kurz vorher ist eine aus dem Fenster gesprungen. Sie ist ex. Hat wohl zu Billys Kundinnen gehört. Jedenfalls hat ihn ein Typ vom FBI hinterher in ihrem Zimmer geschnappt. Mehr weiß ich nicht. Wollte dir das nur melden.«

»Okay.« Das war Dotzmans ganze Anerkennung. »Das dumme Schwein wollte wohl schnell noch was mitgehen lassen oder Schulden eintreiben. Du kennst ihn. Ob er quatschen wird?«

»Ich weiß nicht. Er gehört nicht zu den harten Typen. Ist auch schon ziemlich fertig. Zu lange süchtig.«

Dotzman überlegte einen Moment. »Weißt du, wer es war, die rausgesprungen ist?«

»Sie hieß Joan Peers. Mehr hab ich nicht rausgekriegt.«

»Gut, erledigt für heute. Wir behalten Adams im Auge«, sagte Dotzman. »So long.« Er legte auf. Ein paar Sekunden sann er über den Namen Peers nach. Er erinnerte sich, ihn im Zusammenhang mit gewissen Gerüchten in der New Yorker Drogenszene schon einmal gehört zu haben. Worum es sich genau gehandelt hatte, fiel ihm nicht ein.

War ja auch egal. Er steckte die Finger in den Mund und pfiff. Sekunden später kam das Girl herein. Sie hatte sich inzwischen fast ganz ausgezogen und trug nur noch ein paar Fetzen weißer Reizwäsche. Unterwürfig blieb sie in der Tür stehen.

»So ist's fein, mein Engel.« Dotzman grinste. Er goss sich drei Finger hoch Whisky ein und kippte den hellgelben Trank in einem Zug. »Komm her, und nimm auch einen«, forderte er das Callgirl auf. »Das bringt dich in die richtige Stimmung.«

2

»Natürlich gehen Sie hin, Jerry«, sagte unser Chef John D. High am nächsten Morgen. »Nicht nur weil Sie es der unglücklichen Joan versprochen haben. Ihr Vater ist eine bekannte Persönlichkeit in der Pharmaindustrie. Ich möchte, dass ihm der einzige Augenzeuge die Nachricht vom Tod seiner Tochter überbringt.«

Ich hatte zu Dienstbeginn dem Chef die Ereignisse des letzten Abends berichtet. Mr. High hatte zugehört, nicht ohne bewegt zu sein.

»Eine angenehme Mission ist es nicht gerade«, sagte ich. »Wissen Sie etwas über die Familie, Sir? Bei einem traurigen Anlass wie diesem fühlt man sich besser, wenn man die Situation der Leute ein wenig kennt. Der Dealer behauptete, Joans Vater sei Millionär.«

»Das trifft sicher zu. William Peers ist Chefmanager und größter Anteilseigner der Benson Pharma Corporation. Ich bin ihm einmal auf einem Empfang des Stadtparlaments begegnet. Mehr über ihn und seine Familie weiß ich allerdings auch nicht.«

»Gut, ich werde mich vorher telefonisch anmelden. Ob er überhaupt schon vom Tod seiner Tochter Kenntnis hat?«

»Wahrscheinlich nicht, Jerry. Die Behörden arbeiten langsam. Deshalb soll er es in einem persönlichen Gespräch erfahren und nicht durch ein Formular.« Mr. High blickte sekundenlang zu den Fenstern, an denen der Regen hinunterrann. »Damit wäre der Fall für uns erledigt.«

Zunächst rief ich bei Peers zu Hause an. Ein Mann, wahrscheinlich der Butler, sagte mir, Mr. Peers befinde sich im Werk. Ich machte den zweiten Anruf dort und ließ mir sein Vorzimmer geben. Eine forsch klingende Frau gewährte mir einen Termin in einer Stunde, nachdem ich ihr gesagt hatte, ich müsse ihren Chef in einer dringenden Angelegenheit persönlich sprechen.

Das war vor etwa fünfzig Minuten gewesen. Nun bog ich im Süden von Brooklyn vom Shore Parkway ab und fuhr die Rampe zur 50th Bay Street hinunter. Rechts lag in diesem Regengrau das Wasser der Gravesend Bay. Auf der anderen Seite erstreckte sich das unübersehbare Häusermeer von Brooklyn und dahinter das von Queens.

Die Hauptniederlassung der Benson Pharma entpuppte sich als ein ziemlich großer Betrieb. Neben älteren Fabrikationsgebäuden gab es mehrere neu erbaute Trakte. Das Areal war von einem hohen Maschendrahtzaun umgeben.

Ich stellte den Jaguar auf dem Firmenparkplatz ab, ließ mir den obligaten Besucherzettel reichen, und ein uniformierter Werkschutzmann beschrieb mir den Weg zur Chefetage.

Im Vorzimmer des obersten Direktors saßen zwei seriös aussehende Sekretärinnen. Mit der älteren von ihnen hatte ich gesprochen. Laut einem Namensschild hieß sie Mrs. Dove. Ich zeigte ihr meine ID Card.

»Worum handelt es sich, Agent Cotton? Sie sprachen von einer persönlichen Angelegenheit.«

»Kennen Sie Mister Peers' Tochter Joan?«

»Geht es um sie?« Die Miene der Sekretärin verdüsterte sich. »Ein trauriger Fall, soweit ich unterrichtet bin. Es muss etwas Ernstes sein, wenn sich ein FBI Agent herbemüht.«

»Sie ist tot«, sagte ich. »Wird es dem Vater sehr nahegehen? Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich ein wenig ins Bild setzen könnten.«

»Joan ist, ich meine, sie war die einzige Tochter. Seit mehreren Jahren war sie rauschgiftsüchtig. Zuletzt hatte Mister Peers keine Verbindung mehr mit ihr.«

»Und die Mutter?«

»Mister Peers ist seit Langem geschieden, Agent Cotton. Ich glaube nicht, dass sich die Mutter in letzter Zeit für das Schicksal der Tochter interessiert hat.« Die Sekretärin machte eine kleine Pause. »Wie ist es geschehen?«

»Suizid«, sagte ich, »gestern Abend. Ich war dabei. Deshalb möchte ich dem Vater die Nachricht selbst überbringen.«

»Er wird es gefasst aufnehmen«, versicherte die Sekretärin. »Sie brauchen in dieser Hinsicht nichts zu befürchten, ich meine, dass er zusammenbricht. Mister Peers ist sehr diszipliniert. Ich werde Sie jetzt anmelden.« Sie drückte eine Taste auf dem Paneel der Sprechanlage auf ihrem Schreibtisch. »Sir, Agent Cotton vom FBI ist da.«

»Bitten Sie ihn herein.« Die Stimme klang ruhig und sachlich.

Ich machte die ledergepolsterte Tür auf und betrat das Chefbüro. William Peers begrüßte mich und bot mir Platz an. Er war Ende Vierzig, dunkelhaarig mit kurzem Haarschnitt, leicht untersetzt und hatte ein offen wirkendes, energisches Gesicht. Fragend blickte er mich an.

»Ich komme aus einem traurigen Anlass, Sir«, sagte ich. »Es betrifft Ihre Tochter Joan. Mrs. Dove hat mir bereits einige Anhaltspunkte gegeben.«

»Ist sie in Schwierigkeiten?« Peers wirkte ehrlich besorgt.

»Nicht mehr, Mister Peers, sie ist leider gestern gestorben«, sagte ich so schonend wie möglich.

Mein Gegenüber antwortete nicht sofort. Peers senkte den Blick und verharrte einige Sekunden. Dann sah er mich an. »Wie ist es geschehen? War sie krank? Ist sie verunglückt?«

»Sie wissen um ihre Rauschgiftsucht?«

»Nur zu gut, Agent Cotton. Ich will Ihre Zeit nicht ungebührend in Anspruch nehmen. Nur so viel sei gesagt, ich habe mit diesem unglücklichen Kind viel mitgemacht, sehr viel. Aber wie ist sie gestorben?«

»Sie hat es selbst hinter sich gebracht, gestern Abend gegen acht Uhr.« Ich berichtete, wie die Dinge vor sich gegangen waren. Wörtlich übermittelte ich die letzte Botschaft der Toten. »Sie war ganz ruhig und hat wirklich nicht gelitten.«

»Körperlich nicht«, sagte Peers düster.

Ich verstand ihn. Er dachte daran, was Joan durchgemacht haben musste, ehe sie ihren Entschluss gefasst hatte. Mit neunzehn stirbt es sich nicht eben leicht.

Wir schwiegen eine Weile. Gedämpft drangen Geräusche in das Chefbüro. Dann summte das Telefon. Peers reagierte erst nach einiger Zeit. Er nahm ab und horchte.

»Nein, Doktor Conway«, sagte er dann, »kommen Sie später. Ich habe eine wichtige Besprechung.« Er legte auf.

Es war das erste Mal, dass ich den Namen von Tricia Conway hörte. Noch wusste ich nicht, welche wichtige Rolle sie in dem Fall spielte. Ich bewahrte teilnahmsvolles Schweigen.

Schließlich begann William Peers zu reden. Er erzählte von seiner einzigen Tochter, die jetzt tot war. Ich fühlte, dass es ihm Erleichterung brachte.

»Wenn man von rauschgiftsüchtigen Kindern liest oder hört, sagt man sich immer, das kann bei deiner Tochter nicht passieren. Joan war unser einziges Kind, Agent Cotton. Wir sind seit Jahren geschieden. Ich weiß wirklich nicht, weshalb Joan mit den Drogen angefangen hat.«