Jerry Cotton Sonder-Edition 193 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 193 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

In der Salzwüste von Utah lagerte millionenfacher Tod. Ein Nervengas, das so furchtbar war, dass die Army es wieder vernichten wollte. Die Wachtposten vor dem Bunker mit den Giftfässern waren bis an die Zähne bewaffnet. Aber sie fühlten sich ungefährdet und passten kaum noch auf. Sie ahnten ja nicht, dass hinter den umliegenden Hügeln angriffsbereite Gangster lagen. Es war fünf Minuten vor zwölf, und was den USA drohte, war fast ein Weltuntergang ...


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Seitenzahl: 197

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Fast ein Weltuntergang

Vorschau

Impressum

Fast ein Weltuntergang

In der Salzwüste von Utah lagerte millionenfacher Tod. Ein Nervengas, das so furchtbar war, dass die Army es wieder vernichten wollte. Die Wachtposten vor dem Bunker mit den Giftfässern waren bis an die Zähne bewaffnet. Aber sie fühlten sich ungefährdet und passten kaum noch auf. Sie ahnten ja nicht, dass hinter den umliegenden Hügeln angriffsbereite Gangster lagen. Es war fünf Minuten vor zwölf, und was den USA drohte, war fast ein Weltuntergang ...

I.

DER ÜBERFALL

Ein voller Erfolg

Dienstag, 13. Mai, an der Grenze der Bundesstaaten Nevada und Utah

Für die Männer der 16th Army Test Group schien es ein Tag zu werden wie hundert andere zuvor. Das Signal zum Wecken war pünktlich gegeben worden, und als sie die Augen rieben und in die Salzwüste hinausstarrten, sahen sie schon am frühen Morgen in flimmernde Luft. Wie immer in diesem von den roten Sandsteingebirgsketten eingerahmten Wüstenstrich am östlichen Rand des Bundesstaats Nevada.

Die Grenze zum Bundesstaat Utah hin war zugleich die östliche Begrenzung ihres militärischen Sperrgebiets, das von einem sechs Fuß hohen Maschendrahtzaun mit Warnschildern in regelmäßigen Abständen abgetrennt wurde.

Nur für Corporal Aimes war es kein normaler Tag. Verflucht, verflucht, verflucht!, dachte er und schlug mit der geballten rechten in die geöffnete linke Hand. Was sollte er noch tun? Wenn nicht einmal kaltes Wasser ins Gesicht irgendeine Wirkung zeigte?

Er beugte sich hinab und rüttelte Corporal Prewitt mit aller Kraft. Prewitt grunzte schwach irgendetwas Unverständliches, wurde aber nicht wach. Sein tiefer Schlaf glich eher einer Bewusstlosigkeit.

Aimes rieb sich den schmerzenden Kopf. Er hatte einen Kater so groß wie ein ausgewachsener Königstiger. Und das bei der 16th Army Test Group, wo absolutes Alkoholverbot herrschte. Warum hatte er auch auf diesen verdammten Prewitt hören und die Whiskyflasche ins Camp schmuggeln müssen!

Noch einmal machte er einen Versuch, Prewitt aufzuwecken. Genauso gut hätte er es bei einer Leiche versuchen können. Er stöhnte verzweifelt, warf einen Blick auf seine Armbanduhr und sah ein, dass es keine Möglichkeit mehr gab, der Verantwortung zu entkommen. Also, sagte er sich in einem letzten Aufflackern von Mut: Bringen wir's hinter uns!

Er verließ das Zimmer. Durch die Korridore und über die Treppen drängten sich die anderen Soldaten der Spezialeinheit. Einige waren auf dem Weg zu den Waschräumen. Andere kamen von dort. Die ganz Eifrigen marschierten bereits gewaschen, rasiert und angezogen über den Hof zur großen Küchenbaracke, die auch den Speisesaal beherbergte.

Es wurde dem Corporal Aimes nicht einmal richtig bewusst, dass er noch kein Hemd angezogen hatte. Im schneeweißen Armeeunterhemd trabte er über den Hof, umrundete die Laborgebäude und lief zu dem Holzhäuschen, in dem die Wache und der Wachhabende Offizier untergebracht waren.

Ausgerechnet an diesem Tag musste Lieutenant Hutchkins Offizier vom Dienst sein. In seinem blassen Kindergesicht stand die ganze Arroganz, die den Burschen aus Boston nachgesagt wurde. Als er Aimes ohne vorschriftsmäßige Oberbekleidung sah, runzelte er die Stirn.

Aimes trabte auf ihn zu, fiel aus dem Trab in zwei Gehschritte, nahm Haltung an und grüßte militärisch.

»Sir, ich habe eine Meldung zu machen!«, stieß er ein wenig atemlos hervor.

Hutchkins musterte erst einmal geschlagene zehn Sekunden lang seine blitzblanken schwarzen Armeestiefel. Dann tastete sich der Blick aus seinen blassgrauen Augen an Aimes' Gestalt hinauf, strich pokerhaft-undurchsichtig über Aimes hinweg und verlor sich im wolkenlosen Himmel.

»Sind Sie Soldat, Mister?«, kam es leise von seinen schmalen Lippen.

»Ja, Sir!«, rief Aimes verwundert. »Corporal Aimes, Sir! Zweiter Zug!«

Der Blick von Lieutenant Hutchkins kehrte endlich auf die Erde zurück. Sein Kopf legte sich schief, was bei ihm immer das Schlimmste bedeutete, und dann fragte er noch leiser als vorher: »Ach, Sie sind Corporal Aimes?«

»Ja, Sir!«

»Ein richtiger Corporal?«

»Ja, Sir!«

Der Kopf des Lieutenants ruckte in die gerade Haltung. Seine Stirnadern schwollen an, und weithin hörbar dröhnte es aus seiner Kehle: »Und als Corporal rennen Sie hier halb nackt am Tor herum?«

Na klar, dachte Aimes schicksalsergeben, wenn's kommt, kommt alles auf einen Haufen. Ich hätte aber auch wirklich Hemd und Schlips anziehen können. Oder wenigstens das gefleckte Tarnhemd. Na, leckt mich alle am Arsch! Jetzt ist es sowieso zu spät.

»Ich habe zu melden, Sir, dass Corporal Prewitt seine Wache nicht mit mir zusammen antreten kann«, sagte er und war froh, als er es heraushatte.

»Was kann Corporal Prewitt nicht?«

»Seine Wache antreten, Sir.«

»Warum nicht?«

»Er ist nicht wachzukriegen, Sir. Ich habe alles versucht.«

»Wieso ist er nicht wachzukriegen?«

Ein paar Minuten später weißt du es ja doch, dachte Aimes. Da kann ich es dir auch gleich auf deine beschissene, arrogante, dämliche Bostonnase binden. »Ich fürchte, er ist schwer betrunken, Sir.«

Hutchkins kam näher und umrundete Aimes mit gemessenen Schritten. Als er wieder vor ihm stehen blieb, hatte er die Nase gerümpft.

»Sie stinken ja selber wie ein ganzes Whiskyfass, Mann! Sie sind sich natürlich darüber im Klaren, was das bei uns bedeutet? Sie wissen, dass absolutes Alkoholverbot herrscht?«

»Ja, Sir«, sagte Aimes ergeben.

»Prewitt kann also wegen Volltrunkenheit nicht seinen Posten antreten. Und Sie können es auch nicht, weil auch Sie noch angetrunken sind. Widersprechen Sie nicht! Ihre Alkoholfahne stinkt bis hinüber nach Salt Lake City, und Ihre Augen verraten alles Übrige. Mann, wenn wir im Krieg wären, ich würde dafür sorgen, dass man euch beide an die Wand stellt! Im Krieg würde es euren Kopf kosten!«

Aber wir haben keinen Krieg, dachte Aimes zufrieden. Und nicht einmal du aufgeblasenes Arschloch wirst in den nächsten fünf Minuten einen herbeizaubern können.

Chefchemiker Ryan D. Marlow fluchte. Er hatte sich beim Rasieren geschnitten, und der Blutstillstift war nicht zu finden.

Er suchte in den drei Fächern des Spiegelschranks, die ihm und seinem Sohn vorbehalten waren. Sie waren vollgestopft mit Rasierklingen, Hautcreme, zwei Kämmen, einer Bürste und Haaröl, mit Heftpflaster, zwei Mundspülgläsern und Zahnbürsten, einem Deodorant, einem alten und einem neuen elektrischen Rasierapparat und drei Reservepäckchen von der Badeseife, die er als Einziger in der Familie bevorzugte. Nur der verdammte Alaunstift war nicht da!

Ryan Marlow stieß die Badezimmertür auf und rief nach seinem Sohn. »Sam! He, Sam!«

Von irgendwo aus dem Haus kam die Antwort. »Ja, Dad?«

»Hast du den Blutstillstift gehabt?«

»Nein. Ich rasiere mich elektrisch, das weißt du doch.«

»Hm«, knurrte Marlow und zog die Badezimmertür wieder zu.

Das Blut von der kleinen Schnittwunde lief ihm schon über die Brust. Das würde eine Menge guter Aufnahmen für einen Horrorfilm geben, dachte er und drehte den Wasserhahn auf. Weit vorgebeugt wusch er sich das Blut ab, bevor er weitersuchte. Irgendwo musste der verdammte Stift stecken. Vielleicht hatte Ruth ...

Marlow grinste. Erfreut über seinen Scharfsinn und darüber, dass er seine Tochter richtig eingeschätzt hatte. Der Blutstillstift befand sich in Ruths Fach, und zwar inmitten von sieben oder acht Lippenstiften. Wahrscheinlich hatte sie, als sie das letzte Mal im Badezimmer aufgeräumt hatte, kurzerhand sämtliche Stifte in ihr Fach geworfen. Das entsprach ganz ihrer schnell zupackenden Art.

Er tupfte die Schnittwunde ab, bis es intensiv brannte und die Blutung aufhörte. Ein paar Minuten später hatte er sich auch das neue Haaröl ins Haar gerieben und kämmte sich. Er bezweifelte zwar, dass von dem Öl irgendeine bemerkenswerte Wirkung auf seinen Haarausfall ausgehen würde, aber bei seinen neunundvierzig Jahren konnte es nicht schaden, es auf jeden Fall zu versuchen. Immerhin gab es Männer, die nicht die leisesten Anzeichen von beginnender Glatzköpfigkeit vorzeigten.

Er warf einen Blick auf seine stählerne Armbanduhr. Wenn er seine Sekretärin noch zu Hause erreichen wollte, wurde es Zeit. Er lief hinüber ins Wohnzimmer, ließ sich auf den Stuhl vor dem Telefontischchen sinken und nahm den Apparat. Die Nummer von Lis Barbrake kannte er auswendig.

Er atmete auf, als sie sich meldete.

»Hier spricht Ryan Marlow«, sagte er freundlich. »Guten Morgen, Lis.«

»Guten Morgen, Mister Marlow. Ist etwas passiert, dass Sie mich kurz vor Dienstbeginn noch zu Hause anrufen?«

»Nein, Lis, es ist nichts passiert. Es ist nur so, dass ich heute später kommen werde. Versuchen Sie doch, sobald Sie im Büro sind, Mister Fuller vom Gewerbeaufsichtsamt anzurufen und ihn um eine Verschiebung unseres Gesprächs zu bitten, das eigentlich für zehn Uhr vorgesehen war. Ich muss dringend hinaus zur 16th Army Test Group.«

Na, das habe ich vielleicht gern, dachte Jimmy Moreland. Und wie gern ich das habe! Wache schieben müssen, wenn man gar nicht an der Reihe ist. Welcher Idiot aus der Schreibstube hat denn da geschlafen, als er den Dienstplan aufgestellt hat?

Jimmy Moreland war als Sohn eines Textilarbeiters im Bundesstaat Ohio geboren. Weil er keine Lust hatte, das Leben seines Vaters zu führen und von einer Arbeitslosigkeit auf die andere zu warten, war er gleich nach der Schule zur Armee gegangen, und zwar sofort mit einer Verpflichtung für fünfundzwanzig Jahre. Da brauchte er sich wenigstens für dieses Vierteljahrhundert um geregelte Einkünfte keine Sorgen zu machen.

Moreland sah auf seine Uhr und stellte fest, dass sie es gerade noch schaffen konnten, die Jungs draußen in der Wüste pünktlich abzulösen. Er musste nur Hail MacDour schnell finden.

Hail MacDour war in New York als Sohn eines Eiergroßhändlers geboren worden. Das hörte sich besser an, als es war. Denn der Vater kannte nicht nur in geschäftlichen Dingen kein Mitleid. Hail hatte sich zu einem Streber entwickeln müssen, sonst hätte er zu Hause die Hölle gehabt. Er war zwanzig Jahre alt geworden, bis ihm aufging, dass er in seinem ganzen Leben niemals einen richtigen Freund gehabt hatte. Und selbst wenn er mit einem Mädchen ausging, ließ der Vater heimlich über die Familie Erkundigungen einziehen.

Eines Tages hatte Hail die Nase voll vom goldenen Käfig. Er suchte im Telefonbuch die Adresse des nächsten Rekrutierungsbüros und meldete sich freiwillig.

Jimmy Moreland war er zum ersten Mal begegnet, nachdem er sich – wiederum freiwillig – zu einem geheimnisvollen Versuchsprogramm der Army gemeldet hatte. Damals wies man alle Interessenten unmissverständlich darauf hin, dass die Teilnahme an diesem Programm zwar mit Prämien honoriert werde, aber auch mit gewissen Risiken verbunden sei, geistigen wie körperlichen.

Weder Jimmy Moreland nach Hail MacDour ließen sich davon abschrecken, und so kam es eines Tages im Wartezimmer einer ganzen Kommission von Armeeärzten zu ihrer ersten Begegnung. MacDour blätterte gelangweilt in den herumliegenden Nummern der Stars and Stripes, als Jimmy Moreland aus dem Untersuchungszimmer heraustrat.

Als er Hail MacDour im Wartezimmer sitzen sah, ging er ohne Scheu auf ihn zu und fragte: »Bist du auch so ein Verrückter?«

»Was für ein Verrückter?«

»Der sich zu ihrem Versuchungsprogramm gemeldet hat.«

»Ja.«

»Gratuliere. Mich haben sie gerade tauglich befunden für ihre Versuche – was auch immer die sein mögen. Übrigens, ich heiße Jimmy Moreland.«

So sachlich hatte ihre Freundschaft begonnen. Seither verbrachten sie den größten Teil ihrer Freizeit gemeinsam, und wo es sich einrichten ließ, sorgten sie auch dafür, dass sie zusammen Dienst hatten. An diesem frühen Vormittag war es Jimmy Moreland gelungen, MacDour als zweiten Mann für die plötzlich zu übernehmende Wache zugeteilt zu bekommen. Er fand ihn im Speisesaal, zum Glück schon mit dem Frühstück fertig.

»He, du nasser Sack«, sagte Jimmy zu ihm. »Setz dich in Bewegung. Du bist noch nicht pensioniert. Wir müssen draußen bei den Bunkern die Vormittagswache abziehen. Also hol deinen Krempel.«

»Wache? Kannst du nicht einmal einen Dienstplan lesen, du Pfeife? Mit der Wache sind wir erst nächste Woche wieder dran.«

»Das habe ich bis vor zehn Minuten auch gedacht, du nasser Sack.«

Moreland erklärte, was ihm Sergeant Rowler gesagt hatte. Dass es irgendeinen Irrtum bei der Aufstellung der Wachpläne gegeben habe und dass sie beide heute Vormittag von acht bis zwölf draußen bei den Bunkern in der Wüste Wache schieben müssten.

Es war so ziemlich die langweiligste Beschäftigung, die man sich bei der 16th Army Test Group vorstellen konnte.

Während Hail MacDour ging, um den weißen Helm, das weiße Koppelzeug und die weißen Gamaschen zu holen, die sie als Posten trugen, unterschrieb Jimmy Moreland in der Waffenkammer schon den Empfang zweier schwerer Colts, vollgeladen, und den Empfang von zwei schweren Maschinenpistolen mit je einem Fünfziger-Magazin. Es war ungewöhnlich, wie die Posten der 16th Army Test Group ausgerüstet wurden. Aber was war an der ganzen Testgruppe schon gewöhnlich?

Auf dem Hof trafen sie sich wieder. Als sie zu den sauber ausgerichteten Dienstfahrzeugen gingen, war es kurz vor acht Uhr früh. Sie suchten den Jeep, der ihnen zugewiesen war, und warfen ihre Maschinenpistolen hinter den Vordersitzen auf den Boden des Wagens.

»Kannst du einen dummen Corporal auf eine dumme Frage eine intelligente Antwort geben?«, fragte MacDour, als sie einstiegen.

»Klar, wenn die Frage nicht zu dämlich ist.«

»Ich möchte ja nur wissen, warum wir außer unseren schweren Colts auch noch diese Feuerspritzen in eine Wüste mitschleppen müssen, in die sich nicht einmal ein Stinktier verirrt.«

»Weil«, sagte Moreland, »nicht auszuschließen ist, dass ein Stinktier auf zwei Beinen auftaucht, über den Maschendrahtzaun klettert und auf verbotenem Militärgelände herumschnüffelt.«

»Das Stinktier sollen wir dann mit den Feuerspritzen zu einem Sieb machen?«

»Natürlich nicht. Wir sollen es nur hopsnehmen.«

»Also nicht durchlöchern?«

»Natürlich nicht. Wir sind hier zu Hause und im dicksten Frieden. Da können wir nicht gleich jeden neugierigen Schnüffler durchlöchern.«

»Dann möchte ich gern wissen, warum wir diese Feuerspritzen in eine Wüste mitschleppen müssen, in die sich ... Ich glaube, das hatten wir schon mal.«

»Junge, hör auf, mich zu nerven! Fahr endlich los! Die Jungs da draußen haben bestimmt Hunger aufs Frühstück.«

»Ich möchte aber gern wissen ...«

»Corporal MacDour! Abfahren! Das ist ein Befehl!«

»Ja, Sir!«

Hail MacDour warf den ersten Gang ein und ließ den Wagen lospreschen. Er riss ihn in eine Kurve, dass die Reifen jaulten. Doch Moreland hatte gewusst, was kommen würde. Er hatte den rechten Fuß außen auf das Schutzblech des rechten Vorderrads gestemmt und hielt sich mit der linken Hand an der Sitzkante fest. Mit der rechten hatte er die Verstrebung der Windschutzscheibe gepackt. So war er für MacDours verwegene Hetzjagd immer gerüstet.

Vor ihnen lag die schnurgerade Piste, die hinaus in die Wüste führte. Rechts und links ragten rotglänzend im Sonnenlicht die Sandsteinhänge des Gebirges mit ihren verwitterten Geröllhalden empor. Trotz der frühen Morgenstunde war es bereits mehr als sommerlich warm. Sie wussten beide, dass sie noch vor der Mittagsstunde auf der Kühlerhaube Spiegeleier braten konnten.

Jimmy Moreland drehte den Kopf, um seinem Gesicht die Abkühlung des Fahrtwinds von allen Seiten zu gönnen. Es war reiner Zufall, dass sein Blick gerade in dem Sekundenbruchteil die Bergkette im Südwesten streifte, als dort oben etwas in der Sonne aufblitzte. Es konnte ebenso gut der Lichtreflex von einer dort zutage tretenden Metallader sein wie irgendetwas anderes. Jimmy Moreland verwandte keinen Gedanken darauf.

Trotz der frühen Morgenstunde war das Geröll am Berghang schon sehr warm. Robert William Donelly, im Bundesstaat Tennessee vor rund zwanzig Jahren geboren, hatte Schuhe und Socken ausgezogen, weil er unter Schweißfüßen litt. Barfuß war er um den Hügel herumgegangen, hinter dem sie übernachtet hatten. Er hatte das Fernrohr mitgenommen und blickte hinab in die rötlich schimmernde Wüste.

Weit links lagen die niedrigen Gebäude, die der Army gehörten, wenn es stimmte, was Manuel Spicca ihnen erzählt hatte. Es mochte zutreffen, denn vor den Gebäuden flatterte an einem weißen Fahnenmast das Sternenbanner. Auf einem betonierten Hof standen in vier Reihen an die sechzig Autos so scharf ausgerichtet, wie man es wohl nur beim Militär sah. Ein Jeep fegte gerade mit hoher Geschwindigkeit die schnurgerade Piste entlang, die in die Wüste führte. Er zog eine durchsichtige Fahne von aufgewirbeltem Sand hinter sich her. Donelly verfolgte den Weg des Jeeps.

Manuel Spicca trug Tennisschuhe, verwaschene Jeans und ein gelbes Unterhemd. Er war Anfang zwanzig wie die anderen auch, und er war kleiner als Donelly und schmächtiger. Aber das Äußere täuschte.

Als er hinter Donelly angekommen war, richtete er sich schnell auf. Noch im Aufrichten holte er schon mit der gestreckten Hand aus und schlug die Handkante hart auf Donellys rechten Oberarm. Donelly schrie auf. Das Fernrohr rutschte aus seinen plötzlich gelähmten Fingern und rollte ein Stück den Abhang hinab.

»Bist du verrückt geworden?«, kreischte Donelly mit schmerzverzerrtem Gesicht, während er sich den rechten Oberarm rieb. »Was soll das?«

Spicca starrte in die Wüste hinab, die vielleicht fünftausend Fuß unter ihnen lag. Er sah mit bloßen Augen die Staubfahne, die der dahinrasende Jeep hinter sich herzog.

»Die Sonne steht genau richtig«, erklärte er ruhig, »dass sich ihr Licht in den Gläsern von deinem Fernrohr spiegeln könnte. Für die da unten müsste das wie ein Alarmsignal wirken. Es scheint, als hätten sie nichts bemerkt. Hoffentlich!«

Er drehte sich um, bedachte Donelly mit einem Kopfschütteln und ging zum Hügel zurück. Spicca war auf den ersten Blick hin als Lateinamerikaner zu erkennen. Man hörte es auch dem deutlichen Akzent an. Als er sich ein paar Schritte entfernt hatte, blieb er plötzlich stehen und drehte sich noch einmal um.

»Wie konnten wir bloß so einen Idioten wie dich bei dieser Sache mitnehmen?«, sagte er, und es war nicht als Frage gemeint. Aus seinen kleinen dunklen Augen musterte er Donelly und sagte abschließend: »Ich kenne eure Berge nicht. Doch ich würde hier nicht barfuß herumlaufen. Wo sind deine Schuhe?«

»Beim Auto«, sagte Donelly und rieb noch immer seinen schmerzenden Arm.

Als Ryan D. Marlow die Küche betrat, standen seine Tochter Ruth und seine Frau Ester am Elektroherd und beobachteten mit genießerischem Interesse, wie sich der brutzelnde Frühstücksspeck allmählich bräunte. Samuel, der zweitälteste Sohn, saß schon am Esstisch mit der blau-weiß karierten Tischdecke und gab sich mit ernster Konzentration seiner Lieblingsbeschäftigung hin, die darin bestand, um jeden Preis mehr Kaffee zu trinken als die ganze übrige Familie zusammen.

»Ich will ja nicht stören«, sagte Marlow, »aber könntest du deine Füße von meinem Stuhl nehmen? Es frühstückt sich so unbequem im Stehen.«

Sam zog hastig die Beine an. »Entschuldige, Dad.«

Ryan D. Marlow schob seinen Stuhl zurecht, setzte sich und griff zur Kaffeekanne. Dabei fiel ihm die Schramme an Sams linkem Unterkiefer auf.

»Hast du dich geprügelt?«, fragte er.

Sam nickte stolz.

»Ja«, erklärte er knapp, aber entschieden.

»Mit wem?«

»Mit Howard Stephen Bender, diesem Miststück.«

»War es die Sache wert?«

»Ja.«

Marlow seufzte. Er würde sich wohl nie daran gewöhnen, dass von Sam immer nur die knappsten Auskünfte zu erhalten waren und man geduldig fragen musste, wenn man irgendeine Sache vollständig von ihm erfahren wollte.

»Um was ging es denn?«, fragte er deshalb und nippte an seinem Kaffee.

»Natürlich um Molly.«

»Aha.«

Molly Curis war Sams Freundin. Ein hübsches, achtzehnjähriges Mädchen mit ausgeprägtem Talent für Fremdsprachen. Nach der Meinung des Vaters war sie ein bisschen zu hager. Doch Ryan D. Marlow hatte sich damit abgefunden, dass er seinen Kindern nicht vorschreiben durfte, was sie für schön oder begehrenswert halten sollten.

»Mit achtzehn Jahren sollte man aus dem Alter raus sein, in dem man sich noch wegen irgendwelcher Mädchen prügelt«, sagte er.

Sam runzelte die Stirn, sah ihn ungläubig an und stellte seinen Kaffeetopf eine Idee zu energisch auf den Tisch. Ein wenig Kaffee schwappte über. »Dad, hast du ›irgendein‹ Mädchen gesagt?«

»Verzeihung. Das war nicht so gemeint. Natürlich ist mir klar, dass Molly für dich nicht irgendein Mädchen ist.«

»Dann ist ja gut«, sagte Sam und schenkte sich Kaffee ein. Seinem Gesichtsausdruck nach war er nicht gesonnen, dieses Thema weiter zu erörtern.

Marlow konnte die väterliche Neugierde jedoch noch nicht bezwingen.

»Hat dieser Howard Stephen Bender wenigstens eine vergleichbare Schramme in seinem Gesicht?«, erkundigte er sich.

»Mehr«, sagte Sam lapidar.

»Dann ist ja gut«, meinte der Vater zufrieden.

Er hob seinen Teller und ließ sich von seiner Frau Speck aus der Pfanne geben. Bevor er sich an den Genuss der köstlich duftenden, knusprigen Scheibchen machen konnte, platzte Ruth mit einer Neuigkeit heraus.

»Joseph hat geschrieben!«

Das war der älteste Sohn, der vor einem halben Jahr nach New York gegangen war und in der ganzen Zeit viermal geschrieben hatte – jedes Mal mit der Bitte um Geld.

»Wie viel braucht er diesmal?«, fragte Marlow.

»Ryan!«, sagte seine Frau tadelnd.

»Entschuldige, Liebling. Aber es ist doch so, dass er nur schreibt, wenn er Geld braucht. Wo ist der Brief?«

Seine Frau zupfte ein mehrfach gefaltetes Stück Papier aus der Schürzentasche. Marlow zog es auseinander und überflog es. Wie er es sich gedacht hatte, ein paar Phrasen und die mehrmals vorgetragene Bitte um Geld. Kein Wort darüber, ob er endlich einen Job gefunden hatte und wie es ihm ging. Auch nicht die Andeutung einer Frage nach dem Befinden der Eltern und der Geschwister.

Aus den Augenwinkeln sah Ryan D. Marlow, wie seine Frau heftig blinzelte, um die aufquellenden Tränen zu unterdrücken. Mit ihren vierundvierzig Jahren war sie noch immer eine sehr attraktive Frau. Ryan wusste nur zu gut, wie sehr sie darunter litt, dass Joseph nicht mehr zu Hause war. Und wegen einiger lumpigen Dollars für seinen eignen Sohn wollte er sich schließlich nicht den ganzen Tag verderben lassen.

»Ich werde in einer ruhigen Minute im Büro ausrechnen, was diesen Monat alles auf uns zukommt«, sagte er, »und danach entscheiden, wie viel wir ihm schicken können. Okay, Liebling?«

Die Miene seiner Frau hellte sich auf. Sie streichelte ihm schnell über die Wange. Ihr weizenblondes Haar umgab das reizvolle Gesicht wie mit einer goldenen Strahlenkrone.

»Du bist so ein guter Mann«, sagte sie weich. »Und so ein guter Vater.«

»Ja, das ist er«, bekräftigte Ruth, energisch kauend, »obgleich er die Firestone Rivals Band nicht von den Silver Wings Rocketeers unterscheiden kann.«

»Da hast du leider recht«, gab er zu. »Aber sie machen es einem auch verdammt schwer herauszufinden, wer von ihnen den größeren Radau veranstaltet.«

Der Rest der Frühstückszeit verging mit einem Vortrag von Ruth über die neuesten amerikanischen Rock-‍, Pop- und Soulgruppen und sämtlicher anderer Kategorien, über die sie hervorragend informiert war. Erst als Marlow satt war und sich die Frühstückszigarette anzündete, mischte sich Sam noch einmal ins Gespräch.

»Molly Curis will übrigens auch nach New York gehen«, sagte er plötzlich.

Sie alle stutzten.

»Was will sie da?«, fragte Esther.

»Sie hat sich dort um eine Stellung beworben und soll sich vorstellen.«

»Was für eine Arbeit ist es?«, fragte Marlow.

»Sie will Erzieherin werden im Internationalen Kindergarten für die UN-Diplomaten. Da braucht man sich gar nicht erst zu bewerben, wenn man nicht mit mindestens drei Fremdsprachen aufwarten kann.«

»Das klingt sehr interessant und imponierend«, sagte Marlow, drückte den Rest seiner Zigarette aus und stand auf. »Willst du damit andeuten, dass du auch nach New York möchtest, Sam?«

»Wenn ich einen guten Job dort kriegen kann, vielleicht.«

Ryan D. Marlow bemerkte, dass seine Frau wieder zu blinzeln anfing. Sie nimmt sich immer gleich alles so zu Herzen, dachte er. Doch wir müssen uns nun einmal damit abfinden, die Kinder können nicht ewig an unseren Rockzipfeln bleiben.

»Wir werden heute Abend ausführlicher darüber reden«, schlug er vor. »Ich muss jetzt gehen. Wir haben ein paar neue Versuche vor, und da muss ich erst dieses Teufelszeug von der Army abholen. Also lasst es euch gut gehen bis heute Abend!«

»Wiedersehen, Liebling«, sagte seine Frau und gab ihm einen Kuss.

Robert William Donelly kletterte ächzend die Geröllhalde des verwitterten Sandsteingebirges hinab. Obgleich es noch früh am Morgen war, fühlten sich Sand und Gestein bereits sehr warm an. Um die Mittagszeit konnte man hier bestimmt nicht barfuß herumlaufen.

Das Fernrohr war zum Glück vor einem größeren Felsbrocken liegen geblieben. Donelly hob es auf und spürte dabei den Schmerz in seinem rechten Oberarm. Er betrachtete die Stelle, wo ihn Spiccas Handkante getroffen hatte. Sie fing an, sich blau zu verfärben. Wahrscheinlich hatte er einen Bluterguss.

Donelly kletterte den Berghang wieder hinauf. Er konnte Spicca nicht leiden. Und er fragte sich, warum er sich überhaupt auf diese wahnsinnige Geschichte eingelassen hatte. Eine Überzeugung haben, das war eine Sache. Eine andere war es, dafür gleich den Helden spielen zu wollen. Er sollte aussteigen aus diesem ganzen Unternehmen.