Jerry Cotton Sonder-Edition 196 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 196 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Germano Rocca arbeitete mit allen Tricks. Vor jedem Coup ließ er sich von einer Astrologin ein Horoskop erstellen. Standen die Sterne günstig, schlug er zu - und wir hatten wieder einmal das Nachsehen. Doch wir wussten, wer für den Gangsterboss in die Zukunft schaute. Lara Romanow, eine Frau so geheimnisvoll wie ihr Gewerbe. Sie war unsere letzte Hoffnung. Ich ging zu ihr, um sie über ihren zwielichtigen Klienten auszufragen. Von Rocca sprach sie nicht, aber von mir. Sie sagte mir meinen eigenen Tod voraus ...


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Seitenzahl: 169

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Die Astrologin vom Broadway

Vorschau

Impressum

Die Astrologin vom Broadway

Germano Rocca arbeitete mit allen Tricks. Vor jedem Coup ließ er sich von einer Astrologin ein Horoskop erstellen. Standen die Sterne günstig, schlug er zu – und wir hatten wieder einmal das Nachsehen. Doch wir wussten, wer für den Gangsterboss in die Zukunft schaute. Lara Romanow, eine Frau so geheimnisvoll wie ihr Gewerbe. Sie war unsere letzte Hoffnung. Ich ging zu ihr, um sie über ihren zwielichtigen Klienten auszufragen. Von Rocca sprach sie nicht, aber von mir. Sie sagte mir meinen eigenen Tod voraus ...

1

Die Kristallkugel funkelte.

In dem stickigen Zimmer tauchte die Stehlampe mit dem karmesinfarbenen Schirm die Umgebung in Blut. Schlanke Finger mit langen, tiefrot lackierten Nägeln drehten die Kugel.

Die Stimme der Astrologin klang dunkel und beschwörend. »Ich sehe Kampf und Blut ... Ich sehe den Schatten des Todes ... Du wirst sterben ...«

Mir war, als striche ein Eiszapfen über meinen Rücken.

»Wir müssen alle sterben«, sagte ich heiser.

Langsam hob die Astrologin den Kopf. Ihre unergründlichen grünen Augen standen schräg wie bei einer Katze. Die vollen Lippen schimmerten.

»Wir müssen alle sterben«, wiederholte sie. »Die einen früher, die anderen später ... Du gehörst zu denen, für die der Tod ein ständiger Begleiter ist.«

Ich musste schlucken.

Blödsinn, sagte mir die Stimme der Vernunft. Das funkelnde Ding in den schlanken Frauenhänden war eine Kugel aus Glas, nichts weiter. Auf jeden Fall kein Instrument, mit dessen Hilfe man die Zukunft vorhersagen konnte. Ich bin nicht abergläubisch. Und trotzdem konnte ich mich eines gelinden Schauers nicht erwehren. Ich, der G-man Jerry Cotton, saß hier im Zimmer einer berufsmäßigen Wahrsagerin und fühlte mich unbehaglich, weil die Lady in ihrer verdammten Kristallkugel den »Schatten des Todes« zu erblicken glaubte.

»Und weiter?«, frage ich in einem Tonfall, der mir selbst ein bisschen forsch vorkam.

»Ich sehe einen Mann, der dein Feind ist ... Er kann dich töten ... Ich warne dich vor ihm! Geh ihm aus dem Weg ...«

Sie kennt dich, durchfuhr es mich.

Sie weiß verdammt genau, dass du ein G-man bist. Und sie weiß, warum du hier sitzt und dir die Zukunft weissagen lässt.

»Um den Mann zu sehen, der mein Feind ist, brauche ich keine Kristallkugel«, knurrte ich. »Was ist mit ihm? Was sehen Sie, wenn er herkommt? Auch einen Mann, der sein Feind ist? Der ihn zwar nicht töten, aber lebenslänglich ins Gefängnis bringen kann und dem er besser aus dem Weg geht?«

Die grünen Augen funkelten mich an.

Mit einer heftigen Bewegung lehnte sich Lara Romanow im Sessel zurück. Die Kristallkugel zwischen ihren Händen schwankte.

»Sie wollen mich betrügen!«, sagte sie scharf. »Sie sind ein mieser Schnüffler, der sich hier eingeschlichen hat, um ...«

Weiter kam sie nicht.

Irgendwo flog krachend eine Tür auf. Ich hörte Schritte, warf den Kopf herum, doch alles ging viel zu schnell, als dass ich hätte reagieren können.

In der Dunkelheit der Diele blitzte Mündungsfeuer auf.

Peitschend brach sich der Knall des Schusses zwischen den Wänden. Lara Romanows Augen wurden weit und starr. Die Kristallkugel entglitt ihrem Griff und fiel auf den Teppich. Mit einem stöhnenden, seltsam erstaunten Laut sank die Astrologin nach vorn über den Tisch. Ihre Hände verkrallten sich in die glänzende weinrote Satinbluse. Blut quoll zwischen ihren Fingern hervor. Die gebrochenen Augen zeigten grausam deutlich, dass ich ihr nicht mehr helfen konnte.

Lara Romanow, die Astrologin vom Broadway, war tot.

Er fühlte sich unbehaglich.

Nicht nur die sommerliche Hitze sorgte dafür, dass ihm der Schweiß ausbrach. Bart Kettler war kein Held. Er firmierte als Unternehmensberater, führte eine nach außen hin untadelige Firma. Seiner innigen Verbundenheit mit einem bestimmten ganz und gar nicht untadeligen Unternehmen tat das keinen Abbruch. Aber es war der Grund dafür, dass Ian O'Rourke ausgerechnet ihn, Kettler, beauftragt hatte.

Ein heikler Auftrag.

Kettler blieb einen Augenblick vor der aluminiumgerahmten Glastür stehen, C. R. Perret, Attorney and Solicitor, verrieten akkurate Goldbuchstaben. Bart Kettler glaubte, die hochgewachsene, elegante Gestalt von C. R. vor sich zu sehen. Ein Mann, mit dem er – eigentlich – hätte reden können, der vom gleichen Schlag war wie er selbst. Doch die Tatsache, dass C. R. Perret als Anwalt fast ausschließlich für Germano Rocca arbeitete, änderte alles.

Bart Kettler rückte den Knoten seiner dezenten Krawatte zurecht und straffte sich.

Er legte ein berufsmäßiges Lächeln auf sein Gesicht, als er den Empfangsraum betrat. Mit dem ersten Blick erkannte er, dass die kühle blonde Sekretärin nicht hinter ihrem Desk saß. Er runzelte die Stirn. Unbehagen beschlich ihn. Nervös sah er sich um und entdeckte, dass die Tür zum Chefbüro nur angelehnt war.

Widerwillig ging er darauf zu.

»Mister Perret?«, rief er halblaut, während er klopfte.

Die Tür schwang auf.

»Ah, Mister Kettler! Ich freue mich, Sie zu sehen.« Ein strahlender, offenbar bestens gelaunter C. R. Perret vollführte eine einladende Geste. »Leider musste meine Sekretärin plötzlich zum Arzt, daher geht hier im Moment alles etwas drunter und drüber. Treten Sie ein. Whisky? Cognac?«

Kettler antwortete nicht. Sein Blick wanderte in die Runde, erfasste zwei verschlossene Verbindungstüren. Er war nicht umsonst einer der engsten Berater Ian O'Rourkes. Kettler besaß Instinkt, und jetzt spürte er ein kaltes Gefühl im Nacken.

»Sie wissen, warum ich hier bin«, sagte er mit belegter Stimme. »Mein Auftraggeber wünscht eine Einigung, die auch im Interesse Ihres Klienten liegen dürfte. Allerdings gestehe ich, dass ich, nun, gewisse Zweifel hege. Ich ...«

»Zweifel woran, mein Lieber? Etwa an der Ernsthaftigkeit unserer Verhandlungsbereitschaft?«

»Nun ... äh ...« Bart Kettler wusste nicht weiter.

Er empfand den verborgenen Doppelsinn der Worte, und er sah das höhnische Lächeln, das Perrets Lippen kräuselte. Mühsam riss sich Kettler zusammen.

»Sie wollen tatsächlich verhandeln?«, fragte er heiser.

Der Anwalt lächelte immer noch. Nur seine kalten hellen Fischaugen hatten daran keinen Anteil.

»Sagen wir, es geht uns darum, Ihnen unsere Argumente zu demonstrieren. Die Art von Argumenten, denen sich Ihr Auftraggeber hoffentlich nicht verschließen wird, wenn er erst ihre Wirkung sieht. Bisher hat sich Mister O'Rourke ja leider sehr uneinsichtig gezeigt. Wir hoffen, das ändern zu können.«

Kettler schluckte. Der Schweiß in seinen Achselhöhlen fühlte sich plötzlich eiskalt an.

»Aber ...«, begann er.

Links und rechts von ihm sprangen beide Verbindungstüren gleichzeitig auf.

Die Männer, die sich über die Schwelle drängten, passten nicht in ein Anwaltsbüro. Auch die korrekten Anzüge konnten nicht verbergen, was sie waren: knallharte, brutale Schläger, die nur die Sprache der Gewalt verstanden.

Bart Kettler begriff schnell, aber nicht schnell genug.

Er warf sich herum, wollte zur Tür hetzen – zu spät. Einer der Kerle sprang ihm in den Weg. Eine Faust wie ein Schmiedehammer wühlte sich tief in Kettlers Leib. Als er sich jaulend zusammenkrümmte, schoss ein Knie auf sein Gesicht zu. Aufbrüllend torkelte er rückwärts. Jemand fing ihn auf. Harte Fäuste packten zu und zogen ihm die Arme auf den Rücken. Wimmernd, verzweifelt nach Luft ringend, hing Bart Kettler im Griff des Schlägers und kämpfte vergeblich gegen die würgende Übelkeit, die ihn überschwemmte.

C. R. Perrets lächelndes Gesicht vor ihm schwamm wie ein aufgeblähter Ballon in rötlichem Nebel.

»Tut mir leid, mein Lieber«, sagte der Anwalt zynisch. »Aber da Sie so dumm waren hierherzukommen, werden Sie es sein, an dem wir ein Exempel statuieren.«

Der Widerhall des Schusses dröhnte noch in meinen Ohren.

Ich war aufgesprungen, so heftig, dass der Stuhl umkippte. Für den Bruchteil einer Sekunde stand ich starr, nahm ein Dutzend Einzelheiten wahr. Die düsterroten Samtvorhänge, die den rückwärtigen Teil des Apartments abschirmten. Das geisterhafte Licht.

Die baumelnden Amulette in dem bogenförmigen Durchgang, hinter dem die Dunkelheit der Diele gähnte.

Schritte trampelten.

Der Killer wusste, dass ich sein Gesicht nicht gesehen hatte, machte sich nicht die Mühe, auch auf mich zu schießen. Er hielt mich für einen normalen Kunden der Astrologin, einen abergläubischen, vertrottelten Geisterseher vielleicht. Dass ich G-man war, ahnte er nicht. Doch er sollte es verdammt schnell erfahren.

Ich warf mich herum, zog noch in der Bewegung den 38er aus dem Schulterholster.

Erkennen konnte ich so gut wie nichts. Die Beleuchtung, die bei Lara Romanows Prophezeiungen für den richtigen Rahmen sorgte, behinderte mich jetzt. In dem engen abgeteilten Raum musste ich über den verschnörkelten Tisch flanken. Tarotkarten flatterten zu Boden, ein merkwürdig geformter Fächer, ein blitzendes Siderisches Pendel. Mit drei Schritten erreichte ich den Durchgang vom Livingroom zur Diele. Die Etagentür konnte ich im Dunklen nur erahnen. Aber ich hörte die jähe Bewegung und ließ mich fallen, noch ehe vor mir abermals Mündungsfeuer aufflammte.

Hart knallte ich auf den Parkettboden, stieß mir Ellenbogen und Knie und spürte brühheißen Schmerz durch meinen Körper zucken.

Der Killer floh. Er glaubte vermutlich, mich getroffen zu haben. Krachend fiel die Etagentür hinter ihm ins Schloss. Ich sprang sofort auf, rannte weiter, jetzt hatte ich jedoch den Zufall gegen mich.

Fauchend fegte mir Lara Romanows schwarze Katze zwischen die Füße und brachte mich zu Fall.

Dass ich mir den Knöchel verstauchte, ignorierte ich. Auch diesmal kam ich sofort wieder hoch. Doch ich hatte die entscheidenden Sekunden verloren. Als ich die Tür aufriss und aus der Wohnung stürzte, schloss sich am Ende des Flurs bereits das Scherengitter des Lifts.

Ich nahm die Treppe.

Die Wohnung der Astrologin lag im siebten Stock. Keine Chance, den Killer einzuholen, das war mir klar. Er konnte sich jedoch ebenfalls den Fuß verknacksen, sein Wagen konnte nicht anspringen – es gab eine Menge Möglichkeiten, die ich nicht außer Acht lassen durfte.

Nichts von alldem geschah.

Als ich auf der Straße ankam, war von dem Mörder nichts mehr zu sehen. Auf dem Broadway nicht und auch nicht auf dem Hinterhof, den ich im Spurtschritt durch die breite Einfahrt erreichte. Ich biss die Zähne zusammen, atmete ein paarmal tief durch und humpelte zur Eingangsfront des Hauses zurück.

Lara Romanow war tot.

Damit existierte die heiße Spur nicht mehr, derentwegen ich mir hatte die Zukunft weissagen lassen. Doch das war nicht der Grund dafür, dass ich mich in diesen Sekunden leer und wie ausgebrannt fühlte.

Ian O'Rourke bewohnte eine Villa aus der Gründerzeit an der Grenze zwischen Queens und Brooklyn.

Kein Mensch verstand, was er an dem alten Kasten fand. Von innen war er luxuriös und mit allem Komfort ausgestattet. Außen gilbte der Sandstein vor sich hin, alte Bäume wucherten in die Fenster, und ein paar Marmorputten auf Sockeln überzogen sich allmählich mit graugrüner Patina.

O'Rourke liebte dieses Anwesen.

Er hatte, obschon noch keine sechzig Jahre, überhaupt etwas für die guten alten Zeiten übrig. Bei ihm wanderten die Einnahmen aus Rauschgifthandel, Prostitution und Racketeering noch in den Panzerschrank oder allenfalls auf ein Schweizer Nummernkonto, aber gewiss nicht in legale Firmen, in Aktien oder Beteiligungen. Seine Unterführer rechneten mit ihm persönlich ab, statt Gewinne über Geldwäscher in lukrative Kanäle zu schleusen. Und er scheute sich auch nicht, bei Schwierigkeiten zu den altbewährten Methoden zu greifen. Er fand es durchaus in Ordnung, seine Probleme mit Bomben und MP-Salven zu bereinigen wie weiland Al Capone.

O'Rourke war zu alt, sein Imperium schlecht geführt und brüchig. Das sagten jedenfalls seine Gegner – diejenigen, die mit den Methoden modernen Managements arbeiteten, sich als Geschäftsleute aufspielten und glaubten, die Weisheit gepachtet zu haben.

Sie waren scharf auf den lukrativen Bezirk an der West Side südlich von Harlem. Genauer gesagt war Germano Rocca scharf darauf, der wie eine Spinne im Netz in der Lower West Side hockte und seit Jahren darunter litt, dass die Stilllegung der meisten Piers höchst dämpfend auf das Nachtleben der Gegend wirkte. Ian O'Rourke hatte zurückgebissen, wütend wie ein alter Einsiedlerwolf. Aber er hatte auch festgestellt, dass seine Organisation an Schlagkraft zu wünschen übrig ließ, dass sein Widersacher mit all den Anwälten, Managertypen und Spezialisten eine ernsthafte Gefahr darstellten. Deshalb war ihm an einer gütlichen Einigung denn an einem offenen Krieg gelegen. Und deshalb hatte er Bart Kettler geschickt, dessen Buchhaltermentalität er eigentlich verachtete.

Breit und wuchtig wie ein Felsen stand Ian O'Rourke am Fenster seiner Villa und blickte hinaus.

Sein korrekter Anzug stammte vom besten Schneider, doch er sah stets auf eine nicht genau definierbare Weise schlampig aus.

Hinter ihm in der Halle pokerten drei Männer im Schein einer Stehlampe.

Auch das gehörte zu O'Rourkes Eigenheiten. Bei ihm hatten sein sogenannter Vormann und die besseren Gorillas Familienanschluss. Kevin Flynn, den untersetzten Ex-Buchmacher, hielt er sogar für einen geeigneten Nachfolger. Mit dieser Meinung stand er allerdings allein auf weiter Flur. Danny Wilde, jung, clever und von O'Rourke wohlwollend gefördert, fand sich selbst um Klassen besser. Der dritte Mann am Tisch hieß Greg Brady. Auch seine Vorfahren stammten von der grünen Insel, nur sah man es ihm nicht an. Er war groß und knochig, hatte dunkles Haar, ein flaches Betongesicht und kalte blaue Augen.

Zwei, drei Sekunden starrte O'Rourke gebannt nach draußen, leicht geduckt wie ein lauerndes Raubtier, dann fuhr er herum.

»Danny, Greg! Da draußen ist gerade jemand vorbeigefahren und hat vor dem Tor etwas aus dem Wagen geworfen.«

Die beiden Angesprochenen sprangen von den Sesseln hoch.

Sie fragten nicht lange, sondern knöpften die Jacken auf, lockerten die Pistolen und stürmten zur Tür.

»Rufus!«, brüllte Ian O'Rourke. Damit setzte er sein Faktotum in Bewegung und sorgte dafür, dass die leicht veralteten Alarmanlagen und Sicherheitseinrichtungen abgestellt wurden.

Danny Wilde und Greg Brady näherten sich dem schmiedeeisernen Tor von der Seite, weil sie sicher keine Lust verspürten, einer MP-Salve in den Weg zu laufen.

Die ruhige Wohnstraße lag leer da. Irgendwo kläffte ein Hund, ein entferntes Auto hupte.

»Heiliger Mississippi«, hörte O'Rourke Greg Brady durch das Fenster sagen. »Das ist doch ...«

»Kettler!«, stieß Wilde hervor, rammte den Riegel zur Seite und riss das Tor auf.

Fünf Minuten später wurde Bart Kettler vorsichtig auf das Sofa im Wohnzimmer gebettet.

Rufus, das Faktotum, telefonierte bereits mit dem ehemaligen Arzt drei Straßen weiter, der Morphinist war und von O'Rourke den Stoff bezog, seit keine Apotheke mehr seine Rezepte annahm. Bart Kettler stöhnte und bewegte sich schwach. Seine Augen waren zugeschwollen, die Lippen aufgeplatzt, zwei Schneidezähne fehlten. Was er sonst noch davongetragen hatte, ließ sich nicht auf den ersten Blick erkennen. Aber sehr genau erkennen ließ sich, dass er von professionellen Schlägern fachgerecht durch die Mangel gedreht worden war.

O'Rourke schnaubte vor Wut, er riss sich jedoch zusammen.

»Bart«, sagte er beinahe sanft. »Wer war das?«

Der sonst so wortgewandte Unternehmensberater konnte nur noch lispeln. »Perret ... Rocca-Leute ... Sie wollten ... wollten gar nicht verhandeln. Sie wollten ... ihre zukünftigen ... Argumente demonstrieren ...«

»Ihre Argumente demonstrieren!« Die Wut straffte seine Wangenmuskeln, sein Kopf ruckte hoch.

Die drei Männer – Rufus telefonierte immer noch – starrten ihn an. Danny Wilde rieb sich nervös mit dem Handrücken übers Kinn. Kevin Flynn, der ehemalige Buchmacher, furchte die buschigen Brauen.

»Rocca macht ernst«, stellte er fest.

O'Rourke schnaufte. »Das sehe ich selber.«

»Er wird zuschlagen, Ian. Mit allem, was er hat! Er hasst dich persönlich, er will dich vernichten.«

»Soll er es versuchen«, knurrte O'Rourke tief in der Kehle.

»Aber er ist stark, Ian. Unterschätze ihn nicht. Und vergiss nicht, dass das Gesetz des Handelns bei ihm liegt. Wir können es uns nicht leisten, unsererseits zum Angriff überzugehen. Rocca kann jederzeit und überall zuschlagen, kann uns treffen, wenn wir es am wenigsten erwarten.«

O'Rourke schüttelte den Kopf. Ganz langsam zog er die Lippen von den Zähnen und zeigte ein wölfisches Lächeln.

»Wir werden vorbereitet sein«, murmelte er. Und als er die zweifelnden Blicke der anderen spürte: »Diese Dreckskerle bekommen nichts, gar nichts! Auch Germano Rocca ist kein Supermann ohne Schwachstellen. Und ein Ian O'Rourke hat immer noch ein Ass im Ärmel.«

2

In der Wohnung am Broadway sah es aus, als würde dort ein Film gedreht.

Die Mordkommission war angerückt, unter Führung unseres alten Freundes Detective Lieutenant Harry Easton. Cleary lautet sein Spitzname im Präsidium – angeblich, weil er jeden Mordfall aufklärt, der ihm unterkommt. Das ist natürlich eine kollegiale Übertreibung. Fest steht, dass die Aufklärungsquote bei Clearys Kommission deutlich höher liegt als der Durchschnitt.

Nichts würde ihm entgehen.

Ich war froh darüber, denn ich fühlte mich alles andere als wohl in meiner Haut. Der Anblick der Toten nagte an mir. Klar, jeder Mord ist scheußlich, jeder Tote ein Anblick, an den man sich nie gewöhnt, so oft man ihm auch begegnet. Doch diese junge Frau war vor meinen Augen gestorben. Und sie war erschossen worden, einfach über den Haufen geknallt, um sie daran zu hindern, meine Fragen zu beantworten.

Lara Romanow ...

Sie hatte nicht wirklich so geheißen, das wusste ich. Aber für mich war es kein Grund gewesen, sie anders als mit ihrem Künstlernamen anzureden, der so schön geheimnisvoll klang. Ihre Gabe – oder besser, angebliche Gabe – hatte Lara Romanow in den Fall verstrickt. Sie hatte seit Jahren als Astrologin und Wahrsagerin gearbeitet, und einer ihrer besten Kunden hieß Germano Rocca.

Germano Rocca, der Gangsterboss, der sich bei allen wichtigen Entscheidungen nach seinem Horoskop richtete.

Er war knallhart, brutal und clever. Sein Revier in der Lower West Side regierte er mit eiserner Faust, seine Gang galt als eines der am besten funktionierenden, am straffsten durchorganisierten Syndikate nächst der Mafia. Rocca bestand aus Granit und Stahl. Nur die eine Schwäche hatte er: seinen Aberglauben. Dem Vernehmen nach nährte sich dieser Aberglaube aus irgendeinem düsteren, vermutlich falsch verstandenen Erlebnis seiner Kindheit. Später mochten ihn Zufälle oder die Tricks besonders raffinierter Bauernfänger darin bestärkt haben. Germano Rocca glaubte felsenfest an die Macht von Horoskopen, Tarotkarten und hellseherischen Fähigkeiten.

In der Unterwelt ging das Gerücht, dass er den Mord an einem seiner schärfsten Konkurrenten plane.

Oder besser, nicht nur den Mord an dem Mann, sondern die Übernahme seines Bezirks, seiner Besitztümer, seiner Organisation. Das Opfer hieß Ian O'Rourke, ein alternder irischer Gangsterboss von der oberen West Side. Rocca wollte ihn schlucken, wollte alles. Irgendwann würde er losschlagen. Bald ... Sehr bald, wie wir vermuteten. Und wenn er das tat, würde er ganz sicher vorher die Sterne oder die Karten befragen.

Der FBI hatte sich von Lara Romanow entsprechende Auskünfte erhofft.

Freiwillig hatte sie nicht reden wollen. Mein Freund und Partner Phil Decker, der jetzt neben mir stand, hatte bei ihr auf Granit gebissen. Dann war ich auf die Idee gekommen, als Kunde zu erscheinen und mir die Zukunft weissagen zu lassen, weil ich mir auf diesem Weg mehr Erfolg versprach.

Vergeblich, wie wir inzwischen wussten.

Die rothaarige Astrologin konnte uns nichts mehr erzählen. Jemand hatte sie rechtzeitig zum Schweigen gebracht, weil er die Gefahr witterte. Ich grub die Zähne in die Unterlippe, bis ich den scharfen Schmerz spürte. Ich wusste, es war Unsinn, aber ich konnte das nagende Schuldgefühl einfach nicht vertreiben.

»Und du kannst wirklich keine brauchbare Beschreibung vom Killer liefern?«, vergewisserte sich Phil neben mir.

»Nein, zum Teufel«, knurrte ich gereizt. »In der Diele war es stockfinster, und auf dem Flur sah ich nur noch ganz kurz seinen Rücken durch das Scherengitter des Lifts. Schwarzer Hut, schwarzes Haar, schwarzer Trenchcoat.«

»Und schwarze Hosen, Socken und Schuhe?«

Es war Harry Easton, der das fragte. Ich schoss ihm einen wütenden Blick zu. Der Lieutenant hatte Ringe unter den Augen und wirkte überarbeitet. In diesem Zustand wird er schon mal sarkastisch.

»Habt ihr etwa ein paar Pfund schwarze Fusseln gefunden?«, konterte ich.

»In Liftkabinen und Wohnhausfluren wimmelt es von allen möglichen Fusseln«, sagte Easton gelassen. »Und in der Diele, von der aus der Killer geschossen hat, herrscht ständig Publikumsverkehr. Selbst wenn der Mörder Spuren hinterlassen hätte, Jerry, sie würden so oder so nicht als Beweise taugen.«

Ich wusste es selbst.

Verbittert ließ ich den Blick über die Szene wandern. Der Polizeifotograf hatte seine Arbeit beendet. Jetzt beugte sich Doc Reiser über die Tote, um erste Routineuntersuchungen vorzunehmen. Das grelle Scheinwerferlicht, das die Wohnung in gleißende Helligkeit tauchte, schmerzte allmählich in den Augen. Spurenspezialisten arbeiteten mit Rußpulver, andere Beamte begannen mit der systematischen Durchsuchung. Überall herrschte ständiges Kommen und Gehen. Deshalb wandten Phil, Harry Easton und ich auch nur mäßig interessiert die Köpfe, als wir hinter uns das Geräusch der Etagentür hörten.

Eastons Brauen gingen hoch. Phil sog scharf die Luft durch die Zähne. Ich zuckte zusammen, als hätte mich der Hieb einer unsichtbaren Peitsche getroffen.

Die Lady, die auf der Schwelle verharrte, war nicht weniger verblüfft als wir.

Starr blieb sie stehen. Das Haar floss ihr als rubinrote Lockenflut um die schmalen Schultern. Ihre Augen waren groß und grün, so schräg wie bei einer Katze.

Kein Zweifel, vor uns stand Lara Romanow, die Astrologin vom Broadway.

Das Apartment lag in einem der großen, modernen Wohnblocks der Downtown, war weder besonders teuer noch besonders billig, sondern in jeder Beziehung durchschnittlich.