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Jean Louis Napoleon hockte in der Todeszelle des Gefängnisses von Brunswick. Das machte ihm wenig aus. Die Henkersmahlzeit hatte er schon hinter sich. Im letzten Augenblick wurde die Hinrichtung aufgeschoben. Und danach setzte der Staat die Vollstreckung der Todesstrafe vorläufig aus. Das war eine Situation nach Napoleons Geschmack. Er verfolgte einen genialen Plan. Es würde einige Tote geben - danach wäre Napoleon jedoch mit zehn Millionen Dollar in der Freiheit. Und wir vom FBI hatten keine Möglichkeit, ihm zuvorzukommen ...
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Veröffentlichungsjahr: 2022
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Seine erste Henkersmahlzeit
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Impressum
Seine erste Henkersmahlzeit
Jean Louis Napoleon hockte in der Todeszelle des Gefängnisses von Brunswick. Das machte ihm wenig aus. Die Henkersmahlzeit hatte er schon hinter sich. Im letzten Augenblick wurde die Hinrichtung aufgeschoben. Und danach setzte der Staat die Vollstreckung der Todesstrafe vorläufig aus. Das war eine Situation nach Napoleons Geschmack. Er verfolgte einen genialen Plan. Es würde einige Tote geben – danach wäre Napoleon jedoch mit zehn Millionen Dollar in der Freiheit. Und wir vom FBI hatten keine Möglichkeit, ihm zuvorzukommen ...
1
00:47 zeigte die Quarzuhr des silbergrauen Chevy.
Die Welt war noch in Ordnung, als sich Manuela Martini nach einem langen Kuss wohlig reckte. Erregend zeichneten sich unter dem weichen Stoff des Kleids die Kurven des Körpers ab, den G-man Mal Denier morgen zum ersten Mal nackt in den Armen halten würde.
Mit schlangengleichen Bewegungen schwang sich die Frau aus dem Wagen und lief zum Eingang des eleganten Appartementhauses.
Um Caesare Martini, den Bankier der Mafia, ging es. Deshalb hatte man Denier auf Manuela angesetzt. Über die Frau sollte er aus dem FBI District New York Einblicke in die Machtstruktur und die Geschäfte der ehrenwerten Gesellschaft erkunden, die die Kollegen aus Atlantic City später im Kampf gegen das organisierte Verbrechen einsetzen konnten.
Drüben hob Manuela Martini noch einmal die Hand. Ein letzter Gruß. Als Mal Denier sie im hell erleuchteten Eingang verschwinden sah, glaubte er, sie lächeln zu sehen.
Er hatte sein Ziel erreicht. Ein ungestörtes Wochenende mit Manuela lag vor ihm. Da würde manches zur Sprache kommen. Da würden Namen fallen, aus denen er Zusammenhänge konstruieren konnte.
Es würde helfen, Verbrechen im Keim zu ersticken und Menschenleben zu retten.
Es ging um viel. Persönliche Interessen und Gefühle durften keine Rolle spielen. Auch nicht, dass er, Mal Denier, sich selbst ein wenig in die Frau verliebt hatte. Andere Frauen würden ihn Manuela später vergessen lassen.
Denier drehte sich wieder zur Fahrerseite herum. Er zuckte zusammen. Im geöffneten Seitenfenster prangte das Gesicht eines mittelgroßen, freundlichen Mannes. Sympathische Züge. Ein gewinnendes Lächeln um die etwas zu weichen Lippen. Ein Typ, dem eine biedere Hausfrau auch dann noch einen Staubsauger abkaufte, wenn sie schon einen hatte.
Dieser Mann handelte allerdings nicht mit Staubsaugern. Sein Gewerbe war der Tod.
Der Lauf eines kurzen 38ers zielte genau zwischen Deniers Augen.
Die Seitentür des Chevy wurde aufgerissen. Wo eben noch Manuela gesessen hatte, ließ sich ein bulliger Kerl ins Polster fallen. Der Lauf einer Waffe wurde Denier derart hart in die Seite gestoßen, dass er ein Stöhnen nicht unterdrücken konnte.
Der Mann, der eben noch am Fenster gestanden hatte, saß inzwischen auf dem Rücksitz.
»Immer geradeaus, G-man!«, ordnete er mit zwingender Stimme an.
Eisige Kälte durchflutete Mal Denier. Da gab es in ihm keinen Gedanken mehr an Manuela Martini, die Tochter des Bankiers der Mafia, die er eben noch in den Armen gehalten hatte.
Da gab es in Denier nur noch den Gedanken an sich selbst.
Er atmete noch, konnte die grellen Lichter von Atlantic City sehen, jener Stadt, die sich anschickte, das Las Vegas der Ostküste zu werden. Sein Blut zirkulierte noch. Es pulsierte wild in seinen Schläfen. Und doch wusste Denier sehr genau, dass er schon in diesem Moment ein toter Mann war.
Ein Fehler war ihm unterlaufen. Eine winzige Unachtsamkeit. Das bedeutete in einem so heißen Job unweigerlich das Todesurteil.
»Immer geradeaus, G-man!«, wiederholte der Elegante vom Rücksitz, während der Bullige ihn bösartig anknurrte.
Mal Denier startete den Chevy. Seine Handflächen waren feucht. Die Angst vor dem Tod griff mit eisiger Hand nach seinem Herzen und drückte seine Brust so sehr zusammen, dass er kaum noch atmen konnte.
Fieberhaft suchte er nach einem Ausweg.
Zwei Wochen lang hatte er sich mit Manuela Martini abgegeben und war dabei völlig auf Tauchstation gegangen. Da gab es noch einige Informationen, die er den Kollegen in New York mitteilen musste, die sehr wichtig sein konnten.
Mal Denier fuhr los. Er konnte sich nicht mehr konzentrieren.
Sie werden mich töten!
Das war alles, was sein Denken ausfüllte.
Sie werden mich töten!
»Was habe ich falsch gemacht?«, fragte er, während er sich unter den misstrauischen Blicken seines Nebenmanns eine Zigarette anzündete. »Was ist es gewesen?«
Ein hohles Lachen klang hinter Denier auf. Keine Antwort auf seine Frage. Das hieß nichts anderes, als dass diese beiden Kerle lediglich den Auftrag hatten, ihn zu töten.
Langsam bekam sich Denier wieder unter Kontrolle. Er musste seinen Kollegen ein Zeichen setzen. Musste eine Spur hinterlassen, mit der sie etwas anfangen konnten.
»Etwas schneller. Wir wollen uns hier nicht die ganze Nacht um die Ohren schlagen!«
Denier beschleunigte den Chevy. Während sich sein Fuß auf das Gaspedal senkte, kam ihm die Idee, die ihn vielleicht doch noch retten könnte. Eine minimale Chance, aber in einer solchen Situation musste er nach jedem Strohhalm greifen.
Deniers Augen waren eng zusammengekniffen, als sie die Edwardson Street hinunterfuhren.
Rechts und links wie an Schnüren aufgereihte Perlen die mondänen Geschäfte, in denen die Leute kauften, die in den Casinos Glück gehabt hatten. Die Verlierer verließen Atlantic City ohne Souvenir und Hoffnung. Kehrten zurück in die schlechten Wohngegenden, aus denen sie gekommen waren, um hier das Geld zu machen, das sie aus dem Elend des Alltags herausführen konnte.
Über zwei Kreuzungen war Mal Denier hinweggefahren, als er endlich das entdeckte, nachdem er die ganze Zeit Ausschau gehalten hatte.
Die Schnauze des Überlandtrucks war so sehr mit poliertem Chrom ausgestattet, dass der kleinste Lichtschein hundertfach reflektiert wurde. Und hier gab es so viel Licht, dass die entgegenkommenden Fahrzeuge vom blitzenden Chrom wie von einem zusätzlichen Scheinwerfer geblendet wurden.
Denier beugte sich nach rechts, um die Zigarette im Ascher zu zerquetschen. Mit einem Blick streifte er das breitflächige Gesicht des Killers, der neben ihm saß.
Mach keinen Fehler, Freundchen!, drückten die etwas zu eng beieinander stehenden Augen des Mannes aus. Ich blase dir auch hier im Wagen das Lebenslicht aus!
Wie er es fertigbrachte, den Gorilla anzugrinsen, wusste Denier selbst nicht. Er richtete sich steil auf und neigte den Oberkörper ruckartig nach vorn, um den festen Sitz seines Sicherheitsgurts zu prüfen. Fest schmiegte sich der Nylonstrang um seine Brust.
In zwei Sekunden lief sein ganzes Leben wie ein rasanter Film vor seinem geistigen Auge ab. Dann hatte sich Mal Denier dazu entschieden, auf die letzte Chance zu setzen.
Entschlossen trat er das Gaspedal bis zum Wagenboden durch. Der Kickdown-Effekt trat ein und katapultierte den silbergrauen Chevy wie ein Geschoss nach vorn.
Durch die plötzliche Beschleunigung wurden die beiden Killer in die Polster zurückgedrückt.
Mal Deniers Blick war starr und ausdruckslos auf die chromglänzende Schnauze des Trucks gerichtet.
Vor dem fürchterlichen Aufprall suchte sein Fuß die Bremse. Es war zu spät!
Dann explodierte ein orangefarbenes Feuerwerk vor seinen Augen. Er hörte noch das Kreischen von gestauchtem Blech, das Klirren zerberstender Scheiben und die dumpfe Explosion, als der randvolle Tank des silbergrauen Chevy explodierte.
Verstört saß der Fahrer des Trucks auf dem Bordstein. Mit reglosem Gesicht hatte er beobachtet, wie die Feuerwehr den Brand schnell unter Kontrolle gebracht, wie man die Insassen des Chevy in Blechwannen gelegt und abtransportiert hatte.
»Ich hatte keine Chance, Sergeant«, sagte der Fahrer erneut. »Er kam auf mich zu wie eine Rakete, Mann. Ein Verrückter. Vielleicht war er auch betrunken. Vielleicht wollte er sich umbringen. Ich hatte keine Chance.«
Dem Sergeant waren solche Situationen nicht neu. Er wusste, wie es in dem dunkelhaarigen Mann aussah, der eine mit Nieten beschlagene Lederjacke trug. Die Aussagen der vielen Zeugen deckten sich mit denen des Truckfahrers.
»Wir haben Ihre Company benachrichtigt«, sagte der Sergeant. »Sie sollen in ein Hotel gehen und versuchen, alles zu vergessen, und sich morgen melden, sobald Sie ausgeschlafen haben, okay?«
»Ein Betrunkener, ein Verrückter oder ein verdammter Selbstmörder«, murmelte der Truckfahrer dumpf.
Er erhob sich und holte die wenigen Sachen aus der zertrümmerten Führerhauskabine.
Die Nachricht von Mal Deniers Tod erreichte uns eine Stunde später. Die Kollegen aus New Jersey riefen an. Sie schilderten den Unfall in allen Einzelheiten und drückten uns ihr Mitgefühl aus, denn schließlich war Denier einer von uns aus dem Distrikt New York gewesen.
»War es wirklich ein Unfall?«, fragte ich.
»Er ist in einen Truck hineingerast und hat nicht einmal versucht zu bremsen. Zwei weitere Leute saßen bei ihm im Wagen. Beide trugen Waffen. Wir wissen noch nicht, wer sie sind.«
»Aber ihr werdet uns augenblicklich verständigen, sobald mehr bekannt ist.«
»Darauf können Sie sich verlassen«, sagte mein Gesprächspartner. Er hieß Parker. Ich kannte ihn nicht einmal dem Namen nach.
Ich legte auf und spürte die Übelkeit in mir aufsteigen.
»Mal hat einen Fehler begangen«, murmelte Phil. »Sie haben ihn enttarnt und abgefangen. Um einen leichteren Tod zu haben, ist er in den Truck gerast. Vielleicht hat er sich dabei eine kleine Überlebenschance ausgerechnet.«
Ich nickte. Anders konnte es gar nicht gewesen sein.
Mit einem Schluck des kalt gewordenen Kaffees spülte ich die Übelkeit herunter.
Der Chef befand sich noch im Haus. Phil und ich fuhren hinauf in Mr. Highs Büro.
»Es tut mir verdammt leid um Mal.«
Mr. Highs Stimme klang rau. Wie nahe ihm der Tod des Kollegen wirklich ging, war schon daraus zu erkennen, dass er »Verdammt« sagte. Nur selten ging ihm dieses Wort über die Lippen.
Wir schwiegen. Es war wie die Gedenkminute für einen toten G-man, der von uns nach Atlantic City geschickt worden war, weil ihn dort niemand kannte und er so eine Chance gehabt hatte, etwas herauszubekommen.
Vielleicht hatte er etwas herausbekommen. Vielleicht etwas zu spät, um es uns noch mitteilen zu können. Wir würden es niemals erfahren.
»Was werden wir tun, Sir?«, fragte ich, um das bedrückende Schweigen zu brechen.
»Abwarten, Jerry.«
Ich starrte Mr. High ungläubig an. »Sie haben Mal abgefangen und in den Tod getrieben, Sir. Mal Denier wird als Unfalltoter in die verdammte Statistik eingehen. Doch es war Mord.«
Phil nickte. Er dachte nicht anders über Deniers Tod. Niemand in diesem Haus würde anders darüber denken.
»Wer sind sie?«, fragte Mr. High. »Paco Delvantes Leute oder Leute der Mafia, die Paco zum Teufel wünschen und außerdem eine Riesengefahr in Denier gesehen haben, nachdem er mit der Tochter von Martini angebändelt hatte? Schließlich ist es ein offenes Geheimnis, dass Martini der Bankier der Mafia ist. Wer also sind sie, Jerry?«
Ich schwieg.
»Wir können in Atlantic City nicht zu einem wahllosen Rundumschlag ausholen. Sicher besteht nach wie vor die Gefahr, dass es einen harten Kampf zwischen Paco Delvante und der Mafia um die Pfründe der neuen Spielerstadt gibt. Niemand wird das bestreiten. Aber wir brauchen einen Aufhänger, Jerry. Etwas, an dem wir uns festhalten können, mit dem wir wenigstens erst einmal einer Partei die Luft abdrehen können.«
Ich nickte.
»Denier hat versucht, uns solches Material zu beschaffen. Jetzt ist er tot. Das geht nicht nur Ihnen nah, Jerry. Das trifft uns alle. Und das ist noch lange kein Grund, dort drüben Kleinholz zu machen. Wir erwischen einige kleine Fische, sicherlich, doch die Großen lachen sich tot über uns. Die warten, bis wir uns ausgetobt haben, und machen dann in aller Ruhe weiter.«
Ich senkte den Blick auf die Spitzen meiner Schuhe. Natürlich hatte Mr. High vollkommen recht.
»Willst du eine?«, fragte Phil und streckte mir sein Zigarettenpäckchen entgegen.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich brauche einen Drink. Vielleicht auch zwei. Das weiß ich noch nicht genau.«
Mr. High stand auf.
»Es ist Ihr freies Wochenende«, sagte er. »Ich werde mich mit Washington in Verbindung setzen. Inzwischen unternimmt niemand etwas in dieser Sache. Niemand aus unserem Distrikt. Die Kollegen aus New Jersey versuchen herauszubekommen, wer die beiden Burschen waren, die zusammen mit Denier in einem Wagen gestorben sind. Vielleicht ist das später eine Spur, vielleicht auch nicht.«
»Gut, sagte ich.
»Wir warten ab, was in Atlantic City geschieht, und wir warten ab, wie die Zentrale in Washington entscheidet. Es gefällt mir auch nicht, aber es gibt keinen anderen Weg. Wer auf große Fische Jagd macht, muss Geduld haben. Die beißen nicht so schnell. Schönes Wochenende!«
Ich war mir sicher, es würde kein schönes Wochenende werden. Ich würde an Mal Denier denken und es verfluchen, dass uns die Hände gebunden waren.
2
»Hast du schon einmal an den Tod gedacht, Wanda?«, fragte Caesare Martini.
Wanda Perkins schaute ihn über den Rand des Champagnerglases hinweg an. Das schwarze Trikot schmiegte sich so eng um ihren Körper, dass man die Bewegungen ihrer Kurven genau verfolgen konnte, wenn sie sich bewegte.
»Was soll das, Mister Martini?«, fragte sie.
Und sie fragte es ernst. Die letzten zehn Jahre ihres Lebens hatte die dunkelhaarige Schönheit hinter den Theken verschiedener Bars verbracht. Sie hatte gelernt, einem Mann auf den ersten Blick anzusehen, ob er etwas ernst meinte oder nicht.
Als Wanda etwas antworten wollte, schüttelte Caesare Martini den Kopf. Mit einer fahrigen Handbewegung strich er sich über Haar. »Ist Paco im Haus?«
Wanda Perkins deutete mit einer knappen Bewegung gegen die Decke.
»Allein?«
»Weiß man das bei Paco jemals?«
Martini lächelte schwach. »Wie lange kennen wir uns jetzt schon, Wanda?«
»Zwei Jahre, vielleicht etwas länger.«
Er nickte. »Weißt du eigentlich, dass ich mich während dieser ganzen Zeit immer gefragt habe, wie du ohne das Trikot aussiehst, Wanda?«
Sie lächelte. Nicht so, wie man einen Mann anlächelt, zu dem man freundlich sein muss, weil er großen Einfluss besitzt.
»Vielleicht hätte ich es längst wissen können, Wanda, aber ich wollte es mir für einen schönen Anlass aufheben. Ich bin ein alter Narr, Wanda.«
Martini stellte das Glas auf die Theke zurück. Mit betont geraden Schritten ging er zum Fahrstuhl. Daneben befand sich die Telefonzelle. Er zögerte für einen Moment. Dann öffnete er die Tür und betrat die Kabine.
Es dauerte einige Zeit, bis er mit dem richtigen Mann verbunden war.
»Sind die beiden Männer noch bei meiner Tochter?«, fragte er mit heiserer Stimme.
»Natürlich! Verdammt, was hast du dir vorgestellt, Caesare?«
Mit zittrigen Fingern zündete sich Martini eine Zigarette an. Was hatte er sich vorgestellt? Dass sie alles auf sich beruhen ließen? Dass sie sagten, okay, du hast einen Fehler begangen, hast uns hintergangen. Schwamm drüber, vergessen und vergeben!
»Excelsior«, sagte er schließlich mit gefasster Stimme. »Ich werde den Schlüssel für den Spezialtresor hinter der Fußleiste des Westfensters verstecken. Die Nummer auf dem Schlüssel ist gleichzeitig die Safekombination. Beginnend mit rechts.«
Schweigen herrschte am anderen Ende der Leitung.
»Weiter, Caesare?«
»Ihr braucht mir keine Killer zu schicken, das würde nur noch mehr Schwierigkeiten bringen. Was Manuela angeht, sie weiß von nichts, kennt keine Namen, keinerlei Verbindungen. Bis auf die zu Delvante. Ich will, dass sie mit mindestens einer Million aus der Stadt geschickt wird, Charly. Das bist du mir schuldig, Freund.«
Charly Brandon, am anderen Ende der Leitung, lachte auf, ohne dass es glücklich klang.
»Das kann ich nicht allein entscheiden.«
»Das weiß ich«, antwortete Caesare Martini mit gefasster Stimme. »Aber ich weiß auch, dass ich mich auf dich verlassen kann, Charly. Leite es in die Wege! Wenn du mir sagst, es geht okay, dann glaube ich dir. Ich will von dir nichts anderes als die Wahrheit hören. Noch habe ich eine Menge in der Hand. Es hat also keinen Zweck, mich einfach umzulegen. Wir müssen uns arrangieren, um größeren Schaden abzuwenden. Mach den anderen das klar! Du kannst es schaffen. Manuela ist wirklich keine Gefahr. Mein Wort darauf! In einer halben Stunde rufe ich dich wieder an.«
»Wo bist du?«
»Im Astoria Club von Paco Delvante.«
»Leg ihn um, dann hast du zum Schluss noch ein gutes Werk vollbracht. Du hast ihm vertraut und ihn mit unseren Geldern groß gemacht. Anschließend hat er dich hereingelegt und dich in diese Schwierigkeiten gebracht. Vielleicht ist er es gewesen, der den verdammten G-man auf Manuela angesetzt hat.«
»Unsinn, Charly. Das weißt du sehr genau. In einer halben Stunde! Manuela weiß nichts von unseren Geschäften. Sie weiß nur, dass wir beide Freunde sind. Du bist für sie wie ein zweiter Vater. Sie wird auf dich hören und das Land verlassen.«
Caesare Martini legte auf und rieb sich den Schweiß aus dem Gesicht. Dann nahm er den Aufzug nach oben ins Penthouse des Astoria Club.
Paco Delvante erwartete ihn im Eingang. Wanda hatte ihn angerufen und seinen Besuch angekündigt.
Delvante überragte Martini um einen ganzen Kopf. Er trug einen hellen Anzug, ein hellblaues Hemd und einen blau-weiß gepunkteten Binder. Ein Mann, dessen äußere Erscheinung schon ausdrückte, dass er jemand war.
Vielleicht zehn Sekunden standen sie sich schweigend gegenüber und belauerten sich. Keiner von ihnen verzog auch nur eine Miene.
»Hast du keine Angst, Paco?«, fragte Martini dann.
Delvante lachte auf. »Hast du eine Waffe, Caesare?«
Martini schwieg.
»Natürlich nicht, Caesare«, sagte Delvante. »Und selbst wenn, dann würdest du nicht auf mich schießen können. Auf keinen, Caesare!«
Paco Delvante wandte sich ab. Hinter dem großen, eleganten Mann betrat Martini einen exklusiv eingerichteten Salon.
»Auf dich könnte ich vielleicht schießen, Paco!«
Delvante drehte sich mit einem Ruck herum. Im ersten Moment hatte er erwartet, dass Martini wirklich eine Waffe aus der Tasche seines Anzugs zog. Doch es waren nur das Feuerzeug und die Zigaretten.
»Du glaubst, ich hätte dich hereingelegt, he?«
Martini nickte. Er steckte Feuerzeug und Zigaretten wieder ein.
Delvante lachte schallend auf. »Mehr als eine Million hast du an mir und meinen Geschäften verdient, weil du das Geld der Mafia, das du verwaltest, in meine Betriebe gesteckt hast. Du hast von Anfang an gewusst, dass es ein heißes Eisen war, und du hast gewusst, dass du mich mit dem fremden Geld immer größer gemacht hast. Gegen die Interessen der feinen Gesellschaft, der ich von Anfang an ein Dorn im Auge war. Die letzte Investition ist schiefgegangen, Ceasare. Man kann nicht mit allen Geschäften Glück haben. Und keiner von uns beiden konnte wissen, dass die Organisation gerade jetzt bei dir eine Inventur durchführt.«
»Drei Millionen!«, sagte Martini.
Er ging an Delvante vorbei, der ihn wie ein gefährliches Tier belauerte, und schenkte sich an der Hausbar einen Bourbon ein.
»Ausgezeichnet, Delvante. Du verstehst es zu leben.«
»Das ist man sich und seiner Umwelt schuldig, wenn man einmal eine gewisse Größe erreicht hat.«
Martini trank sein Glas leer und stellte es auf einem Glastisch ab. »Glaubst du vielleicht, sie lassen dich ungeschoren davonkommen, nachdem sie wissen, dass ich dich mit dem Geld der Organisation groß gemacht habe?«
Für einige Sekunden wurde Paco Delvante nachdenklich.
»Möglicherweise verlangen sie die letzte Einlage von drei Millionen zurück«, sagte er. »Ich werde mich mit Charly Brandon einigen.«
Martini lachte. »Du stellst dir das etwas zu einfach vor, Paco. Brandon würde dich nicht einmal mit einer Ofenzange anpacken, geschweige denn, dich in seine Nähe lassen.«
»Oder Brandon stellt sich das etwas zu einfach vor, Caesare. Ich komme von ganz unten. Männer wie ich halten fest, was sie einmal in der Hand haben. Bist du gekommen, um mir mein baldiges Ableben mitzuteilen, Caesare?«
Martini ließ sich in einen der schweren Ledersessel sinken. Er schaute Paco Delvante an. Ein Emporkömmling. Ein gefährlicher Mann, für den es nur das Gesetz der Stärke gab. Die Faust, die Kugel und der harte Dollar. Das waren die Stärken, die für Delvante zählten. Und noch in einem hatte Paco recht. Er kam wirklich von ganz unten. Solche Männer verstanden zu kämpfen. Solche Männer gingen über Leichen. Zum Beispiel auch über seine eigene.
Martini schaute den Mann an, wegen dem er sterben sollte, doch er konnte ihn nicht einmal hassen. Freunde waren sie niemals geworden, aber sie hatten zusammengearbeitet und zusammen Geld gemacht. Bis zum letzten Coup hatte Delvante ehrlich gespielt, dann mit gezinkten Karten. Delvante hatte ihn fallen lassen, hatte seinen Triumph haben wollen und Brandon klargemacht, dass er nur durch ihn, Martini, und nur durch das Geld der Organisation, das er verwaltete, groß geworden war.
Inzwischen hatte sich Delvante zum ersten Mann in der Stadt gemausert. Drei Casinos, einige Hotels, Drogenhandel, Prostitution und Kreditgeschäft. Delvante hatte seine gepflegten Finger in allem, was schnelle Dollars versprach.
Martini starrte ihn an. Er versuchte es mit aller Macht, doch er konnte diesen Mann nicht hassen, der ihn umbringen wollte.
»Das FBI hatte einen Agent auf meine Tochter angesetzt, Paco«, sagte er und schlug die Beine andersherum übereinander. »Brandon hat den G-man geschnappt! Er ist tot.«
Das beruhigte Paco Delvante nicht besonders. »Hat Manuela geplaudert?«
»Das glaube ich nicht.«
»Mein Name wird gefallen sein, he?«
»Möglich.« Martini nickte, stand auf, ging zur Bar zurück und nahm sich noch einen Bourbon. »Leicht möglich. Aber über Brandon kann sie nichts gesagt haben. Von dem wusste sie nichts.«