Jerry Cotton Sonder-Edition 198 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 198 E-Book

Jerry Cotton

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wir trauten unseren Augen kaum. Der große Gangsterboss Nick Gusella kam heimlich als Bittsteller zum FBI. Was steckte dahinter? Sein Thron wackelte. Denn eine neue Verbrecherorganisation erschoss seine besten Leute. Und seine eigene Tochter lieferte der Konkurrenz Informationen! So erfuhren Phil und ich zum ersten Mal von jener unheimlichen Macht, die auch uns auszulöschen drohte: die Anti-Mafia.


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 187

Veröffentlichungsjahr: 2022

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Die Anti-Mafia

Vorschau

Impressum

Die Anti-Mafia

Wir trauten unseren Augen kaum. Der große Gangsterboss Nick Gusella kam heimlich als Bittsteller zum FBI. Was steckte dahinter? Sein Thron wackelte. Denn eine neue Verbrecherorganisation erschoss seine besten Leute. Und seine eigene Tochter lieferte der Konkurrenz Informationen! So erfuhren Phil und ich zum ersten Mal von jener unheimlichen Macht, die auch uns auszulöschen drohte: die Anti-Mafia.

1

Rocky Dunne lächelte ungläubig, als er den Vorraum betrat und die Ansammlung der Leibwächter überblickte. Kein Stuhl war mehr frei. Auch unten in der Garage hatte er ein paar Burschen entdeckt, die sich hinter abgestellten Fahrzeugen herumdrückten.

»Was ist denn los?«, erkundigte er sich. »Erwartet ihr eine Invasion? Oder gibt's etwa eine Betriebsversammlung?«

Niemand lachte. Dave Merritt schielte nervös zur Tür.

»Der Boss wartet«, sagte Merritt respektvoll.

»Na schön, Dave«, meinte Rocky Dunne. Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Ich werde mir anhören, was der Boss von mir will. Und dann werde ich in meine Billardbude zurückkehren, wo es warm und gemütlich ist und wo ich mir meine Gesellschaft aussuchen kann.«

Rocky Dunne war ein Hüne. Er duckte sich, als er leise durch die Tür trat. Unverwandt sah er den Mann an, der in Gedanken versunken am Fenster stand und ihm den Rücken zuwandte. Mit einer genau kalkulierten Bewegung knallte Dunne die Tür ins Schloss.

Alex Perrini, der Mann am Fenster, fuhr herum. Sein weiches Gesicht überzog sich mit roten Flecken. Rocky Dunne ließ keine Gelegenheit aus, um ihm zu zeigen, dass er nichts von ihm hielt.

»Du hast dir verdammt viel Zeit gelassen«, sagte Perrini.

Rocky Dunne zog einen Stuhl heran und setzte sich einfach. »Was gibt es denn so Eiliges, Alex?«, fragte er gleichmütig.

Perrini trat an den Schreibtisch und stemmte die Fäuste auf die Platte. Seine Lippen waren feucht.

»Irgendwann gebe ich dich zum Abschuss frei, Dunne!«, sagte er erstickt. »Irgendwann ...«

»Aber doch nicht heute, oder? Ich habe nämlich noch eine Verabredung.«

Perrini schloss die Augen zu kleinen Schlitzen. Langsam setzte er sich. »Okay, Dunne, ich weiß, du bist ein Bursche, der sich in kein Korsett zwängen lässt. Und du weißt, dass ich mich nie daran gewöhnen werde. Ich brauche dich, Dunne, und ich erwarte von dir, dass du deinen Eigensinn zurückstellst und dich unterordnest. Ich kann in der nächsten Zeit keinen Ärger brauchen.«

Dunne wusste, weshalb Alex Perrini, der mächtigste Mafiaboss von New Jersey, Ruhe brauchte. Drüben in New York trat in vier Wochen die Commissione, der Große Rat der Mafia, zusammen. Nach dem Tod des alten Mogavero stand die Neuwahl des Capo di tutti Capi an, des Bosses aller Bosse. Alex Perrini rechnete sich Chancen aus, gewählt zu werden, obwohl er dem Rat erst seit vier Jahren angehörte.

Rocky Dunne unterdrückte ein höhnisches Lachen. Die Capi müssten schon allesamt senile Trottel sein, wenn sie einen Schwachkopf wie Perrini zu ihrem Vorsitzenden wählten.

Perrini fehlte die mitreißende Kraft. Allerdings war einer seiner ärgsten Konkurrenten, Bruno Lechesi aus Baltimore, vor vier Tagen ermordet worden. Der Killer war ein Bursche namens Louis Filion, der einen verbissenen Krieg gegen die Mafia führte, seit sein Bruder bei einer blutigen Auseinandersetzung um einträgliche Gebiete im Süden der Staaten hinterrücks erschossen worden war.

Filion war ein Kamikazetyp. Er war selbst ein Mafioso gewesen. Rocky Dunne unterschätzte so einen Mann nicht. Denn eigenartig war, dass er ausgerechnet Lechesi umgelegt hatte, einen der aussichtsreichsten Bewerber um den Vorsitz in der Commissione. Zufall oder Absicht? Hatte sich Louis Filion etwa mit den Spinnern zusammengetan, die sich Anti-Mafia nannten?

Jedenfalls spielte Lechesi nicht mehr mit. Blieb noch Nick Gusella aus Las Vegas. An den kam kein Killer heran. Den konnte auch Perrini nicht ausbooten, das war ausgeschlossen. Gusella genoss hohes Ansehen bei allen Familien. Diese Eigenschaft war unerlässlich, um Streitereien zu schlichten. Gusella hatte die Westküstenbosse geschlossen hinter sich. Auch die Familien der Industriestädte im Osten würden sich für ihn entscheiden.

Nein, gegen Nick Gusella hatte ein Schaumschläger wie Alex Perrini keine Chance!

Perrini öffnete seine verkniffenen Lippen, um eine frische Zigarre dazwischen zu klemmen.

»Louis Filion ist in New York!« Unwillkürlich richtete er den Blick auf das Fenster, wo jenseits des Hudson River die Skyline Manhattans zu erkennen war. In einem anderen Bundesstaat, jedoch nur einen Katzensprung entfernt.

Daher wehte also der Wind. Perrini hatte Angst! Deshalb die Leibwächter draußen. Deshalb hatte er ihn, Rocky Dunne, antanzen lassen.

»Ich wusste, dass Filion auftauchen würde. Ich wusste es! Ich bin der nächste auf der Abschussliste!« Perrinis Stimme wurde schrill. »Aber an den Jungs kommt er nicht vorbei. Niemals!«

»Dann ist es ja gut«, meinte Rocky Dunne unbeeindruckt.

Perrini atmete tief durch, wobei er sich am Rauch der Zigarre verschluckte.

»Kümmere dich um ihn!«, stieß er heftig hervor. »Schaff ihn mir vom Hals!«

Rocky Dunne verstand Perrinis heikle Lage. Alex Perrini war überzeugt, dass Filion es auf ihn abgesehen hatte. Ob es den Tatsachen entsprach oder nicht, spielte keine Rolle. Perrini konnte nicht bei den Manhattan-Bossen anrufen und sie um Hilfe bitten. Nicht wenn er der Boss der Bosse werden wollte. Er konnte auch nicht einfach seine Jungs nach Manhattan rüberschicken und Putz machen lassen. Das würden die Manhattan-Bosse ihm übelnehmen.

Also brauchte Perrini einen Mann wie Rocky Dunne.

»Ich?«, fragte er dennoch. »Warum ausgerechnet ich? Ich bin außer Übung.«

»Du bist ein Schweinehund, Dunne. Aber eines weiß ich genau, du wirst mir nicht in den Rücken fallen.«

Rocky Dunne lächelte unbestimmt. »Soll ich ihn umlegen, Alex?«

Perrinis Augen wurden wieder klein. »Leg mir keine Äußerungen in den Mund, die ich nicht getan habe!«

Dunne ahnte, dass er mit dem Rücken an der Wand stand. Er konnte es nicht riskieren, einen Auftrag von Perrini einfach nicht zu beachten. Andererseits, wenn er einen umlegte, war er für alle Zeiten geliefert. Bei seiner Vorstrafenlatte würden sie ihn einlochen und den Schlüssel wegwerfen. Perrini würde ihn nämlich bei der ersten Gelegenheit über die Klinge springen lassen.

Natürlich erwartete Perrini von ihm, dass er diesen Filion umlegte. Dunnes Kaltschnäuzigkeit verflüchtigte sich. Gab es andere Lösungen? Konnte er einem Burschen wie Filion einen derartigen Schrecken einjagen, dass er in Zukunft einen großen Bogen um Perrini machte?

Oder wollte Alex Perrini etwas ganz anderes? Wollte er jetzt schon, dass er, Rocky Dunne, auf der Strecke blieb?

»Tonkin hat ihn erkannt, und zwar eindeutig«, fuhr Perrini mit plötzlich nüchterner, harter Stimme fort. »Ich nehme an, bis jetzt wissen nur wir drei, dass der Bastard dort drüben in seinem verdammten Hotel sitzt und auf seine verdammte Chance wartet. Ich will ihn nicht hier haben, Dunne. Lass dir was einfallen! Du warst ja immer der Star. Der harte, schlaue Bursche. Hättest vielleicht etwas werden können, einen eigenen Bezirk ...«

»Nur nicht bei dir?«

»Verpfusch die Sache nicht, Dunne!«, warnte Perrini. »Ich würde es dir nicht durchgehen lassen.«

Dunne lächelte dünn. »Ich will nichts werden, Alex, das weißt du.«

»Du kannst auch nichts werden, Dunne. Dafür müsstest du einen italienischen Namen haben.«

»Wenn das die einzige Qualifikation ist, Alex, erfüllst du die Bedingungen natürlich.«

Perrinis teigiges Gesicht wurde fahl. Rocky Dunne grinste, als er den Raum verließ und die Tür mit einem lauten Krach ins Schloss warf.

Vierzehn Stockwerke unter uns tobte der Verkehr der Rush Hour über die 50th Street, während ein scharfer Wind den schalen, warmen Dunst aus unzähligen Lüfteröffnungen in unsere Gesichter blies.

Phil hockte hinter der halbhohen Brüstung über der seitlichen Mauer. Er peilte durch das Okular des langen Fernglases, das auf einem Stativ stand. Das Objektiv war auf ein bestimmtes Fenster jenseits des niedrigeren Parkhauses gerichtet – zwölfter Stock, Ostseite, das achte von links.

Überall um uns herum flammten Lichter auf, wurde es hell hinter den Fenstern. Auch im Gateway Hotel drüben jenseits des Parkhauses schimmerten immer mehr helle Vierecke durch die Dämmerung. Die Gäste suchten ihre Zimmer auf.

Nur das Fenster im zwölften Stock, Ostseite, das achte von links, blieb dunkel.

Ich beugte mich über die Brüstung. Das Parkhaus füllte den schmalen Raum zwischen unserem Beobachtungsposten und dem Hotel. Das Parkhaus war eine dieser schmalbrüstigen Stahlkonstruktionen, die mit einem Aufzug betrieben wurden. Die große Lastenkabine, die nur ein Fahrzeug aufnehmen konnte, fuhr immer rund wie ein Paternoster. Die Kabine kreischte erbärmlich in ihren stählernen Führungen.

Das Dach des Parkhauses lag ungefähr fünfundvierzig Fuß unter mir. Der Aufbau mit dem Maschinenhaus stand wie ein schwarzes Ungetüm neben dem runden, mit Holz verkleideten Wasserbehälter.

Ich schlug den Kragen meiner Jacke hoch, und weil ich immer noch fror, hockte ich mich neben Phil und das Stativ, auf dem das Fernglas stand.

»Sag mir Bescheid, wenn du ein knackiges Girl siehst«, rief ich über das Getöse des Aufzugs hinweg.

Der Bursche, auf den wir warteten, konnte in diesem Moment in sein Zimmer treten. Genauso gut konnte er den Abend in einem Kino verbringen. Oder sonst wo.

Oder mit der Vorbereitung für einen neuen Mord.

Wir wussten viel über Louis Filion und seinen Kampf gegen seine ehemaligen Freunde und Komplizen. Bis heute Morgen hatten wir nur nicht gewusst, dass er sich in New York aufhielt.

Das heißt, wir wussten es auch jetzt noch nicht. Ein anonymer Anrufer hatte es heute Vormittag behauptet. Er hatte uns sogar das Hotel und die Zimmernummer genannt.

Mein Gott, dachte ich, wenn Filion nach dem Mord an Bruno Lechesi weitermachen und versuchen wollte, einen Mafiaboss nach dem anderen umzulegen, würde er Misstrauen und Angst in die ehrenwerte Gesellschaft tragen. Und möglicherweise einen Krieg auslösen.

Schon der Mord an Lechesi in Baltimore hatte Fragen aufgeworfen, die sich nicht ohne Weiteres beantworten ließen. Nicht für uns und noch weniger für die großen Bosse.

Bevor er Lechesi tötete, hatte Filion blind alles niedergemacht, was ihm vor die Mündungen der schweren Waffe gekommen war – wenn es nur ein Mafioso war. Mit dem Mord an Lechesi dagegen hatte er gezielt zugeschlagen. Die Art, wie Filion den gut bewachten Capo erreicht hatte, ließ darauf schließen, dass er über Informationen verfügte, die nicht auf der Straße gehandelt wurden. Das legte wiederum den Schluss nahe, dass er seine Rolle als Einzelkämpfer aufgegeben hatte.

Er hatte also Hilfe gefunden. Oder er arbeitete für jemand.

Und jetzt war er in New York eingetroffen, vorausgesetzt, der Anrufer hatte recht. Auf wen hatte es der Killer abgesehen? Auf einen der fünf New Yorker Bosse? Und wer hatte uns den Tipp gegeben? Doch keiner der Bosse! Die waren es gewohnt, ihre Probleme selbst zu lösen.

Das Walkie-Talkie in der Tasche meiner dicken Jacke blieb stumm.

Sieben Kollegen hatten sich im Gateway Hotel verteilt. Jeder von ihnen hatte sich Filions Gesicht genau eingeprägt. Jeder von ihnen würde den Killer erkennen, wenn er ihn sah. Um jedes unnötige Risiko auszuschalten, wollten wir untereinander nur dann in Verbindung treten, wenn es Wahrnehmungen zu melden gab.

Louis Filion war ein kaltblütiger Killer. Eine Ein-Mann-Armee. Kein Unbeteiligter durfte gefährdet werden.

Eine Durchsuchung des Zimmers im zwölften Stock des Gateway hätte uns womöglich schnell Klarheit über die Identität des Gastes gegeben, der sich als Albert Redman aus Athens, Ohio, ins Gästebuch eingetragen hatte.

Ein Anruf beim Polizeichef von Athens hatte bestätigt, dass es dort tatsächlich einen Mann dieses Namens gab. Albert Redman war Vertreter für Autozubehör und deshalb auf Reisen.

Einen Durchsuchungsbeschluss für das Apartment 12 – 64 hätten wir unter diesen Umständen nicht erhalten. Deshalb hockten wir seit dem frühen Nachmittag auf dem Dach eines vierzehnstöckigen Hauses an der West 50th Street und atmeten den Dunst seiner Bewohner ein, der aus den Lüfteraufsätzen geblasen wurde.

Filion oder Redman. Ich wollte möglichst bald wissen, weshalb ich mir hier oben einen abfror.

Mein Freund und Partner Phil Decker trat von einem Fuß auf den anderen.

»Ich löse dich gleich wieder ab«, sagte ich.

Phils gebrummte Antwort ging im Kreischen des Fahrzeugaufzugs unter.

Da kratzte das Walkie-Talkie in meiner Tasche. Ich riss es heraus.

»Bella 4«, klirrte der Lautsprecher. »Ich glaube, er kommt.«

Die Aktion hieß Bella. Bella 4 war mein Kollege George Baker. Er hatte in einem Apartment im zwölften Stock Posten bezogen. Auf derselben Gangseite wie das Zimmer, dem unser Interesse galt. Gegenüber von 12 – 64 oder unmittelbar nebenan war nichts mehr frei gewesen.

Ich drückte die Sprechtaste.

»Was heißt das – ich glaube?«, sagte ich.

Ich richtete mich auf und peilte über die Brüstung. Das Fenster drüben war immer noch dunkel. Auf dem Dach des Parkhauses flammten einige Scheinwerfer auf, deren Lichtkegel auf die hohen Reklametafeln der umliegenden Giebelwände gerichtet waren. In ihrem Schein warf das Gestänge der Feuerleitern bizarre Schattenmuster auf die Rückfront des Gateway.

»Das heißt, ich kann ihn nicht erkennen«, gab George leicht eingeschnappt zurück. »Ich müsste auf den Gang hinaustreten, was ich für riskant halte. Ich sehe nur einen großen Mann, der eben einen Schlüssel ins Schloss von Nummer 12 – 64 steckt.«

Wie war er an den Kollegen unter in der Halle vorbeigekommen?

»Die Tür geht auf«, bestätigte Phil, der angespannt das Fenster auf der anderen Seite durch das Glas beobachtete.

Auch ich sah jetzt den Lichtstreifen der sich öffnenden Tür und dem Umriss eines Mannes.

»Ist er es?«, fragte George Baker über Funk.

»Unmöglich«, antwortete Jimmy Stone, der die Bewachung der Hotelhalle und der Ein- und Ausgänge koordinierte. »Er ist hier nicht durch!«

Jimmy Stone allein hätte den Killer vielleicht übersehen können, nicht aber fünf weitere Kollegen.

»Okay«, sagte ich zu Phil. »Das war's also. Da hat uns einer verschaukelt. Der beobachtet uns jetzt und lacht sich halbtot.«

Phil rührte sich nicht.

»He, komm schon!«, sagte ich. »Mister Redman hat den ganzen Tag Scheibenwischer oder Rückleuchten verkauft. Jetzt will er duschen, bevor er sich den ersten Martini genehmigt.«

»Warum schaltet er dann kein Licht an?«, gab Phil undeutlich zurück.

Ich richtete den Blick wieder auf das Fenster drüben. Ein längliches schwarzes Rechteck, nachdem der Mann, der den Raum betreten hatte, die Tür zum Gang wieder geschlossen hatte.

Phil überließ mir den Platz am Teleskop, und ich presste ein Auge gegen die weiche Gummimanschette.

Das Fenster füllte fast das ganze Blickfeld. Die Lichtstärke des Objektivs reichte aus, um Einzelheiten der Standardeinrichtung erkennen zu lassen.

Ich erkannte noch mehr.

Den Schatten eines Mannes, der durch den Raum schlich.

Als er näher an das Fenster herantrat, fiel der Widerschein eines Scheinwerfers über sein Gesicht. Ich hatte es groß im Okular.

Es gehörte nicht Filion. Aber ich kannte das Gesicht mit der flachen, kleinen Nase und dem breiten Kinn. Verdammt, ich kannte es! Meine grauen Zellen gerieten in Bewegung.

Als der Mann vom Fenster zurücktrat und sein Gesicht wieder im Schatten verschwand, rastete es ein.

»Das war Robert ›Rocky‹ Dunne«, sagte ich.

Rocky Dunne atmete flach. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt feuchte Hände gehabt hatte. Hier witterte er die Gefahr mit jeder Faser seines großen Körpers.

Und jeden Augenblick konnte unten das Geschrei losgehen, wenn das dicke schwarze Zimmermädchen vermisst oder gefunden wurde.

Er hatte verschiedene Möglichkeiten erwogen, um in das Apartment 12 – 64 zu gelangen. Die unauffälligen Möglichkeiten hätten Geduld und Zeit erfordert.

Er hatte sich für einen schnellen, direkten Weg entschieden. Und der forderte Gewalt.

Im achten Stock war er aus dem Aufzug gestiegen. Der große Wagen mit dem Wäschesack, dem Reinigungszeug und den Stapeln frischer Handtücher und Bettwäsche stand in der Nähe der Gangbiegung. Hinter einer geöffneten Tür brummte der Staubsauger.

Der Teppichboden auf dem Flur verschluckte seine Schritte. Rocky Dunne packte den Griffbügel des Servicewagens und schwenkte ihn herum. Er schob ihn in das Apartment und schloss die Tür.

Das Zimmermädchen reckte ein gewaltiges Hinterteil in die Höhe, während es mit der Saugdüse unter dem Bett herumfuhrwerkte.

Mit einem katzenhaften Schritt war er hinter der Frau. Er packte ihre Schienbeinknöchel.

Mit einem heftigen Ruck riss er ihre Beine nach hinten.

Die Frau fiel mit dem Gesicht aufs Bett. Dunne setzte ihr seine Knie zwischen die Schulterblätter, während er sie mit der Handkante k. o. schlug.

Als die Gestalt unter ihm erschlaffte, schleppte Dunne sie ins Bad. Dort fesselte er sie mit zwei Handtüchern, deren Knoten er anschließend mit Wasser übergoss.

Der Hauptschlüssel hing an einer dünnen Kette unter dem Kittel der Bewusstlosen. Dunne riss den Schlüssel einfach los. Er drückte die Tür zum Bad ins Schloss. Der Staubsauger brummte immer noch. Dunne stellte ihn nicht ab.

Das Zimmermädchen würde nicht aussagen können, wer oder was sie überwältigt hatte. An die Frau verschwendete er keinen Gedanken mehr, als er sich vorsichtig witternd durch das Zimmer des Killers bewegte.

Den großen Hartschalenkoffer auf dem Gestell am Fußende des Betts rührte er nicht an, genauso wenig wie die Schubfächer der Kommode. Louis Filion war erst siebenundzwanzig Jahre alt, aber er hatte mehr Tricks drauf als mancher alte Hase. Die Tatsache, dass er bisher weder den Killerkommandos der Mafia noch den G-men ins Netz gegangen war, unterstrich seine Gefährlichkeit.

Seine Nackenhaare stellten sich auf, als das schrille Kreischen des Parkhausaufzugs die Fensterscheibe klirren ließ. Er öffnete und schloss die großen Fäuste. Als das Klirren aufhörte, riss er die Tür zum Bad auf.

Er brauchte kein Licht, um festzustellen, dass der schmale Raum keine Versteckmöglichkeiten bot.

Hau ab, Rocky Dunne!, sagte er zu sich selbst.

Er hatte keine Schusswaffe mitgenommen. Mit der Kanone war Louis Filion besser als jeder andere. Wenn er, Rocky Dunne, Filion tötete, würde er es mit den bloßen Händen tun. Mit den Händen war er immer noch der Beste.

Nur gab es keine andere Möglichkeiten, die nicht so endgültig und vor allen Dingen aufsehenerregend waren wie Mord? Er wollte nicht ins Gefängnis.

Rocky Dunne sah auf seine Quarzuhr. Er hielt sich erst gut eine Minute in diesem Raum auf. Konnte er es sich leisten, hier kaltblütig auf den Killer zu warten, während die Hausdetektive nach dem abhandengekommenen Hauptschlüssel suchten?

Nun, Filion würde es kaum mitkriegen. Denn sie würden es nicht an die große Glocke hängen, dass ihnen einer fehlte.

Und dennoch, Louis Filion verfügte über die Instinkte des Jägers und des Gejagten.

Doch auch Rocky Dunnes Instinkte waren hellwach. Ununterbrochen schrillten ihm ihre Warnungen im Ohr.

Oder war es nur die Angst?

Dunnes Blick fiel auf den Umriss der Verbindungstür zum Nachbarapartment. Er hielt den Atem an.

Natürlich kannte er das System dieser Verbindungstüren, mit denen man nebeneinanderliegende Räume in Suiten verwandeln konnte. Es handelte sich um gepolsterte Doppeltüren, von denen jeweils nur eine von einem Zimmer aus geöffnet werden konnte. Je nach Stärke der Mauern befanden sich zwischen diesen Türen schmale oder auch tiefere Zwischenräume, in denen sich ein Mann verstecken konnte.

Solange niemand von der anderen Seite die Tür öffnete, war er in so einem Zwischenraum sicher. Dort konnte er warten, bis Filion zurückkehrte. Und ihm dann an die Gurgel gehen.

Na also, dachte Rocky Dunne zufrieden. Mit lautlosen Schritten bewegte er sich auf die Tür zu.

2

»Vielleicht hat er eine Verabredung mit Filion«, meinte Phil.

»Quatsch!«, sagte ich barsch. Ich hatte Rocky Dunne immer noch genau im Visier.

»Woher hat er denn den Schlüssel?«, fragte Phil, der von seiner eigenen Idee nicht sehr überzeugt schien.

Ich antwortete nicht. Es gibt Kriminalisten, Theoretiker wie Praktiker, die behaupten, es gebe keine intelligenten Gewaltverbrecher. Sie sind allenfalls geneigt, intelligent scheinenden Gewalttätern eine gewisse Schläue zuzugestehen, die, gepaart mit überentwickelten Instinkten, den Anschein von Intelligenz erzeugten.

Ich aber kannte Rocky Dunne und hielt ihn für einen intelligenten Gewaltverbrecher.

Seine Sturm- und Drangzeit war vorüber. Eine erfolgversprechende Karriere als Profiboxer hatte er abgebrochen, bevor gewissenlose Manager ihn in zermürbenden Ringschlachten verheizen konnten. Auch ein Zeichen von Intelligenz!

Wenig klug war auf den ersten Blick, dass er sich in den Dienst verschiedener Gangsterbosse drüben in New Jersey gestellt hatte. Wegen seiner offenbar unerschütterlichen Loyalität hatte er es schnell zu einer Art Edelleibwächter gebracht. Als Al Medina, der berühmte und berüchtigte Schlächter von Union City, vor zwölf Jahren von seinen eigenen Leuten geopfert wurde, weil der Druck vonseiten der Behörden gegen die Mafia zu stark wurde, war Rocky Dunne der Einzige, der nicht gegen ihn aussagte.

Medina bekam lebenslänglich. Rocky Dunne wurde wegen dreier Morde angeklagt, die Medina nachweislich angeordnet hatte. Verurteilt wurde Dunne wegen Totschlags in zwei Fällen.

Ich kannte Rocky Dunne, weil ich damals als junger G-man der Sonderkommission angehörte, die auf die Medina-Familie angesetzt war. Seit damals war ich ihm nicht mehr begegnet. Ich hatte gehört, dass er acht Jahre abgesessen hatte und seitdem zurückgezogen lebte. Von Al Medinas Rücklagen, wie es hieß.

Rocky Dunne musste jetzt Ende dreißig sein, was kein Alter war. Dass er sich in einem Apartment aufhielt, das angeblich von Louis Filion gemietet worden war, verriet, dass sich Dunne keineswegs zur Ruhe gesetzt hatte, ganz gleich, weshalb er sich dort drüben in einem dunklen Apartment herumdrückte.

Meine Beinmuskeln verkrampften, weil ich es nicht riskierte, meine gebeugte Stellung zu verändern.

Deutlich konnte ich sehen, wie Dunne ins Bad spähte.

»Im Nebenraum ist das Licht ausgegangen«, meldete Phil. Er drückte die Sprechtaste seines Walkie-Talkies. »Bella 3 für Bella 4! Es müsste jetzt jemand aus Nummer 12 – 62 kommen!«

»Ich kann den Gang überblicken«, antwortete George Baker. »Ich sage Bescheid.«

»Verstanden, Bella 4«, bestätigte Phil. Zu mir gewandt fragte er: »Was ist los?«

»Er geht auf die Verbindungstür zu«, sagte ich gepresst. »Verdammt, wir hätten die anderen Gäste der Etage checken sollen!«

Phil drückte erneut die Sprechtaste seines Funkgeräts. »Was ist, Bella 4?«

»Keine Wahrnehmungen«, kam Georges nüchterne Antwort.

Ich richtete die Optik des Teleskops auf das Fenster des Nebenapartments. Die Jalousie war herabgezogen. Dahinter war es dunkel.

Natürlich konnte es sein, dass jemand müde war und am frühen Abend eine Runde schlief, um sich für den späteren Abend fit zu machen.

Es gab aber auch andere Möglichkeiten.

»Ich will näher ran«, sagte ich und richtete mich auf.

»Jerry ...«

»Was kann schon passieren?« Ich flankte auf die Umfassungsmauer und sah auf das Dach des Parkhauses hinab. Fünfundvierzig Fuß! Ein paar Schritte weiter war eine eiserne Leiter in die Giebelwand eingelassen. Ich balancierte auf sie zu.

»Was passieren kann?«, schrie Phil aufgebracht gegen das Getöse der Aufzugsmaschine an. »Dunne und Filion werden dich gemeinsam unter Feuer nehmen!«

»Du wirst mich nicht aus den Augen lassen, wie ich dich kenne«, sagte ich optimistisch.

Ich sprang auf die Leiter und ließ mich über die rostigen Sprossen hinab.

Das Dach des Parkhauses vibrierte unter meinen Füßen. Ich war von den Lichtkegeln der Tiefstrahler und Spotlights umgeben, die meinen Schatten als groteske Umrisse über das große, runde Wasserreservoir und die Mauer des Gateway Hotel tanzen ließen.

Rocky Dunne legte seine Hand auf den Knauf der Verbindungstür und packte fest zu, weil seine Haut glitschig war vom Schweiß.

Der Knauf ließ sich mühelos drehen. Die Tür schwang zurück.

Dahinter war es dunkel. Zu dunkel. Rocky Dunne hatte das deutliche Empfinden, dass die andere Tür ebenfalls offen stand.

Eine Falle! Sein Instinkt hatte ihn nicht umsonst gewarnt.