Jerry Cotton Sonder-Edition 20 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 20 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Die Firma Hobarth Development wurde von einer Explosion erschüttert, die fast 30 Menschen das Leben kostete. Schnell stellte sich heraus, dass es ein geplanter Anschlag war, und die Spur führte zu Paul Bowman aus der Forschungsabteilung der Firma. Bevor wir ihn allerdings befragen konnten war er auch tot - ermordet. Phil und ich stießen auf ein geheimes Projekt, für das einige Leute bereit waren, über Leichen zu gehen ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Ein Erpresser zu viel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Film: »New Police Story«/ddp-images

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2678-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Ein Erpresser zu viel

1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.

Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:

»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.

Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.

1

Der Jaguar spuckte und räusperte sich wie ein Asthmatiker im Februar. Es geschah auf der Queensboro Bridge und war mir reichlich unangenehm. Wir schafften es noch ein Stück den Vernon Boulevard hinauf, dann blieb er endgültig stehen.

Wir befanden uns mitten im Industrieviertel von Long Island City. Hinter dem schmalen Bürgersteig wuchs eine rußig braune Backsteinmauer hoch, die in mannshohen Lettern die Aufschrift Hobarth Development trug.

Plötzlich erfolgte eine heftige Detonation. Trümmerteile aller Größen stiegen in den blauen Herbsthimmel und wirbelten über das Gelände. Im Werk heulte eine Sirene auf, noch ehe ich den Hörer des Sprechfunkgeräts aus der Halterung reißen konnte.

»Schwere Explosion bei Hobarths Development!«, brüllte ich ins Mikrofon. »Alarmiert Feuerwehr, Polizei und Rettungswagen! Wir sehen inzwischen zu, ob wir helfen können. Ende!«

Phil war mir um gut zehn Yards voraus. Wir setzten über die Schranke und rannten auf den Explosionsherd zu.

Aus den Türen der Werkhallen stürzten Menschen. Einige Beherzte liefen zu dem Gebäude nahe der Einfassungsmauer, wo die Katastrophe sich ereignet hatte. Es war ein gutes Dutzend versammelt, als wir vor dem prasselnden Feuer haltmachten.

»Wie viele Menschen sind da drin?«, fragte ich einen füllig gebauten Mann im blauen Overall.

»Mindestens dreißig«, keuchte er und sah mich an. Plötzlich wurde er lebendig.

»Wer sind Sie? Was wollen Sie hier? Sie gehören doch nicht zum Werk!«

»Stimmt«, erwiderte ich und hielt ihm meinen Ausweis hin. »Wir waren zufällig in der Nähe. Vielleicht können wir helfen.«

»Wir können nicht heran. In der Halle lagerten Nitrofarben.«

Er hatte recht. Hier konnten nur die Feuerwehrleute mit Schaumlöschern etwas ausrichten. Aus den Trümmern stiegen beißende Rauchwolken. Die ätzenden Gase reizten unsere Schleimhäute.

Auf dem breiten Band der asphaltierten Werkstraße brausten schwere Fahrzeuge heran und stoppten. Ich erkannte die Aufschrift an der Stirnseite der mächtigen Wagen. FDNY.

Im Hintergrund stand die schweigende Menge der Werksangestellten. Das Entsetzen über das fürchterliche Schicksal ihrer 30 Kollegen stand in ihren Gesichtern. Zwischen ihnen und dem Brandplatz zog sich ein Kordon von Polizisten hin.

Wortlos kehrten wir um.

Im Erdgeschoss des fünfstöckigen Verwaltungsgebäudes fand ich in einem Zimmer ein Telefon. Die Räume waren verlassen. Ich rief das FBI-Gebäude an und unterrichtete unseren Chef, Mr High.

»Bleiben Sie dort, Jerry!«, sagte er. »Möglicherweise handelt es sich um Brandstiftung, und in diesem Fall müssen wir die Nachforschungen führen. Melden Sie sich wieder, wenn Sie Hilfe brauchen!«

Ich kehrte mit Phil an den Brandplatz zurück. Eine Gruppe von erschöpften Feuerwehrleuten taumelte über die Trümmer.

»Was nun?«, fragte Phil.

»Wir suchen uns jemand von der Werksleitung. Dort erfahren wir am ehesten, wer der verantwortliche Mann für die Lagerung der Vorräte ist.«

Es stellte sich heraus, dass der Inhaber der Hobarth Development, Mr Hobarth, anwesend war. Er war an die 50 Jahre alt und hatte die Figur eines Zehnkämpfers. An seinen Schläfen zeigten sich graue Haare. Sein Gesicht verriet Intelligenz und Tatkraft.

»Gehen wir in mein Büro!«, schlug er vor, nachdem ich ihm eröffnet hatte, ich wolle mich mit ihm unterhalten. Der Weg führte an den jetzt scheibenlosen Fenstern der anderen Hallen vorbei. Trotz des Trümmerregens, der nach der Explosion auf das Werkgelände niedergegangen war, hatte niemand Verletzungen erlitten. Ob es am Explosionsherd noch Überlebende gab, schien allerdings zweifelhaft.

Hobarths Privatbüro lag im 5. Stock des Verwaltungsgebäudes. Neben dem Büro, nur durch eine Glaswand getrennt, lag ein großer Raum, in dem auf breiten Tischen Pläne ausgebreitet lagen. Durch die Fenster an den Seitenwänden pfiff der Wind, der sich in dieser Höhe schon unangenehm bemerkbar machte. Papiere wehten von den Tischen, raschelten über den Fußboden und wurden in eine Ecke getrieben.

»Tut mir leid«, sagte Hobarth mit steinernem Gesicht, »aber gemütlich ist’s hier im Augenblick nicht. Nehmen Sie bitte Platz!«

Wir fegten die Scherben von den Sitzen und fragten, ob er Brandstiftung für möglich halte.

»Möglich ist alles«, räumte Hobarth ein. »Aber ich hoffe es nicht. Das wäre ja entsetzlich!« Einen bestimmten Verdacht hatte er nicht.

»Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als den Mann zu befragen, der für die Lagerung verantwortlich ist, Mister Hobarth. Halten Sie es für möglich, dass die Sicherheitsvorschriften nicht beachtet wurden? Ich glaube nicht, dass nach den Bestimmungen explosive Stoffe und brennbare Flüssigkeiten zusammen gelagert werden dürfen.«

»Das ist eine Frage, die ich mir auch schon gestellt habe, Agent Cotton. Aber wenn es so war, ist es ohne mein Wissen geschehen. Sollte Ihre Vermutung zutreffen, ist damit noch immer nicht geklärt, wie es zu der Explosion kommen konnte.«

»Lassen wir uns doch den Verantwortlichen kommen!«, schlug ich vor. Hobarth griff zum Telefon, es funktionierte noch, aber der Personalchef war verständlicherweise nicht in seinem Büro.

Wir mussten uns also wieder auf die Beine machen. Im Hof gab Hobarth einigen Männern die Anweisung, die Vorarbeiter beim Pförtnerhaus zusammenzurufen.

»Sie sollen die Leute für die Aufräumungsarbeiten einteilen«, sagte er. »Wir müssen so schnell wie möglich die Arbeit wieder aufnehmen.«

»Waren Sie versichert?«, erkundigte sich Phil.

»Selbstverständlich, aber unsere Entwicklung bleibt stehen, und dafür kommt keine Versicherung auf. In Halle IV arbeitete ein kleines Team an einem äußerst wichtigen Projekt. Und nun … Er zögerte. »Bis sich neue Leute eingearbeitet haben, vergeht vielleicht ein Jahr.«

Den Personalchef fanden wir bei den leitenden Männern des Werks.

»Wer war für die Lagerung der Vorräte in Halle IV verantwortlich?«, fragte Hobarth einen breitschultrigen Mann in gut sitzendem Maßanzug.

»Frank Leary. Ich habe ihn schon gesucht, konnte ihn aber nirgends finden.«

»Schicken Sie ein paar Leute herum, die ihn herbringen, Clusky! Ich muss jetzt mit den Vorarbeitern reden.«

Clusky schickte ein paar Arbeiter los, um Leary zu suchen. Nach einer Viertelstunde war er noch nicht da.

»Wir brauchen die Anschrift dieses Leary, Mister Clusky«, sagte ich.

»In meinem Büro befindet sich die Kartei. Kommen Sie!«

Wieder marschierten wir zum Verwaltungsgebäude. Clusky reichte mir eine gelbe Karte. Ich warf einen flüchtigen Blick darauf und griff zum Telefon. Leary wohnte in Greenpoint, in der Humboldt Avenue.

Ein Mann stürzte ins Zimmer. »Wir haben Leary gefunden«, stieß er hervor.

Ich sprang auf. »Wo?

»Im Waschraum von Halle II. Er hat sich erhängt.«

Ich knallte den Hörer auf die Gabel, noch ehe die Verbindung zustande gekommen war. Die anderen rannten hinter mir her.

Vor dem Waschraum standen zwei Cops. Ich ging an ihnen vorbei. Die Leitungsrohre im Waschraum führten an der Wand hoch, bogen dann im rechten Winkel ab.

An einem von ihnen hing der Körper eines Mannes. Das eine Ende eines Nylonseils war um das Rohr geschlungen, das andere um seinen Hals.

»Leary?«, fragte ich den Personalchef. Er nickte und schluckte dabei.

Im Waschbecken lag ein zusammengerolltes Bündel Banknoten. Ich beugte mich darüber, ohne den Beckenrand zu berühren. Sie waren von Wasser durchtränkt.

»50-Dollar-Scheine«, sagte ich langsam. »An die tausend Bucks, schätze ich.«

Als ich mich wieder aufrichtete, begegnete ich Phils Blick. Ich drehte mich um und richtete meine Frage an Clusky.

»Wieviel verdiente Leary in der Woche?«

»Hundertfünfzig, Agent Cotton. Aber dann …«

»… dann trug er den Lohn von mindestens sechs Wochen in der Tasche herum«, ergänzte ich. »Aber ich glaube nicht, dass es sich bei diesem Geld um Lohn für ehrliche Arbeit handelt. Es war der Judaslohn, den er wegwarf, als er sah, was er angerichtet hatte.«

***

Phil und ich führten Vernehmungen durch. Wir suchten nach Leuten, die an diesem Tag mit Frank Leary gearbeitet oder mit ihm gesprochen hatten. Danton Leferre, einer der Vorarbeiter, war kurz nach der Explosion auf den Werkhof gestürmt und dort mit Leary zusammengeprallt.

Nach Leferres Schilderung habe Leary ihn überhaupt nicht gesehen, er sei bleich gewesen wie ein Laken und habe immer wieder gemurmelt: »Er hat mich angelogen!«

Wir konnten uns keinen Vers darauf machen. Wir fuhren fort, Leute auszufragen und den Arbeitstag Learys zu rekonstruieren. Unser Kollege Richard Gibson unterbrach unsere Unterhaltung mit einer verstörten Sekretärin.

»Ihr müsst unbedingt mitkommen«, sagte er aufgeregt. »Wir haben den Zündmechanismus gefunden!«

Wir stiegen ihm über verbogene Stahlträger und Schuttberge nach bis zur einer Grube, um die die drei anderen Experten auf den Knien hockten. Peter Frey deutete auf die Überreste eines altmodischen Weckers. Die Zeiger auf dem emaillierten Zifferblatt standen auf halb eins. Ein Drahtstück hing noch an einem Kontakt, den man mit dem Läutwerk verbunden hatte.

»Primitiver geht’s nicht mehr«, erläuterte Peter. »Ein Zeitzünder, wie ihn jeder einigermaßen geschickte Schuljunge zusammenbasteln könnte. Über die Art des verwendeten Sprengstoffs sind wir uns einig. Es dürfte sich um eine knetbare Masse gehandelt haben, ein hochmoderner Sprengstoff, wie er auch bei der Army verwendet wird.«

Ich hatte nach der Uhr gesehen, als die Rauchwolke sichtbar wurde. Als Polizeibeamter ist man daran gewöhnt, Ereignisse zeitlich festzuhalten. Es war genau halb zehn vormittags gewesen. Und doch standen die Zeiger auf dem demolierten Zifferblatt auf halb eins!

Es gab nur eine Erklärung: Jemand hatte die Uhr um genau drei Stunden vorgestellt. Ein fürchterlicher Verdacht stieg in mir auf. Die Worte Learys, die uns der Vorarbeiter Leferre berichtet hatte, bekamen jetzt einen Sinn.

Ich holte mir Gewissheit bei einer Gruppe von Arbeitern.

»Wann beginnt bei Ihnen die Mittagspause?«

»Das ist verschieden, G-man. Wir essen alle in der Kantine da drüben.« Er zeigte auf ein niedriges Gebäude. »Damit der Andrang nicht zu groß ist, essen wir in drei Schichten: um halb zwölf, um zwölf und um halb eins.«

»Und wann waren die Leute aus Halle IV dran?«

»Zwölf Uhr, G-man.«

Das wirre Gemurmel Learys hatte seine Erklärung gefunden. Der Mann, der ihm die Sprengladung übergab, hatte ihm gesagt, die Höllenmaschine werde um halb eins hochgehen, wenn die Belegschaft von Halle IV beim Essen wäre. In Wirklichkeit hatte er die Uhr um drei Stunden vorgestellt, um nicht nur die Einrichtungen zu zerstören, sondern auch die Köpfe auszuschalten, die sie bedienten.

Als er es dann aus eigener Anschauung beurteilen konnte und überdies erkannte, dass man ihn angelogen hatte, erhängte er sich. Nach den Worten zu schließen, die Leferre gehört hatte, hatte er nur mit einem einzigen Mann verhandelt. Ich teilte Phil meine Gedanken mit.

»Woher willst du wissen, dass Leary im Auftrag handelte?«, fragte er. »Dafür gibt es keinen Beweis. Vielleicht hat er aus Rachsucht gehandelt. Außerdem haben wir drei Aussagen, dass auf Learys Anordnung noch heute am frühen Vormittag 600 Kilo Nitrolack in Halle IV gelagert wurden. Für diese Maßnahme gab es keine erkennbare Notwendigkeit.«

»Das wirft meine These nicht um«, meinte ich. »Aber du vergisst, was Leary zu Leferre gesagt hat. Warum sollte er davon sprechen, dass man ihn angelogen habe, wenn es keinen Hintermann gibt?«

»Und wenn Leferre nun gelogen hat?«

»Dann müsste er ein ausgezeichneter Schauspieler sein. Ich gebe zu, dass meine ganze Theorie auf seiner Aussage basiert. Aber wir können ihn ja überprüfen. Das setzt jedoch voraus, dass Leary nicht Selbstmord begangen hat, sondern ermordet wurde. Unsere Mordkommission hat aber eindeutig auf Selbstmord erkannt.«

»Fahren wir in Learys Wohnung!«, schlug Phil vor.

***

Der Jaguar war während des langen Tages in unsere Fahrbereitschaft abgeschleppt und dort repariert worden. Es stellte sich heraus, dass eine elektrische Leitung durchgeschmort war. Ein Kollege hatte den Wagen am Nachmittag zurückgebracht.

Leary hatte oben am Astoria Park gewohnt, also ebenfalls im Stadtteil Queens. Seine Wirtin war die ältliche Witwe eines Buchhalters, die einzelne Zimmer der Wohnung an Junggesellen vermietete. Sofort nach der Entdeckung des Selbstmordes hatten wir zwei Kollegen hingeschickt, die sich dort umsehen sollten.

Mrs Goldstein schilderte Leary als ruhigen Mieter, der ihr nie Scherereien gemacht, stets pünktlich seine Miete bezahlt und nie zu später Nachtstunde Besuch mitgebracht habe. Nur das Geld fürs Frühstück sei er in den letzten 14 Tagen schuldig geblieben, aber auch das habe er gestern Abend bezahlt.

Also hatte er den Judaslohn schon gestern Abend in seinem Besitz gehabt. Wir gingen in sein Zimmer, das auf der anderen Flurseite lag. Die Ausstattung entsprach zwar nicht dem letzten Schrei, war aber nett und freundlich.

Unser Kollege Fred Nagara drückte die Tür hinter sich zu und deutete auf einen Stapel Zettel auf dem Tisch. Rennwettscheine, nichts als Rennwettscheine. Die meisten waren von einer Buchmacherfirma in der 62nd Street ausgestellt.

Rasch überflog ich einige der Scheine. Die meisten Quittungen lauteten auf Beträge, die einen Mann mit Learys Einkommen ruinieren mussten. Das war also seine große Leidenschaft gewesen! Dafür hatte er Geld gebraucht, und der Mann im Hintergrund hatte es gewusst und ausgenutzt.

Ich ging auf den Gang und fragte Mrs Goldstein, ob ich ihr Telefon mal benutzen dürfe. Auf einem Wandbord stand der Apparat, und daneben hing an einer Schnur das Teilnehmerverzeichnis. Ich suchte mir die Nummer heraus und rief die Buchmacherfirma an. Eine Telefonistin stellte die Verbindung mit dem Inhaber her.

»Frank Leary ist bei Ihnen verschuldet«, sagte ich, als sich eine Männerstimme meldete. »Wie hoch steckte er denn in der Kreide?«

»Augenblick!« Ich hörte Getuschel im Hintergrund, dann war die Stimme wieder da. »Genau 3 254 Dollar und 45 Cent.«

Ich dankte für die Auskunft und hängte ein.

»Alles klar«, sagte ich, als ich wieder im Zimmer stand. »Er stand bei dem Buchmacher mit über 3000 Bucks in der Kreide. Deshalb griff er nach jedem Strohhalm, der ihm hingehalten wurde. Das Teuflische ist nur, dass der Bursche, der ihn angestiftet hat, gerade das schwächste Glied in der Kette fand.«

»Er muss ihn also genau gekannt haben«, meinte mein Freund.

»Er kann auch durch Mittelsmänner an ihn herangetreten sein. Das legt die Vermutung nahe, dass er nicht der einzige war, dem man ein solches Angebot unterbreitete. Wir werden uns jeden einzelnen Angestellten der Hobarth Development noch einmal vornehmen müssen.«

»Das dauert drei bis vier Tage.«

Wir versiegelten das Zimmer und verabschiedeten uns von der Vermieterin.

»Hatte Mister Leary in den letzten Tagen Besuch? Wurde er angerufen?«, fragte ich noch.

»Gestern und vorgestern wurde er aus der Kneipe an der Ecke verlangt, Agent Cotton. Ich weiß es, weil ich meist schneller am Telefon bin als meine Mieter. Ich brauche nur die Küchentür aufzumachen, und O’Caseys Stimme kenne ich genau. O’Casey ist der Wirt. Die meisten meiner Mieter sind Stammgäste bei ihm.«

»Also auf zu O’Casey!«, sagte ich.

Zu viert betraten wir das Lokal. Es gehörte zur Mittelklasse. Hinter der Theke stand ein großer, hagerer Mann mit einer geblümten Weste, die von einer goldenen Uhrkette zusammengehalten wurde.

»Mister O’Casey«, sagte ich, nachdem wir uns ausgewiesen hatten, »Leary hat sich gestern und vorgestern bei Ihnen mit einem Mann getroffen. Wie sah der Mann aus? Kennen Sie ihn?«

»Ein Mann will ihn seit zwei Tagen sprechen. Er gab mir jedes Mal einen Dollar dafür, Mrs Goldstein anzurufen. Leary kam prompt, und sie setzten sich in die Ecke unter dem Ventilator.«

»Wie sah er aus?«

O’Casey beschrieb einen südländischen Mann mittleren Alters ohne besondere Kennzeichen.

»Konnten Sie hören, was die beiden miteinander besprachen?«

Der Wirt sah mich an und hielt meinem Blick stand.

»Nein, Agent Cotton. Ich stehe die meiste Zeit hinter meiner Theke. Sie fragen ihn am besten selbst danach, er muss jeden Augenblick kommen.«

»Tote gehen nicht mehr ins Wirtshaus«, belehrte ich ihn. Es dauerte einige Sekunden, ehe er begriff. »Leary hat heute Nachmittag Selbstmord begangen.«

»Warum denn das?«

»Das ist eine lange Geschichte, O’Casey. Sie können sie morgen in den Zeitungen nachlesen. Würden Sie Learys Gesprächspartner wiedererkennen?«

»O ja, Agent Cotton. Soll ich Sie anrufen, wenn er wieder kommen sollte?«

»Zuerst das nächste Revier, dann mich. Wir brauchen etwas länger, bis wir hier sind, und inzwischen könnte er uns entschlüpfen. Aber machen Sie es möglichst unauffällig, wir haben Grund zu der Annahme, dass Learys Begleiter nicht mit sich spaßen lässt.«

Wir verließen das Lokal.

***

»Wir könnten diesem Bowman noch einen Besuch abstatten«, meinte Phil, als wir auf der Queensboro Bridge waren.

»Versuchen wir es mal in der 67th Street!« Ich hielt nicht viel von unserem Vorhaben. Der Mann hatte meines Erachtens nur Glück gehabt, dass ihm eine Grippe das Leben rettete.

Das Apartmenthaus war ein neues Gebäude mit den typischen Kleinwohnungen, in denen fast ausschließlich unverheiratete Leute mit gutem Einkommen wohnen.

Wir fuhren mit dem Lift in den 7. Stock.

Phil legte seinen Daumen auf den Klingelknopf.

»Bowman liegt sicher im Bett«, bemerkte ich tadelnd. Aber schon wurde die Tür aufgerissen. Ein unfrisierter brauner Haarschopf streckte sich heraus, der einem jungen Mann im Morgenmantel gehörte.

»Ich kaufe nichts«, erklärte er ärgerlich. »Sie bemühen sich umsonst, meine Herren. Es gibt nichts, was Sie mir verkaufen könnten!«

Bevor er uns die Tür vor der Nase zuschlagen konnte, hielt ich ihm meinen Ausweis hin.

»Wir sind zwar Vertreter«, sagte Phil, »aber wir reisen mit einem einmaligen und seltenen Artikel: Gerechtigkeit.«

»Was ist los? Habe ich meinen Wagen falsch geparkt?«

»Mister Bowman«, sagte ich scharf. »Sie scheinen kränker zu sein, als Sie aussehen. Sonst wüssten Sie, dass das FBI sich nicht mit Parksündern befasst!«

»War ja nicht so gemeint, Agent! Aber ich weiß wirklich nichts mit Ihrem Besuch anzufangen!«

Er trat zur Seite und ließ uns eintreten. Seine Ahnungslosigkeit schien nicht gespielt zu sein. Ein Plattenspieler auf dem niedrigen Wohnzimmertisch lieferte die Erklärung. Bowman hatte keine Nachrichten gehört, sondern sich mit dem Anhören der neuesten Schlager vergnügt. Ein weibliches Wesen huschte gerade noch in ein angrenzendes Zimmer.

Bowman zuckte entschuldigend die Schultern.

»Es ist nicht unsere Aufgabe, Leuten nachzuspüren, die sich krank melden, um sich dann mit ihrer Freundin einen guten Tag zu machen.«

»Ich weiß immer noch nicht …«

»Sie arbeiten bei der Hobarth Development und gehören zu dem Team in Halle IV. 26 Ihrer Kollegen haben heute bei einer Explosion den Tod gefunden. Die Sprengung wurde durch einen Sabotageakt ausgelöst.«

Wir ließen ihm Zeit, die Nachricht zu verdauen.

»Entschuldigen Sie!«, stotterte er endlich. Er deutete auf den Plattenspieler. »Ich habe heute noch keine Nachrichten gehört …«

»Keine Ursache«, meinte ich. »Eigentlich verdanken Sie es Ihrer Art von Pflichtauffassung, dass Sie noch leben. Jedenfalls wissen Sie jetzt, weswegen wir hier sind. Wir wollen Ihnen Fragen nach einem gewissen Leary stellen.«

Ich unterrichtete ihn kurz über die Ereignisse des Tages.

»Natürlich kannte ich Frankie«, sagte er dann. »Aber nicht so gut, um über seine Verhältnisse Bescheid zu wissen. Wir im Labor hatten unseren Spaß mit ihm, er war ein seltsamer Kauz. Er sprach immer davon, dass er uns »studierte Eierköpfe« noch einmal ausknocken würde. Er träumte dauernd davon, eines Tages einen Haufen Geld zu gewinnen. Wir lachten ihn aus, und das brachte ihn noch mehr in Wut. Ich glaube, er hatte sich eins von diesen todsicheren Gewinnsystemen ausgeklügelt. Dabei lieh er sich von jedem Geld, der ihm welches pumpen konnte. Bei der Arbeit war er brauchbar, und wir nahmen seine kleinen Besonderheiten hin, ohne uns viel dabei zu denken. Schließlich hat jeder irgendwo einen Tick!«

»Gestern waren Sie ja noch im Betrieb, Bowman. Ist Ihnen an Learys Verhalten etwas Besonderes aufgefallen?«

»Ich glaube, ich habe ihn nicht einmal gesehen«, sagte er nach einer Weile.

Aus dem Nebenzimmer rief das Mädchen.

»Darling, wo bleibst du denn?«

»Wie lange ist die Dame schon bei Ihnen?«, erkundigte ich mich. »Wir brauchen ihre Personalien.«

»Muss das sein?«, fragte er betreten.

»Es muss sein, tut mir leid. Schließlich muss sie Ihre Angaben bestätigen, alles Andere ist uns gleichgültig.«

»Wollen Sie damit andeuten, dass ich verdächtig bin?«, stieß er hervor.

»Durchaus nicht«, beruhigte ich ihn. »Ein Mann Ihrer Intelligenz sollte wissen, dass die Polizei in einem solchen Fall Routineerhebungen durchführt.«

Er ging zur Tür und rief einige Worte in das Nebenzimmer. Kurz darauf kam das Girl heraus und gab uns Namen und Anschrift. Wir erfuhren von ihr, dass sie sich seit dem frühen Morgen in der Wohnung aufhielt. Sie bestätigte die Angabe Bowmans, dass er den ganzen Tag die Wohnung nicht verlassen habe. Damit erklärten wir uns zufrieden, und sie verschwand sofort wieder im Schlafzimmer.

»Danke«, sagte ich zu Bowman. »Das war vorläufig alles. Sollten Sie sich noch an eine auffällige Tatsache erinnern, geben Sie uns bitte Nachricht! Gute Besserung!«

Er verbiss sich eine Bemerkung und geleitete uns an die Tür.

Wir waren gerade wieder in unserem Büro im FBI-Gebäude, als das Telefon klingelte. Ich nahm den Hörer auf und lauschte.

»Komm!«, sagte ich dann zu Phil. »Bei Mrs Goldstein waren ungebetene Besucher.«