Jerry Cotton Sonder-Edition 200 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 200 E-Book

Jerry Cotton

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In New York werden täglich zweihundert Raubüberfälle verübt. Bei einem wurde ich zufällig Zeuge. Es war Nacht. Zwei junge Burschen stürzten sich auf eine Frau. Sie wehrte sich, zog eine Pistole und drückte zweimal ab. Dann konnte sie fliehen. Nachdem ich den Schauplatz des Überfalls erreicht hatte, war der eine Räuber tot, den anderen nahm ich fest. Er hatte die Tasche der Frau erbeutet. Als wir im Office den Inhalt sichteten, wurden wir starr vor Schreck. Es waren Pläne für die geheimste Raketenwaffe der USA: das Killerauge ...


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 206

Veröffentlichungsjahr: 2023

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Das Killerauge

Vorschau

Impressum

Das Killerauge

In New York werden täglich zweihundert Raubüberfälle verübt. Bei einem wurde ich zufällig Zeuge. Es war Nacht. Zwei junge Burschen stürzten sich auf eine Frau. Sie wehrte sich, zog eine Pistole und drückte zweimal ab. Dann konnte sie fliehen. Nachdem ich den Schauplatz des Überfalls erreicht hatte, war der eine Räuber tot, den anderen nahm ich fest. Er hatte die Tasche der Frau erbeutet. Als wir im Office den Inhalt sichteten, wurden wir starr vor Schreck. Es waren Bauteile für die geheimste Raketenwaffe der USA: das Killerauge ...

1

Mein unauffälliger Dienstwagen stand am Straßenrand geparkt, Richtung Norden, in der First Avenue, Ecke East 6th Street. Es war meine Aufgabe, ein bestimmtes Haus zu beobachten und herauszufinden, ob ein gewisser Typ es betreten oder herauskommen würde. Die Sache war gar nicht mal sonderlich wichtig.

Es war kurz nach halb zwei nachts. Aus dem bedeckten Himmel begannen die ersten feinen Regentropfen zu fallen. Ich döste ein wenig und achtete kaum darauf, dass ein Taxi langsam vorbeifuhr, an den Straßenrand gelenkt wurde und stoppte.

Eine jüngere Frau stieg aus und ging auf dem Gehsteig. Ohne besondere Aufmerksamkeit registrierte ich mittlere Größe, normale Figur, dunkles Haar, hellen Trenchcoat und Umhängetasche. Sie entfernte sich. Ich blickte wieder schräg voraus über die Straße zum Eingang des von mir beobachteten Hauses.

Zwei oder drei Minuten später hörte ich schnell hintereinander zwei Schüsse. Es war eine Faustfeuerwaffe, so was hat man im Ohr. Die Schüsse fielen in einiger Entfernung.

Meine Hand zuckte zum Schalter des Scheibenwischers, denn die Frontscheibe war inzwischen von einem dichten Tropfenmuster bedeckt. Die beiden Wischer pendelten einige Male hin und her. Was ich dann etwa hundert Yards voraus auf meiner Straßenseite sah, veranlasste mich, aus dem Wagen zu springen und ihn hinten zu umrunden.

Dort vorn lagen zwei Menschen auf dem Gehsteig. Einer davon war die Frau im hellen Mantel. Ein Mann kam in vollem Lauf die Straße herunter auf mich zu gerannt. In der Rechten hielt er ein baumelndes Etwas. Sekunden später erkannte ich darin die Umhängetasche.

Dann war der Bursche heran. Überraschend trat ich hinter dem Heck meines Wagens hervor und sprang ihm in den Weg. Der etwa zwanzigjährige Mann reagierte schnell. Er änderte die Richtung, rempelte mich hart und versuchte vorbeizukommen.

Der Anprall warf mich von den Beinen. Noch im Fallen packte ich die Beine des jungen Schwarzen nach Art der Footballspieler und riss ihn mit mir zu Boden. Dabei richtete ich es so ein, dass er unter mir zu liegen kam. Im Fallen ließ er den Riemen der Tasche los. Sie flog ein paar Yards weiter.

Ich beachtete sie zunächst nicht, da ich mit dem Mugger alle Hände voll zu tun hatte. Der Typ war wendig wie eine Katze und kämpfte mit der Erfahrung, die ein Dasein unter dem Gesetz der Straße zwangsläufig vermittelt. Man lernt seine Lektion, oder man geht unter.

Gegen die ausgekochten Gangster, mit denen ich es schon zu tun gehabt hatte, war der hier nicht mehr als eine bissige Ratte. Es dauerte keine zwei Minuten, bis ich ihn mit einem harten Faustschlag direkt auf den Punkt traf und er groggy war. Zwar nur für Sekunden, aber lange genug, um ihm die Armbänder anzulegen. Als er wieder klar wurde und sich gefangen sah, spuckte er mir wild ins Gesicht.

»Dreckiger Cop, ihr sollt alle krepieren!«, fauchte er. Die Leichtigkeit, mit der ich mit ihm fertig geworden war, mochte mich als Polizisten entlarvt haben.

»Sachte, Sportsfreund.« Ich zog ihn hart hoch und schleppte den sich heftig Wehrenden zum Wagen. »Du hast heute Nacht schlechte Papiere. Mach's nicht noch schlimmer.«

Ich brachte ihn ins Auto und hängte ihn an die Eisenstange. Er trat zwar weiter um sich, doch das schadete höchstens der ohnehin abgeriebenen Polsterung und den Fußmatten. Dann holte ich die Tasche und spurtete los.

Zu meiner Verwunderung lag voraus nur noch eine Person auf dem Gehsteig, als ich ankam. Ein junger Mann in abgetragenen Jeanshosen, wahrscheinlich ein Puerto-Ricaner. Er lag auf dem Bauch. Als ich ihn behutsam umdrehte, blickte ich in gebrochene Augen. Zwei Kugeln hatten ihn getroffen. Von der Frau fehlte jede Spur.

Sie musste weggerannt sein, während ich den zweiten Mugger versorgt hatte. Wahrscheinlich auf Gummisohlen. Ich erinnerte mich, vorhin kein Schrittgeräusch von ihr gehört zu haben. Ich blickte mich rasch nach allen Seiten um, aber sie war weg. Sinnlos, sie zu suchen.

Solche Fälle gehören ins Ressort der City Police. Ich eilte zum Wagen zurück und nahm über Funk Kontakt mit der Einsatzzentrale Manhattan South auf. Man versprach, sofort ein Patrol Car zu schicken.

Mein Gefangener hörte aus dem kurzen Funkgespräch vom Tod seines Komplizen. Das verminderte seine Widersetzlichkeit bedeutend.

»Ist er wirklich tot?«, fragte er, als ich das Mikro in die Halterung steckte.

»Leider. Ihr seid an die falsche Adresse geraten. Du hattest Glück. Wärst du nicht weggelaufen, sie hätte dich auch noch umgelegt.«

Er antwortete nicht, blieb jedoch ruhig sitzen. Auch ich hatte keine Lust zu reden. Die Sache beschäftigte mich. Zwar hatte ich den genauen Hergang des Überfalls nicht beobachtet. Doch es fiel nicht schwer, ihn zu rekonstruieren.

Die beiden Straßenräuber mussten in einem Hauseingang gewartet haben. Sie waren herausgestürzt und hatten die Frau zu Boden gestoßen.

Ich kannte die Tour.

Und dann lief die Sache anders als vorgesehen. Die Frau musste geschossen haben, wahrscheinlich im Liegen. Und sie hatte getroffen. Das ließ auf Kaltblütigkeit schließen, auf schnelles Reagieren und auf eine gewisse Übung mit der Waffe. Danach war sie aufgesprungen und hatte sich aus dem Staub gemacht.

Weshalb?, fragte ich mich. Sie war eindeutig zur Notwehr berechtigt gewesen, auch zum Gebrauch einer Schusswaffe. Wahrscheinlich besaß sie keinen Waffenschein und wollte sich die Unannehmlichkeiten der Anklage wegen unerlaubten Waffenführens ersparen.

Dieser Meinung waren auch die beiden Cops, die wenige Minuten später mit ihrem Patrol Car eintrafen. Gemeinsam suchten wir den Tatort ab. Wir fanden nichts, auch keine Patronenhülsen.

»Also ein Revolver«, sagte der ältere der beiden Uniformierten und betrachtete den Toten. »Vermutlich ein 32er. Ein größeres Kaliber hätte den Körper durchschlagen.«

Die Cops bedankten sich für mein Eingreifen und übernahmen den Fall. Nachdem ich versprochen hatte, im Lauf des Tages beim Revier vorbeizuschauen und das Protokoll aufnehmen zu lassen, fuhr ich nach Hause. Nach dieser Aufregung in der Straße und dem Erscheinen von Polizei würde mein Mann bestimmt nicht mehr kommen.

Jan Kreitsek hatte schon seit etwa einer halben Stunde gewartet. Als er das bekannte Klingelsignal im Flur hörte, ging er rasch an die Türsprechanlage. »Hallo.«

»Ich bin's. Mach auf.«

»Okay.« Kreitsek drückte die Taste für den Haustüröffner.

Zwei Minuten später stieg draußen eine junge Frau aus dem Aufzug und kam schnell auf die Wohnungstür zu. Ihr heller Trenchcoat war verschmutzt. Er ließ sie herein, schloss hinter ihr die Tür und ließ die beiden Schlösser einschnappen. Dann wandte er sich ihr zu. Sein Blick blieb auf den zwei brandigen kleinen Löchern in Höhe der rechten Hüfte haften.

»Ich bin vorhin überfallen worden, ein Stück weiter unten. Es waren zwei junge Kerle.« Die Frau schilderte den Vorfall. Sie war kaum erregt, sprach ruhig und sachlich. »Den einen habe ich getroffen. Ich schoss aus der Tasche. Er fiel hin und hat sich nicht mehr bewegt. Der andere rannte daraufhin mit der Tasche weg. Ein Stück entfernt kam dann ein dritter Mann und schlug sich mit dem Räuber. Da habe ich es vorgezogen zu verschwinden.«

»Wieso fängt ein Fremder mit einem Straßenräuber eine Schlägerei an?«, fragte Kreitsek. »Hast du dich auch nicht geirrt?«

»Die Tasche wäre so oder so weg gewesen«, gab die junge Frau zurück. »Vielleicht war es ein Polizist.« Sie zog den Mantel aus und hängte ihn an die Flurgarderobe. »Der muss verschwinden, wegen der Schusslöcher. Hast du einen Drink für mich?«

»Komm rein!«

Kreitsek ging ins Wohnzimmer vor. Er öffnete eine Hausbar, nahm Flaschen, Gläser und Eis heraus und machte zwei Whisky on the Rocks zurecht. Einen reichte er seiner Besucherin.

»Danke.« Sie lehnte sich an die Wand und trank, sichtbar abgespannt. Dann nahm sie eine Zigarette aus der Glasdose auf der Hausbar.

»Was war in der Tasche?«, erkundigte er sich, während er ihr Feuer gab und sich selbst einen Zigarillo ansteckte. Er fragte, obwohl er es bereits wusste.

»Die besprochenen Probestücke und der übliche Kosmetikkram.« Die Frau hob ärgerlich die Schultern. »Keine Sorge, es ist nichts drin, was auch nur im Entferntesten auf mich hinweisen könnte. Meine Papiere trage ich wie immer im Brustbeutel.«

»Ich sollte die Stücke morgen weitergeben. Quatsch, es ist ja schon heute.« Kreitsek blickte auf die Armbanduhr und lächelte flüchtig über seinen Versprecher.

»Die Gentlemen werden warten«, meinte die Frau unbeeindruckt. »Ich werde Ersatz beschaffen. Einen Überfall in der First Avenue konnte ich nun wirklich nicht voraussehen. Stell dir vor, die zwei Ratten hätten mich schwer verletzt oder umgebracht. Dann würden deine Interessenten für absehbare Zeit überhaupt nicht an Probestücke herankommen.«

»Das ist richtig. Sind sie ja selbst mindestens fünf Jahre im Entwicklungsrückstand.« Kreitsek war nicht beunruhigt. »Sie werden höchstens ein paar spitze Bemerkungen über den Sicherheitszustand in New York machen.«

»Sollen sie. Deswegen möchte ich nicht bei ihnen drüben leben. Keinen Tag! Ich mache es nur wegen des Geldes, genau wie du.«

»Das wissen sie, und sie werden auch gut bezahlen. Trotzdem haben sie Asyl bei sich angeboten, falls die Sache schiefgehen sollte.«

»Das wird sie nicht, wenn wir aufpassen«, sagte die Frau bestimmt. »Außerdem bleiben wir im Hintergrund. Für die wirklich gefährlichen Aktionen müssen sie selbst Leute stellen. Weißt du hier schon Näheres?«

»Nein«, sagte Kreitsek, »sie haben nur gesagt, es werde dann nur wenige Tage dauern, bis die Leute zur Verfügung ständen.«

»Hoffentlich welche der ersten Garnitur. Die Sicherheitsmaßnahmen sind scharf und gut durchdacht. Stümper haben nicht die geringste Chance. Sie könnten höchstens noch mich mit in Gefahr bringen. Schließlich werde ich dort sein.«

»Keine Sorge, in diesen Dingen sind sie nicht kleinlich. Da ist ihnen das Beste gerade gut genug. Du weißt doch, wie bei ihnen die Devise lautet. Macht, Überlegenheit, letztlich Weltherrschaft. Dafür tun sie alles.«

»Ich denke, sie werden die Weltherrschaft auch dann nicht erringen, wenn sie den Javelin später ebenfalls bauen können. Jedenfalls nicht, solange ich noch etwas vom Leben haben will«, versetzte die Frau zynisch. »Hinterher können sie meinetwegen die Welt in ihre Tasche stecken. Wenn sich die sogenannte freie Welt das gefallen lässt, verdient sie es nicht anders.«

Kreitsek sah die Frau ausdruckslos an.

»Manchmal könnte man sich vor dir fürchten«, sagte er langsam. »Du würdest für deine Interessen die Welt sogar an den Teufel verkaufen.«

»Könnte schon sein, solange ich nichts mit ihm zu tun bekomme.«

Meine Nachtruhe war wieder mal nur kurz gewesen. Trotzdem betrat ich das Office pünktlich zu Dienstbeginn. Bei der Polizei ist es ähnlich wie in einem religiösen Orden. Man lernt zu schlafen, wann es gerade passt.

Mein Freund und Partner Phil Decker erwartete mich schon in unserem gemeinsamen kleinen Büro.

»Du sollst zum Chef kommen, Jerry. Doch wohl nichts verbockt?«, fügte er mit einem leichten Grinsen hinzu.

»Jedenfalls nicht im Dienst. Weißt du, was er will?«

»Keine Ahnung. Frag ihn selbst.«

Das tat ich auch eine Viertelstunde später. Ich begrüßte Helen, Mr. Highs Sekretärin. Sie meldete mich über die Sprechanlage an.

Im Chefbüro begrüßte mich John D. High und kam gleich zur Sache. »Die CIA möchte wieder mal unsere Hilfe. Keine große Sache, hieß es. Bei denen ist O'Shaugnessy der Kontaktmann. Da habe ich an Sie gedacht. Können Sie es einrichten?«

»Ich denke ja, Sir«, sagte ich. Mit O'Shaugnessy hatte ich schon mehrfach gut zusammengearbeitet. Außerdem waren sowohl Phil als auch ich zurzeit mit keinem wichtigen Fall beschäftigt.

Ich ging in unser Büro zurück und rief unter der Geheimnummer die New Yorker Niederlassung der CIA an.

»Mister Willoughby O'Shaugnessy bitte«, sagte ich zu der Telefonistin.

»Einen Moment.«

Ich wusste, sie tastete jetzt den Namen in einen Computer, der O'Shaugnessys Decknamen ausspuckte. Innerhalb der CIA hieß er anders. Freunde nannten ihn nur Pop, da sein langer Name für den täglichen Gebrauch zu umständlich war.

»Ja«, sagte ein Mann, und ich erkannte Pops Stimme.

»Hallo, Pop, hier ist Cotton. Wie geht's? Ich höre, Sie brauchen mal wieder einen richtigen Polizisten.«

»Könnte sein«, erwiderte er launig. »Nett, dass Sie es sein werden, Jerry. Können wir uns heute Mittag treffen?«

»Sicher, wo denn diesmal?«

»Kommen Sie nach Greenwich Village in die Parr Street 17. Läuten Sie bei der Gesellschaft für moderne Gartengestaltung. Passt es Ihnen um zwölf?«

»Okay. Bis dann, Pop!« Ich legte auf.

»Du wirst wieder mal zusammen mit Pop die Nation retten«, flachste Phil mit todernstem Gesicht, ohne von der Akte aufzusehen, die er gerade durchblätterte. »Die Vereinigten Staaten verlassen sich auf euch. Ich bin beruhigt.«

»Bestimmt.«

»Den Lunch bezahlt die CIA, Jerry. Geht in ein anständiges Lokal.«

»Du vergisst, dass Pop ständig mit seinem Gewicht kämpft. Wir werden bei ihm im Büro bleiben, und es gibt höchstens ein paar Sandwiches mit Geflügelfleisch.«

»Dann geh nur.« Phil verzog das Gesicht. »Guten Appetit.«

Um elf fuhr ich los. Die bezeichnete Adresse in Greenwich Village entpuppte sich als ein nahezu idyllisch gelegenes älteres Einfamilienhaus, in einem mauerumfriedeten Garten gelegen und fast gänzlich bewachsen mit wildem Wein. Der Herbst hatte begonnen die Blätter rötlich zu färben.

Gesellschaft für moderne Gartengestaltung, stand auf einem kleinen Messingschild neben der Türglocke. Tatsächlich handelte es sich um ein Außenbüro der CIA, die solche Tarnbezeichnungen bevorzugt.

Ich läutete und nannte durch die Torsprechanlage meinen Namen. Der Toröffner summte. Ich ging durch den musterhaft gepflegten Garten. Ein Mann in grüner Gärtnerschürze mit breitem Strohhut harkte erstes Falllaub zusammen. Er sah fast zu echt aus und betrachtete mich misstrauisch. Seine Arbeitsjacke war unter der linken Achsel ausgebeult.

Pop erwartete mich an der Haustür. Mein alter Bekannter hatte sich nicht verändert. Er war Mitte vierzig, ein wenig rundlich und knapp mittelgroß. Das gemütlich wirkende Gesicht beherrschte eine Knollennase unter kleinen hellen Augen. Wer Pop noch nicht in Aktion gesehen hatte, konnte sich nicht vorstellen, welch entschlossener Kämpfer dieser unauffällige Mann sein konnte.

Wir betraten das Haus und gingen ins Obergeschoss. Ein paar durchschnittlich aussehende Männer und Frauen begegneten uns. Offene Türen gaben den Blick in Büros frei. Alles wirkte wie bei einer kleinen Firma.

»Die Vorschriften, Jerry«, meinte Pop und lachte. »Ich denke, diese Geheimniskrämerei auf unterer Ebene bringt überhaupt nichts. Aber überzeugen Sie mal die höheren Schreibtische davon.« Er hob die Schultern. »Völlig hoffnungslos.«

»Worum geht es?«, fragte ich, als wir in einem Zimmer allein waren.

Pop schob eine Akte vor mich hin. Der Deckel trug eine Kombination aus Zahlen und Buchstaben. »Piet Kembraa. Sagt Ihnen der Name etwas, Jerry?«

»Sollte er?« Ich schlug die Akte auf. Ein Viertel der ersten Seite nahm ein Foto ein. Es zeigte das Gesicht eines Mannes. Ein Schnappschuss. Ich schätzte ihn auf Ende dreißig. Das Gesicht mit den wasserhellen Augen, der hohen Stirn und dem schmalen Mund wirkte kalt. Die dunkelblonden Haare waren in einer an altrömische Frisuren erinnernden Art fransig kurz geschnitten. Mir gefiel der Mann nicht. Ich sagte es Pop. »Wer ist das?«

»Wo der Kerl auftaucht, steht Ärger ins Haus.« Pop nahm die Akte und las vor. »Piet Kembraa, achtunddreißig Jahre alt, knapp sechs Fuß groß, schlank. Geboren in Leyden, Holland. Oberschule, Sportlehrerexamen. Zuerst für den niederländischen Geheimdienst tätig, dann wegen Unregelmäßigkeiten gefeuert. Ging nach Südafrika. Dort ein paar Jobs für die Abwehr in mehreren Staaten Schwarzafrikas.«

»Killerjobs?«

»Auch, aber nicht nur. Sabotage liegt ihm ebenfalls. Die erfolgreiche Sprengung des Staudamms am Rulagi geht wahrscheinlich auf sein Konto.«

»Die Flutwelle fegte damals das gesamte Ausbildungscamp für die schwarzen Guerillas weg«, erinnerte ich mich. »Offiziell wurde die Sache niemals geklärt.«

»Kuba beschuldigte die Südafrikaner und lag damit wohl richtig. Doch das ist Vergangenheit.«

»Und was ist Gegenwart?«

»Kembraa kommt hierher. Er ist bereits in der Maschine aus Johannesburg.«

»Im Auftrag der Südafrikaner etwa?«

»Nein. Ich war noch nicht fertig. Die Boys am Kap haben ihn auch rausgeschmissen. Bei allen Qualitäten war er ihnen zu sehr hinter dem Geld her.«

»Sie haben ihn bestimmt hervorragend bezahlt.«

»Ja, er wollte jedoch noch mehr. Deshalb hat er zwischen den einzelnen Jobs auf eigene Faust in Johannesburg und Pretoria sowie in Durban Banken ausgenommen. Dabei gab es zwei Tote. Kembraa schießt schnell und gut. Das war selbst dem dortigen Geheimdienst zu viel. Sie setzten ihn raus und trafen ein Abkommen mit ihm.«

»Was für ein Abkommen?«, fragte ich gespannt. Hier ging es um einen ziemlich interessanten Typ der internationalen Actionszene. Risikospezialisten hießen diese Leute in der Fachsprache.

»Wir trennen uns von dir, haben sie ihm gesagt. Du hältst den Mund über deine Arbeit für uns und benimmst dich in Zukunft auf dem Boden der Südafrikanischen Union anständig. Dafür vergessen wir die Sache mit den Banken. Wenn du dich nicht an das Abkommen hältst, legen wir dich um.«

»Wann war das?«

»Vor etwa drei Jahren«, sagte Pop.

»Wovon hat er seitdem gelebt? Kaum anzunehmen, dass seine Ersparnisse so lange gereicht haben. Da er aus Johannesburg anreist, scheint er sich aber an das Abkommen gehalten zu haben.«

»Unsere Gewährsleute in Pretoria bestätigen das. Sie interessieren sich natürlich auch dafür, was er im Ausland tut, und haben um Bericht gebeten.«

»Und was meinen Sie?«

»Ich bin mir sicher, er arbeitet als freier Risikospezialist und nimmt nur hochkarätige Jobs an.« Pop machte die Bewegung des Geldzählens. »Er ist gefährlich. So gefährlich, dass Pretoria ihm ständig auf die Finger sieht. Daher kam auch gestern der Tipp. Kembraa landet heute Abend auf dem Kennedy Airport.« Er klappte den Schnellhefter zu. »Ohne Grund kommt die Natter nicht in die USA.«

»Und wir sollen herausfinden, was er vorhat.«

»Wenn er irgend möglich ist, ja, Jerry. Er könnte angeheuert worden sein, um hier bei einem großen Coup mitzuwirken.«

»Solche Leute arbeiten in der Regel nicht für gewöhnliche Gangster, nicht mal für die Cosa Nostra«, sagte ich aus Erfahrung. »Können Sie sich vorstellen, wer ihn engagiert haben könnte?«

»Wenn wir das wüssten, würden wir einen Hinweis auf das Zielobjekt haben. Es ist wichtig herauszufinden, mit wem er hier Kontakt aufnimmt. Er führt zurzeit den Falschnamen Willem Hagedoorn, hat einen holländischen Pass und wohnt angeblich in Amsterdam.«

»Welchen Stellenwert hat die Angelegenheit?«, wollte ich wissen.

»Einen hohen, Jerry«, sagte Pop. »Meinen Auftrag, mit dem FBI in Sachen Kembraa zusammenzuarbeiten, erhielt ich direkt aus Langley.«

Langley war die Zentrale der CIA in der Nähe Washingtons. Ich beschloss, bei der Ankunft Piet Kembraas auf amerikanischen Boden zugegen zu sein.

Danach lud Pop mich zum Lunch ein. Ich war neugierig, was er mir anbieten würde. Ein Geflügelsandwich mit einem Becher Kaffee aus der Thermosflasche? Das hatte ich bei ihm schon erlebt. Diesmal gingen wir in ein nettes Künstlerlokal ein paar Straßen weiter. Pop meinte, der Spaziergang sei ein Angriff auf seinen beginnenden Bauch. Zum Lunch begnügte er sich heroisch mit einem Salatteller. Mir bot er freie Zeche. Ich nahm das Angebot an.

2

Auf der Rückfahrt rief ich von einer Zelle aus Phil an und fragte, ob etwas Dringendes vorliege.

»Das Protokoll wegen heute früh, Jerry«, gab mein Freund zurück. »Das Revier hat angerufen, sie möchten die Sache vom Tisch haben.«

»Okay, ich fahre vorbei. Sonst noch was?«

»War es ein Geflügelsandwich?«, fragte Phil lauernd.

»Falsch«, sagte ich. »Aber heute Abend gibt es was für uns zu tun. Wir treffen uns um halb sieben auf dem Kennedy Airport in der Lounge der PanAm.«

»Kommt Raquel Welch?«

»Deine Dienstauffassung lässt zu wünschen übrig.«

Wir lachten. Dann legte ich den Hörer auf das Gerät zwischen den Sitzen.

Ich brauchte von Greenwich Village bis zu dem Polizeirevier in Manhattan South mehr als anderthalb Stunden. Genug Zeit, um über alles nachzudenken, was mir Pop über Piet Kembraa erzählt hatte. Zwar besaß ich eine Kopie seiner Akte, doch wo es geht, arbeite ich aus dem Gedächtnis.

Im Revier traf ich die beiden Cops von heute früh nicht an. Ein Detective nahm anhand ihres Berichts mit mir das Protokoll auf. Er war an dem Fall nicht sonderlich interessiert. Verständlich, wenn man bedenkt, dass in New York Woche für Woche etwa siebzig Morde geschehen.

»Können Sie die Frau beschreiben?«

»Kaum«, sagte ich. »Nicht besonders jung, würde ich sagen, aber auch nicht alt. Mittlere Größe, dunkles Haar, keine auffällige Frisur.«

»Und einen 32er Coltrevolver in der Tasche. Wir haben die Geschosse untersuchen lassen. Sie weisen die besonderen Eigenarten eines Coltlaufs auf. Der Erschossene und sein Komplize, den Sie geschnappt haben, sind übrigens alte Bekannte von uns. Straffällig schon seit dem vierzehnten Lebensjahr.«

»Das Übliche.«

»Sicher, Agent Cotton. Unter uns, ich wünschte, es gäbe mehr Leute, die sich selbst helfen. Alle Achtung vor der Frau! Keine Chance, sie zu ermitteln. Wahrscheinlich hat sie keinen Waffenschein.« Er grinste schwach. »Sie hätte auch keinen gekriegt, falls sie einen beantragt hätte.«

Ich nickte. Die Polizisten würden die Sache bald zu den Akten legen. Sie wussten ohnehin nicht, wo sie mit der Arbeit anfangen sollten.

Die Umhängetasche der Frau fiel mir ein. Ich fragte nach ihrem Inhalt.

»Kein Hinweis auf ihre Identität, Agent Cotton. Wollen Sie das Zeug haben? Wir brauchen es nicht.«

»Kann ich mal sehen?«

»Sicher.« Der Detective holte die gebraucht aussehende Tasche und schüttete den Inhalt auf den Tisch. Es war der übliche Kosmetikkram, den eine Frau mit sich führt, dazu zwei Feuchttücher und ein unangebrochenes Streichholzheft. Alle drei mit dem Aufdruck der Western Airlines. Und dann lagen noch zwei Gegenstände vor mir auf dem Tisch. Schwarzer, sehr dünner Klingeldraht, zu einem Ring aufgerollt, und ein ebenfalls schwarzes Stück Kunststoff. Etwa halb so groß wie ein Dominostein und ein Viertel so stark.

»Vielleicht wollte sie die Hausklingel reparieren.« Der Detective hatte meinen Blick bemerkt. »Das andere ist irgendwelcher Kunststoffbruch. Krimskrams, hilft uns nicht weiter.«

»Sie brauchen es wirklich nicht?«

»Ich schmeiße es weg. Fingerabdrücke gibt es auch nicht. Abgesehen davon, was helfen uns Prints? Die Frau finden wir nie. Zudem hat sie in Notwehr gehandelt. Das haben Sie selbst gesehen. Und nur wegen unerlaubten Waffenführens können wir uns kein Bein ausreißen, Agent Cotton. Nicht hier in Manhattan South.«

Dem war nichts hinzuzufügen. In der Sache würde sich nichts mehr bewegen, dessen war ich mir sicher. Mein Einsatz dabei blieb die zufällige Mitwirkung bei einer nicht eben seltenen Straßenszene.

Ich weiß nicht, was mich bewog, Umhängetasche und Inhalt mitzunehmen. An sich gab es dafür keinen ersichtlichen Grund. Vielleicht war es das Wissen, dass die Frau kein Durchschnittstyp sein konnte, wenn man ihr entschlossenes Handeln bedachte. Möglicherweise sind es auch der Klingeldraht und das kleine schwarze Stückchen Kunststoff gewesen, die mir eigenartig vorkamen. Bewusst geworden ist mir das allerdings zu jenem Zeitpunkt nicht.

Jedenfalls steckte ich die verschiedenen Sachen in die Tasche zurück, bedankte mich bei dem Detective und ging.

Der fortgeschrittene Septembernachmittag war mild. Ein frischer Wind hatte sich aufgemacht. Die Sonne schien. Erste Herbstblätter wirbelten. New York leuchtete.

Es war noch zu früh, um zum vereinbarten Treffpunkt mit Phil zu fahren. Außerdem wollte ich mit meinem Kollegen die Angelegenheit Kembraa ausführlich durchsprechen. Also fuhr ich zurück ins Office.

Im Fahrstuhl fragte mich ein Kollege scherzhaft, ob die Umhängetasche der letzte Schrei in der Herrenmode sei. Ich ging in unser kriminaltechnisches Labor. In der Elektronikabteilung arbeitete Bob Carmichael.

Nach der Begrüßung holte ich den aufgerollten Draht und das kleine Stück aus schwarzer Masse heraus. »Was kann das sein, Bob?«

Carmichael nahm beides und sah es sich an. Sein Blick hinter der randlosen Brille wurde interessiert. Der kleine und schmächtige Mann mit dem schütteren blonden Haar wandte sich mir zu. »Wo hast du das her?«

Ich sagte es ihm.

»Eigentlich habe ich das mehr als Scherz mit raufgebracht«, fügte ich hinzu. »Etwas Klingeldraht und ein Stückchen Kunststoff.«

»Soso. Na, dann wollen wir mal sehen.«

Bob ging zu einem Mikroskop, klemmte das vermeintliche Stückchen Kunststoff auf den Objektträger und schaltete die Beleuchtung ein. Ich verfolgte, wie er das Instrument scharf einstellte und hindurchblickte. Dann wandte er sich zu mir.

»Das ist ein elektronischer Speicherchip, Jerry, ein Mikroprozessor. Hier, sieh mal durch.« Er machte mir Platz.

Ich blickte durch die beiden Okulare und sah eingegossen unter einer hauchdünnen Kunststoffschicht ein regelmäßig ausgerichtetes Filigran zahlloser winziger Quadrate. Nun, ich wusste, wie ein Mikroprozessor aussieht.

»Okay, ein Mikroprozessor, Bob. Ich kenne die Dinger. So was steckt doch in jedem Taschenrechner für zehn Dollar, in jedem besseren ferngesteuerten Auto für Kinder.«

»So einer nicht, Jerry. Genauer gesagt, so einen habe ich noch nie gesehen.« Carmichael war ernst, fast erregt. Er beugte sich wieder über das Mikroskop. »Unglaublich«, murmelte er.

»Das musst du mir näher erklären.«

Auch mein Interesse war nun geweckt. Ich wusste, Bob war ein erstklassiger Fachmann auf seinem Gebiet. Neben seinem Job beim FBI arbeitete er beratend für die Entwicklungsabteilung eines großen Elektronikherstellers. Er verfügte also über die neuesten Erkenntnisse.

»Es ist die Dichte des Chips, Jerry«, erläuterte Bob. »Du kennst bestimmt die Richtung, in die sich die Entwicklung der Halbleiterelemente bewegt.«

»Ja, immer mehr Speicherkapazität auf immer weniger Raum. Und du meinst, das da ist etwas Besonderes?« Ich wies auf das unscheinbare schwarze Ding auf dem Objektträger.