1,99 €
Es war Mord, so viel stand fest. Aber der Polizeiarzt fand nichts, was auf einen gewaltsamen Tod schließen ließ. Keine Wunde. Keine Prellung. Keine Würgemale. Keine Spur von Gift. Nichts ... Hatte die Unterwelt den perfekten Mord erfunden? Ich beschloss, mir den geheimnisvollen Professor LaRoche näher anzusehen. Er war ständig in der Nähe des Gangsterbosses Motta. Und da begegnete mir LaRoches Tochter Ivy. Sie war eine gefährliche Schönheit - das Playgirl der Mafia!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 166
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Playgirl der Mafia
Vorschau
Impressum
Playgirl der Mafia
Es war Mord, so viel stand fest. Aber der Polizeiarzt fand nichts, was auf einen gewaltsamen Tod schließen ließ. Keine Wunde. Keine Prellung. Keine Würgemale. Keine Spur von Gift. Nichts ... Hatte die Unterwelt den perfekten Mord erfunden? Ich beschloss, mir den geheimnisvollen Professor LaRoche näher anzusehen. Er war ständig in der Nähe des Gangsterbosses Motta. Und da begegnete mir LaRoches Tochter Ivy. Sie war eine gefährliche Schönheit – das Playgirl der Mafia!
1
Fahles Neonlicht brannte in der Halle der stillgelegten Fabrik.
Der Mann saß in der Glaskabine, in der früher ein Kontrolleur die Arbeiter an den Maschinen beobachtet hatte.
Heute existierten von den Maschinen nur noch die Sockel. Und der Mann in der Glaskabine war nicht einmal in der Lage, sich selbst zu kontrollieren.
Breite Lederriemen fesselten seine Arme und Beine an den hölzernen Lehnstuhl. Über sein Gesicht rann der Schweiß in hellen Strömen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er die Männer an, die draußen vor der Kabine standen und durch das dicke Glas zu ihm hereinsahen.
Ein schlanker, schmalgesichtiger Gelehrtentyp mit silbergrauem Haar nahm die Brille ab und massierte sekundenlang seine Nasenwurzel zwischen Daumen und Zeigefinger.
Der blonde Hüne neben ihm rollte unbehaglich die Schultern. Genau wie bei seinem kleinen, drahtigen Nachbarn zeigte sein Jackett eine Ausbeulung unter der linken Achsel.
Der vierte Mann trug seine Waffe unsichtbar, falls er überhaupt eine bei sich hatte, was die anderen Anwesenden nur vermuten konnten. Er war presste eine schwarze Arzttasche vor die Brust.
»Können wir endlich?«, fragte er in die Stille.
»Nein!«, heulte der Mann in der Glaskabine. »Nein! Ich will nicht ... Ihr dürft nicht ...«
»Ampulle!«, forderte der Gelehrtentyp, ohne sich um das Geschrei zu kümmern.
Vorsichtig öffnete der Drahtige eine flache Schachtel. Er entfernte die oberste Watteschicht und nahm eine kleine, blitzende Glasampulle zwischen Daumen und Zeigefinger.
Ebenso vorsichtig reichte er sie dem Gelehrtentyp, der seine Brille inzwischen wieder aufgesetzt hatte. Mit der freien Linken öffnete er eine runde, metallgefasste Klappe in der Glaswand. Das Geschrei des Gefesselten wurde lauter. Nackte Todesangst verzerrte sein weißes, schweißbedecktes Gesicht.
»Hilfe!«, wimmerte er. »Nicht! Nicht! Ich hab nichts getan! Das ist alles ein Missverständnis! Nicht töten ...«
Ungerührt ließ der Gelehrtentyp die Ampulle von seiner Handfläche durch die Öffnung im Glas rollen.
Rasch schlug er die Klappe wieder zu. Da der untere Teil der Kabine nicht verglast war, konnten die vier Beobachter nicht sehen, ob die Ampulle auf dem Boden zersplittert war. Aber sie sahen die dünnen, geisterhaft violetten Schwaden, die wenig später aufstiegen, und der Gefesselte sah sie ebenfalls.
Ein irres Heulen brach aus seiner Kehle.
In wahnsinnigem Entsetzen bäumte er sich auf und zerrte so heftig an den Lederriemen, dass Blut über seine Gelenke rann. Speichel lief ihm aus dem Mundwinkel. In der nächsten Sekunde verwischte der violette Nebel, der jetzt die ganze Kabine erfüllte, seine Gestalt. Für die Zuschauer reichte die Sicht immer noch, um die Reaktion ihres Opfers zu beobachten.
Knirschend biss der Gefesselte die Zähne zusammen.
Seine Glieder krümmten sich in Krämpfen, wie sie nicht einmal die Todesangst hätte hervorbringen können. Der hölzerne Lehnstuhl erbebte in seinen Grundfesten. Immer noch flackerte wahnsinniges Entsetzen in den Augen des Gefolterten. Doch seinem verkrampften Kiefer entrang sich kein Laut mehr.
Sekunden später erschlaffte sein Körper.
Haltlos sank sein Kopf zurück gegen die Stuhllehne. Sein Mund war halb geöffnet. Aus dem blau angelaufenen, grässlich verzerrten Gesicht starrten die Augen anklagend zu der Glasscheibe.
»Der wird nicht noch einmal versuchen, den Cops sein Lied zu zwitschern«, sagte der blonde Hüne zufrieden.
Der Gelehrtentyp und sein drahtiger Assistent waren immer noch in ihre Beobachtungen vertieft. Er umklammerte mit beiden Armen die schwarze Arzttasche.
Ihn hatte die Szene fatal an eine Hinrichtung in der Gaskammer erinnert. Und da er selbst am besten wusste, wie leicht ihn seine eigenen Untaten an einen ähnlichen unangenehmen Ort bringen konnten, brauchte er Minuten, um sich von dem Schock des Anblicks zu erholen.
Widerwillig löste er eine Hand von der schwarzen Tasche und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»So weit, so gut«, sagte er mühsam beherrscht. »Und wie lange müssen wir jetzt warten, bis wir mit unseren Untersuchungen beginnen können?«
»Zehn Minuten, Doc«, sagte der Gelehrtentyp.
Seine Stimme verriet nicht die geringste Gemütsbewegung.
»Loslassen!«, rief eine helle, energische Stimme.
Reggy O'Mara, der irische Kneipenwirt, vergaß den Whisky, den er mir gerade hatte servieren wollen. Er ließ seine Hand in der Schwebe und blickte an mir vorbei. Schicksalsergeben rollte er die Augen zur Decke und seufzte. »Schon wieder.«
Sonst ist er weniger zimperlich.
Wahrscheinlich seufzte er, weil ausgerechnet ich, der G-man Jerry Cotton, mich heute Abend in seine Kneipe verirrt hatte.
Das heißt, verirrt hatte ich mich natürlich nicht. Doch der Bursche, den ich hier eigentlich verhaften wollte, war nicht gekommen. Also mochte O'Mara glauben, dass es mir lediglich um seinen zugegebenermaßen guten irischen Whisky ging.
Ich drehte mich auf meinem Barhocker um.
Der Grund für O'Maras Seufzer stand mitten auf der Tanzfläche des Shamrock Inn: ein großer, schlanker schwarzhaariger Mann im maßgeschneiderten Anzug, braun gebrannt, wie man es von einem einzigen Urlaub im Jahr bestimmt nicht wird. Äußerlich ein Gentleman.
Aber eben nur äußerlich. Ich wusste es, weil ich ihn kannte. Arnie Cruz war trotz seiner recht steilen Karriere der miese kleine Ganove geblieben, der sich bei jeder Gelegenheit die eigene Größe beweisen muss.
Selbstbeherrschung hatte er auch nicht gelernt. Ein gefährlicher Fehler bei einem Kerl, der als zweiter Mann einer Gang genau den Typ gehobener Unterwelt verkörperte, der bei Reggy O'Mara verkehrt.
Im Augenblick allerdings erregte weniger Arnie Cruz mein Interesse als vielmehr das Girl, das er mit besitzergreifender Geste am Oberarm gepackt hielt.
Sie war nicht älter als zwanzig Jahre. Eine exotische Schönheit in einem schneeweißen Hosenanzug, der jede Linie des zierlichen, jedoch durchaus kurvenreichen Körpers betonte. Die kurze Pagenfrisur lag wie ein glänzender schwarzer Helm um ihren Kopf. In dem schmalen, aparten Gesicht bestachen nachtdunkle Augen. Die Flügel der zarten, ein wenig himmelwärts weisenden Nase bebten empört. Ihre Lippen, voll, weich und anziehend, hatten sich zusammengepresst.
»Loslassen!«, wiederholte sie aufgebracht. »Lassen Sie mich sofort los, Sie Schwein!«
Ich hörte, dass sie einen sehr niedlichen französischen Akzent hatte.
Arnie Cruz lachte nur ein schleppendes Gelächter, das auf einen nicht geringen Whiskykonsum hinwies. In den exotisch gezeichneten Zügen der jungen Frau machte sich aufkeimende Furcht bemerkbar. Hilfe suchend sah sie sich um. Doch O'Maras Gäste glotzten nur. Kein Wunder, sie kannten Cruz und wussten, dass es lebensgefährlich war, sich mit dem Burschen anzulegen.
Ich wusste es auch. Nur im Moment war es mir verdammt egal.
Als ich vom Hocker rutschte, sah ich nur die Frau.
Sie bemerkte mich, und ihre weichen, schimmernden Lippen öffneten sich. Über eine Entfernung von sechs Yards tauchten unsere Blicke ineinander. Erst auf der Tanzfläche schaffte ich es, mich von diesen großen, leicht schräg gestellten Augen mit den unergründlichen Pupillenschächten und dem golden gesprenkelten Irisring loszureißen.
Arnie Cruz starrte mich an. Hinter dem spöttischen Lächeln, das um seinen Mund zuckte, war deutlich der Hass zu spüren.
»Cotton«, sagte er gedehnt. »Sie müssen sich aber auch immer in anderer Leute Angelegenheiten einmischen.«
Ich wandte mich an die junge Frau. »Legen Sie Wert auf die Gesellschaft dieses Gentleman?« fragte ich.
»Nein. Durchaus nicht.«
Ich nickte. »Sie haben es gehört, Cruz.«
Arnie Cruz' Augen zogen sich zu schmalen, glitzernden Sicheln zusammen. Ich wusste, er würde es nicht schlucken. Nicht in diesem Lokal, wo ihn die Hälfte der Gäste kannte.
»Cruz!«, warnte ich ihn. »Wenn Sie sich eine Menge Ärger ersparen wollen ...«
Er war nicht zu belehren.
Die Frau stieß er einfach zur Seite, mit einer brutalen Bewegung, bei der Zorn in mir hochschoss. Geduckt wie ein Panther stand der Gangster vor mir, sprühend vor unterdrücktem Hass. Seine rechte Hand schob sich langsam in die Tasche.
»Lassen Sie den Nagelreiniger stecken, Cruz!«
»Fahr zur Hölle! Dir werd ich's ...«
Mitten im Satz zuckte seine Hand wieder hoch.
Ein Federdruck und die lange, biegsame Klinge des Schnappmessers fuhr aus dem Schaft. Cruz war bekannt für seine krankhafte Liebe zu Messern. Mit den eingespielten Reflexen eines Profis schob er den Fuß vor, deckte die Klinge mit der Linken ab und zog höhnisch die Lippen von den Zähnen.
»Mister Cruz«, jammerte O'Mara hinter mir. »Machen Sie sich nicht unglücklich, Mister Cruz!«
Typisch, dachte ich erbittert.
Darum sorgt er sich, dass sich die armen Herren Gangster nicht unglücklich machen ...
Dabei beobachtete ich meinen Gegner genau. Als ich es in den Augen des Burschen aufblitzen sah, zuckte ich zurück und durchschaute eine Sekunde zu spät die Finte.
Blitzartig ließ Cruz das Messer in die Linke wechseln, sprang mich an und zog den Stich wie ein Profi von unten hoch.
Aus der Hüfte drehte ich in letzter Sekunde weg. Arnie Cruz hatte schon den Triumphschrei auf den Lippen, als das Messer zwischen meinen Rippen und dem Oberarm in die Luft stach. Der Gangster stand gut, sehr tief. Dennoch riss ihn der eigene Schwung um eine Winzigkeit nach vorn.
Ich ließ den Ellenbogen zur Hüfte schnappen. Damit klemmte ich Cruz' Messerhand ein. Ehe er ganz begriff, wie ihm geschah, hakte ich die rechte Fußspitze um seine Ferse.
Er kam ziemlich unsanft auf dem Boden an. Ich ließ ihm keine Zeit sich zu erholen. Mit zwei Schritten stand ich neben ihm, traf sein Gelenk mit einem kurzen, trockenen Karateschlag und hielt das Messer in der Hand, als ich mich wieder aufrichtete.
Mit einem schnellen Blick sah ich in die Runde.
Die Gäste starrten. Niemand hatte versucht sich einzumischen. Beliebt war der Messerheld hier bestimmt nicht.
Ich machte mir trotzdem keine Illusionen darüber, was passieren würde, falls ich versuchte, den Gangster wegen Mordversuchs an einem G-man festzunageln. G-men waren hier noch viel weniger beliebt. Nicht einer von Reggy O'Maras Gästen, das Girl vielleicht ausgenommen, würde meine Darstellung der Ereignisse bestätigen.
»Raus!«, sagte ich durch die Zähne. »Ganz schnell, Sportsfreund, ehe ich mich vergesse!«
Arnie Cruz saß mit unglaublich dämlichem Gesichtsausdruck auf der Tanzfläche und stierte mich an.
Irgendwo lachte jemand. Es klang überlaut in dem eisigen Schweigen. Cruz' Kopf schnappte herum. Aber er schien den Lacher nicht zu entdecken. Als er aufstand, seinen Maßanzug abklopfte und rückwärts zum Ausgang ging, funkelte kalter Mord in seinen Augen.
Kurz fiel mein Blick auf die beiden Männer, die in der Tür erschienen waren und sich jetzt hastig zurückzogen.
Zwei hochgewachsene, breitschultrige Burschen in dunklen Anzügen, so viel prägte sich mir ein. Ob sie mich als G-man erkannten oder keinen Wert darauf legten, einem wutschnaubenden Arnie Cruz in den Weg zu laufen, konnte ich nicht beurteilen. Und damals sah ich auch nicht den geringsten Grund, mir den Kopf darüber zu zerbrechen.
Ich wartete, bis mein Gegner ebenfalls durch den roten Samtvorhang verschwunden war. Dann ließ ich die Klinge einrasten und schob das Messer in die Tasche. Besonders behaglich fühlte ich mich nicht. Cruz war rachsüchtig, selbstherrlich und grausam. Ich ahnte, dass die Sache noch ein Nachspiel haben würde.
Die Stimme der jungen Frau riss mich aus meinen Gedanken. Eine Stimme, die jetzt dunkel und samtig klang.
»Danke«, hauchte sie. »Vielen, vielen Dank ...«
Ich drehte mich um.
Hinter der Theke zeterte Reggy O'Mara in allen Tonlagen. Die anderen Gäste diskutierten erregt. Das alles nahm ich nur am Rand wahr. Ich sah das schmale, aparte Gesicht des Girls, diese großen dunklen Augen mit den whiskyfarbenen Tupfen.
Und für den Moment hätte ich nichts anderes gesehen, selbst wenn mir die Decke über dem Kopf zusammengestürzt wäre.
Die junge Frau lächelte. Ich lächelte zurück. Sekunden vertickten, in denen die Luft zwischen uns elektrisch knisterte.
Eigentlich, dachte ich, musste ich Arnie Cruz sogar dankbar sein.
Die beiden Männer mit den dunklen Anzügen pressten sich in den Schatten eines Hauseingangs.
Ihr Wagen, ein ebenfalls dunkler Pontiac, parkte nur wenige Schritte von ihnen entfernt am Randstein. Arnie Cruz musste erst die Straße überqueren, um seinen stratosilbernen Impala zu erreichen.
Wut und Schock waren ihm ins Gesicht geschrieben. Er nagte so heftig an der Unterlippe, als wäre er dabei, ein besonders zähes Steak zu kauen.
»Merde alors«, knurrte Serge Cluny. Er stammte genau wie sein Begleiter aus Frankreich.
Marcel Bonnet runzelte die Stirn. »Zufall?«
»Kann sein, kann auch nicht sein. Wir müssen es genau wissen.«
»Also überzeugen wir uns?«, fragte Bonnet.
»D'accord.« Cluny nickte. »Wir hängen uns an. Sobald wir das Ziel des Burschen kennen, setze ich dich ab, damit du mit dem Boss telefonieren kannst.«
»D'accord.«
Sie blieben noch einen Moment im Schatten des Hauseingangs stehen und warteten, bis auf der anderen Straßenseite der Motor des Impala gestartet wurde. Dann überquerten sie den Gehsteig und schlossen scheinbar völlig gelassen ihren Pontiac auf.
Arnie Cruz bemerkte nichts von den Verfolgern, die sich auf seine Fersen hefteten.
2
»Ich heiße Ivy«, sagte das Girl, als wir in einer von O'Maras intimen Nischen saßen und Gin-Fizz tranken. »Und wie heißt du?«
»Jerry.« Über das Glas hinweg sah ich sie an. »Ivy ist ein hübscher Name. Klingt französisch.«
»Ich bin Französin.« Ihr Akzent hatte es mir ohnehin schon verraten. »Mein Vater ist Professor Benjamin LaRoche. Professor! Langweilig, nicht wahr? Ich bin überhaupt nicht langweilig.« Sie stockte und kniff ein wenig die Augen zusammen, sodass winzige, strahlenförmige Fältchen über ihrer Nasenwurzel erschienen. »Aber du kennst mich nicht«, meinte sie enttäuscht.
»Jetzt doch. Und das finde ich sehr erfreulich.«
»Ich meine, du kanntest mich vorher nicht.«
»Hätte ich sollen?«
»Bien! Jawohl! Kennst du denn den Gentleman nicht?«
Kennen kann man vieles.
Ich kenne also durchaus den Gentleman, der vermutlich so heißt, weil ein wesentlich passenderer Titel für ein Herrenmagazin bereits vergeben ist. Ein Gentleman genießt und schweigt, heißt es. Die gleichnamige Zeitschrift nahm sich dagegen recht geschwätzig aus. Und das, worum sich unausgesprochen die meisten Fotos und Berichte drehten, tut ein Gentleman sowieso nicht.
Ivy LaRoche enthob mich einer Antwort, weil sie ihre Informationen schnell und lebhaft hervorsprudelte.
»Ich war Playgirl des Monats, vorigen März! Und ich werde ganz bestimmt auch noch Playgirl des Jahres. Dann bin ich gemacht als Fotomodell. Vielleicht kann ich sogar nach Hollywood gehen und beim Film Karriere machen. Da! Schau! Das bin ich!«
Bei den letzten Worten hatte sie ihre Handtasche aufschnappen lassen und ein zusammengefaltetes Blatt herausgefischt, das sie jetzt vor mir ausbreitete.
Kein Zweifel, sie war's.
Ivy, hingegossen auf einem Eisbärenfell, das – wegen der Gedankenverbindung zu gewissen beliebten Babyfotos – vielleicht ihren kindlich-naiven Charme unterstreichen sollte.
Die whiskyfarbenen Tupfen ihrer dunklen Augen sprühten wie Funken im Scheinwerferlicht. Sie trug Ohrclips und eine Halskette. Ah ja, und dann noch ein herzförmiges Schönheitspflästerchen da, wo man den Rücken als verlängert zu bezeichnen pflegt.
»Findest du das unmoralisch?«, fragte sie ernsthaft.
»Nein«, sagte ich und meinte es auch so. Ich bin nicht prüde. Ehrlich gesagt, empfand ich sogar eine gewisse Erleichterung. Ivys kindlicher Charme hatte mich nämlich fast dazu gebracht, sie für eines der etwas altmodischen Mädchen zu halten, die ein Gentleman nicht verführt. Es sei denn, er hat vor, alsbald in den Ehehafen zu steuern.
G-men sollten meiner Ansicht nach Junggesellen bleiben. Ich habe zu oft erlebt, was dieser gefährliche Beruf für eine Frau an Ängsten und Belastungen bedeutet. Ganz davon abgesehen, dass ein Girl, das sich in einen G-man verliebt, sehr schnell Witwe werden kann.
Ivy strahlte mich an.
»Ich finde es auch nicht unmoralisch. Bin ich nicht frei? Darf ich keine Karriere machen? Darf ich mich nicht amüsieren?« Wieder erschienen die strahlenförmigen Fältchen auf ihrer Stirn, während sie das Eisbärenfellfoto zusammenfaltete und in der Handtasche verstaute. »Aber hier bin ich eigentlich nicht hereingekommen, um mich zu amüsieren«, setzte sie hinzu. »Mein Wagen streikt. Ich konnte kein Taxi finden und wollte telefonieren. Ich muss nämlich dringend nach Hause.«
Was blieb mir übrig, als ihr meine Chauffeurdienste zur Verfügung zu stellen?
Ich hatte kaum Alkohol getrunken und fühlte mich durchaus in der Lage, mich ans Steuer zu setzen. Reggy O'Mara atmete sichtlich auf, als ich die Rechnung verlangte. Draußen herrschte nur noch spärlicher Verkehr. Ich führte Ivy zu meinem Jaguar, bemerkte ihren fachmännischen Blick samt anerkennendem Nicken und öffnete ihr die Beifahrertür.
In dem engen Wagen konnte ich ihr Parfüm spüren, den leichten, frischen Duft nach grünen Äpfeln. Ein französisches Schimpfwort entschlüpfte ihr, weil der Sicherheitsgurt nicht gleich so wollte wie sie. Danach probierte sie, ob sie trotz Gurt den Kopf an meiner Schulter unterbringen konnte. Es gelang ihr so gut, dass ich das schwarze Haar wie glatte, kühle Seide an der Wange fühlte.
Mit Mühe zwang ich mich, auf den Verkehr zu achten.
Ivy hatte eine Adresse auf Staten Island genannt. Ich kannte die Gegend. Teure Bungalows, große Grundstücke, die meisten mit Privatstrand. Der Herr Professor schien nicht schlecht zu verdienen. Unterwegs erfuhr ich, dass er vor einem knappen Jahr von Frankreich nach New York übergesiedelt war.
Hier widmete er sich ausschließlich seinen privaten Forschungen. Was das für Forschungen waren, wusste seine Tochter nicht. Wissenschaft fand Ivy offenbar sterbenslangweilig.
»New York ist grässlich«, beklagte sie sich. »Im Sommer zu heiß, im Winter zu kalt. Ich wäre längst nicht mehr hier. Ohne die Sache mit dem Gentleman! Wenn ich nicht Playgirl des Jahres werde, gehe ich nach Paris zurück. Ich bin schließlich volljährig.«
Ich fuhr jetzt langsamer und musterte die Hausnummern an den Mauern und Torpfeilern. Die meisten Bungalows wurden sorgfältig gegen neugierige Blicke abgeschirmt. Professor LaRoches Grundstück, stellte ich fest, war selbst für die Verhältnisse dieses Viertels sehr groß geraten. Bunte Lichterketten schimmerten durch das Herbstlaub der Bäume. Als ich den Motor abstellte, hörte ich Musikfetzen herüberwehen. Im Hause des Professors war offenbar eine Party im Gange.
Ivy löste den Kopf von meiner Schulter und sah mir tief in die Augen.
»Komm mit, Jerry«, bat sie. »Für mich allein wäre es schrecklich langweilig. Und zu Papas Party schleppt ohnehin jeder noch ein paar Freunde. Er wird sich freuen. Bestimmt! Er behauptet immer, dass für mich Amerika nur aus den Fotografen vom Gentleman besteht. Und dann ... ich ... ich möchte nicht, dass der Abend so schnell zu Ende ist. Bitte!«
Was, zum Teufel, hätten Sie getan?
Ivy hatte den Sack voll Argumente mit eindringlichen Blicken unterstrichen. Sie gefiel mir. Ich wollte sie wiedersehen. Und wenn sie ihrem Vater eine amerikanische Eroberung zeigen wollte, na bitte!
Ich bin zwar überzeugter Junggeselle, aber das heißt nicht, dass ich grundsätzlich vor den Vätern hübscher Mädchen die Flucht ergreife.
»Einverstanden«, sagte ich und ahnte nicht, was ich mir damit einbrockte.
Ivy strahlte, schlang die Arme um meinen Nacken und drückte mir einen Kuss auf die Kinnspitze.
Rasch stieg sie aus. Sie wartete ungeduldig, bis ich den Jaguar abgeschlossen hatte. Für das breite, schmiedeeiserne Tor besaß sie einen Schlüssel. Ein gewundener Kiesweg führte zum Haus. Von der Terrassenseite her klang Musik. Der Widerschein bunter Lampions mischte sich in das Licht der kugelförmigen Gartenleuchten. Ich betrachtete die Wagen, die auf dem asphaltierten Vorplatz parkten. Luxuslimousinen, ein paar flotte Sportflitzer, alles gut und teuer.
Ivy ließ den Schlüsselbund um den kleinen Finger kreiseln.
Bevor sie aufschließen konnte, wurde die Haustür von innen geöffnet.
Ein englisch wirkender Butler verneigte sich formvollendet.
Ivy nickte ihm zu, griff nach meiner Hand und zog mich durch die Diele.
Was heißt hier Diele?
In dem Raum hätte man ein komplettes Junggesellenapartment unterbringen können. Das Wohnzimmer musste, um die Proportionen zu wahren, die Ausmaße einer Tennishalle haben. Das leise Klappern von Tellern und Besteck verriet, dass in einem Nebenraum die Schlacht am kalten Büfett geschlagen wurde. Hinter einer Zimmerpflanze entdeckte ich ein sehr beschäftigtes Pärchen.
Der weibliche Teil war platinblond und hervorragend gebaut. Der Mann peilte gerade prüfend über ein Philodendronblatt hinweg. Mit dem braun gebrannten Gesicht, den schwarzen Augen und dem strahlend weißen Prachtgebiss sah er aus wie ein verkleideter Südseepirat.
Ich kannte ihn.
Und sein Anblick traf mich wie ein Schlag in die Magengrube.
Johnny Gray, unter dem Spitznamen Dax bekannt, stand seit Langem auf der Liste der Männer, die das FBI als Berufskiller im Sold der Mafia verdächtigte.