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Perroni war der ungekrönte König von Miami. Er stand an der Spitze einer Mafiaorganisation, die Rauschgift aus Kolumbien in die USA schmuggelte. Viele wussten es, aber niemand wagte es auszusprechen. Perroni war unantastbar. Die wenigen, die sich gegen seine Herrschaft auflehnten, starben. Alle auf die gleiche Art. Drei Schüsse - jeder tödlich. Mord nach Art des Hauses ...
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Seitenzahl: 216
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Mord nach Art des Hauses
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Impressum
Mord nach Art des Hauses
Perroni war der ungekrönte König von Miami. Er stand an der Spitze einer Mafiaorganisation, die Rauschgift aus Kolumbien in die USA schmuggelte. Viele wussten es, aber niemand wagte es auszusprechen. Perroni war unantastbar. Die wenigen, die sich gegen seine Herrschaft auflehnten, starben. Alle auf die gleiche Art. Drei Schüsse – jeder tödlich. Mord nach Art des Hauses ...
1
»Mord nach Art des Hauses«, sagte Phil mit dumpfer Stimme. »Drei Schüsse, jeder tödlich – wie immer.«
Meine Kehle war trocken. Ich spürte einen Kloß im Hals, den ich nicht herunterschlucken konnte.
Sie hatten den Mann aus dem Hafenbecken gezogen und auf die nassen Planken gelegt wie einen Gegenstand, den man nicht mehr brauchte. Über allem stand die glühende Sonne von Miami und leuchtete die Szene wie in einem Filmatelier aus.
Mit einer wütenden Handbewegung wischte ich die Fotos so heftig beiseite, dass sie vom Tisch rutschten.
Phil kam mit zwei Gläsern Whisky aus der Fensterecke des kleinen Hotelzimmers. Er stellte die Gläser auf den Tisch, warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu und hob die Fotos wieder auf.
Ich nahm ein Glas und trank einen Schluck. Der billige Fusel brannte meine Kehle herunter und drohte mir den Magen zu verbrennen. Schweiß stand mir auf der Stirn.
Mord nach Art des Hauses!
Das war ein Fluch, der seit Jahren über dieser Stadt hing. Jetzt hatten sie meinen Freund Phil Decker und mich, G-man Jerry Cotton, nach Florida geschickt, damit wir dem Spuk ein für alle Mal ein Ende setzten.
»Brian Mulldown«, sagte Phil, der neben mir stand. Sein Zeigefinger deutete auf den Toten. Dann wanderte der Finger zu der kleinen Jacht im Hintergrund. »Das ist sein Schiff. Noch nicht einmal zur Hälfte bezahlt. Mulldown steckte noch vor einem halben Jahr in solchen finanziellen Schwierigkeiten, dass sie ihm das Haus unter dem Hintern weggepfändet haben. Irgendwie gelang es ihm, das Boot aus der Konkursmasse zu retten.«
Ich schwieg.
»Dann begannen seine Reisen. Immer wenn er von einer zurückkam, hatte er Geld, um die Raten für die Jacht zu zahlen und einige Tage in Saus und Braus zu leben. Als er von der letzten zurückkehrte, erzählte er etwas von Trips nach Kolumbien. Die Kollegen in Miami erfuhren davon, ließen ihn den gleichen Trip noch einmal machen und glaubten, ihn sicher unter Kontrolle zu haben. Eine für Mulldown tödliche Fehlkalkulation.«
Ich fluchte verhalten, trank den Rest des Whiskys und fühlte mich hundeelend. »Was ist schiefgegangen?«
Phil zuckte mit den Schultern. »Mulldowns Schiff hieß Santa Ana. Es war dunkelblau, als es die Reise antrat. Die Coast Guard war angewiesen, nach einer dunkelblauen Santa Ana Ausschau zu halten und sie auf der Rückreise aufzubringen.«
Phil tippte mit dem Finger auf die Fotografie. Der Namenszug Flower war so deutlich zu erkennen wie die hässliche graue Farbe der Jacht.
»Sie haben den Kahn auf der Rückreise umgespritzt und ihm einen neuen Namen gegeben, Jerry. Mit einer grauen Flower konnte die Coast Guard nichts anfangen. So kam Mulldown ohne Schwierigkeiten bis nach Miami durch und hatte keine Ahnung, dass er in den sicheren Tod fuhr. Als man ihn heute Morgen fand, war die Jacht entladen und Mulldown so zugerichtet, dass auch der einfachste Cop in dieser verdammten Stadt auf den ersten Blick erkennen konnte, wer hinter dem Mord steckt.«
»Don Perroni«, sagte ich. Es klang bitter wie Galle. Genauso bitter stieß der Name mir auch auf. »Was sagen die Kollegen?«
»Sie haben keinen Zweifel daran, dass Mulldown die Reisen im Auftrag der Mafia durchführte. Sie haben keinen Zweifel daran, dass Mulldown von der Mafia ausgeschaltet wurde, nachdem sie herausbekamen, dass die Kollegen aus Miami auf ihn aufmerksam wurden. Sie haben auch keinen Zweifel daran, dass Don Perroni den Auftrag zu Mulldowns Ermordung gab.«
Ich nickte. Ich hatte nichts anderes erwartet. »Und es gibt keinen verräterischen Fleck auf Perronis weißer Weste?«
»Leider nicht«, antwortet Phil. »Niemand kommt an Perroni heran. Die Kollegen fangen immer nur kleine Fische. Leute, die nicht einmal eine Ahnung haben, für wen sie arbeiten. Es sind schlechte Zeiten, nicht nur in Miami. Wenn jemand einen einträglichen Job angeboten bekommt, greift er zu, ohne lange nach den Konsequenzen zu fragen, die ihm daraus erwachsen könnten. Mulldown ist das dritte Opfer innerhalb eines halben Jahres.«
Ich schob mein Glas beiseite und stand auf. Vom Fenster aus konnte ich in die schmutzigen Hinterhöfe der anderen Häuser sehen.
Hinter diesen Hässlichkeiten befand sich der Strand, hielten sich die Leute auf, die hierhergekommen waren, um Sonne und neue Energien zu tanken. Von dem, was hier im Verborgenen brodelte, hatte niemand eine Ahnung.
»Es gibt also wirklich keinen anderen Weg, an Perroni heranzukommen?«, fragte ich.
Phil trat zu mir ans Fenster. »Keinen. Es gefällt mir genauso wenig wie dir, Jerry. Vielleicht muss man das kleinere Übel in Kauf nehmen, wenn man damit ein großes Übel ausschalten kann.«
Phil war offiziell im Auftrag des FBI in Miami, wenngleich er sich noch im Hintergrund hielt. Ich hielt mich als Privatmann in Miami auf. Niemand wusste, dass ich FBI Agent war. Niemand außer dem Mann, der das für Perroni und seine Familie tödliche Rezept in den Händen hielt. Sobald von unserer Seite aus bestimmte Garantien für ihn erbracht worden waren, wollte er es mir übergeben.
Phil hatte recht. Ich mochte solche Kuhhandel nicht. Diesmal schien es der einzige Weg, das Land und die Stadt von der Plage namens Perroni zu befreien.
»Hast du schon Nachricht aus Washington?«, fragte ich.
Phil schüttelte den Kopf. »Da scheint es einigen Widerstand zu geben. Man ist sich nicht darüber einig, ob man René Bastillieu nicht doch mit Perroni gleichsetzen muss. Sie wollen ganz sichergehen, dass sie mit dem Franzosen nicht einen Hai schwimmen lassen.«
Diese Frage hatte ich mir selbst auch lange genug gestellt. Bastillieu war in der Tat kein kleiner Fisch. Wie sonst sollte er uns Material zuspielen können, mit dem wir Perroni und seine Familie von der Bildfläche verschwinden lassen konnten? Ich hatte herausgefunden, dass René Bastillieu nach seiner wilden Zeit in Marseille in kein Kapitalverbrechen mehr verwickelt war. Er war nur Organisator. Bastillieu kannte das Geschäft, ohne sich jemals in eine Gewalttat verstrickt zu haben.
»Wann hast du Bastillieu zuletzt gesprochen?«
»Vor zwei Tagen«, sagte ich. »Wir haben auch über Brian Mulldown gesprochen. Bastillieu hatte keine Ahnung von dem Täuschungsmanöver, durch das man die heiße Ware aus Kolumbien an der Coast Guard vorbei in Miami hat landen können.«
»Dass er nicht informiert war, ist kein gutes Zeichen«, sagte Phil. »Vielleicht traut Perroni seinem Adjutanten nicht mehr. Wenn er Bastillieus Spiel durchschaut, haben wir den nächsten Mord nach Art des Hauses.«
Bislang hatte ich mir darüber nicht den Kopf zerbrochen. Jetzt erschienen Phils Zweifel mir berechtigt.
Ich ging zum Telefon und wählte René Bastillieus Nummer. Dreimal klingelte es am anderen Ende der Leitung. Dann wurde abgehoben.
»Ja?« Es war Maryline Bastillieu. Ich erkannte die Stimme seiner Frau bei der ersten Silbe.
»Balmond.« Ich nannte meinen Decknamen. »Daniel Balmond.«
Für einen Moment Stille in der Leitung.
»René ist nicht da«, sagte Maryline Bastillieu schließlich.
Ich schaute auf die Uhr. »Um acht Uhr heute Abend. Es ist wichtig.«
Ich hängte ein. Mehr zu sagen, war nicht erforderlich. Bastillieu kannte unseren Treffpunkt. Er würde erscheinen. Es war noch niemals anders gewesen.
»Maxwell wollte einige Kollegen auf Bastillieu ansetzen«, sagte Phil. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich es ihm ausreden konnte.«
Joe Maxwell war der Mann vom FBI District Miami, der seit Jahren vergeblich versuchte, den Perroni-Clan zu sprengen. Von mir wusste er nichts. Phil war ihm vor die Nase gesetzt worden. In allem, was Perroni anging, war Phil der Chef. Normalerweise hielten sich die Kollegen an solche von oben angeordneten Spielregeln. Hier lag die Sache anders. Maxwell war an Perroni gescheitert. Sein Prestige stand auf dem Spiel. Niemand gesteht gern eine Niederlage ein und lässt sich Leute aus einem anderen Distrikt vor die Nase setzen.
»Ich kann keinen Ärger mit Maxwell gebrauchen, Phil. Bastillieu hat sich zwar dazu entschlossen, mit uns zusammenzuarbeiten. Aber er ist sensibel, und er hat Angst.«
»Wer hätte das nicht an seiner Stelle? Selbst wenn die Sache gelaufen ist, wird er keine Ruhe vor dem langen Arm der Mafia finden.«
»Es sei denn, in Washington entschließt man sich, auf jede von Bastillieu gestellte Bedingung einzugehen.«
»Hält der Franzose so lange durch?«
Ich lachte auf. »Genau genommen hat er sich schon jetzt in unsere Hand begeben. Er will Perroni erledigen. Also kann die Staatsanwaltschaft daraus klar folgern, dass er Perronis Mann ist. Bastillieu weiß das. Er kennt die Spielregeln. Er wird nicht abspringen. Jedenfalls nicht freiwillig. Habt ihr Hinweise auf die Leute, die den Mord an Mulldown ausgeführt haben?«
»Es kommen einige infrage. Maxwell will erst etwas unternehmen, wenn ich ihm grünes Licht gebe.«
Ich überlegte. Um von Bastillieu abzulenken, war es vielleicht gut, wenn Perroni etwas Ärger mit dem FBI bekam. Es würde ihn beschäftigen.
»Einige Festnahmen könnten nicht schaden, Phil. Das wirbelt Staub auf. Setzt auch die Männer von der Narcotic Squad auf die Szene an. Perroni soll merken, dass er noch nicht in Vergessenheit geraten ist.«
Phil nickte. »Okay, Jerry. Ruf mich an, sobald du mit Bastillieu gesprochen hast.«
Ich versprach es. Viel mehr konnte ich im Moment ohnehin nicht tun. Erst wenn Washington angenommen hatte und Bastillieu auspackte, begann meine Aufgabe.
Phil verabschiedete sich. Die Fotos des Toten hatte er auf dem Tisch liegen gelassen. Vielleicht wollte er mir damit begreiflich machen, dass ich selbst jetzt, wo ich nichts anderes als warten konnte, in den Fall einbezogen war.
Ich sah sie mir noch einmal an, bevor ich sie in kleine Schnipsel zerriss und die Toilette hinunterspülte.
Wenn alles nach Plan lief, wenn sich Washington schnell zu einer positiven Entscheidung durchrang, dann sollte Mulldown das letzte Opfer gewesen sein, das man nach Art des Hauses getötet hatte.
Ich ließ mich aufs Bett sinken und schloss die Augen.
Im Radio wurde das Ostküstenwetter durchgegeben. In New York regnete es seit Tagen. Tausendmal mindestens hatte ich diesen Regen verflucht. Jetzt sehnte ich mich danach.
Noch einige Tage, Jerry, sagte ich mir. Nur noch einige Tage!
»Da gibt es eine undichte Stelle, René.«
René Bastillieu hörte kaum auf das, was Don Perroni sagte. Sein Blick war auf den halbnackten, makellosen Körper der Kubanerin gerichtet, die wie eine Nixe aus dem Pool stieg.
Dolores Ortega de Arragón! Die personifizierte Sünde. Ein dunkelhaariger Teufel in der Larve eines Engels, von dem man nur Gutes erwartete. Sie war Perronis augenblickliche Freundin. Eine Frau, bei deren Anblick einem Mann die Luft knapp wurde.
Sie war groß, hatte schulterlanges schwarzes Haar und schier endlos lange Beine. Als einziges Bekleidungsstück trug sie ein Bikinihöschen, dessen Stoff kaum ausreichte, um ein Kavalierstuch daraus zu fertigen.
Sanft wippten ihre kleinen, straffen Brüste, als sie sich bewegte und Bastillieu anschaute.
Wie eine Schlange eine Beute, fand Bastillieu. Da lag etwas Flackerndes, Unberechenbares in ihrem Blick, das Bastillieu nicht gefiel. So ungefähr, als wollte sie ihm stumm mitteilen: Ich weiß mehr, als du glaubst, Freundchen! Wenn du nicht richtig nett zu mir bist, werde ich damit rausrücken!
»Es gibt eine undichte Stelle, René«, wiederholte Perroni. »Was ist los mit dir? Hörst du mir überhaupt zu, oder interessiert dich das Geschäft nicht mehr?«
René Bastillieu drehte den Kopf und schaute Perroni an. Er war groß, hatte breite Schultern und kein überflüssiges Fett am Körper. Dazu ein scharf geschnittenes Gesicht mit vielleicht etwas zu schmalen Lippen. Seine Augen waren kalt wie ein Gebirgssee zur Schneeschmelze. Während Bastillieu ihn anschaute, fiel ihm ein, dass er Don Perroni noch niemals wirklich lachen gesehen hatte. Noch niemals in den fünf Jahren, die sie zusammenarbeiteten, und erst heute fiel es ihm auf.
»Was ist los?«, fragte René Bastillieu mit belegter Stimme.
Die Kubanerin näherte sich ihnen. Dicht vor Perroni blieb Dolores stehen und streckte die Hand nach seinem Drink aus.
»Geh ins Haus, und zieh dich anständig an, verdammt!«
Das kam trocken und scharf wie ein Knall.
Die dunkelhaarige Schöne zuckte zusammen. Mit einem schnellen Blick streifte sie René Bastillieu. Erst als er schwieg, drehte sie sich ab und ging mit aufregend wiegenden Hüften zum Eingang des villenartigen Bungalows.
»Sie kann gefährlich werden, wenn du sie verärgerst, Don. Dolores ist kein Spielzeug wie die anderen Mädchen vor ihr.«
Don Perroni wartete, bis die Kubanerin im Haus verschwunden war. Dann winkte er mit einer ärgerlichen Handbewegung ab.
»Ich habe sie zu sehr verwöhnt«, erwiderte er mit einem knurrenden Unterton in der Stimme. »Es wird Zeit, sie wieder auf den Teppich zurückzuholen und daran zu erinnern, aus welcher Gosse sie stammt. Es wird überhaupt Zeit, die Organisation mit einem eisernen Besen durchzukehren. Die Cops waren Brian Mulldown auf den Fersen. Es ist gerade noch einmal gut gegangen.«
Bastillieu verspürte einen feinen Stich in der Brust. Er zündete sich eine Zigarette an. So bekam er seine Nerven wieder unter Kontrolle. Das Streichholz ließ er achtlos vor sich auf den Boden fallen.
»Ich sagte, es ist gerade noch einmal gut gegangen, René.«
Bastillieu straffte sich. »Ich war von Anfang an dagegen, Mulldown für uns Reisen machen zu lassen. Der Mann war pleite.«
»Er hatte eine Jacht und brauchte Geld.«
Bastillieu nickte. »Er bekam Geld, befriedigte seine Bank, die den Daumen auf der Jacht hatte, und warf mit dem anderen Geld um sich. Whisky und leichte Mädchen, das ist eine schlechte Mischung. Er wird den Mund zu weit aufgerissen haben, und so sind die Cops auf ihn aufmerksam geworden.«
Einige Sekunden verstrichen. Dann stieß Don Perroni einen Fluch aus. »Er wird den Mund niemals wieder aufreißen, René. Ich will, dass die anderen Leute es erfahren. Jeder muss wissen, dass auch der kleinste Fehler tödlich für ihn ist. Es steckt viel Geld in jeder Tour. Ich mag keine Verluste!«
René Bastillieu nickte und rauchte einen tiefen Zug. Er stieß den Rauch aus, als Dolores Ortega de Arragón wieder aus dem Haus herauskam.
Ein weißes Leinenkleid spannte sich um ihre Formen und klebte ihr an manchen Stellen regelrecht am Körper, weil sie sich nicht abgetrocknet hatte. Außerdem standen die oberen drei Knöpfe des Kleids offen.
»Anständig genug?«, fragte sie Don Perroni, während sie sich setzte und der Saum ihres Kleids in schwindelerregende Höhen rutschte.
Perroni nickte übel gelaunt. Diesmal gab er ihr sein Glas, als Dolores danach verlangte. Sie nippte daran. Über den Rand des Glases hinweg schaute sie Bastillieu herausfordernd an.
»Ärger, Franzose?«, fragte sie.
»Kaum der Rede wert.« René Bastillieu ließ die Zigarette fallen, stellte den Absatz auf die Glut und schaute Perroni an. »Sonst noch etwas, Don?«
»Du willst gehen?«
»Die verdammte Hitze.«
Don Perroni grinste schief. »Ein heißer Sommer, René. Sorg dafür, dass sich niemand von uns die Finger verbrennt.«
»Du solltest in Zukunft wieder mehr auf mich hören, Don.«
Perroni nickte und legte die Stirn in Falten. »Okay, René, werde ich tun. Bestimmt. Wenn du etwas findest, gib mir Nachricht und mach Vorschläge, wie wir die undichte Stelle stopfen. Grüß Maryline von mir. Sie macht sich rar. Bei ihr kann es nicht an der Hitze liegen. Sie ist in Florida aufgewachsen. Stimmt etwas nicht zwischen euch?«
»Alles in Ordnung.« Bastillieu winkte ab.
»Das heißt also, Maryline flirtet noch wild mit ihrem Tennislehrer.« Die Kubanerin strich sich die langen Haare in den Nacken und setzte ein süßes Lächeln auf.
»Möglich«, sagte René Bastillieu gelassen. »Mein Job lässt mir nicht viel Zeit, mich um das Privatleben meiner Frau zu kümmern.«
»Das solltest du aber tun, verdammt«, knurrte Don Perroni. »Wenn die Familie in Ordnung ist, sind es auch die Menschen. Ihr solltet Kinder haben. Eine Frau, die Kinder hat, kann nicht auf dumme Gedanken kommen. Soll ich jemand schicken, der dem Tennislehrer auf die Zehen steigt?«
René Bastillieu schüttelte den Kopf. »Dolores übertreibt wie immer. Sie mag keine Blondinen. Das weißt du doch, Don.«
»Okay, René, kümmere dich um deinen Job. Ich will keine Schwierigkeiten.«
René Bastillieu erhob sich.
»Kannst du mich mit in die Stadt nehmen, René?«, fragte Dolores, während sie Don Perroni gleichzeitig fragend anschaute.
Der zuckte mit den Schultern. Es hatte den Anschein, als wäre er froh darüber, Dolores für einige Zeit loszuwerden. »Von mir aus nimm sie mit, René.«
Bastillieu nickte. »Ich rufe an, sobald ich etwas rausgefunden habe.«
Wenig später lenkte er den weißen Porsche über den breiten Kiesweg vom Grundstück herunter. Neben ihm räkelte sich Dolores auf dem Beifahrersitz und gab sich alle Mühe, ihre Reize ins richtige Licht zu rücken.
»Du spielst ein gefährliches Spiel, René«, sagte sie schließlich mit vibrierender Stimme. »Ich mag dich. Es täte mir leid, wenn du dich von dieser Welt verabschieden würdest, ohne dass wir beide etwas miteinander gehabt haben.«
René Bastillieu wandte den Blick und schaute seine Beifahrerin an. Seine Gedanken jagten sich. Vielleicht bluffte sie. Niemand konnte etwas von dem wissen, was er vorhatte. Niemand hatte ihn mit seinem Verbindungsmann gesehen, von dem nur Maryline und er wussten.
»Wann?«, fragte er.
»Was meinst du?«
»Ich meine, wann willst du etwas mit mir haben, Dolores?«
Eine Sekunde zögerte die Kubanerin. Dann deutete sie mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf das Hinweisschild eines Motels am Straßenrand.
René Bastillieu reagierte sofort. Er zog den Porsche in die kleine Zufahrtsstraße. »Wenn Don etwas davon erfährt, dann bringt er dich um, Dolores.«
»Und dich?«
»Mich braucht er. Für dich findet er jeden Tag Ersatz. Ich werde sagen, du hast mich verführt, und er wird es mir glauben.«
Bevor die Kubanerin antworten konnte, stieg Bastillieu in die Bremse. Dolores wurde nach vorn gegen das Armaturenbrett geschleudert. Sie stieß einen erschrockenen Schrei aus.
»Steig aus, und verschwinde, Dolores!« Bastillieu wollte nur herausfinden, ob sie wirklich etwas wusste. Wenn ja, würde sie ihren Trumpf in diesem Moment ausspielen.
»Du bist ein Narr«, fluchte Dolores. »Ein verdammter Narr. Ich kann jeden Mann ...«
»Ich liebe Blondinen, Dolores«, antwortete René Bastillieu scharf. »Steig aus, und verschwinde!«
Beleidigt schwang sich Dolores aus dem Wagen und schmetterte die Tür hinter sich ins Schloss. Ohne sich noch einmal umzudrehen, ging sie in die andere Richtung und war wenig später auf dem breiten Boulevard verschwunden.
Bastillieu sah ihr nach. Ganz sicher war er sich seiner Sache nicht. Aber woher sollte sie etwas wissen? Mit Maryline sprach sie kein Wort. Er selbst war so vorsichtig gewesen, wie ein Mann es sein musste, wenn es um sein Leben ging.
René Bastillieu wartete einige Zeit. Dann wendete er und fuhr Dolores nach. Von der schönen Kubanerin war nichts mehr zu sehen. Wahrscheinlich hatte sie einen Wagen gestoppt und ließ sich nun von jemand anders in die Stadt bringen.
Bastillieu fuhr bis zur nächsten Telefonzelle. Von dort aus rief er Don Perroni an. Für alle Fälle. Er musste sich gegen alle Möglichkeiten absichern.
Wenn Dolores wirklich etwas wusste, musste er ihr den Wind aus den Segeln nehmen und sie unglaubwürdig machen.
»Sie wollte zusammen mit mir in ein Motel und einen netten Nachmittag verleben, Don«, sagte er. »Ich habe sie rausgeschmissen und bin ihr nachgefahren. Jemand nahm sie mit. Sah ganz so aus, als kennten sich die beiden. Der Kerl schien nur darauf zu warten, dass ich zusammen mit Dolores im Motel verschwinde.«
Für einen Moment Schweigen am anderen Ende der Leitung. »Was willst du damit sagen, René?«
»Pass auf sie auf. Kontrollier ihren Umgang. Oder sperr sie ein. Vielleicht ist damit die undichte Stelle schon gestopft.«
»Du bist verrückt, René.«
»Ich bin nur vorsichtig, Don. Deshalb lebe ich auch noch. Ich sagte nicht, dass Dolores uns in den Rücken fällt. Ich sage nur, du sollst besser auf sie aufpassen. Das ist deine Aufgabe, Don. Bis später.«
René Bastillieu legte auf und trat aus der Kabine in die heiße Sonne hinaus.
Keiner wusste besser als er, dass Dolores nicht die undichte Stelle in der Organisation war. Aber für den Fall, dass sie wirklich etwas über ihn in Erfahrung gebracht hatte, hatte er sich nun Perroni gegenüber abgesichert.
2
Ich gondelte ziellos in der Stadt umher, aß in einer Snackbar ein Sandwich, trank einen Kaffee dazu und fuhr dann über den West Ocean Boulevard nach Miami Beach hinaus.
Die Second Street war eine schmale, stille Straße. Rechts und links dichte Palmenhaine vor den Häusern, die von der Straße versetzt lagen, sodass man sie kaum ausmachen konnte. Eine Wohngegend für Leute, die es geschafft hatten.
René Bastillieu gehörte dazu. Sein Bungalow stand als Letzter, mit genügend Abstand zum Nachbarn. Bastillieu hatte das Haus vor zwei Jahren gekauft und vor einem Jahr eine Menge Geld in Umbauarbeiten gesteckt. Hunderttausend Dollar war es selbst unter Brüdern wert. Er würde es aufgeben. Denn er hatte kaum eine Chance, einen Barkäufer zu finden, bevor er auf Nimmerwiedersehen in der Versenkung verschwand.
Ich dachte daran, als ein alter Sedan mich auf der Second Street überholte. Drei Männer konnte ich im Inneren des Fahrzeugs erkennen. Männer, die aussahen wie Touristen. Dennoch schöpfte ich Verdacht.
Ich lenkte den alten, gemieteten Mercury an den Bordstein und hielt an. Von hier aus konnte ich die Fahrt des Sedan bis zu Bastillieus Haus verfolgen.
Einige Yards vor der Einfahrt stoppte der Sedan. Zwei Männer sprangen aus dem Wagen. Schlanke, mittelgroße Gestalten, die Turnschuhe, Jeans und bunte Hemden trugen.
Sofort zog der Sedan wieder an und war verschwunden, als die Männer die Einfahrt erreichten, dessen Tor weit offen stand.
Ich wartete einige Sekunden. Dann startete ich den Mercury und ließ ihn langsam die Second Street hinunterrollen. Vor der Einfahrt bremste ich ab. Es war die einzige Stelle, von der aus man bis zum Eingang des Bungalows hinaufschauen konnte.
Die beiden Männer standen vor der Tür, die gerade in dieser Sekunde geöffnet wurde. Ganz kurz konnte ich die blonde Maryline sehen. Einer versetzte Bastillieus Frau einen Stoß vor die Brust und beförderte sie ins Haus zurück. Einen Atemzug später waren die Männer ihr gefolgt.
Dann war ich an der Auffahrt vorbei. Meine Gedanken überschlugen sich. Das war kein Höflichkeitsbesuch. Es sah aus, als liefe etwas aus dem Gleis. Aber mein Verstand sagte mir, dass zwischen Bastillieu und mir nichts schieflaufen konnte. Bastillieu war übervorsichtig.
Dennoch musste der überfallartige Besuch dieser Männer etwas zu bedeuten haben. Und es war mein Job, Bastillieu gegen alles abzusichern, was unser Vorhaben gefährden konnte.
Ich fuhr langsam weiter, wendete und steuerte eine hinter einer dichten Hecke gelegene Parkbucht an.
Erst jetzt bemerkte ich den Ford, der dort parkte. Ein Mann saß im Wagen, einer beobachtete zwischen den Büschen Bastillieus Haus. Beide trugen trotz der mörderischen Temperaturen korrekte graue Straßenanzüge, weißes Hemd und Binder.
Es handelte sich um Leute von Joe Maxwell, dem Kollegen, der seit Jahren versuchte, Perroni zu Fall zu bringen. Phils Anordnung, die Finger von René Bastillieu zu lassen, war also zu spät gekommen. Oder Maxwell hielt sich nicht daran.
Ich stoppte hinter dem Ford, als der Mann aus den Büschen heraustrat und der andere den Wagen verließ.
»Drüben tut sich was, Jimmy«, sagte der Mann, der Bastillieus Bungalow beobachtet hatte.
Der Fahrer stieß sich den Hut in den Nacken, schaute seinen Kollegen an und wandte den Blick schließlich in meine Richtung.
Ich kurbelte die Scheibe herunter. Ein guter Geist hatte mir die Eingebung gegeben, in die Second Street hinauszufahren. Ich sah den Kollegen aus Miami regelrecht an, dass sie im Begriff waren, eine Dummheit zu begehen. Sie würden Bastillieu und mir schaden, wenn sie als G-men zum Bungalow hinübergingen, um die Lage auszukundschaften.
Der Mann, der aus dem Ford gestiegen war, schaute mich noch immer misstrauisch an, als ich den Mercury verließ und mich streckte. Er zögerte einen Moment und warf seinem Kollegen einen schnellen Blick zu. Der nickte. Sie sprachen kein Wort. Dennoch war deutlich, dass sie mich zu den Kerlen zählten, die drüben im Bungalow verschwunden waren.
Ich blieb an die Kühlerhaube gelehnt stehen und wartete auf Jimmy, den Mann mit dem Hut, ohne seinen Kollegen auch nur für den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen zu lassen. Der schob seine Rechte langsam unter das Jackett.
Noch zwei Schritte trennten Jimmy von mir, als ich mit einem Satz auswich, den 38er zog und Jimmy in die Mündung schauen ließ.
Damit hatte er nicht gerechnet. Er blieb stehen, als wäre er gegen ein unsichtbares Hindernis gelaufen. Der andere vergaß seine Waffe und zog die Hand wieder unter dem Jackett hervor.
»Okay«, sagte ich leise. »Ich sehe, wir verstehen uns. Wir steigen jetzt in euren Wagen und warten ab.«
»FBI«, sagte der mit dem Hut und wollte in die Tasche greifen, um sich auszuweisen.
»Das macht nichts«, antwortete ich kühl. »Wenn ich an eurer Stelle wäre, würde ich nichts unternehmen, was euer Leben abkürzen könnte. In den Wagen! Und dann die Kanonen zu mir auf den Rücksitz!«
Sie erzählten mir etwas von den Konsequenzen, die ich zu tragen hätte, kamen meinem Befehl aber zähneknirschend nach. Wenig später hatte ich ihre Dienstwaffen auf dem Rücksitz.
Damit war die erste Gefahr gebannt. Jetzt konnte niemand mehr den Kerlen nachstiefeln, die Maryline Bastillieu einen Besuch abstatteten. Dass die beiden der Frau übel mitspielten, daran glaubte ich nicht. Vielleicht stellten sie ihr ein paar Fragen, auf die Maryline eine vorher abgesprochene Antwort wusste.
»Hören Sie, Mister«, sagte der Mann mit dem Hut. »Wir sind nicht allein. Das kann verdammt hart für Sie werden, Mann!«
Ich grinste ihn an und deutete auf das Funksprechgerät. »Stellt eine Verbindung zu Maxwell durch«, sagte ich.
Ungläubig starrten sie mich an.
»Verdammt, tut, was ich sage!«
Jimmy, der Hutträger, drehte an den Knöpfen. Es rauschte im Kanal. Dann meldete sich die Zentrale.
»Meyers«, sagte der Hutträger. »Gib mir Maxwell.«
»Was ist los, Meyers?«
Er warf einen Blick zurück. Ich schüttelte den Kopf.
»Du sollst mir Maxwell geben und keine Fragen stellen, Mann!«
Es knackte einige Mal. Dann befand sich Joe Maxwell am anderen Ende der Leitung. Ich nahm Meyers das Mikrofon ab.
»Hören Sie zu, Maxwell«, sagte ich scharf. »Ich habe zwei Ihrer Leute in der Second Street vor Bastillieus Bungalow erwischt. Die Anordnung aus Washington lautete: Keine Aktivitäten in Bastillieus Richtung! Ich sehe schwarz für Ihre Pension!«
Sekundenlang herrschte Stille auf allen Kanälen. Dann meldete sich Maxwell mit einem Fluch.
»Eine Vorsichtsmaßnahme«, sagte Maxwell, den ich noch nie gesehen hatte. »Ich kenne die Stadt und die Leute. Ich kann am besten ...«
»Ist Phil Decker in der Nähe?« unterbrach ich seinen Redefluss.