Jerry Cotton Sonder-Edition 203 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 203 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

"Gentlemen", sagte Mr. High in tiefem Ernst zu den versammelten G-men, "es handelt sich um Ihren Kollegen Jerry Cotton. Er geht heute den gefährlichsten Gang seines Lebens ..." Der Chef übertrieb nicht. Meine Lage war verzweifelt. New Yorks Presse zerriss mich in der Luft. Ich sollte den Tod unschuldiger Bürger verursacht haben. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung musste der FBI-Direktor mich beurlauben. Das alles war das Werk eines unglaublich brutalen und dabei hochintelligenten Verbrechers. Jetzt war er im Begriff, mir den Todesstoß zu versetzen. Seit wenigen Stunden befand sich meine Freundin Joanne in den Händen des Todfeinds - in den Händen von Mister Brutalo!


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Seitenzahl: 205

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Mister Brutalo

Vorschau

Impressum

Mister Brutalo

»Gentlemen«, sagte Mr. High in tiefem Ernst zu den versammelten G-men, »es handelt sich um Ihren Kollegen Jerry Cotton. Er geht heute den gefährlichsten Gang seines Lebens ...« Der Chef übertrieb nicht. Meine Lage war verzweifelt. New Yorks Presse zerriss mich in der Luft. Ich sollte den Tod unschuldiger Bürger verursacht haben. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung musste der FBI-Direktor mich beurlauben. Das alles war das Werk eines unglaublich brutalen und dabei hochintelligenten Verbrechers. Jetzt war er im Begriff, mir den Todesstoß zu versetzen. Seit wenigen Stunden befand sich meine Freundin Joanne in den Händen des Todfeinds – in den Händen von Mister Brutalo!

1

Es stand nicht fest, dass er den Mann an diesem Abend töten würde. Es war lediglich eine Möglichkeit, die Jake Angiola in seine Überlegungen einbezog. Auch früher hatte er sich nie darauf festgenagelt, einen Job um jeden Preis durchzuziehen.

Die beschlagenen Fensterscheiben erlaubten keinen Blick auf den Bürgersteig. Zu sehen war nur ständig sich änderndes Licht, abwechselnd rötlich und weißlich, von Scheinwerfern und Heckleuchten vorbeirollender Autos. Das war der zweite Abend, an dem sich Angiola in dem überfüllten Schnellrestaurant aufhielt.

Von seinem Platz an der Theke hatte er den Eingang im Auge. Lärmende Stimmen umgaben ihn. Frittierfett brodelte in blankmetallenen Trögen. Backhitze strömte vom Pizzaofen herüber. Die Kleidung sog den Geruch von heißem Öl und Gewürzen auf.

Angiola kaute an einem pappigen Cheeseburger.

Als der Mann eintrat, erkannte er ihn sofort, obwohl er ihn noch nie getroffen hatte. Auch der Name war ihm unbekannt. Die Personenbeschreibung, die man ihm geliefert hatte, stimmte indessen hundertprozentig.

Der Mann trug einen grauen Straßenanzug, nicht besonders gepflegt. Seine Krawatte hing auf Halbmast, die Hände hatte er in den Hosentaschen vergraben. Das strohblonde Haar war ein unübersehbares Kennzeichen. Die Art, wie er sich auf die Theke zuschob und sich mit der Bedienung verständigte, zeigte, dass er hier Stammgast war.

Von dem, was gesprochen wurde, hörte Angiola nichts. Er saß am Ende der langen Theke, und der Lärm war groß. Aus den Handgriffen und Gesten der weißgeschürzten Frau ließ sich jedoch alles folgern, was für ihn wichtig war.

Der blonde Mann hatte eine Pizza zum Mitnehmen bestellt. Die Frau schob ihm einen Fruchtdrink hin, mit dem er die Wartezeit überbrücken wollte. Während er eine Zigarette anzündete und an dem beschlagenen Glas nippte, wechselte er keine Worte mit den Umstehenden. Sie kannten ihn nicht. Die Frau, die ihn bediente, und auch das übrige Personal hatten keine Zeit für ein Gespräch.

Jake Angiola verbuchte diese Punkte in seinen Gedanken leidenschaftslos. Es waren Pluspunkte, ausschlaggebend aber nicht. Einiges fehlte noch. Die Wahrscheinlichkeit, dass der weitere Verlauf der Dinge wie erwartet eintrat, war groß. Doch es musste nicht heute Abend sein. Ebenso gut konnten alle günstigen Umstände erst morgen oder übermorgen zusammentreffen.

Auf eine besondere Ausrüstung hatte Angiola verzichten können. Nur den Vierkantschlüssel hatte er vorsorglich beschafft. Möglich, dass er ihn nicht einmal brauchte.

Der Mann rauchte seine Zigarette nicht ganz zu Ende. Er ließ das Dreiviertel volle Glas an seinem Platz stehen, schnippte dem Thekengirl mit Daumen und Zeigefinger zu und ging zu der Toilettentür am Ende des schlauchartigen Raums. Angiola wartete etwa zwei Minuten. Er schluckte den Rest seines Cheeseburgers herunter und spülte mit Coke nach. Dann steuerte er ebenfalls auf die Tür mit der Aufschrift Gents zu.

Er brauchte nicht mehr als eine Sekunde, um die Umgebung zu erfassen. Weiß gekachelte Sauberkeit. Geruch von Desinfektionsmitteln. Der Mann stand allein vor einem der Waschbecken, auf den Spiegel zu gebeugt. Wasser rauschte aus dem Hahn. Beim Eintreten ließ Angiola den Blick blitzschnell über die Reihe der Kabinentüren gleiten.

Zwischen den Waschbecken und den Türen der Toilettenkabinen bestand ein Zwischenraum von gut einem Yard Breite. Ganz hinten war der größere Raum. Der Mann blickte ihn durch den Spiegel an. Die Augen waren müde, hatten noch etwas berufsmäßig Prüfendes.

Angiola packte mit beiden Fäusten zu und erwischte die Schultern mit eisenhartem Griff. Ein kurzer Ruck zur Seite, dann ein Stoß. Der Kopf des Mannes knallte gegen die Fliesen neben dem Spiegel. Angiola spürte, wie der schwere, muskulöse Körper unter seinen Fäusten erlahmte.

Schnell genug erwischte er ihn unter den Achselhöhlen und schleifte ihn zu einer Kabine. Mit dem Ellenbogen drückte er die Tür auf, schob den Bewusstlosen auf den Deckel des Toilettenbeckens und verriegelte die Tür von innen. Angiola horchte, während er das linke Hosenbein hochzog und das Stahlrohr aus dem Lederfutteral zog, das er um die Wade geschnallt hatte. Jeden Moment konnte es mit der Einsamkeit zwischen den weißen Kacheln vorbei sein.

Angiola verlor keine Zeit. Er schlug viermal hintereinander zu. In jeden einzelnen Hieb legte er alle Muskelkraft, die er besaß. Der blonde Mann starb, ohne Todesangst gelitten zu haben. Aus der Bewusstlosigkeit versank er in das Dunkel, das schmerzlos und ewig war.

Nach dem vierten Hieb ging Angiolas Atem keuchend. Er richtete sich auf und starrte die Wunden an, die er seinem Opfer zugefügt hatte. Sekundenlang verharrte er so. Das Gefühl, das feurig lodernd in ihm aufstieg, hätte er nicht zu beschreiben vermocht. Es war übermächtig, versetzte seine Lippen und Wangenmuskeln in ein Zucken, und nur der Rest von Vernunft hinderte ihn daran, einen Schrei grenzenloser Entspannung auszustoßen.

Nach zwölf Jahren empfand er das zum ersten Mal wieder. Es brachte ihn fast um den Verstand.

Er zwang sich in die Wirklichkeit zurück, stieß das Stahlrohr ins Futteral, glättete sein Hosenbein und rückte den Toten auf dem Toilettensitz zurecht. Das Blut rann in die Kleidung des Mannes. Es würde eine Weile dauern, ehe es die Fußbodenfliesen erreichte. Angiola spürte, dass sein Opfer ein Schulterholster mit nach unten hängendem Revolvergriff trug. Er nahm es zur Kenntnis, ohne dass es ihn in Unruhe brachte.

Nach einem letzten prüfenden Blick verließ Angiola die Kabine und verriegelte die Tür von außen mit dem Vierkant. Das rote Schauzeichen ließ jetzt jeden annehmen, dass hier besetzt war.

Er ließ den Geruch des Desinfektionsmittels hinter sich und tauchte in den Lärm des Restaurants. Sein Platz war frei geblieben. Er bestellte einen Bourbon mit wenig Wasser. Während er den Drink in kleinen Schlucken genoss, suchten in kurzen Abständen drei Leute die Toilette auf. Angiola wartete, bis sie zurückgekehrt waren. Es gab kein Geschrei.

Als er nach dem Kassenzettel griff, um zu bezahlen, packte die Thekenfrau die dampfende Pizza ein, die der blonde Mann bestellt hatte. Sie schob das flache Paket auf den Platz zu, an dem er gesessen hatte.

Jake Angiola zahlte an der Kasse. Während er in die kühle Abendluft hinaustrat, lag in seinen Augen ein Glanz, den jeder Unwissende für ein Zeichen von Stolz gehalten hätte.

»Ich muss verrückt sein.« Joanne tippte mit dem Zeigefinger auf das Funkmikro, das in seiner Halterung auf der Mittelkonsole steckte. »Warum lasse ich mich mit einem Burschen ein, der mit so einem Apparat verheiratet ist? Wie oft habe ich es nun schon erlebt, dass dieses Teufelsding einen bei jeder unpassenden Gelegenheit stört! Ehrlich, ich rechne jede Sekunde damit, dass auch dieser Tag wieder geplatzt ist.«

Ich warf einen Blick in den Innenspiegel und sah sie dann von der Seite an. Joanne Rhodell, dunkelblond und schön. Sehr selbstsicher, mit einem unbeirrbaren Geschmack für ihre Kleidung. Innenarchitektin, neunundzwanzig Jahre alt. Wir kannten uns seit genau zweieinhalb Monaten.

»Scheint so, als liefe die Probezeit noch.« Ich lächelte. »Sag mir, ob ich mit der Kündigung zu rechnen habe.«

»Um Himmels willen, sieh mich nicht so an. Und stell nicht solche Fragen.«

Ich atmete tief durch. »Dann darf ich feststellen, dass mein Blick dich nach zweieinhalb Monaten noch immer schwach werden lässt.«

»Du bist größenwahnsinnig!«, rief Joanne lachend. »Ich flehe dich an, sieh nach vorn. Konzentriere dich auf die Straße. Das ist es, woran mir liegt.«

»Fantastisch«, brummte ich und gehorchte.

Über meinem roten Jaguar dehnte sich der Himmel strahlend blau. In der Luft lag eine Ahnung von Frühling. Der glatte Beton des Ocean Parkway glitt unter uns hinweg. Sattes Grün zu beiden Seiten und weiter rechts die flirrenden Sonnenreflexe auf der Weite des Atlantiks. James Beach State Park, Nassau County, Long Island. Um diese Jahreszeit traten sich hier die Leute noch nicht gegenseitig auf die Füße.

Ich lenkte den Jaguar auf einen Parkplatz am Rand des Highways. Nur knapp die Hälfte der von Platanen umsäumten Fläche war belegt. Blitzblanke Limousinen, die ausnahmslos New-York-City-Kennzeichen trugen, herausgeputzt für den kleinen Ausflug ins Frühlingswetter. Ich brachte meinen Flitzer neben einem massigen Volvo zum Stehen, zog die Handbremse an, warf einen Blick in den Innenspiegel und stieß die Tür auf. Frische Meeresluft strömte herein.

»Schnell!«, rief Joanne, und die perlweißen Reihen ihrer Zähne blitzten im Sonnenlicht. »Ergreifen wir die Flucht, bevor dein widerwärtiger Funkkasten uns zurückpfeift.«

Ich schwang mich ins Freie und verriegelte beide Wagentüren. Weitere Limousinen rollten auf den Parkplatz. Ich sah es aus den Augenwinkeln, während sich Joanne bei mir unterhakte und mich mit sanftem Nachdruck vom Jaguar fortzog. Ein schmaler Weg führte durch die Parklandschaft hinunter zur Uferpromenade.

Wir schlenderten über den feinen Kies, der bei jedem unserer Schritte knirschte. Das Rauschen der Wogen, die schwach und träge gegen die Uferbefestigung rollten, begleitete uns.

»Was hältst du davon, wenn ...?«

»Lass uns noch mal zurückgehen«, sagte ich, ohne zu merken, dass ich sie unterbrach.

Joanne blieb stehen und starrte mich an. Ihre Augen funkelten. »Du hörst mir überhaupt nicht zu. Was ist los? Vermisst du dein Funkgerät?«

»Kein Grund zur Aufregung, Darling. Ich möchte mir nur noch einmal den Parkplatz ansehen.«

»Was, in aller Welt, ist daran so interessant?«

»Es spielt doch keine Rolle, in welche Richtung wir gehen«, entgegnete ich ausweichend. »Die Promenade ist überall gleich.«

Joanne folgte mir schweigend. Ich ahnte ihre zornigen Gedanken, merkwürdigerweise störte ich mich nicht daran. Für mich gab es im Moment Wichtigeres, obwohl es Joanne gegenüber vielleicht unfair war. Bald konnte ich einen Teil des Parkplatzes übersehen.

Dieser dunkelblaue Plymouth Reliant, der einen Steinwurf von meinem Jaguar entfernt stand, kam mir bekannt vor. War es der Wagen, den ich ein paarmal im Spiegel zu sehen geglaubt hatte? Wegen der getönten Scheiben des Plymouth konnte ich auf die Entfernung nicht feststellen, ob Leute darin saßen.

»Nanu«, wunderte sich Joanne laut und vernehmlich. »Ich denke, du willst dir den Parkplatz ansehen.«

»Schon erledigt.« Ich lächelte schief.

Wieder blieb sie stehen. Sie baute sich vor mir auf und stemmte die kleinen Fäuste in die Hüften.

»Jetzt hör mal zu, Jerry. Könnte es ein, dass du an einem berufsbedingten Verfolgungswahn leidest? Ich merke die ganze Zeit, dass du in Gedanken weit weg bist. Wenn es ein Problem gibt, solltest du mich nicht wie ein kleines Kind behandeln, dem man über die Haare streicht und sagt: ›Davon verstehst du noch nichts.‹«

»Okay, okay«, murmelte ich, nickte besänftigend.

Wir gingen bis zu einer freien Bank, als die Promenade in einen größeren Platz mündete. In der Mitte plätscherte ein Springbrunnen. Ich setzte mich.

Sie sprang gleich wieder auf. Lächelnd sah ich ihr nach. Allein ihr Gang war eine Augenweide. Im Rhythmus ihrer Schritte schwang der Rock um die schlanken Waden. Der Stand, an dem die duftenden Donuts verkauft wurden, war nicht genau zu erkennen.

Joanne brauchte lange. Ich stand auf, schob die Hände in die Tiefe meiner Hosentaschen und schlenderte mit halbkreisförmigen Schritten los. Im stärker werdenden Donutduft schwebte hauchfeine Feuchtigkeit vom Springbrunnen mit herüber.

Der Verkaufsstand hatte ein gelb-grünes Vordach. Darunter war eine kleine Versammlung. Ich stutzte beim zweiten Blick. Da war nichts als schwarze Lederjacken oder -westen. Ein paar muskulöse nackte Arme mit grellen Tätowierungen, Joanne mittendrin. Die gutbürgerlichen Spaziergänger hatten sich zurückgezogen, und die beiden puerto-ricanischen Donutbäcker hinter dem Tresen riskierten kein lautes Wort.

Ich beschleunigte meine Schritte. Automatisch. New York City lässt niemand los, zu keiner Zeit. Es verfolgt einen mit seinen guten Erinnerungen, aber auch mit seinen Schattenseiten. Diese Burschen nahmen sich das Recht auf Frühlingsluft auf ihre eigene Weise. Doch in der Beschaulichkeit der Parklandschaft an der Atlantikküste unterschied sich ihr Verhalten in nichts von den New Yorker Straßeneckengewohnheiten. Sie gehörten zu der Sorte, die nichts dazulernte.

Ihr Grölen war heiser und wild. Ihre Bemerkungen klangen obszön und spöttisch. Joanne versuchte, sich energisch ihren Weg zu bahnen. Zwischen den Motorradstiefeln fiel ein Pergamentpaket zu Boden. Einer der Stiefel trat es weg. Dampfende Donuts fielen heraus und rollten über den feinen roten Kies. Joanne schrie wütend auf. Die Kerle wollten sich ausschütten vor Lachen.

Auf mich achteten sie nicht. Vielleicht sahen sie mich nicht einmal. In der Macht ihrer Horde fühlten sie sich allem überlegen, was von außen kommen konnte.

Ich packte die ersten beiden, die mir im Weg standen, erwischte sie an den Lederjackenkragen und schleuderte sie nach beiden Seiten weg. Den einen trieb es segelnd auf den Springbrunnen zu. Der andere stieß sich den Kopf an der Donutbudendecke. Die Meute grölte noch immer. Im Mittelpunkt des Lärms packte eine tätowierte Faust, die Joannes Oberarm und wollte sie zu sich heranziehen.

Als ich mir den dritten Burschen schnappte, wurden auch die anderen aufmerksam. Zwei waren im Begriff sich aufzurappeln, und diesen dritten trieb ich mit einer schallenden Ohrfeige von seinem Pulk weg. Er heulte.

Stille kehrte ein. Blicke richteten sich auf mich wie auf ein Kaninchen, das es wagt, die Schlange auszulachen. Sechs oder sieben Kerle waren noch vor mir. Der Joanne immer noch gepackt hielt, hatte ein breitflächiges Gesicht und struppiges rotes Haar. Auf seiner Lederbrust trug er Kriegsorden aus Deutschland.

»Mister«, sagte der Struppige, »willst du dich mausig machen?«

Joanne war blass, ihr Blick ein Hilferuf.

»Du hast es erfasst, mein Junge«, knurrte ich. Ich wusste, dass er und seine Kumpane es als Beleidigung auffassten. Sie waren um die zwanzig, vielleicht ein paar Jahre darüber. Und sie fühlten sich als Erwachsene, die schon alles auf der Welt gesehen haben.

Der Struppige stieß einen heiseren Laut aus. Es war das Zeichen für seine Meute. Joanne ließ er trotzdem nicht los.

Mir blieben höchstens ein paar Sekunden, ehe die drei, die noch mit ihrer Benommenheit kämpften, ebenfalls wieder mitmischten. Es war jetzt kein Spaß mehr. Sie gingen auf mich los. Sie fühlten sich wie Wölfe. Am Rand meines Blickfelds bemerkte ich Zuschauer mit großen und gierigen Augen. Die hautnah erlebte Sensation würde ihnen noch abends im Wohnzimmer wohlige Schauer über den Rücken jagen.

Die Lederhorde wollte mich mit einem Halbkreis erdrücken. Bis auf zwei Schritte ließ ich sie herankommen. Dann kreiselte ich halb nach links und ließ meine Muskeln explodieren. Für Rücksicht und besonderes Zartgefühl hatte ich keine Zeit. Jetzt nicht mehr. Denjenigen, der ganz außen war, erwischte ich mit einer brettharten Handkante. Sein Nebenmann rannte in meine hochfahrende Linke. Er stoppte, als wäre er gegen einen Baumstamm geprallt, und beide verhedderten sich beim Sturz auf den feinen Kies.

Ich wirbelte herum. Keinen Atemzug zu spät. Der andere Flügel des Halbkreises stimmte Angriffsgebrüll an. Ich ging sofort zum Gegenangriff über. Aus dem Stand heraus schnellte ich los. Die Kerle, die aus der Mitte des Halbkreises gestartet waren, stürmten ins Leere. Mein Rammstoß traf den rechten Flügel. Zwei trieb ich gegen die Donutbude. Unter dem Anprall schepperte es heftig.

Mit dem Angriffsgebrüll war es aus.

Die beiden, die sich an der Budenfront freizukämpfen versuchten, nagelte ich mit einem Trommelfeuer von Fausthieben fest. Sie sackten in trautem Einklang nach unten weg. Im selben Atemzug tauchte ich. Mein Instinkt, an dem Joanne ein wenig gezweifelt hatte, hatte mich gewarnt.

Etwas zischte haarscharf über meinen Kopf hinweg. Ein sirrender Laut, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Noch in der Hocke drehte ich mich auf dem Absatz.

Die Lage hatte sich geändert.

Der Struppige fing den Schwung seines Fehlschlags ab. Er tänzelte vor mir weg. Seine rechte Pranke war von den Windungen einer Fahrradkette umgeben. Das schlaufenförmige Ende hing lose herab.

Die anderen waren zurückgewichen. Ein paar lagen noch am Boden und rieben sich schmerzende Körperteile. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich Joanne, die mit lauten Worten in die Donutbude vorzudringen versuchte und die Verkäufer wegen eines Telefons bestürmte, das es hier mit Sicherheit nicht gab.

Der Struppige ließ die Kette am ausgestreckten Arm schwingen. Seine Orden klirrten leise. Er, der Anführer, musste seiner Meute nun zeigen, wie man eine solche Sache ausbügelt.

Ich ließ ihm keine Zeit zum Nachdenken.

Ich ging einfach auf ihn zu, als existierte sein vielgliedriges Mordwerkzeug überhaupt nicht. Ein Ausdruck von Fassungslosigkeit entstand in seinen wässrigen Augen. Mit wem er sich angelegt hatte, schien er dennoch nicht zu ahnen. Ein Wutschrei drang tief aus seiner Kehle herauf. Sein Kettenarm zuckte hoch.

Ich war um jenen Sekundenbruchteil schneller, den er für sein Erstaunen verschwendet hatte. Meine linke Handkante traf seinen Arm schräg von vorn. Sein Schrei ging in Schmerzgebrüll über. Obwohl Arm und Kette kraftlos herabsanken, gab er noch nicht auf. Er versuchte seine gesunde Linke einzusetzen.

Ich zerschmetterte diese Hoffnung mit wenigen glashart herausgestochenen Geraden. Die Wucht der Hiebe trieb ihn zurück. Er machte kleine Schritte. Dann hielt sein Gleichgewicht nicht mehr. Wieder trat der fassungslose Ausdruck in seine Augen, als er hintenüberkippte.

Die anderen waren unschlüssig. Ich wusste, dass sie mich nicht mehr angreifen würden.

»Ihr habt euch den Falschen ausgesucht«, sagte ich rau. »Verschwindet!«

Vermutlich ahnten sie jetzt, zu welcher Art von Verein ich gehörte. Ohne Widerrede halfen sie ihrem Orden behängten Anführer auf die Beine. Die Lederjacken glänzten düster im Sonnenlicht, als sie um die nächste Biegung verschwanden. Die Zuschauer starrten mich an wie ein Wesen aus einer fremden Welt. Die Kinder hatten aufgehört herumzuhüpfen. Ich zupfte meine Kleidung zurecht und rieb mir die Handknöchel, die ein wenig schmerzten.

Joanne tauchte mit großen, immer noch erschrockenen Augen an der Budenecke auf. Es fiel ihr schwer, die Worte richtig aneinanderzureihen. »Bist du ... ich wollte ... ich meine, bist du in Ordnung? Ich wollte die Polizei rufen, aber ...«

Sie sank mir in die Arme. Ich spürte, dass sie es noch nicht verkraftet hatte. Die beiden schwarzhaarigen Donutverkäufer schoben ein neues Paket über den Tresen. Sie lächelten verlegen. Ich bedankte mich mit einem Nicken und nahm das Paket mit der freien Hand.

»Gehen wir zum Parkplatz zurück«, sagte ich. »Hier ist es ungemütlich geworden.«

»Einverstanden«, hauchte Joanne. »Meine Knie sind wie Gummi.«

Auf dem kurzen Weg klammerte sie sich an mir fest. Behutsam half ich ihr auf den Beifahrersitz, schloss die Wagentür und umrundete die lange Motorhaube meines roten Flitzers. Dabei hatte ich Zeit, meinen Blick wandern zu lassen.

Der dunkelblaue Plymouth war verschwunden.

Zufall möglicherweise. Vielleicht waren meine Nerven überreizt. In den letzten Tagen hatte ich immer häufiger geglaubt, beschattet zu werden. Doch ich hatte nie jemand erwischt, den ich am Kragen packen und es ihm auf den Kopf zusagen konnte. Entweder waren die Kerle höllisch geschickt, oder ich bildete mir tatsächlich alles nur ein.

Ich stieg zu Joanne in den Jaguar. In ihren Augen lag ein feuchter Schimmer.

»Ich habe so etwas noch nicht erlebt, Jerry, wirklich nicht. Es ist gemein und erniedrigend. Ja, das ist vielleicht das Schlimmste daran. Diese Kerle zerstören dein ganzes Selbstbewusstsein und machen dich zu einem erbärmlichen Nichts, mit dem sie anstellen können, was sie wollen. Dabei ist mir ja nicht einmal etwas passiert – dank deiner Hilfe. Mein Gott, wenn ich daran denke, wie vielen Frauen es in New York City schlimmer ergangen ist!«

»Versuche nicht daran zu denken«, sagte ich ruhig. »Du hast es überstanden. Das allein zählt.« Ich wusste, dass mein Rat nicht viel taugte. Die Angst würde sich in Joanne festfressen. Jedes Mal, wenn sie von nun an lungernde Gestalten an Straßenecken oder in Hauseingängen sah, würde sie den Drang verspüren, die Flucht zu ergreifen.

Für die Schwarzseher unter unseren Bürgern, die sich in diesen Zeiten wieder lautstark zu Wort meldeten, waren solche Ängste Zeichen für New Yorks unaufhaltsamen Untergang.

Auch uns beim FBI waren die statistischen Zahlen des vergangenen Jahres vorgelegt worden, noch bevor Zeitungen und Fernsehen die Menschen damit schockierten.

Mehr als tausendachthundert Morde waren im zurückliegenden Jahr in New York City verübt worden. Ein trauriger Rekord. Und die Zahl der Körperverletzungen, Raubüberfälle, Vergewaltigungen, Einbrüche und Diebstähle war nicht weniger rasant gestiegen. Die Cops, unsere uniformierten Kollegen, genossen bei der Bevölkerung immer weniger Vertrauen. Bürgerwehren entstanden. Männer patrouillierten in ihrer Freizeit, wie Polizeibeamte ausgerüstet, in den Straßen.

»Und wie sieht es mit dir aus?«, fragte Joanne unvermittelt.

Ich fuhr aus meinen Gedanken hoch. »Was meinst du?«

»Dein Gefühl. Deine Missstimmung, wenn ich es so nennen darf. Hast du das wenigstens vergessen?«

»Es sieht so aus, Darling.« Ich lächelte. »Und vielleicht tröstet dich das: Es war nicht das Funkgerät, das unseren Tag gestört hat.«

Joanne brachte ein erstes kleines Lachen zustande.

2

Von der Morgensonne hatte Phil Decker nichts mitgekriegt.

Mein Freund sah aus wie drei Tage Regenwetter, als ich ihn an der gewohnten Straßenecke einsammelte. Und an diesem strahlenden Montagmorgen bereitete es ihm besondere Mühe, seine langen Beine in der Enge meines Jaguar unterzubringen. Jedenfalls knurrte er unwillig. Ich beschloss, ihn nicht unnötig zu reizen.

Auf dem Weg zum FBI-Distriktgebäude quälten wir uns durch den üblichen Stop-and-Go-Verkehr. Benzingestank lastete in den Straßenschluchten. Wir hielten die Wagenfenster geschlossen und ließen die Klimaanlage arbeiten.

»Wie war das Wochenende?«, fragte Phil.

Ich sah ihn mit einem knappen Seitenblick an. Neid? Ausgerechnet bei ihm?

»Durchwachsen«, antwortete ich. Ob er an der Schilderung von Einzelheiten interessiert war, vermochte ich noch nicht festzustellen.

Er war es nicht. »Ich habe gestern Abend ein paarmal versucht, dich zu erreichen.«

»Himmel noch mal«, entgegnete ich und bemühte mich, nicht aufzubrausen. »Du wusstest genau, dass ich ...«

»Natürlich«, unterbrach er mich. »Ich habe auch nicht gesagt, dass es deine Pflicht gewesen wäre, erreichbar zu sein.«

»Sondern?«

»Es wäre gut gewesen, dich zu sprechen.«

»Das hört sich schon anders an. Warum?«

»Detective Lieutenant Bruce Lemay.«

Da wir vor einer Ampel hielten, konnte ich Phil forschend mustern. Seine Miene war so verbissen, wie ich es selten an ihm erlebte. Der Name ließ Alarmklingeln in meinem Gehirn schrillen – insbesondere die Art, wie Phil diesen Namen ausgesprochen hatte.

»Heraus damit!«, knurrte ich. »Was ist es?«

»Er wurde getötet.«

Ein Huftritt in die Magengrube hätte mich nicht schlimmer treffen können. Ich verstand meinen Freund und Partner von einem Atemzug zum anderen. Kein noch so freundliches Wetter, nichts und niemand konnte unsereins unter diesen Umständen aufheitern.

Mord an einem Polizeibeamten!

Jeder, der in New York City eine Uniform trägt oder seinen Ermittlungsdienst in Zivil versieht, weiß, was das bedeutet. Denn jeder von uns spürt dann diese Faust im Nacken, von der wir am liebsten behaupten möchten, dass es sie nicht gibt. Vielleicht gerade deshalb, weil wir genau wissen, unter welcher ständiger Bedrohung wir leben und arbeiten. Für mich erübrigte sich die Frage, ob Bruce Lemay wirklich ermordet und nicht etwa einem Unfall zum Opfer gefallen war. Die Art und Weise, wie Phil darauf reagierte, sagte alles.

Weshalb das FBI hinzugezogen worden war, wusste ich. Ich selbst hatte mit Bruce Lemay in den letzten Tagen und Wochen zusammengearbeitet. Er gehörte zur Kriminalabteilung des Polizeireviers Manhattan Midtown, und er hatte in langwieriger Ermittlungsarbeit einen Rauschgiftring aufgespürt, dessen schmutzige Finger über die Grenzen der Stadt und des Bundesstaats New York hinausreichten.

Bruce Lemay war ein Kollege gewesen, der es schätzte, FBI Agents frühzeitig hinzuzuziehen, wenn die leidige Zuständigkeitsfrage eindeutig war. Wir hatten immer eine gute Zusammenarbeit gepflegt.

»Wie ist es passiert?«, fragte ich mit belegter Stimme.

Phil schluckte trocken hinunter. Er räusperte sich. »Unvorstellbar. Keiner von uns konnte es fassen, als wir es sahen. Kein Messer, keine Kugel. Lemay ist erschlagen worden wie ein Hund. Nein, schlimmer als das. Der Mörder muss eine Bestie sein, ein Tier. Ein normaler Mensch kann nicht so brutal sein.«

»Ich verstehe noch nicht ganz«, sagte ich heiser.

»Die Einzelheiten sind genauso entwürdigend wie alles andere. Bruce Lemay wurde in einer Toilette in Joey's Rest gefunden. Das ist ein Schnellrestaurant an der 40th Street zwischen Madison und Park Avenue. Und es kann nicht etwa so gewesen sein, dass Lemay zufällig mit irgendwelchen Schlägertypen aneinandergeriet. Wir haben es zuerst angenommen, als wir sahen, wie er zugerichtet wurde. Aber dann, als wir die Dinge rekonstruierten, kamen wir darauf, dass der Mörder nach genauem Plan vorgegangen sein muss.«

»Von einem primitiven Schläger hätte sich Bruce nicht überrumpeln lassen«, murmelte ich.

»Eben drum. Er muss völlig überrascht worden sein. Und noch etwas, wenn man darüber nachdenkt: Die Hiebwaffe, die verwendet worden ist, lässt sich nicht identifizieren. Es kann alles Mögliche gewesen sein, vom Totschläger bis zum Hartholzknüppel. Die Mordkommission hat keine Kugel, mit der sich die Ballistiker beschäftigen könnten. Und es gibt keine Stichwunden, die bei der Obduktion Hinweise ergeben könnten.«

Ich presste die Lippen aufeinander.

In meinem Bewusstsein zogen Ahnungen am Horizont auf, die sich zu düsteren Wolken zusammenballten. Ich wollte kein Wort darüber verlieren, noch nicht, nicht einmal Phil gegenüber, meinem besten Freund. Was mir seit Tagen rätselhaft erschien, gewann neue Gestalt.

Ich litt nicht an übersteigerter Einbildungskraft.