Jerry Cotton Sonder-Edition 206 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 206 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Er kam aus dem dunklen Zimmer. Seine Rechte mit dem schweren 45er fuhr blitzschnell hoch. Die Mündung wies auf meinen Kopf. Ich dachte an all die Menschen, die er bereits getötet hatte. Über dem Lauf des Revolvers sah ich seine unerbittlichen Augen. Dann krümmte er den Zeigefinger. Ein mörderischer Schlag warf mich auf die Knie. Ich war in Killer City ...


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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Killer City

Vorschau

Impressum

Killer City

Er kam aus dem dunklen Zimmer. Seine Rechte mit dem schweren 45er fuhr blitzschnell hoch. Die Mündung wies auf meinen Kopf. Ich dachte an all die Menschen, die er bereits getötet hatte. Über dem Lauf des Revolvers sah ich seine unerbittlichen Augen. Dann krümmte er den Zeigefinger. Ein mörderischer Schlag warf mich auf die Knie. Ich war in Killer City ...

1

Der Mann war auf dem Weg, um zu töten.

Er saß in seinem bequemen Flugzeugsessel und blickte zum Kabinenfenster hinaus. Die Maschine sank rasch durch milchige Wolkentürme. Die Spitze der Tragfläche war kaum zu erkennen. Der Mann schluckte, um den Druck auf seinen Ohren auszugleichen. Das Triebwerk veränderte sein Geräusch. Ganz kurz dachte der Mann an die Unfälle, die diesen Flugzeugtyp vor einigen Jahren ins Gerede gebracht hatten. Mühelos schüttelte er den Gedanken an seinen eigenen möglichen Tod ab.

Natürlich wusste er, dass jeder Mensch einmal sterben musste. Doch er war fest überzeugt, dass der Tod bei ihm eine Ausnahme machen würde.

Die Maschine kippte über die rechte Tragfläche. Plötzlich wurden die Wolken durchsichtig wie Schleier. Tief unten wurden Hallen und Silos sichtbar, von hellen Betonbändern eher getrennt als verbunden. Und fern am Horizont lag die Silhouette Manhattans vor dem lichtgrauen Morgenhimmel. Unscharf und unwirklich.

Manhattan!

Der Mann brachte den Tod nach New York. Aber er dachte nicht an seinen eigenen Tod.

Seine Lippen pressten sich aufeinander. Das Gesicht verwandelte sich für Augenblicke in eine steinerne Maske.

Einen wesentlichen Teil seines Lebens hatte er in den Straßenschluchten Manhattans verbracht. Vor vier Jahren hatte er der Stadt, in der er zu töten und zu überleben gelernt hatte, den Rücken gekehrt. Killer City, so hatte er sie für sich genannt.

Jetzt kehrte er zurück.

Norman Rosenfeld kam die schmale Treppe hinunter. Die Holzstufen knackten unter seinem Gewicht. Er fühlte sich nicht besonders wohl an diesem Morgen. Gestern Abend war es spät geworden. Sehr spät sogar.

Seine Tochter und ihr Mann waren vorbeigekommen, um sich von Sally zu verabschieden, die an diesem Morgen nach Florida flog. Zwei Wochen für 199 Dollar, alles inklusiv. Saisoneröffnungssuperspezialpreis. Nach ihrer Unterleibsoperation hatte Sally einfach einen Urlaub an der Sonne nötig.

Norman Rosenfeld hätte auch ein paar Tage Urlaub brauchen können. Während Sallys Krankheit hatte er jedoch seinen ihm zustehenden Urlaub verbraucht und sogar die aufgelaufenen Überstunden abgefeiert. Und auf seinem Konto herrschte Tiefstand. Nein, ein Urlaub für zwei war nicht drin.

Seine Frau Sally saß bereits am Frühstückstisch. Er beugte sich zu ihr hinab und küsste sie flüchtig auf die Wange.

Sie lächelte vorwurfsvoll. »Du hättest liegen bleiben sollen, Norm.«

Er nahm das Schulterholster vom Haken neben dem Durchgang zur Küche und warf sich die Riemen über die Schulter. Dann erst setzte er sich, wobei er das Holster zurechtschob. Das Ding drückte, weil er sein Übergewicht einfach nicht mehr loswurde.

Sally schob ihm das Glas mit dem Orangensaft hin und füllte die Kaffeetasse. »Bob hat angeboten, mich zum Flughafen zu fahren.«

»So ein Unsinn«, sagte er unwirsch. »Bob müsste extra von Hicksville rüberkommen. Er weiß, dass ich in einer Stunde sowieso zum Kennedy muss. Was soll's also?«

Er ließ den Orangensaft stehen und goss den Kaffee in sich hinein. Wie an jedem Morgen verbrannte er sich den Mund. Er spürte es gar nicht mehr.

»Hast du deinem Partner Bescheid gesagt?«, fragte Sally. »Dann braucht er dich heute nicht abzuholen.«

»Ich rufe ihn gleich an«, antwortete Norman Rosenfeld.

Im Halbschlaf träumte ich vom Meer. Das Brausen des morgendlichen Verkehrs unten auf der Straße lieferte die Illusion einer Brandung, die der Sturm gegen den Strand peitschte.

Ein ungewohntes Geräusch vertrieb den Traum. Der Wecker? Das Telefon?

Der Wecker und das Telefon! Ich fuhr in die Höhe.

Im Zimmer war es bereits hell. Wo war das Durcheinander geblieben? Gestern Abend hatten wir gefeiert. Es hatte ausgesehen wie ...

»Du musst dich entscheiden, Jerry«, sagte eine weiche, sanfte Stimme. »Zuerst das Telefon oder der Wecker.«

Ich knallte eine Hand auf den Abstellknopf des Weckers.

Sie stand vor der Essbar. Groß, schlank, schwarzhaarig. Sie trug einen hinreißenden roten Morgenmantel, und ihr Lächeln, frisch, munter, herzlich, schien nicht zu der frühen Stunde zu passen. Ich fiel fast aus dem Bett, als ich nach dem Hörer griff.

»Ich mache schon mal Kaffee«, sagte Cecile. Cecile Udesky. Sie war mir zugeflogen wie ein schöner Vogel. Bald würde sie die Flügel spreizen und weiterfliegen. Der Gedanke an diesen Tag tat jetzt schon weh.

»Hallo!«, sagte ich in den Hörer.

»Hier ist Norm. Morgen, Jerry ...«

Wer, zum Teufel, war Norm? Meine Augen suchten Cecile. Ich sah nur ihren Rücken hinter der Essbar.

»Morgen«, sagte ich. »Oh, Norm, Sie sind es!«

Norman Rosenfeld, natürlich. Wie konnte ich ihn vergessen! Seit zehn Tagen waren wir Partner im Rahmen einer Sonderaktion. Detective Norman Rosenfeld von der Rauschgiftbehörde und Jerry Cotton vom FBI New York. Ein Narc und ein G-man. Etwa zwei Dutzend solcher Gespanne waren auf die Flughäfen und die Bahn- und Busstationen angesetzt.

Das Ziel der Sonderaktion bestand darin, die Schneisen zu entdecken, durch die der tödliche weiße Strom aus Heroin, Kokain und anderen Drogen in die Stadt am Hudson sickerte.

Wir arbeiteten unabhängig von den anderen Beamten, die ständig an diesen Drehkreuzen des Rauschgifthandels ihren Dienst versahen und dabei in Kleinarbeit erstickten. Wir sollten nur die Augen offen halten.

Die Initiatoren dieser Aktion, hohe Beamte der Drug Enforcement Administration und des FBI, versprachen sich einiges davon, Beamte mit unterschiedlichen Erfahrungen zu kleinen Teams zusammenzuspannen.

Rosenfeld und ich waren für einen ziemlich großen Abschnitt des Kennedy International Airport zuständig.

Bisher hatte sich das Team Cotton-Rosenfeld jedoch nicht durch besondere Wahrnehmungen hervorgetan.

»Jerry«, sagte Norman Rosenfeld, »Sie brauchen mich nicht abzuholen. Ich habe Ihnen doch erzählt, dass Sally heute ein paar Tage nach Florida fliegt. Ihre Maschine geht schon um acht Uhr. Ich bringe sie hin und bleibe dann gleich da.«

Ich schielte auf den Wecker. Es war kurz nach sieben. Norman Rosenfeld wohnte drüben in Queens, in Flushing, und weil ich sowieso fahren musste, um an unseren Einsatzort zu gelangen, holte ich ihn immer ab.

»Okay, Norm«, sagte ich und unterdrückte ein Gähnen. Er hätte mir ja gestern schon sagen können, dass ich ihn nicht abzuholen brauchte, dann hätte ich länger schlafen können. Aber ich sagte nichts.

»Wir treffen uns um neun in der Cafeteria im TWA Building, okay?«

»Okay, Norm. Und grüßen Sie Sally.«

Ich legte den Hörer auf. Cecile kam hinter der Essbar hervor. Sie sah unglaublich frisch aus. Ihre dunklen Augen blickten klar. Ich dachte an die kleine improvisierte Party gestern Abend. Mein Freund und Partner Phil Decker und seine Freundin waren gegen zehn gegangen. Mir fiel wieder ein, von welch wildem Verlangen Cecile erfüllt gewesen und wie selbstverständlich sie in meine Arme geglitten war.

»Ich habe eine halbe Stunde geschenkt bekommen«, sagte ich.

»Die Kaffeemaschine arbeitet automatisch, oder?«

»Komm her«, sagte ich mit belegter Stimme. »Komm her!«

Sie warf den roten Morgenmantel ab. Woher hat sie den bloß?, fragte ich mich, denn sie hatte keine Tasche bei sich gehabt.

Sie schien meine Blicke, die über ihre nackte Haut wanderten, zu genießen. Langsam kam sie auf mich zu. Ihre kräftigen Schenkel ragten neben mir auf, und mit quälender Langsamkeit beugte sie sich herab. Ich spielte das Spiel mit, bis ich es nicht mehr aushalten konnte. Ich riss sie in meine Arme, und das Verlangen rollte über uns hinweg wie eine gewaltige Woge.

Phil Decker war im Rahmen der gemeinsamen Sonderaktion am Kennedy Airport eingesetzt. Sein Partner von der DEA hieß Frank Lucente. Ihr Einsatzgebiet lag im Frachtbereich des Flughafens.

Lucente hatte Phil gegen Viertel nach acht an der Subway am Union Square abgeholt, und während Phil jetzt im Dienstwagen des Rauschgiftfahnders durch Queens fuhr, döste er vor sich hin, obwohl das Funkgerät eingeschaltet war und Frank Lucente fast ununterbrochen sprach.

Lucente galt als Oldtimer im Krieg gegen das Rauschgiftverbrechen. Doch war der kleine Mann mit dem zerfurchten Gesicht und den zu früh ergrauten Haaren weit davon entfernt, abgeklärt zu sein. Das Blut seiner irischen und italienischen Vorfahren rann wie flüssige Lava durch seine Adern.

»Und ich sage Ihnen, Phil«, stieß er hitzig hervor, »mit dieser Sendung stimmt etwas nicht!«

»Hm«, machte Phil nur.

Er wusste, was Frank meinte. Gestern Nachmittag waren dem Rauschgiftfahnder zwei seemäßig verpackte Kisten aufgefallen, die mit einer Frachtmaschine aus Kanada gekommen waren. Laut Angaben in den Versandpapieren enthielten sie Lederwaren, die für eine Großhandlung in Yonkers bestimmt waren.

Phil hatte Absender und Empfänger überprüfen lassen. Beide Anschriften existierten. Bei der Lederwarenhandlung in Yonkers handelte es sich um eine alteingesessene Firma.

»Warum lässt eine Firma eine Sendung Gürtel und Taschen seemäßig verpacken?«, fragte Lucente. »Von Ontario nach New York, das lohnt sich gar nicht.«

»Vielleicht Gewohnheit«, meinte Phil.

»Vielleicht kommen die Kisten aus dem Fernen Osten«, sagte Lucente unbeirrt. »Und im Frachtterminal von Toronto sitzt ein Schweinehund, der die Kisten mit neuer Beschriftung und neuen Papieren versieht. Um Transitfracht kümmert sich dort so schnell niemand. Und Fracht aus Kanada wird wiederum bei uns nicht so argwöhnisch betrachtet.«

»Da ist etwas dran«, räumte Phil ein.

»Ich hätte nicht übel Lust, den Weg der Kisten zu verfolgen«, meinte Frank Lucente. »Was ist Ihre Ansicht, Phil?«

»Die Sendung soll heute Vormittag von einem Spediteur übernommen werden«, antwortete Phil. »Von mir aus hängen wir uns dran.«

»Vorher versuchen wir es mit den Rauschgifthunden, obwohl die ...«

Phil richtete sich plötzlich auf.

»Moment, Frank!«, sagte er scharf. Er beugte sich vor und stellte das Funkgerät lauter.

»... TWA Central Building, Schusswaffengebrauch. Möglicherweise Mord. Einheiten der Reviere 113 und 106 halten sich für unterstützende Maßnahmen bereit ...«

Phil sah nach draußen. Der Plymouth rollte mit mäßiger Geschwindigkeit über den Van Wyck Expressway auf das Flughafengelände zu. Die Rümpfe der anfliegenden Flugzeuge schimmerten im Licht der Morgensonne.

»Halten Sie mal drauf, Frank!«, sagte Phil.

Die nüchterne Lautsprecherstimme übertönte das Heulen der hochdrehenden Maschine.

»Achtung! Alarmbereitschaft für Police Department Brooklyn und folgende Reviere in Queens ...«

Frank Lucente warf Phil einen schnellen Seitenblick zu. Er hatte kurz geschnittene eisgraue Haare und hellblaue Augen in einem zerfurchten Gesicht.

»TWA Building, da ist doch Ihr Freund?«

»Der kommt heute auf den letzten Drücker«, meinte Phil sorglos. »Wir haben gestern einen draufgemacht.« Er grinste flüchtig. Er war früh ins Bett gegangen – in sein eigenes. Und allein.

Frank Lucente schnitt zwei Fahrspuren, als er mit Schwung in die Cargo Service Road einbog, die um die verschiedenen Abfertigungsgebäude herumführte. Minuten später hielt er auf einem für Polizeifahrzeuge reservierten Platz neben dem Mittelgebäude des TWA Building.

Phil und Frank Lucente sprangen aus dem Wagen und rannten ins Innere des Gebäudes.

Die Menschentraube vor einer der Toiletten im Zwischengeschoss wies ihnen den Weg. Sie drängten die Gaffer beiseite und zeigten dem Flughafencop an der Tür ihre Ausweise.

Der Cop hielt ihnen die Tür auf. Phil und Frank Lucente zwängten sich hindurch.

Die Verbindungstür war aufgestellt worden. Der Mann lag auf dem Fliesenboden genau unter den Urinbecken. Sein schwerer Körper war seltsam verkrümmt, seine linke Hand lag neben einem der Abflüsse. Wasser spritzte über seine Finger, die leicht nach oben gebogen waren wie Klauen. Und überall war Blut. Es vermischte sich mit dem Wasser und bildete eine riesige Lache.

Frank Lucente blieb an der Verbindungstür zum Vorraum zurück. In der Toilette stand ein zweiter Flughafencop, sorgfältig darauf bedacht, nicht in die hellrote Lache zu treten.

»Waren Sie als Erster hier?«, fragte Phil den Cop.

»Ja, Sir. Ich habe sogar den Schuss gehört. Weil ich nicht gleich feststellen konnte, aus welcher Richtung er kam, habe ich den Kerl ... den Täter nicht mehr erwischt.«

Phil sah den Cop an. Er war Mitte zwanzig, ein großer, handfester Bursche mit derben Fäusten.

»Wie heißen Sie? Und dann erzählen Sie mir mal alles, aber ganz knapp.«

»Mein Name ist Martin Pyle. Ich stand vorn an der Galerie, wissen Sie, wo man in die Ankunftshalle hinuntersehen kann. Wir hatten in den letzten Tagen eine Serie von Gepäckdiebstählen. Da hörte ich den Knall. Es klang wie Revolverschuss. 38er oder 45er. Ich sah auf die Uhr. Es war 8:14 Uhr. Dann ging ich zurück. Vier Gänge münden auf die Galerie. In diesem Gang sah ich einen Schatten, der aus der Toilette kam und in entgegengesetzter Richtung davonlief. Ich habe Alarm gegeben.« Pyle hob sein Walkie-Talkie. »Aber es gibt zu viele Schlupflöcher. Ich hatte den Mann ja nicht deutlich genug gesehen. Ich konnte ihn nicht beschreiben. Und dann hatte ich ihn ja noch nicht entdeckt.« Er blickte auf den Toten hinab.

Phil sah sich nach Frank Lucente um. Lucente lehnte mit kreideweißem Gesicht an der Tür.

»Frank, was ist? Kennen Sie ihn etwa?«

»Himmel, Decker!«, stieß der Narc heiser hervor. »Sehen Sie ihn sich doch an!«

Phil bückte sich. Der Tote trug eine dunkle Hose und ein helleres Jackett. Das Gesicht wurde halb von dem ausgestreckten Arm verdeckt. Phil ließ sich auf die Fersen nieder, um das Gesicht besser betrachten zu können.

Eine große Nase, angegrautes Haar und gelbe Zähne hinter zurückgezogenen Lippen. Phil hielt den Atem an. Dann richtete er sich auf und fuhr zu Lucente herum.

»Frank ...« stieß er hervor. »Mein Gott, sind Sie sich sicher? Ich habe ihn nur einmal gesehen.«

»Es ist Norman Rosenfeld.« Lucente keuchte. »Wo ist Cotton? He, Decker, wo ist Ihr Freund? Er sollte hier in der Nähe sein.«

Phil starrte auf den Toten. O verdammt, dachte er ahnungsvoll, das gibt Schwierigkeiten! Er wirbelte herum, als er die Außentür hörte. Frank Lucente zog sie gerade auf.

»Wo gehen Sie hin, Frank?«, fragte Phil.

»Meinen Boss anrufen, was dachten Sie? Und Sie bleiben besser hier, wenn Sie nicht auch in die Scheiße geraten wollen, Mann.«

»O nein!«, sagte Cecile laut.

Ich riss die Tür der Dusche auf. Sie hatte den Frühstückstisch gedeckt, obwohl uns für ein Frühstück kaum noch Zeit blieb. Ich musste eigentlich sofort weg, wenn ich um neun am Kennedy Airport sein wollte.

»O nein!«, wiederholte Cecile. Anklagend blickte sie auf das beharrlich schrillende Telefon.

Ich warf mir ein Badetuch über und tappte zum Apparat.

»Hallo?«, sagte ich.

»Agent Cotton? Was machen Sie zu Hause? Sollten Sie nicht am Flughafen sein?«

Ein unbehagliches Gefühl kroch meinen Nacken hinauf, als ich die schneidende Stimme erkannte. Sie gehörte Gerald Hartman.

Gerald Hartman, sonst in der Rechtsabteilung der FBI-Zentrale in Washington tätig, bekleidete dort den Rang eines Assistant Director. Gerüchteweise hieß es, er wolle in ein, zwei Jahren ein Field Office im Westen übernehmen und müsse deshalb erneut Außendiensterfahrung sammeln.

John D. High, Chef des FBI New York, hielt sich in der Schweiz auf, wo er an einem internationalen Kongress leitender Polizeibeamter teilnahm. Terroristenbekämpfung lautete das Thema. Während Mr. Highs Abwesenheit leitete Gerald Hartman das District Office des FBI New York.

Der Betrieb wäre auch ohne ihn reibungslos weitergelaufen. Viel besser als mit ihm, meinten einige Kollegen. Aber alle verhielten sich loyal, obwohl Hartman es uns manchmal schwer machte, diese Haltung beizubehalten.

»Ich wollte gerade losfahren«, sagte ich. Mein Herz begann leicht zu klopfen. Warum eigentlich?, dachte ich. Mein Dienst begann laut Dienstplan um neun Uhr und keine Minute früher. Wir hatten keinen bestimmten Fall ohne feste Dienststunden. Zum Teufel, schnüffelte Hartman schon hinter einzelnen seiner Leute her?

Ein kurzes, atemloses Schweigen entstand.

»Manucci macht mir die Hölle heiß, Agent Cotton, und ich habe nicht die Absicht, meinen Kopf für irgendeine Schluderei hinzuhalten«, sagte er dann.

Captain Sid Manucci war der Leiter der New Yorker Rauschgiftbehörde. Das Gefühl des Unbehagens in mir verstärkte sich.

»Ich werde pünktlich am Flughafen sein, wenn ich nicht länger am Telefon aufgehalten werde«, sagte ich. Ich gab mir keine Mühe mehr, meinen Ärger zurückzuhalten.

»Wir werden uns dort sehen, Agent Cotton«, sagte Hartman. Seine Stimme klang unvermittelt sanft.

»Wollen Sie mir nicht endlich sagen, was los ist?«, fragte ich.

»Na schön, Cotton, bevor Ihr Freund Decker es Ihnen hinterbringt. Und außerdem bin ich es gewohnt, Hiobsnachrichten zu überbringen. Ihr Partner ist tot.«

Ich hielt den Hörer in der Hand und starrte auf meine nackten, nassen Füße. Meine Knie begannen zu zittern.

»Norman Rosenfeld?«, stieß ich hervor.

»Ja, Cotton. Er wurde erschossen. Auf einer Toilette im TWA-Gebäude. Sie werden verdammt genau zu erklären haben, warum er dort war und Sie nicht. Die ganze verdammte Polizei von New York und die ganze verdammte Presse dürften schon unterwegs sein. Und ich habe nicht die Absicht, meinen Kopf für irgendjemand hinzuhalten!«

»Das sagten Sie schon mal«, murmelte ich.

»Wie bitte?«, schnappte Hartman.

»Wenn ich für irgendetwas verantwortlich bin, werde ich meinen Kopf hinhalten, das meinte ich, Sir.« Damit warf ich den Hörer auf die Gabel.

Ich spürte eine zarte Berührung an meiner Schulter. Als ich aufblickte, sah ich in Ceciles Gesicht. Ihre Augen waren klein und voller Mitleid.

»Hier, trink einen Kaffee«, sagte sie.

Ich stand auf. »Tut mir leid. Ich kann jetzt nichts zu mir nehmen.«

2

In Bayside, einem der vornehmsten New Yorker Vororte, wohnte ein Mann mit einem endlos langen Strafregister und einer Frau, deren Vorstrafenliste kaum kürzer war.

Der Mann hieß Marcus Goulian und seine Frau Anna.

Sie bewohnten einen schönen Bungalow an der Cliff Road mit hohen französischen Fenstern, einer großen Terrasse und einem gepflegten Garten. Der Blick hinten hinaus reichte weit über die Little Neck Bay bis zu den kleinen Inseln im Sound.

Goulian besaß einen zuverlässigen Station Wagon und einen Cadillac. Seiner Frau Anna standen ein Camaro und ein Mercedes zur Verfügung.

Doch die dicken Kisten blieben in der Garage, weil die meisten Männer von Bayside es vorzogen, ihre weniger protzigen Wagen zu benutzen, wenn sie nach Manhattan zur Arbeit fuhren.

Das Ziel der meisten Nachbarn waren die Büros in den Chefetagen der Warenhäuser und Konzernverwaltungen oder Arztpraxen an der Park Avenue. Keiner von ihnen hätte auch nur ein Wort geglaubt, wenn ihnen jemand erzählt hätte, welchen Einrichtungen Marcus Goulian an jedem Morgen seine Aufmerksamkeit widmete.

Goulians Unternehmungen waren verschiedener Art, aber alle hatten etwas mit käuflichem schmutzigem Sex zu tun. Goulian kontrollierte eine große Zahl Bars von mehr als zweifelhaftem Ruf, Peepshows, Pornokinos und Bordelle. Obwohl er bei keinem dieser Betriebe als Besitzer oder Teilhaber eingetragen war, oder vielleicht gerade deshalb, zog er es vor, die nächtlichen Einnahmen zu überprüfen. Jeden Morgen. Auch am Wochenende.

An diesem Samstagmorgen war Marcus Goulian früh aus einem unruhigen Schlaf erwacht. Er dachte sofort an Alec Vaccaro, den schwarzhaarigen, gut aussehenden, schwulen Bordellchef, mit dem er sich bis vor Kurzem sehr gut verstanden hatte und dessen Leiche jetzt bald auf der anderen Seite des Hudson auf einer Kanalbaustelle verschwinden sollte. Goulian unterdrückte einen Schauder. Mit Erfolg. Alec Vaccaro, der Mistkerl, hatte sich sein eigenes Grab gegraben. Mitgefühl oder Reue waren nicht am Platz.

Marcus Goulian beabsichtigte nicht, an diesem Sonnabend auch nur einen Schritt von seiner üblichen Gewohnheit abzuweichen. Das hätte fatale Folgen haben können, denn die Polizei würde irgendwann auf die Verbindung Vaccaro-Goulian stoßen und dumme Fragen stellen, auch wenn nicht vorgesehen war, dass Vaccaros Leichnam jemals gefunden würde.

Er zog sich an, unterhielt sich freundlich mit der Haushälterin, als sie ihm das Frühstück servierte, und fuhr dann mit dem Station Wagon die Auffahrt zur Straße hinab.

Sein Nachbar, ein prominenter Arzt, verließ gerade sein Haus, um sich zum Golfplatz zu begeben. Goulian winkte ihm fröhlich zu, und der Doktor lächelte.

Goulian fuhr über die Cliff Road. Das Radio lief. Er mochte die morgendliche Schallplattensendung, die hin und wieder von Werbedurchsagen und kurzen Nachrichten unterbrochen wurde.

Show Me Love von Curtis Mayfield verklang, und die Stimme des Nachrichtensprechers drang aus dem Lautsprecher.

»Wie die Pressestelle der City Police mitteilt, wurde heute Morgen gegen 8:10 Uhr am Kennedy International Airport ein Detective erschossen. Bei dem Beamten handelt es sich um Detective Sergeant Norman Rosenfeld, einen achtundvierzigjährigen Beamten, der seit vierundzwanzig Jahren dem New Yorker Police Department angehört. Er hinterlässt eine Frau und eine Tochter. Über den Täter und die Hintergründe dieses Mordes liegen noch keine Informationen vor. Der Tod dieses verdienten Detectives ist der elfte Mord an einem Polizeibeamten in diesem Jahr. Erst vor drei Wochen kam bei einem Feuergefecht zwischen ...«

Marcus Goulian schaltete das Radio ab. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was da schiefgegangen sein mochte. Aber er wusste mit tödlicher Sicherheit, dass der Mann, der ihm als einer der Besten seiner Branche empfohlen worden war, Mist gebaut hatte.

Mechanisch fuhr Goulian weiter Richtung Manhattan. Als ein Parkplatz in Sicht kam, steuerte er den Wagen von der Straße und hielt an.

Er durfte nicht in Panik verfallen. Er musste seinen Verstand gebrauchen. Mit langsamen Bewegungen zündete er sich eine Zigarette an.

Wenn er nach Manhattan weiterfuhr und wie sonst die Einnahmen kontrollierte, war er nicht erreichbar für Dave Searle, den er zum Flughafen geschickt hatte, damit er den Killer in Empfang nahm und dafür sorgte, dass der Job reibungslos durchgezogen wurde.

Was war schiefgegangen, zum Teufel? Und was konnte er jetzt unternehmen? Was musste er als Erstes tun?

Zunächst musste er Dave Searles Anruf abwarten. Goulian musste einfach wissen, was geschehen war. Wenn die Polizei einen Killer suchte, der einen Detective umgelegt hatte, musste er die Sache abblasen. Zumindest verschieben, auch wenn ihm der Gedanke daran, Alec Vaccaro eine Gnadenfrist zu verschaffen, den Magen umdrehte. Aber ganz egal, ob Leo Fontana, der »Beste seiner Branche«, den Cop umgenietet hatte oder nicht, er musste abwarten.

Zum Teufel mit den Abrechnungen, dachte er, als er den Motor wieder anließ, wendete und nach Bayside zurückfuhr.

Detective Captain Sid Manucci, Leiter des Rauschgiftdezernats der Stadt New York, hatte das Gefühl, von Norman Rosenfeld hintergangen worden zu sein.