Jerry Cotton Sonder-Edition 209 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 209 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Pech verfolgte mich. Ich stellte lang gesuchten Gangstern eine Falle - und fiel selbst herein. Es war nicht mein Verdienst, dass ich lebend davonkam. Dann wurde vor meinen Augen ein Mann ermordet. Ich war wie gelähmt, konnte das Verbrechen nicht verhindern oder die Mörder verfolgen. Die Leute von Banksville hatten eine Erklärung für alles zur Hand. Für sie war die weiße Dame, eine Spukgestalt, daran schuld. Doch weil ein G-man nicht an Spuk glaubt, ging ich mitten ins Hauptquartier der Killer - und wurde prompt überwältigt!


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Seitenzahl: 173

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Der Tod der weißen Dame

Vorschau

Impressum

Der Tod der weißen Dame

Pech verfolgte mich. Ich stellte lang gesuchten Gangstern eine Falle – und tappte selbst hinein. Es war nicht mein Verdienst, dass ich lebend davonkam. Dann wurde vor meinen Augen ein Mann ermordet. Ich war wie gelähmt, konnte das Verbrechen nicht verhindern oder die Mörder verfolgen. Die Leute von Banksville hatten eine Erklärung für alles zur Hand. Für sie war die weiße Dame, eine Spukgestalt, daran schuld. Doch weil ein G-man nicht an Spuk glaubt, ging ich mitten ins Hauptquartier der Killer – und wurde prompt überwältigt!

1

Banksville, Virginia, 1973

Eine Nacht im Februar. Frost klirrte und ließ den Atem der drei dunklen Gestalten wie weiße Wolken vor ihren Gesichtern stehen. Das alte Auto hob sich kaum vom Schlagschatten des Brückenpfeilers ab.

Die drei dunklen Gestalten huschten über die Fahrbahn. Sie achteten nicht auf die graue Stahltür, die in den Brückenpfeiler eingelassen war. Und sie wussten nichts von dem Revisionsschacht, der zu Stromkabeln und Wasserleitungen der Brücke führte.

Als die Stahltür quietschte, war es zu spät.

Schüsse peitschten. Grell blitzte Mündungsfeuer auf. Die lange Salve einer Maschinenpistole ratterte. Sie schien kein Ende zu nehmen.

Und in den Nachhall mischte sich der gellende Schrei einer Frauenstimme.

Der Geruch nach Staub, trockenem Papier und Druckerschwärze war mit nichts zu vergleichen.

Billy Trask grinste leicht, obwohl ihm Angstschweiß den Kragen des schönen neuen Sporthemds durchweichte und Spuren in sein Jungengesicht zeichnete. Aber Billy Trask war kein Junge mehr. Er wusste, was er tat, auch was er riskierte. Er schämte sich seiner Angst nicht. Nur Idioten hatten keine Angst. Vor allem, wenn sie gerade dabei waren, die Hölle mit einem Eimer Wasser anzugreifen.

Billy sog den charakteristischen Geruch des altmodischen Zeitungsarchivs ein und schlich auf Zehenspitzen weiter.

Ihm gefiel es, dass beim Lokalblatt dieses kleinen Nests in den Appalachen die moderne Technik noch keinen Einzug gehalten hatte. Dafür hatte in Banksville, Virginia, etwas anderes Einzug gehalten. Etwas, auf das die Bürger gut verzichten konnten. Etwas, das ihm als Lokalreporter überhaupt nicht gefiel.

Der Zeitungsband, den er suchte, war in einem uralten Holzschrank mit ausziehbaren Spezialfächern untergebracht. Mühsam hievte Billy das schwere Ding auf einen Tisch. Zwischen den Deckeln des Einbands waren vergilbte, vor Trockenheit spröde Exemplare des Banksville Morning abgeheftet. Intensiver als vorher stieg Billy Trask jener besondere, unverwechselbare Zeitungsgeruch in die Nase, den die Lesegeräte eines modernen Computerarchivs nie im Leben ersetzen konnten.

Schon Billys Vater war mit Leib und Seele Journalist gewesen. Nach dem frühen Tod der Mutter wurde Billys Kindheit vom Rattern der Setzmaschinen, den unvergleichlichen Flüchen schlecht gelaunter Metteure und dem Stampfen der Rotation begleitet. Das gehörte dazu. Deshalb hatte Billy auch nur mäßigen Ehrgeiz, Karriere bei einer Zeitung zu machen, wo die legendären »Bleiläuse« ausgestorben waren.

Hastig blätterte er den alten Band durch, um das richtige Datum zu finden.

Er hatte kein Licht gemacht. Nur der dünne Strahl seiner Taschenlampe geisterte über die vergilbten Seiten. Jetzt hatte er es! Gespannt beugte er sich vor. Da hörte er ein leises Scharren im Rücken.

Er wusste sofort, was es war. Die verzogene Tür des Archivs schleifte seit Unzeiten über den Boden. Billys Magen zog sich zusammen. Jäh sprang ihn die Angst wieder an. Er duckte sich und wollte herumfahren, doch er schaffte es nicht mehr.

Etwas traf seinen Hinterkopf.

Sein Schädel explodierte, und er hatte das Gefühl, als löste sich sein Bewusstsein in einem See aus glühender Lava auf.

In New York herrschte das Wetter, das ich bestimmt abschaffen werde, wenn mir mal die berühmte Fee mit den drei Wünschen begegnet.

Gegen die Frontscheibe meines Jaguar prasselte der Regen mit der Gleichmäßigkeit einer aufgedrehten Dusche. Auf den Highways schreckten die Fahrer vermutlich hoch, wenn ein Windstoß das einschläfernde Rauschen veränderte.

Ich, der G-man Jerry Cotton, konnte es mir nicht leisten, das Wetter einschläfernd zu finden. Ich war im Dienst. Die Wahrscheinlichkeit sprach sogar dafür, dass ich in dieser Nacht einem besonders unangenehmen Zeitgenossen begegnen würde. Das war leider nicht vorauszusehen gewesen. Sonst hätte ich mich nämlich nicht allein auf den Kriegspfad begeben, sondern Verstärkung abgewartet.

Idiot, dachte ich. Man sollte ihn einfach über den Jordan gehen lassen, da er doch anscheinend so wild darauf ist. Meinetwegen kann er als Aushilfsheizer in der Vorhölle enden ...

Der Mann, dem meine unchristlichen Wünsche galten, hieß Charles William Trask und arbeitete als Privatdetektiv.

Polizeibeamte lieben Privatdetektive nicht besonders. Das ist nun mal so. Aber es war nicht der Grund dafür, dass ich im Augenblick so unfreundliche Gefühle ausgerechnet gegen Charly Trask hegte.

Der eigentliche Grund hieß Aldo Kovac.

Kovac gehörte zu einer gut organisierten, bisher völlig unangreifbaren Gang, die wie Fortuna aus dem Füllhorn gefälschte Wertpapiere über die USA verteilte und sich den Teufel darum scherte, dass dadurch das FBI auf den Plan gerufen wurde. Die Bundespolizei vertrat in diesem Fall die Interessen der rechtschaffenen amerikanischen Steuerzahler. Charly Trask vertrat die Interessen eines millionenschweren Klienten. Und Aldo Kovac vertrat seine höchst eigenen Interessen.

Angeblich wollte er auspacken. Nicht beim FBI, sondern bei Charly Trask, dem Privatdetektiv. Denn Trasks Klient bot eine Belohnung. Was Kovac wirklich brauchte, waren wasserdichter Schutz und später eine neue Existenz. Darauf pfiff er anscheinend. Mit der Betonung auf »anscheinend«, meiner Ansicht nach.

Ich war nicht an ihn herangekommen. Charly Trask, der ein fettes Honorar und eine Menge Werbung für seine Firma witterte, hielt sich bedeckt. Da ich die Sache mit den gefälschten Wertpapieren bearbeitete, hatte ich etwas läuten hören. Etwas, das mir schmeckte wie eine als Steak gebratene Schuhsohle.

Aldo Kovac benahm sich nicht wie ein Überläufer. Er riskierte zu viel. Ich glaubte nicht, dass er wirklich aussteigen wollte. Meiner bescheidenen Meinung nach versuchte er, einem Privatdetektiv, der zu gefährlich wurde, einen Freifahrtschein ins Jenseits zu verpassen. Und weil Charly Trask sonst ein netter Mensch ist, hatte ich mich an seine etwas unbedarfte blonde Sekretärin herangemacht und auf diese Art die nötigen Informationen ergattert.

Jetzt klebte ich an Charlys Fersen.

Vor mir verlangsamte der blaue Dodge das Tempo und verschwand durch ein offenes, schief in den Angeln hängendes Gittertor. Das Ziel der nächtlichen Fahrt lag offenbar auf den stillgelegten Piers der West Side. Ich wusste, dass sich der Privatdetektiv dort mit Aldo Kovac treffen wollte. Und ich ahnte, dass Charly das Treffen nach den Plänen seiner Gegner nicht überleben sollte.

Während der nächtlichen Verfolgung hatte ich immer mal wieder die Zentrale angefunkt und meinen Standort durchgegeben. Charly war zunächst nur kreuz und quer durch Manhattan gekurvt. Ich nahm an, dass das zu seinen Grundsätzen gehörte, weil er immer mit ungebetenen Verfolgern rechnete.

Als ich die letzte Meldung absetzte, war mir klar, dass meine Kollegen noch eine Weile auf sich warten lassen würden.

Den Jaguar ließ ich im Schatten der Highwaystelzen stehen. Ich hatte gesehen, zu welchem Pier der blaue Dodge rollte. Wohl fühlte ich mich nicht in meiner Haut. Aldo Kovac war als bedenkenloser Killertyp bekannt. Möglich, dass er sich die Sache allein zutraute. Möglich aber auch, dass da auf dem Pier eine perfekte Falle aufgebaut war. Dann stand ich als heroischer Einzelkämpfer auf verlorenem Posten. Warten durfte ich trotzdem nicht. Denn Charly Trask, sonst recht clever, marschierte in diese Falle, als hielte er sich für James Bond persönlich.

Ich glitt durch das Tor und blieb dicht im Schatten einer verfallenen Lagerhalle.

Verfallen waren auch die Schuppen auf dem Pier. Links und rechts gab es jeweils eine lastwagenbreite Piste, am Kopf einen gepflasterten, quadratischen Platz, sonst ringsum das ölig schillernde Wasser des Hudson. Immerhin hielt es Charly Trask ebenfalls für besser, seinen Wagen im eigentlichen Bereich des Kais zu parken, wo er halbwegs beweglich war.

Die Regentropfen auf dem blauen Dodge glänzten im Streulicht einer einsamen Peitschenleuchte. Charly Trask stieg aus und zögerte. Bekam er allmählich Angst vor der eigenen Courage? Er war nicht mehr der Jüngste. Unlängst hatte er seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert und seine Freunde von der Polizei angepflaumt, dass bestimmt nicht dringende Arbeit, sondern nur nackter Neid sie daran hindere, an der großen Party teilzunehmen.

Zu seinen Freunden zählte auch mein Partner Phil Decker und ich. Wir mochten Charly Trask. In New York bekommen ohnehin nur solche Privatdetektive eine Lizenz, die mindestens drei Jahre bei der Polizei gearbeitet haben. Oft handelt es sich dann um Leute, die gefeuert wurden und nicht besonders vertrauenswürdig sind.

Charly hatte seinen Abschied nach fünfzehn Jahren Polizeidienst genommen, weil ihm ein texanischer Onkel ein paar Ölquellen vererbte. Da Charly ein Cop und kein Geschäftsmann ist, brauchte er nur drei Jahre für eine klassische Pleite. Die Detektei, die er dann in New York eröffnete, geriet ihm wesentlich erfolgreicher als das texanische Intermezzo.

Aus schmalen Augen beobachtete ich, wie er sich an dem lang gestreckten Schuppen vorbeipirschte.

Sein Ziel war offenbar der Kopf des Piers. Hatte ich ihm vorhin gewünscht, als Heizer in der Hölle zu enden? Na ja, so was denkt man manchmal, wenn man wütend ist. In der Hölle würde Charly sowieso landen, schon weil er sich im Paradies zu Tode gelangweilt hätte. Das hatte noch Zeit. Charles William Trask war ein Schlitzohr, aber er verdiente es dennoch nicht, auf einem schmutzigen Pier wie ein Hund zusammengeschossen zu werden.

Als er aus meinem Blickfeld verschwand, huschte ich geduckt über das Kopfsteinpflaster des Kais.

Ein Blick zeigte mir, dass sämtliche Türen der Pierschuppen verschlossen waren. Ich schlich weiter, den 38er bereits in der Faust, und lauschte angespannt auf Geräusche aus dem Inneren der Schuppen. Dass ich nichts hören konnte, besagte nicht viel. Ich wusste nicht, wo Aldo Kovac oder seine Komplizen steckten. Ein paar Sekunden später begriff ich immerhin, wo Charly ihn oder sie vermutete.

Vorsichtig pirschte sich der Privatdetektiv an die Ecke des Piergebäudes heran.

Aus seinem Mundwinkel ragte eins der Streichhölzer, auf denen er ständig herumzukauen pflegte. Bisher hatte er nicht viel riskiert. Jetzt wurde es spannend. Ich nahm an, dass es am Kopfende des Schuppens eine weitere Tür gab. Wenn sich sein Mann nicht vorher meldete, würde Charly Trask sie wohl oder übel öffnen müssen.

In Gedanken stellte ich schon wieder finstere Mutmaßungen über den Geisteszustand des Privatdetektivs an. Dass man seiner Vorwärtsstrategie bisweilen Ähnlichkeit mit meiner eigenen bevorzugten Taktik nachsagt, überging ich großzügig. Gerade war Charly aus meinem Blickfeld verschwunden. Immerhin mit dem Monstrum von Langlauf-Luger in der Faust, für das er eine sonderbare Vorliebe hat. Ich knöpfte nur meinen Parka auf. Sagte ich schon, dass es regnete? Moderne Revolver der Firma Smith &Wesson sind zwar ziemlich unempfindlich gegen Nässe, Vorsicht war trotzdem geboten. Daher verstaute ich den 38er zunächst wieder im Holster.

Dicht an die Schuppenwand gepresst, schob ich mich auf den Kopf des Piers zu.

Das Rauschen des Regens mischte sich mit dem Plätschern und Schmatzen der Hudsonwellen. Ich dachte daran, dass bei diesem Wetter niemand, der innerhalb des Gebäudes lauerte, die Annäherung eines Menschen rechtzeitig hören konnte. Aber auch Charly Trask konnte nicht hören, was in seinem Rücken passierte.

Ich weiß nicht, wieso ich das erst jetzt begriff. Ich weiß nur, dass mich die Erkenntnis buchstäblich in letzter Sekunde durchzuckte.

Ich hatte das Ende des lang gestreckten Gebäudes erreicht. Statt um die Ecke zu spähen, ließ ich den Blick über das nasse Kopfsteinpflaster des Piers wandern, über die winzigen Fontänen zerplatzender Regentropfen, das aufgewühlte Hudsonwasser ...

Wie ein Schatten tauchte der Kerl aus dem Dunst.

Behandschuhte Fäuste umklammerten die Holme einer Eisenleiter. An der untersten Sprosse war vermutlich ein Boot festgemacht, in dem der Killer gelauert hatte. Ich sah das blasse Oval seines Gesichts, vom Regen an den schmalen Schädel geklatschtes tiefschwarzes Haar und strichgerade Brauen, die über der Nasenwurzel zusammenwuchsen.

Ich kannte ihn. Es war Aldo Kovac – und an seiner Schulter baumelte eine ausgewachsene Thompson-MP.

Nein, er kam nicht, um auszupacken.

Er kam, um zu töten. Charly Trask war zu dicht an der Wahrheit. Er war für die Fälscherbande zu gefährlich geworden. Sie hatten ihm einen Köder serviert, von dem sie wussten, dass er ihn schlucken würde. Denn nicht nur die Polizei kannte Charles William Trask als ehrgeizigen Mann, der gern alles allein machte, um hinterher auch allein die Lorbeeren kassieren zu können.

Verdammt, war er mit Blindheit geschlagen?

Ich nahm an, dass er vor der Tür am Kopfende des Schuppens stand und überlegte, was er als Nächstes tun sollte. Es würde das Falsche sein. Oder zu spät kommen.

Schon schwang sich Kovac über die Mauerkante auf den Pier. Ich zog den 38er aus dem Schulterholster und hielt ihn dicht am Körper, damit er nicht allzu nass wurde.

Der Killer verließ sich offenbar blind auf die bekannt robuste Bauart der Tommy Gun.

Locker ließ er den Riemen der Maschinenpistole von der Schulter gleiten. Charly Trask merkte immer noch nicht, was die Stunde geschlagen hatte. Ich durfte nicht länger zögern.

»FBI!«, schrie ich, um das Rauschen des Regens zu übertönen. »Waffe weg, Kovac! Hände hoch und keine überflüssige ...!«

Sein Kopf ruckte herum. Das Gesicht, dem die zusammengewachsenen Brauen einen düsteren Zug gaben, verzerrte sich vor Schrecken. Noch zielte der Lauf seiner MP auf den Pier. Ich glaube, er hätte aufgegeben. In dieser Sekunde machte Charly Trask den entscheidenden Fehler.

Der Privatdetektiv stand deckungslos wie auf dem Präsentierteller. Er merkte erst in diesem Augenblick, dass die Gefahr aus einer völlig unerwarteten Richtung auf ihn zukam. Instinktiv wirbelte er herum, die Luger in der Faust. Ich konnte es nicht sehen, aber mir reichte die Reaktion des Killers.

Aldo Kovac blieb keine Wahl.

Er stand vor der Mündung meines 38ers, das wusste Charly Trask nur nicht. Trask würde schießen. Jetzt! In dieser Sekunde! Für ihn war es Notwehr – und für den Killer genauso. Kovac streckte natürlich nicht die Hände hoch, um im nächsten Moment das Blei einer großkalibrigen Luger zu schlucken.

Doch ich konnte auch nicht zulassen, dass Kovac sein Opfer mit einer MP-Garbe niedermähte.

»Nicht schießen, Charly!«, brüllte ich.

Im selben Moment riss Aldo Kovac die MP hoch. Er war herumgefahren und wandte mir jetzt das Profil zu. Ich wollte ihn nicht töten, schon weil ich wusste, dass er sich viel lieber ergeben hätte. Aber es hing nicht mehr von mir ab. Kovacs einzige Rettung wäre es gewesen, rückwärts ins Wasser zu hechten. Auf diese Idee kam er einfach nicht.

Meine Kugel traf die Tommy Gun und prellte sie dem aufschreienden Mann aus den Fingern.

Nur einen Sekundenbruchteil später brüllte Charly Trasks Luger auf. Aldo Kovac zuckte, wie von einem Stromstoß getroffen. Er krümmte sich und presste beide Hände gegen die Brust. Trotz der Regenschleier sah ich den nassen roten Fleck, der sich unaufhaltsam auf seinem Pullover ausbreitete, während er zusammenbrach.

»Charly!«, brüllte ich noch einmal. »Nicht schießen! FBI, verdammt noch mal!«

»O Scheiße!«

Trasks Stimme klang erstickt. Er hatte nur halb mitbekommen, was geschehen war. Und ich wusste, dass er es hasste zu töten, dass er sich in einer eindeutigen Notwehrsituation geglaubt hatte, in der er schießen musste, um selbst am Leben zu bleiben.

Aldo Kovacs Augen waren bereits gebrochen, als ich neben ihm in die Hocke ging. Der Regen rann über sein verzerrtes Gesicht. Ich fuhr mir mit dem Handrücken über die Stirn. Kovac war ein Gangster gewesen, ein Mörder. Und vielleicht ein wichtiger Zeuge, ergänzte ich in Gedanken. Das war es nicht, was den dumpfen Zorn in mir weckte.

»Idiot«, knurrte ich, ohne Charly Trask anzusehen. »Das wäre nicht passiert ohne deine verdammte Sucht, ständig Lorbeeren für deine Firma einzusammeln.«

Eine Weile blieb es still.

Ich hob den Kopf. Charly Trask stand mit hängenden Armen da. Er war nicht groß, dafür breitschultrig und kräftig, ein bisschen untersetzt. Einen Bauch hatte er sich auch zugelegt, das machte die Vorliebe für die typisch schottische Kombination von Bier und Whisky. Im Moment sah er blass aus, und das kantige, sonst so energische Gesicht wirkte schlaff.

»Woher sollte ich das wissen?«, krächzte er. »Ich konnte nicht hören, was du gerufen hast. Ich sah nur den Kerl mit der Maschinenpistole.«

»Er heißt Aldo Kovac, das weißt du verdammt genau. Und du warst hier mit ihm verabredet.«

Er fragte nicht, woher ich das wusste. »Na und? Er wollte auspacken. Konnte ich ahnen, dass das Spiel in Wahrheit ganz anders lief?«

Ich richtete mich auf. Kovac war tot, daran ließ sich nichts mehr ändern.

»Doch«, knurrte ich. »Das hättest du ahnen können. Kovac war kein Eierdieb. So einer packt nicht für eine mittelmäßige Belohnung aus. Was konntest du ihm denn bieten außer den paar lumpigen Dollars? Sicherheit? Eine neue Existenz? Du konntest ihm nicht einmal Straffreiheit als Kronzeuge bieten! Du hättest wissen müssen, dass es eine Falle ist.«

Mit einer hektischen Bewegung schob sich Charly Trask ein neues Streichholz zwischen die Zähne.

»Wieso bist du überhaupt hier? Wen hast du angezapft?«, wollte er wissen.

»Sage ich nicht. Und wenn du es errätst und dem Betreffenden Schwierigkeiten machst, mache ich dir auch Schwierigkeiten, klar?«

»Klar.« Er nickte. »Sind deine Kollegen im Anmarsch?«

»Natürlich. Trotzdem brauche ich mein Funkgerät.«

Trask folgte mir über den Pier zurück zum Kai, wo sein Wagen parkte. Ich wollte die Mordkommission alarmieren, die Zentrale benachrichtigen und dafür sorgen, dass ich möglichst schnell abgelöst wurde. Nicht aus Bequemlichkeit – obwohl ich zugeben muss, dass Ermittlungen auf einem verregneten Pier nicht gerade zu meinen Lieblingsbeschäftigungen zählen.

Mir ging es um Charly Trask. Er war geschockt und hatte ein schlechtes Gewissen. Wenn überhaupt, dann würde er jetzt mit seinen Informationen herausrücken.

Mein Jaguar stand zwischen den Stelzen des West Side Express Highway. Wir marschierten auf den hohen Maschendrahtzaun zu – und kamen nicht weit.

Mein eigener Fehler!

Die Sache hatte so verdammt klar ausgesehen, dass ich mit keiner Gefahr mehr rechnete. Der Fall war auch klar, wie sich später herausstellte. Trotzdem hätte ich zumindest einen Blick in das Piergebäude werfen müssen. Hinterher ist man ja immer klüger.

Dass Charly Trask genauso reagierte wie ich, war kein Trost. Wir ahnten beide nichts Böses. Das Quietschen der Tür hinter uns hörten wir zu spät. In einer fast synchronen Bewegung wirbelten wir herum – und begriffen im selben Moment, dass wir keine Chance hatten.

Die drei Kerle, die aus der Dunkelheit des Schuppens stürzten, waren jeder mit einer kleinen, bösartigen Maschinenpistole der Marke Scorpion bewaffnet.

Schwarze Strumpfmasken verbargen ihre Gesichter. Schwarze Jeans und gleichfarbige Trenchcoats wirkten wie Uniformen. Keiner der Burschen sagte etwas. Aber die Finger an den Abzügen und die dunklen Mündungen, die uns anglotzten, sprachen deutlicher als Worte.

Nur ein Selbstmörder hätte in dieser Situation auch nur eine Sekunde gezögert, die Arme zu heben.

2

In Banksville, Virginia, war der Himmel so klar, dass die Sterne wie verstreute Brillanten funkelten.

Wind rauschte in den Baumkronen der Wälder, die das Städtchen umgaben. Homer Willies lehnte an einem glatten, glänzenden Buchenstamm und betrachtete die übermannshohe Bruchsteinmauer, die ihm den Weg versperrte. Er wusste nicht recht, wie er hierhergekommen war. Nach dem Pegelstand der Flasche, deren Hals aus seiner Manteltasche ragte, hatte er wohl irgendwo eine Runde geschlafen. Warum er sich dazu einen Platz im Wald ausgesucht hatte, konnte er sich erst nach einigem Grübeln erklären. Wahrscheinlich waren die Cops schuld. Der Sheriff und sein Deputy mochten es nicht, wenn jemand auf den Bänken der Grünanlage, in Telefonzellen oder der Bahnhofshalle pennte.

Homer Willies seufzte, nahm den letzten Schluck aus der Flasche und schleuderte sie ins Gebüsch.

Schon seit zwanzig Jahren lag er mit den jeweiligen Gesetzesvertretern des Städtchens in Fehde. Er war Banksvilles einziger Stadtstreicher, Tramp oder wie immer man es nennen wollte und somit eine Institution. Gegen die Bezeichnung Dorftrottel hätte er sich mit Recht gewehrt. Banksville war, jedenfalls offiziell, kein Dorf und Homer Willies kein Trottel. Das bewies schon die Tatsache, dass er immer wieder irgendwie zu seinem Schnaps kam, nur in letzter Not ehrliche Arbeit anfasste und nur die allerkältesten Winterwochen in einer der drei Zellen des Stadtgefängnisses verbrachte.

Leicht schwankend ging er an der Mauer entlang, bis er das hohe, schmiedeeiserne Tor des Anwesens erreichte.

Ein Privatweg führte zu der Straße jenseits des Hügels. Raintree Manor, durchzuckte es ihn. Verdammt, verdammt! Der einsame Herrensitz am Stadtrand wurde nicht nur von ihm gemieden.

Es spukte nämlich in Raintree Manor. Jeder wusste das – oder jeder, der etwas von den Dingen verstand. Da sollten sich die jungen Leute ruhig kranklachen und die sogenannten aufgeklärten Bürger an die Stirn tippen. Da konnte der Reverend noch so leidenschaftlich gegen den Aberglauben wettern! Es gab trotzdem mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich die Schulweisheit träumen ließ. Die Eingeweihten – zumeist jene, die in ihrem Leben mit der Schule nicht viel im Sinn gehabt hatten – wussten nun mal genau, dass auf Raintree Manor eine weiße Dame umging – Punktum!

Homer Willies zog fröstelnd die Schultern zusammen.

Durch die verschnörkelten Ornamente des Tors konnte er in den weitläufigen Park sehen. Ein schönes Anwesen, dafür hatte sogar er einen Blick. Früher, als diese alten Herrensitze entstanden, nannte man so einen Park englisch. Weite, hügelige Rasenflächen, locker verstreute Baumgruppen, dichte Rhododendroninseln ...

Homer Willies zuckte wie unter einem Hieb zusammen.