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Im Restaurant "Meal Point" waren gefälschte 5-Dollar-Noten aufgetaucht. Als Kellner getarnt überwachte ich das Lokal, um denjenigen zu finden, von dem die Blüten stammten. Eine Leiche brachte uns auf eine andere Spur, die in die "Blue Moon Bar" führte, und plötzlich entwickelten sich die Dinge schneller, als wir reagieren konnten. In den Mittelpunkt rückte eine Frau, die man nur als pures Dynamit bezeichnen konnte ...
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Seitenzahl: 192
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Dynamit in schwarzer Seide
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Film: »Power Cop«/ddp-images
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-2679-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Dynamit in schwarzer Seide
1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.
Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:
»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.
Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.
1
Kurz vor elf betrat ich den Waschraum. Das Meal Point in der 78th Street gehörte zu den besseren Lokalen, und im Waschraum gab es einen Spiegel, der die ganze Wand bedeckte.
Ich zupfte die schwarze Fliege zurecht, die ich in meiner Rolle tragen musste. Das weiße Kellner-Jackett stand mir nicht besonders gut. Es stammte aus der Requisitenkammer im FBI-Gebäude und war mir eine Spur zu eng.
Der dünne Leinenstoff machte es unmöglich, unter dem Jackett ein Schulterhalfter mit Revolver zu tragen. Ich grinste mir im Spiegel flüchtig zu. Als G-man muss man oft genug in eine andere Haut schlüpfen, und die Rolle eines Kellners war nicht die schlechteste.
Ich verließ den Waschraum. Im Flur kam ich an der kleinen Telefonzelle vorbei. Der Münzfernsprecher hatte an diesem Tage schon einige Nickel von mir geschluckt.
Im Lokal war nicht viel Betrieb. Es war Sonntagabend, und die meisten Leute gingen anscheinend früh zu Bett. In der hintersten Ecke saß seit ein paar Stunden ein junges Pärchen, und im Augenblick waren dies die einzigen Gäste.
Die Eingangstür ging auf, als ich gelangweilt an der Theke stand. Ein junger, solide gekleideter Mann war hereingekommen und suchte sich einen Tisch aus, der von dem Pärchen und dem Mädchen hinter der Theke gleichweit entfernt war. Der Mann war Phil Decker, mein Freund und Kollege. Wir gaben mit keinem Wimpernzucken zu verstehen, dass wir uns kennen. Ich eilte an seinen Tisch, murmelte einen Gruß und fragte nach den Wünschen.
Phil steckte sich eine Zigarette an. »Einen Scotch, bitte. Mit einem kleinen Schuss Soda.«
»Scotch mit Soda«, wiederholte ich und fügte halblaut hinzu: »Und das im Dienst!«
»Nur kein Neid«, erwiderte Phil und gestattete sich ein rasches Grinsen. »Ich habe es eilig«, fügte er schadenfroh hinzu, »also beeilen Sie sich, bitte!«
An der langen Theke schrieb ich meinen Bon und schob ihn der schwarzhaarigen Büffetdame zu. Sie machte den Drink fertig und kam zu mir zurück.
»Scotch mit Soda«, sagte sie und stellte mir das Glas auf ein kleines Tablett.
»Danke«, erwiderte ich.
»Gefällt Ihnen der Job hier?«, fragte sie und rieb mit einem Tuch eifrig über das Chrom der Theke.
Ich zuckte mit den Schultern. »Nicht übel. Aber ich habe noch etwas in Aussicht, wo bedeutend mehr gezahlt wird. Wenn das klappt, greife ich natürlich zu.«
Sie hielt den Kopf gesenkt und rieb immer noch auf dem Chrom herum. Das Girl konnte nicht viel älter als 20 sein, und sah blendend aus. Aber irgendetwas schien mit ihr nicht in Ordnung zu sein. Jetzt fiel es mir so deutlich auf, dass ich mich fragte, ob ich etwas für sie tun könne.
Plötzlich hob sie den Kopf.
»Sie sind der erste Kellner hier, der jedes Mal ›danke‹ sagt, wenn ich ihm seine Bestellung zurechtgemacht habe.«
In meinem Gehirn klingelte ein Warnsignal. Ich hatte mir nichts dabei gedacht, als ich mich bedankte. Aber wenn es ihr schon aufgefallen war, konnte es leicht auch einem andern auffallen.
»Der erste Tag«, meinte ich und grinste flüchtig. »Da will man immer besonders höflich sein.«
Ich nahm das Tablett und marschierte davon. Meine Füße waren geschwollen. Die Schuhe, die ich trug, hatten mir immer gut gepasst, aber jetzt schienen sie zu eng zu sein. Ich stellte meinem Freund den Scotch hin.
»Alles okay?«, fragte Phil leise.
»Sicher. Warum kommst du rein?«
»Weil du dich seit fast zwei Stunden nicht mehr gemeldet hast.«
»Es könnte auffallen, wenn ich zu oft verschwinde, um zu telefonieren.«
»Das dachten wir uns schon. Aber ich wollte vorsichtshalber nachsehen. Wann macht ihr Schluss?«
»Wenn nicht noch Gäste kommen, schließen wir, sobald das Pärchen da hinten verschwunden ist.«
»Du siehst ein bisschen müde aus.«
»Ich laufe seit zwei Uhr hier durchs Lokal und trage Essen und Getränke aus. Nicht jeder kann es so gut haben, wie du es hast.«
»Ich weiß nicht«, brummte Phil und legte einen Dollar auf den Tisch. »Jedenfalls befindet sich in meiner Nähe keine schwarzhaarige Kellnerin, die mir schöne Augen macht.«
Phil stand auf und schlenderte davon.
Ich stellte Phils Glas auf mein Tablett, zupfte die Tischdecke gerade und kehrte an die Theke zurück. Das Pärchen in der Ecke machte keine Anstalten, das Feld zu räumen. Wahrscheinlich hatten sie nicht einmal eine Ahnung davon; dass es schon nach elf war. Ich hätte gern eine Zigarette geraucht, aber im Meal Point rauchten die Kellner nicht.
»Möchten Sie einen Kaffee?«, fragte die Schwarzhaarige.
»Das wäre eine großartige Sache«, seufzte ich. »Vielleicht spürt man dann das Verlangen nach einer Zigarette nicht mehr so stark.«
Sie schob mir eine Tasse hin. Ihr Hände waren schlank, feingliedrig und sehr gepflegt. Die Nägel trugen einen Lack, der sich kaum von der Hautfarbe unterschied. Ich schielte über den Rand der Tasse auf die Hände. Unmöglich, schoss es mir durch den Kopf, unmöglich, dass dieses Mädchen schon jahrelang Kellnerin gewesen ist. Wieder bimmelte in meinem Gehirn die Alarmklingel.
»Wie war das eigentlich?«, fragte ich. »Habe ich mich heute Mittag vorgestellt? Es ging alles ein bisschen schnell.«
Sie lächelte und schüttelte den Kopf.
»Nein. Sie waren spät dran, da blieb keine Zeit mehr für Formalitäten.«
»Ich heiße Cotton«, sagte ich. »Aber meine Freunde nennen mich Jerry.«
»Ich bin May Dillon. Nennen Sie mich bitte nicht Miss Dillon. Wir sind ja Kollegen. übrigens will der Romeo hinten in der Ecke zahlen. Es wird Zeit.«
Ich beeilte mich, das Pärchen aufzusuchen. Die Rechnung betrug nur drei Dollar und 20 Cent, aber der Junge überließ mir den Rest von fünf Dollar mit einer großspurigen Geste. Er wollte den Weltmann spielen.
»Vielen Dank, Sir«, sagte ich.
Sie gingen hinaus. Ich huschte in den Flur zu den Toiletten. Linker Hand gab es eine winzige Telefonzelle. Ich warf meinen Nickel ein, wählte die Nummer vom FBI-Gebäude und sagte: »Kennwort fünf.«
Drei Sekunden später war die Verbindung mit dem Wagen hergestellt, in dem Phil mit einem Kollegen wartete.
»Das Pärchen«, sagte ich, »das gerade rauskam. Er hat mit einem Fünfer bezahlt.«
»Okay. Macht ihr jetzt Schluss?«
»Ich vermute.«
»Wir halten für alle Fälle noch einen Wagen hier bereit. Schick ihn nach Hause, wenn ihr schließt!«
»Okay. Ich warte im Office auf dich.«
»Geht in Ordnung. So long, Jerry!«
Ich hängte den Hörer ein und kehrte ins Lokal zurück. Und ich kam im richtigen Augenblick.
Vielleicht hatte May Dillon die Eingangstür abschließen wollen. Jedenfalls stand sie jetzt nicht hinter der Theke, sondern nur vier Schritte von der Tür entfernt mit dem Rücken an einer der Samtverkleideten Säulen. Ich konnte sehen, dass May kreidebleich war und am ganzen Körper zitterte.
Es war kein Wunder. Nur ein paar Millimeter vor ihrem Kopf befand sich die Spitze eines zweischneidigen, blitzenden Schnappmessers.
Und der bullige Kerl, der es hielt, sagte gerade hämisch: »Du wirst dich wundern, wie schnell man aus einem so hübschen Gesichtchen eine hässliche Fratze machen kann!«
2
»Ich gehe noch mal runter zum Jay Park«, sagte Pete Evans, stülpte sich den Hut auf den Kopf und wollte den Wachraum des Reviers durchqueren, als er Lieutenant Milford neben dem Pult des diensthabenden Sergeant bemerkte.
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Evans«, sagte der Lieutenant, »möchte ich rasch noch einen Augenblick mit Ihnen sprechen, bevor Sie sich auf den Weg machen.«
»Wie Sie wünschen, Sir«, erwiderte Pete Evans und nahm den Hut wieder ab.
Sie gingen zusammen den kurzen Flur hinter dem Wachraum entlang zum Zimmer des Lieutenants.
»Setzen Sie sich doch, Sergeant!«, sagte Milford und gönnte sich zum ersten Male, seit Evans ihn kannte, den Luxus, sich zwei Knöpfe an seinem straff sitzenden Uniformrock zu öffnen. Evans ließ sich auf den unbequemen Holzstuhl vor dem Schreibtisch nieder.
»Ich hörte, dass Sie runter zum Jay Park wollen«, begann Milford.
»Ja, Sir.«
»Wegen der Überfälle, vermute ich?«
»Natürlich, Sir. Vier Raubüberfälle innerhalb von sechs Wochen. Alle nach Einbruch der Dunkelheit und alle auf dem Gelände des Parks.«
»Ich würde in den nächsten Tagen gern einmal die Anzeigen durchlesen, die Sie von diesen Überfällen aufgenommen haben, Evans. Ich muss über alle wichtigen Dinge informiert sein, die in unserem Revierbereich vorgehen. Also reichen Sie mir die Akten gelegentlich rein, ja?«
»Selbstverständlich, Sir.«
»Wie lange gedenken Sie sich im Park aufzuhalten?«, fragte er.
»Bis höchstens ein Uhr früh, Sir. Die vier Überfälle fanden alle vor halb eins statt.«
»Anschließend werden Sie nach Hause gehen, nehme ich an?«
»Ja, Sir.«
»Gut. Rufen sie hier an, sobald Sie sich auf dem Heimweg machen! Damit wir wissen, dass alles okay ist.«
»Ja, Sir.«
Pete Evans stülpte sich zum zweiten Male seinen verbeulten Hut auf die Glatze und ging hinaus. Als er den Wachraum durchquerte, warf er einen Blick hinauf zu der elektrischen Uhr über der Tür. Es war genau elf, als er losging.
Detective Sergeant Pete Evans hatte die Ecke der York Avenue erreicht. Auf der gegenüberliegenden Seite begann der Park, der parallel mit der York Avenue verläuft. Evans blieb stehen und kramte eine der billigen Zigarren aus einem abgeschabten Etui. Er setzte sie umständlich in Brand, bevor er die Kreuzung überquerte. Auf seiner Uhr war es 20 Minuten nach elf.
Der Park erhielt nur wenig Licht von den Straßenlaternen der York Avenue. Dichte Büsche schirmten ihn gegen die Straße ab. Evans sah sich am Eingang rasch um. Weit und breit war niemand zu sehen. Rasch wandte sich Evans der Finsternis zu und schritt auf dem Kiesweg in die nächtliche Stille des Parks hinein.
Er hatte sich tagsüber hier gründlich umgesehen und kannte jetzt jeden Weg. Als er die ersten paar Schritte auf dem weichen Grasboden getan hatte, blieb er jäh stehen.
Links von ihm war ein leises Geräusch. Evans neigte den Kopf und lauschte angestrengt. Es war ein leises Wimmern.
Evans riss die Taschenlampe aus der linken Manteltasche und den Revolver aus der rechten. Er lief in die Richtung, aus der das Wimmern kam. Vor einer Bank lag ein Mann auf der linken Seite. Evans ließ den Schein der Lampe in die Runde gleiten. Es war niemand zu sehen außer dem Mann, der vor der Bank lag. Vorsichtig ging Evans näher. Am Oberkörper waren keine Anzeichen einer Verletzung zu erkennen. Der Lichtkegel der Lampe glitt tiefer.
»Verdammt«, knurrte Evans, drehte sich auf dem Absatz um und hetzte den Kiesweg entlang. Keuchend erreichte er die Rufsäule, die vorne an der Ecke der York Avenue steht. Er zerrte ungeduldig seinen Schlüssel aus der Hosentasche, schloss die Metallklappe auf und griff nach dem Hörer.
»Hallo!«, rief er. »Hallo! Hier ist Evans! Hallo!«
Endlich kam die Stimme des diensthabenden Sergeant durch die Leitung.
»Ja, Pete? Was ist los? Brauchst du Hilfe?«
»Ich brauche einen Krankenwagen, aber Tempo! Zum Jay Park natürlich! Ich bin zu spät gekommen. Da liegt einer mit zwei Bauchschüssen! Ach so, ja: Verständige vorsichtshalber die Mordabteilung!«
»Geht okay, Pete!«
Evans hängte den Hörer zurück in den Kasten der Revierrufsäule. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er schon seit ein paar Sekunden das näher kommende Klicken hochhackiger Damenschuhe gehört hatte. Er drehte sich um. Eine schlanke weißblonde Frau in einem schwarzen Persianermantel kam die 78th Street herab.
Als sie in den Lichtkreis der nächsten Laterne geriet, erkannte Evans das mädchenhafte, apart geschnittene Gesicht mit den blassgrünen Augen. Er tippte mit den Fingern an die Hutkrempe: »Guten Abend, Miss Clane«, sagte er freundlich.
»Guten Abend, Mister Evans«, erwiderte Julia Clane und nickte. Sie wies auf den weißen Thunderbird Roadster am Straßenrand: »Habe ich zu nahe an der Ecke geparkt?«
Evans neigte den Kopf zur Seite und kniff das rechte Auge zu. »Vielleicht besser, wenn wir es nicht nachmessen«, meinte er. »Jetzt müssen Sie mich aber entschuldigen, ich habe es brandeilig. Gute Nacht!«
Er setzte sich in Trab, ohne ihre Antwort abzuwarten. Aber während er zurücklief zu dem Park und dem schwer verletzten Mann, den er gefunden hatte, dachte er: Was, zum Teufel, sucht ein Mädchen wie Julia Clane mutterseelenallein um diese Zeit in dieser Gegend?
***
Die Entfernung zwischen der Spitze des Messers und dem Gesicht von May Dillon betrug höchstens einen Inch. Die Entfernung von mir bis zu dem Burschen, der das Messer hielt, betrug wenigstens acht Yards.
»Wirf das Messer weg!«, rief ich.
Er wandte den Kopf in meine Richtung, ohne die Haltung des Messers zu verändern. Unter der linken Schläfe zog sich eine zackige Narbe zum Unterkiefer hin. Dadurch wirkte die ganze linke Gesichtshälfte verzerrt.
»Ach nein«, sagte er ruhig. »Ein Servierakrobat!«
Ich machte probeweise den ersten Schritt in seine Richtung. Er blieb reglos. Ich tat den zweiten Schritt. Er hatte einen Entschluss gefasst. Mit überraschender Schnelligkeit war er rückwärts gehend wieder bei der Eingangstür. Er drehte sich um, und ich hörte, wie der Schlüssel das Schloss bewegte. May Dillon musste also den Schlüssel schon hineingeschoben haben, bevor der Bursche hereingekommen war.
Jetzt wandte er sich uns wieder zu. Sein Blick glitt über die schlanke Gestalt des Mädchens, das noch immer an der Säule lehnte. Vielleicht saß dem Girl der Schock so in den Gliedern, dass es sich nicht bewegen konnte. Ich hatte keine Waffe bei mir.
»Du kommst gleich dran«, sagte er zu dem Mädchen. »Zuerst muss ich mich jetzt mit dem Jüngling beschäftigen.«
Er drehte den Kopf in meine Richtung. Die Entfernung zwischen uns betrug nur noch drei Yards. Ich konnte erkennen, dass sein Haar nicht schwarz, sondern dunkelbraun war und dass es an den Schläfen sogar schon ein paar silbrige Fäden gab. Das Haar war sehr kurz geschoren und offenbar sehr dicht. Der Haaransatz befand sich tief in der Stirn, und zusammen mit dem wulstigen Augenbrauenpaar verlieh er dem Gesicht etwas Affenartiges.
»Komm her!«, sagte er.
Er hielt das Messer mit der rechten Hand, die Spitze nach vorn. Die Tische im Meal Point waren für ein Lokal unzweckmäßig; sie erlaubten es nicht, den vorhandenen Raum bis auf den letzten Zoll auszunutzen, denn sie waren rund. Um zu ihm zu gelangen, hätte ich halb um einen dieser runden Tische herumgehen müssen. Ich tat, als hätte ich es vor, aber dann bückte ich mich schnell, riss ein Tischtuch mit Aschenbecher und Blumenvase herab und schleuderte es auf ihn. Er wich rasch und geschmeidig zur Seite.
»Mätzchen«, sagte er.
Die Blumenvase war zerbrochen, der schwere Kristallaschenbecher blieb ganz, war aber polternd ein Stück davongerollt. Er lag neben der Säule, an der May Dillon stand.
Ich tat einen weiteren Schritt und war jetzt auf Armlänge heran. Der Kerl hatte überraschend blaue, ungewöhnlich eng beieinander stehende Augen.
Urplötzlich schoss er vor. Ich reagierte instinktiv und wich zur Seite. Der Stich mit seinem Messer ging ins Leere. Ich wollte ihm von der Seite her einen Stoß versetzen, aber er ließ sich sofort fallen, als er mich verfehlte. Gewandt wie ein Akrobat rollte er über die linke Schulter ab und kam federnd wieder auf die Beine.
Ich sprang ihm nach. Er fuhr herum, Sein Messer ratschte über meine Hüfte und zersäbelte ein Stück von dem weißen Kellnerjackett, ohne mich zu erwischen. Ich setzte ihm einen schlecht platzierten Schlag auf den Brustkorb. Er sprang zurück.
»Du bist nicht dumm«, sagte er ruhig. »Um so mehr Spaß wird es mir machen, dich zu erwischen.«
Er kam erneut. Aber diesmal stürmte er nicht einfach heran, diesmal tänzelte er auf mich zu wie ein Boxer, der seinen Gegner noch nicht kennt. Ich stand leicht vorgebeugt da und hatte die geöffneten Hände leicht vom Körper abgewinkelt.
Sein Messer zuckte vor. Ich drehte mich schon aus der Stoßrichtung heraus, als ich merkte, dass es nur eine Finte sein konnte. Aber da hatte er mir schon die geballte Linke gegen die Stirn geschlagen.
Ich wurde zurückgeworfen. Das Lokal begann zu tanzen. Zum Glück stand ein Tisch im Weg. Ich stieß mit dem Rücken dagegen, erkannte und nutzte die Chance und ließ mich rückwärts darüber rollen.
Ich kam zwar unsanft auf, stieß mit dem Schienbein gegen die Armlehne eines herumstehenden Stuhles. Beim Aufprall ließ ich mich zusammensinken. Ich schüttelte wütend den Kopf. Jetzt konnte ich wieder klar sehen.
Ich schnellte hoch. Der Kerl war bereits heran und riss die Hand mit dem Messer hoch. Ich schlug ihm die Kante der gestreckten Hand auf den Unterarm. Die Spitze des Messers grub sich in das Fleisch meines linken Arms unweit des Ellenbogens. Während ich außerdem seinen rechten Haken einstecken musste, holte ich aus und setzte ihm die Faust knallhart aufs Kinn.
Seine Augen verdrehten sich, so dass man nur noch das Weiße sah. Er wankte rückwärts, stieß einen Stuhl um und stürzte darüber. Ich wankte selbst, bekam kaum noch Luft und stierte auf ihn. Er kam nicht mehr hoch.
3
»Evans!«, rief die Stimme von Lieutenant Milford vorne am Eingang des Parks. Der Lichtstrahl einer Taschenlampe geisterte zwischen den Bäumen hindurch.
Der Detective Sergeant richtete sich auf, rief eine Antwort und ließ seine eigene Taschenlampe aufflammen. Das Geräusch der Schritte auf dem Kiesweg kam schnell näher. Dann tauchte der Lieutenant vor ihm auf. Hinter ihm sah Evans das rote Gesicht eines Streifenbeamten.
»Sind Sie verletzt?«, fragte Milford.
»Nein. Dort!«
Evans trat einen Schritt zur Seite und ließ das Licht seiner Lampe auf den verkrümmten Körper des röchelnden Mannes fallen. Er richtete es so ein, dass der Lichtstrahl den Verletzten nicht blenden konnte.
»Gehen Sie zurück auf die Straße, und schicken Sie die Leute der Mordabteilung und die Träger vom Krankenwagen hierher!«, befahl Milford dem Patrolman. »Es hört sich so an, als ob die Wagen schon da wären.«
Hinter der Mauer von Sträuchern wurde wieder das Schlagen von Autotüren hörbar. Der Streifenbeamte nickte und verschwand in der Dunkelheit. Milford beugte sich über den Verletzten.
»Haben Sie irgendwas mit ihm angestellt?«, fragte er Evans leise.
»Nein, Sir. Als Laie kann man da gar nichts machen.«
»Da sind sie«, sagte Evans und drehte sich um. »Alle auf einmal.«
Vier oder fünf Taschenlampen geisterten heran. Die weißen Anzüge der beiden Männer aus dem Krankenwagen schimmerten. Hinter ihnen kamen die Leute von der Mordabteilung. Voran ging ein etwa 35jähriger Mann mit kantigem Schädel und blonder Bürstenfrisur. Ihm folgte ein Riese von fast zwei Metern, rechts von dem Blonden schlurfte ein 50jähriger, um dessen hoch aufgeschossene Figur ein heller, offener Staubmantel flatterte.
»Kümmern Sie sich um den Mann, Bill!«, sagte der Blonde, nachdem er einen Blick auf den Verletzten geworfen hatte.
»Okay, Cleary«, meinte der Hagere und kniete nieder. Sein Staubmantel breitete sich glockenförmig rings um ihn aus.
Der Blonde wandte sich an Milford und Evans.
»Ich leite die vierte Mordkommission. Ich heiße Harry Easton und bin Detective Lieutenant. Guten Abend, Gents.«
»Hallo Lieutenant«, erwiderte Milford. »Das ist Detective Sergeant Evans, ich bin Lieutenant Milford vom Revier in der 80th Street.«
Der Blonde zeigte mit dem Daumen über seine Schulter hinweg. »Das ist mein Stellvertreter: Detective Sergeant Schulz. Wer hat veranlasst, dass wir gerufen wurden?«
»Ich«, sagte Evans.
Lieutenant Easton musterte Evans mit einem raschen Blick. »Ich hörte, dass hier in der Gegend ein paar Raubüberfälle verübt worden sind. Rechnen Sie diesen dazu?«
»Ja. Ich rechne diesen Fall zu der Serie der Überfälle. Es gibt einen einfachen Grund dafür: Dort drüben, ungefähr einen halben Yard rechts von der Bank, liegt eine Brieftasche.«
Der Riese Schulz drehte sich um und sprach leise auf die übrigen Männer der Mordkommission ein. Zusammen mit zwei von ihnen setzte er sich gleich darauf in Bewegung. Neben der Bank suchten und fanden sie die Brieftasche. Sie war aus glattem Leder und lag geöffnet im Gras. Aus einem Spurensicherungskoffer zogen die Männer Fingerspurenfolien und Russpulver und begannen mit der Arbeit.
Unterdessen hatte der Lieutenant sein Gespräch mit Evans fortgesetzt: »Sie nehmen an, dass es die Brieftasche des Verletzten ist?«
»Ja, Sir«, nickte Evans.
»Ich muss mich mal einmischen«, sagte der Mann im hellen Staubmantel und erhob sich. »Der Verletzte muss sofort ins nächste Krankenhaus gebracht werden. Ich schlage das Medical Centre vor.«
Als der Arzt Anweisungen an die Krankenträger gab, murmelte Easton, zu Milford und Evans gewandt: »Das ist unser Polizeiarzt: Doc Unlaine. Mich interessiert Ihre Vorstellung vom Hergang der Tat, Sergeant Evans. Wenn das wirklich die Brieftasche des Verwundeten ist, warum liegt sie neben der Bank?«
»Der oder die Täter haben sie ihm weggenommen, das Geld herausgefischt und die für sie wertlose Brieftasche weggeworfen.«
»War das bei den früheren Raubüberfällen genauso?
»Ja, Sir.«
»Haben Sie die Brieftaschen jedes Mal auf Fingerspuren untersucht?«
Pete Evans nickte.
»Sicher, Lieutenant. Es gab auch Anzeichen dafür, dass sie jemand in der Hand gehalten hatte, der Handschuhe trug. Es gab deutliche Wischer quer durch die Fingerspuren des Eigentümers.«
Detective Lieutenant Easton wandte den Kopf zur Bank hin.
»Wie sieht es aus, Herrschaften?«, rief er seinen beiden Leuten vom Spurensicherungsdienst zu.
»An die 20 Prints, Lieutenant.«
»Großartig«, meinte Easton. »Hoffentlich stammen sie nicht alle von dem Eigentümer der Brieftasche. Wenn ihr mit dem Abziehen der Folien fertig seid, werft mal einen Blick rein, ob irgendein Papier drin steckt, durch das man den Eigentümer identifizieren kann. In seinem jetzigen Zustand möchte ich ihn nicht fragen.«
Gerade entfernten sich die Träger mit dem noch immer leise röchelnden Mann. Doc Unlaine ging in seinem flatternden Staubmantel neben der Trage her. Der Riese, der neben der Bank stand, hielt eine kleine Cellophanhülle in den Lichtkreis seiner Taschenlampe.
»Wir haben bereits den Führerschein des Mannes gefunden, »Lieutenant«, rief er herüber. »Der arme Kerl heißt Jake Johnes. Er ist 28 Jahre alt.«
»Johnes, Jake Johnes«, wiederholte der Lieutenant Easton nachdenklich. »Kennt jemand den Namen?«
»Ich«, erwiderte Pete Evans und nahm den verbeulten Filzhut ab, um sich mit einer fahrigen Geste über seine schimmernde Glatze zu fahren. »Ich kannte ihn früher sogar ziemlich gut. Er kommt genau wie ich aus Chicago.«
»Was für ein Bursche ist er?«
»Ein Typ, der nur im Zuchthaus landen kann, Lieutenant. Solange ich ihn kenne, hat er noch kein einziges Mal ehrliche Arbeit geleistet. Er saß auch schon einmal. Wahrscheinlich ist ihm in Chicago der Boden zu heiß geworden. Ich möchte nur wissen, wie lange er schon in New York ist und was er hier treibt. Das würde mich interessieren.«
»Wieso haben Sie ihn nicht gleich erkannt?«, fragte Lieutenant Milford den Revier-Detective. »Sie haben nichts davon erwähnt, dass Sie ihn erkannt hätten, Evans.«