Jerry Cotton Sonder-Edition 214 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 214 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

In den Bergen westlich von New York prallten zu allem entschlossene Gegner aufeinander. Der Killer Garrick, der mit dreihunderttausend Dollar im Koffer auf der Flucht war. Sein ehemaliger Boss Lorrimer, dem er das Geld gestohlen hatte. Eine Bande ortsansässiger Gauner, die den Geldkoffer in ihre Gewalt bringen wollten. Mittendrin Phil und ich - entwaffnet und wie zwei Postpakete verschnürt. Nie war es notwendiger, die schöne Kunst des Überlebens zu beherrschen ...


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Seitenzahl: 165

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Die schöne Kunst des Überlebens

Vorschau

Impressum

Die schöne Kunstdes Überlebens

In den Bergen westlich von New York prallten zu allem entschlossene Gegner aufeinander. Der Killer Garrick, der mit dreihunderttausend Dollar im Koffer auf der Flucht war. Sein ehemaliger Boss Lorrimer, dem er das Geld gestohlen hatte. Eine Bande ortsansässiger Gauner, die den Geldkoffer in ihre Gewalt bringen wollten. Mittendrin Phil und ich – entwaffnet und wie zwei Postpakete verschnürt. Nie war es notwendiger, die schöne Kunst des Überlebens zu beherrschen ...

I

Das schmiedeeiserne Tor stand einladend offen.

Trotzdem zog ich den Jaguar nach rechts an den Straßenrand. Neben mir kniff mein Freund und Partner Phil Decker die Augen zusammen. Er traute dem Frieden nicht. Wir waren unterwegs, um Ray Garrick zu holen. Und Garrick für friedlich zu halten, wäre lebensgefährlich gewesen.

»Ob er abgehauen ist?«, fragte Phil gedehnt.

Ich zuckte mit den Schultern und stieß den Wagenschlag auf. Vergeblich versuchte ich, die wattige Dunkelheit des Parks mit den Augen zu durchdringen. Das Haus gehörte nicht Garrick, sondern seinem Boss Gilbert Lorrimer. Der saß hier wie die Spinne im Netz – einem Netz aus Verbrechen und Schrecken.

Lorrimer hatte seine Spitzel überall. Deshalb konnte Ray Garrick durchaus erfahren haben, dass das FBI ihn suchte.

Im Bogen pirschten Phil und ich uns an die Einfahrt heran. Lorrimer, der um diese Zeit mit seinem Anwalt und seinen engsten Mitarbeitern in einem chinesischen Restaurant zu speisen pflegte, hatte das Tor bestimmt nicht offen gelassen. Also doch Garrick? Er wusste, dass es Zeugen gegen ihn gab, dass er lebenslänglich ins Gefängnis gehen würde, wenn wir ihn erwischten. Möglich, dass er sich abgesetzt hatte, auch ohne ausdrücklich gewarnt worden zu sein.

Das offene Tor gestattete es uns auf jeden Fall, das Grundstück zu betreten, ohne uns erst über die Gegensprechanlage anzumelden.

Wir nahmen den gepflasterten Fahrweg. An der Haustür mussten wir wohl oder übel klingeln. Zwar hatten wir einen Durchsuchungsbefehl, weil Ray Garrick ganz offiziell unter Lorrimers Dach wohnte. Aber in unseren Dienstvorschriften steht eine Menge über die sogenannte Verhältnismäßigkeit der Mittel. Wenn wir gewaltsam eindrangen, ohne es vorher auf normalem Weg zu versuchen, würden uns Lorrimers Anwälte in der Luft zerreißen.

Ich lauschte einen Augenblick. Täuschte ich mich oder hörte ich tatsächlich leise Schritte, die sich hastig aus der Diele zurückzogen? Phil hob bereits die Hand, um den Daumen auf den Klingelknopf zu legen. Ich winkelte den Arm an und brachte die Rechte in die Nähe des Schulterholsters. Dann stutzte ich.

Die Geste ließ Phil mitten in der Bewegung verharren.

Mit dem Kopf wies ich auf die Tür. Sie war nur angelehnt, was ich erst mit Verspätung bemerkt hatte, weil in der Diele kein Licht brannte. Mein Freund spitzte die Lippen zu einem unhörbaren Pfiff. Sein Daumen stach nach oben. Einladungen soll man nicht ausschlagen, hieß das.

Hinterher begriffen wir, dass wir besser daran getan hätten, dieser allzu offensichtlichen Einladung zu misstrauen. Hinterher ist man ja immer klüger.

Ich drückte vorsichtig gegen das kühle Kupferrelief der Tür.

Dass ich es mit weit ausgestrecktem Arm tat, um möglichst keiner Kugel im Weg zu stehen, entsprang der Erinnerung an das Geräusch, das ich gehört zu haben glaubte. Auch Phil drückte sich in den toten Winkel. Ich kniff die Augen zusammen. Nur wenig Licht fiel aus dem bogenförmigen Durchgang zum Livingroom. Im Wohnzimmer brannte höchstens eine Stehlampe. Alles war still – eine eigentümlich dichte, lastende Stille.

Auf Zehenspitzen glitt ich in die Diele.

Phil folgte mir. Er tauchte sofort nach rechts weg. Sekundenlang verharrten wir mit angehaltenem Atem und lauschten. Ich spürte die Anwesenheit eines Fremden, wie man manchmal einen Blick spürt. Ich sah ihn nicht. Ich hörte ihn nicht einmal atmen. Doch ich wusste, dass er da war.

Phil hob fragend die Brauen. Ich nickte ihm zu. Sich von zwei Seiten an den Mauerbogen heranpirschen, die Lage peilen, im Bedarfsfall nach zwei Seiten weghechten und in Deckung gehen, das alles war Gewohnheit. Phil und ich sind nach Jahren der Zusammenarbeit so aufeinander eingespielt, dass wir uns auch ohne Worte verstehen. Genau wie mein Freund griff ich jetzt endgültig zum Schulterholster – und da passierte es.

Ich hörte ein scharrendes Geräusch.

Im nächsten Moment flog etwas durch die Luft, etwas Kleines, Dunkles. Klatschend landete es auf dem Dielenteppich, und ich erkannte die charakteristische Riffelstruktur einer Eierhandgranate.

»Vorsicht!«, schrie ich.

Instinktiv wollte ich vorwärts schnellen und das teuflische Ei mit einem Tritt dahin zurückbefördern, wo es hergekommen war. Ich schaffte es nicht mehr.

Der grelle Blitz, der jäh vor meinen Augen aufflammte, verschlang mit seinem unerträglich gleißenden Feuer die ganze Welt.

Das Reisebüro in der riesigen Halle der Grand Central Station hatte rund um die Uhr geöffnet.

All American Tours, verkündeten apfelgrüne Neonbuchstaben. In den Schaufenstern hingen keine Traumimpressionen mit Palmen, weißem Strand und braun gebrannten Badenixen, sondern Fotos von Bergen, Wäldern, sonnigen Tälern und idyllischen Seen. Der Besitzer von AAT hatte eine Marktlücke ausfindig gemacht. Seit dem letzten Jahr versuchte er mit ansehnlichem Erfolg, der Konkurrenz die Fernreisekunden abzuwerben, indem er ihnen die Erkundung ihrer näheren Heimat schmackhaft machte.

Lindy Hopkins gähnte gelangweilt, während sie ihre Sandwiches auspackte.

Der Nachtdienst war langweilig. Da die Jobs für Bürokräfte im Zeitalter der Mikroelektronik immer rarer wurden, musste man nehmen, was man kriegen konnte. Missmutig betrachtete Lindy die beiden Toastscheiben, zwischen denen ein welkes Salatblatt die zähen Geflügelstücke nicht appetitlicher machte. Lindy beschloss, ihr nächstes Abendessen aus einem anderen Drugstore zu holen. Immerhin war die Automaten-Cola schön kalt. Sie nahm einen tiefen Schluck, wollte sich an das Sandwich machen und seufzte, als das Telefon auf ihrem Schreibtisch schrillte.

»All American Tours«, meldete sie sich mit routinierter Freundlichkeit.

Eine Kundin war am anderen Ende der Leitung.

Wortreich erklärte sie, warum sie leider nicht an der morgen früh beginnenden Busreise durch die Alleghany Mountains teilnehmen könne. Selbstverständlich wisse sie, dass die Stornierung zu kurzfristig erfolge. Selbstverständlich sei sie bereit, einen Teil des Reisepreises als Abstand zu bezahlen.

Lindy Hopkins notierte, beendete das Gespräch und tippte die Informationen in das Computerterminal. Dabei dachte sie voller Bitterkeit darüber nach, dass ihr Arbeitgeber die Bedienung dieses Computers einfach als selbstverständlich erwartete, ohne auch nur einen Cent mehr dafür zu bezahlen.

Alleghany, ein freier Platz, notierte sie auf ihrem privaten Merkzettel.

Falls bis zu ihrer Ablösung tatsächlich noch ein Kunde erscheinen sollte, würde sie versuchen, ihn für die Schönheiten der Natur vor der Haustür New Yorks zu erwärmen. Wenn der freie Platz verkauft wurde, gab es eine Prämie. Aber Lindy Hopkins hoffte nicht ernsthaft, dass heute Nacht noch jemand auftauchen werde, den es nach einem Ausflug in die Provinz gelüstete.

Mit einem tiefen Seufzer wandte sie sich wieder ihrem Abendessen zu und begann, auf dem zähen Chickensandwich herumzukauen.

Buchstäblich im letzten Sekundenbruchteil ließ ich mich fallen.

Schattenhaft sah ich, dass Phil nach rechts schnellte und über die Schulter abrollte. Unser Gegner hatte eiskalt mit der scharfen Granate in der Hand den richtigen Moment abgepasst, damit uns keine Chance blieb, sie zurückzuwerfen.

Meine Muskeln verkrampften sich, während die Druckwelle über mich hinwegfauchte. Splitter jaulten und prasselten wie ein tödlicher Hagelschauer in die Wände. Ich presste mich dicht an den Boden und schützte meinen Kopf mit verschränkten Armen. Sekundenlang spürte ich nichts anderes als schlichte, ordinäre Angst. Es war ein Wunder, dass mir nicht einmal die Haut geritzt wurde.

»Phil!«, krächzte ich, während ich mit dröhnendem Schädel aufsprang. »Mensch ...«

»Okay, okay.« Er hustete, würgte und rieb sich den Nacken. Blut färbte seine Finger. Doch er hatte offenbar nur ein paar Kratzer davongetragen. Noch ein Wunder!

Ich hielt den 38er in der Faust und bemühte mich angestrengt, etwas anderes zu hören als das Rauschen des Bluts in meinen Ohren.

Schritte!

Ein klirrendes Geräusch, die Terrassentür ...

Ray Garrick, falls er es war, versuchte, in den Park zu entkommen. Ich biss auf die Zähne. Verdammt, der Kerl hatte uns eine böse Überraschung bereitet. Er musste uns gesehen haben. Er wusste, dass wir mit einem Haftbefehl kamen. Dass er seinen Kopf nicht mehr aus der Schlinge ziehen konnte, wenn er sich fangen ließ.

Ich hörte auf zu denken.

Ein paar Brandnester im Teppich hatte ich mechanisch ausgetreten. Die Badezimmertür war aus den Angeln geflogen. Deshalb konnte Phil mit einer einzigen Bewegung einen glimmenden Mantel vom Garderobenhaken in die Wanne befördern. Sonst gab es in der Diele nicht viel Brennbares. Mit zwei Schritten stand ich neben dem Mauerbogen, schob den Kopf vor und spähte in die große Wohnhalle.

Die Terrassentür bewegte sich noch im Luftzug. Wind bauschte die weiße Tüllgardine und brachte den intensiven Duft nach blühendem Jasmin mit. Draußen glaubte ich, eine undeutliche Bewegung zu erkennen.

Garrick lauerte. Wahrscheinlich hatte er noch mehr von den Eierhandgranaten und wartete darauf, dass wir aus unserer Deckung kamen.

Mit ausgestrecktem Arm schob ich den Revolver um das Wandsegment. Ich hielt tief, sodass die Kugel noch vor der Terrassentür in den Teppich schlagen würde.

»FBI!«, schrie ich. »Stehen bleiben, Garrick! Waffe weg und Hände hoch!«

Natürlich reagierte er nicht.

Ich wartete zwei Sekunden. Dann zog ich durch. Ohrenbetäubend peitschte der Schuss durch den Raum, und fast im selben Moment flog die nächste Granate.

Diesmal standen Phil und ich in Deckung, als die Druckwelle einen Hagel von Splittern, Holztrümmern und Stofffetzen in die Diele trieb.

Absätze klapperten auf den Steinplatten der Terrasse. Schon im nächsten Moment wurde das Geräusch vom Fauchen aufspringender Flammen verschluckt. Phil warf sich herum und riss den Feuerlöscher von der Wand, der in einer Nische hing. Ich rannte durch die Halle und sah flüchtig die Feuerzungen, die von einem brennenden Sessel über die Tapeten leckten. Draußen hörte ich Ray Garrick durch die Büsche brechen. Jetzt verstummten seine Schritte und ...

Die dritte Handgranate explodierte auf der Terrasse, zerblies sämtliche Fensterscheiben und die Glastür und setzte in Sekundenschnelle die Gardinen in Brand.

Ich hatte mich mit einem Hechtsprung zur Seite geworfen, um dem Splitterregen auszuweichen. Eine Flammenwand wuchs vor mir hinauf. An fünf verschiedenen Stellen fraß sich das Feuer brennender Gardinenfetzen in den Teppich. Phil mühte sich noch mit dem Sessel ab. Zähneknirschend sprang ich auf und rannte in die Diele zurück, um mir den zweiten Feuerlöscher zu schnappen.

Augenblicke später war der Weg frei.

Phil rannte zur Haustür, um den Gangster abzufangen, falls er versuchte, mit einem Wagen zu fliehen. Ich turnte über die trümmerbesäte Kraterlandschaft, die einmal eine gepflegte Terrasse gewesen war. Als ich sekundenlang lauschend verharrte, hörte ich weit hinten im Park Laub rascheln und Zweige knacken.

Zwecklos, dachte ich. Ray Garrick würde über die Mauer klettern und ...

Das schrille Anschlagen der Alarmanlage im Haus bewies, dass er es bereits geschafft hatte.

Ich rannte quer durch den Park, obwohl ich nicht ernsthaft hoffte, meinen Gegner noch einzuholen. Die Bruchsteinmauer mit den ausgewaschenen Fugen ließ sich leicht überklettern. Ein Fußweg lag dahinter. Dann ein breiter Streifen verwilderten Buschwerks. Schließlich eine Hecke, die zu einer Grünanlage gehörte. Wieder blieb ich stehen und lauschte. Vergeblich.

Irgendwo bellte ein Hund. Der ferne, nie verstummende Verkehrslärm von Manhattan füllte die Luft mit jenem steten Brausen, das man als Großstädter nur noch in Ausnahmesituationen wahrnimmt.

Ray Garrick kannte sich hier aus. Er war längst untergetaucht und schlau genug gewesen, nicht weiter in wilder Flucht davonzurennen, sondern sich lautlos zu bewegen.

Ohne Ergebnis suchte ich den Rand des Fußwegs und die Buschkette nach Spuren ab.

Auf dem Rückweg kletterte ich nicht über die Mauer, sondern umrundete das Grundstück und benutzte das Tor. Im Haus gellte immer noch die Alarmanlage. Erst als ich die Treppe hinaufstieg, verstummte sie abrupt, weil jemand sie abgestellt hatte.

Er entpuppte sich als verschreckter Butler in Pyjama und lächerlich geblümtem Bademantel. Ein hübscher blondgelockter Adonis mit staunenden Schlafzimmeraugen war ebenfalls aufgetaucht. Mir fiel ein, dass Gilbert Lorrimer angeblich homosexuell war – gay, wie man das bei uns in den Staaten nennt. Der Schrecken des Blonden wirkte echt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er über die dunklen Geschäfte seines Gönners Bescheid wusste.

Aber er wusste zumindest eines, wo in diesem Haus das Bare aufbewahrt wurde.

Das Alarmgeklingel, die Verwüstung ringsum, der Anblick der FBI-Ausweise, das alles brachte ihn offenbar zu der Schlussfolgerung, dass es sich um einen Anschlag auf Geld und Gut des Hausbesitzers handelte. Ich zuckte zusammen, als der Jüngling plötzlich jede Schläfrigkeit abschüttelte, durch die Halle fegte und eine der Türen aufriss. Eine breite Lichtbahn fiel heraus. Ich erkannte einen wuchtigen Schreibtisch samt ledernem Drehstuhl: Lorrimers Arbeitszimmer.

Der Blonde stieß einen Schrei der Empörung aus, ungefähr wie eine bejahrte Jungfrau, der gerade King Kong persönlich einen unsittlichen Antrag gemacht hat.

Als Phil und ich ihm folgten, stand der Bursche mitten im Zimmer und wies mit spitzem Finger auf ein Bücherregal oder besser auf die Ruine eines Bücherregals. Der American Digest war ausgeräumt. Drei Holzbretter waren herausgenommen worden. Dahinter zeichneten sich die Umrisse eines Safes ab, dessen graue Stahltür einen Spalt breit offen stand.

»Diebe! Einbrecher! Banditen!«, jammerte der Blonde.

Wir wussten es besser.

Es war nur ein Dieb gewesen, und er hatte nicht einbrechen müssen, weil er im Haus wohnte. Ray Garrick musste tatsächlich gewusst haben, dass sich das Netz um ihn zusammenzog. Dass wir ihn fast erwischt hatten, lag durchaus nicht an seinem Leichtsinn. Er wollte nicht mit leeren Händen verschwinden. Lorrimers Dollars würden seine Flucht zweifellos sehr erleichtern. Dazu war es notwendig gewesen, den Abend abzuwarten, an dem der Gangsterboss jede Woche mit seinen engsten Mitarbeitern chinesisch essen ging.

Ich atmete tief durch.

Der Blonde sank in einen Sessel und schlug die Hände vors Gesicht, als wäre er höchstpersönlich bis ins Mark seiner Seele getroffen. Phil zog ihn wieder hoch und schob ihn zur Tür, um zu verhindern, dass hier Spuren zerstört wurden. Ich griff zum Telefon, nachdem ich meine Finger mit einem Taschentuch umwickelt hatte. Lorrimer würde wohl kaum noch verhindern können, dass sein Haus auf den Kopf gestellt wurde. Ein beraubter Safe und ein zweifacher Mordanschlag mittels Eierhandgranaten waren Grund genug, Verstärkung anzufordern.

Als ich in die Halle zurückging, hörte ich draußen das satte Brummen eines Automotors. Phil stand in der Diele. Er grinste mich an.

»Lorrimer kreuzt auf«, verkündete er. »Jetzt bin ich nur gespannt, was er zu dem Schreck in der Abendstunde zu sagen hat.«

Mondlicht lag über der Landschaft wie ein silberner Schleier.

Joey Fedderson wankte langsam den schmalen, gewundenen Weg entlang. Er hörte das gedämpfte Rauschen und Gurgeln des Wasserfalls. Manchmal, wenn ein Windstoß durch Buschwerk und düstere Schwarztannen strich, fühlte er eine Spur von Gischt auf seinem erhitzten Gesicht. Angewidert blieb er stehen und wischte sich das feuchte Haar aus der Stirn.

Scheißgegend, dachte er. Nur ein Idiot wie der alte Joey Fedderson senior hatte auf die Idee kommen können, ausgerechnet drüben im Bluewater Canyon ein Hotel zu bauen.

Hotel, ha!

Wütend trat Joey gegen eine leere Konservendose, die mitten auf dem Weg lag. Alle paar Schritte stolperte er, weil die Straße vornehmlich aus Schlaglöchern bestand. Befahren konnte man sie ohnehin nicht, weil es außer einer uralten, abenteuerlichen Holzkonstruktion keine Brücke über den Bluewater Creek gab.

Die Welt endete in Bluewater Falls, dem Kaff unten im Tal.

Zeit seines Lebens hatte Joey Fedderson eine halbe Stunde zu Fuß marschieren müssen, wenn er etwas anderes als das sogenannte Hotel sehen wollte. Eine halbe Stunde zur Schule, eine halbe Stunde zum Tanzabend am Wochenende, eine halbe Stunde zu Lennies Kneipe, die heutzutage sein einziger Trost war.

Es gab keine Jobs in der Gegend. Es gab aber auch anderswo keine Jobs – das hatte er bei einem missglückten Abstecher nach New York festgestellt. Joey Feddersons einziger Halt im Leben war ein Witz von einem Hotel, in dem seit Jahr und Tag eine Handvoll verschrobener Dauergäste lebte. Und die brachten gerade genug ein, um es dem Besitzer zu ermöglichen, seine Tage im Schaukelstuhl auf der Veranda zu verdösen.

Der Gedanke an Joey Fedderson senior und seinen Schaukelstuhl ließ Joey in betrunkener Wut mit den Zähnen knirschen.

Einen Augenblick blieb er stehen, schwankte von den Ballen auf die Fersen und wieder zurück. Vor ihm begann die schmale Holzbrücke, die in unmittelbarer Nähe des Wasserfalls über den Bluewater Creek führte. Ein windschiefes Schild warnte vor dem Betreten der baufälligen Konstruktion. Joey trat erbittert mit dem Stiefel dagegen – und zuckte zusammen, als ein scharfes Knacken durch das Rauschen des Wasserfalls schnitt.

Das Warnschild war nicht stabiler als der Rest der Brücke.

Dellen und abgeplatzte Farbe verrieten, dass es oft als Zielscheibe für Steinwürfe benutzt wurde. Joey pflegte fast jedes Mal dagegenzutreten, wenn er vorbeikam. Jetzt hatte er einmal zu oft seine Wut an dem unschuldigen Pfosten ausgelassen. Ächzend neigte sich das Schild zur Seite, und mit einem weiteren Tritt beförderte Joey es endgültig über das Geländer in die Schlucht.

Unsicher schwankte er weiter, ohne noch einen Gedanken an den Zwischenfall zu verschwenden.

Die Leute aus der Gegend benutzten die Brücke seit Jahr und Tag trotz ihrer angeblichen Baufälligkeit. Joey, der alte Fedderson und die Hotelgäste konnten gar nicht anders, wenn sie keinen meilenweiten Umweg in Kauf nehmen wollten. Nur die wenigen Touristen, die sich hierher verirrten, nahmen das Warnschild ernst. Dass sie ihrerseits den weiten Umweg machten, um in Feddersons Hotel zu übernachten statt im Bluewater Star, war seit Jahren nicht mehr vorgekommen.

Joey Fedderson zog den Kopf zwischen die Schultern, weil die Gischt des Wasserfalls wie feiner Nebel in der Luft hing.

Immer noch wütend wandte er sich nach rechts, schlug einen schmalen, steil bergauf führenden Weg ein und grübelte dabei über die Ungerechtigkeit der Welt nach.

2

Das offene Tor, die offene Haustür und die Gestalten in der hell erleuchteten Diele hatten Gilbert Lorrimer bereits verraten, dass etwas nicht stimmte.

Wie eine Rakete schoss er aus dem Wagen, noch ehe ihm der Chauffeur den Schlag aufreißen konnte. Hinter ihm stiegen sein Anwalt und sein persönlicher Leibwächter aus, beide in maßgeschneidertem Smoking. Auch Lorrimer hatte seine Figur elegant in Schale gezwängt. Fassungslos stierte er auf das Trümmerfeld, in das sich die Diele und ein Teil des Wohnzimmers verwandelt hatten.

»FBI«, sagte ich. »Ich bin Special Agent Cotton. Das ist mein Partner Agent Decker. Mister Lorrimer, wir ...«

»Der Safe!«, fiel mir der blonde Jüngling aufgeregt ins Wort. »Gil, sie haben den Safe ausgeräumt! Das Geld ist weg, alles! Die ganzen dreihunderttausend ...«

»Shut up!«

Lorrimers Stimme klirrte. Sekundenlang hatte eine Mischung aus Schock und Wut sein Gesicht verzerrt. Jetzt riss er sich eisern zusammen. Klar, er legte keinen Wert darauf, dass wir erfuhren, wie viel Geld er in seinen vier Wänden aufbewahrte. Schließlich wäre er nicht der erste Gangster gewesen, der über seine Steuererklärung stolpert.

Wachsam sah er von einem zum anderen.

»Wer hat meinen Safe ausgeräumt?«, presste er hervor. »Was ist überhaupt los? Wie kommt die Polizei dazu, in mein Haus einzudringen?«

Der Blonde holte Luft, ich stoppte ihn mit einer Geste. »Sie haben jetzt Sendepause. Mister Lorrimer, kommen Sie mit in Ihr Arbeitszimmer und ...«

»Augenblick mal«, schaltete sich der Anwalt ein. »Ich lasse nicht zu, dass mein Mandant hier angesichts einer völlig unklaren Situation überrumpelt wird. Zuerst die Formalitäten, Gentlemen. Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?«

Schweigend zeigte ich ihm das Papier.

Gilbert Lorrimer runzelte so heftig die Stirn, dass seine Brauen fast über der Nasenwurzel zusammenstießen. »Aber wieso ...?«

»Wir sind hier, um einen richterlichen Haftbefehl gegen Ihren Angestellten Ray Garrick zu vollstrecken.« Mir blieb nichts übrig, als mit der Wahrheit herauszurücken, obwohl ich lieber die Verwirrung meines Gegners genutzt hätte. »Da sowohl das Tor als auch die Haustür offen waren, brauchten wir nicht erst zu klingeln«, fuhr ich fort. »Und was weiter geschah, können Sie den Spuren entnehmen.«

Er starrte mich an. »Garrick war gar nicht da. Er wollte nach Manhattan hinüberfahren, sich mit einem Girl treffen.«

»Er war da, Mister Lorrimer. Oder glauben Sie, ein Geist hätte uns mit Handgranaten beworfen, um seinen Rückzug zu decken?«

»Dann ist er entwischt?«

»Entwischt mit einer Tasche voll Geld.« Ich nickte. »Dreihunderttausend Dollar, wie ich gehört habe.«