Jerry Cotton Sonder-Edition 215 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 215 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Chuck Conrad hatte nie die Absicht, seine lebenslängliche Gefängnisstrafe geduldig abzusitzen. Außerdem wurde er draußen noch gebraucht. Als Sprengstoffexperte war er für die übrigen Mitglieder seiner Bande unersetzlich. Der Befreiungsplan war mit militärischer Genauigkeit durchdacht und vorbereitet. Die Stunde X kam, als wohlmeinende Psychologen eine Gruppe von Tanzgirls im Gefängnis auftreten ließen. Mit Blut und Gewalt begann das Ballett in Sing Sing!


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Seitenzahl: 194

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Ballett in Sing Sing

Vorschau

Impressum

Ballett in Sing Sing

Chuck Conrad hatte nie die Absicht, seine lebenslängliche Gefängnisstrafe geduldig abzusitzen. Außerdem wurde er draußen noch gebraucht. Als Sprengstoffexperte war er für die übrigen Mitglieder seiner Bande unersetzlich. Der Befreiungsplan war mit militärischer Genauigkeit durchdacht und vorbereitet. Die Stunde X kam, als wohlmeinende Psychologen eine Gruppe von Tanzgirls im Gefängnis auftreten ließen. Mit Blut und Gewalt begann das Ballett in Sing Sing!

I

Das Leder des Schreibtischsessels knarrte leise, als sich Seamus O'Driscoll zurücklehnte. Er entblößte die Zähne und klemmte den brennenden Zigarillo dazwischen.

»Diesmal wird es der größte Freundschaftsdienst sein, den wir den Leuten in Nordirland je erwiesen haben.«

Der Mann, der O'Driscoll gegenübersaß, verzog das schmale Gesicht zu einem Grinsen. »Hauptsache, die Bezahlung stimmt.«

»Worauf du dich verlassen kannst.«

»Und?«

»Du meinst Einzelheiten?« O'Driscoll nahm den Zigarillo aus dem Mund und betrachtete gedankenverloren den sich kräuselnden Rauch. »Im Grunde ist es ein glücklicher Zufall. Unsere Auftraggeber haben Informationen aus Kanada. Da oben wird in Kürze eine britische Spezialtruppe erwartet, auf einem der militärischen Übungsplätze.«

Der Mann mit dem schmalen Gesicht lachte abgehackt. »Sollen wir etwa mit denen Krieg spielen?«

»Unsinn. Wir blasen den ganzen Verein in den Himmel. Das ist alles. Die Antiterrorspezialisten werden für ihren Einsatz in Ulster nicht mehr zur Verfügung stehen.«

Die Heiterkeit des anderen schwand. »Hör mal, als Witz ist das ganz gut. Aber jetzt komm auf den Teppich zurück. Ich arbeite für dich als Bodyguard, und ich überwache auch mal Waffenlieferungen an die Auftraggeber. Nur du kannst nicht verlangen, dass ich mich mit Sprengstoff oder Bomben oder so was abgebe.«

O'Driscoll piekte mit dem Zigarillo in Richtung seines Gesprächspartners. »Bud, mein Junge, davon war nie die Rede. Deine Kumpels und du, ihr erledigt nur die Vorbereitungen. Und dann ... tja, gegen Spezialisten setzt man einen Spezialisten ein.«

»Da gibt es nur einen, der brauchbar ist. Und der sitzt zurzeit in Sing Sing.«

»Ist das ein Hindernis?«

»Ich kenne kein größeres.«

O'Driscoll beugte sich vor und tippte auf die Zeitung, die im matten Lichtkreis der Schreibtischlampe lag. »Die Wege werden unserem Mann von selbst geebnet.«

Der andere blickte auf die fette Schlagzeile, auf die O'Driscolls gepflegter Zeigefinger wies.

Ballett in Sing Sing!

»Na und?«

»Du wirst schon sehen, Bud. Sie lassen die Puppen ein bisschen tanzen – und die Begleitmusik liefern wir.«

Im abendlichen Blechstrom von Manhattan ist selbst ein Jaguar eine lahme Ente. Gezwungenermaßen. Und gäbe es in meinem roten Flitzer keine gut funktionierende Klimaanlage, so bestünde die erste Feierabendtätigkeit darin, zu Hause sämtliche Kleidungsstücke auszuwringen.

Vermutlich lag es an dem eintönigen Dahinkriechen in der Betonschlucht der Sixth Avenue, dass Phil an diesem Abend auf düstere Gedanken kam.

»Eigentlich ist das unmöglich«, sagte er nach minutenlangem Nachdenken und verfiel sofort wieder in angestrengtes Schweigen.

Zwischen Bremse, Gas und Bremse warf ich ihm einen forschenden Seitenblick zu. Sein Gesicht war ein einziges Zweifeln.

»Wenn deine Überlegungen reif sind für die Öffentlichkeit, lass es mich wissen«, bat ich.

Er sah mich an, als wäre er aufgewacht. »Diese Klimaanlage!«

Ich bereute es im selben Moment, ihn wachgerüttelt zu haben. Wenn mein Freund und Partner über Klimaanlagen nachdenkt, entwickelt er sich zum Nörgler. Für diese Apparate empfindet er ein übersteigertes Misstrauen.

»Der Wagen war erst letzte Woche zur Inspektion«, erklärte ich vorsorglich. »Es ist alles in Ordnung.«

»Das glaube ich«, sagte Phil erstaunlicherweise. »Was ich meine, ist etwas anderes. Sieh dich mal um.«

»Wozu? Den Anblick kenne ich auswendig. Blech und Chrom, so weit das Auge reicht.«

»Und Abgase. Wir haben uns schon so sehr daran gewöhnt, dass wir gar nicht mehr darüber nachdenken. Zum Beispiel über die Frage: Wie kann eine Klimaanlage noch frische Luft erzeugen, wenn sie von außen nichts als verpestete Luft ansaugt? Ist es nicht eher so, dass wir hier drinnen in deinem Jaguar gekühlte Abgase einatmen?«

»Filtersysteme«, sagte ich geduldig.

»Völlig unzureichend«, behauptete Phil. »Bei Großanlagen in Büros und Kaufhäusern funktioniert so etwas vielleicht. Aber in Autos ...«

Das Rufzeichen der Sprechfunkanlage bewahrte mich vor weiteren Gedankenausflügen meines Freundes. Widerwillig klinkte er das Mikro aus der Halterung.

Unser Kollege Joe Brandenburg meldete sich. Er hatte vor einer Dreiviertelstunde die Leitung der Nachtbereitschaft übernommen.

»Ich nehme an, ihr befindet euch noch in Midtown.«

»Stimmt«, antwortete Phil. Der Blick, mit dem er mich bedachte, war ahnungsvoll.

»Sehr gut«, sagte Joe. »Tut mir leid, wenn ich euren Feierabend stören muss, aber ich habe niemanden sonst. Wir haben einen Notruf aus einem Stripteaseschuppen. Nennt sich Southern Star und liegt an der West 47th Street zwischen Eighth und Ninth Avenue. Einer der Wachmänner will einen entflohenen Strafgefangenen im Publikum entdeckt haben. Jefferson Forbes aus Fort Leavenworth. Die City Police ist zur Amtshilfe bereit, besteht allerdings darauf, dass das FBI die Verantwortung übernimmt.«

»Sieht so aus, als könnten wir uns nicht drücken.« Phil seufzte.

»Ich weiß, dass ihr das niemals tun würdet.« Wir konnten Joe regelrecht grinsen sehen.

»Okay, wir sind schon unterwegs. Ende.« Phil schob das Mikro zurück in die Halterung.

Ich pappte das Warnlicht aufs Dach und schaltete dazu die Sirene ein. Trotzdem dauerte es quälend lange Minuten, bis wir uns aus dem Blechgewühl freigekämpft hatten. In der Straßenmitte kamen wir etwas zügiger voran. Bis zur West 47th Street hatten wir noch sechs Häuserblocks vor uns. Eine Weile konnten wir uns Konzert und Lichtorgel also noch leisten.

Dann, als wir nach links abbogen, verwandelte ich den Jaguar wieder in ein stilles Zivilauto. In der 47th Street war der Verkehr weniger dick. Wir überquerten die Seventh und die Eighth Avenue. Ich nahm Gas weg und zog den Jaguar nach rechts. Hinter einem Müllcontainer, der mit Bauschutt gefüllt war, fand ich einen Platz zum Parken.

Das Southern Star war ein ehemaliges Kino, mit einfachen Mitteln für den neuen Zweck umgestaltet. Eine schreierische rote Schrift über dem Eingang verhieß Striptease non-stop. Handgemalte Plakate zeigten wohlgeformte Schönheiten in dürftiger Bekleidung, wie sie die geltenden Vorschriften über Fassadenwerbung eben noch zuließ.

Phil gab an Joe Brandenburg durch, dass wir unser Einsatzziel erreicht hatten. Wir erfuhren, dass ein halbes Dutzend Streifenwagenbesatzungen der City Police im Anmarsch waren und nur auf unseren Einsatzbefehl warten würden.

Ich rüstete mich vorsorglich mit einem Walkie-Talkie aus. Nach der Personenbeschreibung war Jefferson Forbes ein hochgewachsener, schlanker Mann mit schwarzem Haar. Verurteilt zu lebenslänglich, weil er bei einem Banküberfall eine Geisel erschossen hatte. Nach mehreren Jahren guter Führung war er einem Arbeitskommando beim Straßenbau außerhalb von Fort Leavenworth zugeteilt worden. Und er hatte gezeigt, dass er die ganzen Jahre nur auf diese Fluchtchance gewartet hatte.

Phil und ich überprüften unsere Dienstrevolver und kletterten aus dem Jaguar. In dem Stripschuppen herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Wir fielen nicht auf, konnten gut und gern Angestellte oder Verwaltungsbeamte sein, die sich nach Feierabend eine kleine Aufmunterung gönnten.

Nur die Bühne war hell beleuchtet. Ein blondes Girl, noch mit einem eng anliegenden Trikotanzug bekleidet, wirbelte zu einer schnellen Jazzmelodie, die aus den Lautsprecherboxen swingte. Zwischen den Sitzreihen gab es kleine Tische mit gedämpften Lämpchen.

Es wurde geraucht und getrunken. Kurz berockte Serviererinnen nahmen geflüsterte Wünsche entgegen.

In den Seitengängen lungerten Zuschauer, die noch keinen Platz gefunden hatten. Und auch Wachmänner waren anwesend, die in ihren Uniformen ähnlich aussahen wie unsere Kollegen von der City Police. Ein vertrautes Bild in New Yorker Kinos und Etablissements wie diesem.

Bevor wir uns unauffällig an einen der Uniformierten heranschieben konnten, nahmen die Dinge ihren Lauf.

Der Schlussakkord dröhnte aus der Anlage. Federnd verharrte das blonde Girl am vorderen Bühnenrand und badete im Beifall. An die hundert Männer trampelten, klatschten und grölten, dass der Saal bebte.

Die Blondine schnappte sich das Mikro. »Habt ihr noch nicht genug?«

Der ganze Saal brülle einstimmig zurück. »Nein, Baby!«

»Okay, okay, beruhigt euch! Wir machen was Besonderes. Wer von den Gentlemen fühlt sich stark genug, mit mir gemeinsam einen Strip hinzulegen?«

Sekundenlang herrschte Stille. Das Angebot war offenbar atemberaubend.

Ich sah mich um und hatte das Verlangen, einen Fluch auszustoßen. In den Eingängen an beiden Seiten erschienen weitere Uniformen, Cops diesmal. Hölle und Teufel, unsere Kollegen glaubten, dass sie sich auf einem Spaziergang befanden.

Ich stieß Phil an.

Mein Freund und Partner sah, was ich meinte. Er presste die Lippen aufeinander.

Aber es war zu spät, die Cops unbemerkt zurückzuschicken.

Das Publikum tobte jetzt vor Begeisterung. Einen Moment lang glaubte ich, sämtliche Zuschauer würden die Bühne stürmen. Doch einer von ihnen war schneller als alle zusammen.

Hochgewachsen, schlank und schwarzhaarig löste er sich aus einer der vorderen Sitzreihen. Seine Schnelligkeit war nicht nur körperlicher Art. Auch mit seiner Beobachtungsgabe und seiner Reaktionsfähigkeit war er überragend. Der Instinkt des Gejagten beflügelte ihn dazu.

Ich begriff es in dem Augenblick, in dem ich ihn nach vorn springen sah.

»Oh, ein ganz Mutiger!«, rief die Frau am vorderen Bühnenrand. »Na, dann wollen ...« Der Rest ihrer Worte ging trotz Verstärkeranlage im Johlen unter.

Ich reagierte als Erster. Ich ließ Phil hinter mir zurück.

Der Schwarzhaarige war noch zwei Schritte von der Bühne entfernt.

Ich stürmte durch die Gasse zwischen Publikum und Wachmännern. Den Vorsprung konnte ich unmöglich aufholen.

Einer der Wachmänner brüllte etwas. Er griff zum Revolverfutteral, denn er hatte begriffen, wer dort vorn zum Gemeinschaftsstriptease aufbrach.

Mit einem raubtierhaften Satz sprang der Schwarzhaarige auf die Bühne. Die blonde Frau lachte, strahlte und tänzelte ein paar Schritte zurück. Sie klemmte sich das Mikro unter den Arm und klatschte Beifall.

Das Toben des Publikums verstärkte sich. Herdentrieb! Einer von ihnen war bereit, sich zur Schau zu stellen. Alle anderen weideten sich daran und genossen das Schauspiel aus dem Schutz der Masse heraus. Sie hatten noch nicht einmal erfasst, was sich wirklich abspielte.

Ich streckte den rechten Arm aus, als ich den Uniformierten erreichte, der seinen Revolver in Anschlag bringen wollte. Er bemerkte mich aus den Augenwinkeln heraus und blinzelte verwirrt. Welche Katastrophe er mit einem Schuss auslösen konnte, schien ihm nicht klar zu sein.

Der Schwarzhaarige war jetzt bei der Blondine auf der Bühne und ergriff ihre freie Hand. Der Lärm im Saal wollte kein Ende nehmen.

»FBI!«, zischte ich den Wachmann an. »Die Waffe weg!«

Er begriff jetzt, denn auch meine Geste und mein Gesichtsausdruck waren unmissverständlich.

»Das ist Forbes!«, keuchte er.

Ich nickte nur.

Noch vier Schritte trennten mich von der Bühne, als die Boxen losdröhnten. Ein schwüler Slowfox, Hintergrund für den bevorstehenden Strip.

Zwei rasante Schritte schaffte ich noch.

Das blonde Girl wollte das Mikrofon weglegen. Sie wollte sich im Rhythmus winden.

Jefferson Forbes zerstörte die Show im nächsten Sekundenbruchteil.

Ich prallte zurück, wie von einer Eisenfaust gestoppt.

Die Frau schrie auf. Jähes Entsetzen grub sich in ihr hübsches Gesicht, als der Mann sie an sich riss. Blitzartig presste er ihr den Unterarm vor die Kehle. Mit der anderen Hand packte er das Mikrofon. Immer noch dröhnten die Boxen. Nur das Beifallgegröl war verstummt.

Forbes starrte mich an. Das kreidebleiche Gesicht der Frau war neben seinen funkelnden Augen. Ihr Körper, unter dem Trikotanzug eben noch voller jugendlicher Spannkraft, war erschlafft. Der Mann hinter ihr wusste, dass ich ihn fast erwischt hätte. Und er wusste, welche Gefahr ihm von mir drohte.

Die Musik zerrte an den Nerven. Denn das aufreizende Bühnengeschehen, dem sie entsprochen hätte, war nicht mehr vorhanden.

Dann, endlich, nach ewigen Sekunden, wurde es still.

Forbes hob das Mikro an die Lippen. Seine Augen feuerten Blitze auf mich ab.

»Keinen Schritt mehr!«, befahl er. Aus den riesigen Lautsprecherboxen klang es wie das Fauchen eines Tigers. »Und das gilt für sämtliche Cops, die sich eingeschlichen haben. Macht einer hier im Saal eine falsche Bewegung, drücke ich der Kleinen die Kehle zu.«

Ihre Augen flackerten vor Entsetzen. Ein verzweifeltes Flehen lag darin, das mir galt. Sie ahnte, zu welchem Verein ich gehörte.

Ich nickte und ließ es gleichmütig aussehen. Hinter mir waren die Leute so still, dass man glauben konnte, sie atmeten nicht mehr.

»Habe verstanden«, sagte ich so ruhig wie möglich. Die Arme ließ ich hängen, hielt die Hände aber deutlich vom Körper weg. »Und wie soll es weitergehen, Forbes?«

Er zog die Brauen zusammen. Wenn er erschrak, dass ich seinen Namen kannte, so zeigte er es nicht. »Ich muss wissen, mit wem ich verhandeln kann.«

»Mit mir.«

»Tatsächlich? Woher soll ich wissen, dass du nicht irgendein Spinner bist, der sich wichtigmachen will?«

»Mein Name ist Jerry Cotton«, antwortete ich. »Ich bin Special Agent des FBI.«

Er lachte hart und trocken. »Und jetzt glaubst du, dass mich das beeindruckt, was?«

Sein muskulöser Unterarm lag unter dem Kinn der Blondine. Sie hatte schon jetzt Mühe, richtig zu atmen.

Ich schluckte den Spott, ohne mir etwas anmerken zu lassen. Meine Gedanken waren von eiskalter Ruhe erfüllt. In dieser Situation konnte ich mir nicht das geringste Nervenflattern leisten. Ich wog Entfernungen und Zeitbedarf ab. Der Mann stand schräg links von mir, etwas mehr als zwei Schritte vom Bühnenrand entfernt. Bis dorthin hatte ich auch nur zwei Schritte zurückzulegen, und die Bühne war anderthalb Fuß hoch.

Zugegeben, die Chancen für die Stripperin standen schlecht. Aber der Mann, der sie im Würgegriff hielt, besaß offenbar keine Waffe. Er musste sich auf seine Muskeln verlassen.

Das Unwägbare war der Zustand seiner Nerven. Ich konnte nicht abschätzen, wie er reagieren würde. Überhastet? Oder verzögert? Jedenfalls konnte ich die kleine Stripperin mit Worten allein nicht schützen.

Ich schüttete den gesamten Gedankenballast ab. »Wie lauten Ihre Forderungen?«

»Eine Frage, die sich gut anhört«, entgegnete Forbes. Er grinste verkrampft. Sein Gesicht war gerötet. Ein augenfälliger Gegensatz zu der bleichen Hautfarbe der Blondine. »Dann hör mal gut zu! Ich verlange nicht mehr und nicht weniger als meine Freiheit. Dazu brauche ich einen Wagen zum Floyd Bennett Field, wo ihr eine Militärmaschine mit großer Reichweite für mich bereitstellt. Einzige Passagiere sind die kleine Lady und ich. Reiseziel unbekannt.« Wieder ließ er sein Lachen hören.

»Dafür kriegen Sie noch mal Lebenslänglich«, sagte ich. »Denken Sie nach. Wenn Sie jetzt aufgeben, haben Sie noch eine Chance, bei guter Führung vorzeitig entlassen zu werden.«

»Unsinn!«, zischte er. »Komm mir nicht mit Faselei, Mann! Damit erreichst du überhaupt nichts. Die Sache läuft so, wie ich es sage.«

Ich schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.«

Der andere runzelte die Stirn. »He, was soll das heißen, du glaubst es nicht?«

»Das soll heißen, dass ich Ihre Forderungen nicht erfüllen werde. Keiner der Polizeibeamten hier im Saal wird sich darauf einlassen.« Meine Worte hallten in der Stille nach, als sollte ihre Bedeutung dadurch unterstrichen werden.

Die Blondine verdrehte die Augen. Sie musste annehmen, dass ich den Verstand verloren hatte.

»Sag mal«, schrie Forbes, »bist du nicht ganz richtig im Kopf? Das Girl stirbt, wenn ihr nicht mitmacht!«

»Und dann?« Ich lächelte kalt. Durch nichts ließ ich mir anmerken, dass meine Muskeln zum Zerreißen gespannt waren. Ich wandte mich an die junge Stripperin. »Hören Sie, Miss, versuchen Sie jetzt, die Nerven zu bewahren. Ich weiß, dass ich fast Unmögliches von Ihnen verlange. Aber Sie müssen es versuchen. Dieser Mann hat keine Chance, Sie umzubringen. Ich werde schneller sein als er. Vielleicht wird er Ihnen wehtun, vielleicht verlieren Sie auch das Bewusstsein. Doch er kann sie unmöglich töten. Also seien Sie tapfer.«

»He, he, he!« Die Stimme des Schwarzhaarigen überschlug sich. In seinem Gesicht zuckten die Muskeln in der Nähe der Mundwinkel. Seine Nerven gerieten in Panik. »So läuft das nicht, Mann! Willst du das Girl auf dem Gewissen haben? Machst du auch nur einen Finger krumm, drehe ich ihr den Hahn zu, kapiert?«

»Nein«, widersprach ich und ließ einen Bluff folgen. »Denn eine Sekunde später wären Sie selbst tot. Die City Police hat inzwischen Scharfschützen im Saal postiert.«

Seine Augen schienen aus den Höhlen zu quellen, seine Stimme steigerte sich zu schrillen Tönen. »Menschenskind, rede ich denn so undeutlich? Ich bringe das Girl um. Ich bringe sie um, wenn ihr nicht spurt. Mann, hau endlich ab! Ich verhandle nicht mit einem Verrückten. Ich will mit einem reden, der vernünftig genug ist. Ist denn keiner da, der ...?«

»Nein!« Mit dem einen Wort schnitt ich sein Geschrei ab wie mit einem Peitschenhieb.

Sein Kinn sackte kraftlos nach unten. Er stierte mich an.

Ich schnellte los.

Die Schrecksekunde überwand er erst, als ich schon die Bühne erreicht hatte. Der gellende Schrei der Stripperin stach mir in die Ohren. Erst jetzt reagierte Forbes. In seinem Gesicht stand noch immer Fassungslosigkeit, als er zudrückte. Wie in einer Momentaufnahme sah ich die sich anspannenden Muskelstränge seines Unterarms.

Ich überwand die letzten beiden Schritte mit einem Riesensatz.

Der Schrei der Frau erstarb in einem Gurgeln. Ihre Augen kippten hinter die Lider weg.

Forbes wollte zurückweichen und sie mit sich zerren. Er schaffte es nicht.

Aus dem Sprung heraus schmetterte ich die Handkante auf seinen Oberarm, haarscharf neben dem Kopf der Blondine. Die Muskelstränge hingen jäh durch. Unter der Wucht des Hiebs wankte Forbes rückwärts. Sein Entsetzen war größer als der Schmerz. Er konnte mich nur anstarren.

Die Stripperin sank zu Boden. Ich bremste meinen Schwung ab, federte über sie hinweg und machte kurzen Prozess. Nur noch zweimal schlug ich zu. Es krachte dumpf, als Forbes auf den Brettern landete. Die große, weite Welt brachten sie ihm nicht mehr ein. Er hatte sich nicht einmal zur Wehr gesetzt, so schockartig hatte ihn mein Angriff getroffen.

Eine Sekunde später war die Lage unter Kontrolle.

Auf der Bühne wimmelte es plötzlich von Beamten in Uniform. Ein Notarzt, vorsorglich alarmiert, behandelte die bewusstlose Stripperin. Ganz hinten standen ihre Kolleginnen zwischen den Kulissen. Jemand legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich drehte mich um und erkannte Phil.

»Wahnsinn«, sagte er dumpf. Mehr nicht.

Ich nickte und versuchte vergeblich, die Trockenheit in meiner Kehle hinunterzuschlucken. Dann bemerkte ich, dass meine Hände zitterten. Kurz darauf nickte mir der Arzt im Gedränge zu. Erst jetzt war ich beruhigt.

2

Nur der undichte Wasserhahn in der kleinen Teeküche tropfte nervtötend. Sie blickten schweigend in den angrenzenden Raum, wo sie bis eben anstrengende Übungsstunden verbracht hatten. Sonnenstrahlen stachen spitzwinklig durch die gardinenlosen Fenster und ließen den neu versiegelten Parkettfußboden funkeln. Die Stereoanlage war so stumm wie das elektrische Klavier, das Nell Dorson für einen sündhaft hohen Preis bei einem Antiquitätenhändler an Land gezogen hatte.

Das Pfeifen des Kessels durchbrach die Stille.

Nell atmete hörbar ein und aus, stützte die Hände auf die Tischplatte und wollte aufstehen.

Lily Langtry, klein, drahtig und blond, erwachte unvermittelt aus ihren Gedanken, sprang auf und drückte Nell mit einer sanften und beinahe fürsorglich wirkenden Geste auf ihren Platz zurück. »Nein, lass mich das erledigen! Ich muss etwas zu tun haben, und wenn's nur Teekochen ist. Vom Herumsitzen wird man nur noch träger.«

Sie schwang auf dem Absatz herum und eilte mit federnden Schritten in die Küche, von wo im nächsten Moment geschäftiges Geschirrklappern zu hören war.

Nell Dorson lächelte.

Deborah Lane ließ die Handflächen auf den Tisch fallen, dass es klatschte. Dann stand sie mit einem Ruck auf. »Wisst ihr was, Ladys? Ich spendiere uns ein Kuchenpaket. Tee im Alleingang ist mir denn doch zu fade.«

»Miss Lane!«, rief Dixie Maine, die einzige Schwarze in der Balletttruppe, mit strengem Ton. »Ich darf Sie daran erinnern, dass in einer Stunde bereits Mittagszeit ist. Weiter erinnere ich Sie an Ihr Versprechen, bis Ende des Monats zehn Pfund weniger auf die Waage zu bringen.«

»Dixie, ich bitte dich.« Deborah, die schon unter der Portiere zum großen Tanzzimmer stand, verzog schmollend das Gesicht. »Drei Wochen habe ich noch vor mir, und in der letzten Woche habe ich schon zwei Pfund geschafft. In nur einer Woche! Vergiss das bitte nicht.«

»Dafür haben wir dich genug gelobt«, sagte Nell Dorson. »Jetzt kommt die Phase des Durchhaltens. Und nach dem Kuchenpaket sehe ich dich heute Mittag schon vor einer riesigen Pizza Napoletana.«

»Wenn's zu viel wabbelt, wird der beste Bauchtanz unästhetisch«, fügte Dixie Maine hinzu. »Hättest du zu Rubens' Zeit gelebt, wärest du ein gefragter Typ gewesen.«

»Das ist nun wirklich Neid«, fauchte Deborah. »Es gibt auch heutzutage Männer, die sich an einem Brett nicht vergreifen würden.«

Dixie sprang auf. »Wenn du damit sagen willst, dass ich aussehe wie ein ...«

»Schluss jetzt!«, fuhr Nell Dorson energisch dazwischen und konnte sich doch ein Grinsen nicht verkneifen. »Debbie, du holst deinen Kuchen. Dixie, du hütest deine spitze Zunge. Schluss, aus!«

Deborah Lane nickte zufrieden. Sie griff zum Garderobenhaken und marschierte mit beachtenswertem Hüftschwung los. Im Gehen warf sie den leichten Sommermantel über das schwarze Trikot. Ihre Schritte endeten mit dem Quietschen der ewig ungeölten Türangeln.

Ein Wortwechsel folgte. Deborahs Stimme und eine andere Frauenstimme. Dann schwang die Tür wieder auf, und Schritte näherten sich über das Parkett. Unter der Portiere erschien Deborah mit einer Begleiterin.

»Wir haben Besuch«, verkündete Deborah fröhlich. »Eine Kollegin. Ich überlasse sie euch und kümmere mich jetzt um den Kuchen.«

»Danke.« Die junge Frau mit dem schulterlangen jettschwarzen Haar blickte ihr lächelnd nach. Dann wandte sie sich Nell und Dixie zu. »Ich bin eurer Mitstreiterin in die Arme gelaufen, als ich gerade euer Firmenschild studieren wollte.«

»Wir sind ein Kleinunternehmen«, sagte Dixie. »Deshalb ist unser Schild noch nicht so auffällig.«

Lily Langtry spähte neugierig aus dem Küchendurchgang herüber.

»Du gehörst zur Branche?«, fragte Nell Dorson interessiert. »Komm, setz dich.«

»Entschuldigt, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Ich heiße Gabriele Romero.« Sie folgte Nells Aufforderung. Weiße Edeljeans und eine duftige rote Seidenbluse unterstrichen die Biegsamkeit ihres vollendet geformten Körpers. Feine Riemchensandalen mit hohen Absätzen ließen ihre Schritte graziös und federnd wirken.

»Bist du Puerto Ricanerin?«, erkundigte sich Dixie ungeniert.

»Nein, ich stamme aus Spanien. Andalusien, genauer gesagt.«

Lily Langtry, die das Tablett mit dem Teegeschirr hereintrug, stieß einen Pfiff aus.

»Das Land des Flamencos, olé!« Sie stampfte kurz nacheinander mit beiden Füßen auf, dass das schwer beladene Tablett bedrohlich ins Wanken geriet.

»Lily Langtry, unser Wirbelwind«, erklärte Nell. Dann deutete sie auf ihr Gegenüber mit dem dunklen Krauskopf. »Dixie Maine, Expertin für die Zwanzigerjahre, vom Cakewalk bis zum Blackbottom. Und ich bin Nell Dorson.«

»Der Kopf des Unternehmens«, fügte Dixie hinzu.

»Daher die Firmenbezeichnung«, sagte Gabriela mit einem verstehenden Nicken. »Nell's Dancing School. Ich habe über euch in der Zeitung gelesen. Deshalb bin ich hier. Also, ich falle einfach mit der Tür ins Haus. Ich würde gern bei euch mitmachen. Natürlich nur, wenn ihr mich haben wollt. Mit Probezeit und so.«

Nell Dorson zog die Brauen hoch.

Lily Langtry setzte sich und legte das Tablett auf den Fußboden. »Flamenco?«

»Was sonst?«, sagte Dixie Maine im Brustton der Überzeugung. »Wenn man aus Andalusien stammt ...«

Gabriela Romero lachte. Es klang wie das Schwingen einer Glocke. »Genau! Du hast es erfasst, Dixie. Aber ehrlich gesagt, der Flamenco ist mir nicht in die Wiege gelegt worden. Meine Eltern sind einfache Leute und hatten mit der Tanzerei nie etwas im Sinn. Nicht jeder Andalusier ist ein Flamencofan.«

»Und wie kamst du zum Tanzen?«, fragte Nell Dorson.

Die Andalusierin seufzte, öffnete ihre Lederhandtasche und zündete sich eine Zigarette an. Den ersten Zug inhalierte sie tief, dann gab sie sich einen Ruck.

»Also, das war so: Damals in Spanien lernte ich einen Americano kennen, einen G. I. Ich war noch ein junges Ding von neunzehn Jahren und verliebte mich Hals über Kopf in ihn. Zwei Jahre später war seine Dienstzeit auf dem Stützpunkt zu Ende. Ich verlobte mich mit ihm, verließ meine Eltern im Streit und ging mit ihm nach Amerika. Wir lebten eine Zeit lang in Pennsylvania. Dann stellte ich fest, dass mein Americano in seinem Heimatland ein völlig anderer Mensch war.«

»Hm«, machte Nell.