Jerry Cotton Sonder-Edition 218 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 218 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Im UN-Gebäude trafen sich zwei Staatsmänner aus Mittelamerika. Sie wollten einen seit Langem schwelenden Konflikt im friedlichen Gespräch beilegen. Aber eine gefährliche Terrororganisation versuchte um jeden Preis, das Treffen auf blutige Weise zu sprengen. Eine undurchsichtige schöne Frau stand zwischen den Fronten. Sie sollte mir den kalten Kuss des Verrats schenken ...


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Seitenzahl: 175

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Kalter Kuss

I

II

III

IV

V

VI

VII

Vorschau

Impressum

Kalter Kuss

Im UN-Gebäude trafen sich zwei Staatsmänner aus Mittelamerika. Sie wollten einen seit Langem schwelenden Konflikt im friedlichen Gespräch beilegen. Aber eine gefährliche Terrororganisation versuchte um jeden Preis, das Treffen auf blutige Weise zu sprengen. Eine undurchsichtige schöne Frau stand zwischen den Fronten. Sie sollte mir den kalten Kuss des Verrats schenken ...

I

Ich starrte in den Doppellauf der Schrotflinte, der sich nur Inches vor meinen Augen befand. Ich sah dahinter das grinsende Gesicht des Halbbluts, diese bernsteingelben, irrlichternden Augen, und ich wusste, dass ich nur noch Sekunden zu leben hatte.

»Lass die Kanone fallen, Fed!«, stieß Enrique Tomás leiernd hervor. Auf seiner niedrigen Stirn stand dichter Schweiß. Seine großen Zähne glänzten im Licht der knisternden Flammen, die sich mit gieriger Hast durch die Büroflucht fraßen.

Mein 38er schepperte über den betonharten Boden und blieb neben einem Schirmständer liegen. Fern und unerreichbar. Ich war dem Wahnsinnigen ausgeliefert. Er hatte mich erwischt, als ich aus der Deckung in den Vorraum gehechtet war.

Tomás ließ die schwere Waffe einige Inch sinken, presste sie mir gegen den Hals und brüllte gleichzeitig: »Wenn einer deiner Kollegen was versucht, drücke ich ab. Und wenn ich abdrücke, Mann, ist es aus mit dir!«

Ich atmete gepresst aus.

»Sag's deinen Freunden!«, kläffte das Halbblut. »Sag's Ihnen, G-man!«

Ich wagte kaum zu atmen. Meine Nasenflügel bebten. Die Nerven des Killers lagen blank. Es fehlte nur ein Tick und er würde durchgehen wie ein in Panik geratener Gaul. Ich hoffte nur, dass die Kollegen begriffen, was mit ihm los war. Dass er sich wie eine gestellte Ratte in diesem brennenden Haus vorkam und, wenn der Funke das Pulverfass erreichte, unberechenbar handeln würde.

»Okay«, sagte ich, »alles in Ordnung, Enrique. Niemand wird dir was tun. Niemand«, wiederholte ich und versuchte den zitternden Blick des Mannes festzuhalten, der vor wenigen Minuten in rasendem Amoklauf zwei unschuldige Menschen umgebracht hatte.

Er hatte sich in der Nacht voll Stoff gepumpt. Das verschnittene Heroin walzte ihn förmlich nieder. Morgens wachte er mit einem fürchterlichen Affen auf und wollte sich eine frische Nadel setzen. Doch er hatte vergessen, dass er keinen Schuss mehr besaß. Der Affe machte ihn fertig, prügelte den letzten Rest seines Verstands aus ihm heraus und ließ ihn halb wahnsinnig werden.

Brüllend zertrümmerte er sein Apartment. Dabei entdeckte er zwischen den Bruchstücken des Kleiderschranks die Flinte und die Schrotpatronen. Er stürzte sich auf die Waffe, lud sie und rannte, wild um sich schießend, nach draußen, wo er den Streifenpolizisten McGrady, der gerade seinen Rundgang begonnen hatte, niederschoss.

McGrady schleppte sich bis zum Drugstore an der Ecke und konnte noch einen Spruch an seine Dienststelle absetzen. Dann brach er bewusstlos zusammen. Noch ehe die ersten Cops eintrafen, hielt Tomás einen Wagen an, bedrohte die Frau am Steuer mit der Flinte und zwang sie, ihn zum Bronx Park zu fahren. Er hoffte, dort einen Dealer zu finden, dem er den heiß begehrten Stoff abnehmen konnte.

Er fand keinen Dealer. Dafür fand die Polizei ihn. Der Affe in seinem Kopf blähte sich mehr und mehr auf. Tomás schoss auf die Streifenwagen und flüchtete in das schmalbrüstige Bürohaus. In der dritten Etage verschanzte er sich. Zwei Angestellte stellten sich ihm in den Weg. Das war mutig, aber verhängnisvoll. Denn der Amokläufer schoss sie nieder.

Erst eine halbe Stunde nach dem Anruf des Polizisten McGrady wurde das FBI benachrichtigt. Phil und ich klemmten uns in den Jaguar und jagten zur Bronx.

Der Killer hatte die Büroflucht angezündet und sich hinter den Aktenschränken verbarrikadiert.

»Niemand wird mir was tun«, wiederholte der Verbrecher jetzt. »Aber ich werde dich abschießen, wenn du nur zuckst. Hast du verstanden?«

»Klar, ich habe verstanden. Du hast ja die Flinte, Enrique. Und so eine Flinte ist was Fürchterliches«, sagte ich schleppend. Mein einziges Ziel war, ihn am Sprechen zu halten. Wer spricht, schießt nicht.

Er grinste. Er brauchte Stoff. Der Schweiß auf seinem Gesicht verdichtete sich. Ich betete darum, dass keiner der Polizisten einen Fehler beging. Ich hoffte auf Phil, der sich links von mir in eine Nische presste und auf seine Gelegenheit wartete.

»Ich will hier raus«, sagte mein Gegner. »Ich hab 'ne Menge zu tun. Und du musst deinen Freunden begreiflich machen, dass ich hier raus will, Fed!«

»Du hast eine Geisel«, sagte ich heiser. »Mich hast du, Enrique. Du brauchst nichts zu befürchten. Du kannst alles tun, was du vorhast.«

Der 38er lag unerreichbar an der Wand.

Tomás leckte sich über die aufgesprungenen Lippen. Er blickte nach rechts, wo sich Phil befand. Dann starrte er mich an. »Okay, G-man, du setzt dich jetzt in Bewegung. Du marschierst auf die Treppe zu. Langsam und ohne falsche Bewegung. Wenn du einen Trick versuchst, gehst du drauf.«

Die Hitze der Flammen, die aus den Räumen quoll, wurde unerträglich. Sie nahm uns den Atem. Wir mussten raus aus dem Gebäude. Sonst würden wir geschmort werden.

Ich nickte.

»Okay, ich gehe jetzt los«, sagte ich und drehte mich vorsichtig um. Ein übles Gefühl stieg aus der Magengegend in mir auf, als ich den Stahl der Waffe an meinem Hinterkopf spürte.

Tomás kicherte wie ein Irrer.

»Habe noch was Wichtiges vor«, grölte er plötzlich vergnügt. »Bin ein wichtiger Mann, der es euch Scheißern schon zeigen wird.«

Ich entdeckte Phil. Ich sah sein schweißglänzendes Gesicht. Kaum merklich schüttelte ich den Kopf. Seine Ausgangsstellung für einen Überraschungsangriff war zu schlecht.

Phil verstand.

Ich erreichte die Treppe.

Tomás schob sich an mir vorbei. Plötzlich war er vor mir. Ein geschickter Schachzug. Denn nun konnte er mich gegenüber Phil und den City Cops als Schild benutzen.

Er grinste breit. »Niemand legt mich rein, G-man. Niemand! Wir werden gleich einen hübschen, feinen Bullenwagen nehmen und ein wenig spazieren fahren. Hab verdammt keine Lust, eine lausige Kugel in den Bauch zu kriegen. Hab Freunde, die auf mich warten, die genau wissen, wie gut ich bin.«

»Du bist verdammt clever«, schmeichelte ich ihm. »Du hast die Kiste geschickt aufgetan. Du wirst es schaffen.«

Der Affe hatte ihn für einen Augenblick aus dem Griff gelassen. Er war guter Dinge. Mit der Flinte schubste er mich die Treppe hinunter.

Ich wartete auf meine Gelegenheit. Und ich hoffte, dass er mir sagen würde, was er noch zu erledigen gedachte. Immer wieder hatte er von dem »wichtigen Ding« gesprochen, für das er gebraucht werde. Es konnte sich nur um ein Verbrechen handeln, das war eindeutig.

»Willst du eine Bank hochnehmen?«, fragte ich so ruhig wie möglich.

Tomás starrte nach unten in den Treppengang. Er schüttelte den Kopf.

»Ich bin kein Gangster«, knurrte er. »Ich bin Revolutionär.«

»Und du wirst heute die Regierung in Washington stürzen, wie?« Meine Stimme war frei von Spott. Sie klang ganz ernst. So ernst, wie er genommen sein wollte.

Tomás kicherte. »Dazu reicht es noch nicht. Aber ...«

Er wandte den Blick von mir, weil von unten ein Geräusch aufklang. Ich sah sofort die Gelegenheit, tauchte unter den Läufen seiner Flinte weg, sprang auf ihn zu und knallte ihm von unten die Handkante gegen die Kehle.

Der Mann schrie auf. Seine Hände umkrallten die Waffe. Er zog durch.

Donnernd entluden sich die Läufe.

Ich kam hoch. Er starrte mich in plötzlicher Panik an, weil er begriff, dass er sich verschossen hatte. Er riss die Flinte hoch und versuchte, mir den Stahl über den Schädel zu ziehen. Ich wich nach links aus und wuchtete gleichzeitig das linke Bein gegen seine Brust.

Tomás prallte gegen die Wand.

Von oben jagte Phil auf uns zu.

Ich rappelte mich auf, nahm mit der Rechten Maß und knallte sie dem Killer gegen die Schläfe.

Tomás knallte mit dem Schädel gegen die Treppenhauswand, stieß einen schrillen Schrei aus und brach wie ein nasser Sack zusammen.

Ich atmete befreit auf und suchte nach einem Taschentuch, um mir die aufgerissenen Knöchel abzuwischen. Phil ließ die Handschellen um die Gelenke des Gangsters klicken. Von unten wurden Schritte laut. Polizei und Feuerwehr rannten auf uns zu.

Ich lehnte mich gegen die Wand und blickte auf den überwältigten Gangster hinab. Seine Worte, er sei ein Revolutionär, gingen mir nicht aus dem Kopf.

»Wir sollten seine Wohnung, falls sie sich feststellen lässt, untersuchen«, schlug ich vor.

Phil sah mich fragend an.

Ich hob die Schultern. »Er faselte immer was von dickem Ding und Revolution. Möglich, dass er zu einer dieser kleinen Organisationen gehört, die in letzter Zeit wieder von sich reden machen.«

Phil nickte. Er durchsuchte die Taschen des Bewusstlosen und fand tatsächlich eine Brieftasche. Auf dem Führerschein war die Adresse vermerkt, die Jefferson Street in der Bronx. Eine üble Gegend, in die man sich ohne Begleitschutz selbst am Tag nicht hineinwagen konnte.

Wir überließen die weitere Arbeit unseren Kollegen und machten uns auf die Socken.

Eine halbe Stunde später erreichten wir das Haus. Es glich eher einer Ruine als einem bewohnbaren Gebäude. Die Tür des Apartments war nur angelehnt. Im Inneren fanden wir eine Trümmerwüste vor. Es roch nach Fusel und Schweiß.

Angewidert machten wir uns an die Durchsuchung. Wir fanden einen Plastikbehälter, in dem gut sechs Pfund Sprengstoff untergebracht waren, und auf einem Zettel die unscheinbare Notiz: 9 Uhr. Guillermo anrufen!

Phil sah mich an.

Ich hob die Schultern. »Wahrscheinlich irgendeine Verabredung, die er nicht vergessen wollte.«

»Wahrscheinlich«, meinte auch mein Freund. »Es ist 9:10 Uhr, Jerry. Um spätestens zehn müssen wir im United Nations Plaza Hotel sein, um diese Konferenz zu sichern.«

Das war richtig. Es war unserer Regierung gelungen, die in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelten Parteien eines mittelamerikanischen Staats endlich an den Verhandlungstisch zu bringen. Heute sollte im United Nations Plaza Hotel die Vorverhandlung abgeschlossen und der Waffenstillstand vereinbart werden. Neben Sicherungskräften der Regierung waren auch wir abgestellt worden, die Pressekonferenz abzuschirmen, nachdem eine ernst zu nehmende Attentatswarnung eingegangen war.

Wir gingen nach unten. Vom Jaguar aus riefen wir unser Hauptquartier an und baten um die Abstellung von Kollegen, die sich die Behausung von Enrique Tomás näher ansehen sollten.

Wir ahnten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass wir durch Zufall auf die Spur eines Verbrechens gestoßen waren, das die gesamte Welt in Atem halten sollte ...

United Nations Plaza Hotel, 10:20 Uhr

Unsere Spezialisten untersuchten das Rednerpult auf versteckte Sprengkörper, als unser Chef John D. High den Presseraum betrat. Sein Gesicht war ernst. Ein Zeichen dafür, dass er die Warnung, die uns am Vortag erreicht hatte, nicht auf die leichte Schulter nahm. Gegen die Teilnehmer der Waffenstillstandskonferenz sollte ein Attentat erfolgen. Offensichtlich wollten irgendwelche Gruppen die Einigung zwischen den verfeindeten Parteien unter allen Umständen verhindern.

Mr. High trat auf uns zu. Er war bereits über den Zwischenfall mit Enrique Tomás vom Morgen informiert.

»Wie sieht es aus?«, fragte er leise.

»Wir haben jede Fuge und jeden Nagel untersucht, Sir«, gab ich zurück. »Ich hoffe, dass wir nichts übersehen haben.«

»Das hoffe ich auch«, sagte er bedrückt. Die Verantwortung, die wir alle für das Gelingen der Konferenz trugen, lastete schwer auf ihm. »Sie wissen ja, was von diesen Verhandlungen abhängt.«

Wir waren uns im Klaren darüber, was auf dem Spiel stand und von den Menschen abhing, die in einem Nebenraum mit der Schlussformel rangen, die endlich Ruhe und Frieden für das gequälte Land bringen würde. Wir wussten außerdem, dass es auf beiden Seiten im Kampf um die Macht in Mittelamerika Interessenten gab, die nichts lieber als das Scheitern der Verhandlungen wünschten. Wir besaßen sichere Informationen, dass ausländische Geheimdienste starken Einfluss auf die Aufständischen genommen hatten. Agenten waren bis in die Spitze der Guerilla vorgedrungen.

Die Regierung in Washington hatte die verfeindeten Parteien dazu gebracht, den Weg der Vernunft zu beschreiten. Ein erster, wichtiger Schritt war diese Konferenz, die wir abzusichern hatten.

10:49 Uhr

Unsere Techniker zogen sich zurück. Der Haupteingang wurde von Angehörigen des Washingtoner Sicherheitsdienstes besetzt, die die Kontrolle der bereits ungeduldig wartenden Presse- und Fernsehleute übernehmen wollten. Sie alle waren mit winzigen Ohrhörern ausgerüstet, über die sie ihre Anweisungen erhielten. Sie trugen Jacken von besonderem Schnitt. Dennoch ließen sich die Waffen ahnen, die sie unter den Achseln trugen.

11:00 Uhr

Die Nebentür am Kopfende des Saals wurde aufgestoßen. Ein hoch aufgeschossener Südamerikaner schob sich herein. Er wurde sofort von Sicherheitsbeamten umringt.

»Es dauert noch etwas«, sagte er in kehligem Englisch. »Wir haben mit zehn Minuten Verspätung zu rechnen, bis die Delegationsleiter erscheinen.«

Er verschwand und hinterließ gespannte Nervosität.

Aus dem Hintergrund schnitt die harte Stimme eines Washingtoner Beamten durch den Raum. »Unter Umständen platzen die Verhandlungen!«

Bitterkeit schwang in den Worten mit. Der Mann befürchtete wohl, Ricardo Cots, der Abgesandte und Verhandlungsführer der Guerilla, könnte noch im letzten Moment auf Weisung seiner Organisation einen Rückzieher machen und die vor dem Abschluss stehenden Waffenstillstandsverhandlungen sabotieren.

Die Spannung wuchs, auch im Vorraum, wo sich bereits gut zwei Dutzend Journalisten und Fernsehmänner versammelt hatten. Erregte Stimmen klangen bis zu uns durch.

11:01 Uhr

Mr. High und Steve Dillaggio kehrten zurück.

»Es geht um ein Wort«, erklärte er. »Die Regierungsseite will, dass sich die kämpfenden Verbände auf die Linien zurückziehen, die sie bei Beginn der Verhandlungen eingenommen hatten. Die Guerilla dagegen besteht darauf, dass die jetzigen Positionen als Ausgangslage betrachtet werden. Unser Vertreter aus Washington sucht verzweifelt nach einem Kompromiss, um die Verhandlungen nicht in letzter Sekunde scheitern zu lassen.«

»Also harter Poker«, warf Phil ein.

»Unter Umständen. Möglich aber auch, dass die Guerilla die Zeit der Verhandlungen genutzt hat, um sich zu verstärken.«

11:03 Uhr

Carmen Delgado ließ den weißen Hörer auf die Gabel des Telefonapparats fallen, nahm die halb gerauchte Zigarette aus dem Ascher und schob sie sich zwischen die sinnlichen Lippen. Ganz langsam wandte sie sich um.

Rafael Ribeira saß auf der Bettkante des luxuriös eingerichteten Raums, hielt ein Whiskyglas in den Händen und nahm einen Schluck. Er konnte die Blicke nicht von dieser jungen Frau wenden, die sich mit der Geschmeidigkeit eines Raubtiers auf das große Fenster zubewegte, davor stehen blieb und gedankenvoll hinaussah.

Tief unter ihr lag das trichterförmig erstellte General Assembly Building. Klotzig ragte der Turm des UN-Gebäudes in den Himmel. Im Hintergrund war der East River, auf dem ein Frachter eine schäumende Kiellinie hinterließ. Der Himmel war grau verhangen. Große Schneeflocken fielen herab und stürzten ins Bodenlose.

Plötzlich wandte sich die Frau um.

»Sie sind noch nicht zum Abschluss gekommen«, sagte sie rauchig. »Die Imperialisten suchen nach einem Dreh, ihre Positionen zu verbessern. Doch es wird nicht mehr lange dauern.«

Rafael Ribeira spürte die Nässe in seinen Händen. Er stand unter Hochdruck und hatte das Gefühl, von heftigen Stromstößen durchzuckt zu werden. Seine Lider flatterten. Nur allzu gern hätte er sich voll Whisky gepumpt, um der inneren Unruhe Herr werden zu können, die ihn seit Betreten des United Nations Plaza Hotel im Griff hielt. Doch Carmen Delgado hatte ihm nur einige Schlucke des beruhigenden Stoffs zugebilligt und darauf bestanden, dass er die Aktion klaren Kopfes ausführte.

Nach Betreten des Hotels waren sie mit dem Aufzug in den vierundvierzigsten Stock gefahren und hatten dieses Zimmer betreten, in dem sich zwei ihm unbekannte Männer befanden. Carmen Delgado sicherte die Tür, während die Männer ohne Umschweife darangingen, ihm die Ausführung des Attentats zu erklären.

»Du kennst unsere Gesichter, Hombre«, sagte der ältere. »Du wirst uns unten vor dem Presseraum finden. Wir sind Angehörige eines Fernsehteams, das ursprünglich aus drei Personen bestand. Du nimmst die Stelle der dritten ein, wirst aber erst dann zu uns stoßen, wenn die US-Sicherheitskräfte den Presseraum freigeben. Du wirst diese Kamera dort mitbringen.«

Der Mann deutete auf eine in einem Koffer liegende 16-Millimeter-Kamera, hob sie dann heraus und nahm sie an die Schulter. »Es handelt sich um ein gängiges deutsches Modell, das von vielen Fernsehanstalten benutzt wird. Das hier hat jedoch den Vorzug, nicht nur Film zu belichten, sondern auch zu schießen.«

Er grinste und drückte einen Verschlussknopf. Die Seitenschale der Kamera sprang auf und gab das Innere des Geräts frei. Auf den ersten Blick war nicht zu erkennen, was für eine mörderische Waffe sich darin verbarg. Es sah wie eine ganz normale Kamera aus und würde auch einer oberflächlichen Prüfung standhalten. Lediglich ein fingerstarkes Stahlrohr erwies sich als Fremdkörper.

Es handelte sich um den Lauf des raffiniert eingebauten Schussapparats.

Rafael Ribeira war beeindruckt. In jenen Sekunden hatte er das Gefühl, die Sache heil durchstehen zu können. Sie hatten an alles gedacht. Die Tarnung würde selbst vom misstrauischsten Sicherheitsagenten nicht durchschaut werden. Als Kameramann getarnt, würde er dicht an sein Opfer herankommen und es unweigerlich töten.

»Es wird noch nicht mal knallen«, erklärte der zweite Mann. »Wir haben einen Schalldämpfer mit eingebaut.«

Sie erklärten ihm das heimtückische Mordinstrument in allen Einzelheiten, bildeten ihn konzentriert daran aus und bläuten ihm jeden Fingerdruck ein, der zur Bedienung nötig war. Sie exerzierten ihm jeden Schritt vor, den er zu gehen hatte. Als sie endlich abzogen, wäre Rafael Ribeira in der Lage gewesen, das Attentat mit geschlossenen Augen hinter sich zu bringen.

Was ihn nervte, war die Verzögerung durch die verschleppten Verhandlungen.

Er trank den Rest des Whiskys und erhob sich. Er ging auf Carmen Delgado zu, zündete sich eine Zigarette an und stellte erneut die entscheidende Frage. »Ihr habt mir erklärt, dass nichts schiefgehen kann. Ihr habt mir meinen Fluchtweg beschrieben. Was geschieht, wenn ich es nicht schaffe? Wenn ich von den Sicherheitsbeamten überwältigt werde? Immerhin bin ich ihnen hilflos ausgeliefert, wenn die Kugel verschossen ist.«

Carmen Delgado lächelte ihn an.

»Angst?«, fragte sie, während ihre Hände seine Schulter berührten.

»Keine Angst, nur Neugier«, gab Ribeira zurück. Seine Handflächen wurden feucht. Diese Frau mit ihrer überwältigend sinnlichen Ausstrahlung drohte ihm den Verstand zu rauben.

Sie streichelte seine Wange. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Rafael. Selbst wenn man dich verhaften sollte, ist vorgesorgt. Wir haben alles in die Wege geleitet, um dich wieder freizubekommen. Alles!«

»Werden wir uns wiedersehen?«

Carmen näherte sich ihm. Ihre Lippen bewegten sich auf seinen Mund zu. Ribeira schloss die Augen. Seine Hände zitterten.

»Ja, wir werden uns wiedersehen«, sagte die Frau flüsternd. »Wenn du es willst«, fügte sie kaum hörbar hinzu.

Ribeira stöhnte gequält auf. »Das ist wahr?«

»Ja«, sagte sie ernst, um dann hart weiterzusprechen. »Aber nur dann, wenn du deine Sache gut machst. Wenn du Ricardo Cots tötest, Amigo!«

Ribeira nickte. »Ich werde es schaffen. Ich werde ...«

Seine Stimme wurde vom Klingeln des Telefons zerschnitten. Carmen Delgado nahm ab und meldete sich.

»Bueno«, sagte sie dann aufatmend, legte auf und wandte sich Ribeira zu. »Es ist so weit. Nimm den Koffer mit der Kamera, Amigo. Und ...« Sie hielt inne, griff nach seiner Hand und drückte sie. Drängend mahnte sie: »Denk daran, was für uns auf dem Spiel steht!«

»Ihr könnt euch auf mich verlassen«, gab er zurück, nahm den Koffer auf, in dem sich das Mordwerkzeug befand, ging zur Tür und hinaus.

Die Tür fiel ins Schloss.

Rafael Ribeira erreichte kurz darauf das dreiundvierzigste Stockwerk. Er wandte sich nach rechts, hörte Stimmengemurmel und befand sich unerwartet in einer mittelgroßen Vorhalle, die von Presse- und Fernsehleuten überquoll.

Er brauchte fünf Sekunden, bis er die Männer fand, die ihn oben im Zimmer eingewiesen hatten. Der ältere nickte ihm zu. Ribeira kam heran. Im selben Augenblick wurde die große Schiebetür zum Presseraum aufgezogen.

»Okay«, sagte der Sicherheitsbeamte an der Tür. »Es geht los.«

Ribeiras Herz schlug wild, als er entdeckte, dass die ersten Journalisten und ihr mitgebrachtes technisches Material einer gründlichen Prüfung unterzogen wurden. Er begann zu schwitzen. Am liebsten wäre er geflüchtet. Doch er blieb.

Unaufhaltsam schob sich die Reihe der Berichterstatter auf den Eingang zu. Nicht jeder wurde kontrolliert. Man machte nur Stichproben.

Jetzt war Ribeira an der Reihe.

Der hoch aufgeschossene CIA Agent musterte ihn streng, nickte. »Okay, die Kamera bitte.«

Ribeira wurde blass. Sein Mund öffnete sich wie zum Schrei. Der CIA-Mann legte die Kamera auf den Untersuchungstisch und tastete Ribeira ab.

»Okay«, sagte der Beamte wieder.

Ribeira setzte sich in Bewegung. Dann blieb er abrupt stehen und griff nach der Kamera.

Er war durch!

Seine beiden Komplizen warteten in der Nähe des Eingangs.

»Ruhig bleiben«, sagte der ältere lächelnd. Er schlug ihm auf die Schulter und führte ihn zur vordersten Sitzreihe, an die Stelle, wo die Rednertribüne aufgebaut war.

Ribeira stellte den Koffer auf einen der Stühle und öffnete ihn. Das Mordinstrument, das er wenige Sekunden später heraushob, vermittelte ihm das Gefühl großer Sicherheit. Er wusste plötzlich, dass er seiner Aufgabe gerecht werden würde.

11:13 Uhr

Die Blicke der rund vierzig in- und ausländischen Journalisten richteten sich auf den unscheinbaren Nebeneingang, durch den jeden Augenblick die Delegationsleiter eintreten mussten – wenn endlich das geschah, was seit Stunden als mögliche Sensation in den Redaktionen gehandelt wurde, der Abschluss der Vorverhandlungen über den Waffenstillstand zwischen den Aufständischen und der Nationalregierung.

Jedem einzelnen der Anwesenden war klar, was ein Scheitern der Verhandlungen bedeutete.

11:14 Uhr

Die Nebentür flog auf.

Als Erster stampfte »El Comandante« Ricardo Cots in den Saal. Sein Gesicht war schweißnass. Die Augen blitzten den Journalisten drohend entgegen. Er trug eine verschwitzte, unter den Achseln dunkel verfärbte Kampfuniform und am Gürtel eine schwere sowjetische Pistole. Sein bärtiges Gesicht war zur Maske verzerrt. Seine Glatze spiegelte die plötzlich aufflammenden Scheinwerfer wider. Als er die Kameras auf sich gerichtet sah, huschte ein Lächeln über seine harten Züge. Ein Lächeln, dessen bitteren Ausdruck nur die neben ihm stehenden Männer erkannten.