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Es begann als Scherz - und endete blutig. Zuerst wurden nur ein paar Mitläufer der Mafia erpresst. Dabei ging es um lächerlich geringe Summen. Auch wir vom FBI wussten nicht, was wir davon halten sollten. Aber dann starb einer der großen Bosse. Der Krieg um seine Nachfolge begann - und es wurde ein Krieg, wie wir ihn noch nie erlebt hatten. Denn außer den harten, skrupellosen Gangsterbossen spielte noch jemand mit: das Wunderkind der Mafia!
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Seitenzahl: 157
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Wunderkind der Mafia
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Vorschau
Impressum
Wunderkind der Mafia
Es begann als Scherz – und endete blutig. Zuerst wurden nur ein paar Mitläufer der Mafia erpresst. Dabei ging es um lächerlich geringe Summen. Auch wir vom FBI wussten nicht, was wir davon halten sollten. Aber dann starb einer der großen Bosse. Der Krieg um seine Nachfolge begann – und es wurde ein Krieg, wie wir ihn noch nie erlebt hatten. Denn außer den harten, skrupellosen Gangsterbossen spielte noch jemand mit: das Wunderkind der Mafia!
Die Tür des Luxusrestaurants flog unter der Wucht eines Fußtritts auf.
Erschrocken fuhr der befrackte Geschäftsführer herum. Gäste wandten die Köpfe. Fassungslos starrten sie den grauhaarigen Mann an, der sekundenlang geduckt verharrte. Eine schwere Pistole lag in seiner Faust. Sein Blick zuckte suchend hin und her.
»Cerutti!«, schrie er auf. »Du verdammter, dreckiger Bastard!«
Keuchend stürmte er auf einen der Tische zu. Der Mann, der dort gerade den Löffel in seine Schildkrötensuppe tunkte, riss erschrocken die Augen auf. Einen Herzschlag lang war er wie gelähmt. Dann handelte er blitzartig, rutschte vom Sitz und tauchte unter den Tisch in Deckung.
Seine Begleiter sprangen so heftig auf, dass die Stühle umkippten. Die Bewegung, mit der sie unter ihre maßgeschneiderten Dinnerjackets griffen, wirkte wie einstudiert. Waffenstahl schimmerte.
Der Mann, der in das Lokal gestürzt war, drückte aus vollem Lauf ab. Gleichzeitig feuerten die beiden Bodyguards. So schnell, dass sich die drei Schüsse zu einem einzigen schmetternden Krach mischten.
Die Kugel des Grauhaarigen schlug wirkungslos in die goldfarbenen Wanddraperien hinter dem Tisch.
Der Mann prallte zurück, als wäre er gegen eine Mauer aus Glas gelaufen. Seine Schusshand sank herab. Mit einem Ausdruck törichten Staunens in den Augen sah er an sich hinunter. Er starrte auf die beiden roten Flecke in Höhe des Herzens, die sich rasch vergrößerten. Er schwankte. Ächzend krümmte er sich nach vorn. Dann brach er wie vom Blitz gefällt zusammen.
Das alles war so schnell gegangen, dass noch eine volle Sekunde verstrich, bis die ersten erschrockenen Schreie gellten.
Kurz nach zehn Uhr abends schrillte in unserem Office das Telefon.
Mein Freund und Partner Phil Decker griff zum Hörer.
»Hallo, Easton«, grüßte er. »Geht's mal wieder nicht ohne das FBI?«
Detective Lieutenant Harry Easton leitet eine Mordkommission und ist ein alter Freund von uns. Ich klappte den Aktendeckel zu, der vor mir lag. Wir hatten Nachtdienst und nutzten die Gelegenheit, um Papierkram aufzuarbeiten, bevor wir uns im Bereitschaftsraum auf die Feldbetten warfen.
Jetzt sah es so aus, als sollten die Feldbetten in weite Ferne rücken.
Phils Brauen kletterten, während er zuhörte. Er pfiff leise durch die Zähne. »Das ist ja ein dicker Hund! Okay, wir sind schon unterwegs.«
Kopfschüttelnd warf er den Hörer auf die Gabel.
Ich widmete ihm einen wütenden Blick. »Würdest du mir vielleicht mal erklären, was los ist?«
»Der Teufel ist los«, sagte Phil trocken. »Vor zwanzig Minuten haben zwei von Dino Ceruttis Leibwächtern in einem öffentlichen Lokal in der Downtown einen Mann erschossen.«
»Nein«, sagte ich.
»Doch, Partner! Und der Witz dabei ist, dass dieser Mann versucht hat, in besagtem öffentlichem Lokal Cerutti abzuknallen. Eindeutig Notwehr also! Aber was dahintersteckt, müsste eigentlich so heiß sein, dass sich ein paar von den ehrenwerten Herrschaften hoffentlich die Finger daran verbrennen.«
Ich fischte bereits den Autoschlüssel aus der Tasche.
Während wir uns beim Leiter des Bereitschaftsdienstes abmeldeten und nach unten fuhren, wirbelten meine Gedanken. Dino Cerutti ...
»Don« Dino ließ er sich von seinen Leuten nennen, obwohl er genau genommen gar nicht zu den Oberhäuptern der großen Mafiafamilien zählte. Er war sozusagen ein Ableger. Ein Mann, dem man wegen seiner Talente und Verdienste eine eigene, wenn auch nicht sonderlich große Organisation samt Bezirk zugestanden hatte.
Er machte etwas daraus. Allein von den Gewinnen aus Rauschgifthandel, Prostitution und Schutzgeldern, die seine paar Straßenzüge abwarfen, hätte er sich seinen Lebensstil nicht leisten können. Er musste neue, andere Verdienstquellen aufgetan haben. Quellen, für die sich die Polizei naturgemäß brennend interessierte.
Und jetzt hatte jemand versucht, ihn umzubringen.
Der Tatort hieß Whistler's, ein teurer französischer Feinschmeckertempel. Dass Cerutti mit Anhang dort einmal wöchentlich zu speisen pflegte, war allgemein bekannt. Jetzt parkten die Fahrzeuge der Mordkommission vor dem Lokal, und ein uniformierter Cop stand am Eingang. Ich nahm an, dass der Geschäftsführer angesichts solchen Unbills dem Herzinfarkt nahe war.
Tatsächlich lehnte er bleich und ermattet am Büfett, wo auf großen Silbertabletts winzige Delikatessen kalt wurden, weil niemand mehr servierte. Im Ruheraum für die Angestellten führte Detective Sergeant Ed Schulz, der stellvertretende Leiter der Mordkommission, erste Vernehmungen durch. Die Gäste saßen schweigsam an ihren Tischen und warteten, bis sie an der Reihe waren.
Mit der Leiche beschäftigte sich der Polizeiarzt. Ich kannte den Toten nicht. Er war etwa fünfzig Jahre alt, schlank und grauhaarig, gut gekleidet, eine gepflegte Erscheinung. Jedenfalls wenn man von den beiden Kugellöchern absah, die dicht nebeneinander in Höhe des Herzens lagen.
Harry Eastons Gesicht wirkte verkniffen, als er auf uns zukam.
Cleary wird der Lieutenant im Präsidium genannt, weil er angeblich jeden Mordfall aufklärt. Eine kollegiale Übertreibung, sicher. Aber Tatsache ist, dass seine Aufklärungsquote deutlich höher liegt als der Durchschnitt. Jetzt strahlte er Gereiztheit aus. Vermutlich erschien ihm die Sache zu glatt, um wahr zu sein.
»Sieht nach Notwehr aus«, sagte er. »Sämtliche Zeugen bestätigen, dass der Tote mit gezogener Pistole hereinstürmte – als er noch lebte natürlich. Er ist sogar zum Schuss gekommen. Also alles glasklar. Cerutti ging unter dem Tisch in Deckung, seine beiden Bodyguards sprangen auf und schossen.«
Bei den letzten Worten hatte sich Easton halb umgedreht. Er zeigte zu der Nische, wo Dino Cerutti gespannt wie eine Bogensehne am Tisch kauerte. Sein Anwalt stand neben ihm, offenbar einer von der ganz schnellen Truppe. Auf dem Stuhl ihm gegenüber lehnte ein hartgesichtiger Bursche mit flachen, ausdruckslosen Augen. Der dritte Stuhl war leer.
»Wo steckt der zweite Gorilla?« fragte ich.
Harry Easton sog scharf die Luft ein. Statt zu antworten, fluchte er.
Brad Logan spürte ein kühles Prickeln im Genick.
Er hatte einen unbewachten Augenblick genutzt, um aus dem Lokal zu verschwinden. Jetzt stand er in dem düsteren Flur, der zur Hintertür führte, presste den Telefonhörer ans Ohr und wählte.
»Ja?«, meldete sich eine Stimme, die infolge einer Kehlkopfverletzung wie erkältet krächzte.
»Logan hier. Hör zu, du musst einen Job erledigen. Brandeilig! Also sperr die Ohren auf, ich kann nicht lange sprechen.«
Im Flüsterton erklärte er, worum es ging. Jeden Augenblick erwartete er, dass sich die Verbindungstür zum Restaurant öffnete, weil man den zweiten Bodyguard vermisste. Dann würde er es verdammt schwer haben, eine überzeugende Erklärung zu finden.
»Verstanden?«, fragte er nach ein paar Sekunden.
»Verstanden«, bestätigte die krächzende Stimme. Brad Logan legte den Hörer auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Rasch wandte er sich um. Mit drei Schritten erreichte er die Nische, an der die Toiletten lagen, und atmete tief auf, als die Tür mit der Aufschrift Gentlemen hinter ihm zufiel.
Lautlos wie von Geisterhand bewegt, schwangen die Flügel des schweren schmiedeeisernen Tors auseinander. Sie wurden mithilfe elektronischer Impulse geöffnet. Entweder von der Villa aus oder von den Fahrzeugen des Wagenparks. Im zweiten Fall leuchtete auf einem Monitor im Haus ein Kontrolllämpchen auf, das genau anzeigte, welcher Wagen das Tor passierte.
Diesmal nicht. Es gab gar kein Auto, das hinein- oder hinauswollte. Sie duckte sich in den Schatten des massiven Bruchsteinpfeilers und lächelte mit funkelnden Augen.
Ein paar Sekunden wartete sie. Dann huschte sie durch das Tor. Automatisch schloss es sich hinter ihr. Auf der breiten, gepflegten Villenstraße herrschte abendliche Stille. Sie schob die Hände in die Tasche ihrer modisch weiten Leinenjacke und ging eilig an der endlos langen Bruchsteinmauer vorbei.
Fünf Grundstücke weiter stand eine Telefonzelle im Schatten einer winzigen Grünanlage.
Sie huschte durch die Tür und wandte der Straße den Rücken. Rasch warf sie einen Dime in den Zahlschlitz und wählte. Es dauerte eine Weile, bis am anderen Ende der Leitung abgehoben wurde. Musik und Gelächter drangen durch die Leitung, typische Partygeräusche.
»Ja bitte?« fragte eine helle Stimme.
»Hallo, Jill! Michela hier. Hat jemand nach mir gefragt?«
»Niemand«, kam die Antwort. »Nur Lauro ist sauer, weil du nicht gekommen bist.«
Michela lachte dunkel.
»Mit Lauro komme ich schon klar«, sagte sie. »Vielen Dank, Jill. Bis dann!«
Michela legte den Hörer auf und verließ die Telefonzelle. An der Straßenecke blieb sie stehen und nestelte eine Zigarette aus der Tasche. Dreimal ließ sie rasch hintereinander das Feuerzeug aufflammen. Die Zigarette warf sie unangezündet in den Rinnstein. Ein paar Sekunden musste sie warten. Dann rollte von links ein unauffälliger dunkler Wagen heran und hielt.
Michela glitt auf den Beifahrersitz. Der Wagen startete sofort wieder. Erst jetzt zündete sie sich tatsächlich eine Zigarette an. Lächelnd beobachtete sie den Mann am Steuer.
Chris Gontram lenkte den Wagen in schnellem Tempo nach Norden. Er war groß und breitschultrig, ein kräftiger Mann mit krausem dunkelblondem Haar, grauen Augen und unregelmäßigen Zügen.
Nach zwei Meilen bog er rechts ab, hielt an und setzte rückwärts in den Fußweg eines verwilderten Parks. Die Scheinwerfer erloschen. Michela kurbelte die Seitenscheibe ein Stück herunter und schnippte die Zigarettenkippe nach draußen.
»Michela ...«, sagte Gontram heiser.
Sie rückte an ihn heran, noch ehe er nach ihren Schultern greifen konnte. Ihre Augen blieben weit geöffnet.
Chris Gontram keuchte und küsste sie. Es kostete ihn Überwindung, sich von ihr zu lösen.
»Du bist doch ein Luder«, murmelte er. »Ein verdammtes, unwiderstehliches Luder! Ich möchte dich ...«
»Nicht hier! Stell dir vor, jemand zeigt uns wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses an, und mein Vater würde es erfahren!«
Michela lachte bei den Worten. Chris Gontram konnte nicht lachen. Fahrig griff er nach einer Zigarette und sog den Rauch in die Lungen.
»Kommst du mit ins Hotel?« fragte er.
»Lieber nicht. Ich muss noch bei Jill und Lauro vorbeischauen, damit alles echt wirkt und ...«
»Lauro!«, wiederholte Gontram verächtlich.
»Mir gefällt er«, sagte Michela und wusste, dass sie damit das Messer in einer offenen Wunde umdrehte. »Wir sehen uns dann später, okay?«
»Okay.« Gontram nickte. »Sei vorsichtig!«
Geschmeidig stieg Michela aus dem Wagen. Minuten später winkte sie ein Taxi heran und nannte die Adresse ihrer besten Freundin, die mit einer bunten Clique aus dem College heute Abend eine Party feierte.
Ich spürte Dino Ceruttis Blick wie eine Berührung.
Der Mafioso war groß, schlank, scharfzügig – ein granitharter Typ, der die Maske kultivierter Eleganz jederzeit wie einen alten Mantel abstreifen konnte. Silbrige Strähnen durchzogen sein schwarzes, glatt an den schmalen Schädel gekämmtes Haar.
Den Schock hatte er verdaut. Jetzt glitten seine Augen aufmerksam von einem zum anderen. Flache, ausdruckslose Reptilienaugen, nur ganz kurz von einem Funken verborgenen Triumphs erhellt.
Er hatte bemerkt, dass wir den zweiten Gorilla vermissten.
Zu spät vermissten, das glaubte ich jedenfalls dem Blick des Mafioso zu entnehmen. Und das hieß, dass der Bodyguard einen triftigen Grund gehabt haben musste sich zu verdrücken.
Den Haupteingang hatte er bestimmt nicht benutzt. Auch auf dem Hof vor dem Hinterausgang stand mindestens ein uniformierter Cop. Ich runzelte die Stirn. Dann steuerte ich entschlossen die Tür an, die zu den Toiletten führte.
Phil folgte mir. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Dino Cerutti die langen, schmalen Hände fester um die Stuhllehnen schloss. Sein Begleiter fuhr sich mit dem Daumennagel über die Unterlippe.
Aha, dachte ich zufrieden, riss mit einem Ruck die Tür auf und brachte vorsichtshalber die Rechte in die Nähe des Schulterholsters.
Ein breiter, sauberer Flur lag vor mir. Dort wo er vor dem Hinterausgang endete, führte links eine Treppe nach oben. Rechts hing ein Telefon an der Wand. Ein altmodischer Apparat mit Wählscheibe, zweifellos für die Angestellten bestimmt, nicht etwa für die vornehmen Gäste. Niemand war zu sehen. Aber ich hätte schwören können, dass Ceruttis Gorilla dieses Telefon benutzt hatte.
»Hm«, machte Phil hinter mir.
Im selben Moment rauschte eine Wasserspülung. Aus der Nische, an der die Toilettentüren lagen, trat ein grobknochiger Mann, der in dem eleganten weißen Dinnerjacket wie verkleidet wirkte. Eine gezackte Narbe ließ sein Gesicht brutal wirken. Er wollte sich rasch an uns vorbeidrängen.
»FBI«, sagte ich. »Sie gehören zu Cerutti?«
»Und?«
»Wen haben Sie angerufen?«
»Niemand.« Er grinste mich an. »Ich war auf dem Lokus, das sehen Sie doch. Oder sollte ich vielleicht an die Theke pinkeln?«
Der Bursche sah sehr zufrieden aus, als er sich wieder an Ceruttis Tisch niederließ. Falls der Mafiaboss erleichtert war, zeigte er es nicht. Für mich stand fest, dass er mithilfe des Bodyguards irgendetwas in Gang gesetzt hatte. Nur was, verdammt?
»Wer ist der Mann überhaupt?« fragte ich Harry Easton mit einer Geste auf den Toten.
»Preston Bayside, geschäftsführender Direktor eines Kaufhauses in der Midtown. Das steht jedenfalls auf den Visitenkarten, von denen er einen ganzen Stapel bei sich hatte.«
Der Lieutenant schob mir eines der schmalen, mit Goldbuchstaben bedruckten Kärtchen hin. Die Adresse stand ebenfalls darauf. Ich kannte die Gegend, ein Block mit Einzimmerapartments. Demnach musste Preston Bayside Junggeselle gewesen sein.
Die Wohnung würde später ohnehin von Spurenspezialisten durchsucht werden. Aber mir behagte der Gedanke an Ceruttis Galgenvögel nicht, die jetzt vielleicht schon etwas ankochten, das sich unserer Kontrolle entzog.
»Fahren wir hin«, schlug ich vor. »Je schneller, desto besser.«
Phil stimmte mir zu.
Minuten später waren wir unterwegs. Die Frage, was Cerutti und seine Gorillas zu den Ereignissen sagten, hatten wir Harry Easton erst gar nicht gestellt. Denn die Antwort lag auf der Hand. Die Gentlemen gaben sich ahnungslos wie neugeborene Kaninchen.
Während ich den Jaguar nach Norden lenkte, ließ sich Phil über die Zentrale mit der Computerabteilung verbinden. Wir wollten wenigstens ungefähr wissen, mit wem wir es zu tun hatten. Das Ergebnis der Anfrage sah mager aus.
Preston Bayside war ein ehrbarer Bürger wie aus dem Bilderbuch gewesen.
Informationen über ihn lagen nur deshalb vor, weil er einmal als Zeuge gegen einen Wirtschaftskriminellen ausgesagt hatte, der biedere Mittelständler um ihre Ersparnisse prellte.
Bayside stammte aus New Jersey, hatte ein College besucht, seinen Militärdienst abgeleistet, bei Macy's volontiert und eine glanzlose, aber solide Karriere gemacht. Das Kaufhaus, das er zuletzt als Geschäftsführer leitete, nannte sich Your Honest Friend, also dein ehrenhafter Freund. Es gehörte einem jener frommen Puritanernachfahren, die Reichtum auch heute noch als Belohnung des lieben Gottes betrachten.
Bei dem Prozess gegen den Wirtschaftskriminellen hatten dessen Anwälte alles versucht, um den Zeugen unglaubwürdig zu machen. Vergebliche Mühe! Preston Bayside hatte weder Frauengeschichten noch Laster oder sonstige Flecke auf seiner blütenweißen Weste.
Das lag zehn Jahre zurück. Inzwischen mussten sich die Dinge zumindest in einigen Punkten geändert haben. Der Preston Bayside von damals hätte einen Dino Cerutti nicht einmal gekannt, geschweige denn, dass er mit der Pistole auf ihn losgegangen wäre.
Vor dem Apartmenthaus am Riverside Drive fand ich auf Anhieb einen Parkplatz, weil den Bewohnern die Tiefgarage zur Verfügung stand.
Die Portierloge in der Halle war leer. Ein bisschen merkwürdig, denn das Haus gehörte zu der Kategorie, die Sicherheitsmaßnahmen als selbstverständlichen Service bietet. Ich dachte an Ceruttis Gorilla und sagte mir, dass sogar der gewissenhafte Portier ab und zu mal ein gewisses Örtchen aufsuchen muss.
Der Aufzug trug uns ins elfte Stockwerk. Wir hatten Preston Baysides Schlüssel. Ich hielt ihn schon in der Hand, als Phil plötzlich scharf einatmete.
»Schau dir das an, Jerry.«
Ich sah, was er meinte. Um das Schloss herum gab es ein paar feine Kratzer auf den blinkenden Beschlägen. Sehr typische Kratzer. Ich schnalzte mit der Zunge, fischte ein Kleenextuch aus der Tasche und wickelte es um die Finger meiner Linken.
Vorsichtig bewegte ich den Drehknauf – und stieß die angehaltene Luft aus.
Die Tür war offen. Jemand hatte das Schloss geknackt. Jemand, der sich vermutlich Sorgen darüber machte, dass die Polizei in Preston Baysides Wohnung verräterische Spuren finden könnte.
Phil und ich wechselten einen Blick. Ich wusste, dass wir das Gleiche dachten. Dino Ceruttis Gorilla hatte telefonisch seine Komplizen losgejagt.
Da Phil und ich schon kurz nach diesem Anruf aufgebrochen waren, konnte den Burschen nicht viel Zeit geblieben sein, das Apartment gründlich zu durchsuchen.
Ich lauschte angespannt. Genau wie Phil hatte ich den Revolver gezogen. Schwer und kühl lag der Smith & Wesson 38 Special in meiner Rechten.
Mit der Linken drückte ich vorsichtig die Tür auf.
Phil presste sich auf der anderen Seite der Tür an die Wand.
Immer noch rührte sich nichts. Oder doch? Ich glaubte, ein leises Klirren zu hören, ein undefinierbares Schleifen.
Aber nicht in der Diele! Dort hielt sich niemand auf, das spürte ich mit jenem untrüglichen Instinkt, den man sich in Jahren kriminalistischer Arbeit aneignet.
Phil drückte sich bereits um die Ecke, ehe ich etwas sagen konnte.
Ich folgte ihm. Die Diele war winzig. Links eine Garderobennische, rechts die Tür zum Bad, geradeaus ein bogenförmiger Durchgang in den kombinierten Wohn- und Schlafraum. Klar, dass wir sofort nach zwei Seiten in Deckung glitten.
Ich ging in die Hocke, stützte den linken Unterarm auf meine Knie und mit der Linken das Gelenk der Schusshand. Phil duckte sich, gespannt wie eine Bogensehne, während er schnell und leise die Badezimmertür öffnete. Leer, zeigte seine Handbewegung.
Mit zwei Schritten stand er in der Deckung des Wandsegments seitlich von dem Mauerbogen. Jetzt war er es, der Feuerschutz gab. Ich spannte die Muskeln. Meinem Gefühl nach war auch das Wohnzimmer leer. Verlassen wollte ich mich lieber nicht darauf.
Mit einem langen, flachen Hechtsprung schnellte ich in den Raum.
Umschauen konnte ich mich nur für den Bruchteil einer Sekunde. Zeit genug, um einen Sessel zu entdecken, den ich mit einer schulmäßigen Rolle und einem neuen Sprung erreichte. Noch während ich den Lauf des 38ers über die Lehne schob, sprang auch Phil ins Zimmer. Für ihn blieb nur die Ecke neben einem Stereoturm übrig. Erstens deckte ich ihn – und zweitens passierte nicht das Geringste.
Vorsichtig richtete ich mich auf.
Der Livingroom war leer. Ein moderner, nüchterner Raum, gut und teuer eingerichtet. Auch Phil löste sich aus seinem Winkel und sah sich um.
Ich nagte an der Unterlippe. Verdammt, was hatte da eben geklirrt, falls es wirklich ein Klirren gewesen war? Mein Blick wanderte über die modernen Grafiken an den Wänden, den Berberteppich, den passend gemusterten Leinenvorhang – und da hatte ich es.
»Vorsicht, Phil!«, schrie ich.
Mein Freund zuckte zusammen. Blitzschnell ließ er sich fallen, gerade noch rechtzeitig. Denn im selben Augenblick gab es ein Geräusch, als würde in rascher Folge eine Batterie Sektflaschen geöffnet, und der Leinenvorhang wies plötzlich eine Menge schwarz geränderter Löcher auf.
Chris Gontram lief in dem kahlen Hotelzimmer auf und ab wie ein gefangener Tiger.
Sein Wagen stand draußen vor der Tür. Ein unauffälliger Mietwagen wie so oft in letzter Zeit. Das Hotel war groß, billig und anonym.
Trotzdem hatte Gontram Angst. Nicht erst seit heute. Auch nicht erst seit dem Abend, als er sich nach endlosen Diskussionen schließlich bereit erklärte, Michelas Pläne in die Tat umzusetzen.