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Ich war in Gironas Hand. Der Killer hatte mich überwältigt und gefesselt. Jetzt sollte ich sterben. Mit Draht befestigte er eine Zeitbombe an meinem Gürtel. Dann stellte er die Uhr ein. Auf fünf Minuten ... Bevor sich Girona aus dem Staub machte, kostete er seinen Triumph voll aus. Höhnisch enthüllte er mir den furchtbaren Plan, den seine Hintermänner verfolgten. Hilflos, dem Tod geweiht, erfuhr ich alles über das Verschwörer-Syndikat ...
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Seitenzahl: 182
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Das Verschwörer-Syndikat
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
Vorschau
Impressum
Das Verschwörer-Syndikat
Ich war in Gironas Hand. Der Killer hatte mich überwältigt und gefesselt. Jetzt sollte ich sterben. Mit Draht befestigte er eine Zeitbombe an meinem Gürtel. Dann stellte er die Uhr ein. Auf exakt fünf Minuten ... Bevor sich Girona aus dem Staub machte, kostete er seinen Triumph voll aus. Höhnisch enthüllte er mir den furchtbaren Plan, den seine Hintermänner verfolgten. Hilflos, dem Tod geweiht, erfuhr ich alles über das Verschwörer-Syndikat ...
Dass Henry Girona mich nach allen Regeln der Kunst ausgetrickst und in seine tödliche Falle gelockt hatte, erkannte ich erst, als es zu spät war. Mich überlief es siedend heiß, als der Berufskiller plötzlich hinter mir auftauchte und sanft wie zu einem Kind sagte: »Okay, Cotton, deine Kanone hat jetzt Schrottwert – lass sie fallen!«
Meine Hand öffnete sich. Der Revolver schepperte auf den Betonboden des Schuppens, in dem sich Kisten und Tonnen stapelten. Ganz langsam, um den bundesweit gesuchten Gangster nicht zu reizen, drehte ich mich um.
Gironas Mund war zu einem spöttischen Lächeln verzogen. Sein Gesicht wirkte so glatt wie das eines Kosmetikvertreters. Nur seine illusionslosen, eiskalten Augen zeigten mir, dass ich einen Menschen vor mir hatte, der mehr als ein Dutzend Auftragsmorde begangen hatte. Ein Mann, der nicht den Bruchteil einer Sekunde zögern würde, auch das Leben eines G-man mit einem gut gezielten Schuss zu beenden.
Der 45er lag so ruhig in seiner großen Hand, als wäre sie zwischen die stählernen Backen eines Schraubstocks eingeklemmt. Nur ein kleiner Tick mit dem Zeigefinger und das Blei des Magnum-Geschosses würde meine Brust zerreißen.
Ich spürte es trocken in der Mundhöhle. Ich war zornig. Auf mich, weil ich für Sekunden unvorsichtig gewesen war, als ich diesen Lagerschuppen betreten hatte. Ich war mir sicher gewesen, Girona wäre geflohen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er mich erwartete. Aber es sind immer die winzigen Fehler, die einen Mann das Leben kosten. Die großen kann man gewöhnlich vermeiden ...
Ich hatte keine Zeit zum Philosophieren. Girona hob die schwere und sagte leiernd wie ein texanischer Fischversteigerer über den Lauf hinweg: »Wer hat dir den Tipp gegeben, dass ich im Monrose Hotel abgestiegen bin? Ich will keine Sprüche, sondern die Wahrheit hören.«
Ich grinste ihn an. »Es war ein Zufall, dass ich dich aufgestöbert habe«, gab ich äußerlich kühl zurück. Innerlich dampfte ich unter Hochdruck, weil ich verzweifelt nach einem Ausweg suchte.
Der Killer schüttelte fast bedächtig den Kopf. Nachsichtig sagte er: »Du ersparst dir eine Menge Schmerz, G-man, wenn du auspackst. Wenn nicht ... nun, man kann einen sauberen, raschen Tod haben, man kann aber auch seine letzte Stunde zum Albtraum werden lassen. Du kriegst ihn, wenn du mich auf den Arm nehmen willst.«
Ich zweifelte keine Sekunde daran. Dennoch war ich nicht bereit, ihm unseren Tippgeber zu nennen. Ich ahnte, was mit Burt Stalenger, dem Botschaftsrat der kleinen Inselrepublik, geschehen würde. Die Gangster würden ihn erschießen.
»Es war ein Zufall«, beharrte ich, während ich meine nähere Umgebung in Augenschein nahm. Links von mir wuchs ein hohes Regal gegen das rostende Blechdach des Schuppens. Darauf standen einige Kisten und Korbflaschen. Doch ich entdecke auch das staubbedeckte armlange Montiereisen, das mir unter Umständen als Waffe dienen konnte, falls sich Girona einen Augenblick lang ablenken ließ.
Der Killer dachte nicht daran. Er sprang wie eine Raubkatze vor und knallte mir den Lauf des Revolvers gegen das Schultergelenk. Eine furchtbare Schmerzwelle jagte durch meinen Arm. Ich biss mir auf die Lippen, um den Schmerz zu unterdrücken.
Girona war wieder an seinem alten und sicheren Platz, ehe ich auch nur eine Abwehrbewegung machen konnte. Er war nicht nur ein Berufskiller, sondern ein mit allen Salben geriebener Fachmann, soweit es Gewaltfragen anging. Über seine Vergangenheit waren wir recht gut informiert. Als junger Bursche hatte er sich freiwillig zu den Special Forces gemeldet und war nach endlosen Auslesetests zur Einzelkämpferausbildung nach Fort Brack gekommen.
Seine Leistungen waren in jeder Beziehung überdurchschnittlich. Schon nach einem Jahr stieg er außerplanmäßig zum Lieutenant auf und wurde mit seiner Einheit für Sonderaufgaben nach Vietnam geschickt. In seiner Militärakte gab es den Vermerk, dass er niemals Gefangene gemacht habe. Vielleicht hatte das schließlich zu seiner unehrenhaften Entlassung aus der Army geführt.
Girona war keineswegs erschüttert gewesen. Ein Mann mit seinen kämpferischen Qualitäten fand sofort wieder Verwendung. Seine Spur führte nach Afrika, wo er in verschiedenen Ländern als Söldner »gearbeitet« hatte. Immer wieder stieß er auf Männer, denen er dienen konnte. Die letzten Meldungen waren aus Mittelamerika gekommen, wo er angeblich die Leibgarde eines durch einen blutigen Umsturz an die Macht gekommenen Obersts auf Vordermann gebracht hatte.
Wir waren auf ihn gestoßen, als vor vier Wochen ein Botschaftssekretär des kleinen Inselstaats erschossen wurde. Auf der am Tatort liegen gebliebenen Mordwaffe fanden sich die Fingerabdrücke Gironas.
Henry Girona grinste breit, als er mein vergebliches Bemühen feststellte, den linken Arm zu heben. »Du liegst ganz falsch, Cotton. Du glaubst, ich mache mir die Hose nass, nur weil du die Marke des FBI mit dir herumschleppst. Du irrst dich. Für mich bist du eine Laus, die ich zerquetschen kann, wenn ich Spaß daran habe. Ich will Namen, Cotton. Wenn nicht ...«
Er brach ab. Mit der linken Hand zog er aus der Innentasche seiner Nappalederjacke ein flaches Kästchen, das er mir entgegenhielt. Als befänden wir uns beim gemütlichen Drink an der Bar eines Luxushotels, fuhr er ungerührt fort.
»Wenn nicht, Cotton, binde ich dir diese kleine Überraschung auf den Bauch. Es handelt sich um eine mit hochbrisantem Sprengstoff gefüllte Zeitbombe, die dich dann, wenn ich längst in Sicherheit bin, in Fetzen reißen wird. Was willst du? Himmelfahrt in Scheiben oder die schnelle Kugel?«
Eines war sicher, ich sollte sterben. Der Schmerz in meiner Schulter ebbte ab. Doch dieses dumpfe Gefühl, das einem sein Ende anzeigt, blieb. Ich schluckte trocken und schüttelte den Kopf.
»Ich habe keine Namen, Girona.«
»Aber du hast ein Leben, Cotton«, versuchte er es auf die weiche Tour. »Wenn du vernünftig bist und aus der Schule plauderst, könnte ich dir entgegenkommen und dich laufen lassen.«
»Ach ja?«
Er sah mich aus stahlharten Augen an und begriff wohl, dass ich ihm sein Angebot nicht glaubte. Er nickte.
»Du bist eine harte Nuss, G-man. Muss man wohl auch sein, wenn man Special Agent bei deinem Verein ist und sich einen derartigen Ruf geschaffen hat. Ich nehme an, es ist sinnlos, weiter über die Preisgabe deines Informanten zu sprechen, richtig?«
»Richtig«, sagte ich und schielte nach dem Montiereisen im Regal.
Girona folgte meinem Blick. Er lachte spöttisch auf. »Bilde dir keine Schwachheiten ein, Cotton! Ich bin in jedem Fall besser als du.«
Er nahm das Eisen – und mir die Hoffnung, gegen diesen eiskalten Killer etwas ausrichten zu können. Er drehte mir halb den Rücken. Meine Muskeln spannten sich zum Sprung.
Girona warf sich herum. Seine Waffe stach auf mich zu. Er schüttelte den Kopf. »Ich sagte es bereits, Cotton, ich bin besser als du.«
Und dann kam der Schlag mit dem Montiereisen, der mich aus den Schuhen hob. Ich war überzeugt, mein Schädel flöge auseinander, als das Eisen gegen meinen Kopf schlug. Ich verlor den Halt, stürzte und fiel gegen einen Kistenstapel, der dröhnend zusammenbrach. Dann landete ich auf dem kalten Beton des Schuppens. In meinem Hirn gingen die Scheinwerfer aus. Das Letzte, was ich hörte, war das höhnische Auflachen des Killers. Sekunden später spürte ich kalten Stahl an meinen Armen. Danach kam nichts mehr, bis ich wie in einer grauen Wolke treibend wieder zu mir kam.
Über mir kniete Girona. Sein gebräuntes Gesicht zeichnete sich wie gemeißelt gegen das spärliche Licht aus den Lukenfenstern der Halle ab. Zwischen den Zähnen hielt er einen Draht. In seinen Händen befand sich das Kästchen, das er mir gezeigt hatte. Ich war mir sicher, dass es kein Scherz gewesen war, als er angekündigt hatte, es sei eine hochbrisante Höllenmaschine. Ich wusste, dieser Mann bluffte nicht. Er war dabei, die letzten Vorbereitungen für meine Ermordung zu treffen.
Mit aller Gewalt schüttelte ich die Benommenheit ab, die mich gefangen hielt. Den stechenden Schmerz, der meinen Kopf zu zerreißen drohte, konnte ich nicht bewältigen. Ich stöhnte auf. Girona sah mich an. Seine Augen waren eiskalt. Für ihn gab es keine Skrupel. Er war das, was seine Vorgesetzten von ihm behauptet hatten: eine Killermaschine, nur darauf getrimmt, seine Gegner wirkungsvoll zu vernichten.
»Warum, Girona?«, fragte ich. Meine Stimme klang wie Schmirgelpapier auf Blech.
Girona befestigte mit dem Draht die Zeitbombe an meinem Hosengürtel.
»Weil ich es so will, Cotton«, sagte er, als spräche er über das Wetter. »Und weil du mir zu nahe gekommen bist«, fügte er hinzu, nachdem er den Draht zusammengedreht hatte.
»Glaubst du, mein Tod ändert etwas an der Tatsache, dass meine Kollegen dich jagen werden?«
»Ich glaube nicht. Im Gegenteil, deine Freunde werden richtig heiß auf mich werden – wenn sie je erfahren sollten, wer dich in die Luft geblasen hat. Aber darauf kommt es nicht an, Cotton.«
»Worauf denn?«
Girona wischte sich über die drahtdünnen Lippen. »Auf die Sicherheit, Cotton. Ich gestatte es keinem Schnüffler, mich in die Enge zu treiben. Ich brauche Zeit, begreifst du? Ich brauche Ruhe, weil es hier in New York noch einige Dinge für mich zu erledigen gibt, für die ich gut bezahlt werde. Du hast mich dabei gestört, und deshalb wirst du sterben. Das ist alles.«
Ein Handelsvertreter in Sachen Tod, schoss es mir durch den Kopf. Gleichzeitig beschäftigte mich die Frage, wie ich aus der tödlichen Falle herausfinden könnte. Ich hob den Kopf und blickte an mir hinab. Ich spürte es bitter in der Mundhöhle, als ich die dünnen Handschellen an meinen Armgelenken und den schwarzen Kasten auf meiner Bauchdecke sah. Die Beine hatte der Killer mir mit dünnem Draht gefesselt. Damit ich mich auf keinen Fall abrollen konnte, war ich ebenfalls mit Draht an das Regalgestell gebunden worden.
Girona hatte an alles gedacht. Seine Absicht war es, auch den Zufall auszuschalten.
Ich stöhnte innerlich auf.
»Ich gebe dir fünf Minuten, Cotton«, murmelte der Killer, als er die Skala der Zeituhr auf dem flachen Kästchen einstellte. »Fünf Minuten sind eine lange Zeit, wenn man weiß, dass es einen zerreißen wird. Ich hoffe, du wirst sie genießen können.«
Der Zeitmechanismus rastete ein. Ein leises Ticken klang auf. Meine Bauchmuskeln spannten sich. Tief in meinem Inneren war ein Schrei, den ich jedoch unter Aufbietung meiner ganzen Willenskraft unterdrückte. Girona sollte nicht triumphieren. Nicht über einen G-man, der sein Leben dem Kampf gegen das Verbrechen gewidmet hat.
»Wen wirst du töten, Girona?«, fragte ich heiser.
Er richtete sich auf. In seinen Augen blitzte es. Er schien abzuschätzen, ob er irgendeinen Fehler gemacht hatte. Hatte er nicht. Etwas wie Stolz war auf seinem harten Gesicht abzulesen. Herablassend und seiner Sache sicher murmelte er: »Einen Zeugen, Cotton. Der einzige, der verhindern könnte, dass Juana Lopez hingerichtet wird. Du weißt, wer sie ist?«
Ich nickte. »Die Tochter des Präsidenten von ...«
»Genau, Cotton, die wunderschöne Tochter des Präsidenten der Inselrepublik. Morgen früh um neun Uhr wird sie vor das Erschießungskommando gestellt. Und nichts in der Welt wird sie noch retten können, obwohl es eine Reihe von Leuten gibt, die genau wissen, dass das Beweismaterial, das zu ihrer Verurteilung geführt hat, geschickt gefälscht wurde.«
Trotz der Todesgefahr, in der ich schwebte, zuckte ich voller Entsetzen zusammen. Juana Lopez war vor vier Wochen in Honduras von einer Spezialeinheit der dortigen Drogenbehörde unter dem Verdacht, in Ausnutzung ihres diplomatischen Status einen Drogenring aufgebaut und geleitet zu haben, verhaftet worden. In ihrem Besitz wurden Heroin und eine Reihe von Dokumenten gefunden, die keinen Zweifel an ihrer Rolle ließen. Im Eilverfahren wurde unter dem Druck der aufgebrachten Presse die Untersuchung abgeschlossen und die Gerichtsverhandlung angesetzt. Der Staatsanwalt setzte sich mit seiner Forderung nach dem Todesurteil durch. Die sofort eingelegte Revision war schon nach wenigen Tagen verworfen worden.
»Warum dieses Spiel, Girona? Welche Rolle spielt Juana Lopez in dieser Sache?«
Der Killer hob gelangweilt die Schultern. »Sie ist die Tochter des Präsidenten, Cotton. Wird sie als Drogenverbrecherin verurteilt, hat ihr Vater keine Chance mehr, die nächste Wahl zu gewinnen. Das ist alles.«
Er lachte auf. Er winkte mir spöttisch zu und deutete auf seine teure Armbanduhr. »Du hast noch viereinhalb Minuten, G-man. Ich wünsche dir eine gute Himmelfahrt.«
Er wandte sich ab. Die Absätze seiner Schuhe knallten auf den staubigen Betonboden. Mir drehte sich der Magen um. Vergebens zerrte ich mit aller Kraft an meinen Fesseln. Sie gaben um keinen Inch nach.
Girona tauchte hinter einem Kistenstapel unter. Sekunden später schlug das Tor zu. Ich war allein in der riesigen Halle. Allein mit der Gewissheit, in vier Minuten und zweiundzwanzig Sekunden sterben zu müssen. Und mit dem Wissen, dass nur sechzehn Stunden später Juana Lopez, die Tochter des Präsidenten der von den Vereinigten Staaten beschützten Inselrepublik, erschossen werden würde.
Unschuldig!
Ich versuchte mich aufzurichten. Auch das ging nicht. Henry Girona hatte bewiesen, dass er wirklich ein Fachmann war ...
Juana Lopez umklammerte mit beiden Händen die feuchtkalten Gitterstäbe und blickte aus tränennassen Augen hinaus in den kahlen Hof, über dem die Hitze flimmerte. Drüben auf der anderen Seite, abgeschirmt von einem am Morgen errichteten Bretterzaun, befand sich der Ort, an dem sie in knapp sechzehn Stunden hingerichtet werden würde.
Sie hatte mit ansehen müssen, wie der verantwortliche Offizier die Holzwand aufstellen ließ, an der sie sterben würde. Der Offizier, ein untersetzter Mann von fünfzig Jahren mit einem fast väterlich wirkenden Gesicht, hatte hin und wieder zu der Zelle hinübergeblickt, in der er die Todeskandidatin wusste. Einmal glaubte Juana, so etwas wie Bedauern in seinen tiefbraunen Augen zu erkennen. Doch es war wohl ein Irrtum, gestand sie sich ein, als sie in wachsender Verzweiflung die Augen schloss und ein Stoßgebet zum Himmel schickte.
Der schlanke Mann hinter ihr stöhnte unterdrückt auf. »Wir haben alles versucht, Miss Lopez. Ihr Vater hat sogar den Präsidenten der Vereinigten Staaten eingeschaltet. Auch er hat es bisher nicht vermocht, Gnade für Sie zu erwirken.«
Juana drehte sich um. Ihr Haar flog zurück.
»Ich bin unschuldig, Raúl! Es kommt nicht darauf an, Gnade zu bekommen, sondern ...« Sie brach ab, schüttelte den Kopf und ballte die Hände.
»Ich weiß«, sagte der Sekretär ihres Vaters. »Wir sind uns sicher, dass das Urteil falsch ist. Auf der anderen Seite scheint es aber so zu sein, dass die hiesigen Behörden von Ihrer Schuld überzeugt sind. Man teilte uns mit, die Beweise seien gründlich geprüft worden. Zweifel gebe es nicht. Man ist nicht bereit, das Urteil zu revidieren, weil ... weil die neue Regierung um keinen Preis den Eindruck erwecken will, nicht hart genug gegen das Drogenunwesen vorzugehen.«
Juana winkte verzweifelt ab. Sie hatte die Argumente der Behörden oft genug gehört und war sogar fähig, sie zu verstehen. Das Rauschgiftproblem hatte überhandgenommen. Ein wirksamer Kampf dagegen war nur möglich, wenn man hart durchgriff. Darum ging es jedoch nicht. Es ging darum, dass sie einem Justizirrtum zum Opfer gefallen war. Möglicherweise einer von langer Hand eingefädelten Verschwörung.
Sie hatte diese Vermutung ausgesprochen und beim Staatsanwalt und vor Gericht nur spöttisches Gelächter geerntet. Der Anklagevertreter höhnte boshaft, ihm sei klar, dass angesichts der zu erwartenden Strafe von der Verteidigung alles versucht werde, den Kopf der jungen Frau zu retten. »Aber«, rief er schneidend in den Saal, »das wird Ihnen nicht gelingen! Hier vor mir auf dem Tisch liegen unzerbrechliche Beweise für die Rolle, die Sie, Juana Lopez, gespielt haben! Unter dem Deckmantel einer ehrenwerten Politikertochter haben sie unser Land mit einem Netz von Drogenhändlern überzogen, an dem unser Volk zugrunde geht! Das Schlupfloch, aus dem sie uns entwischen wollen, ist verstopft! Nein, Sie kommen uns nicht davon. Sie werden Ihrer gerechten Strafe zugeführt!«
Tod durch Erschießen.
Noch sechzehn Stunden Leben!
Juana ging auf und ab. Alles in ihr drängte nach dem Leben. Sie war jung, knapp zweiundzwanzig Jahre alt. Sie hatte niemals etwas mit dem Rauschgifthandel zu tun gehabt, sie war unschuldig! Doch sie würde sterben, weil ...
Sie hob den Kopf. »Warum das alles, Raúl? Wer hat ein Interesse daran, mich in diese fürchterliche Rolle zu drängen? Habt ihr das einmal nachgeprüft?«
»Wir haben alles versucht«, gab Raúl Delgado leise zurück. »Ihr Vater hat Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um Sie wieder freizubekommen. Er hat, als das Urteil ausgesprochen war, darauf gedrängt, dass eine zweite Untersuchung vorgenommen wird. Vergebens, Juana. Was jetzt noch bleibt, ist der Präsident dieses Landes. Er hat sich noch nicht dazu geäußert, ob er von seinem Begnadigungsrecht Gebrauch machen will.«
»Wie stehen die Chancen?«
Raúl Delgado hab die schmalen Schultern. »Wollen Sie die Wahrheit, Juana?«
»Die Wahrheit!«, sagte sie hart und nüchtern.
»Nun, dann muss ich Ihnen sagen, dass es nicht gut aussieht. Das Telefongespräch, das Ihr Vater mit dem Präsidenten geführt hat, ist ergebnislos verlaufen.«
»Wieso? Begreift denn dieser Mann nicht, dass es nicht um meine Freilassung, sondern lediglich um einen Zeitaufschub geht?«
»Doch, doch. Da liegt auch nicht das Problem. Schlimm ist lediglich, dass sich El Presidente bereits vor Tagen in der Presse für die Vollstreckung des Todesurteils ausgesprochen hat. Unserer Einschätzung nach kann er aus politischen Gründen nicht mehr zurück. Man würde ihm seitens seiner Feinde vorwerfen, wankelmütig und amerikahörig zu sein. Er fürchtet, damit könnte seine Autorität untergraben werden.«
»Es geht um mein Leben!«
»Natürlich, Juana. Wir haben auch nichts unversucht gelassen, es zu retten. Ihr Vater hat sich erneut mit Washington in Verbindung gesetzt und erreicht, dass der amerikanische Präsident seine Möglichkeiten ausschöpft.«
»Was bedeutet das konkret?«
Raúl Delgado lehnte sich gegen die Wand. Er warf einen kurzen Blick in den düsteren Gang des Gefängnisses, in dem zwei mit Gewehren bewaffnete Wächter auf und ab marschieren.
»Das bedeutet«, sagte er so leise, dass Juana Mühe hatte, seine Worte zu verstehen, »dass wir die letzte Möglichkeit in Anspruch genommen haben.«
»Konkret, Raúl! Habe ich Aussichten, einen Aufschub zu bekommen?«
Delgado schüttelte den Kopf. »Wenn ich ehrlich sein soll, muss ich Nein sagen, Juana. Es ist leider so, dass auch die Vereinigten Staaten nicht die Macht haben, den Präsidenten umzustimmen. Wie gesagt, er hat innenpolitische Rücksichten zu nehmen und wird nicht anders können, als jedes Gesuch abzulehnen.«
Juana starrte den Mann in ihrer Zelle an. »Das bedeutet meinen Tod, Raúl!«
Delgado schwieg.
»Man wird mich wie einen Verbrecher erschießen, Raúl!«
Delgado verschränkte die Arme vor der Brust. »Wir haben noch sechzehn Stunden, Juana. Seien Sie sich sicher, dass wir sie nicht ungenutzt verstreichen lassen! Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um wenigstens einen Aufschub zu erreichen ...«
Juana lachte bitter auf. Sie wusste nur zu gut, wie gering die Macht war, die ihrem Vater zur Verfügung stand. Es würde ein langes Hin und Her geben, am Ende aber keine Rettung. Der Tod wartete auf sie. Und es gab keinen Ausweg.
»Habt ihr versucht, die Herkunft des Beweismaterials herauszufinden?«, fragte sie gehetzt.
»Selbstverständlich.«
»Mit welchem Ergebnis?«
Delgado seufzte auf. »Es ist hieb- und stichfest. Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen.«
Juana hob den Kopf.
»Nein!«, rief sie Delgado entgegen. »Es ist falsch! Es kann nicht hieb- und stichfest sein, weil ich die Verbrechen, die mir zur Last gelegt wurden, nicht begangen habe! Begreift das doch endlich! Oder«, fuhr sie leiser fort, »ist auch Vater überzeugt, dass ich diese fürchterlichen Dinge begangen habe? Ich will die Wahrheit, Raúl!«
Der schlanke Mann wand sich vor Unbehagen.
»Die Wahrheit!«, forderte Juana wieder.
Delgado seufzte. »Wahr ist, dass gewichtige Zweifel an Ihrer Unschuld bestehen. Auch bei Ihrem Vater, Juana ...
»Ich verstehe«, sagte sie plötzlich ruhig und gefasst. »Man glaubt also, eine Verbrecherin begnadigen zu müssen?«
Delgado gab keine Antwort. Über den Gang kamen die Laute schwerer Militärstiefel. Sekunden später erschien ein Corporal und bestimmte, dass die Besuchsstunde beendet sei.
Delgado reichte ihr die Hand. »Ich werde morgen früh hier sein, Juana. Wie ich hörte, wird auch Padre Gonsalvez noch heute eintreffen ...«
Juana zuckte zusammen. Wenn man den Geistlichen bereits zu ihr schickte, dann gab es keine Hoffnung mehr für sie. Tränen schossen ihr in die Augen. Sie nickte stumm.
»Ich verstehe«, sagte sie schluchzend.
»Noch haben wir Hoffnung ...«
»Nein, ich weiß es besser«, sagte sie hart. »Es gibt keine Hoffnung mehr. Es gäbe sie, wenn es irgendeinem Menschen gelänge, die Unhaltbarkeit der Beweismittel zu bestätigen, nur ... nein, das ist wohl nicht mehr zu erwarten.«
Sie schloss die Augen. Ihre schmalen, schlanken Hände schlossen sich ineinander. Sie wandte sich ab und stieß halb erstickt hervor: »Grüßen Sie meinen Vater, Raúl. Sagen Sie ihm, dass er irrt, wenn er glaubt, dass ich diese Verbrechen begangen habe. Sagen Sie ihm, seine Tochter sei unschuldig gestorben. Sagen Sie es ihm, bitte!«
Der Aufseher öffnete die Zelle und winkte Delgado hinaus. Juana warf sich auf die Pritsche und schlug die Hände vors Gesicht. Das Gittertor fiel scheppernd ins Schloss. Der stählerne Riegel schnappte zu.
»Sie können sich darauf verlassen, Juana. Ich werde es Ihrem Vater übermitteln.«
Dann ging er.
Juana ballte die Hände. Sie hörte die Schritte der Männer, die der Wachen. Die Verzweiflung in ihr blähte sich wie ein Ballon auf und drohte sie zu ersticken.
Ihre Zukunft würde nur noch ganze sechzehn Stunden dauern ...
Vier Minuten können im Angesicht des Todes eine Ewigkeit sein. Geht es aber darum, aus einer Falle zu entkommen, sind sie ein Nichts. Ich hatte noch den Klang des zuschlagenden Rolltors in den Ohren, als ich erneut versuchte, die dünnen Stahlfesseln, die meine Arme auf dem Rücken hielten, unter Aufbietung aller Kräfte zu sprengen.
Es gelang mir nicht. Das einzige Ergebnis war, dass sich die Fessel tief in die Haut einschnitt. Ich stöhnte auf. Ruhe!, brüllte ich mir zu. Ich wollte nicht daran denken, dass auf meinem Bauch eine furchtbare Höllenmaschine tickte und mein Leben nur noch in Sekunden zu bemessen war.