Jerry Cotton Sonder-Edition 224 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 224 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Glücksland für Sie und Ihn! So hieß die neue große Attraktion in New York. Ein Vergnügungszentrum riesigen Ausmaßes - mit riesigen Einnahmen. Doch hinter der glänzenden Fassade von Glücksland verbargen sich tausendfacher Betrug, brutale Erpressung und die furchtbaren Untaten bezahlter Mörder. Ich, der G-man, wurde in den atemberaubenden Strudel hineingezogen, als ich die schöne, aber zwielichtige Cora kennenlernte. Und von diesem Augenblick an bewegte ich mich am Abgrund des Todes, beim Mörder-Quiz mit Cora ...


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Seitenzahl: 192

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Mörder-Quiz mit Cora

Die Leiche der jungen Frau

Die Schatten von gestern

Kommissar Zufall

Ermittlungen

Der Killer

Glücksland

Rätsel in der Nacht

Gefahren

Erkenntnisse I

Erkenntnisse II

Der Präsident

Die Wandertaube

Vorschau

Impressum

Mörder-Quiz mit Cora

Glücksland für Sie und Ihn! So hieß die neue große Attraktion in New York. Ein Vergnügungszentrum riesigen Ausmaßes – mit riesigen Einnahmen. Doch hinter der glänzenden Fassade von Glücksland verbargen sich tausendfacher Betrug, brutale Erpressung und die furchtbaren Untaten bezahlter Mörder. Ich, der G-man, wurde in den atemberaubenden Strudel hineingezogen, als ich die schöne, aber zwielichtige Cora kennenlernte. Und von diesem Augenblick an bewegte ich mich am Abgrund des Todes, beim Mörder-Quiz mit Cora ...

Die Leiche der jungen Frau

Sie waren zu zweit, als sie sie brachten – ein Schwarzer und ein Weißer. Und sie kamen wie Diebe in der Nacht.

Mit dem hellen Mercury Zephir rollten sie so weit, wie die Grasnarbe reichte. Sie fuhren sehr langsam, denn sie hatten nur das Standlicht eingeschaltet. Durch die geöffneten Fenster hörten sie schon von Weitem das Brausen des Atlantiks, der seine Wellen in unendlicher Folge an den Strand schickte und dort gischt gekrönt auslaufen ließ.

Ein paar Yards vor dem Beginn des Sandstrands hielten sie an und stiegen aus. Der Weiße war ein wenig größer als der andere Mann. Viel mehr war in der Finsternis der mondlosen Nacht nicht zu erkennen.

Sie klappten den Kofferraumdeckel hoch und holten sie heraus. Sie war an Händen und Füßen gefesselt, und man hatte ihr ein breites Pflaster über den Mund geklebt. Doch sie lebte und war bei vollem Bewusstsein.

Der Schwarze griff ihr in die Achselhöhlen, der Weiße nahm sie bei den Füßen. Sie trugen sie langsam auf das Meer zu, darauf bedacht, in der Dunkelheit nicht zu straucheln auf dem unebenen Boden.

»Wie weit?«, fragte der Schwarze unterwegs.

»Bis uns das Wasser an die Knie reicht«, entschied der Weiße. »Das wird genügen.«

Die junge Frau musste alles hören. Aber sie befand sich offenbar in einem Zustand jener Apathie, die einen selbst den Tod willenlos erwarten lässt. Es war, als hätte die Natur selbst den Kampf aufgegeben und der Frau jeden Lebenswillen genommen, um ihm die letzte grausige Furcht zu ersparen.

Die Männer schleppten die Wehrlose hinaus in das Meer. Als der Atlantik ihre Füße umspülte, spürten sie, wie kalt das Wasser war. Einen Augenblick verhielten sie.

Dann sagte der Weiße: »Ach was, nur noch ein Stück, das reicht.«

Sie stapften noch ein wenig weiter hinaus, bis das Wasser nur eine Handbreit über ihren Schuhen stand.

»Halt sie fest«, sagte der Weiße, während er selbst die gefesselten Füße losließ.

Er beugte sich vor und riss der jungen Frau das Pflaster vom Mund fort. Ein gieriger Atemzug wurde hörbar.

»So, du kleine Nutte«, sagte der Weiße und schob eine Hand in die Hosentasche. »Mit jedem hast du's getrieben, bloß für mich warst du zu fein. Dafür möchte ich mich bei dir bedanken – auf meine Art.«

In seiner Hand klickte etwas metallen. Er holte aus, dann stieß er ihr die Klinge seines Schnappmessers bis ans Heft in den Leib.

Ein dünner, spitzer Schrei schrillte in die Nacht.

»Drück sie runter, verdammt!«, rief der Weiße.

Gebückt standen sie und pressten die gefesselte Frau unter die Wasseroberfläche, bis ihr Körper kein Lebenszeichen mehr von sich gab.

Die Männer wateten ans Ufer. Sie keuchten leise.

Der Weiße blieb stehen und zündete sich eine Zigarette an.

Sie waren zu zweit, als sie die Leiche fanden.

Stan Quincley hatte gegen seine Gewohnheit einen Saufbruder mitgenommen, als er in der Nacht an den Strand gegangen war. Er schlief gern am Strand, wenn das Wetter es erlaubte. Nur im Winter verdrückte er sich in die Obdachlosenasyle.

Der andere hieß David Sonstwas und war jünger als Quincley. Aber er hätte ihn nicht mitnehmen sollen. Denn die Sonne war kaum einen Finger breit über den Atlantik emporgestiegen, da raschelten Davids Zeitungen, und er krächzte mit seiner heiseren Säuferstimme: »Dass du dabei schlafen kannst!«

»Wobei?«, fragte Quincley.

»Bei diesem verdammten Radau von diesen verdammten Schreihälsen!«

Es dauerte eine Weile, bis Quincley begriff, dass der andere die Möwen meinte, die kreischend ins Land einfielen auf ihrer Jagd nach Fressbarem. Quincley hatte sich von den Möwen noch nie gestört gefühlt. Vielleicht lag es daran, dass er am Meer geboren war. Die Schreie der Möwen mussten schon in den ersten Stunden seines Lebens in seine Ohren gedrungen sein.

»Warum schläfst du nicht noch ein bisschen?«, fragte er.

»Wie soll man dabei schlafen?«, krächzte der andere.

Stan Quincley wälzte sich auf den Bauch und spürte die jetzt schon wärmenden Strahlen der Maisonne. Nur zwanzig Schritte von ihnen entfernt rollten die Wellen des Atlantiks am weißen Strand aus. Die Möwen strichen kreischend durcheinander, nur an dem Grasbüschel, halb links vor ihnen, das konnte keine Möwe – Quincley fuhr auf, offenen Mundes. Er streckte den Arm aus, doch er brachte keinen Laut hervor.

»Was ist los?«, rief David erschrocken.

»Ich Idiot habe sie verjagt!« Quincley stöhnte.

»Was? Wen?«

»Eine Wandertaube! Ectopistes migratorius. Ich habe sie verjagt! O Gott, verzeih mir!«

David runzelte die Stirn und kratzte in seinem grau melierten Bart. »Was für einen verdammten Mist red'st du?«

»Das verstehst du nicht!«, rief Quincley aufgeregt. »Wandertauben gibt es überhaupt nicht mehr! Die sind längst ausgestorben! Früher sind sie in Schwärmen von Millionen aufgetreten. Keine Übertreibung. Ich weiß noch, wie mein Grandpa davon erzählt hat. Glaub mir, die Wandertaube gibt es seit meiner Kindheit nicht mehr. Und da war eine. Eine richtige Wandertaube!«

»Wenn's aber gar keine mehr gibt?«

»Wir hatten ein ausgestopftes Pärchen bei uns zu Hause. Das sehe ich noch ganz deutlich vor mir. Und das da eben war eine Wandertaube! Vielleicht ist sie noch in der Nähe ...«

Quincley kroch leise aus Mantel und Zeitungen, mit denen er sich zugedeckt hatte, und kletterte die Böschung zum Strand hinab.

Etwas weiter entfernt gab es eine kleine Bucht mit Schilfwuchs.

»Komm her!«, schrie Quincley. »Mann, komm bloß her!«

Widerwillig stapfte David den Hügel hinab und durch den weißen Sand.

»Was ist denn los?«, fragte er, als er nur noch ein paar Schritte entfernt war.

Quincley trat zur Seite und streckte wortlos den Arm aus.

Davids Augen weiteten sich. In der winzigen Bucht, die etwa sechs Yards ins Land hereinragte, bewegten die letzten Ausläufer der Wellen den leblosen Körper einer jungen Frau. Aus dem schlanken Leib ragte der Hirschhorngriff eines Schnappmessers.

In der Hafenkneipe an der Gravesend Bay trafen sich jeden Abend und manchmal auch schon früher die Schnorrer, Pennbrüder und Säufer, sobald das Erbettelte zu einer neuen Flasche reichte. Nur vormittags um neun waren sie noch nie erschienen. Johnny Butland, Barkeeper des Tagdienstes, sah deshalb erstaunt auf, als er Quincley und den Jüngeren hereinkommen sah.

»Was ist los mit euch?«, fragte er. »Nachdurst?«

»David gibt einen aus«, sagte Quincley. »Wir haben einen nötig. Ist Max Winterberg nicht da?«

Winterberg war ein alter Säufer wie Quincley, doch er ging nicht betteln. Er konnte es einfach nicht. Er verdiente sich mit Gelegenheitsarbeiten den Stoff, den er täglich brauchte. In dieser Woche sollte er den großen Hof hinter der Kneipe und den Keller entrümpeln und saubermachen, eine Arbeit, die wohl eine Woche in Anspruch nehmen konnte.

»Max wird noch pennen«, sagte Johnny Butland. »Ich kann ja mal nachsehen.«

Er verließ die kleine Kneipe. An den Wänden waren alte Fischernetze gespannt. Von der Decke hingen Schaugläser herab, in denen präparierte Fische schwammen. Ein kleiner Anker, eine Steuerbord- und eine Backbordlampe, ein ausgedienter Kreiselkompass und anderes verstaubtes Schiffszubehör dienten als Zierrat.

Die beiden Säufer setzten sich an den runden Tisch hinten in der Ecke, der seit ewigen Zeiten von ihnen benutzt wurde. Johnny Butland kam wieder herein. Ihm folgte ein gebeugter Mann, dessen Alter unmöglich zu schätzen war. Er hatte schlohweißes Haar und einen wuchernden Vollbart in dem ausgemergelten, aber sonnengebräunten Gesicht. Er trug eine fleckige braune Cordhose, ein bunt kariertes Baumwollhemd und schwere, klobige Arbeitsschuhe.

»Hallo, Stan«, sagte er zu Quincley. »So früh schon unterwegs?«

»Ja. David gibt einen aus.« Quincley zeigte auf seinen Gefährten. »Er hat in den Dünen Geld gefunden.«

»Was sagt man dazu?«, meinte Winterberg und setzte sich zu ihnen. »Ein Schluck am frühen Morgen vertreibt dir deine Sorgen. Was trinken wir denn?«

»David, das ist Max Winterberg«, sagte Quincley. »Max ist ein berühmter Mann. Er war ein hervorragender Ornithologe.«

»Ein was?«, fragte David.

»Vogelkundler«, übersetzte Winterberg. »War ich mal. Heute bin ich nur noch durstig. Was ist? Ich denke, du willst einen spendieren?«

»Klar, sicher, mach ich«, sagte David und holte aus den Tiefen seines verschlissenen Mantels einen zusammengerollten Geldschein hervor. Vor ihren Augen rollte er ihn bedächtig auseinander.

Winterberg stieß einen schrillen Pfiff aus. Der Geldschein war feucht.

Nach kurzer Debatte entschieden sie sich für richtigen Bourbon von der teuren Sorte und schnupperten mit verklärten Gesichtern an den Gläsern. Nur Quincley machte einen geistesabwesenden Eindruck.

Als sie getrunken hatten, sagte er: »Ich weiß, dass du es mir nicht glauben wirst, Max, aber es ist die Wahrheit. Ich habe eine Wandertaube gesehen.«

»Eine was?«, fragte Winterberg.

»Eine Wandertaube. Ectopistes migratorius.«

»Ganz unmöglich«, entgegnete Winterberg überzeugt. »Eine lebende Wandertaube kann kein Mensch mehr zu Gesicht bekommen. Die letzte ihrer Gattung starb 1914 im Zoo von Cincinnati.«

»Das weiß ich«, sagte Quincley und trank sein Glas aus, weil David schon die nächste Lage bestellte. »Trotzdem war es eine Wandertaube. Draußen in den Dünen.«

Max Winterberg widersprach leidenschaftlich.

David hörte gelangweilt eine Weile zu. Dann rief er: »Himmel, gibt's wirklich nichts anderes als diese verdammten, kreischenden, auf die Nerven gehenden Mistvögel?«

»Was für Vögel meint er?«, fragte Winterberg.

»Er spricht von den Möwen, die ihn heute früh geweckt haben.«

»Ach, er meint die alten Aasfresser«, sagte Winterberg und strich sich beruhigt den mächtigen Bart. »Ich dachte schon, er meinte ...«

Winterberg brach ab, als er Quincleys seltsamen Gesichtsausdruck bemerkte. »Was hast du, Stan? Kannst du den Whisky nicht vertragen? Geht's dir nicht gut?«

»Aasfresser«, wiederholte Quincley mit heiserer Stimme. Seine Augen schauten in eine unbestimmbare Ferne. »Aasfresser? Das meinst du nicht im Ernst, Max, oder? Möwen fressen kein Aas! Sag es, Max, dass Möwen kein Aas fressen!«

»Doch, das tun sie gelegentlich. Wohl wenn nichts Besseres zu haben ist, aber ...«

Winterberg brach ab und sah verwundert auf Quincley. Der hatte plötzlich die Augen geschlossen. Sein Gesicht verriet, dass ihn eine qualvolle Vorstellung heimsuchte.

»Mein Gott«, sagte er sehr leise, fast unhörbar: »Mein Gott, das hat sie nicht verdient ...«

Er schien zu frösteln. Als er die Augen aufschlug, ging sein Blick durch sie alle hindurch. Er stand auf und murmelte, dass er frische Luft brauche. Ohne auf ihre Fragen zu reagieren, verließ er die Kneipe.

Die Schatten von gestern

Gellende Pfiffe wurden laut, als Cora Dawn aus ihrem blauen AMC Spirit Liftback stieg. Sie war es gewohnt. Männer fanden ihre Figur nun einmal aufregend. Mit einer trotzigen Bewegung schüttelte sie eine vorwitzige Locke aus der Stirn. Sie schloss ihren wendigen, kleinen Flitzer ab und stieg über eine geplatzte Tüte von Kartoffelchips und Ketchup hinweg. Mit den hohen, spitzen Absätzen an ihren lackglänzenden schwarzen Stiefeln musste sie aufpassen, dass sie nicht ausrutschte.

Auf dem schmutzübersäten Gehsteig standen zwei schwere Motorräder. Zwei junge Burschen saßen darauf, keiner älter als zwanzig. Sie trugen verwaschene Jeans und kurze, vor der Brust offen stehende Lederwesten, die sie mit Metallstacheln verziert hatten. Statt eines Hosengürtels hatten sie sich Fahrradketten um den Leib geschlungen. Mit großen Augen starrten sie ihr entgegen.

Cora beachtete sie nicht und schon gar nicht ihre eindeutigen Sprüche. Sie betrat das verkommene Haus mit der Nummer 14 über der windschiefen Tür. Der durchdringende Gestank von läufigen Katzen empfing sie. Im Flur lagen alte Zeitungen neben der ausgetretenen Steintreppe, die in die oberen Stockwerke führte. Vielleicht hatte in der letzten Nacht hier ein Obdachloser von der nahen Bowery geschlafen.

Cora stieg die Treppe hinauf. Unwillkürlich hatte sie die Nase gerümpft, die sie im Verein mit dem fast kindlichen Schmollmund jünger aussehen ließ, als sie tatsächlich war. Im ersten Obergeschoss verdichtete sich der ekelhafte Gestank so, dass Cora die Luft anhielt und eilig die zweite Treppe hinaufstapfte.

Hinter dem Treppenabsatz öffnete sich ein kurzer Flur, von dem fünf Türen abgingen. Cora blieb vor der dritten Tür stehen und klingelte. Es blieb alles still. Zögernd drehte sich Cora um. Hinter der gegenüberliegenden Tür dudelte ein Radio oder ein Plattenspieler.

Cora klingelte. Die Tür ging so schnell auf, dass es nur eine Erklärung gab. Der Mann hatte an der Tür gewartet, seit er im Treppenhaus Schritte gehört hatte.

Es war einer dieser Angebertypen, die Cora zur Genüge kannte. Er trug zwei protzige Ringe an der linken und einen an der rechten Hand. Das gelbe Oberhemd war am Hals geöffnet, der Schlips ein wenig gelockert. Selbst jetzt noch trug er eine große Perle in der Krawatte.

Der Mann mochte um vierzig sein. Er verschlang Cora förmlich mit seinen glitzernden gelbgrauen Augen. Sie wanderten wie aufdringliche Finger an der hautengen schwarzen Hose empor, verweilten einen Moment bei den üppigen Brüsten, über die sich der schwarze Seidenpulli spannte, dann krochen sie über ihr Gesicht.

»Sie sind vielleicht ein scharfes Stück«, sagte er und leckte sich über die Lippen. »Da geht einem ja das Rasiermesser in der Hose auf!«

Cora runzelte unwillig die Stirn. Für einen Augenblick war sie versucht, auf dem Absatz kehrtzumachen und den Widerling stehen zu lassen. Dann fiel ihr gerade noch rechtzeitig ein, weswegen sie hier war. Sie hakte die Daumen hinter die tellergroße Gürtelschnalle aus Messing, die sie vor ein paar Wochen von ihrer Schwester geschenkt bekommen hatte. An dem Tag, an dem Cora ihre Schwester zum letzten Mal gesehen hatte.

»Kann ich Sie sprechen?«, fragte Cora.

»Ob Sie können, weiß ich nicht, aber dürfen dürfen Sie!«, erwiderte der Mann und gab die Tür frei. »Hereinspaziert, Süße! So was wie Sie lässt man nicht im Flur stehen.«

Cora trat über die Schwelle in ein großes Wohnzimmer. Das Erste, was ihr auffiel, waren die vielen Spiegel, die es gab – an den Wänden, auf einer alten Konsole und eingelassen in zwei Schranktüren. Der Mann musste eitel sein wie sonst was.

»Sie dürfen sich setzen, Süße«, verkündete er großzügig. »Wie wär's mit einem Drink für uns zwei?«

Er stand bereits vor einer Anrichte, auf der ein paar Flaschen standen, und machte eine auffordernde Geste. Cora blieb stehen und schüttelte den Kopf.

»Kennen Sie Lis Dawn?«, fragte sie.

»Wer ist das?«

»Sie wohnt Ihnen genau gegenüber.«

»Ach, die kleine Hexe! Was heißt kennen? Natürlich habe ich sie ein paarmal gesehen. Meistens im Treppenhaus. Doch mit der habe ich nichts angefangen, wenn Sie das meinen.«

Es hörte sich an, als hielte er es für eine Ehrensache, dass er mit jeder Frau »etwas anfing«, die seinen Weg kreuzte. Und auch jetzt schien er nichts anderes im Sinn zu haben. Er war herangekommen und legte seine schweißfeuchte Hand auf Coras nackten Unterarm. Sie trat schnell einen Schritt zurück.

»Wann haben Sie Lis zum letzten Mal gesehen?«, fragte sie.

»Keine Ahnung. Das ist vielleicht eine Woche her.«

»So lange?«, fragte Cora erschrocken.

Er kam wieder näher. In seinem Gesicht stand Lüsternheit. »Was reden wir von so einer? Wollen wir uns nicht eine schöne Stunde machen, Süße? Soll ich ein paar Platten auflegen?«

»Ich möchte gern wissen, warum Sie so abfällig über Lis sprechen«, fragte Cora.

»Diese kleine Nutte? Na, hören Sie mal! Nachts war sie überhaupt nicht zu Hause, und tagsüber trieb sie es mit Negern.«

»Mit wem?«, fragte Cora und musste alle Willenskraft aufbieten, um beherrscht zu bleiben.

»Mit Schwarzen! Fragen Sie mich nicht, mit wem im Einzelnen! Woher soll ich das wissen? Es waren immer andere. Die kleine blonde Hexe muss die schwarzen Böcke ausgenommen haben, dass es nur so eine Art war. Denn alle, die sie in ihre Bude ließ, hatten Zaster. Das konnte man auf den ersten Blick sehen. Na, sie hat ja ihre Quittung gekriegt.«

Cora spürte, wie sich ein eiserner Ring von Angst um ihr Herz presste. »Quittung? Wie meinen Sie das?«

»Oh, ein paar weiße Jungs haben diese weiße Nutte ganz schön fertiggemacht. Ich kam grade die Treppe rauf, und ihre Tür stand offen. Ihr lief das Blut aus der Nase. Schreien konnte sie wohl schon nicht mehr.«

Cora schwankte. Sie musste sich am nächsten Sessel stützen und schloss die Augen. Das Zimmer begann sich zu drehen. Cora atmete schwer und spürte, dass sie in den Sessel fiel. Ein paar Sekunden toste das Blut in ihren Ohren, dass sie nichts anderes wahrnehmen konnte. Als sie langsam wieder zu Bewusstsein kam, spürte sie die Hände des Mannes an ihren Brüsten.

Sie sprang auf und stieß ihn fort. »Warum haben Sie nicht die Polizei gerufen?«

»Wegen so einer kleinen weißen Hure? Die hat nur eingesteckt, was sie verdient hatte. Warum reden wir dauernd von dieser blonden Hure? Hören Sie, Süße, das ist kein Thema für uns. Möchten Sie nicht doch einen Drink?«

Cora hatte ihre Beherrschung wiedergewonnen. Ihre Stimme klang spröde, als sie sagte: »Sie haben die Polizei nicht gerufen, weil Sie nichts als ein erbärmlicher Feigling sind. Sie hatten die Hosen gestrichen voll, das war der einzige Grund.«

Zuerst schob er den Kopf vor, als hätte er nicht richtig gehört. Dann war er plötzlich heran und schlug ihr hart ins Gesicht. Dabei schrie er ein paar Schimpfworte.

Cora wurde von dem harten Schlag rückwärts geworfen, es war derselbe Sessel, der sie auffing wie vorher. Sie rieb sich unwillkürlich die getroffene Wange. Dann stand sie auf – und plötzlich hatten alle ihre Bewegungen die Eleganz einer Raubkatze.

»Sie haben mich angegriffen«, sagte sie. »Meiner Schwester haben Sie nicht geholfen, aber mich haben Sie angegriffen. Bei Gott, Mann, bin ich Ihnen dankbar!«

Sie rammte dem völlig Überraschten den Ellenbogen mit solcher Wucht in den Magen, dass er sich krümmte. Während er noch um Luft kämpfte, versetzte Cora ihm einen Karatehieb.

Er stieß einen gurgelnden Laut aus und brach in die Knie. Tränen tropften aus seinem Gesicht. Er brauchte nicht einmal den Kopf zu heben, um seinen jämmerlichen Anblick von allen Seiten betrachten zu können. Spiegel gab es genug.

»Was haben die Mistkerle mit meiner Schwester gemacht?«, fragte Cora.

Er schien sie überhaupt nicht gehört zu haben, sondern wimmerte leise vor sich hin. Cora sah sich um, entdeckte eine Kochnische und holte ein Glas Wasser. Sie ließ es langsam in sein Genick träufeln.

»Was haben diese weißen Schläger mit meiner Schwester gemacht?«, fragte sie noch einmal.

»Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass sie später von einem Krankenwagen abgeholt wurde.«

»Ein städtischer Krankenwagen? Einer vom Roten Kreuz? Oder einer von einem privaten Krankenhaus? Von einem kirchlichen Hospital?«

»Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.«

Es hörte sich an, als sagte er die Wahrheit. Noch immer kniete er auf allen vieren und wimmerte vor Schmerzen. Cora wusste nicht, was sie noch hätte fragen sollen. Also drehte sie sich um und ging hinaus. Die Tür ließ sie offen.

Als sie im Gestank erfüllten Treppenhaus die Stufen hinabstieg, dachte sie, mein Gott, es werden immer mehr Leute auf der Welt. Immer mehr. Aber Menschen gibt es immer weniger.

»Mein Name ist Jerry Cotton«, sagte ich und deutete auf meinen Freund. »Das ist mein Partner Phil Decker. Wir sind Special Agents des FBI. Es handelt sich um den Pass, den Sie als gestohlen gemeldet haben, Mister Kantoom.«

Der schwarze Mann vor uns war etwas größer als fünf Fuß, also ziemlich klein. Er trug einen tadellosen dunkelblauen Anzug mit Weste, ein weißes Hemd mit einem gestärkten Kragen und eine rot-blau gestreifte Krawatte.

»Hat man meinen Pass gefunden?«, fragte er schnell.

»Leider nein, Sir. Deshalb sind wir hier. Haben Sie ein paar Minuten Zeit für uns?«

»Das muss ich wohl. Bitte nehmen Sie Platz.«

Man hatte uns in ein unpersönliches Empfangszimmer geführt, in dem es außer einem runden Tisch und vier Sesseln nur noch eine Stehlampe und einen schweren Kristallaschenbecher gab. Er zeigte einladend auf die Sessel, wir setzten uns alle drei.

Kantoom gehörte zur UN-Delegation seines afrikanischen Heimatstaats, und die City Police hatte die Verlustanzeige seines Diplomatenpasses vorschriftsmäßig ans FBI weitergegeben.

»Sagten Sie eben, Sie kommen vom FBI?«, erkundigte er sich höflich, kaum dass wir Platz genommen hatten.

»Ja, das ist richtig, Sir.«

»Ich habe nicht gewusst, dass sich eine so renommierte Organisation wie das FBI um verloren gegangene Pässe kümmert.« In seinem intelligenten Gesicht drückte sich nicht aus, ob er es als Spott meinte.

Ich zuckte mit den Schultern. »Mit einem Diplomatenpass kann man allerlei anstellen, Mister Kantoom. Er kann zu vielen Zwecken missbraucht werden. Die Vereinigten Staaten haben ein Interesse daran, solche Pässe nicht in falsche Hände geraten zu lassen. Ganz abgesehen davon, dass uns das Wohlergehen unserer ausländischen Gäste am Herzen liegt.«

»Ich danke Ihnen«, sagte er und deutete eine leichte Verbeugung an. »Ich werde meiner Regierung berichten, wie erfreulich ernst unser Schutz genommen wird. Was kann ich sonst für Sie tun?«

»Wir wüssten gern, wann Sie entdeckt haben, dass Ihnen Ihr Pass fehlt.«

»Oh, das war gestern Nachmittag. Ich wollte eine Pfeife rauchen, da fiel es mir auf.«

Phil runzelte die Stirn. Ich kann in diesem Augenblick auch nicht besonders geistreich ausgesehen haben.

»Verzeihen Sie«, sagte ich, »welchen Zusammenhang gibt es zwischen einer Tabakspfeife und einem Diplomatenpass?«

Zum ersten Mal lächelte er. »Natürlich keinen. Ich habe mich wohl nicht sehr verständlich ausgedrückt. Schauen Sie, ich habe mir vorige Weihnachten eine Pfeifentasche gekauft. Ziemlich teuer übrigens, aber wirklich eine sehr schöne Tasche. Platz genug für sechs Pfeifen, eine Tabaksdose, für alles nötige Zubehör und vor allem mit einem Extrafach für Papiere und Geldbörse. Eine sehr praktische Tasche, denn man hat alles drin, was man so bei sich braucht. Und in diesem Extrafach befand sich außer einigen anderen Papieren mein Scheckheft und eben auch mein Pass.«

»Wollen Sie damit sagen, dass Ihnen jemand den Pass aus dieser Tasche heraus entwendet haben muss?«

Er schüttelte gemessen den Kopf. »Nein. Ich will damit sagen, dass die ganze Tasche fehlt.«

Davon war in der Meldung der City Police keine Rede gewesen.

»Wo haben Sie die Tasche Ihrer Erinnerung nach zuletzt in der Hand gehabt? Bitte keine Vermutungen. Von welchem Ort wissen Sie ganz genau, dass Sie die Tasche zuletzt in der Hand hielten?«

»Oh, das weiß ich ganz genau. Das war mittags im D Café.«

»Gestern Mittag?«

»Ja.«

Phil und ich tauschten einen schnellen Blick. Das D Café liegt ganz in der Nähe der Vereinten Nationen. Es wird auch viel von den ausländischen Vertretern dort besucht.

Das D stand eigentlich für Dorsay, wie der Besitzer hieß, aber inzwischen hatte sich die Meinung verbreitet, es sei eine Abkürzung für Diplomatencafé.

Wir wussten natürlich, dass außer den UN-Mitgliedern dort auch gern Agenten aller möglichen Geheimdienste verkehrten – und die teuersten Liebesdamen der Stadt, Frauen, die aufgrund ihrer Herkunft und ihrer Bildung in Fremdsprachen bewandert waren und sich diese Extrakenntnisse auch durch Extrapreise honorieren ließen.

»Wie lange haben Sie sich gestern in dem Café aufgehalten?«, erkundigte ich mich.