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Die Sondereinheit, die den Gangsterboss Frank Moreno zur Strecke bringen sollte, bestand aus Phil Decker, mir und dem Detective Lieutenant Ted Hogan. Wir arbeiteten bis zum Umfallen und scheuten keine Gefahr. Und dennoch scheiterten wir, Moreno war übermächtig. Da schied Ted Hogan unvermittelt aus dem Polizeidienst aus und kam über Nacht in den Besitz von Millionenwerten. Jetzt hatten wir es nicht nur mit Moreno zu tun, sondern auch mit dem viel gefährlicheren Hogan, dem Aufsteiger des Jahres ...
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Seitenzahl: 168
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Aufsteiger des Jahres
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Vorschau
Impressum
Aufsteiger des Jahres
Die Sondereinheit, die den Gangsterboss Frank Moreno zur Strecke bringen sollte, bestand aus Phil Decker, mir und dem Detective Lieutenant Ted Hogan. Wir arbeiteten bis zum Umfallen und scheuten keine Gefahr. Und dennoch scheiterten wir, Moreno war übermächtig. Da schied Ted Hogan unvermittelt aus dem Polizeidienst aus und kam über Nacht in den Besitz von Millionenwerten. Jetzt hatten wir es nicht nur mit Moreno zu tun, sondern auch mit dem viel gefährlicheren Hogan, dem Aufsteiger des Jahres ...
Im Verteilerkreis nördlich von Elizabethport, dem neuen Containerhafen in New Jersey, drehte der Fahrer des grünen Dodge Van plötzlich auf.
Die ganze Zeit, seit er seine Fracht im Terminal F, Sektion 9, übernommen hatte, war er gemütlich vor uns her gezockelt. Und jetzt das!
»Die haben was gemerkt«, knirschte Ted Hogan und gab Gas.
»Langsam«, mahnte Phil. »Die wollen wahrscheinlich nur sehen, was sich hinter ihnen tut.«
Hogan nickte und nahm das Gas wieder etwas zurück. Ted Hogan war knapp fünfzig Jahre alt. Davon hatte er zweiundzwanzig als Detective in Manhattan verbracht, meist im Revier Midtown South. Zu diesem Revier gehören der mittlere Broadway, der berüchtigtste Teil der Eighth Avenue und der grellste Abschnitt der 42nd Street.
Wer an dieser Nahtstelle, wo sich Gut und Böse berühren, wo die Grenzen wie nirgendwo sonst verschwimmen, sein halbes Leben verbringt, ohne zu straucheln oder unterzugehen, verfügt über Kenntnisse und Erfahrungen, die unbezahlbar sind für eine Polizeibehörde.
Vor zwei Jahren endlich war er zum Detective Lieutenant befördert und ins Rauschgiftdezernat versetzt worden. Mit den Möglichkeiten seiner neuen Dienststelle und der Autorität seines neuen Dienstgrads war er in der Lage, die Informationen, die seine alten Spitzel ihm nach wie vor zutrugen, ungleich wirkungsvoller auszuwerten als früher. So war es ihm gelungen, zwei undichte Stellen in der Polizeibehörde zu entdecken und ein weiteres Leck einzukreisen.
Und jetzt sollte es gegen Frank Moreno gehen, den Mann, der seit vielen Jahren Manhattan, Brooklyn, Queens und Harlem mit Rauschgift überschwemmte. Seit einiger Zeit schien er über eine unbehelligt sprudelnde Verbindung nach Nahost zu verfügen, über die vergleichsweise billiger Stoff in die Stadt floss.
Weil das erwähnte Loch in der Narcotics Division zwar eingekreist, aber noch nicht gestopft war, hatte der Deputy Commissioner mit dem New Yorker FBI-Chef palavert, und die beiden hatten kurzerhand eine Sondereinheit ins Leben gerufen. Diese Sondereinheit bestand nur aus Ted Hogan, Phil Decker und mir, dem G-man Jerry Cotton.
Das war unser erster gemeinsamer Einsatz. Es war ein später Abend im Sommer. Die Wolkenbänke im Westen hatten rote Ränder, und der Asphalt war noch weich von der Glut des Tages. Alle Mitglieder der Sondereinheit saßen in einem auf alt getrimmten Kleinlaster mit Spezialfahrwerk und einer neuen Cadillac-Maschine.
Außer Frank Moreno und seinen engsten Vertrauten wussten nur wir, was sich in dem Dodge Van befand, der eben den Verteiler verließ. Heroin aus Pakistan, frei New Yorker Hafen, vielleicht dreihunderttausend Dollar wert. Auf den Straßen, Plätzen und Schulhöfen New Yorks würde es am Ende zwei Millionen Dollar einbringen. Zwei Millionen Dollar für den massenweisen Tod auf Raten.
Die Chance, Frank Moreno endlich das Handwerk zu legen, brachte uns alle auf Touren. Nur ein Umstand störte mich ein wenig. Das war die Verbissenheit, mit der Hogan in den Kampf gegen Moreno zog. Dabei konnte ich Ted Hogans Tatendrang durchaus verstehen. Viele Jahre lang hatte er ohnmächtig mit ansehen müssen, welches Elend dieser gewissenlose Verbrecher über die Menschen seiner Stadt brachte. Seine Stadt war auch meine Stadt.
»Zum Teufel, was macht er?«, fluchte Hogan, als der Dodge Van plötzlich in die äußere Spur des Verteilerkreises scherte, dabei zwei andere Fahrzeuge schnitt und abbog. Hogan hämmerte mit dem Handballen aufs Lenkrad. »Wo will er hin, verdammt?«
Denn der Van schlug nicht, wie erwartet, den Weg zum Highwayzubringer ein, der ihn und uns, die Verfolger, auf dem schnellsten Weg nach Manhattan gebracht hätte.
Ungefähr vierzig Pfund Heroin, zu sechzig Prozent rein, rollten zur Newark Bay hinunter.
Hogan behielt die Nerven. Es hatte keinen Zweck, andere Fahrer zu schneiden. Das Hupkonzert hätte die Verfolgten nur darauf aufmerksam gemacht, dass es einen Verfolger gab. Wochenlange Kleinarbeit wäre vergeblich gewesen. Das Heroin in dem Dodge sollte uns näher an Frank Moreno heranbringen.
Hogan nahm das Gas zurück. Als er im rechten Außenspiegel eine Lücke erspähte, blinkte er und riss das Lenkrad herum. Die gut abgestimmte Federung ließ den Wagen das abrupte Manöver willig mitmachen.
»Da vorn ist er«, sagte Phil, der in der Mitte neben Hogan saß. Ich hockte gegen die rechte Tür gequetscht. Mein Knie stieß dauernd gegen das im Fußraum installierte Funkgerät.
Es wurde jetzt schnell dunkel, während der Lieferwagen durch ein heruntergekommenes Wohngebiet rollte. Am Straßenrand spielten ein paar Halbwüchsige Softball. Auf den Stufen vor den Häusern saßen Männer in Unterhemden und tranken Bier aus Dosen.
Der Dodge bog an einer Ampel, die auf Dauerblinken geschaltet war, links ab. Hogan ließ unseren Wagen ein wenig zurückfallen, bevor er ihm folgte.
Wir kamen in offenes Gelände. Einige der alten Straßenzüge, in denen früher Hafenarbeiter mit ihren Familien gewohnt hatten, waren abgerissen worden und hatten modernen Wohnblocks mit großzügigen Parkflächen Platz gemacht.
Die Straße fiel leicht ab, und ich konnte das Wasser der Bucht erkennen, das die graue Dämmerung des Abendhimmels widerspiegelte. Ein Jet im Anflug auf den Newark Airport strich niedrig über die Häuser hinweg.
»Was suchen sie da unten?«, fragte jetzt auch Phil ratlos. »Wollen die etwa mit 'nem Boot nach Manhattan rüber?«
Ich wusste es auch nicht. Der Dodge beschleunigte wieder und hielt auf die Stelle zu, wo sich die Straße gabelte. Die beiden Fahrspuren führten im Bogen zu den alten Lagerschuppen und Docks hinunter, deren lange dunkle Dächer bis zum Gabelpunkt hinaufreichten.
»Aufpassen!«, sagte ich.
Der Dodge verschwand in der rechten Schleife.
Ich hatte jedoch nicht den Wagen gemeint, sondern die Jugendlichen, die plötzlich zwischen den Hecken auftauchten. Anschließend lieferten sich die Angehörigen rivalisierender Straßenbanden eine Schlacht, denn immer mehr Jungen und Mädchen brachen durch das Gestrüpp.
Und dann flogen Steine.
Einige Halbwüchsige sprangen auf die Straße, ohne auf unseren herankommenden Kleinlaster zu achten. Ich sah, wie ein magerer Junge von einem Stein an der Stirn getroffen wurde. Sein Knie knickte ein. Er fing sich und taumelte über die Straße.
Ted Hogan knirschte laut mit den Zähnen. Er schlug auf die Hupe. Doch die Jugendlichen kümmerten sich nicht um die Warnung. Und Ted Hogan hielt drauf.
»Aus dem Weg, ihr Bastarde!«, brüllte er.
»Hogan!«, schrie ich.
Ich kam nicht an ihn heran. Phil warf sich herum, stieß Hogan mit der Schulter an und fiel ihm ins Steuer.
Der Wagen scherte nach links, haarscharf an dem immer noch benommen herumtorkelnden Jungen vorbei, dem jetzt das Blut über die Stirn lief. Ein Stein knallte gegen den metallenen Aufbau. Es dröhnte wie nach einem Granattreffer.
Hogan klammerte sich am Lenkrad fest. Verbissen versuchte er, es herumzureißen, während sein Fuß auf dem Gaspedal blieb.
Als Phil seinen Fuß endlich auf die Bremse brachte, war es zu spät.
Der kleine Laster schlitterte breitseits auf die Begrenzung der Straße zu. Eine niedrige Leitplanke schützte die Fahrer in der Kurve vor einem Sturz auf die Dächer der Lagerschuppen.
Ein harter Ruck ging durch den Wagen, als er mit der Breitseite gegen die Leitplanke knallte. Die Planke sprang aus ihrer Verschraubung, und der Laster geriet über die Kante.
Ich stieß die Tür auf, während sich der Laster langsam zur Seite neigte. Nicht die schräge Böschung und das flache Schuppendach fünfundvierzig Fuß unter mir ließen mich nach Luft schnappen. Der Laster würde irgendwo auf dem Geröllhang hängen bleiben.
Weit links kam der Dodge Van mit aufgeblendeten Scheinwerfern aus der Kehre. Die Lichtkegel strichen über den rissigen Beton und hielten genau auf den kleinen Helikopter zu, der vorn an der Kaimauer stand. Vor dem grauen Wasser war er fast nur an seinen rhythmisch zuckenden Positionslichtern und der schwirrenden Scheibe der Rotorblätter auszumachen.
O verdammt, schoss es durch meinen Kopf. Vierzig Pfund Heroin. Millionenfacher, stückweiser Tod für die Straßen meiner Stadt. Sie durften einfach nicht hinübergelangen!
Ich sprang aus dem Fahrerhaus, landete auf der Böschung und rutschte inmitten einer Gerölllawine abwärts. Ich verlangsamte die Fahrt, indem ich mich an den Ästen der dürren Sträucher festhielt, die überall aus den Felsspalten ragten.
Die hintere Schuppenwand kam bis auf zwölf Fuß an das untere, dort senkrecht abfallende Stück der Böschung heran.
Ich drehte mich, spannte meine Muskeln und stieß mich ab.
Ich landete auf dem Schuppendach. Das Holz unter der spröde gewordenen Teerpappe knackte, hielt meinen Aufprall jedoch aus. Ich rappelte mich wieder auf und lief über das Dach nach vorn.
Der Dodge war jetzt nur noch hundertfünfzig bis zweihundert Yards vom Helikopter entfernt. Ich würde es nicht schaffen, vom Dach zu springen und näher heranzukommen. Mit einem Gewehr hätte ich die ganze Bande am Kai festnageln können.
Ich warf mich aufs Dach. Im Sprung riss ich meinen Smith & Wesson heraus. Für einen sicheren Schuss reichte bei der großen Entfernung das Zwielicht nicht aus.
Ich versuchte es trotzdem. Ich stützte das rechte Handgelenk, visierte die Seitenscheibe des Dodge an und zog durch.
Wahrscheinlich hatte ich die Scheibe getroffen. Aber sehen konnte ich es nicht. Der Fahrer riss das Lenkrad herum, bevor er den Hubschrauber erreichte. Dann flammten die Bremslichter auf, und während der Wagen noch ausrollte, sprangen die beiden Insassen heraus.
Einer von ihnen, ein athletisch gebauter Gorilla namens Bob Kinlaw aus Brooklyn hielt einen länglichen Beutel in der Hand. Bei jedem Laufschritt, der ihn näher an den Helikopter heranbrachte, klatschte der Beutel gegen seine Beine.
Ich presste meine Kiefer zusammen, bis sich die Muskeln verkrampften. Das Heroin war in einer Kiste medizinischer Apparate versteckt gewesen. Kinlaw und sein Komplize hatten die Kiste im Auftrag der rechtmäßig mit dem Transport und der Weiterlieferung der Sendung befassten Spedition in Elizabethport abgeholt. Anscheinend hatten sie den Stoff bereits während der Fahrt aus seinem Versteck geholt.
Nur noch wenige Schritte trennten den Gangster von dem rettenden Fluggerät. Ich spürte den Schweiß zwischen meinen Schulterblättern, während es in meinem Hirn schrie: Drück ab! Drück ab!
»Schieß doch!«, brüllten Phil und Hogan über mir.
Der erste Gangster erreichte die Hummel. Es war Rico Spidone, der den Dodge gesteuert hatte. Er warf sich in die Kabine. Der Pilot erhöhte die Drehzahl der Rotoren.
Kinlaw jagte heran. Noch drei lange Sätze! Im Laufen holte er mit dem Beutel, der das Heroin enthielt, Schwung, um ihn in die Kabine zu schleudern.
Ich hielt den Atem an, zielte auf die schwach als matten dunklen Umriss erkennbare Kabinentür und drückte ab.
Kinlaw zuckte und prallte gegen die gläserne Kanzel. Der Beutel entfiel seiner Hand und schlitterte über den Beton. Sein freier Arm ruderte durch die Luft. Dann fiel er mit dem Oberkörper in die Kabine.
Ich jagte zwei Schüsse gegen das schimmernde Glas der Kanzel. Ich nahm an, dass die Kugeln ihr Ziel erreichten. Ich konnte mir vorstellen, wie das Blei gegen das Glas prasselte.
Die Hummel hob ab. Die Beine des getroffenen Gangsters baumelten plötzlich frei in der Luft.
Und auf dem Beton der Kaimauer lag der flache Beutel.
Einen Augenblick lang schwebte der Hubschrauber wie unschlüssig über der millionenschweren, todbringenden Fracht. Ich pochte mit meinen letzten Kugeln gegen die Hummel, bevor ich aufsprang und den Speedloader aus meiner Tasche zerrte. Während ich auf das vordere Ende des Lagerschuppens zulief, lud ich die Trommel nach.
Der Helikopter schwenkte herum. Und dann hielt er auf mich zu. So sah es jedenfalls aus.
Vermutlich konnten die Insassen mich gar nicht sehen.
Ich warf mich flach aufs Dach, rollte bis zur Kante vor und ließ mich fallen. Ich zog die Beine an, um den Aufprall abzufedern.
Ich spürte den Ruck bis unter die Schädeldecke. Meine Zähne schlugen aufeinander, während die Rotoren scharfkantigen Staub in mein Gesicht schleuderten.
Die Hummel schwenkte herum, um erneut zur Landung anzusetzen. Kinlaw und Spidone waren hartgesottene Kerle und Morenos Vertraute. So ohne Weiteres würden sie das Heroin, für das Moreno eine Vorauszahlung in Höhe von zweihunderttausend Dollar leisten musste, nicht im Stich lassen. Wahrscheinlich bohrte Rico Spidone dem Piloten die Mündung seines Revolvers ins Ohr, während Kinlaws Beine immer noch aus der Kabine baumelten.
Ich ließ mich auf ein Knie nieder und streckte den rechten Arm. Schüsse schräg nach oben sind immer problematisch.
Der Hubschrauber fiel ziemlich schnell. Ich zielte auf die hintere Verkleidung der Kanzel, wo ich den größten Schaden anzurichten hoffte.
Bevor ich abdrückte, nahm ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr, dann hörte ich Schritte, keuchende Atemzüge und eine Stimme.
»Ich bin's, Hogan!«
Hogan rannte an mir vorbei, näher auf den Helikopter zu. Ich zog durch. Dreimal schlug der Revolver in meiner Hand nach oben. Ich war jetzt wesentlich näher an der Maschine als bei der ersten Salve vom Schuppendach aus. Wenn meine Kugeln ihr Ziel erreichten, würden sie das Glas der Kanzel auch durchschlagen.
Die Hummel neigte sich plötzlich nach vorn, als die pfeifenden Kugeln den Piloten erschreckten.
Einen Moment lang sah es so aus, als würde die Nase der Kanzel auf den Kai schrammen.
Im letzten Moment fing der Pilot die Maschine ab. Die linke Kufe berührte kurz den Boden, bevor das Triebwerk aufheulte.
Ted Hogan stand mit gespreizten Beinen auf der Kaimauer, seinen schweren 38er im Anschlag. Während er die Trommel seines Revolvers leerfeuerte, raste der Hubschrauber auf ihn zu.
»Hogan!«, brüllte ich. Doch ich wusste, dass mein Schrei im Pfeifen der Rotorblätter unterging.
Ich sprang auf und rannte los. Der Helikopter jagte flach über den Kai. Eine Kufe war wie eine Lanze auf Hogan gerichtet, der unerschütterlich stehen blieb. Seine Kugeln richteten keinen sichtbaren Schaden an.
Ich spürte den Winddruck der Rotorblätter in meinem Gesicht. Ich hechtete vor, die letzten Schritte, bevor die Maschine uns zerfetzte. Ich warf mich gegen Hogans Rücken und schleuderte ihn nieder. Dann spürte ich einen harten Schlag in meinem Rücken, der mich auf den Beton schmetterte.
Benommen wälzte ich mich auf die Seite. Der Hubschrauber strich schräg über das dunkle Wasser der Bucht.
Und dann war Phil da. Er half Hogan und mir auf die Füße.
»Sie verdammter Idiot!«, schrie er Hogan an. »Wollten Sie mit Ihrer Amokfahrt da oben ein Blutbad anrichten?«
Hogan schien Phils Worte gar nicht zu hören. Er starrte über das Wasser. Von dem Hubschrauber waren nur noch die Blinklichter als blasse Punkte zu erkennen.
»Dieser Bastard kommt wieder davon, Cotton!«, knirschte er, wobei die Adern an seinem Hals dick hervortraten.
Ich steckte den Revolver ein und bückte mich nach dem Beutel. Ich hielt einen Augenblick den Atem an, als ich den dumpfen Schmerz spürte, wo mich die Kufe des Hubschraubers im Rücken gestreift hatte.
»Immerhin«, sagte ich vorsichtig ausatmend, »haben wir das Heroin, Ted.«
»Schon gut«, sagte Hogan zu Phil. Er entspannte sich und sah mich an. »Schon gut. Und vielen Dank. Ohne Sie wäre es aus mit mir.«
»Das ist ganz sicher«, bestätigte Phil grimmig.
»Moreno kommt auch noch dran«, versicherte ich. »Beim nächsten Mal. Oder beim übernächsten ...«
Das nächste Mal ...
Das letzte Mal lag jetzt fünfeinhalb Monate zurück. Wieder saßen wir in einem Lastwagen, jetzt allerdings hinten im Aufbau, der mit elektronischen Lauschmitteln und anderen technischen Kinkerlitzchen vollgestopft war. Und dieses Mal froren wir erbärmlich, denn es war November, und vor einigen Tagen war es plötzlich kalt geworden. Lausig kalt.
Unsere Sondereinheit war nicht aufgelöst worden, obwohl Phil und ich in der Zwischenzeit mit anderen Fällen beschäftigt gewesen waren. Ted Hogan allein hatte in geduldiger Kleinarbeit den nächsten Schlag gegen Frank Moreno vorbereitet.
Moreno brauchte neuen Stoff, wenn er seine Organisation zusammenhalten wollte. Seine Verbindung nach Nahost war gut getarnt, aber nicht gut genug für einen so zähen Fahnder wie Ted Hogan.
Spitzel und Informanten sind nie besser als der Mann, der die Informationen bekommt und auswertet. So wusste Hogan die untrüglichen Zeichen richtig zu deuten, die besagten, dass wieder eine Sendung auf den Weg gebracht wurde.
Mithilfe seiner Angaben konnten die Fahnder von Interpol den Weg der Ware von Pakistan aus verfolgen. In der Maschine eines Diplomaten flogen vierzig Pfund sechzigprozentiges Heroin von Karachi nach Hongkong. Dort wurde es an Bord eines britischen Frachters geschmuggelt, der Halbfertigteile aus Edelstahl für eine Werkzeugmaschinenfabrik in Middletown, Connecticut, geladen hatte. Planmäßig verließ der Frachter den Hafen von Hongkong und ging auf Ostkurs.
Doch nachdem er den Panamakanal passiert hatte, geschah das Unerwartete. Der Kapitän bekam von seiner Reederei eine neue Order – die Fracht wurde nach Venezuela umgeleitet, angeblich im Auftrag der Maschinenfabrik aus Middletown.
Eine Nachfrage bei dem Empfänger verbot sich zum jetzigen Zeitpunkt von selbst. Falls Moreno, was anzunehmen war, einen Mittelsmann oder Informanten im Werk hatte, würde eine Anfrage ihm verraten, dass jemand hinter seiner heißen Ware her war.
Die Ware, davon war Ted Hogan überzeugt, befand sich jedoch nicht mehr an Bord des Frachters. Interpol konnte ihm nicht garantieren, dass sie das Schiff jederzeit rund um die Uhr unter Kontrolle gehabt hatte. Hogan war sich sicher, dass das Rauschgift irgendwann während der Fahrt durch die Landenge von Panama ausgeladen und einem Kurier übergeben worden war.
Ich war geneigt, der Ansicht des Kollegen zuzustimmen. Die Ware befand sich jetzt auf einem verschlungenen Weg über mehrere Stationen auf der Reise an ihren Bestimmungsort.
Dafür sprachen Ted Hogans letzte Informationen.
Viele Dutzend Dealer, die von Morenos Unterverteilern beliefert wurden und seit Wochen auf dem Trockenen saßen, versprachen ihren Kunden seit einigen Tagen neuen Stoff. Guten Stoff, billigen Stoff.
Und Frank Moreno war wieder in der Stadt! Sein schmutziges Geld steckte, nachdem es gewaschen worden war, in Häusern und Grundstücken und unzähligen mehr oder weniger sauberen Restaurants, Bars und Klubs in New York. Darüber hinaus hielt er Anteile an zwei Hotels in Miami. Immer wenn es in der Stadt am Hudson River kalt wurde, zog er sich ins warme Florida zurück, um sich seinen dortigen Investitionen zu widmen.
Doch vor drei Tagen war er plötzlich nach New York zurückgekehrt. Seitdem rührte er sich nicht aus seinem Haus am Vernon Boulevard in Queens. Er wartete.
Auf Schnee aus Pakistan.
Es war etwas im Busch, auch wenn unsere hochempfindlichen Aufnahmegeräte nur undefinierbaren Wellensalat auffingen. Die Telefonüberwachung brachte auch nichts ein. Moreno war zu lange im Geschäft, um wichtige Dinge am Telefon zu besprechen. Frank Moreno hatte sein Haus in eine Festung verwandelt, die selbst moderner Elektronik standhielt.
Es war ein älteres, äußerlich unscheinbares Gebäude mit einem Restaurant im Erdgeschoss, das Moreno's Italian Café hieß. Frank Morenos Großvater hatte das Lokal vor zweiundsechzig Jahren gegründet, und Frank hatte es von seinem Vater übernommen. Moreno war sentimental wie alle Italiener, wenn es um die Familie ging. Er hätte sich einen Palast leisten können oder mehrere Stockwerke in einem Wolkenkratzer drüben in Manhattan.
Frank Moreno hatte das erste Haus, das seine Familie in der Neuen Welt gebaut hatte, zu seinem Hauptquartier gemacht. Im Lauf der Zeit hatte er die angrenzenden Häuser aufgekauft und sie untereinander verbunden. Es war ein Rattennest, der ganze Block da drüben.
Der untere Vernon Boulevard war längst heruntergekommen wie viele dieser alten Viertel in Queens. Wir standen mit unserem geschlossenen Lastwagen auf dem Abstellplatz einer Tankstelle an der Ecke schräg gegenüber von Morenos Haus, mitten zwischen zwei Dutzend zum Teil ausgeschlachteten anderen Trucks und Lieferwagen.
Der Pächter der Tankstelle war ein alter Kunde von Ted Hogan und ihm noch einen Gefallen schuldig. Bevor wir uns auf seinen Platz stellten, hatten wir uns vergewissert, dass er keine Geschäfte mit Moreno oder seinen Leuten machte.
Jedem von uns war bewusst, dass drei Männer nicht ausreichten, um einen Fuchs wie Frank Moreno zu überwachen. Aber immer noch gab es das Leck in der Rauschgiftbehörde. Deshalb hatten wir beschlossen, es noch einmal allein zu versuchen.
Diesmal allerdings mithilfe elektronischer Überwachungsanlagen, die unsere Sinne verlängern und vervielfachen sollten.
So hatten wir ohne fremde Hilfe insgesamt sechs Limousinen und Kombis rings um den gegenüberliegenden Block verteilt aufgestellt. In jedem dieser Fahrzeuge waren Fernsehkameras und hochempfindliche Richtmikrofone installiert, die auf alle Ausgänge und Ausfahrten ausgerichtet waren und jedes Geräusch und jede Bewegung auf die Lautsprecher und Monitore im Lastwagen übertrugen. Videorecorder hielten jede Bewegung zusätzlich auf Band fest.