Jerry Cotton Sonder-Edition 226 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 226 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Nach Hongkong führte uns die Verfolgung eines berüchtigten amerikanischen Gangsters. Dort wurden wir urplötzlich in einen Sensationsfall verstrickt, bei dem es um gigantische Mengen Roh-Opium für die Mafia ging. Ich flog ins Goldene Dreieck, mitten ins Hauptquartier des gefürchteten Opiumkönigs Morton Khan. Meine Chancen, mit dem Leben davonzukommen, waren gering. Denn als ich Morton Khan begegnete, war ich an Händen und Füßen gefesselt ...

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Seitenzahl: 169

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Rotes Blut – weißer Mohn

1

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Vorschau

Impressum

Rotes Blut – weißer Mohn

Nach Hongkong führte uns die Verfolgung eines berüchtigten amerikanischen Gangsters. Dort wurden wir urplötzlich in einen Sensationsfall verstrickt, bei dem es um gigantische Mengen Roh-Opium für die Mafia ging. Ich flog ins Goldene Dreieck, mitten ins Hauptquartier des gefürchteten Opiumkönigs Morton Khan. Meine Chancen, mit dem Leben davonzukommen, waren gering. Denn als ich Morton Khan begegnete, war ich an Händen und Füßen gefesselt ...

1

Wie ein Peitschenhieb zerriss der Knall die Stille. Ich fuhr herum, instinktiv, blitzartig, obwohl der düstere Hotelflur völlig leer war. Guy Milesi schrie. Mit dem ganzen Gewicht presste ich den hageren kleinen Mann gegen die fleckige Tapete.

Mein Freund und Partner Phil Decker stand breitbeinig da, den Revolver im Combat-Anschlag. Ich wartete auf die Schüsse, auf Türenschlagen, Schritte und Stimmengewirr. Aber nichts geschah. Jedenfalls nichts, das bis hier herauf in den vierten Stock des Hongkong Star gedrungen wäre.

Einen Augenblick glaubte ich fast, geträumt zu haben. Dann hörte ich Guy Milesi stöhnen, spürte das Zucken seines Körpers und trat erschrocken einen Schritt zurück.

Das Gesicht des kleinen Mannes war blau angelaufen. Flatternd griffen seine Hände zum Herzen. Noch einmal bekam er Luft. Noch einmal schrie er.

Ich hielt ihn an den Schultern, sonst wäre er zusammengesackt. Verdammt, ich wusste, dass er nicht verletzt war, nicht verletzt sein konnte. Doch ich spürte die Nähe des Todes wie einen eisigen Hauch, der mich berührte.

Milesis Augen brachen, als ich ihn zu Boden gleiten ließ und versuchte, den Kragen an seinem Hals zu lockern. Zu spät! Der Mann lebte nicht mehr.

Immer noch konnte ich keine Verletzung entdecken. Nur diese blauen Lippen, die über der Brust verkrampften Hände und die Todesangst, die in dem verzerrten Gesicht wie festgefroren war.

Herzinfarkt, dachte ich.

Der Schreck hatte ihn getötet. Der Schreck wegen eines Knalls, den er für einen Schuss gehalten haben musste. Später stellte sich als Ursache die Explosion eines vergessenen Dampfdrucktopfs in der Hotelküche heraus.

Die englische Polizei hatte das Gebäude geräumt. Niemand war zu Schaden gekommen. Niemand außer dem amerikanischen Gangster Guy Milesi, den Phil und ich von Hongkong nach New York zurückbringen sollten, damit er gegen seine ehemaligen Komplizen auspackte.

Die Mafiabosse, die Milesi zum Schweigen bringen wollten, brauchten sich jetzt nicht mehr anzustrengen.

»Herzinfarkt«, knurrte Phil zwei Stunden später im Hotelzimmer erbittert. Einem Zimmer in einer unauffälligen, durchschnittlichen Touristenherberge übrigens, nicht in dem düsteren Loch, wo unser Mann vor seinem Tod untergekrochen war. »Jemand hätte uns doch, verdammt noch mal, sagen müssen, dass Milesi ein schwaches Herz hat!«, fuhr mein Freund fort. »Nach allem, was für seine Sicherheit unternommen worden ist, wäre es ja wohl ein Klacks gewesen, einen Arzt aufzutreiben, der ihn unter Beruhigungsmittel oder sonst was gesetzt hätte.«

Ich zuckte mit den Schultern. Der Whisky, den ich in der Hand hielt, schmeckte mir nicht.

Wenn, hätte, wäre ... Milesi war tot. Daran ließ sich nichts ändern. Die Chance, mithilfe seiner Aussage einen entscheidenden Schlag gegen die Mafia zu führen, diese Chance, derentwegen Phil und ich nach Hongkong geschickt worden waren, gab es nicht mehr.

Oder doch? Waren da noch unbekannte Fakten und Zusammenhänge? Milesi wäre nicht ausgerechnet nach Hongkong geflohen, wenn er sich nicht etwas davon versprochen hätte.

Alte Verbindungen vielleicht, die er nutzen wollte? Oder Freunde, von denen er sich Hilfe versprach? Viel wussten wir nicht in dieser Richtung, aber immerhin ...

Meine Gedanken stockten, als das Telefon summte. Ich hatte ein Gespräch nach New York angemeldet. Mr. High war am anderen Ende der Leitung. Trotz der riesigen Entfernung klang seine Stimme überraschend klar.

Ich berichtete knapp.

Der Chef schwieg einen Augenblick.

»Sehen Sie noch irgendwelche Möglichkeiten, Jerry?«, fragte er dann. »Könnte Milesi zum Beispiel Aufzeichnungen hinterlassen haben?«

»Nicht in seinem Hotel, Sir.«

»Und sonst? Hat er Leute getroffen, telefoniert oder Kontakte aufgenommen?«

»Wir wissen nur von einem Fall, Sir.« Ich zögerte. »Eine Sache, die mir von Anfang an etwas merkwürdig vorkam. Milesi hat gleich nach seiner Ankunft im Hotel Telefonbücher gewälzt und den Namen eines amerikanischen Geschäftsmanns namens Rodney Garret unterstrichen. Die betreffende Nummer versuchte er dann mehrfach anzurufen. Jedes Mal wenn er ein paar Worte gesagt hatte, wurde laut Auskunft des Portiers das Gespräch unterbrochen. Milesi selbst behauptete, den Mann mit einem alten Bekannten verwechselt zu haben, der ebenfalls Garret heißt und offenbar nicht mehr in Hongkong lebt.« Ich hob die Schultern, obwohl Mr. High es nicht sehen konnte. »Die Erklärung klang halbwegs plausibel. Bisher hatten wir keinen Grund, weiter in dieser Richtung nachzuforschen. Nur jetzt ...«

»Ein Versuch kann auf jeden Fall nicht schaden. Sie haben freie Hand, Jerry, natürlich nur, soweit es sich mit Ihrer Rolle als Gast in der Kronkolonie vereinbaren lässt.« Der Chef machte eine Pause. »Außerdem könnte Ihnen vielleicht die Adresse der Firma Johnson Incorporated weiterhelfen ...«

Er nannte die Anschrift, ein Bürohaus in Kowloon. Ich grinste matt, als ich den Hörer auflegte und Phil den Zettel mit der Notiz zuschob. Mr. Highs Formulierung und die Art, wie er das Wort Firma betonte, hatten deutlich genug verraten, dass es sich um eine Deckadresse handelte.

Firma – so wird bei uns in den Staaten unter Geheimdienstleuten die CIA genannt. Central Intelligence Agency.

Phil verdrehte die Augen. Wir haben beide nicht besonders gern mit den Gentlemen aus Langley zu tun. Es gibt bei ihnen zu viele, die den Stempel topsecret am liebsten auch noch auf die Statistik über den Büroklammernverbrauch in ihrer Dienststelle drücken würden.

Phil warf eine Münze und verlor prompt.

Er würde das Vergnügen haben zu versuchen, der Firma Johnson Incorporated Geheimnisse über die Unterwelt von Hongkong und Guy Milesis mögliche Verbindungen zu entreißen.

In der klaren, kühlen Gebirgsluft wirkten die Umrisse der Landschaft wie aus Pappe geschnitten. Schnaubende Maultiere, klappernder Huftritt, das knarrende Stiefelleder der Männer, Murmeln und gelegentliche Flüche mischten sich zu einer einschläfernden Geräuschkulisse, hinter der dennoch fast greifbar Spannung lauerte.

Lee Singal, ehemaliger CIA-Mann und jetzt Agent der Rauschgiftbehörde, legte den Kopf in den Nacken. Über ihm ragte der Gipfel des Mount Shaolein in den Himmel. Ein gleichmäßiger Kegel, nur von dem gezackten Grat unterbrochen, den die Angehörigen des Schan-Volks in ihrer Sprache Drachenzahn nannten.

Lee Singal kannte den Platz von zwei früheren Besuchen. Er hatte dort ein kleines Camp mit Funkgerät und Ausrüstung angelegt, die letzte Bastion für den äußersten Notfall. Ein schmales Lächeln glitt über seine Züge. Für ein Himmelfahrtskommando, fand er, war dieses Schlupfloch zwischen Himmel und Erde sehr passend ...

»Vorsicht, Lee!«

Die dunkle, kehlige Stimme hinter ihm gehörte dem Burmesen Ula Mandalai. Er war stämmig und untersetzt. Wie ein Sack hing er auf dem schwankenden Maultier, als könnte er sich nur mit Mühe halten. Lee Singal kannte ihn besser. Auch die Männer wussten, dass in dem schweigsamen Burmesen Granit steckte.

Sie waren Söldner, ein zusammengewürfelter Haufen. Deserteure, Abenteurer, Banditen, ehemalige nationalchinesische Soldaten, junge Schan, die der Hunger aus ihren Dörfern vertrieben hatte. Männer, die nur dem Stärkeren gehorchten. Sie kämpften für den, der Bezahlung versprach. Doch sie würden auch ohne Skrupel über ihn herfallen, sobald er sich eine Blöße gab.

Lee Singal wusste das. Er gab sich keine Blöße. Nur einmal hatte er den Eindruck gehabt, dass sich eine Gruppe etwas zu eingehend mit dem Maultier befasste, auf dem sie die Dollars vermutete. Die geballte Ladung Handgranaten war in einer Felsenmulde explodiert, ohne jemand zu gefährden. Die moralische Wirkung reichte jedoch aus und hielt vor.

»Ich kenne den Weg«, sagte Singal über die Schulter, ohne sein Reittempo zu ändern. »Es sieht mörderisch aus. Aber der Fels ist gut, und der Pfad verbreitert sich schnell wieder. Die Kolonne wird durchkommen.«

»Wenn du es sagst ...«

Die Stimme des Burmesen klang gleichmütig. Er zeigte selten eine Gemütsbewegung. Denen, die ihn nicht kannten, war er unheimlich. Nicht einmal Singal wurde völlig klug aus ihm.

Sie arbeiteten nicht zum ersten Mal zusammen, sie kannten sich seit Jahren und verließen sich blind aufeinander. Man hätte es Freundschaft nennen können, wenn auf Ula Mandalais unenträtselbare Beziehung zum Rest der Welt Begriffe wie Freundschaft anwendbar gewesen wären.

Lee Singal warf noch einen prüfenden Blick auf die Kolonne. Schwankende Maultiere, schwer bepackt mit Säcken voll Roh-Opium. Zerlumpte, abgerissene Männer, die teils ritten, teils stoisch marschierten. Wurzellose Männer. Im Schan-Staat, dem Herzen des Goldenen Dreiecks, gab es sie zuhauf.

Die Zahl der sogenannten Opium-Armeen, die hier ihr Leben vom Rauschgift fristeten, ließ sich immer nur schätzen. Und immer gab es Überläufer, Versprengte, Ausgestoßene.

Lee Singal hatte seine Leute aus diesem Reservoir geholt. Sie folgten ihm, weil er zahlte. Sie respektierten ihn sogar, weil er es geschafft hatte, sich in das Vertrauen eines Opiumkönigs zu schleichen und die halbe Ernte an sich zu bringen.

Auf dem ganzen langen Weg hatte es keinen einzigen Angriff gegeben, der mit Waffengewalt abgeschlagen werden musste.

Nicht einmal der Khan war wiederaufgetaucht, jener geheimnisvolle Fremde, von dem es hieß, dass er in Kürze das ganze Dreieck beherrschen werde.

Lee Singal achtete auf den schmalen Maultierpfad, während sich ein Teil seiner Gedanken ebenfalls mit dem sogenannten Khan beschäftigte. Morton Khan, ein internationaler Gangster englisch-iranischer Abstammung, ungeheuer raffiniert, ungeheuer skrupellos, ein Taktiker von hohen Graden ...

Er war es, dem Singals Einsatz galt. Der amerikanische Geheimdienst wünschte, dass Khans Bündnis mit einer bestimmten kommunistischen Rebellentruppe zerschlagen würde. Ohne das Opium, das für die Rebellen Mittel zum »höheren« Zweck und für Khan Geschäft war, würde aus diesem Bündnis erbitterte Feindschaft werden.

So weit die Absichten der CIA. Die Rauschgiftbehörde dagegen sah die Chance, einen Teil des Heroinmarkts trockenzulegen.

Lee Singal arbeitete für die Rauschgiftbehörde. Deshalb die selbstmörderische Aktion, mit der er einen Teil der diesjährigen Opiumernte an sich gebracht hatte. Deshalb der Versuch, das Gift an einen Platz zu bringen, von dem es nicht so leicht zurückgeholt werden konnte. Jedenfalls nicht von den Leuten, die den amerikanischen Markt mit dem Stoff überschwemmen wollten.

Die CIA würde vermutlich ganz nebenbei zu ihrem Erfolg kommen. Lee Singal hoffte es, obwohl dieser Punkt für ihn nicht die Hauptrolle spielte. Für ihn zählte nur eines, dass die riesigen Opiummengen in seinem Gepäck entweder an die richtige Adresse gelangen – oder in Flammen aufgehen würden.

»Vorsicht, Lee!«

Wieder war es die Stimme des Burmesen, die in seinem Rücken erklang. Diesmal galt die Warnung nicht dem schwindelerregend schmalen Maultierpfad, sondern den Männern, die hastig die Kolonne überholt hatten. Noch hielten sie die Gewehrläufe zu Boden gesenkt. Aber in ihren Gesichtern lag Wut, und zwei von ihnen schoben sich zur Seite, um dem Maultier den Weg zu versperren.

Lee Singal hob die Hand und stieß das lang gezogene Wort aus, das Halt bedeutete.

»Ja?«, fragte er gelassen.

Der Anführer der Gruppe fuhr sich mit allen fünf Fingern durch das verfilzte Bartgestrüpp. Dunkle, glitzernde Augen funkelten in den Höhlen.

»Wir machen nicht mehr mit«, knurrte er tief in der Kehle. »Wir gehen nicht auf diesen Berg, wo wir Gefahr laufen, uns Knochen und Genick zu brechen. Es ist Unsinn, es ...«

»Hüte deine Zunge!«, zischte Mandalai mit einem Griff zu dem Handgranatenbeutel an seinem Sattel.

Der Bärtige reckte herausfordernd das Kinn. Er wusste, dass niemand hier auf dem schmalen Maultierpfad eine Handgranate werfen oder Schüsse abgeben konnte, ohne ein Chaos auszulösen. Niemand, auch er und seine Kumpane nicht. Doch sie würden es riskieren, wenn sie keinen anderen Ausweg sahen. Genau wie Singal, Mandalai und der ewig lächelnde Thailänder Kyan Ky es riskieren würden, wenn sie sich ihrer Haut wehren mussten.

Jetzt war es Lee Singal, der lächelte. Er hatte die Meuterei erwartet. Die Männer fragten wenig, dachten wenig. Aber dass sie all die Säcke mit Opium mühsam einen Berg hinaufbringen sollten, von dem das Zeug später ebenso mühsam wieder heruntergeholt werden musste, konnte ihnen gar nicht anders als unsinnig vorkommen.

»Kein Grund zur Aufregung«, sagte Singal gelassen. »Wir schaffen den Rest auch allein. Wenn ihr wollt, könnt ihr eure Dollars nehmen und verschwinden.«

Ich lenkte den Mietwagen durch die bunte, laute, wirbelnde City von Victoria.

Mein Ziel lag im Süden der Insel, in Stanley mit seinem prachtvollen Sandstrand und dem exklusiven Villenviertel, wo Rodney Garret ein Apartment bewohnte.

Offiziell hatte der Mann eine völlig weiße Weste. Nur über die Art seiner Geschäfte wusste niemand so recht Bescheid.

Seine Vergangenheit war unseren Hongkonger Kollegen ebenfalls unbekannt. Durchaus denkbar also, dass es da alte Verbindungen zwischen ihm und Guy Milesi gab.

Verbindungen, die möglicherweise auch die Gegenseite kannte – Milesis Ex-Komplizen von der New Yorker Mafia.

Ich sagte mir, dass unsere Sicherheitsmaßnahmen für den Überläufer schließlich nur routinemäßiger Vorsicht entsprungen waren. Dass wir Rücksicht auf Milesis panische Angst genommen hatten. Dass es keine Hinweise auf die Anwesenheit von Mafiakillern in Hongkong gab.

Andererseits ist die Kronkolonie als Heroinküche berüchtigt, als Drehscheibe für das Opium aus dem Goldenen Dreieck. Hier kommt das Zeug zu Morphinbase aufbereitet an. Hier wird es in Brown Sugar, den braunen Zucker verwandelt. Der lange Arm der Mafia reicht mit Leichtigkeit nach Hongkong. Gerade nach Hongkong!

Hatten wir uns die Sache zu einfach gemacht? Wäre es besser gewesen, Rodney Garret kurzerhand unter Polizeischutz zu stellen? Genau wie den chinesischen Hotelportier, dem wir den Hinweis verdankten?

Ich spürte ein unangenehmes Prickeln im Nacken, als ich den Mietwagen auf die Rampe der Tiefgarage lenkte, die zu Garrets Adresse gehörte. Verwundert stellte ich fest, dass die Schranke hochstand und die Glaskabine des Wächters leer war. Für ein Apartmenthaus dieser Preisklasse erschien mir das ungewöhnlich. Schulterzuckend fuhr ich weiter, fand eine freie Besucherbox und stieg aus.

Das Kribbeln in meinem Nacken verstärkte sich.

Mit zusammengekniffenen Augen sah ich mich um. Jetzt am Nachmittag war das Parkdeck nur zur Hälfte besetzt. Englische Luxuslimousinen herrschten vor, dazu ein paar kleine Sportflitzer, die im Verkehrsgewühl von Hongkong sicher handlicher waren.

Sogar einen Jaguar entdeckte ich. Ein Expresslift und zwei langsamere Aufzüge führten nach oben. Bei einem davon hüpfte der rote Punkt der Stockwerksanzeige über die Skala abwärts.

Er stand auf der 2, als ich das Geräusch hinter mir hörte.

Ein leises Rascheln, als streife Stoff über Metall. Verdammt, das kalte Gefühl im Genick hatte mich von Anfang an gewarnt!

Auf dem Absatz fuhr ich herum. Undeutlich flog ein Schatten auf mich zu. Ich sah ein kantiges, verzerrtes Gesicht, stahlblaue Augen, eine blonde Haarbürste.

Und ich sah den schweren Revolver, den der Kerl hochgerissen hatte, um mir den Lauf über den Schädel zu ziehen.

2

Wie eine dunkle, gigantische Raubtierpranke verdeckte die Felsschulter an der Westflanke des Mount Shaolein die abziehende Maultierkolonne. Nur der Staub, den die Hufe in der trockenen Senke aufwirbelten, leuchtete als dünner karmesinroter Schleier in der untergehenden Sonne.

Lee Singal hatte sich mit Seil und Haken an einer der schroffen Nadeln hoch über dem Saumpfad gesichert. Er wollte wissen, ob die Männer, die er ausbezahlt hatte, tatsächlich verschwanden. Er wäre nicht überrascht gewesen, wenn sie sich in einen Hinterhalt gelegt hätten, um außer den Dollars auch noch das Opium zu bekommen.

Aber sie zogen wirklich ab, wie er zufrieden feststellte.

Sein Blick wanderte nach unten. Über der Bergflanke und dem Pfad lag die Dämmerung wie ein malvenfarbenes Tuch. Schattenhaft erkannte er den schlanken Thailänder Kyan Ky, der die drei verbliebenen Maultiere hinter sich her zerrte. Abwärts. Die Opiumsäcke lagen sicher in ihrem Versteck. Es war langwieriger, dafür gefahrloser gewesen, sie der Reihe nach mit nur drei Tieren zu transportieren, statt die ganze schwerfällige Kolonne hinaufzubringen.

Minuten später kam auch Ula Mandalai das letzte steile Stück des Pfades herunter.

Er ging gebückt. Er bewegte sich langsam und vorsichtig rückwärts. Was er tat, ließ sich aus der Entfernung nicht erkennen. Doch Singal wusste es.

Er machte sich keine Illusionen darüber, dass das Versteck des Opiums nicht lange ein Geheimnis bleiben würde und dass sie keine Chance hatten, es gegen Morton Khan oder einen der anderen Rauschgifthaie zu verteidigen, die mit ihren Leuten wie mit kriegsmäßigen Armeen operierten.

Der Berg würde es verteidigen. Wenn der Maultierpfad erst gesprengt war, gab es keine Möglichkeit mehr, an das Versteck heranzukommen, es sei denn für einen erfahrenen Bergsteiger.

Lee Singal stammte aus den Rocky Mountains und hatte schon als Junge Routen mit den höchsten Schwierigkeitsgraden bezwungen.

Einen Augenblick hing er Erinnerungen nach. Dann lachte er leise über sich selbst, wandte sich ab und kletterte wieder zu dem Saumpfad hinunter.

Ula Mandalai verdämmte die Sprengladungen. Im Halbdunkel glich das Burmesengesicht mit den kräftigen, eigentümlich weichen Zügen einer Buddhamaske, stumm und undurchschaubar. Mit dem Handrücken wischte er sich den Schweiß von der Stirn.

»Der Khan kann Männer kaufen, die trotzdem hinaufkommen«, stellte er fest.

Singal nickte. Er wusste, dass die wenigen Worte das Ergebnis gründlichen Überlegens waren. »Das kann er, Ula. Nur müsste er dazu erst erfahren, dass wir gar nicht vorhaben, das Opium über den Handelsweg zu bringen. Natürlich wird er es am Ende erfahren. Bis dahin haben wir Verstärkung von unseren Leuten aus Thailand.«

»Und wenn der Khan schon weiß, wer du bist?«

»Dann würde er schneller hier sein, als wir glauben, schneller auf die Kolonne treffen und vermutlich gewinnen. Aber er kann es nicht wissen. Woher sollte er?«

»Wenn du es sagst ...«

Ruhig wandte sich der stämmige Burmese wieder seiner Arbeit zu. Lee Singal begann mechanisch, die Zündschnüre zu verlegen. Seine Augen kniffen sich fast unmerklich zusammen. Mandalais Worte hatten Zweifel geweckt, eine unerklärliche Unruhe.

Konnte wirklich kein Außenstehender wissen, dass er, Lee Singal, für die Rauschgiftbehörde arbeitete? Seine Tarnung war über Jahre nie in Gefahr geraten. Diesmal wussten einfach zu viele Leute von der Aktion: Langley, die CIA-Sektion Hongkong, thailändische Stellen, die den Einsatz der Rauschgiftbehörde auf ihrem Staatsgebiet hatten absegnen müssen.

Existierte irgendwo eine undichte Stelle?

Möglich, dachte Singal nüchtern. Verrat gab es überall. Er hatte es gewusst, als er dieses Himmelfahrtskommando übernommen hatte. Er hatte es bei allen seinen früheren Jobs gewusst. Der Einsatz war das Leben.

Und der Preis? Er brauchte nicht darüber nachzugrübeln. Es genügte, sich ein paar Namen und Gesichter ins Gedächtnis zu rufen.

Alice, Sandie ... Das Kind, das sterben musste, weil skrupellose Gangster seine Mutter süchtig gemacht hatten, noch ehe es geboren wurde. Die junge Frau, die aus Verzweiflung in den Tod ging.

Seine Frau und sein Kind. Seit damals gab es nichts, das er mehr hasste als das weiße Gift und die Schufte, die sich daran bereicherten.

Mit einem tiefen Atemzug schüttelte er die Erinnerung ab.

In den nächsten Minuten konzentrierte er sich ganz auf das Verlegen der Sprengladungen. Ula Mandalai überprüfte noch einmal sorgfältig die Zündvorrichtung. Kyan Ky wartete, auch jetzt lächelnd, mit den Maultieren und der verbliebenen Ausrüstung in einer geschützten Mulde.

Ein paar einzelne Steineichen reckten ihre knorrigen Äste in den Himmel. An der Bergflanke wucherte Dornengestrüpp. Weiter unten begannen die Teakwälder, die das Bergland der Schan-Staaten prägten.

Niemand würde uns hier suchen, dachte Singal. Die Jäger müssen uns weiter im Osten vermuten, dort wo die Schmuggelwege verlaufen, die in Hongkong enden.

Sie hatten Zeit. Einfacher wäre es gewesen, das Opium sofort zu vernichten. Einfacher und für ihn, Singal, gefahrloser. Doch wenn es in die richtigen Hände geriet, konnte es als Köder dienen. Als Köder für eine Falle, in der sich Morton Khan oder eine andere dieser menschlichen Bestien vielleicht endgültig fangen würden.

Es wird funktionieren, dachte Lee Singal, während er sich aufrichtete und seinen schmerzenden Rücken rieb.

Mandalai turnte über den Rand der Mulde, mit diesen langsamen, zielstrebigen Bewegungen, die nur scheinbar schwerfällig waren. Kyan Ky hatte die Maultiere an einen toten Baumstamm gebunden. Erwartung glänzte in seinen Augen. Singal atmete tief durch. Bloß Ula Mandalai hielt keine Sekunde inne. Er schien dem Augenblick nichts Bedeutungsvolles abzugewinnen, sondern tat einfach, was getan werden musste.

Mit einer kräftigen Bewegung drückte er den Griff des Zündkastens nieder.

Einen Herzschlag lang blieb es still. Dann rollte die Kette der Detonationen wie Donner über die Bergflanke.

Sie duckten sich, pressten sich dicht in den Schutz der Felsen, während die Druckwelle wie eine bösartige Sturmbö heranfegte. Schrill schrien die Maultiere, bäumten sich auf und suchten auszubrechen.

Singal hörte das Knacken des toten Holzes im verebbenden Grollen der Explosion. Steine polterten. Staub und Splitter regneten herab. Lee Singal wollte den Kopf heben – und zuckte zusammen.

Etwas zitterte in der Luft, dumpf und drohend.