Jerry Cotton Sonder-Edition 229 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 229 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Sie sahen so unschuldig und gleichzeitig so verlockend aus wie exotische Blumen. Sie kamen aus Thailand und wurden in den USA von einer habgierigen Mädchenhändlerbande erwartet. Doch die duftenden Blüten des Orients waren nicht nur willige Opfer. Einige entpuppten sich überraschend als gefährliche Mörderinnen - als Todesblumen aus Bangkok ...


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Seitenzahl: 159

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Todesblumen aus Bangkok

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Vorschau

Impressum

Todesblumen aus Bangkok

Sie sahen so unschuldig und gleichzeitig so verlockend aus wie exotische Blumen. Sie kamen aus Thailand und wurden in den USA von einer habgierigen Mädchenhändlerbande erwartet. Doch die duftenden Blüten des Orients waren nicht nur willige Opfer. Einige entpuppten sich überraschend als gefährliche Mörderinnen – als Todesblumen aus Bangkok ...

1

Die Stimme war in ihrem Kopf. Eine leise Stimme, raunend, beschwörend. Geh, flüsterte sie. Geh und töte ihn ... Geh, geh ...

Sie schloss die Augen und lehnte die Stirn gegen das kühle Glas der Fensterscheibe. Die Stimme in ihrem Kopf wisperte weiter. Sie wusste nicht mehr, wann es angefangen hatte. Vielleicht war die Stimme schon immer da gewesen. Vielleicht erinnerte sie sich nur nicht daran, wie sie sich an so vieles nicht erinnerte.

Draußen fiel Regen und bewegte das Laub der Bäume wie mit sanften Fingern. Sie schauerte. Gleich würde Boolin kommen und mit ihr wegfahren, hinüber in die große Stadt, vor der sie sich fürchtete. Boolin schien immer zu wissen, was die Stimme in ihrem Kopf befahl. Hörte er sie ebenfalls? Sie durfte ihn nicht fragen. Es gab Dinge, über die sie nicht sprechen durfte, oder die Stimme würde nicht aufhören zu reden, würde sie quälen, in ihrem Kopf dröhnen, endlos widerhallend.

Rasch wandte sie sich vom Fenster ab. Sie durchquerte das kleine Zimmer und öffnete einen Schrank. Ihre Finger schlossen sich um den kühlen Griff der Pistole. Die Stimme in ihrem Kopf flüsterte immer noch.

Geh, raunte sie ihr zu. Geh und töte ihn ... Töte, töte, töte ...

Zwischen den hohen düsteren Hauswänden bildete der Hinterhof einen engen Schacht, in den nicht einmal der Widerschein der Lichtglocke über Manhattan drang. Das einzige helle Fenster schälte eine mattgelbe Insel aus der Dunkelheit und ließ einen Streifen nassen Kopfsteinpflasters glänzen. Lee Singal duckte sich in den Schlagschatten leerer Getränkekästen. Er lauschte auf die Schritte, die sich näherten.

Leise Schritte, unsicher und verstohlen.

Er runzelte die Stirn. Innerlich spannte er sich. Er beobachtete die Bar mit dem Namen Mun River seit Tagen. Es war das erste Mal, dass jemand den Hof betrat, auf den nur eine einzige Tür mündete, nämlich der Hinterausgang des Lokals.

Aus zusammengekniffenen Augen blickte Lee Singal zu der handtuchschmalen Einfahrt hinüber. Die Gestalt des Fremden war nur ein Schattenriss: schmal, klein gewachsen, fast zierlich. Jetzt streifte ihn das Licht aus dem hellen Fenster. Es traf ein asiatisches Gesicht unter glänzendem blauschwarzem Haar. Ein Gesicht, das Lee Singal kannte.

Pibul, dachte er überrascht. Pridi Pibul aus Bangkok. Wie kam der Mann nach New York? Was suchte er im Mun River? Er war Thai, und das hier war ein thailändisches Lokal. Aber zwischen den Besitzern des Mun River und den Männern, die hinter Pridi Pibul standen, hatte es nie eine Verbindung gegeben.

Singals Hand tastete unwillkürlich zum Schulterholster, während seine Gedanken fieberhaft arbeiteten. Nur wenige Yards von ihm entfernt blieb der schlanke Thai geduckt stehen. Er spähte in die Runde und lauschte. Auf Zehenspitzen huschte er weiter. Der Drehknauf quietschte leise, als er ihn bewegte. Die Tür schwang völlig lautlos in den Angeln. Pridi Pibul drückte sie hinter sich ins Schloss. Sekunden später verriet die feine helle Linie über der Schwelle, dass er Licht gemacht hatte.

Singal runzelte die Stirn. Er brauchte zwei Atemzüge, um seine Schlüsse zu ziehen. Ein heimlicher Eindringling hätte sich gehütet, das Flurlicht einzuschalten. Der Thai hatte es aufgegeben, wie ein Dieb zu schleichen, sobald er die Hintertür erreichte. Das hieß, dass er Gefahr nur von außen fürchtete, dass die Bar sein Schlupfwinkel war.

Wieso? Das passte nicht. Lee Singal zog die Hand vom Schulterholster zurück und schüttelte den Kopf. Nein, das passte nicht. Es gab nur zwei mögliche Erklärungen. Die eine war unwahrscheinlich, eine erdrutschartige Verschiebung im Machtgefüge gewisser großer Syndikate.

Die andere erschien Singal glaubhafter. Pridi Pibul konnte Schwierigkeiten haben, vor denen er floh – in den Schutz einer mächtigen Gang. Vielleicht besaß er Informationen, die er verkaufen wollte. Vielleicht hoffte er auf die Hilfe alter Freunde. Oder vielleicht war er einfach nur am Ende seiner Nerven und griff nach einem Strohhalm.

Grübelnd starrte Lee Singal auf die geschlossene Hintertür.

Er musste herausfinden, was hier gespielt wurde. Und dann würde er entweder seine eigenen Pläne danach ausrichten oder dafür sorgen, dass sich diejenigen um Pridi Pibul kümmerten, die für ihn zuständig waren.

Bei dem verdammten Regenwetter hätten Phil und ich eigentlich nichts dagegen gehabt, den Nachtdienst schön geruhsam mit dem Aufarbeiten von Akten zu verbringen.

Wenn einem der Schriftkram zum Hals heraushängt, passiert bestimmt nichts, das einen davon erlöst. In einer ungemütlichen Nacht kann man sich fast sicher sein, dass etwas passiert, und zwar meist an einer besonders ungemütlichen Ecke. So gesehen konnten wir für den Einsatz im Mun River sogar dankbar sein.

Der Mann, um den es ging, wurde durch internationalen Haftbefehl gesucht. Er hieß Pridi Pibul und stammte aus Thailand. Laut Interpol hatte er sich mit Mädchenhandel befasst, seit er als Zwölfjähriger von zu Hause ausgerissen war und seine zehnjährige Schwester mitgeschleppt hatte, um sie in Bangkok an ein Kinderbordell zu verschachern.

Später schloss er sich einer Organisation an, die ihre Blütezeit während des Vietnamkriegs erlebte, als Saigon voll von Soldaten war, die ihr Vergnügen haben wollten. Nach dem zweifelhaften Friedensschluss, dem bekanntlich sehr schnell die nordvietnamesische Offensive folgte, mussten die Amerikaner wohl oder übel eine Menge Südvietnamesen evakuieren, denen es sonst dreckig gegangen wäre.

Darunter waren nicht nur Patrioten, Idealisten oder harmlose Geschäftsleute. Darunter waren auch weit weniger harmlose Kriegsgewinnler einer bestimmten Sorte, die die Gelegenheit beim Schopf packten und ganze Schiffsladungen verstörter Girls nach Amerika verfrachteten. Nicht etwa, um sie vor Umerziehungslagern oder Schlimmerem zu bewahren, sondern um die dreckigen Geschäfte in einem günstigeren Klima neu aufzubauen.

Einer dieser Typen, ein vergleichsweise kleiner Fisch, war Pridi Pibul.

Man vermutete ihn zurzeit in Thailand. Die Information, dass er in New York war und – warum auch immer – das Mun River als Schlupfwinkel benutzte, verdankten wir einem Rauschgiftfahnder. Einem Mann namens Lee Singal, den wir von einem früheren Einsatz her kannten und von dem wir wussten, dass alles, was er weitergab, ganz sicher Hand und Fuß hatte.*

Der Morgen graute bereits, als ich den Jaguar vor dem Mun River ausrollen ließ.

Das Lokal war bekannt. Moon River nannten es die meisten Amerikaner – Mondfluss, sehr romantisch. Aber mun ist ein thailändisches Wort, das mit Mond nicht das Geringste zu tun hat. Und romantisch war mir sowieso nicht zumute, als ich neben meinem Freund und Partner Phil Decker die Straße überquerte.

Wir hatten eine starke Eingreifreserve im Rücken. Immerhin mussten wir – obwohl Singal das für unwahrscheinlich hielt – damit rechnen, dass Pridi Pibul wichtig für die Rauschgiftgangster war, die das Mun River betrieben. Falls sie versuchen sollten, uns an der Verhaftung des Burschen zu hindern, konnte uns das nur recht sein. Dann würden wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Pibul einerseits und außerdem jeden, der sich möglicherweise mit Waffengewalt einem FBI-Einsatz entgegenstellte.

Das Gesetz verbot uns die einfachste Möglichkeit, nämlich heimlich die Hintertür zu benutzen und Pibul aus dem Zimmer zu fischen, dessen genaue Lage Lee Singal herausgefunden hatte. Juristisch wäre das Hausfriedensbruch gewesen. Wir mussten schön brav durch den Haupteingang kommen und den Typen in der Bar die Chance geben, sich als gesetzestreue Bürger zu erweisen, die selbstverständlich nicht daran dachten, einen steckbrieflich gesuchten Verbrecher zu decken.

Der Witz daran war, dass sich im Mun River offenbar wirklich niemand bemüßigt fühlte, Pridi Pibul zu schützen. Der Mixer zuckte nur mit den Schultern und verwies uns an den Geschäftsführer. Der nannte die Zimmernummer, die wir schon von Lee Singal kannten, und setzte mit hämischem Grinsen hinzu, dass wir Pibul wohl in einer pikanten Situation überraschen würden, weil gerade eben ein niedliches Girl zu ihm hinaufgegangen sei.

Mir zog es die Magenmuskeln zusammen. Eine junge Frau, eine mögliche Geisel – das war genau das, was wir am wenigsten gebrauchen konnten. Phil benutzte sein Walkie-Talkie. Fünf Sekunden später war unser Kollege Steve Dillaggio zur Stelle. Er würde dafür sorgen, dass Pridi Pibul nicht etwa telefonisch gewarnt wurde, während Phil und ich den uralten, scheppernden Käfiglift nahmen.

Der Flur im dritten Stockwerk war leer und still wie ein Friedhof um Mitternacht.

Wir huschten auf leisen Sohlen über den abgeschabten Teppich. Die Tür zu Pridi Pibuls Zimmer war nur angelehnt. Ich runzelte die Stirn und blickte Phil an. Er dachte offenbar das Gleiche wie ich. Eine Prostituierte, die zu einem Kunden geht, lässt normalerweise nicht die Tür hinter sich offen.

Mit zwei Schritten stand ich an dem schmalen Spalt und spähte ins Zimmer – und hatte von einem Atemzug zum anderen das Gefühl, einen Albtraum zu erleben!

Pridi Pibul stand mit hängenden Armen mitten im Raum, reglos, die Lider weit auseinandergezogen, die Lippen zu einem ungläubigen, törichten Ausdruck geöffnet.

Das Girl war drei Schritte von ihm entfernt, eine junge Thaifrau, bildhübsch, zart, mit sanften Zügen und großen dunklen Mandelaugen. In der Rechten hielt sie eine matt schimmernde Beretta, die zu schwer für ihre schmale Hand wirkte.

Ihr Finger lag am Abzug, die Mündung zielte unmissverständlich auf Pibuls Kopf.

»Suri«, flüsterte er. »Suri ... Nein ...«

Die junge Frau krümmte mit einem vagen Lächeln den Finger.

»Nicht!«, schrie ich.

Da war es bereits zu spät. Die Pistole blaffte leise wegen des aufgeschraubten Schalldämpfers. Pridi Pibul zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Langsam, mit einer tänzerisch anmutenden Bewegung drehte er sich um die eigene Achse, sank auf die Knie und kippte zur Seite.

Ich sah seine Augen brechen.

Gleichzeitig trat ich gegen die Tür, dass sie krachend gegen die Wand prallte. Der 38er lag schussbereit in meiner Rechten. Die junge Frau fuhr herum, starrte mich an. Die Beretta hatte sie mitgeschwenkt. Aber ich wusste, dass sie nicht abdrücken würde, obwohl ich mir selbst nicht erklären konnte, was mich so sicher machte.

Eine Sekunde lang verharrte sie reglos, als lauschte sie auf etwas.

Dann ließ sie die Waffe fallen, noch ehe Phil oder ich sie dazu aufgefordert hatten.

Im offenen Kamin brannte knisternd ein Feuer. Der rötliche Widerschein fiel auf sein Gesicht. Praja Ramjad lehnte im Sessel, die Ellenbogen auf die Lehnen gestützt, die Fingerspitzen gegeneinander gelegt. Er stammte aus Thailand und lebte seit zwanzig Jahren in den Staaten. Doch er hatte immer noch Verbindungen zu seiner alten Heimat.

Das Geschäft, das er betrieb, war international organisiert. In Bangkok saßen die Zulieferer, in New York die Abnehmer. Der Transport bot keine Probleme, weil er völlig legal vonstattenging. Praja Ramjad hatte lediglich dafür zu sorgen, dass es mit der lebenden »Ware« keine Schwierigkeiten gab. Eine einfache Aufgabe, wie er fand. Die Methode, die seine Komplizen in Thailand ausgetüftelt hatten, um die Girls bei der Stange zu halten, nötigte ihm immer wieder Bewunderung ab.

Und es war eine Methode, die man nicht nur benutzen konnte, um die Mädchen zu kontrollieren. Sie bot noch andere Möglichkeiten. Erstklassige Möglichkeiten, das hatte sich gerade heute wieder erwiesen. Praja Ramjad war zufrieden. Zwar schmälerte ein kleiner Schönheitsfehler den Erfolg, das störte ihn jedoch nicht sonderlich.

»Du bist dir also sicher, dass dich die Cops nicht gesehen haben?«, fragte er den drahtigen blonden Angloamerikaner, der am Kamin stand.

Al Boolin bewegte unbehaglich die Schultern. Seine Finger drehten ein tragbares kleines Funksprechgerät hin und her.

»Niemand hat mich gesehen«, versicherte er. »Die Schnüffler hatten keinen Grund, auf parkende Wagen zu achten. Trotzdem gefällt mir die Sache nicht.«

»Suri weiß nichts«, sagte Praja Ramjad.

»Schon möglich. Nur wieso kreuzten die Cops plötzlich auf, um Pibul aus dem Mun River herauszuholen? Da stimmt was nicht. Die Typen aus der Kaschemme haben sich für Pibul zwar kein Bein ausgerissen. Aber sie hätten ihn nie im Leben an die Polizei verpfiffen. Und Zufall war es garantiert nicht. Die Cops wussten ganz genau, was sie wollten. Zwei Minuten früher und Pibul wäre ihnen lebendig in die Hände gefallen.«

»Was uns eine Menge Ärger eingetragen hätte, ich weiß.« Ramjad nickte nachdenklich. »Es war ein Fehler, Pibul nicht gleich in Bangkok zu erledigen. Sie kannten ihn dort besser als wir. Sie hätten wissen müssen, dass er genügend Instinkt besaß, um rechtzeitig zu merken, dass er mit seiner Extratour nicht durchkommen würde.«

»Schnee von gestern.« Boolin stockte und senkte rasch die Augen. »Ich meine, das spielt ja jetzt keine Rolle mehr. Ich finde es wichtiger herauszufinden, wieso sich die Cops eingemischt haben.«

Ramjad lächelte dünn. »Hältst du es nicht für möglich, dass Pibul sie selbst ...? Das wäre ja ... Es wäre eine einleuchtende Erklärung, oder? Pibul hatte Instinkt, das sagte ich schon. Ihm muss ziemlich schnell aufgegangen sein, dass er sich den falschen Leuten an den Hals geworfen hatte. Dass kein Mensch daran dachte, sich für ihn die Finger zu verbrennen. Für ihn nicht und auch nicht für das bisschen Heroin, mit dem er seine Brieftasche aufpolstern wollte.«

Al Boolin nagte skeptisch an der Unterlippe. »Und Sie glauben, dann ist er umgeschwenkt und hat sich stattdessen den Cops an den Hals geworfen?«

»Genau. Er wusste, dass er auf der Abschussliste stand.«

»Und warum hat er dann Suri an sich rangelassen?«

»Weil er auf einen Killer gefasst war und nicht auf ein Mädchen«, sagte Ramjad sanft. »Würdest du einem unserer Engelchen zutrauen, kaltblütig eine Pistole abzufeuern, Al? Doch, du würdest, aber nur, weil du weißt, wie wir Suri präpariert haben. Pibul ahnte es nicht. Er hat es ja nicht einmal bei seiner eigenen Schwester geahnt, sonst wäre er nie auf den Gedanken verfallen, sie für seine Zwecke einzuspannen.«

»Stimmt.« Boolin grinste hämisch. »Die Kleine hatte nichts Eiligeres zu tun, als ihren heißgeliebten Bruder in die Pfanne zu hauen. Und was machen wir jetzt?«

Praja Ramjad lehnte sich im Sessel zurück.

»Nichts«, sagte er schlicht. »Wozu auch? Suri kann uns nicht gefährlich werden. Alles, was sie dem FBI erzählt, wird höchstens dazu führen, dass man sie in eine Nervenanstalt einweist. Und dort ist sie gut aufgehoben.«

Bei der Mordkommission unseres alten Freundes Harry Easton waren die Tatortermittlungen in besten Händen. Er arbeitete mit der üblichen Gründlichkeit, teilte Spurenspezialisten ein und gab dem Polizeifotografen Anweisungen. Ed Schulz, Eastons baumlanger Stellvertreter, leitete die Vernehmung von Gästen und Personal des Mun River.

Wir wussten schon vorher, was dabei herauskommen würde, nämlich nichts. Unser Durchsuchungsbefehl galt nur für das Zimmer, nicht für das Lokal. Solange die Typen nicht befürchten mussten, dass wir sie wegen Rauschgifthandels festnageln konnten, würden sie den Mund halten.

Der Barbesitzer, ein spindeldürrer kleiner Thai mit dem denkwürdigen Namen Jonas Kittikachri, spielte den Ahnungslosen. Angeblich kannte er das Mädchen, das geschossen hatte, überhaupt nicht und das Opfer nur flüchtig. Das Zimmer, behauptete er, habe er Pibul aus reiner Gefälligkeit einem Landsmann gegenüber vermietet, der sich in New York fremd fühlte. Der einzige Punkt, der an der Geschichte stimmte, war vermutlich die Tatsache, dass sich Pridi Pibul wirklich erst seit zwei Wochen in den Staaten aufhielt.

Phil und ich warteten, bis unsere Kollegin June Clark eintraf, die wir als weibliche Begleitperson brauchten, wenn wir die Mörderin ins District Office transportierten.

Das Mädchen hatte keine Papiere bei sich, und es hatte bis jetzt kein einziges Wort gesprochen. Die Kleine stand einfach da, schmal, durchscheinend blass, mit großen, leeren Augen, deren Blick durch alles hindurchging. Ich bezweifelte, dass sie zuhörte, als Phil ihr vorschriftsmäßig ihre Rechte vorlas. Mein erster Gedanke war gewesen, dass sie unter Rauschgift stand. Doch der Polizeiarzt hatte das nach einer kurzen Untersuchung verneint.

Aber irgendetwas stimmte nicht mit ihr, da war ich mir sicher.

Die Art, wie sie sich zu June Clarks Dienstwagen führen ließ und auf dem Rücksitz Platz nahm, erinnerte an eine Marionette. Ihr Blick wirkte gedankenverloren, als ginge sie die ganze Sache überhaupt nichts an. Als sie einmal in einer Kurve halb gegen mich fiel, huschte sogar ein Lächeln um ihre Lippen. Ein scheues, kindliches Lächeln, bei dem ich mich fragte, ob sie überhaupt wusste, was sie getan hatte.

Phil fuhr mit dem Jaguar unmittelbar hinter uns in den Hof.

Als die Kleine wenig später auf einem der unbequemen Holzstühle im Vernehmungszimmer saß, die Knie gegeneinandergedrückt und die Hände gefaltet, sah sie wie ein kleines Mädchen aus, das zu Unrecht bestraft worden ist. June Clark bedachte Phil und mich mit vorwurfsvollen Blicken. Wahrscheinlich konnte sie einfach nicht glauben, dass dieses zarte, zerbrechliche Geschöpf einen kaltblütigen Mord begangen hatte. Ich hätte es auch nicht so leicht geglaubt, wenn es nicht vor meinen Augen geschehen wäre.

»Wie heißen Sie?«, fragte unsere Kollegin sanft.

Das Mädchen hob den Kopf.

»Suri.« Die Stimme klang dünn und hell wie das Zwitschern eines verletzten Vogels. »Ich heißte Suri Thipodi.«

»Und wo wohnen Sie?«

Die großen Mandelaugen flackerten.

»Ich ... weiß nicht«, kam die Antwort nach einer Weile tonlos. Eine Antwort, die – das spürte ich sofort – alles andere war als der Versuch einer plumpen Lüge, so verrückt sie auch klingen mochte.

»Sie wissen es nicht?«, fragte June vorsichtig.

»Da ist ein Haus ... Weit weg, nicht in der Stadt ... Ich weiß nicht, wo ...«

»Sie leben dort? Schon lange?«

»Ich weiß nicht ... Früher war ich woanders. Zu Hause im Dorf. Dann in Bangkok. Aber sie haben gesagt, ich muss mit nach Amerika fliegen.«

»Sie?«

Auf dem schmalen exotischen Mädchengesicht erschien ein gequälter Ausdruck. Die dunklen Mandelaugen blickten ins Leere.

»Die Stimmen«, flüsterte sie. »Die Stimmen haben es gesagt. Ich muss ihnen gehorchen, sonst lassen sie mir keine Ruhe.«

June warf uns einen Blick zu. Wir hatten ihr die Führung des Gesprächs überlassen, weil wir spürten, dass sie besser mit dem Mädchen zurechtkam. Doch allmählich gewann ich den Eindruck, dass hier weder weibliches Einfühlungsvermögen noch der geschickteste Vernehmungsspezialist, sondern allenfalls ein Psychiater weiterhelfen würde.

»Was für Stimmen?«, fragte unsere Kollegin behutsam.

Das Mädchen fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Seine Finger zitterten.

»Die Stimmen in meinem Kopf«, murmelte Suri. »Sie reden mit mir. Sie sind in meinem Kopf, immerzu. Ich wollte den Mann nicht töten, aber die Stimmen haben es befohlen. Ich musste gehorchen. Ich muss immer gehorchen. Sonst hören sie nicht auf, mich zu quälen. Sonst lassen sie mich wahnsinnig werden ...«

Ihre Worte erstarben. Die großen dunklen Augen füllten sich mit Tränen. Ich biss mir auf die Lippen.

Akustische Halluzinationen, dachte ich. So etwas kommt vor. Suri Thipodi war geisteskrank, daran gab es nicht den geringsten Zweifel.

Ebenso wenig zweifelte ich jedoch daran, dass der Gangster Pridi Pibul nicht das zufällige Opfer einer Wahnidee geworden war, sondern dass irgendjemand das Mädchen als Werkzeug benutzt hatte.

2

Jonas Kittikachri lief in seinem Büro wie ein gefangener Tiger auf und ab.

Die vier anderen Männer im Raum sahen ihm zu. Zwei schlanke Thailänder, ein kahlköpfiger Hüne undefinierbarer Herkunft und ein Weißer, der mit dem korrekten Anzug und dem smarten, gut geschnittenen Gesicht wie ein erfolgreicher Manager aussah. Er war es, der schließlich das Wort ergriff.