Jerry Cotton Sonder-Edition 232 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 232 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Nachts explodierte eine Höllenmaschine auf dem streng bewachten Gelände des Weltraumforschungsinstituts und hinterließ einen Toten. Bei den Ermittlungen stachen wir in einen wahren Ameisenhaufen von durcheinander wimmelnden Gangstern, Geheimdiensten und Verrätern. Die größte Überraschung aber rührte von unserer eigenen Regierung her - und vom Golden Girl ...


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Inhalt

Cover

Golden Girl

1

2

3

Blutiges Intermezzo I

4

5

6

7

8

9

10

11

Blutiges Intermezzo II

12

Vorschau

Impressum

Golden Girl

Nachts explodierte eine Höllenmaschine auf dem streng bewachten Gelände des Weltraumforschungsinstituts und hinterließ einen Toten. Bei den Ermittlungen stachen wir in einen wahren Ameisenhaufen von durcheinander wimmelnden Gangstern, Geheimdiensten und Verrätern. Die größte Überraschung aber rührte von unserer eigenen Regierung her – und vom Golden Girl ...

1

Am Montag, dem 7. Januar, nachts um 2:04 Uhr explodierte auf dem Gelände des für die Regierung arbeitenden Raumforschungsinstituts Space Research Laboratory eine Höllenmaschine.

Angeblich wurde niemand verletzt. Dennoch gab es einen Toten. Aber von dem wollte niemand etwas wissen.

Als das FBI weisungsgemäß die Ermittlungen aufnahm, stießen wir in einen wahren Ameisenhaufen von durcheinander wimmelnden Gangstern, Geheimdiensten und Verrätern.

Die größte Überraschung freilich kam von einer Seite, von der es kein Special Agent des FBI erwartet hätte – von der eigenen Regierung ...

New York lag unter einer Schneedecke. Die Kinder fanden es schön, die Erwachsenen weniger, die Autofahrer fluchten.

Mein Freund Phil Decker und ich genossen ein dienstfreies Wochenende. Und da wir schon von Berufs wegen die ganze Woche mit dem Wagen unterwegs sind, waren wir klug und ließen den Jaguar schön in der Garage.

Wir gingen zu Fuß zu einem netten Restaurant, aßen gut und spielten in meiner Wohnung anschließend noch zwei Partien Schach. Ein edler Scotch brachte uns die nötige Bettschwere, und Phil fuhr verhältnismäßig früh mit einem Taxi nach Hause.

Es kann nicht viel später als elf gewesen sein, als ich ins Bett kam. Trotzdem hatte ich das Gefühl, gerade erst eingeschlafen zu sein, als mich das verdammte Telefon wieder aus dem Schlaf riss.

Ich schaltete die Nachttischlampe ein und stellte gähnend fest, dass es 2:30 Uhr war. Ein Landarzt konnte auch kein unruhigeres Leben haben.

Ich nahm den Hörer ab. »Cotton.«

»Hier spricht High«, tönte die Stimme unseres Distriktchefs durch die Leitung. »Tut mir leid, dass ich Sie wecken muss, Jerry.«

»Oh, Sir, das habe ich nun mal unterschrieben«, sagte ich und unterdrückte das zweite Gähnen.

»Was?«, fragte Mr. High verdutzt.

»Unseren Dienstvertrag. Da steht in irgendeinem Paragrafen, dass man sich als Special Agent des FBI verpflichtet, zu jeder Zeit und an jedem Ort der Vereinigten Staaten einsatzbereit zu sein.«

»Es freut mich, dass Sie um diese Zeit schon Ihren Humor griffbereit haben, Jerry. Vielleicht werden Sie ihn brauchen. Sie müssen nämlich raus. Nehmen Sie Phil mit. Falls Sie Verstärkung brauchen, wenden Sie sich an unseren Einsatzleiter vom Nachtdienst.«

»Das klingt ja nach einer Haupt- und Staatsaktion.«

»Das wird es vielleicht auch werden. Kennen Sie das Space Research Laboratory?«

»Gehört habe ich das schon mal. Im Augenblick sagt es mir nichts.«

»Das Institut liegt auf einem Areal, das früher zum Güterbahnhof in der Südbronx gehörte. Es arbeitet für die Regierung, wahrscheinlich fürs Pentagon.«

»Hat jemand versucht, das Institut zu stehlen?«, fragte ich in dem missratenen Versuch, witzig zu sein.

»Nein, aber jemand hat versucht, es in die Luft zu sprengen.«

»Ein Institut, das fürs Verteidigungsministerium arbeitet? Sir, wenn die nicht einmal ihre eigenen Einrichtungen schützen können, wie wollen sie unser Land verteidigen?«

»Fragen Sie die Zuständigen, Jerry. Ich erwarte Ihren Bericht, sobald Sie einen Überblick gewonnen haben.«

»Okay, Sir.«

Ich legte den Hörer auf und konnte in dieser Minute nicht ahnen, dass ich bereits den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Freilich in einer ganz anderen Weise, als ich es mir damals dachte.

Ich rief Phil an und erklärte ihm, dass es nichts Schöneres gebe, als frische Schneeluft zu atmen. Bevor er auflegen konnte, fügte ich schnell hinzu, dass er in zwanzig Minuten an der gewohnten Ecke stehen solle.

Während ich mich rasierte und duschte, blubberte in meiner Kaffeemaschine das Wasser, sodass ich beim Anziehen immerhin einen Schluck Kaffee trinken konnte.

Der Schnee auf den Straßen lag handbreit hoch, und es schneite schon wieder mit schönen, großen, sanft herabrieselnden Flocken. Ich fuhr vorsichtig, zweimal rutschte mir das Hinterteil doch weg.

»Ich dachte, du wolltest mich bloß mal auf den Arm nehmen«, brummte Phil, als er zu mir in meinen roten Jaguar stieg.

»Nett von dir, dass du trotzdem aufgestanden bist«, lobte ich und erzählte von Mr. Highs Anruf.

Ich konzentrierte mich aufs Fahren, Phil döste vor sich hin. Bei einem anderen Wetter hätte ich das magnetische Warnlicht aufs Dach gesetzt, damit wir ein bisschen schneller vorangekommen wären. Bei dem Schnee konnten wir auf beides verzichten, denn an ein schnelles Fahren war gar nicht zu denken.

Wir mussten durch ganz Manhattan hinauf in den Norden. Ich benutzte die Third Avenue Bridge über den Harlem River und bog nach rechts in den Bruckner Boulevard ein. Phil glaubte, an dem Institut irgendwann einmal vorbeigekommen zu sein. Deshalb fuhr ich nach seinen Anweisungen bis zur letzten Querstraße vor dem East River.

Nach links bog eine Straße ab, die sich ein wenig großspurig Locust Avenue nannte. Rechts zog sich ein über mannshoher Maschendrahtzaun hin, der oben mit einer sechsfachen Reihe von Stacheldraht bewehrt war. Dahinter lagen ein- und zweistöckige Gebäude mit flachen Dächern. Wir sahen nirgendwo ein Licht brennen, abgesehen von den Laternen, die an hohen Peitschenmasten hingen und das ganze Gelände ziemlich gut ausleuchteten. Überall lag Schnee, der im Licht der Laternen glitzerte.

Ich hatte angenommen, dass längst ein paar Streifenwagen der City Police vom nächsten Revier eingetroffen wären und uns mit ihren Lichtern den Tatort anzeigen würden, aber es war nicht ein einziges zu sehen.

»Wieso ist die City Police noch nicht hier?«, fragte ich. »Wir hatten es doch garantiert weiter als die Cops vom nächsten Revier.«

»Keine Ahnung«, erwiderte Phil und schaute sich langsam um. »Wenn Mister High dich nicht angerufen hätte, würde ich sagen, dass uns irgendjemand verladen hat. Hier sieht alles ganz friedlich ...«

Er beendete seinen Satz nicht, sondern stapfte plötzlich durch den knöcheltiefen Schnee auf den Maschendrahtzaun zu und daran entlang.

Ich folgte ihm. »Was ist los?«

»Da vorn war irgendetwas im Schnee«, murmelte Phil und ging mit vorgebeugtem Oberkörper weiter.

Es schneite immer noch. Trotzdem fanden wir die Spuren – ein sicheres Zeichen dafür, dass sie noch nicht besonders alt sein konnten.

Auf der anderen Seite des Zauns stand ein niedriges, ziemlich lang gezogenes Gebäude nur etwa einen Yard vom Zaun entfernt. Es hatte eine dicke Schneemütze auf, bis auf eine Stelle dicht an der Ecke, wo es Einbuchtungen gab.

Und genau auf derselben Linie, außerhalb des Zauns, waren ebenfalls Vertiefungen im Schnee. Phil bückte sich und fuhr mit der nackten Hand wie streichelnd über den Neuschnee.

»Da!«, sagte er und zeigte auf ein paar dunkle Flecke, die er unter dem Neuschnee freigelegt hatte.

»Könnte Blut sein«, murmelte ich, machte kehrt und lief zurück zu meinem Jaguar.

Ich zog das Mikrofon unseres Sprechfunkgeräts aus der Halterung und rief die Leitstelle.

»Cotton. Wir sind oben in der Südbronx, Bruckner Boulevard, dicht am East River. Schickt uns jemand von der Spurensicherung«, sagte ich und drückte das Mikrofon zurück, bevor der Kollege in der Leitstelle antworten konnte.

Eilig schloss ich den Kofferraum auf und zog die Wolldecke heraus, die ich dort immer liegen habe. Mit dem Stabscheinwerfer aus dem Handschuhfach lief ich zu Phil zurück. Wir breiteten vorsichtig die Decke über die schon halb zugeschneiten Spuren, die nach Blutstropfen aussahen.

Dann machten wir uns mit dem Stabscheinwerfer daran, die gerade noch erkennbaren Eindrücke im Schnee zu verfolgen. Sie führten von dem Maschendrahtzaun fort in Richtung auf die nach Norden abzweigende Locust Avenue. Wir waren den Spuren schon etwa fünfzig Yards gefolgt, als ich stehen blieb.

»Warte mal!«, sagte ich und kniete nieder.

Wie vorhin Phil wischte ich mit der flachen Hand und sehr behutsam über den Neuschnee. Darunter lag eine an der Oberfläche hart gefrorene Schicht von Altschnee. Als ich sie freigelegt hatte, glänzten uns mattschwarze Flecke entgegen. Ich schaltete den Stabscheinwerfer wieder ein – und aus dem matten Schwarz wurde im grellen Licht ein dunkles Rot.

»Das ist Blut«, sagte ich überzeugt. »Da ist einer von dem Dach über den Zaun gesprungen, der verletzt war.«

»Hat allerhand Blut verloren«, meinte Phil und zeigte auf die größeren Flecke, die es zwischen den kleineren gab. »Vielleicht ist er nicht weit gekommen.«

Wir richteten uns wieder auf. Ich schaltete den Stabscheinwerfer aus, denn die Trittspuren waren auch im Licht der Straßenlaternen noch zu erkennen. Wir folgten ihnen weiter. Ich klappte den Kragen meines Trenchcoats hoch. Es schneite ja noch immer.

Wir waren von der Einmündung der Locust Avenue noch zwanzig Yards entfernt. Wie in allen New Yorker Straßen waren auch dort Autos am Straßenrand geparkt. Wir hatten deshalb nicht auf die endlose Blechschlange geachtet.

Plötzlich flammten zwei Scheinwerfer auf. Ein Motor sprang an, und ein dunkles Auto, das als vorderstes und genau genommen viel zu dicht an der Ecke geparkt worden war, setzte sich in Bewegung.

Der Fahrer hatte nicht an den Schnee gedacht und zu viel Gas gegeben. Der Motor heulte auf, die Räder drehten durch – und ich hatte auch schon meinen Revolver in der Hand.

»Pass auf, Phil!«, rief ich. »Die sind nicht koscher!«

Mein Instinkt hatte mich nicht getrogen. Der Fahrer nahm Gas zurück. Der Wagen setzte sich in Bewegung und rollte genau auf uns zu.

Wir standen wie auf einem silbernen Tablett. Aber wir standen auch schon in Combathaltung: Beine gespreizt, Oberkörper zum Ziel vorgebeugt, um ein möglichst kleines Ziel zu bieten, die Waffe in beiden vorgereckten Händen.

Als es keinen Zweifel mehr geben konnte, dass sie uns meinten, gab ich einen Warnschuss ab, dicht über ihr Wagendach hinweg. Ich weiß bis heute nicht, ob es der Schuss war, der sie ihre Pläne ändern ließ. Jedenfalls fuhr der Wagen plötzlich eine jähe Kurve. Das Heck rutschte weg. Phil und ich machten einen Satz seitwärts, landeten im Schnee und überschlugen uns.

Das war unser Glück. Denn aus dem Auto ratterte gellend der kurze Feuerstoß aus einer Maschinenpistole.

Johnny O'Connor gehörte gewiss nicht zu den Menschen, die früh ins Bett kommen. In dieser Nacht war es noch später als sonst geworden.

O'Connor hing mit ein paar Kollegen in Andy's Bar in der Nähe des Times Square herum. Mac Dougall von der Village Post war stellvertretender Chefredakteur geworden. Das ganze Zeitungsvolk bei Andy's ließ ihn immer wieder hochleben, was Mac Dougall zu immer neuen Runden veranlasste. Wie fast alle Presseleute trank er gern einen, und es war anzunehmen, dass die Glückwünsche der Kollegen für ihn ein willkommener Anlass waren, die Trinkerei ein bisschen länger auszudehnen als gewöhnlich.

Kurz vor vier Uhr früh waren nur noch Mac Dougall von der Village Post, Otto Hettlinger vom Statesman, Conrad Smith vom Chronicle und Johnny O'Connor vom Herald übrig geblieben.

O'Connor und die drei anderen gestandenen Presseleute hockten vor der hohen Bar und hatten jenes Stadium erreicht, in dem man eigentlich schon betrunken genug ist, um aufzuhören, aber eben doch noch nicht betrunken genug, um es auch zu tun.

»Wie ist hicks, ist eigentlich das Wetter?«, wollte Hettlinger wissen. »Scheint die Sonne?«

»Mann, bist du besoffen!«, stellte Mac Dougall fest. »Mitten in der Nacht fragt der, ob die Sonne scheint!«

»Es schneit«, verkündete Johnny O'Connor und rülpste.

Die anderen schauten ihn in gespielter Empörung an.

»Reine Körperbeherrschung«, erklärte er mit schwerer Zunge. »Jeder andere hätte schon gekotzt.«

»Wer hat da eben gesagt, dass es schneit?«, erkundigte sich Smith und stierte in sein Whiskyglas, als gäbe es zwischen den Eiswürfeln irgendeine Offenbarung.

»Ich!«, rief Johnny O'Connor. »Ich habe gesagt, dass es schneit.«

»Das kannst du gar nicht wissen.«

»Wie ... wieso kann ich das nicht wissen? Ein guter Polizeireporter weiß alles. Und ich bin der beste! Und ich sage euch: Es schneit.«

»Warst du draußen?«

»Nein. Ich lasse doch hier keinen Whisky rumstehen, solange ihr in der Nähe seid.«

»Dann kannst du auch nicht wissen, ob es schneit.«

»Es schneit aber trotzdem.«

»Wetten, dass nicht?«, fragte Smith leichtsinnigerweise.

O'Connor kramte in seinen Hosentaschen, zog ein paar zerknüllte Dollarnoten hervor und versuchte angestrengt, sich einen Überblick über seinen Barbestand zu verschaffen. Als er sein Geld viermal mit vier verschiedenen Ergebnissen gezählt hatte, zupfte er einen Fünfer aus dem Päckchen und legte ihn auf die Theke.

»Fünf gute amerikanische Dollars darauf, dass es schneit!«, rief er kämpferisch.

»Fünf dagegen«, sagte Smith und legte seinen Schein dazu.

»Auch fünf dagegen«, lallte Hettlinger. »Du kannst nicht immer recht haben, Johnny!«

»Ich setze zwei dagegen«, meinte Mac Dougall, der sonst nie wettete.

»Piccolino, pass auf unser Geld auf!«, rief O'Connor dem Barkeeper zu.

»Ich heiße Pasella, Mister O'Connor.«

»In Ordnung, Piccolino. Wir sind gleich wieder da. Ich muss diesen Schwachköpfen bloß zeigen, dass es schneit.«

Sie wankten durch das lange, schmale Lokal zur Tür. Johnny O'Connor bedauerte, dass er fünf Dollar so leichtsinnig aufs Spiel gesetzt hatte, nun war es zu spät. Immerhin wollte er die Show bis zur letzten Sekunde ausspielen. Er stieß die breite Tür auf und trat hinaus.

Große weiße Flocken fielen sanft auf sein Gesicht, das er dankbar dem Himmel darbot. Dabei fiel ihm sein speckiger Filzhut mit dem Presseausweis unter dem Hutband vom Kopf.

O'Connor bückte sich, hob den Hut auf – und sah den Kopf eines Mannes, der acht Yards entfernt in einem Hauseingang stand und sich gerade vorgebeugt hatte.

Johnny O'Connor nickte unmerklich, stülpte sich seinen Hut so auf, dass er weit hinten im Genick saß wie immer, und erklärte triumphierend: »Das ist Schnee, Gentlemen! Echter, richtiger, kalter weißer Schnee! Oder will jemand erst eine Laborprobe davon machen lassen?«

Die anderen ergingen sich in den unterschiedlichsten Behauptungen, die für Johnny O'Connor samt und sonders ehrenrührig waren. Er hätte heimlich vorher nachgesehen, er hätte den Wetterdienst angerufen und dergleichen. O'Connor ertrug es mit stoischem Gleichmut. Ihn interessierten nur die gewonnenen Dollar. Aber er blieb anständig und bestellte davon eine Runde.

Diesmal trank er sein Glas in einem Zug aus und erklärte, dass er nun nach Hause gehen werde, weil ihm diese Gesellschaft von Schwachköpfen lange genug auf den Geist gegangen sei. Den empörten Einspruch tat er mit einer lässigen Handbewegung ab. Doch er ließ sich nicht aufhalten.

Seinen zerknitterten Mantel trug er trotz des Wetters über dem angewinkelten Arm, als er sich vor Andy's Bar nach rechts wandte und bis zur nächsten Ecke ging. Dort gab es ein Drugstore, der die Nacht über offen hatte.

Johnny O'Connor betrat das überheizte Geschäft, jene uramerikanische Mischung aus Apotheke, Drogerie, Zeitschriftenladen und Imbiss, und sah sich um. Ganz hinten in der Ecke entdeckte er den Mann, den er vor ein paar Minuten in dem Hauseingang gesehen hatte.

Es war ein ältliches Männchen unbestimmbaren Alters, jedenfalls weit über sechzig. Trotz der Wärme hatte er seinen dicken blauen Wintermantel nicht ausgezogen. Im Halsausschnitt war ein gestrickter grüner Schal zu sehen, aus dem ein dürrer Hals herausragte. Darauf saß ein länglicher Kopf mit Geiernase und ewig über der Nasenwurzel hochgezogenen Brauen über wässrigen blassblauen Augen.

»Hallo, Pit«, brummte O'Connor und setzte sich neben das Männchen. Wie immer hatte sich Pit einen Tisch herausgesucht, den man von der Straße her trotz der großen Fenster nicht sehen konnte.

»Tag, Johnny«, sagte das Männchen mit einer überraschend festen und wohlklingenden Stimme.

»Tag ist gut. Es ist mitten in der Nacht.«

»O nein, Johnny. Es ist schon kurz nach vier.«

»Du lieber Himmel! Max, bring mir das Übliche!«

Der große, breitschultrige Schwarze hinter der Theke war extra für O'Connor hinter der Theke hervorgekommen, was er nur bei ganz besonderen Gästen tat.

»Das Übliche, ja, Sir, Mister Johnny. Und der andere Gentleman?«

»Einen heißen Whisky mit viel Zucker«, bestellte Pit. »Irgendeinen Bourbon, was Sie haben.«

Der große Mann, der wie ein Schwergewichtsboxer aussah, wollte hinter die Theke zurück, aber Johnny O'Connor hielt ihn am Zipfel seiner weißen Schürze fest und fragte scheinheilig: »Wie heiße ich, Max?«

»Johnny, Mister Johnny.«

»Du sollst nicht Mister zu mir sagen, alter Baumwollsklave! Sonst haue ich dir eines Tages eins auf deine Schnauze!«

Der Schwarze strahlte. Sein perfektes Gebiss stellte jede Zahnpastareklame in den Schatten.

»Au, fein!«, rief er und verdrehte die Augen. »Da wird sich Mister Johnny aber mächtig wehtun, wenn er Max auf die Schnauze haut! Max hat nämlich Knochen aus Stahl.«

»Ich geb's auf.« Johnny O'Connor seufzte und kramte in den Taschen seines zerknitterten Anzugs, bis er eine Zigarre mit beschädigtem Deckblatt gefunden hatte. Er versuchte, es mit Spucke zu kleben, riss ein Streichholz an der Tischkante an und paffte dünne Wölkchen über den Tisch, weil die Zigarre Luft bekam.

Zwei Minuten saßen sie schweigend zusammen, bis der Hüne den heißen Whisky und für O'Connor das »Übliche« brachte, nämlich einen großen Teetopf voller pechschwarzem, starkem Kaffee mit einem Schuss irischen Whisky.

»Prost«, sagte O'Connor und nippte an seinem Gebräu.

»Prost«, sagte auch das Männchen und blies in den heißen Whisky.

»Also?«, fragte O'Connor. »Was gibt's?«

»Einen Skandal.«

»Skandale interessieren mich nicht. Ich bin Polizei- und Gerichtsreporter, keine Klatschtante für die Gesellschaftsspalte.«

»Der Skandal betrifft die Regierung«, sagte Pit leise.

O'Connor setzte schnell seinen großen Topf ab. Es war ein Steingutbecher vom Fassungsvermögen einer durchschnittlichen Teekanne.

»Drück dich deutlicher aus!«

»Werde ich bezahlt?«, fragte Pit.

»Habe ich dich je unfair behandelt?«

»Nein, Johnny. Deshalb habe ich ja auch in der Kälte auf dich gewartet. Kennst du das Space Research Laboratory?«

»Ich hab davon gehört. Liegt oben in der Bronx, nicht?«

»Ja. Auf dem Gelände des Güterbahnhofs. Die Eisenbahngesellschaft hat einen Teil von dem Grundstück an das Institut verkauft.«

»Okay. Und was ist mit dem Laden?«

»Die arbeiten für die Regierung.«

»Na und?«

»Was hältst du davon, Johnny, wenn die Regierung neuerdings ihre Objekte mit Selbstschussanlagen und Höllenmaschinen schützt?«

»Mann, Pit, wir sind doch nicht in Russland! Die machen so was. Bei uns zählen Menschenleben immer noch mehr als alles andere.«

»Ist aber so.« Pit beugte sich vor. Seine Stimme war jetzt ein leises Nuscheln, das Johnny O'Connor gerade noch verstehen konnte. »Heute Nacht wollte jemand im Institut einen Bruch machen. Nur die hatten sich mit einer Höllenmaschine oder irgendwas Ähnlichem geschützt. Den Kerl hat's zerrissen.«

O'Connor nippte wieder an seinem »gewürzten« Kaffee. Dann zog er ein paarmal an der Zigarre. Schließlich schüttelte er den Kopf.

»Ich glaub's nicht. Das Risiko wär ja viel zu groß. Lass bloß mal Kinder irgendeinen Streich aushecken, wobei sie an so ein Ding gerieten. Das gäbe einen Aufstand. So was kann sich die Regierung nicht leisten.«

»Ist aber so. Der Mann, der den Bruch machen wollte, ist tot.«

Johnny O'Connor betrachtete das Männchen nachdenklich. Er kannte seinen Nachrichtenlieferanten schon seit vielen Jahren und wusste, dass Pit kein Spinner war. Und jetzt verriet ihm Pits lüsterne Miene, dass keineswegs schon die ganze Katze aus dem Sack war.

»Was weißt du noch?«

Pit lächelte mit einem fast zahnlosen Mund.

»Zwanzig Bucks Vorschuss«, forderte er. »Den Rest je nach Größe der Story, die du draus machen kannst, Johnny.«

Johnny O'Connor wusste, dass Pit über Vorschüsse nicht mit sich handeln ließ. Außerdem gab es immer Konkurrenten, wo Pit seine Tipps loswerden konnte. Also holte er wieder einmal sein Geld hervor und zählte zwanzig Dollar ab.

»Der Kerl, der bei dem Bruch draufging, hat nicht für die eigene Tasche gearbeitet. Er hieß Gino Cravelli«, flüsterte Pit. Er sah sich prüfend um und fügte kaum hörbar hinzu: »Er riskierte den Bruch im Auftrag der Mafia.«

Wir rappelten uns keuchend auf, klopften den Schnee von unseren Mänteln und starrten hinter dem dunklen Auto her, das weit unten, Richtung Westen, um eine Ecke verschwand. Wir waren zu weit von meinem Jaguar weg, als dass es Sinn gehabt hätte, eine Verfolgung aufzunehmen.

»Zwei Verrückte?«, fragte Phil.

Ich schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Die meinten uns wirklich. Aber wieso? Außer unserer Dienststelle und uns beiden kann kein Mensch wissen, dass wir überhaupt unterwegs sind und nicht brav im Bettchen liegen. Hast du gesehen, wie sie geschossen haben?«

»Nein. War da was Besonderes?«

»Ich glaube schon. Der Fahrer saß auf unserer Seite. Und der Feuerstoß kam aus dem vorderen Fenster. Der Schütze muss hinter dem vorgebeugten Kopf des Fahrers hinweg geschossen haben. Woraus sich ergibt, dass es nur zwei Mann waren. Hätte hinten noch jemand gesessen, hätten sie dem die Feuerspritze in die Hand gedrückt.«

»Das ist zwar gut beobachtet«, meinte Phil, »nur bringt es uns weiter?«

»Kein bisschen«, gab ich zu. »Ich hab's nur erwähnt, damit du siehst, mit was für einem hellen Kerlchen du es zu tun hast. Trotzdem werden wir vorsorglich der City Police Bescheid sagen. Es war ein dunkler Plymouth ...«

»Dodge«, fiel Phil mir ins Wort.

Ich rieb mir die kalten Hände, blies warme Luft in die hohlen Fäuste und rief mir den Anblick des Wagens zurück in die Erinnerung.

»Plymouth«, sagte ich danach, während wir durch den frischen Schnee zurück zu meinem Jaguar stapften.

»Dodge«, sagte Phil ebenso stur. »Dunkelgrün.«

»Dunkelblau«, sagte ich.

In der Eile hatten wir beide vergessen, Handschuhe anzuziehen, das machte sich jetzt bemerkbar.

In meinem Jaguar stellte ich das Gebläse für die Füße an, wartete eine Minute und schlug dann vor: »Du rufst unsere Leitstelle und meldest den Überfall auf uns mit der Bitte, die City Police zu informieren. Sie sollen darauf hinweisen, dass die beiden Männer mindestens eine Maschinenpistole bei sich haben, dass also bei einer eventuellen Kontrolle größte Vorsicht geboten ist. Um die Zeit jetzt können eigentlich nicht so viele dunkelblaue Plymouths unterwegs sein.«

»Dunkelgrüne Dodges«, widersprach Phil.

Ich seufzte ergeben. »Also meinetwegen, gib beide Beschreibungen. Dann wartest du das Eintreffen der Kollegen von der Spurensicherung ab.«

»Und was tust du inzwischen?«

»Ich laufe so lange an dem Zaun entlang, bis ich einen Zugang zu dem Gelände gefunden habe. Denn dafür sind wir ja eigentlich hier, oder?«

»Wenn du den Anruf von Mister High nicht nur geträumt hast, was ich für sehr wahrscheinlich halte. Wenn da auf dem Gelände eine Höllenmaschine hochgegangen wäre, würde es längst von Cops und Streifenwagen wimmeln.«

Da musste ich ihm recht geben. Ich verstand die unnatürliche Stille, die hier herrschte, ja auch nicht. Wenigstens wusste ich, dass ich den Anruf nicht geträumt hatte. Deshalb machte ich mich auf den Weg.

Der über mannshohe Zaun verlief parallel zum Bruckner Boulevard auf den East River zu. In regelmäßigen Abständen erhoben sich hohe Peitschenmasten mit Laternen, die keine Handbreit des Zauns im Dunkeln ließen. Kurz vor dem Fluss bog der Zaun in einem rechten Winkel ab nach Süden. Es sah aus, als liefe hier eine Zufahrtsstraße entlang. Genau konnte ich das nicht sagen, denn der Schnee lag knöcheltief und wies keinerlei Spuren auf.

Wer außer uns hätte auch mitten in der Nacht zu einem Laboratorium fahren sollen?

Ich leuchtete einmal an dem jetzt parallel zum East River verlaufenden Zaun entlang und sah, dass er bis hinab zum Ufer reichte. Dort gibt es in Ost-West-Richtung einen schmalen Wasserlauf, der die Bronx von Randall's Island trennt, auf dem die berühmte Triboro Bridge steht. Die Lichter der riesigen Brücke hingen wie zu einer Schnur geordnete Sterne in der Finsternis.

Noch immer fiel lautlos der Schnee in großen Flocken aus dem schwarzen Nachthimmel. Die Kälte hatte den Vorteil, dass sie einen munter machte. Ich begann allmählich zu überlegen, ob ich den Anruf von Mr. High nicht vielleicht doch nur geträumt hatte. Es war einfach unmöglich, dass nicht ein einziger Streifenwagen am Schauplatz einer Explosion auftauchen sollte! Selbst wenn die Kollegen der City Police erst nach uns informiert worden waren, hätten sie mittlerweile längst eingetroffen sein müssen.

Wenn ich den Anruf nicht geträumt hatte, war hier irgendetwas faul.

Mehr als faul. Es stank geradezu.

Ich spuckte in den leise gurgelnden East River, der nur vier Yards von dem entfernt war, was ich für eine zugeschneite Zufahrtsstraße hielt. Ein paar Yards weiter geriet ich an ein niedriges Häuschen mit verhangenen Fenstern. Hinter den Vorhängen brannte Licht.

Ich ließ den Lichtstrahl meines Stabscheinwerfers über das flache Gebäude huschen. Es war ein typisches Pförtnerhäuschen mit weit vorgebautem Dach und einem anschließenden doppelflügeligen Tor. Es gab eine etwa einen Yard von der Hauswand zurückgesetzte Tür und daneben eine Sprechanlage in der Wand. Über der Tür stand in glänzenden Metallbuchstaben:

Space Research Laboratory

Wenigstens in der Adresse hatte sich Phil nicht geirrt. Ich drückte auf einen Messingklingelknopf, der so kalt war, dass mir der Daumen beinahe daran kleben blieb. Irgendwo in dem Häuschen ertönte ein Summton – und sofort Hundegebell.

In der Sprechanlage knisterte es. Dann fragte eine Männerstimme: »Wer ist da?«

»FBI«, sagte ich. »Bitte machen Sie auf.«

»Tut mir leid, Sir, ich darf niemand einlassen. Wenden Sie sich bitte an Professor Jackson, wenn es etwas Dringendes ist.«

»He, Moment mal!«, rief ich. »Bei Ihnen hat es doch eine Explosion gegeben und ...!«