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Vier verwahrloste Strolche überfielen Lynn Cheston. Sie wollten ihr Geld. Als die Angreifer nach ihrer Handtasche griffen, kam Lynn ihnen zuvor. Sie zog eine Pistole und feuerte viermal. Jeder Schuss traf. Alle vier starben im Kugelhagel. Für die amerikanische Öffentlichkeit wurde Lynn Cheston nach diesem Notwehrakt ein strahlendes Idol. Nur das FBI betrachtete sie mit Argwohn - die Heldin der Nation ...
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Seitenzahl: 195
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Die Heldin der Nation
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Impressum
Die Heldin der Nation
Vier verwahrloste Strolche überfielen Lynn Cheston. Sie wollten ihr Geld. Als die Angreifer nach ihrer Handtasche griffen, kam Lynn ihnen zuvor. Sie zog eine Pistole und feuerte viermal. Jeder Schuss traf. Alle vier starben im Kugelhagel. Für die amerikanische Öffentlichkeit wurde Lynn Cheston nach diesem Notwehrakt ein strahlendes Idol. Nur das FBI betrachtete sie mit Argwohn – die Heldin der Nation ...
Aus der glühenden Mittagshitze tauchte der Subwayzug in die Schwärze des Tunnels. Die Stahlräder kreischten auf den Schienen. Es klang wie der Schrei eines verletzten Tiers.
Sie fluchte auf sich selbst. In Gedanken. Sie hätte sich ohrfeigen können für ihren Entschluss. Diese verdammte New Yorker U-Bahn war ein stinkendes, dreckverschmiertes Ungeheuer. Weshalb, in aller Welt, fuhren die Leute überhaupt noch in solchen rumpelnden Schrottkisten?
Mit der Einfahrt in den Tunnel musste normalerweise die Beleuchtung aufflammen. Doch es wurde stockfinster. Die Lampen flackerten einmal kurz auf und erloschen wieder. In der schwarzen Betonröhre nahm das Kreischen der Räder einen schrillen Nachhall an.
Sie bemerkte, wie sich jemand ihrem Eckplatz näherte. Schritte waren nicht zu hören. Aber sie roch den fremden Schweiß, das Leder, und sie hörte einen rasselnden Atemzug. Sie spürte, wie sie sich innerlich verkrampfte. Schwierigkeiten wollte sie nicht. Alles andere als das.
Es war um die Mittagszeit. Die Luft in dem Wagen war zum Schneiden dick. Nur etwa die Hälfte der Plätze war besetzt. Sie hatte die Situation genau erfasst, schon als sie eingestiegen war. Ein paar Jugendliche, Schwarze und Puerto Ricaner meist. Zwei alte Frauen, deren unablässiger Redeschwall über die Köpfe von übergewichtigen Schoßhündchen hinwegplätscherte. Eine Gruppe von Männern in blauen Overalls. Irgendwo in der Nähe musste eine Fabrik sein, bei der die Spätschicht begann.
Wieder flackerte und erlosch die Beleuchtung.
Sie glaubte, Silhouetten gesehen zu haben. Drei oder vier. Ein glucksendes Lachen? Das verfluchte Kreischen!
Was für Leute waren noch in dem Wagen? Ein paar mehr von diesen schäbigen Gestalten. So schäbig wie Brooklyn, von wo der Tunnel nach Manhattan hinüberführte.
Anständig gekleidete Menschen waren jedenfalls die Ausnahme in diesem Dreckwurm, der sich unter dem East River hindurchwand.
Plötzlich endete das Kreischen, und in derselben Sekunde flammte das Licht auf. Ein zuckendes Licht. Das Geräusch der Räder klang jetzt wie in einem Schnellzug.
Sie entspannte sich, wusste, woran sie war. Gefahr bedeutete ihr fast nichts mehr, sobald sie sie erkannt hatte. Unerträglich war für sie nur eine unausgesprochene und nicht erkennbare Bedrohung.
Vor den fahlen Leuchtstoffröhren bildeten die Kerle eine Schattenwand, die sich auf sie legte. Niemand im Wagen blickte herüber. Die alten Frauen redeten noch angeregter. Die Overallmänner studierten schweigend ihre Zeitungen. Die anderen stierten einfach vor sich hin.
Wer sich in New York City um einen anderen kümmert, hat selber schuld, so sagte man. Sie hatte es oft genug gehört.
Sie hob den Kopf und betrachtete die Gesichter der Kerle. Alle vier grinsten ein Grinsen, das sie den schrägen Vögeln im Kino oder im Fernsehen abgeguckt hatten. Es sollte bedeuten, dass sie die Herren der Lage waren. Dass man einen höllischen Fehler beging, wenn man sich ihnen widersetzte.
»Ihr seht aus wie aus der Mülltonne gezogen«, sagte sie verächtlich und verzog das schmale Gesicht in einer Art, dass es aussah, als würde sie auch noch ausspucken.
Den Kerlen fiel das Grinsen aus dem Gesicht. In die eben noch heimtückischen Augen trat ein ungläubig staunender Ausdruck.
»Das war wohl nichts«, sagte der älteste der vier. »Dass du nicht von hier bist, hört man, Baby. Doch deswegen brauchst du dich noch lange nicht im Ton zu versteigen.« Sein Schnauzbart war so struppig wie seine schulterlange Mähne. Er trug die gleiche schwarze Lederkleidung wie seine Kumpane. Abgewetztes Leder, an dem sie unzählige Male ihre dreckigen Finger abgewischt hatten.
»Oh, Verzeihung«, sagte sie spöttisch. »Ich wollte die Gentlemen nicht beleidigen.« Vielleicht konnte sie Zeit gewinnen. Aber sie wusste andererseits, dass die paar Minuten bis nach Manhattan Downtown noch verteufelt lang werden konnten.
Die Kerle nahmen den Spott nicht wahr.
»Klingt schon viel besser, was?« Einer mit einem struppigen Irokesenschnitt sah die anderen nacheinander an.
»Weiß nicht«, sagte der nächste, ein Bartloser mit sorgfältig gescheiteltem Glanzhaar. »Vielleicht kommt sie uns gleich wieder mit so einem dämlichen Spruch. Kann ja sein, dass sie denkt, sie fertigt in Nebraska hinter dem Heuhaufen ein paar Dorftrottel ab.«
Die vier brachen in johlendes Gelächter aus, krümmten sich vor Vergnügen und klatschten sich auf die belederten Schenkel.
Die übrigen Personen im Wagen wurden stiller. Die beiden alten Frauen stellten ihr Gespräch ein. Niemand rührte sich. Sie auf dem Eckplatz lächelte, scheinbar gleichfalls erheitert.
»Bestimmt habt ihr recht.« Sie nickte, als sich die Schwarzgekleideten beruhigt hatten. »Ich muss mich wohl erst an New York gewöhnen.«
»Dabei können wir helfen.« Derjenige feixte, der bislang noch nichts gesagt hatte. Ein pickelgesichtiger Jüngling mit verschlagenem Blick. »Wir können dir die tollsten Sehenswürdigkeiten zeigen.«
Die anderen kicherten und glucksten.
»Na, dann lasst mal was sehen«, forderte sie kühl.
Starre Blicke aus fassungslosen Augen hefteten sich auf sie. Doch nach einer Sekunde ging der Ausdruck der Augen in Wut über.
»Verscheißern können wir uns selber«, fauchte der Schnauzbärtige. Seine rechte Hand zuckte unter die Jacke und war blitzartig mit einem Stilett wieder da.
Er ließ die Klinge herausschnappen und richtete sie auf ihren Busen, der sich unter dem sommerlichen Shirt abzeichnete. Die hellblaue Baumwollhose ließ auch über ihre übrigen Formen keinen Zweifel.
»Nimm das Ding weg, bitte!« Ihre Stimme klang jetzt angstvoll.
»Na also«, zischte der mit dem Schnauzbart. »Du brauchst erst einen Dämpfer, wie?«
»Was wollt ihr von mir?«, fragte sie scheinbar zaghaft. »Mich vergewaltigen?«
Wieder ertönte Gelächter.
»Nicht so hastig!«, rief der Pickelgesichtige. »Kannst es nicht abwarten, stimmt's?«
»Erst mal ein paar Glimmstängel«, forderte der Irokese. »Dann Feuer und ein paar Bucks. So was hast du sicher dabei.« Er deutete auf ihre flache Handtasche, die sie auf den Knien hielt.
»Aber ja«, antwortete sie leise. »Nur das Messer muss weg.«
Der Schnauzbärtige klappte das Stilett zusammen und sah seine Kumpane großspurig an. Dann zuckte seine Linke vor. Der Griff, mit dem er ihre Brust packte, war schmerzhaft.
Mit der rechten Hand schlug sie zu. Aufstöhnend wich er zurück, als hätte ihn eine Schlange gebissen.
»Macht sie fertig!«, brüllte er im nächsten Moment. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. »Nehmt sie euch vor, dieses Miststück! Zeigt es ihr, verdammt noch mal!«
Sie wusste, dass ihr nur noch eine Sekunde blieb. Wenn sie das wehrlose Huhn spielte, das diese Strolche in ihr vermuteten, würde sie es vielleicht nicht überstehen – im Hospital aufwachen oder zwischen den Schienen im Subwaytunnel enden.
»Lasst mich in Ruhe!«, sagte sie warnend.
Es nützte nichts. Die Kerle grölten vor Hohn und walzten auf sie los. In einer der Fäuste funkelte eine Rasierklinge zwischen zwei Fingern.
Es war der Punkt, bei dem ihr die Sicherung durchbrannte.
Sie griff in die Handtasche. Ihre Bewegung war mit Blicken kaum zu verfolgen. Im Hochreißen entsicherte sie die Pistole und zog durch. Viermal hintereinander feuerte sie.
Hell peitschte das Bellen der Pistole durch den Wagen. Die Leute schrien und warfen sich zu Boden. Jede Kugel tötete innerhalb von einem Atemzug, und mehr als vier Kugeln brauchte sie auf die kurze Entfernung ohnehin nicht.
Sie sprang auf. Ihre Sinne waren glasklar. Nichts von einem Rausch, von Panik oder anderen unkontrollierten Zuständen. Sie erfasste die Einzelheiten mit der Genauigkeit eines Computers, der eine Kamera auslöst.
Vor ihr die vier Kerle, die ein verkrümmtes Knäuel bildeten. Blut rann über schwarzes, schmutzverschmiertes Leder. Sie hörte die Angstschreie, die noch immer durch den Wagen gellten. Von den Leuten war keiner mehr zu sehen. Alle hatten sich unter die Sitze verkrochen.
Plötzlich sangen die Bremsen des Subwayzugs. Ein durchdringendes Schaben von Metall auf Metall. Jemand hatte die Notbremse gezogen, vermutlich im vorausfahrenden Wagen, denn nach hinten gab es keinen Durchgang.
Sie musste sich an einer Haltestange festhalten. Die Bremswirkung nahm jetzt rasch zu. Es gelang ihr, die Handtasche zu schultern und das halb leere Pistolenmagazin mit geübtem Griff gegen ein gefülltes Reservemagazin auszutauschen. Sie spürte ein Kribbeln unter der Haut, sah, wie sich die feinen Härchen auf ihren Unterarmen aufrichteten. Die Lage entwickelte sich ungünstig für sie – teuflisch ungünstig. Noch lagen die Leute unter den Sitzen. Aber wenn sich in den nächsten zwei, drei Sekunden nichts tat, würde bei den ersten die Angst der Neugier weichen. Sie würden Blicke riskieren und sich dann später mit der Zunge über die Lippen fahren, wenn sie von der gut gebauten Blondine berichteten.
Sie wusste es nur zu gut, so widersinnig es war, ihre Attraktivität bedeutete in bestimmten Situationen einen Klotz am Bein.
Jemand entriegelte die Waggonverbindung. Durch die beschlagenen und bekritzelten Scheiben war zunächst nur ein Schatten zu erkennen. Sie behielt die Pistole in der Hand. Der Mann, der vorsichtig aus dem Dunst der Glasscheiben auftauchte, trug die Uniform des Subwaypersonals. Er schnellte nach rechts, ging halb in die Knie, breitbeinig, und brachte einen schweren Smith & Wesson im Beidhandanschlag hoch. Ein älterer Mann mit grauen Haaren. Sicher ein Armyveteran, wahrscheinlich ein Kontrolleur.
»Wer hat geschossen?«, brüllte er.
»Ich«, antwortete sie ruhig. »Nehmen Sie die Waffe herunter, Sir!«
Der Subwayangestellte musterte sie einen Atemzug lang und sah die Pistole, die sie am langen Arm hielt. Er richtete sich auf und ließ den Revolver sinken.
»Sind Sie Polizeibeamtin?«, fragte er.
Sie ergriff die Chance schnell und eiskalt. »Allerdings. Hätte ich sonst eine Waffe?«
Der Mann atmete erkennbar auf. Er holsterte seinen Revolver und ging auf sie zu. Die Leute unter den Sitzen rührten sich noch immer nicht. Die Bewegung des Angestellten stockte. Erst jetzt sah er das schwarzlederne Menschenknäuel in dem Mittelgang zwischen den Sitzen. Mehrere Blutlachen hatten sich gebildet.
»Mein Gott!«, hauchte er.
»Sie wollten mich vergewaltigen«, sagte sie. »Ausrauben und vergewaltigen. Jeder hat es gehört. Es war Notwehr.«
Der Angestellte ging mit starrem Blick auf die Toten zu.
»Von denen lebt ja keiner mehr«, flüsterte er entgeistert. Er wollte sich ihr zuwenden, doch hastige Schritte nahten polternd aus dem vorderen Waggon.
Zwei Männer waren es, die jetzt hereinstürmten. Beide trugen die Uniform der New Yorker City Police, beide brachten ihre Dienstwaffen in Anschlag, nachdem sie auf Sicherheitsabstand gegangen waren.
Sie beging nicht den Fehler, sich jetzt zu bewegen.
»Harry!«, rief der eine Beamte schneidend. »Zur Seite, Mann!«
Der Angestellte wich von den Toten weg. Er wirkte verunsichert.
»Sie ist ein weiblicher Cop«, sagte er mit zitternder Stimme.
Die uniformierten Zugbegleiter wechselten einen Blick aus den Augenwinkeln heraus.
»In Ordnung, Ma'am«, sagte der ältere Beamte. »Nehmen Sie mit der linken Hand Ihre Dienstmarke aus der Tasche. Aber so langsam, dass wir alles genau sehen können. Sie kennen das.«
Beide Männer veränderten ihre Haltung nicht.
Behutsam, wie befohlen, schob sie ihre Linke in die Handtasche. Mit den Fingerkuppen ertastete sie die keltische Bronzebrosche, die sie einmal bei einem irischen Straßenhändler in Miami gekauft hatte. Das billige Ding reichte für einen Bluff. Sie nahm es heraus und wollte es den Beamten zuwerfen.
»Stopp, Ma'am«, sagte der Ältere rau. In seinen Augen glomm bereits das Misstrauen. Klar, dass er die Dienstmarken seines eigenen Arbeitgebers auch auf zehn Schritte Entfernung von einem verschnörkelten Schmuckstück unterscheiden konnte.
Der Subwayangestellte sah es deutlich genug. Den Helden wollte er nicht spielen. Ohne einen Laut ging er auf Tauchstation zwischen zwei Sitzbänken.
Mit sicherem Instinkt hatte sie den einzig möglichen Fluchtweg erkannt. Die hintere Wagentür war nur zwei Schritte von ihr entfernt.
Der jüngere Beamte wollte sich in Bewegung setzen.
Das Festnahmemanöver, das sich die beiden Cops ausgedacht hatten, war riskant. Es beruhte darauf, dass sie sie im Ungewissen ließen, ob sie den Trick durchschauten oder einfach nur misstrauisch waren.
Sie riss die Pistole hoch und ging im selben Sekundenbruchteil in die Hocke. Es waren zwei gegenläufige, doch blitzschnell und fließend ineinander übergehende Bewegungen.
Die Pistole bellte trocken. Zweimal hintereinander.
Die Cops feuerten, indem sie sich hinwarfen. Sie befand sich allerdings schon nicht mehr dort, wo sie eben noch gestanden hatte.
Kalte Luft trug den Geruch von Öl- und Metallstaubablagerungen aus dem Tunnel herein. Gewandt sprang sie aus dem Wagen und tauchte in der Dunkelheit unter. Ihre Schritte waren jedoch auf dem Schotter zu hören.
Die beiden Polizeibeamten nahmen die Verfolgung auf.
»Funkspruch, Harry!«, brüllte der ältere dem Subwayangestellten zu. »Sie sollen den Tunnel dichtmachen! Dann sitzt das Miststück wie die Maus in der Falle!«
Seine Stimme hallte weit durch die Betonröhre unter dem East River.
Manchen dösenden Taxifahrer traf es wie ein signalroter Blitz in der Mittagspause. Und bevor er aus seiner Lenkradträumerei erwachte, war mein Jaguar schon vorbeigerauscht.
Mit Sirene und aufgepapptem Magnetrotlicht drosch ich den Flitzer Richtung Manhattan South. Ich hielt einen gefährlichen Kurs in der Mitte zwischen den Fahrspuren des Broadway. Unser Ziel lag ganz unten, wo Manhattans berühmteste Straße endet.
Phil war mit dem Funkgerät beschäftigt. Er gab laufend Positionsmeldungen an die Zentrale durch. Dann erhielt er eine Direktverbindung mit John D. High, unserem Chef. Ich konnte nur mit halbem Ohr hinhören.
Die Fahrt in der Broadwaymitte hatte verteufelte Ähnlichkeit mit einer Slalomstrecke. Mehr als die Hälfte aller Fahrzeuge waren gelbe Taxis. New Yorker Taxidriver gelten als die unfreundlichsten der Welt. Das und die mittägliche Trägheit waren eine Zusammenstellung, die meine Nackenhaare alle paar Sekunden senkrecht stehen ließ.
Einer, der mir in einem klobigen alten Checker Cab entgegenkam, musste alle schlechten Eigenschaften für sich gepachtet haben. Er benutzte die schmale Gasse, die mir blieb, und wollte an zwei dahinzuckelnden Lieferwagen vorbeiziehen. Er gab sich keine Mühe, rechtzeitig wieder einzuscheren.
Die Wagen rechts vor mir fuhren zweispurig und konnten nicht weiter ausweichen. Ich stieß einen Fluch aus und stieg in die Bremse. Die Reifen wimmerten. Phil kümmerte sich um nichts. Er hatte das Funkmikro zwischen die Knie geklemmt, hockte vornübergebeugt auf dem Beifahrersitz und hielt sich die Ohren zu.
Groß und breit, mit grinsender Chromschnauze, stand das Checker-Taxi vor mir. Der Fahrer, ein bulliger Kerl, hockte hinter dem Lenkrad und tat, als wartete er geduldig. Sein Gesicht war so ausdruckslos, als nähme er mich überhaupt nicht zur Kenntnis.
Das Warnlicht kreiste auf dem Autodach, und ich drückte auf den Hupring, dass die Sirene zu nervenzerfetzendem Schrillen anstieg. Ein Chevy-Fahrer stoppte in der Kolonne, um den Taxidriver einscheren zu lassen. Der Mann reagierte nicht. Er grinste jetzt. Ich sah es deutlich. Er wollte mich herausfordern. Manche haben einen Hass auf alles, was nach Polizei riecht.
Ich kuppelte aus und zog die Handbremse an. Für Händeringen oder langes Palaver hatte ich keine Zeit. Ich schwang mich ins Freie. Phil lauschte der quäkenden Stimme aus dem Funklautsprecher. Die Sirene senkte ihre Stimme zu einem lang gezogenen, tiefen Orgeln. Mit einem Satz flankte ich um den Kotflügel des Jaguar herum und war im nächsten Moment an der Fahrerseite des Taxis. Blicke aus den vorbeischlurfenden Autos folgten mir. Irgendwo rechts von mir stoppte ein besonders Neugieriger, und ein Hupkonzert setzte ein.
Der bullige Taximann schob seinen muskulösen Unterarm aus dem Wagenfenster. Ein nackter Frauenkörper schillerte blau-rot auf seinem Bizeps. Ich zeigte ihm den FBI-Silberadler und steckte die Dienstmarke wieder ein.
»Geben Sie den Weg frei«, sagte ich. »Ich bin FBI-Beamter und auf einer Alarmeinsatzfahrt. Wenn Sie sich widersetzen, muss ich Sie festnehmen.« Im Menschengewühl auf dem Bürgersteig sah ich zwei Fußstreifencops, die aufmerksam geworden waren.
Der Bullige schob seinen Kaugummi geringschätzig von einer Seite zur anderen. »Ich bin ein freier Bürger, Mann. Und ich denke, du bist ein Spinner, der sich wichtigmachen will. Ich nehme an, deine Blechmarke hast du in der Spielzeugabteilung bei Macy's gekauft, und dein feines Warnlicht ...«
Ich ließ ihn nicht zu Ende reden. Erschrocken zuckte er zusammen, als ich die Tür aufriss. Und seine Augen wurden im nächsten Moment noch größer. Es sah mühelos aus, wie ich ihn am Kragen packte und aus dem Wagen zog. Ich hatte ihn schon neben seiner Blechkiste senkrecht gestellt, als seine Gehirnwindungen erst so weit waren, dass sie es verarbeiteten. Er wollte seine Fäuste hochreißen, sie mir in die Körpermitte rammen. Ich tupfte zweimal kurz hintereinander bretthart mit der Handkante hin. Er gurgelte vor Schmerz und stierte auf seine gelähmt hinabhängenden Arme.
»So was«, sagte ich kalt, »lernst du bei Macy's in der Spielecke für Spinner.«
Die beiden Cops waren zur Stelle. Sie hatten den Verkehrsfluss gestoppt und waren mit langen Sätzen quer über die Fahrspuren herbeigeeilt. Ich nannte ihnen meinen Namen und meine Dienststelle und bat sie, den Mann wegen Einsatzbehinderung und Widerstand gegen die Staatsgewalt festzunehmen. Einer der Cops verpasste ihm Handschellen und bugsierte ihn Richtung Bürgersteig. Der andere schwang sich hinter das Checker-Lenkrad und rangierte die klobige Kiste aus dem Weg.
Ich war bereits wieder im Jaguar, bedankte mich mit einem Handzeichen bei den uniformierten Kollegen, ließ die Sirene erneut anschwellen und gab Gas. Der Festgenommene stierte hinter uns her. Wahrscheinlich verstand er die Welt nicht mehr. Ich habe einfach kein Verständnis für blödsinnige Sturheit dieser Art. Unsereins hält seine Knochen für die Bürger dieses Staats hin. Dafür können wir ein Minimum an Verständnis erwarten.
»Genau sechsunddreißig Sekunden«, sagte Phil, der seine Funkerei vorübergehend eingestellt hatte. Er grinste. »Der Aufenthalt hätte leicht länger dauern können. Aber dafür ist das Ansehen aller Ermittlungsbehörden mal wieder restlos im Eimer. Die Berufsorganisation der Taxifahrer wird dich öffentlich in der Luft zerreißen. Und wenn irgendein Autofahrer seine Kamera dabei hatte, kassiert er einen Tausender als Honorar für das Pressefoto des Monats.«
Ich grinste zurück. »Willst du meine Gegenmaßnahme hören?«
»Klar, dass du schon eine auf Lager hast.«
»Ich schließe mich der Kampagne gegen unfreundliche Taxifahrer an, dann kriegen sie Zunder.«
»Die Zeitungs- und Fernsehleute werden dir dankbar sein für die Storys, die du ihnen lieferst.«
Wir kamen jetzt zügig voran. Es war, als hätte sich die Pleite des widerborstigen Checker Drivers in Windeseile herumgesprochen.
»Was hast du Neues?«, fragte ich.
»Die Tatsachen sind noch die alten. Eine offenbar durchgedrehte weibliche Person im Lexington-Subwaytunnel. Verfolgung durch Sicherheitsbeamte, beide Tunnelseiten abgeriegelt. Neu sind die Vermutungen.«
»Möglicher Terroranschlag?«, entgegnete ich. Zumindest war es der Gesichtspunkt, den Mr. High als Anlass genommen hatte, uns loszujagen.
»Ist nicht mehr auszuschließen«, bestätigte Phil.
»Geiselnahme?«
»Ist noch nicht bekannt. Die Meldungen gingen bislang ziemlich wirr durcheinander. Was wir jetzt an klaren Tatsachen haben, ist Folgendes: Schießerei im Subwayzug. Jemand hat die Notbremse gezogen, und er hält jetzt ungefähr im ersten Drittel des Tunnels, von Brooklyn aus gesehen. Es soll eine Frau sein, die geschossen hat, und es soll mehrere Tote gegeben haben. Zwei Cops von der Traffic Patrol haben sie gestellt, dann ist sie ihnen entwischt. Die beiden haben die Verfolgung aufgenommen und den Tunnel abriegeln lassen.«
»Dann ist die Lage mal wieder klar«, sagte ich. »Unsere Kollegen von der City Police erledigen die Dreckarbeit, und wir tauchen am Tatort auf, um nur noch die Lorbeeren abzukassieren.«
Phil nickte. Er wusste, wovon ich sprach. Die alten Vorurteile schlummern bei manchen Leuten noch immer im Unterbewusstsein – sowohl bei unseren uniformierten Kollegen als auch bei Zeitungs- und Fernsehredakteuren.
Wie sich die Situation im Subwaytunnel entwickelte, hing zunächst nicht von uns ab. Ob wir überhaupt Einfluss auf die Lage nehmen konnten, stand in den Sternen. An Phil und mir lag es, notfalls Verstärkung anzufordern und einen FBI-Großeinsatz anzuleiern. Die Möglichkeit, dass es sich um einen Terrorakt handelte, lag für uns nahe.
Frauen, die in Flugzeugen, Eisenbahnzügen oder an sonstigen belebten Stellen um sich schießen, sind meistens Terroristinnen. Die Folgerungen im Subway-Fall waren noch offen. Hatte die Frau eine Geisel genommen, um sich den Fluchtweg freizuhalten? Oder hatte sie eine Bombe mit Funkzünder unter den Zug gepappt, um ihre Forderungen durchzusetzen?
Die südlichste Station der Lexington-Avenue-Linie in Manhattan ist Bowling Green, unmittelbar am Nordostzipfel des Battery Park gelegen. Die Absperrung sahen wir schon von Weitem. Streifenwagen mit kreisenden Warnlichtern standen quer auf den Bürgersteigen und am Straßenrand. Uniformierte Cops winkten die Fahrzeuge vorbei, und Fußgänger wurden durch eine schmale Gasse von Holzbarrieren an den Eingängen der Subway Station vorbeigeschleust. Ich stoppte den Jaguar hinter einem der Streifenwagen und drückte einem Patrolman die Schlüssel in die Hand. Wie es bei Einsätzen dieser Art üblich ist, hatten wir die Dienstmarken außen in die Brusttasche unserer Jacketts gehängt.
Den Einsatzleiter fanden wir unten auf dem Bahnsteig neben einem Zug, der in Fahrtrichtung Brooklyn hielt. Die Fahrgäste durften den Zug nicht verlassen. Bevor die Lage nicht geklärt war, wollte man kein unnötiges Durcheinander. Wir erfuhren, dass sich im Tunnel nur jener eine Zug befand, in dem sich das Drama abgespielt hatte. Da die Subway dieser Linie zu dieser Tageszeit nur in Fünfzehn-Minuten-Abständen fuhr, war die Absperrung auf beiden Seiten rechtzeitig veranlasst worden.
Dieser verhältnismäßig große Zeitabstand hatte es auch ermöglicht, dass auf dem Gegengleis von der Grand Central Station eine Draisine herbeigeschafft werden konnte. Das elektrisch betriebene kleine Schienenfahrzeug bestand aus einer Plattform mit hüfthohen Ladeklappen an allen vier Seiten. Wir verständigten uns mit dem Einsatzleiter, einem Captain. Neue Meldungen über den Fluchtverlauf der mutmaßlichen Terroristin lagen nicht vor. Auch keine Bombendrohung oder Nachricht von einer Geiselnahme.
Phil und ich überquerten die Schienen vor dem haltenden Zug. Wir schwangen uns in die Draisine. Der Fahrer, ein Subwayangestellter, nickte uns zu und grinste dabei kampflustig.
»Ich bin Junggeselle, habe keine Kinder und war in Vietnam dabei«, sagte er und ließ das Ding anrollen. »Machen Sie sich also meinetwegen keine Sorgen, Gentlemen.«
»Das wird kein Himmelfahrtskommando«, sagte ich überzeugt.
Phil sah mich von der Seite an, ich las die Zweifel in seinem Blick. Restlos überzeugt war ich von meinen Worten auch nicht.
Die Schwärze des Tunnels nahm uns auf. Dieser kühle, trockene Hauch von Eisen und Öl wehte uns entgegen.
Lynn Cheston stoppte ihre Schritte in dreißig Yards Entfernung vom Zug. In der totalen Finsternis hatte sie die Vorteile auf ihrer Seite. Wie zum Hohn für die Cops brannte das Licht in dem Subwayzug noch immer. Diese Polizisten waren geradezu sträflich leichtsinnig, denn vor dem Licht zeichneten sich ihre Silhouetten deutlich ab. Andererseits hatten sie keine Wahl.
Wenn sie die Verfolgung aufnehmen wollten, mussten sie den Lichtkreis durchbrechen. Und dann, im Dunkeln, standen die Chancen fifty-fifty.
So weit wollte Lynn Cheston es nicht kommen lassen. Sie hob die Pistole im Combatanschlag und feuerte auf den ersten Beamten, einen breitschultrigen Mann, der sich vorsichtig, Schritt für Schritt, voranarbeitete. Er ging geduckt und schien mit seinen Blicken die Dunkelheit durchdringen zu wollen.
Der Schuss bellte und verursachte ein rollendes Echo.
Kein Schmerzensschrei. Nichts.
Lynn Cheston stieß einen leisen Fluch aus. Deutlich sah sie, dass sich der Beamte erst Sekundenbruchteile nach dem Schuss zu Boden warf. Er war unverletzt. Das lag daran, dass sie die Visierung im Gegenlicht nicht genau genug erkannt hatte.
Sie schnellte nach links weg.
Der zweite Cop hatte sich lediglich in die Nische zwischen zwei Waggons gedrückt. Jetzt war er blitzschnell wieder da, und vor seinem Brustkasten erblühte eine grellrote Feuerblume.
Lynn Cheston konnte den heißen, sengenden Luftzug der Kugel spüren. Der Cop hatte eine uralte Methode angewendet und den Mündungsblitz ihrer Pistole als Zielpunkt genommen. Sie begriff, dass sie es nicht mit ausgefuchsten Kämpfern zu tun hatte. Das waren einfache Beamte aus dem Streifendienst. Ihre Praxis im Umgang mit der Dienstwaffe hatten sie wahrscheinlich hauptsächlich auf dem Schießstand erworben.
Lynn Cheston warf sich herum und rannte weiter. Sie wusste nicht genau, wie groß die Entfernung bis zum Tunnelausgang auf der Brooklynseite war. Ein Entkommen gab es für sie dort ohnehin nicht. Sie hatte die Funkdurchsage gehört. Der Tunnel war an beiden Seiten dicht.