Jerry Cotton Sonder-Edition 238 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 238 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Mr. High schickte mich ins Bergland von South Dakota. Er machte keinen Hehl daraus, dass mein Auftrag ein halbes Selbstmordunternehmen war. Ich sollte einen Mann aufspüren, der vor einer einzigartigen Karriere in der Unterwelt stand. Einen Mann, dessen erster Mord so raffiniert und ausgeklügelt und so perfekt in Szene gesetzt worden war, dass die großen Bosse von New York bis Miami aufhorchten ... Es war das sensationelle Debüt eines Mörders.

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Seitenzahl: 197

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Debüt eines Killers

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Vorschau

Impressum

Debüt eines Killers

Mr. High schickte mich ins Bergland von South Dakota. Er machte keinen Hehl daraus, dass mein Auftrag ein halbes Selbstmordunternehmen war. Ich sollte einen Mann aufspüren, der vor einer einzigartigen Karriere in der Unterwelt stand. Einen Mann, dessen erster Mord so raffiniert und ausgeklügelt und so perfekt in Szene gesetzt worden war, dass die großen Bosse von New York bis Miami aufhorchten ... Es war das sensationelle Debüt eines Killers.

1

Dieser Baby-Benz war eine Rassekiste. Carl Donnelly knüppelte ihn durch den Abendverkehr, dass die anderen Driver meinten, ein nachtblaues Geschoss vorbeihuschen zu sehen. Aber es half nichts. Diese elende rote Langschnauze mit ihren großen Leuchtaugen tauchte immer wieder im Spiegel auf. Ließ sich nicht abschütteln, der Hundesohn.

Donnelly riss mit der Linken seinen Hemdkragen auf und zerrte den roten Seidenschal heraus. Platzangst! Er kannte das. Gleich würde ihm der Schweiß ausbrechen. Verdammt!

Der kleine Superschlitten sollte nicht zur rollenden Blechfalle für ihn werden.

Donnelly sah, wie die Jaguar-Augen im Spiegel größer wurden. Die Lichtfinger tasteten sich über das Mercedesheck bis zu ihm ins Cockpit vor. Unwillkürlich zog Donnelly den Kopf zwischen die Schultern. Er rechnete mit dem berstenden Einschlag von Kugeln, dass sich die Windschutzscheibe vor seinen Augen in Krümel auflöste.

Schweiß bildete plötzlich ein Perlenmeer auf seiner Stirn. Bäche rannen über seine Schläfen, und gleich darauf spürte er Salzgeschmack in den Mundwinkeln.

Er riss den Wagen nach rechts und stieg auf die Bremse.

Es krachte. Die Bordsteinkante versetzte den Vorderrädern Stöße. Es ging ihm durch und durch. Er stellte sich vor, wie die Karkassen der Reifen eingerissen und die Stoßdämpferaufhängungen ausgeschlagen wurden. Er war stolz darauf, ein einfühlsamer Mensch zu sein. Und normalerweise hätte er ein Auto niemals so behandelt. Doch es ging um seine Zukunft und sein Leben. Dieser verfluchte Hund im Jaguar wollte ihm alles kaputtmachen. Alles!

Ein paar Leute waren erschrocken zur Seite gewichen. Ihr Interesse versiegte bereits wieder, als Donelly aus dem Wagen sprang und losrannte.

Reifen rieben sich wimmernd auf dem Asphalt. Donnelly hörte es und wusste, dass sie ihm in zwei Sekunden im Nacken sitzen würden. Niemand hielt ihn auf, während er rannte. Wer in New York City zu leben gelernt hat, weiß, dass man andere besser mit ihren Schwierigkeiten allein lässt.

Der Türbogen mit der geschwungenen Leuchtschrift war wie ein Freiheitssymbol. Donnelly tauchte unter dem Bogen hindurch. Er drang in Stimmengewirr und Schwaden von Zigarettenrauch vor und hatte dabei das Gefühl, sich einen mächtigen, unerschütterlichen Rettungsring überzustülpen.

»J. P. Clarke's«, sagte Phil. »Auch das noch!«

Ich riss die Handbremse hoch, nahm das Walkie-Talkie, das er mir entgegenhielt, und war mit einem Satz draußen. Ich flankte um die lange Haube meines roten Flitzers herum und versenkte das brieftaschengroße Funkgerät in meine Jackentasche. Sprintend ließ ich den dunkelblauen Mercedes 190 hinter mir zurück, den sie bei uns in den Staaten Baby-Benz nennen.

Kein Mensch kümmerte sich um mich. Was in Manhattan tagtäglich über die Bürgersteige walzt, ist eine desinteressierte und geduldige Masse Mensch. Es gibt nichts, was man noch nicht gesehen hat. Und es gibt nichts, worum man sich kümmern könnte, ohne sich Probleme einzuhandeln. Ich rempelte keinen an, und keiner versperrte mir unnötig den Weg.

Die Fensterscheiben des Lokals waren beschlagen. Ich stieß die Tür auf und hatte das Gefühl, gegen einen Mehlsack anzurennen. Die Rauchschwaden waren zum Schneiden. Nach sechs Yards endete die Sicht wie im Nebel. Über Köpfe und Gläser hinweg konnte ich eben noch einen Blick auf Donnelly erhaschen, bevor er mit seiner Wikingerfigur, in einen lässigen Schlabbertrenchcoat gehüllt, im dichten Rauchnebel verschwand.

Ich blieb stehen, holte das Walkie-Talkie hervor und schaltete auf Senden. In dem Durcheinander sich gegenseitig überschreiender Stimmen kriegte nicht einmal die kleine Wuschelköpfige etwas mit, die sich vor meiner Nase abmühte, gleichzeitig zu trinken, zu rauchen und zu reden. Die noch zu dem Pulk gehörten, waren ähnlich beschäftigt. Es setzte sich endlos fort. Pulk an Pulk, in weitem Rund um die riesige Theke.

»Phil«, sagte ich in die Sprechmuschel.

»Ja?«

»Er ist drin.«

»Verstanden. Ich denke, dass wir in zwei Minuten alle Ausgänge dicht haben.«

»Ende.« Ich knipste das Ding aus und fing an, mich zwischen Schultern, Rücken, Busen und dem bedrohlich schwappenden Inhalt von Gläsern hindurchzuwinden.

Was sich unser Mann vorstellte, konnte ich mir denken. Carl Donnelly war kein primitiver Handlanger. Er gehörte zur Spitze in seiner Branche. Aber er war nervös wie eine Diva. Eine Eigenschaft, die ihn uns vor die Flinte getrieben hatte.

Trotzdem beging ich nicht den Fehler, ihn für ungefährlich zu halten. Er galt als unberechenbar. Tückisch wie eine Viper.

J. P. Clarke's ist eine Kneipe im guten alten irischen Stil, an der Ecke East 55th Street und Third Avenue. Treffpunkt für die East-Side-Schickeria. Nach Mitternacht ging es erst richtig los. Jeder, der über seine festgefahrene Beziehungskiste oder Selbstverwirklichungsprobleme quatschen wollte, war hier an der richtigen Adresse. Dazu rauschten die Zapfhähne. Die stämmigen Iren hinter der Theke waren Weltmeister im Bierausschenken.

Ich hatte mir die Richtung eingeprägt, in der Donnelly in die wogende Masse aus Rauch, Aftershave- und Eau-de-Cologne-Duftmischungen, Oversizejacketts und Geplapper getaucht war.

Er kannte sich aus. In den Laden passten ungefähr dreihundert Menschen, wenn der letzte Quadratyard im Erdgeschoss und oberen Stockwerk ausgenutzt wurde. Rechnete man die Notausgänge mit, die oben zu den Feuerleitern führten, hatte Donnelly mindestens ein halbes Dutzend Möglichkeiten, wohin er verschwinden konnte. Praktisch standen ihm alle Himmelsrichtungen offen.

Ich drehte mich um. Phil überragte die Leute in der Nähe des Eingangs um einen halben Kopf. Er nickte mir zu. Ich schob mich weiter voran. Donnelly würde versuchen, so schnell wie möglich einen Ausgang auf der anderen Seite zu erreichen. Er war schlau genug, um zu wissen, wie wenig Zeit wir brauchten, um die Kollegen von der City Police heranrauschen zu lassen.

Ein leuchtend braunes Augenpaar schob sich in mein Gesichtsfeld. Unüberwindliches Hindernis. Ich las es in dem dazugehörigen Mienenspiel. Eifrig-freudige Kontaktwilligkeit.

»Hallo, Bruder«, sagte sie. »Du siehst aus, als ob du jemand suchst. Gib es auf! Du bist nämlich schon am Ziel. Bei mir. Darauf einen Drink.« Sie hob zwei Gläser mit frisch gezapftem Bier.

»Allzeit bereit?«, fragte ich grinsend und geistesabwesend. Ich versuchte, mir in der Sardinenenge einen Überblick zu verschaffen, und hoffte dabei auf die Signalwirkung von Donnellys blondem Haar.

Ich leistete mir einen Blick auf die braunen Augen und das Drumherum. Mehr als sehenswert. Innerlich fluchte ich auf die Situation. Die besten Gelegenheiten schienen sich immer dann zu ergeben, wenn ich keine Zeit hatte. Auch in meinem Beruf gibt es diese seltenen Momente, in denen man sich am liebsten einen anderen Job suchen möchte.

»Heutzutage muss man seine Chancen nutzen.« Das Augenpaar strahlte mich weiter an. »Verpassten Möglichkeiten nachzutrauern, ist unnötig belastend. Sag mal, warst du noch nie in diesem Schuppen?«

Sie wollte dezent andeuten, dass J. P. Clarke's eine Hochburg für Singles war. Was sich hier allabendlich versammelte, repräsentierte mindestens eine gescheiterte Ehe pro Nase.

»Baby«, sagte ich und legte ihr die Hand auf die Schulter, »nimm die nächste Gelegenheit! Du kriegst sie, solange dein Bier noch frisch ist. Mit mir würdest du einen schlechten Fang ...« Ich unterbrach mich jäh.

Donnelly musste den Kurs gewechselt haben, tauchte auf einmal schräg rechts vor der Treppe auf, die in den ersten Stock führte. Entfernung fünf Yards. Ich machte mir nichts vor. Mit einer Machete im subtropischen Dschungel würde ich fünf Yards schneller zurücklegen als hier.

Donnellys Wikingerblond strebte auf die Treppe zu. Schiebend und stoßend bahnte er sich seinen Weg. Ruppiger, als es in der gelassenen Plauderatmosphäre üblich war. Er erntete Aufmerksamkeit und missbilligende Blicke.

»Mir wäre es lieber, wenn du ehrlich wärst«, sagte die Frau mit den beiden Biergläsern. »Sag doch einfach, dass ich dir unsympathisch bin. Dann brauch ich wenigstens nicht rumzugrübeln ...«

Ich schob mich an ihr vorbei. Donnelly ließ ich nicht mehr aus den Augen. Er war mir wichtiger als die Tatsache, dass ich der Braunäugigen einen Grübelabend beschert hatte.

Carl Donnelly fing an, Leute zur Seite zu stoßen. Eine elegante Lady mit klugen Brillengläsern wirbelte empört herum. Es sah aus, als wollte sie ihm eine Ohrfeige verpassen. Aber sie ließ es. Ihre Empörung wich unerklärlichem Respekt. Wenn sie Platz gehabt hätte, wäre sie zurückgewichen. Nur ich kannte die Erklärung. Donnellys Vipernblick! Man spürte die Todesdrohung, wenn man in seine kalten Augen sah.

Er drängte weiter. Ich arbeitete mich voran, behielt Donnelly und seine Umgebung im Auge und wollte das Walkie-Talkie hervorziehen. Phil musste Bescheid wissen, welche neue Richtung unser Mann eingeschlagen hatte.

Mitten in der Menschenmasse sah ich ein bekanntes Gesicht. So überraschend, dass ich das Walkie-Talkie vergaß. Der Mann stand auf der fünften Treppenstufe, an das Geländer auf der rechten Seite gelehnt, in lockeren Flanell gekleidet.

Er spähte hoffnungsvoll in meine Richtung. Als er bemerkte, dass ich ihn erkannte, erhellte sich seine Miene.

Clive Shayne.

Vor zehn Jahren hatte sein markantes Gesicht Titelseiten geziert. Den Höhepunkt seiner Schauspielerkarriere hatte er hinter sich, aber er war noch immer das Markenzeichen für männliche Härte. Einmal hatte er den einsamen Rächer in der Großstadthölle gespielt und die halbe Unterwelt mit eiserner Hand ausgerottet.

Im Film.

Im wirklichen Leben war Clive Shayne durch alle Höhen und Tiefen gegangen, die es für einen Mann nur geben kann. Drei Scheidungen, Alkohol, Rauschgift, finanzieller Ruin. Mich kannte er, weil ich ihn aus einer Riesendummheit mit blauem Auge herausgepaukt hatte.

Seiner zweiten Frau hatte er nach der Trennung den gemeinsamen Sohn entrissen. Sie hatte die Sache an die große Glocke gehängt und Kidnapping daraus gemacht. FBI-Fall. Ich hatte Shayne eine Nacht lang bei Kentucky Bourbon zugeredet und ihn schließlich überzeugt, dass er den Jungen zurückbringen musste. Seither hatte ich bei ihm einen Stein im Brett – bei dem großen Clive Shayne, den ich so klein und hilflos erlebt hatte.

Ich winkte ihm zu. Er lachte und hob die Hand. Im nächsten Moment stockte mir der Atem.

Shayne deutete mit einer Kopfbewegung auf den blonden Mann im Trenchcoat, der sich bis zur ersten Treppenstufe gedrängelt hatte. Clive Shaynes Augen richteten sich wieder auf mich. Fragend, freundlich hilfsbereit.

Ich schüttelte heftig den Kopf. Ich bemühte mich, Entsetzen und eiserne Ablehnung zugleich in meinen Gesichtsausdruck zu legen. Immerhin war er Schauspieler und musste so etwas deuten können.

Er tat es nicht, wollte es vielleicht nicht.

Himmel, er konnte doch nicht so hirnverbrannt sein, hier den Helden spielen zu wollen!

Er stieß sich vom Geländer ab.

»Clive!«, brüllte ich. »Nicht! Lass es sein!«

Ich schaffte es, das Stimmengewirr zu übertönen. Ich sah es daran, dass Donnelly verwirrt herumruckte. Er war schon auf der zweiten Stufe.

Shayne war nicht mehr zu bremsen. Ich hatte das verdammte Gefühl, dass er sich für den Gefallen revanchieren wollte, den ich ihm getan hatte. Seine Glanzzeit war jedoch lange vorbei, und das hier war nicht Hollywood.

Donnelly geriet in Panik. Er stieß die Leute mit Fausthieben weg. Also musste er mich gesehen haben. Wütende Schreie wurden laut. Mitten durch das Gewühl stieß Clive Shayne vor. Wie damals in dem Rächerstreifen, als er auf das halbe Dutzend Rowdys losgegangen war, die seine Frau und seine Tochter vergewaltigt hatten.

Ich war schon dicht vor der ersten Treppenstufe.

»Clive!«, brüllte ich noch einmal. »Zurück!«

Er fühlte sich schon zu sehr in seinem alten Element.

Und Donnelly achtete nicht rechtzeitig auf ihn, weil er zu viel mit den widerspenstigen Menschenpulks zu tun hatte.

Hätte ich freie Bahn gehabt, hätte ich den Blonden mit einem Sprung erreichen und ihn aus Shaynes Reichweite stoßen können.

Shayne war schneller. Frauen kreischten. Eine stürzte zu Boden, und eine ganze Traube von Leuten wogte mir entgegen. Ich musste ausweichen, um nicht auch das Gleichgewicht zu verlieren.

Ich erwischte eine winzige Gasse im Gedränge und federte bis zur zweiten Treppenstufe hoch.

Und keinen Schritt weiter. Etwas Eiskaltes breitete sich in meinem Magen aus.

Shayne hieb mit seinen Handkanten auf den Mann im Trenchcoat ein. Diese Handkanten, die auf der Leinwand wie trockene Hammerschläge geklungen und ein halbes Dutzend Rowdys in Reihe flachgelegt hatten. Donnelly blinzelte nur verdutzt und wich mühelos aus. Er wollte unter den wirkungslosen Hieben wegtauchen und schaffte es fast. Shayne sah seine Felle davonschwimmen. Er warf sich mit einem Satz auf den Blonden, klammerte sich an seine Schultern und krallte die Hände von hinten um seinen Hals.

Ich nahm keine Rücksicht mehr. Ich stieß den Pulk vor mir unsanft auseinander.

Donnelly und seine Klette waren zum Greifen nahe.

Nur für einen Sekundenbruchteil.

Donnelly warf sich nach vorne und krümmte sich.

Clive Shayne flog in hohem Bogen über ihn hinweg – so wie es auf der Leinwand nur seinen schlimmsten Feinden passiert war. Schreie gellten, als er weiter oben auf der Treppe in einem Knäuel aus Armen und Beinen versank.

Donnelly federte hoch. Er gewann wieder einen Schritt Vorsprung. Ich blieb dran und kümmerte mich nicht um die zornigen Laute, die meine Ellenbogenstöße begleiteten.

Clive Shayne hatte sich in seine Rolle verbissen. Das Jetzt-erst-recht-Gefühl verlieh ihm ungeahnte Energie. Plötzlich tauchte er aus dem Knäuel wieder hoch und warf sich dem Blonden erneut in den Weg.

Shayne wusste nicht, dass dieser Mann ein Berufskiller war.

Shayne wollte etwas für mich tun. Er tat es nicht, um noch einmal ganz groß in die Schlagzeilen zu gelangen. Nein, das war es nicht. Seit jener Nacht wusste ich, dass Clive Shayne ein großer Junge geblieben war. Sein Geradeausdenken hatte ihn in drei Ehen fast den Verstand verlieren lassen. Und jetzt war es diese Denkweise, mit der er sich in tödliche Gefahr stürzte.

Donnelly rammte ihm die Rechte in die Magengrube. Shayne klappte zusammen. Mit der Linken packte ihn der Blonde im Nacken und riss ihn hoch.

Die Schreie wurden schriller. Sie stachen mir schmerzhaft auf die Trommelfelle.

Ich fühlte mich wie von einer Wand aufgehalten.

Donnelly hatte eine Automatik in der Hand. Er musste sie schon in der Hand gehabt haben, als er Shayne in den Bauch gestoßen hatte.

Der Schauspieler war grünlich weiß im Gesicht. Er stieß ein qualvolles Gurgeln aus. Seine Augen schienen aus den Höhlen zu quellen. Ich wusste, welche furchtbaren Schmerzen er hatte. Trotzdem hätte ich ihn am liebsten angeschrien, wenn dadurch nur etwas zu retten gewesen wäre.

Hölle und Teufel, Clive Shayne, warum musstest du dich in meine Angelegenheit einmischen? Wie hatte er es überhaupt mitgekriegt, dass ich den Blonden verfolgte? Nebensächliche Frage. Von seiner erhöhten Position auf der Treppe musste Shayne alles hervorragend überblickt haben. Donnelly und ich waren die einzigen Unruheherde in der sonst stetigen Masse gewesen.

Das Entsetzen trieb die Menschen aus Donnellys Nähe. Die schwarz schimmernde Pistole wirkte unscheinbar im schummrigen Licht. Und doch genügte ihr Anblick, um die Leute in einen schockartigen Zustand zu versetzen.

Dieser Mann im Trenchcoat besaß die Macht über Leben und Tod, und die eisige Kälte in seinen Vipernaugen bewies, dass er die Macht ausüben würde, wenn es sein musste. Wenn irgendetwas seine Nerven zum Zerreißen brachte.

Ich hatte den Smith & Wesson so schnell aus dem Leder, dass keiner es auf Anhieb mitkriegte.

»Donnelly!«, rief ich schneidend über die Köpfe der Auseinanderdrängenden hinweg. »Lassen Sie den Mann los, oder ...!«

»Oder was?«, überschrie er mich.

Wieder gellten Frauenstimmen. Jetzt hatten sie den Revolver in meiner Faust gesehen. Zwischen dem Killer und mir entstand eine Gasse. Ich fragte mich, ob das Treppengeländer dem Druck standhalten würde. Donnelly, seine Geisel und ich waren wie Brückenpfeiler in einem Strom.

Jemand hatte die Hintergrundmusik abgestellt. Nur noch Schreie und trappelnde Schritte. Der ganze Laden wirkte auf einmal kalt und ungemütlich.

Clive Shayne stöhnte im harten Griff seines Bezwingers. Ich sah, dass Shayne die Schmerzen halbwegs überwunden hatte. Aber Donnelly ließ ihm keine Chance. Er presste ihm die Laufmündung der Automatik unter das Kinn.

»Oder was?«, schrie Donnelly noch einmal. »Hier gibt's kein Oder für dich, G-man! Nur für mich! Weg mit deinem Schießeisen, oder ich blase diesem Schwachkopf die Dummheit aus dem Schädel!«

Er zog Shayne mit sich, rückwärts die Treppe hinauf. Sie erreichten die Empore. Da oben herrschte bereits Leere. Die Leute hatten sich in Korridore und Nebenräume verzogen, vielleicht sogar durch die Notausgänge ins Freie.

Ich wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war. Keine Ahnung, welche Ausgänge von der City Police bereits abgeriegelt waren. Sekunden dehnten sich zu Ewigkeiten. Ich konnte mich nicht einmal umdrehen, um zu sehen, ob sich Phil heranwagte.

Die Schreie versiegten. Es wurde still. Atemlosigkeit kehrte ein. Große, schreckensweite Augen aus allen Richtungen, auf den einen Punkt konzentriert. Jetzt fehlte uns nur noch ein Fernsehteam, das den Funk abgehört hatte und die Todesangst live auf den Bildschirm bringen wollte.

»Donnelly«, sagte ich ruhig, ohne den 38er aus dem Anschlag zu nehmen. Meine Stimme dröhnte in der Stille. »Ich erklärte Ihnen, was passieren wird. Ich gebe Ihnen die Chance, darüber nachzudenken ...«

Seine Pupillen waren wie schwarze Nadelköpfe. Sein Blick stach durch mich hindurch.

»... und sich zu entscheiden. Sie werden es nicht schaffen abzudrücken. Ich beherrsche den Todesschuss, der Ihr Nervensystem innerhalb von einer Tausendstelsekunde lähmt. Sie können den Zeigefinger nicht mehr krümmen. Jede Geiselnahme ist heute fast aussichtslos. Sie sollten das wissen.« Ich sagte es auch, um Clive Shayne zu beruhigen. Wenn man überhaupt jemand in seiner Lage beruhigen konnte.

Donnellys maskenhaftes Gesicht formte ein Grinsen. »Deine Rechnung hat einen kleinen Fehler, G-man. Ich beherrsche die nicht erkennbare Bewegung. Du wirst es mir nicht ansehen, wann ich den Finger krumm mache, klar? Also nützt dir auch deine Tausendstelsekunde nichts.«

Er hatte recht.

Zwar war ich in der Lage, jenen Punkt zu treffen, an dem die Auftreffenergie des Teilmantelgeschosses ihn blitzartig bewegungsunfähig machte. Aber ich musste ihm zuvorkommen.

Er schien zu ahnen, dass ich nicht feuern würde, wenn er mir nicht den letzten entscheidenden Anlass dazu gab.

»Sie irren sich, Donnelly«, sagte ich trotzdem. »Ich habe das Recht, jetzt sofort auf Sie zu schießen. Es ist Notwehr, da Sie Mister Shayne bedrohen.«

Seine Augen flackerten. Es machte den Eindruck einer irrwitzigen Heiterkeit.

»Shayne, der Schauspieler?« Er lachte glucksend und verstärkte den Druck der Laufmündung.

Shayne stöhnte schmerzerfüllt auf. Seine Augen verdrehten sich, sodass das Weiße zu sehen war.

»Berühmtheiten sollen sich besonders gut als Geiseln eignen. Das erhöht den Respekt bei Burschen wie dir, Cotton, stimmt's? Ich wette, du hast einen Quasselkasten bei dir. Sag deinen lieben Kollegen, dass sie sich gefälligst bremsen sollen. Oder sie müssen halb Hollywood zum Begräbnis nach New York einfliegen lassen.« Er lachte erneut. Der Gedanke schien ihn besonders zu erheitern.

Ich nickte. Triumph blitzte in seinen Augen auf, als ich das Walkie-Talkie mit der linken Hand aus der Tasche nahm und seine Anordnung befolgte. Phils Stimme klang krächzend. Nur eine Sekunde lang wunderte ich mich darüber, dass ich ihn nicht innerhalb des Raums hörte. Er musste den Laden verlassen haben, um gezielter eingreifen zu können.

»Wir geben ihm freien Abzug«, sagte mein Freund und Partner, weil er es sagen musste. Denn Donnelly konnte mithören.

»Hat er sonst noch Forderungen?«

Ich sah Donnelly fragend an.

Er blies die Luft durch die Nase, während er sich auf der Empore langsam rückwärts bewegte.

»Keine Forderungen mehr, Cotton. Haltet ihr mich für blöd? Glaubt ihr, ihr könnt mir 'ne Kiste mit Haftwanzen unterjubeln?«

»Ich weiß«, sagte ich scheinbar gelassen. »Sie sind natürlich viel, viel cleverer.«

Ich musste begreifen, dass er sich nicht hinhalten ließ.

»Erfasst.« Er nickte und bewegte sich schneller, immer noch rückwärts.

Ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass es da nichts gab, worüber er stolpern konnte. Ein winziger, unvorhergesehener Ruck genügte, um die tödliche Kugel aus dem Lauf der Automatik rasen zu lassen. Clive Shayne wirkte in seinem Griff erstarrt und leblos wie eine Schaufensterpuppe.

Die Sekunden dehnten sich immer mehr. Es war wie eine Zeitlupenaufnahme, die vor meinen Augen ablief. Unwillen überschattete diesen Ausdruck von Triumph, der eben noch in seinem Gesicht gelegen hatte. Ich begriff nicht sofort, was es war.

Im nächsten Atemzug erkannte ich die Ursache. Größere Anstrengung. Clive Shayne benutzte seine Beinmuskeln, um der Zugkraft seines Bezwingers Druck entgegenzusetzen. Sein Widerstandswille war auf einmal erwacht. Ankündigungslos und unerwartet für Donnelly.

»Clive!«, zischte ich. »Um Himmels willen ...«

Mehr brachte ich nicht heraus.

Shayne krümmte sich jäh. Er fühlte sich wieder stark. Er schaffte es tatsächlich, sich aus dem Nackengriff des Blonden loszureißen. Der Pistolenlauf wies ins Leere.

Ich ließ das Walkie-Talkie fallen.

Donnellys Automatik bellte.

Erneute Angstschreie! Leute warfen sich zu Boden. Vor mir sah ich Shayne herumwirbeln und aus der gekrümmten Haltung hochkommen. Es traf mich wie ein Hammerschlag. Himmel, warum brachte er sich nicht in Sicherheit? Irgendein Faden musste bei ihm gerissen sein. Allen Ernstes ging er von Neuem auf Donnelly los. Ich hatte den 38er im Beidhandanschlag.

Sinnlos ...

Donnelly duckte sich. Shayne, der viel zu viel Zeit brauchte, um ihn zu erreichen, war seine Deckung. Ich konnte nicht feuern, ohne Shayne zu treffen.

Wieder dieses Bellen. Trocken, unbedeutend. Weshalb das so war, sah ich erst in der nächsten Sekunde. An Shaynes Vorwärtsbewegung änderte sich nichts. Es hatte ohnehin ausgesehen, als stürzte er in Donnellys Richtung.

Der Blonde kreiselte herum, warf sich mit der Schulter gegen das Fenster, über dem klein und rot Notausgang zu lesen war. Scheiben zerbarsten schmetternd. Mit einer Rollbewegung flog Donnelly hinaus auf den Feuerleiterbalkon. Scherben rieselten.

»Halt!«, brüllte ich. Ich jagte eine Kugel durch die obere Hälfte des Fensterrahmens. Der 38er krachte und ruckte in meinen Fäusten.

Die Silhouette schraubte sich draußen auf dem Stahlgitterbalkon hoch. Es gab einen matten Reflex von herumruckendem Metall.

Ich reagierte innerhalb von einer Hundertstelsekunde und zog durch. Die Mündungsblitze zuckten aufeinander zu, wollten sich gegenseitig auffressen. Ich ließ mich fallen. Weit hinter mir splitterte und schepperte etwas.

Dumpfes Wummern von außerhalb des Gebäudes. Der erwartete Schmerz blieb aus. Ich hob den Kopf. Die Silhouette hinter dem zerborstenen Fenster war verschwunden. Vor mir Shaynes Flanellanzug in hässlichen Falten. Ein Hosenbein war hochgerutscht, und es wirkte auf eine Weise lächerlich, dass es schmerzte. Niemals hätte es ein Kameramann auch nur wagen dürfen, ihn aus einem so unvorteilhaften Winkel aufzunehmen.

Ich rappelte mich vorsichtig auf. Schritte dröhnten draußen auf der Feuerleiter. Mit einem Satz war ich beim Fenster. Eine Stablampe flammte auf und riss den verkrümmten Körper Donnellys aus dem Halbdunkel.

Ich erkannte Phil. Unten auf dem Hinterhof stand ein Halbkreis von uniformierten Cops, Maschinenpistolen und Revolver schussbereit. Phil gab das Handzeichen, das so viel wie Entwarnung bedeutete.

Ich sah, dass Donnelly von mehreren Kugeln getroffen worden war. Langsam wandte ich mich um. Die Kugel des Killers hatte den oberen Teil des Spiegelregals hinter der Theke in Scherben gelegt. Es interessierte mich nicht. Ebenso wenig die Leute, die sich gaffend näher heranschoben.

Und dann war tatsächlich auch eine Fernsehkamera da. Das Team wühlte sich mit Kabeln und Scheinwerfern heran.

Ich holsterte den Smith & Wesson. Ich wollte mich zu Clive Shayne hinabbeugen. Da sah ich die Kamera und spürte das aufzuckende Halogenlicht wie einen Schmerz. Nur einen Moment lang kniff ich die Augen zu. Ich konnte meinen Zorn nicht unterdrücken. Diesmal nicht.

Mit zwei schnellen Schritten war ich bei den Fernsehleuten.

»Verschwinden Sie!«, sagte ich klirrend. »Sofort.«

»Mann, wer gibt Ihnen das Recht?«, knurrte der Kameramann.

Ich zeigte ihm meinen Silberadler.

»FBI.« Meine Stimme senkte sich zum Flüsterton. »Wenn Sie nicht augenblicklich das Lokal verlassen, sind Sie Ihre Kamera los.«

Er riss den Mund auf und wollte protestieren. Im selben Moment schien er zu erkennen, wie es in mir kochte. Er gab dem Beleuchter einen Wink. Die Halogenleuchte erlosch.

Sie verzogen sich tatsächlich. Neben Clive Shayne ging ich in die Knie. Er lag auf der Seite, hatte den Kopf jedoch so gedreht, dass er mich ansehen konnte.

Etwas schnürte mir die Kehle zu. Blut tränkte den Flanell in der Brustgegend. Keine Hoffnung mehr! Draußen heulten Sirenen.