Jerry Cotton Sonder-Edition 239 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 239 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Ein Schiff mit Rauschgift im Wert von fünfzig Millionen Dollar an Bord näherte sich Manhattan. Die Triaden in Chinatown wollten mit diesem Stoff den Markt in New York an sich reißen. Doch die Mafia bekam Wind von dem Plan und machte mobil. Unbemerkt von beiden mischte sich eine dritte Macht in das tödliche Spiel - die Amazonen-Gang ...

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Seitenzahl: 192

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Die Amazonen-Gang

1

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Vorschau

Impressum

Die Amazonen-Gang

Ein Schiff mit Rauschgift im Wert von fünfzig Millionen Dollar an Bord näherte sich Manhattan. Die Triaden in Chinatown wollten mit diesem Stoff den Markt in New York an sich reißen. Doch die Mafia bekam Wind von dem Plan und machte mobil. Unbemerkt von beiden mischte sich eine dritte Macht in das tödliche Spiel – die Amazonen-Gang ...

1

Patrolman Jim Ellis verließ knurrend den schützenden Einsatzwagen der New York City Police. Er stemmte sich gegen den Regen. Mit der Linken hielt er seine Schirmmütze fest. Die Rechte lag auf dem Kolben seines 38er Police Special.

»Mach's kurz bei dem Sauwetter!«, rief Jeff Gerty ihm aus dem Wagen nach.

Ellis drehte sich zu ihm um und nickte. »Sicher, Sergeant.«

Gerty saß im Trockenen. Nicht weil er der Sergeant war, sondern weil er dem Lincoln keine Bedeutung beimaß, der gleich hinter der Einfahrt auf dem kleinen Parkplatz in der Laight Street stand. Ellis war der Wagen auf den ersten Blick verdächtig vorgekommen. Hier an der Lower Broadway, dicht bei den Docks, fiel eine solche Nobelkarosse auf wie ein weißer Elefant. Deswegen hatte er Jeff Gerty überredet, auf den Fahrer des Lincoln zu warten.

Ellis ging weiter. Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete er den großen, schlanken Mann, der vor wenigen Sekunden auf den Parkplatz gekommen war und sich auf dem Weg zum Lincoln befand.

Auch der Kerl war zu elegant für diese Gegend, die immer mehr herunterkam und in wenigen Jahren eine zweite Bronx sein würde.

Der Mann ging geduckt und bewegte sich schnell. Er hatte den Streifenwagen der New York City Police nicht gesehen. Gerty hatte ihn zwischen zwei anderen Fahrzeugen geparkt.

Ellis ging schneller. Über zwanzig Jahre versah er diesen Dienst. Er hatte ein feines, meistens untrügliches Gespür dafür, wenn etwas nicht in Ordnung war. Hier war etwas nicht in Ordnung. Er hätte sein nächstes Gehalt darauf verwettet.

»Hallo, Mister!«

Fünf Schritte trennten Ellis von dem elegant gekleideten Mann, als der plötzlich stehen blieb und sich umdrehte.

Der Regen peitschte Ellis ins Gesicht. Ein milchiger Nebelschleier waberte vor seinen Augen. Mit dem Handrücken wischte er darüber hinweg.

»Ist etwas nicht in Ordnung, Officer?«

Ellis ging noch einen Schritt nach vorne. Hinter ihm schlug die Tür des Patrol Car. Gerty verließ den Wagen ebenfalls.

»Fahrzeugkontrolle, Mister.«

Der Mann richtete sich steil auf. Er legte den Kopf zurück und drehte das Gesicht.

Aus der hinteren Parkbucht scherte ein Buick aus. Die Scheinwerfer schwenkten zur Ausfahrt. Sie erfassten den Mann am Lincoln. Nur für zwei Sekunden, dann war der Buick vorbei.

Zwei Sekunden reichten Jim Ellis aus. Ein kalter Schauer rieselte ihm über den Rücken. Seine Muskeln spannten sich an. Die Finger der Rechten schlossen sich um den Griff der Dienstwaffe.

Der Mann am Lincoln war Gene Thompson. Der Killer der Mafia! Jeder Zweifel war ausgeschlossen. Seit einer Woche trug jeder Cop in der Stadt das Foto des Killers bei sich. Das FBI hatte Thompson als Nummer eins auf die Fahndungsliste gesetzt, aber bislang hatten die G-men nicht einmal einen Schatten von Thompson gesehen.

Jim Ellis nahm die linke Hand auf den Rücken. Er versuchte, Jeff Gerty ein Zeichen zu geben. Dann ging er noch einen Schritt weiter.

In dieser Sekunde handelte Gene Thompson.

Jim Ellis sah die blitzschnelle Handbewegung, mit der Thompson unter seinen dunklen Wettermantel griff. Er wusste, was das bedeutete, und sprang mit einem Satz beiseite. Gleichzeitig versuchte er, die Dienstwaffe zu ziehen. Der Hammer des 38ers verfing sich an der Lederschlaufe. Die Waffe hakte.

»Keine falsche Bewegung, Thompson!«, schrie Ellis, um den Killer abzulenken und Gerty zu warnen.

Ellis ließ sich fallen. Er landete in einer Wasserlache und drehte sich um. Jetzt bekam er die Dienstwaffe frei. Er riss sie hoch und spannte den Hahn.

Ellis sah die grellen Mündungsblitze. Er hatte das Gefühl, von einer Riesenfaust getroffen zu werden, die ihn in das eisige Regenwasser zurückdrückte.

Bunte Nebel wallten vor seinen Augen. Er sah Thompson nicht mehr. In dem Nebel zeichnete sich das Gesicht seines Sohns ab, der heute Geburtstag hatte und extra lange aufblieb, damit er seinen Vater nach dem Dienst noch sehen konnte.

Noch einmal spürte Ellis einen harten Schlag. Dann hörte er die Explosion eines Schusses. Es wurde dunkel um ihn.

Sergeant Jeff Gerty sah, was mit seinem Kollegen und besten Freund geschah. Er warf sich neben dem Patrol Car zu Boden und stieß einen lang gezogenen, schrillen Schrei aus, mit dem er seiner Wut und Verzweiflung Luft machte.

Mit dem Rücken stieß er gegen den Vorderreifen des Einsatzwagens, als vom Lincoln her wieder eine Feuerzunge durch die Dunkelheit leckte. Dicht neben Gerty klatschte das Geschoss auf den Asphalt und spritzte als jaulender Querschläger in die Richtung der nahen Docks.

Gerty drehte sich um den Wagen, kam auf die andere Seite und öffnete die Tür. Er griff nach dem Sprechfunkgerät und gab einen Notruf an die Zentrale durch.

Der Lincoln wurde gestartet und rückwärts aus der Parktasche herausgelenkt. Thompson schoss aus dem heruntergedrehten Seitenfenster.

Gerty warf sich flach über die Vordersitze des Wagens. Kugeln klatschten in die Karosserie des Patrol Cars.

»Er fährt Richtung Docks!«, schrie Sergeant Gerty in das Mikrofon. »Ich nehme die Verfolgung auf und melde mich wieder! Ich brauche Unterstützung!«

»Ist es wirklich Thompson?«, fragte der Kollege aus der Zentrale.

»Ich habe ihn nicht gesehen, verdammt! Ellis hat ihn so gerufen. Schickt einen Wagen auf den Parkplatz, damit sich jemand um Ellis kümmert! Ende!«

Gerty schwang sich hinter das Steuer und folgte dem Lincoln, dessen Rücklichter er gerade noch sah, als er vor ihm die zweite Ausfahrt erreichte und nach links abbog.

Chevy Chase schwitzte. Er wechselte den Telefonhörer von der rechten in die linke Hand, klemmte ihn schließlich zwischen Schulter und Hals fest und zündete sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an.

»Wann?«, fragte er. »Wann hast du den Anruf bekommen?«

»Vor zwei Minuten. Mein Gott, sie haben Edwin entführt! Sie werden ihn töten.«

Chase rauchte einen Zug. Mit dem Ärmel des Jacketts rieb er sich den Schweiß von der Stirn. Dann schüttelte er den Kopf.

»Unsinn«, sagte er. Es klang nicht besonders überzeugend. »Das ist ein Witz, den er sich selber ausgedacht hat. Er wollte Geld von mir. Ich habe ihm nichts gegeben. Er wird ...«

»Ich rufe die Polizei an, Chevy!«

Mit einem Satz sprang Chase von seinem Platz auf. Er stieß die Kaffeetasse um, die auf dem Schreibtisch stand. Der Kaffee ergoss sich über die Abrechnungen der letzten beiden Tage, in denen er Unregelmäßigkeiten festgestellt hatte. Einer seiner Geschäftsführer arbeitete in die eigene Tasche. Das hatte er heute herausgefunden.

»Wer hat angerufen?«

»Eine Frau.«

»Was hat sie verlangt?«

Für einen Moment schwieg Esther Roberts, die am anderen Ende der Leitung war. Sie kam aus einer der besten New Yorker Familien und hatte ihren Mann vor zwei Jahren verloren. Seit einem Jahr lebte sie mit Chase zusammen. Edwin, ihren Sohn, hatte sie mit ins Haus gebracht. Ein verwöhnter Junge, der nichts taugte und es aus eigenem Antrieb nie zu etwas bringen würde. Chase nahm ihn in Kauf, weil er Esthers Vermögen benötigte, um seine angeschlagenen Betriebe über Wasser zu halten.

»Hat die Frau etwas verlangt, Esther?«

»Nichts«, klang es dünn durch die Leitung.

»Ich kann dich nicht verstehen. Mein Gott, behalte die Nerven! Was hat die Frau genau gesagt?«

»Sie sagte: ›Wir haben Edwin. Noch geht es ihm gut, aber das wird sich ändern, wenn etwas nicht so läuft, wie wir es wollen.‹ Sie sagte, ich solle dich anrufen. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich sterbe vor Angst.«

Chase drückte die Zigarette aus. Seine Gedanken überschlugen sich. Sie hatten sich also Esthers missratenen Sohn geschnappt, um ihn unter Druck zu setzen. Anders konnte es gar nicht sein, denn sie hatten nicht einmal Lösegeldforderungen gestellt. Dabei mussten sie wissen, dass die Familie Roberts steinreich war.

»Okay, Esther«, sagte Chevy Chase. »Beruhige dich. Sie werden sich mit mir in Verbindung setzen. Ich regle das. Mach dir keine Sorgen!«

Erneut für einen Moment Stille.

»Hat das mit dir zu tun?«

»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich.«

»Ich kenne deine Vergangenheit«, sagte Esther Roberts leise. »Du hast gesagt, dass du lange damit gebrochen hättest. Hat sich daran etwas geändert?«

»Nein.«

»Ich muss es wissen, Chevy. Es ist wichtig.«

»Es hat sich nichts geändert«, antwortete Chase. »Ich weiß nicht, wer die Leute sind und was sie wollen. Sie werden sich melden. Ich bringe das in Ordnung. Verlass dich auf mich.«

»Keine Polizei?«

»Keine Polizei. Das würde die Sache nur schwieriger machen, Esther. Verlass dich auf mich. Ich rufe dich wieder an. Ich lege jetzt auf. Ich will die Leitung freihalten. Verstehst du?«

»Ja.«

Chevy Chase legte auf. Er zündete sich eine neue Zigarette an und trat ans Fenster. Von ihm war nichts zu holen, und Esther gegenüber hatten sie keine finanziellen Forderungen erhoben. Er verstand es nicht. Er hatte sich seit vielen Jahren aus dem Geschäft zurückgezogen. Er hatte es auch aufgegeben, sich gegen die Interessen der Mafia zu stellen. Er hatte einige Betriebe an sie abgetreten und zahlte für andere Prozente. Den Rest hatten sie ihm gelassen, weil nichts herauszuholen war. Er hielt sich an die Abmachungen. Also konnte die Entführung von Edwin Roberts auch nicht aus dieser Richtung kommen.

Das Telefon läutete. Mit einem Ruck wandte sich Chase vom Fenster ab. Er sprang an den Schreibtisch zurück, riss den Hörer ans Ohr und meldete sich.

»Chevy Chase?«, fragte die Anruferin.

»Am Apparat.«

»Hat deine Freundin dich angerufen?«

»Ja.«

»Willst du mit dem Jungen sprechen?«

»Ist das möglich?«

»Er lebt noch. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn wir uns einig werden.«

»Worum geht es?«, fragte Chase mit heiserer Stimme.

Die Frau am anderen Ende der Leitung war kühl und sachlich. »Ich will, dass du an einer bestimmten Sache mitarbeitest, Chase.«

»An welcher?«

»An einer, die dir mehr als eine Million bringt, Chase. Du brauchst das Geld.«

Chase schwieg. Seine Hand tastete nach dem Zigarettenpäckchen. Es war leer. Wütend zerknüllte er die Packung und warf sie in den Papierkorb.

»Wo ist der Haken an der Geschichte?«, fragte er.

»Es geht gegen einen deiner ehemaligen Freunde, die dich fallen gelassen haben. Ricardo Carrerro!«

Der Schweiß schoss Chase auf die Stirn. Er schluckte trocken, schielte zur Bar und unterdrückte den Wunsch, sich einen Drink zu holen, bevor er das Gespräch fortsetzte.

»Verlass dein Büro. Komm allein auf die Straße. Geh zu deinem Wagen.«

Chase wollte etwas sagen, aber die Verbindung riss ab. Er legte den Hörer auf. Mit einem Ruck zog er die Schreibtischschublade auf. Auf der oberen Akte lag ein 38er. Er starrte die Waffe an, berührte sie und schüttelte den Kopf. Wenn sie ihn aufforderten, allein zu seinem Wagen zu gehen, erwarteten sie ihn. Die Waffe nutzte ihm wenig, falls sie es auf ihn abgesehen hatten.

Er schloss die Lade, trank einen Whisky und verließ das Büro. Durch den Hinterausgang der Sunset Bar, über der er sein Büro hatte, betrat er die Straße. Es regnete. Ein eisiger Wind peitschte die Tropfen durch die Straßenschluchten von Manhattan. Dennoch blieb Chase stehen und schaute sich um.

Niemand war zu sehen. Hin und wieder zog ein Wagen vorbei und wirbelte eine helle Gischtbahn von Wasser hinter sich auf. Passanten befanden sich nicht auf der Straße. Wer bei diesem Wetter das Haus nicht unbedingt verlassen musste, blieb in der trockenen Wohnung.

Langsam ging Chase zu seinem Wagen, der hundert Yards vom Eingang der Bar auf einem für ihn reservierten Parkplatz stand. Einige Schritte trennten ihn noch vom Fahrzeug, als er das Geräusch hinter sich hörte.

»Chase!«

Chase blieb stehen. Seine Nackenmuskeln spannten sich an. Es war eine Situation, wie er sie seit vielen Jahren nicht mehr erlebt hatte. Früher hatte die Gefahr zu den Alltäglichkeiten seines Lebens gehört. Langsam drehte er sich um.

Er sah den schlanken Schatten im Hauseingang hinter sich.

»Komm ins Haus, Chase.«

Der Schatten verschwand.

Chase zögerte. Im Haus war er keiner größeren Gefahr ausgesetzt als auf der Straße. Er ging auf den dunklen Eingang zu. Die Tür war nur angelehnt. Er schob sie mit der Schulter auf und betrat den dunklen Korridor.

»Kein Licht, Chase.«

Es war die Frau, die ihn angerufen hatte. Er erkannte sie an der Stimme.

Chase blieb stehen. Seine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Er sah die Umrisse der Frau, die links neben der Treppe stand und mit dem Rücken an das Geländer lehnte. Groß, schlank, langhaarig. Ihr Gesicht war ein konturloser heller Fleck. Ihr rechter Arm war vom Körper abgewinkelt. Chase konnte es nicht genau sehen, doch er war sich sicher, dass sie eine Waffe auf ihn richtete.

»Was soll das?«, fragte Chase. Er wollte weiter in den Korridor hinein, um die Frau zu sehen und vielleicht zu erkennen.

»Bleib, wo du bist, Chase!«

Chase rührte sich nicht von der Stelle. »Ich habe keine Waffe. Kann ich mir eine Zigarette aus der Tasche nehmen?«

Ein helles Lachen klang ihm entgegen. »Das darfst du auch dann, wenn du eine Waffe mitgenommen hast. Wir haben Edwin. Er ist nicht dein Sohn. Aber wenn ihm etwas passiert, wird die Polizei in alten Wunden stochern. Dann finden sie schnell heraus, dass du in einigen Bars mit Rauschgift handelst, um dich über Wasser zu halten.«

Chase holte die Zigaretten aus der Tasche. Er zündete sich ein Stäbchen an. Es hatte keinen Zweck zu leugnen. Sie hatten ihn überprüft.

»Ricardo Carrerro«, sagte die Frau und löste sich von der Treppe. Sie kam auf Chase zu und blieb stehen. »Dein ehemaliger Freund ist sehr groß geworden, Chase. Ich will ihn wieder so klein und hässlich haben, wie er einmal gewesen ist.«

»Was habe ich damit zu tun?«

»Du kennst ihn besser als jeder andere.« Erneut lachte die Frau auf. »Und er ist nicht mehr dein Freund. Er hat dir viel genommen. Es geht dir so schlecht, dass du dich wegen des Geldes an eine alte Frau hängen musst. Du bist tief gesunken.«

Chase zuckte zusammen.

»Komm her.«

Chase traute dem Frieden nicht. Er ließ die gerade angerauchte Zigarette fallen und stellte seinen Absatz auf die Glut.

»Komm her, Chase!«

Er ging mit vorsichtigen Schritten, als bewegte er sich über zu dünnes Eis. Das Gesicht der Frau nahm Konturen an. Sie war ausgesprochen schön, trotz der grellen Schminke, die ihr wirkliches Aussehen veränderte. Sie schaute ihn aus großen Augen an. Die vollen roten Lippen teilten sich. Sie streckte die Hand nach ihm aus, als er ihr nahe genug war.

Ihre Fingerspitzen berührten sein Gesicht. Chase spürte eine heiße Woge durch seinen Körper branden.

»Du wirst wieder ganz nach oben kommen«, sagte die Frau leise. »Ich helfe dir dabei. Wir beide werden es schaffen.«

Sie nahm seine Hand. Chase ließ es geschehen. Er war sich nicht sicher, was sie bezweckte. Er war sich nicht einmal sicher, ob sie allein war. Langsam zog sie seine Hand heran und legte sie sich auf den festen Busen. Sie trug keinen BH. Chase spürte die harten Knospen unter seinen Fingern.

»Du hast zu lange gewartet, um wieder fest auf den eigenen Füßen zu stehen«, sagte sie leise und öffnete die Knöpfe ihrer Bluse, um seine Hand auf ihre heiße, nackte Haut zu führen. »Jetzt wirst du wieder beginnen.«

Chases Atem flog. Er spürte die heiße Haut ihres Busens, das Zittern ihres Körpers, und er wusste, dass ihre Begierde echt war. Er hatte in seinem Leben zu viele Frauen besessen, als dass ihm eine ein perfektes Theater vorspielen könnte. Seine Finger schlossen sich fester um ihren Busen. Er starrte sie an, beugte den Kopf nach vorne und küsste sie leidenschaftlich.

Eine Minute verstrich, dann löste sich die Frau aus seinen Armen und trat zurück.

»John F. Kennedy International Airport. In drei Stunden kommt die Maschine aus Los Angeles. Warte auf Parkdeck D. Es ist ein roter Mustang. New-Jersey-Kennzeichen. Die Frau, die den Wagen benutzt, hat für Carrerro einen Transport nach Los Angeles durchgeführt. Sie wusste nichts davon. Sie weiß auch nicht, dass sich in dem kleinen Koffer, den man ihr in Los Angeles gegeben hat, dreihunderttausend Dollar befinden. Nimm ihr das Geld ab. Ich melde mich morgen und kassiere ein Drittel.«

Chase wollte antworten, aber die Frau schüttelte den Kopf.

»Es ist der Anfang«, sagte sie leise und schloss die Knöpfe ihrer Bluse. »Wir werden ihn zerstören und ihn aus einem Coup drängen, der schon zwei Menschen das Leben gekostet hat. Hast du alles verstanden, Chase?«

Chase nickte. Er schaute ihr nach, als sie langsam in die Dunkelheit des Korridors zurückwich.

»Was ist mit Edwin?«

»Er ist wieder zu Hause«, antwortete die Frau. »Wenn er ehrlich ist, wird er deiner Freundin Esther Roberts sagen, dass ihn ein schönes Mädchen auf der Straße angesprochen und ihn mit in ein Hotelzimmer genommen hat und dass sie es dort zusammen getrieben haben. Aber ich glaube nicht, dass er ehrlich ist.«

Chase wollte etwas sagen. Plötzlich war die Frau in der Dunkelheit des Korridors verschwunden. Die Hintertür schlug ins Schloss. Dann herrschte Stille.

»Geh wieder nach draußen, Chase«, sagte in diesem Moment eine andere Frauenstimme.

Chase zuckte zusammen. Mit schmalen Augen starrte er zum Treppenaufgang, von wo die Stimme kam.

Ein knackendes Geräusch durchbrach die Stille. Chase bekam eine Gänsehaut. Er war lange aus dem Geschäft, doch er kannte dieses Geräusch noch immer recht gut.

Jemand hatte den Hammer eines Revolvers zurückgezogen und einrasten lassen.

»Kein Wort, Chase! Zu niemand!«

Chevy Chase zog den Kopf zwischen die Schultern. Er drehte sich um und verließ das Haus. Erst als er wieder im Regen stand, als die eisigen Tropfen in sein Gesicht peitschten, war er sich sicher, nicht geträumt zu haben.

2

»Er ist wahnsinnig, Jerry!«, brüllte Captain Hank Junker. »Er will sich von uns umbringen lassen!«

Ich warf mich zu Boden, als vom Lagerschuppen MP-Feuer einsetzte.

Junker lag neben mir. Sein Atem ging stoßweise. Aus weit aufgerissenen Augen starrte er mich an. »Er ist wirklich wahnsinnig!«

Ich drückte mich gegen das feuchte Kopfsteinpflaster. Zum ersten Mal hörte ich das leise Wimmern eines Menschen, das lauter wurde und schließlich in lang gezogenen Schmerzensschreien gipfelte.

Ein kalter Schauer rieselte mir über den Rücken.

»Das ist Sergeant Jeff Gerty«, sagte Junker. »Er hat Thompson in den Schuppen getrieben.«

Junkers Augen schimmerten feucht. Er rieb sich mit dem Handrücken darüber hinweg. »Verdammt, wir kommen nicht an Gerty heran. Thompson hat freies Schussfeld. Er erledigt mit der MP jeden, der auch nur seine Nase zeigt.«

Ich schob mich dichter an den Streifenwagen der City Police heran. Schweiß perlte auf meiner Stirn und mischte sich mit den Regentropfen. Ich konnte unter dem Wagen hindurchschauen und sah den Cop, der links neben dem Schuppeneingang auf dem Boden lag.

Bis zum Schuppen waren es zwanzig Yards. Drei schwache Peitschenlaternen erhellten den Vorplatz.

»Lass die Laternen ausschießen, Hank!«

Junker starrte mich an. Er war einer der besten Cops, die ich kannte. Jetzt wirkte er hilflos wie ein kleines Kind. Sein Sergeant lag nur zwanzig Yards entfernt, und er konnte nichts für ihn tun. Das zerrte an seinen Nerven.

»Die Laternen ausschießen!«, schrie Junker den Cops zu.

Sekunden später war es dunkel. Glas splitterte. Zwei Laternenkuppeln stürzten auf den Boden und zerbarsten auf dem Vorplatz.

Für einen Moment verstummten die Schreie des schwer verletzten Sergeants. Der heulende, klagende Ton der Sirene eines Rettungswagens war zu hören.

Ich presste die Zähne aufeinander. Langsam gewöhnten sich meine Augen an die schlechten Lichtverhältnisse.

»Kommt her, ihr verdammten Hunde!«, schrie Gene Thompson aus dem Schuppen heraus. »Lasst euch endlich sehen! Ich will noch einige von euch mitnehmen!«

Captain Junker sprang auf. Ich erwischte ihn am Jackett und riss ihn wieder zu Boden. Er fluchte. Mit der Faust hämmerte er verzweifelt gegen die Karosserie des Streifenwagens.

»Ich lege ihn um, Jerry!«

Vielleicht meinte er es in diesem Moment so. Aber dazu würde es niemals kommen. Junker war ein Mann, der selbst in gefährlichen Situationen ungern von der Schusswaffe Gebrauch machte. Ein Menschenleben war ihm heilig.

Selbst das eines kaltblütigen Killers wie Gene Thompson.

Seit mehr als einer Woche hatten wir ihn wie eine Stecknadel im Heuhaufen gesucht. Jetzt war er einer normalen Streife aufgefallen. Die Cops hatten ihn erkannt. Einen von ihnen schoss Thompson nieder und verwundete ihn schwer. Der zweite Cop, Sergeant Gerty, rief Hilfe herbei und nahm die Verfolgung des Killers auf. Er verfolgte ihn bis zum Pier 26 der Arrow North Ricer Inc.

Hier sprang Thompson aus dem Wagen und rannte zum Schuppen. Er versuchte, auf Gerty zu schießen. Doch kein Schuss löste sich aus der Waffe des Killers. Gerty nahm an, Thompson hätte sich verschossen. Er folgte ihm bis zum Eingang des Schuppens, in dem Holz gelagert war. Dort erwischte es den Sergeant in dem Augenblick, als zwei Streifenwagen als Verstärkung auf dem Pier eintrafen.

Das alles lag mehr als eine halbe Stunde zurück. Ich hatte den Funkspruch aufgefangen und mich sofort auf den Weg gemacht.

»Ich lege ihn um, Jerry!« Junkers Stimme wurde leiser. Sie klang längst nicht mehr so entschlossen.

»Wir bringen den Sergeant in Sicherheit. Anschließend hole ich Thompson aus dem Schuppen heraus!«

Junker drehte sich zu mir um.

»Thompson ist unser Mann«, sagte ich. »Deine Leute haben ihn aufgescheucht und in die Enge getrieben. Ich erledige den Rest.«

Die Schreie des schwer verletzten Sergeants setzten wieder ein.

Aus dem Schuppen klang schrill Thompsons Lachen. Das Lachen des Teufels konnte nicht gemeiner klingen.

»Kann er den Schuppen verlassen?«

»Nur durch diese Tür oder zur Wasserseite. Dort wartet die Flusspolizei. Er sitzt wie eine Ratte in der Falle und hat nichts mehr zu verlieren.«

»Sein Leben«, sagte ich. »Auch Ratten hängen an ihrem Leben.«

Ich dachte an die letzten beiden Opfer des Mafiakillers. Er hatte die Männer nicht weit von dieser Stelle entfernt in einem Wagen erschossen. Von der Rückbank aus. Zwei Schüsse in den Kopf. Ein Tramp hatte die Schüsse gehört und Thompson einwandfrei erkannt, als er zu einem hier abgestellten Wagen ging. Dann war Thompson verschwunden. Es gab auch Zeugen dafür, dass Thompson zusammen mit den beiden Opfern in den Wagen gestiegen war, in dem sie gestorben waren. Tote, die bis heute nicht identifiziert waren. Wir nahmen an, dass es sich um Mafialeute handelte.

Der Rettungswagen hielt in einiger Entfernung. Türen schlugen. Schwere Schritte waren auf dem Kopfsteinpflaster zu hören. Ein junger Mann kroch zu Junker und mir. Er war vielleicht dreißig Jahre alt, hatte einen Zweitagebart und tiefe Ringe unter den Augen, die zu wenig Schlaf verrieten. Mit verkniffenem Gesicht starrte er unter dem Einsatzwagen hindurch zu dem verletzten Cop, der sich in diesem Moment wieder schreiend aufrichtete. »Was hat der Mann abbekommen?«

»Zwei Bauchschüsse«, antwortete Junker.

»Ich muss zu ihm!«

Der Doc wollte noch mehr sagen, aber Thompson eröffnete das Feuer aus der MP. Geschosse schlugen in die Karosserie des Fahrzeugs und blieben in der Polsterung stecken. Das Feuerwerk dauerte einige Sekunden lang.

»Wollt ihr mich nicht holen, verdammt?«, schrie Thompson.

Der Doc war bleich geworden. Mit dem Handrücken wischte er sich über die feucht glänzende Stirn.

»Mein ... mein Gott«, stammelte er. »Das ist wie im Krieg.«