Jerry Cotton Sonder-Edition 240 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 240 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

So stand sie vor mir: süß, unverdorben und hinreißend talentiert. Lucy Lapp, das Mädchen der Amish-Sekte, wollte als Showstar den Broadway erobern. Aber das Muscialtheater, an dem sie ihr erstes Engagement erhielt, wurde von der Unterwelt beherrscht. Zur traditionellen Kulissenintrige kamen Erpressung und Mord hinzu. Und statt Applaus gab es scharfe Schüsse - im Haus der tanzenden Gangster!

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Seitenzahl: 204

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Das Haus der tanzenden Gangster

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Vorschau

Impressum

Das Haus der tanzenden Gangster

So stand sie vor mir: süß, unverdorben und hinreißend talentiert. Lucy Lapp, das Mädchen der Amish-Sekte, wollte als Showstar den Broadway erobern. Aber das Muscialtheater, an dem sie ihr erstes Engagement erhielt, wurde von der Unterwelt beherrscht. Zur traditionellen Kulissenintrige kamen Erpressung und Mord hinzu. Und statt Applaus gab es scharfe Schüsse – im Haus der tanzenden Gangster!

1

John Blyth hörte den Mann neben sich an der Bar die ersten Takte von Strangers in the Night pfeifen. Blyth zuckte zusammen. Jedes Mal wenn er eine telefonische Erpresserforderung des Theater-Rackets erhalten hatte, war genau dieser Sinatra-Song im Hintergrund zu hören gewesen. Er war das Erkennungszeichen der Gangster.

Blyth zuckte so heftig zusammen, dass er einen Teil seines Drinks verschüttete, der attraktiven Frau neben ihm aufs Sommerkleid. Er entschuldigte sich hektisch und schaute dabei den Mann an, der gepfiffen hatte. Der war mittelgroß, breitschultrig und nicht älter als Mitte zwanzig.

Er hatte eine gezackte Narbe auf der linken Wange. Er grinste Blyth an, und er sah in seinen Augen das kalte Glitzern des Todes. Die fast farblosen Augen waren wie Eiskristalle.

Blyth hörte auf sich zu entschuldigen. Er steckte das Taschentuch weg, legte einen Geldschein auf die Theke, viel zu viel für die Zeche und das kleine Malheur, und eilte hinaus. Im Foyer der Gentleman Rankers Bar im Theaterdistrikt gab es eine Telefonzelle. Darin stand eine ältere Lady und klagte einer Bekannten ein schweres Herzeleid, dass ihr Pudel krank war, ihr Psychiater sie nicht verstand oder Ähnliches.

Ungeduldig klopfte Blyth mit einem Dime gegen die Glastür. Die Lady winkte ab. Blyth gestikulierte. Der Empfangschef des Restaurants, zu dem die Bar gehörte, schaute missbilligend zu ihm herüber.

Blyth öffnete die Tür der Telefonzelle.

»Ich muss wegen eines Notfalls dringend telefonieren«, erklärte er der Lady und streckte schon die Hand nach dem Hörer aus. »Es geht um Leben und Tod.«

»Das kann jeder sagen«, erwiderte sie, räumte jedoch die Zelle.

Blyth drückte die Gabel nieder, warf seine Münze ein und versuchte sich vergebens an die Durchwahlnummer beim FBI zu erinnern. Nicht einmal die Sammelnummer fiel ihm ein. Wertvolle Augenblicke vergingen, bis er sie im Telefonbuch gefunden hatte.

Er tastete die Nummer ein. Eine rauchige Frauenstimme meldete sich.

Blyth sah, wie der junge Mann mit der gezackten Narbe auf der Wange die Bar verließ. Er erkannte ihn an seinem eleganten hellen Anzug. Dazu hatte der Mann einen breitkrempigen Künstlerhut in der gleichen Farbe aufgesetzt. Solange man seine Augen nicht sah, konnte man ihn für einen Bohemien halten.

»Geben Sie mir G-man Cotton, aber rasch!«, verlangte Blyth von der Telefonistin.

Der Mann im hellen Anzug stand vor der Zelle und spitzte den Mund zum Pfeifen. Er griff in die Tasche. Blyth blieb fast das Herz stehen. Der andere zog jedoch nur ein goldenes Feuerzeug und zündete sich die im Mundwinkel hängende Zigarette an.

Er blies Rauch in Blyths Richtung und ging hinaus.

»Cotton«, hörte er. »Was kann ich für Sie tun?«

Blyth nannte seinen Namen.

»Sie ermitteln wegen der Erpressungen im Theatre District, oder? Wegen des Whistler-Falls? Ich habe Ihnen eine dringende Mitteilung zu machen.«

»Dann kommen Sie doch zum FBI, Mister Blyth. Ihr Name ist mir ein Begriff. Sie werden erpresst?«

»Ja, G-man. Ich ... ich kann nicht kommen. Ich fühle mich bedroht. Gerade habe ich den Whistler gehört. Ich glaube es zumindest. Ich bin in der Gentleman Rankers Bar. Können Sie mich nicht abholen? Ich traue mich nicht auf die Straße.«

»Bleiben Sie dort. Ich weiß, wo sie ist. Ich fahre sofort los.«

»Danke, G-man. Ich ... Mein Gott, da ist er! Der Whistler steht vor meiner Zelle! Er will mich umbringen ... Er ...«

Blyth ließ den Hörer sinken. Er hörte nicht mehr, was der G-man zu ihm sagte.

Abwehrend streckte er dem Killer die offene linke Hand entgegen. Er sah nur breite Schultern und einen hellen Anzug. Den Hut hatte der Killer tief ins Gesicht gezogen. Die in einem teuren Schweinslederhandschuh steckende Rechte hielt eine vernickelte 45er Colt-Pistole.

Der Killer pfiff wieder Strangers in the Night. Blyth hatte Todesangst. Er suchte verzweifelt nach einem Ausweg.

»Nicht schießen!«, flehte er. »Bitte, bitte, nicht schießen! Ich zahle, ich unterwerfe mich. Ich bringe jeden geforderten Betrag auf und ...«

»Zu spät!«, zischte der Killer.

Die 45er krachte. Blyth spürte einen gewaltigen Schlag gegen die Brust und wusste, dass das der Tod war. Der Killer schoss mehrmals auf ihn, und es schmerzte viel schlimmer, als sich Blyth den Tod durch Erschießen vorgestellt hatte. Da war nichts mit einem einzigen harten Schlag, nach dem sofort barmherziges Vergessen folgte.

Blyth schrie und presste die Hände gegen die Einschusswunden. Er sah sein Blut an der Tür mit den Kugellöchern, von denen gezackte Sprünge verliefen. Schon im Angesicht des Todes wollte Blyth die Tür aufstoßen und sich auf seinen Mörder stürzen.

Jetzt hatte er keine Angst mehr.

Er fiel dem Killer genau vor die Füße.

Der wandte sich dem vor Schreck erstarrten Empfangschef zu und sagte scharf: »Rühr dich nicht von der Stelle, Buddy! Sonst muss ich dir leider einen verplätten, klar?« Er tippte mit dem rauchenden Pistolenlauf melodramatisch an die Hutkrempe und huschte in den Seitengang, der zur Toilette führte.

»Los, Phil!«, schrie ich, knallte den Hörer hin und griff nach Jackett und Schulterholster.

Phil, der mir eben noch ruhig in unserem Office beim FBI gegenübergesessen hatte, fuhr hoch wie von der Tarantel gestochen. Wir rasten aus dem Office zum Expressfahrstuhl und saßen nach zwanzig Sekunden in meinem Jaguar. Der 260-PS-Motor kam sofort. Phil pappte die Magnetschiene mit dem Warnlicht aufs Dach und schaltete auf meinen Wink hin die Sirene ein.

Ich fuhr aus der Tiefgarage. Quer über die Federal Plaza ging die Fahrt zum Broadway. Unterwegs erläuterte ich Phil knapp, was los war, und er gab die Meldung über Funk an unsere Zentrale und an die City Police.

Trotz Feierabendverkehr erreichten wir den Theatre District und die Gentleman Rankers Bar in zehn Minuten. Das war Rekord.

Bei dem Restaurant in der 52nd Street herrschte ein Auflauf. Neugierige und Gäste des Gentleman Rankers drängten sich. Ein Patrol Car stand schon da, und ein zweites fuhr gerade mit jaulender Sirene und Warnlicht an. Die Menge wich vor meinem Jaguar auseinander. Er teilte sie wie ein Eisbrecher die Schollen.

Ich fuhr über den Bürgersteig. Der Autoverkehr war in der 52nd zum Stehen gekommen. Wir sprangen aus dem roten Flitzer. Ich schaute mich automatisch um. Man muss am Tatort sofort einen Überblick gewinnen.

Ein Cop versperrte den Eingang. Ich zeigte ihm die Dienstmarke. »G-men Cotton und Decker. Blyth hat uns angerufen. Wo bleibt denn der Notarzt?«

»Das wüsste ich auch gerne, Teufel noch mal«, erwiderte der Cop. »Allerdings könnte er nichts mehr ausrichten. Der Mann vor der Telefonzelle ist nämlich mausetot. Viermal mit einer 45er aus nächster Nähe getroffen. Das ist die Arbeit eines Berufskillers.«

»Sieht so aus. Wo sind die Tatzeugen?«

Ich erfuhr es und suchte sie auf. Mordkommission und Ambulanz trafen fast gleichzeitig ein.

Ich sprach mit dem schlotternden Empfangschef, der immer wieder »Ogottogott!« sagte. Phil lief zur Herrentoilette. Die Cops durchsuchten das Haus, um sich zu vergewissern, dass der Killer hier nirgends mehr steckte.

»Wer hat auf den Mann geschossen?«, fragte ich den Empfangschef Eric Lazenby. »Reißen Sie sich zusammen, Mann! Wir brauchen eine Beschreibung des Täters.«

Lazenby starrte wie hypnotisiert auf den Toten. Ich drehte Lazenby zur Seite und befahl den Cops, alle Personen, die wir nicht als Zeugen brauchten, aus dem Weg zu schicken. Das Viertel war abgesperrt.

Als Lazenby die Leiche nicht mehr vor Augen hatte, fasste er sich und sprudelte eine Täterbeschreibung hervor. Der helle Anzug und der Hut waren ihm besonders aufgefallen.

»Breitschultrig«, sagte er. »Jung, mit einer gezackten Narbe auf der linken Wange. Der Mann stand zuvor an der Bar. Er ging einmal weg, kam dann wieder und schoss auf den Mann in der Telefonzelle. Dann lief er in den Seitengang.«

»Warum haben Sie uns die Täterbeschreibung nicht eher gegeben?«, fuhr ich Lazenby an und stieß ihn dem inzwischen eingetroffenen Lieutenant Easton in die Arme. »Kümmere du dich um ihn, Cleary.«

Ich ging ins Freie, denn mir fiel ein, dass ich kurz vorher bei meinem Rundblick einen Mann im hellen Anzug unter den Zuschauern gesehen hatte. Er war auch noch da. Er stand in der Menge und hatte den von Lazenby erwähnten breitkrempigen hellen Hut auf. Ich drängte mich näher.

Der Mann hatte eine gezackte Narbe auf der linken Wange!

Er rauchte seelenruhig eine Zigarette und sprach mit einer üppig gebauten Frau im T-Shirt neben ihm.

»Schon wieder ein Mord«, sagte das Narbengesicht. »In New York ist man seines Lebens nicht mehr sicher. Was sich hier für Typen rumtreiben ...«

»Ja«, piepste die Frau. »Wenn ich das meinem Verlobten erzähle, wird er entsetzt sein. Ich war auch noch in der Nähe und habe die Schüsse gehört.«

Ich zog den 38er, packte das Narbengesicht mit der freien Hand und drehte ihm den Arm auf den Rücken. Narbengesicht stöhnte auf. Ich stieß ihm den 38er in die Seite.

»FBI! Keine falsche Bewegung! Sie sind verhaftet, Mister. Wie ist Ihr Name?«

»Marty Walsh. Was, zum Teufel, soll das bedeuten? Sind Sie verrückt geworden, G-man? Officers, Hilfe, Hilfe, hier ist ein Wahnsinniger, der irgendwas von mir will! So lassen Sie mich doch los, au, verflucht!«

Zwei Cops eilten herbei. Die Zuschauer wichen zurück. Ich tastete das Narbengesicht nach Waffen ab und durchsuchte seine Taschen. Ich fand einen Führerschein, der tatsächlich auf den Namen Marty Walsh lautete. Das Foto stimmte auch. Die beiden stämmigen Cops standen neben Walsh, der sich mit empörter Miene die Schulter rieb. Mein Griff war ziemlich hart gewesen.

Lieutenant Easton kam mit seinem baumlangen Stellvertreter Ed Schulz im Schlepptau.

Ich nannte die Täterbeschreibung Lazenbys, die Cleary nur zum Teil mit angehört hatte, und deutete auf Walsh. »Er hat keine Waffe. Aber die Beschreibung stimmt ganz genau, sogar das mit der Narbe.«

Zuvor waren die Äußerungen der Zuschauer gegen mich und die Cops feindselig gewesen. Jetzt schlug die Stimmung um und man hörte Rufe wie »Verdammter Killer!«.

Walsh protestierte. »Was soll denn das? Ich habe da drüben gestanden und mir die Schuhe putzen lassen, als die Schüsse fielen. Der Schuhputzer kann das beschwören. Wo ist er denn? Ich würde doch nie, wenn ich einen erschossen hätte, am Tatort bleiben, noch dazu in so auffälliger Kleidung. Außerdem bin ich die Harmlosigkeit in Person.«

Ich habe einen geschulten Blick. Wenn Walsh kein Ganove war, wollte ich meine Handschellen essen, mit der ID Card belegt.

»Das werden wir leicht nachprüfen können, Mister Walsh«, sagte Cleary freundlich. »Einmal durch Zeugenbefragung, einmal durch den allseits beliebten Paraffintest.«

Walsh grinste bloß.

»Wenn Sie Handschuhe getragen und damit geschossen haben, wird man die Handschuhe finden«, erklärte Cleary gelassen. »Außerdem müssen dann an Ihrem Jackettärmel winzige Pulverteilchen sein. Wir haben ein erstklassiges Kriminallabor.«

Walsh knurrte eine Verwünschung. Ich rief, ob es hier einen Schuhputzer gebe oder ob sonst jemand Walshs Angaben bestätigen könne. Tatsächlich erschien ein hutzliger alter Mann. Er hatte seinen Schuhputzstand an der von Walsh angegebenen Stelle. Er war fast blind. Am linken Auge hatte er den grauen Star, übers rechte zog sich ein milchiger Film. Ich fragte den armen Teufel nach seinem Namen und ob er Walsh als seinen Kunden erkenne.

Benjamin Brown, so hieß der Schuhputzer, trat nah an Walsh heran. Er berührte ihn fast mit der Nase und bückte sich. Er fasste Walshs Hände an, die Walsh ihm angewidert überließ.

»Nun, Mister Brown?«, fragte ich.

»Die gesteppten zweifarbigen Schuhe erkenne ich wieder«, erklärte Brown mit Bestimmtheit. »Das war dieser Mann. Und seine Pfoten sind's auch. Ich sehe mir nie nicht die Gesichter von meinen Kunden an. Ihre Schuhe und die Hände verraten mir alles.«

»Wie können Sie mit solcher Bestimmtheit behaupten, dass der Mann da an Ihrem Schuhputzstand war?«, fragte Cleary. »Sie haben nicht mal die Narbe in seinem Gesicht beachtet.«

»Ich kenne die Schuhe, das sagte ich doch, Officer. Helle Kleidung, Schuhgröße, Absätze noch nicht abgelaufen, Schuhe fast brandneu und die abgefressenen Fingernägel. Dazu der Ring mit dem Similistein. Ich schwöre, der Mann war bei mir. Hat mir grade zehn Cent Trinkgeld gegeben, gleich nachdem es im Restaurant da geknallt hat, der Knicker.«

»Er hat sich also bei Ihnen die Schuhe putzen lassen, als drüben die Schüsse fielen, Mister Brown?«, fragte ich.

»Ja, Sir. Kam kurz vorher. Er setzte sich bei mir auf den Schemel und sagte: ›Putz bloß ohne Spucke! Die Schuhe haben hundertfünfzig Dollar gekostet‹. Das kann sogar stimmen.«

Ich war überrascht. Lazenby konnte sich seine Täterbeschreibung nicht völlig zusammengesponnen haben. Hatte er vielleicht einen Mann beschrieben, der ihm kurz zuvor aufgefallen war, um von dem wirklichen Täter abzulenken?

Jetzt meldeten sich auch noch eine Frau und ein Mann, die bestätigten, dass Walsh zum Zeitpunkt des Mordes auf der anderen Straßenseite am Schuhputzstand gewesen war. Walsh war damit aus dem Schneider.

Ich bat Cleary flüsternd, dennoch den Paraffintest bei Walsh vorzunehmen. Dann führten wir Walsh über die Straße, um ihn dem Empfangschef Lazenby gegenüberzustellen. Der hatte sich mittlerweile mit einem doppelten Whisky gestärkt und seine Fassung einigermaßen wiedergefunden.

Sowie er Walsh sah, rief er. »Das war er! Ich schwöre es! Gute Arbeit, dass Sie den Killer so schnell geschnappt haben, G-man!«

»Wie erklären Sie sich, dass er nach den Aussagen mehrerer Zeugen drüben beim Schuhputzer stand, als die Schüsse fielen, Mister Lazenby?«, fragte ich. »Er kann sich ja wohl nicht geteilt haben, und er wird auch kaum einen Zwillingsbruder mit einer derart auffälligen Narbe haben.«

»Das verstehe ich nicht. Ich war mir meiner Sache ganz sicher.«

Jetzt befragten wir Leute aus der Bar. Sie bestätigten, dass Walsh und kein anderer kurz zuvor in der Bar neben Blyth gestanden habe. Die Lady, der Blyth den Drink über das Kleid schüttete, gab an, dass Walsh Strangers in the Night gepfiffen habe.

»Aha«, sagte ich.

Die Erkennungsmelodie des Rackets war uns schon bekannt. Weshalb sie sich gerade den Song ausgesucht hatten, wusste keiner. Vielleicht weil die Gangster Fremde, also Unbekannte waren, die in der Nacht umherschweiften und Beute suchten.

Phil zog mich zur Seite.

»Vielleicht waren es zwei Komplizen in der gleichen Kleidung«, sagte er leise zu mir. »Walsh sollte die Fahndung ablenken und uns verwirren.«

»Das habe ich mir auch überlegt«, erwiderte ich und nahm den Empfangschef noch einmal ins Gebet.

Wir sprachen in der geräumten Bar, während die Mordkommission nebenan an der Arbeit war. Bisher hatte man keinen zweiten Mann im hellen Anzug und mit breitkrempigem Hut gefasst. Der Mordschütze war weder im Haus noch in der Umgebung aufzutreiben.

Lazenby war sich jetzt nicht mehr so sicher, dass der Killer tatsächlich die auffällige Narbe gehabt hatte. Er hatte Walsh aus der Bar gehen sehen und dann bei der Telefonzelle erblickt. Walsh hatte dort sogar ein paar Takte gepfiffen. Als dann die Schüsse fielen, sah Lazenby breite Schultern, Anzug und Hut und assoziierte automatisch die Narbe dazu. Er hatte nicht einmal bewusst gelogen. Er war einfach durch seinen Schock einem Irrtum zum Opfer gefallen.

»Wir nehmen Walsh auf jeden Fall mit zum FBI und lassen ihn auf Herz und Nieren durchleuchten«, sagte ich zu Phil. »Solche Zufälle, dass er ausgerechnet um die Zeit da ist, genauso gekleidet wie der Killer, und dann auch noch die Erkennungsmelodie des Rackets pfeift, gibt's nicht. Er wird uns hoffentlich bald etwas anderes pfeifen.«

»Täusch dich nicht, Jerry«, bemerkte Phil. »Walsh ist ein harter Brocken.«

Walsh protestierte, als man ihn in Handschellen zur Federal Plaza brachte. Er äußerte sich knapp und gelassen, und ich hatte dabei ständig den Eindruck, dass er innerlich über uns grinste. Für seine vierundzwanzig Lenze hatte Marty Walsh schon eine beachtliche Verbrecherlaufbahn hinter sich. Er stammte aus der South Bronx, da wo sie am übelsten und dreckigsten war, war schon mit zwölf Jahren kriminell geworden und es seitdem geblieben.

Seine Verurteilungen und Anklagen reichten vom Rauschgifthandel über Körperverletzung, Zuhälterei, Erpressung und Diebstahl bis zum versuchten Totschlag. Die letzte Anklage hatte ihm fünf Jahre Jugendstrafe eingebracht. Seit einem knappen Jahr war Marty Walsh wieder auf freiem Fuß.

»Ein Teufelsbraten«, sagte ein Cop vom Revier in der South Bronx, mit dem ich telefonierte. »Wir sind froh, dass wir ihn hier los sind. Der hat schon mit sechzehn Jahren Girls süchtig gemacht und auf den Strich geschickt. Im Theaterdistrikt ist er also gelandet? Das wundert mich nicht. Marty Walsh war schon immer ein Geck und hatte eine Vorliebe fürs Showgeschäft. Er wollte selber mal Schlagersänger werden, aber er singt wie eine verrostete Gießkanne.«

»Das ist doch heutzutage kein Hinderungsgrund, Officer«, sagte ich.

Ein Lachen ertönte. »Sicher, nur bei Walsh war's wohl die falsche Sorte von Rost.«

Nach diesem Gespräch suchte ich den Vernehmungsraum auf, wo Phil und Johnny Mail Walsh bearbeiteten.

Mail hatte sein väterliches Gesicht aufgesetzt. »Sieh mal, Marty, das Leugnen bringt dir nichts ein. Natürlich steckst du in der Sache mit drin. Das sieht doch ein Blinder.«

»Dann soll er's eben sehen. Ich bin unschuldig. Ich will einen Anwalt.«

»Kannst du ihn denn bezahlen?«, fragte ich. »Wovon lebst du?«

Walsh zuckte mit den Schultern. Dann legte er los. »G-men, es ist weder verboten, einen hellen Anzug und Hut zu tragen, noch, Strangers in the Night zu pfeifen. Was wollen Sie eigentlich von mir? Okay, ich bin vorbestraft, aber ich habe meine Strafen abgesessen.«

»Du hattest Glück, dass du immer nach dem Jugendstrafrecht verurteilt worden bist«, sagte Phil. »Beim letzten Mal wärst du eigentlich schon als Erwachsener dran gewesen.«

»Was kann denn ich dafür, dass es mit dem Verfahren so lange gedauert hat? Ich war heute rein zufällig in der Gentleman Rankers Bar. Diesen Blyth habe ich auch noch nie vorher in meinem Leben gesehen. Um die Wahrheit zu gestehen, ich war in der Bar mit 'ner Mieze verabredet. Sie hat mich bloß leider versetzt. Immer diese Unzuverlässigkeit bei den Weibern! Es ist nicht meine Schuld, dass einer, der ziemlich genauso gekleidet war wie ich, den Blyth erschossen hat. Das könnt ihr mir nicht anhängen, und wenn ihr euch noch so anstrengt.«

Ich deutete mit dem Daumen über die Schulter auf die Tür. »Ab in die Zelle mit ihm!«

Walsh stutzte. »Was soll das? Dazu habt ihr kein Recht.«

»O doch, Walsh. Wir können dich hierbehalten, bis du morgen früh vor den Haftrichter kommst. Er entscheidet, ob du auf freien Fuß gesetzt wirst. Wolltest du nicht einen Anwalt anrufen?«

Walsh erhob sich lässig und winkte ab. »Geschenkt. Das bisschen Gerede vorm Haftrichter schaffe ich auch allein. Ich finde mein Geld schließlich nicht auf der Straße, dass ich es für Rechtsverdreher rausschmeißen kann.«

»Du findest es nicht, aber die Frauen, die für dich laufen«, erwiderte Phil.

Es klopfte. Ich öffnete, und ein Kollege teilte mir leise mit, dass in der Nähe der 52nd Street ein heller Anzug und Hut sowie Schweinslederhandschuhe mit Pulverschmauchspuren in einem Kellerloch gefunden worden seien. Der Killer hatte seine Kluft abgelegt und war dann seelenruhig davonspaziert. Wenn das die Reporter erfuhren, würden sie das FBI hart kritisieren.

Jetzt lachten die Gangster vom Racket. Die Frage war bloß, wer wohl zuletzt lachen würde. Trotzdem, mit dem Blyth-Mord hatte das Theater-Racket uns reingelegt, und das wurmte mich. Zwei Kollegen führten Walsh zu einer Zelle.

Es war mittlerweile fast elf Uhr abends geworden.

»Was hältst du davon, wenn wir uns in Walshs Kreisen und in seinen Stammpinten mal umschauen, alter Junge?«, fragte ich Phil. »Mir ist noch nicht danach, mich aufs Ohr zu legen.«

»Mir auch nicht«, gab Phil zu. »Man liegt schlecht auf dem Ohr, wenn einem ein paar miese Gangster gerade erst darüber gehauen haben. Ich bin mit dabei. Wohin fahren wir?«

»Theatre District«, sagte ich.

2

Die Leuchtreklamen strahlten in verschwenderischer Pracht. Mild war die Luft an diesem Sommerabend. Noch hatten wir keine brütende Hitzewelle, die ganz Manhattan in einen Backofen verwandelte. Der Verkehr war erträglich, denn die Shows und Theatervorführungen liefen noch.

Der Theatre District umfasst im Großen und Ganzen das Areal zwischen Central Park South und 40th Street zwischen Fourth und Eighth Avenue. Der Broadway schlängelt sich mittendurch. Hier werden die Stars geboren, und viele, die auch nach den Sternen greifen, verlieren sämtliche Illusionen, mitunter auch Gesundheit und Leben.

Das Showgeschäft erfordert eine große Selbstdisziplin, sehr viel Ehrgeiz und Härte und auch eine gute Portion Glück. Ich dachte, während ich im Jaguar den Broadway entlangfuhr, an die Zeit zurück, da ich als kleiner Junge daheim in Connecticut zum ersten Mal von dieser Flimmer- und Glitzerwelt gehört und wie ich sie mir vorgestellt hatte.

Jetzt war ich da, nur als G-man. Und irgendwie hatte sich mein Traum doch bewahrheitet.

Der Portier beim Mirror Club in der 47th Street wollte uns nicht auf den Parkplatz lassen. Er erzählte von einer Uraufführung und von Stars, für die alles reserviert sei. Auch unsere Dienstausweise konnten ihn nicht beeindrucken.

»Nein, Gentlemen, tut mir leid!«

Ich stellte den Jaguar ein Stück weiter beim Hotel Mack ab. Immerhin ließ man uns in den Klub hinein, ohne dass wir Mitglieder werden mussten. Der Chefportier drückte ein Auge zu, bat uns jedoch, auf den Ruf des Hauses Rücksicht zu nehmen. Wenn Gangster wie Walsh hier verkehrten, konnte es damit nicht sehr weit her sein.

Im Mirror Club, der sich über drei Etagen erstreckte, war alles verspiegelt. Die Tanzflächen bestanden aus sich drehenden Spiegelglasplatten.

Im untersten der drei Tanzsäle mit Bar und Nebenräumen herrschte mittelmäßiger Betrieb. Die Männer und Frauen, auch das Personal, sahen bis auf wenige Ausnahmen überdurchschnittlich gut aus und waren modisch bis verrückt gekleidet. Ich bemerkte auch einige Männer in hellen Anzügen, manche mit Hüten.

An den Wänden rankten sich tropische Gewächse. Orchideen blühten. Die Kapelle spielte gerade einen Shake, und alles wackelte auf der Tanzfläche.

Wir blieben zunächst im Gang stehen, und ich fragte Phil, ob er auf dem Spiegelboden nach tanzenden Girls ohne Slip Ausschau halte.

»Mann«, sagte Phil, »das ist längst ein alter Hut. Darüber mag man sich vielleicht in Connecticut aufregen, aber bei uns doch nicht. In Schottland laufen die echten Schotten übrigens alle unten ohne unter ihrem Kilt herum.«

»Zweifellos aus Sparsamkeitsgründen. Außerdem ist das wohl ein Unterschied. Wir wollen uns mal an der Bar nach Marty Walsh erkundigen.«

Die hufeisenförmige Bar war riesig. Dahinter standen ganze Flaschenbatterien.

Ich sprach ein Bargirl mit einem Nichts von Goldlameeoberteil an. »Wir sind Freunde von Marty Walsh. Wir kommen aus Philadelphia und wollen hier ihn und seine Kumpels treffen. Kennen Sie Marty? Ihm hat mal einer ein Autogramm ins Gesicht geschnitzt, der war allerdings nicht im Showgeschäft.«

Ich zeichnete mit dem Finger eine Zackenlinie auf die linke Wange. Dem Gesicht des Bargirls war zu entnehmen, dass sie nicht eben viel von Marty Walsh hielt. Sie musterte uns skeptisch, gab uns jedoch die Auskunft.

»Narben-Marty ist noch nicht hier. Er hat ein besonderes Hobby. Er sammelt Tanzgirls, und manche landen dann auf dem Strich. Seine Freunde sind in der ersten Etage an der Bar. Kennen Sie sie?«

»Er hat uns nur Vornamen genannt.«

»Sie können sie nicht verfehlen. Das große Wort führt Buddy Bowlan, ein Schrank von einem Mann in einem Anzug, dass euch die Augen tränen werden. Er zeigt sämtliche Regenbogenfarben.«

»Das hört sich ja interessant an«, sagte Phil. »Mal sehen, ob uns Marty zu viel versprochen hat.«

Wir fuhren mit der Rolltreppe in den ersten Stock hoch. Hier tanzte man noch den guten alten Rock ›n‹ Roll. Es ging hoch her. Buddy Bowlan war leicht zu erkennen. Er hatte sich von seiner Clique abgesondert, geschniegelten, raffgierigen Typen, von denen sicher keiner auf den Gedanken verfallen wäre, etwa mit Arbeit sein Geld verdienen zu wollen.

Bowlan stand bei einer hübschen brünetten Frau in einem billigen Kleidchen, die abseits an der Bar saß. Sie war schlank und hatte eine hinreißende Figur. Große veilchenblaue Augen musterten Bowlan. Für den Mirror Club und New Yorker Verhältnisse war sie ziemlich züchtig angezogen.

»Wer hat sich denn hierher verirrt?«, fragte Phil und stieß mich in die Seite. »Little Jenny, frisch von der Farm! Und wird schon gleich vom großen bösen Großstadtwolf angemacht. Oder ist das vielleicht ein besonders raffiniertes Nuttchen, die so ihre Kunden fängt?«

Ich schaute scharf hin. »Nein. Das ist ein echtes Mädchen vom Land. Das sehe ich schon an der Frisur. Das ist keine New Yorker Welle.«

»Ein Landei erkennt das andere, was?«, stichelte Phil.