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Durch eine Krimiserie wurde der Schauspieler Rocky Roon zum gefeiertsten Fernsehstar der USA. Aber wer für ihn arbeitete, riskierte seinen Hals. Besonders die Stuntmen, die gefährliche Szenen für Rocky doubelten, wurden zur Zielscheibe für Mörder. Dann kam auch noch der Drehbuchautor auf gewaltsame Weise ums Leben. Höchste Zeit, dass wir vom FBI uns um Rocky Roon kümmerten, den Liebling der Nation ...
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Seitenzahl: 180
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Der Liebling der Nation
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Impressum
Der Liebling der Nation
Durch eine Krimiserie wurde der Schauspieler Rocky Roon zum gefeiertsten Fernsehstar der USA. Aber wer für ihn arbeitete, riskierte seinen Hals. Besonders die Stuntmen, die gefährliche Szenen für Rocky doubelten, wurden zur Zielscheibe für Mörder. Dann kam auch noch der Drehbuchautor auf gewaltsame Weise ums Leben. Höchste Zeit, dass wir vom FBI uns um Rocky Roon kümmerten, den Liebling der Nation ...
Beim Anblick der Polizisten prallte der Mann zurück. In langer Treiberkette stampften die Cops über das vertrocknete Gras der Freifläche in New Yorks Central Park. In den Händen hielten sie Gewehre.
Der Mann wandte sich nach rechts. Plötzlich stockte er.
Streifenwagen brachen durch die Sträucher. Das Warnlicht kreiste auf ihren Dächern.
Verzweifelt blickte er den Weg zurück, den er geflohen war.
Nur eine Gestalt sperrte den Rückweg. Es war der Jäger, der ihn durch New Yorks Tage und Nächte gehetzt hatte.
Links ragte ein nackter bräunlicher Felsen, fünfzig oder sechzig Fuß hoch. Verglichen mit den zwanzig-, dreißigstöckigen Häusern am Rande des Central Park war es ein lächerlich niedriges Gebilde.
Der Mann sprang den Felsen an wie eine Katze.
Der Morgennebel machte den Stein nass und glitschig. Die Füße des Mannes rutschten ab. Verbissen klammerte er sich an winzige Vorsprünge und zog sich hoch. Er trug einen Straßenanzug, Halbschuhe an den Füßen, eine Krawatte und einen Hut. Er war für das Klettern an der nassen, glatten Felswand nicht ausgerüstet. Aber da er geschickt und stark war, gewann er rasch an Höhe.
Die Treiberkette der Polizisten kam näher. Die Streifenwagen walzten die letzte Reihe der Sträucher nieder. Auf dem unebenen Gelände schaukelten die Fahrzeuge.
Der Jäger beschleunigte seine Schritte nicht. Mit der gleichen Stetigkeit, mit der er die Verbrechen des Mannes im Fels aufgedeckt und den Täter verfolgt hatte, näherte er sich.
Der Mann im Fels erreichte den Rand. Eine letzte Anstrengung brachte ihn auf die Plattform. Er richtete sich auf.
Am Fuß des Felsens blieb der Jäger stehen.
Gelassen schob er beide Hände in die Jackentaschen und legte den Kopf in den Nacken.
»Alles zwecklos, Sam Sorrow!«, rief er hinauf. »Kommen Sie runter!«
Ich war nicht beteiligt. Ich sah nur zu.
Der Mann auf dem Felsen griff in die Tasche. Dann warf er den Arm hoch. Deutlich war die Handgranate zu erkennen. Mit der charakteristischen Bewegung riss er den Zündring ab und holte zum Wurf aus.
Die Polizisten in der Treiberkette eröffneten das Gewehrfeuer. Die Cops, die aus den Streifenwagen gestiegen waren, drückten auf die Abzüge ihrer massigen Revolver. Zehn, fünfzehn Sekunden lang knallten und krachten Schüsse. Nur der Mann, der Sam Sorrow gejagt hatte, schoss nicht. Er behielt die Hände in den Jackentaschen.
Oben auf dem Felsen bäumte sich Sam Sorrow auf. Die Hand, die zum Wurf ausgeholt hatte, sank zurück. Die Finger umklammerten noch die Handgranate. Der Körper drehte sich und kippte nach vorne. Der Mann stürzte.
Aus!, dachte ich. Na endlich!
»Aus!«, trompetete es aus dem Megafon in Dean Busters Hand. »Gestorben!« Er sprang aus dem Regiestuhl auf und wandte sich an die Leute hinter den Kameras. »Technik okay?«
»Bild okay!«, antwortete der Chefkameramann.
»Ton okay!«, bestätigte der Toningenieur.
»Schauspielerisch war's erstklassig«, sagte Buster und ging auf den Mann zu, der mit den Händen in der Tasche schweigend zugesehen hatte, wie die Kugeln der Polizisten Sam Sorrow vom Felsen holten. »Rocky, du hattest genau den richtigen Gesichtsausdruck, den die Leute in der Schlussszene vom Commander erwarten. Reglos und kalt, wie aus Gletschereis gehauen.«
Der Garderobier des Stars hastete herbei, den Kamelhaarmantel über dem Arm.
»Warum feuerst du den Drehbuchautor nicht, der diesen Mist verfasst hat?« Der Schauspieler Rock Roon, Star und Titelheld der TV-Serie Commander Crake schlüpfte in den Mantel. »Wie soll ich glaubwürdig kaltes Blut bewahren, wenn mir ein Kerl mit einer scharfen Handgranate in der Faust vor die Füße fällt? Die Leute werden sich vor Lachen krümmen, wenn ihr ihnen solchen Unsinn vorsetzt.«
»Mach dir keine Sorgen um die Wirkung, Rocky!« Der Regisseur hakte Roon unter. »Sorrow deckt die Handgranate mit seinem Körper gegen dich ab. Sie explodiert unter ihm, verstehst du? Ist doch klar, dass du dann von der Sprengwirkung nichts abkriegst. Für die Tricktechnik gibt es zum Schluss einen prächtigen Schaueffekt, wenn die Handgranate unter dem Mann und vor deinen Füßen explodiert.«
»Nicht vor meinen Füßen!«, protestierte Roon. »Ich werde mich nicht so dicht an diese verdammten Knallkörper stellen.«
»Brauchst du ja nicht, Rocky. Beim Knallen stell ich dein Double hin. Nur für den Abgang muss ich dich noch einmal haben.«
Den größten Teil des Gesprächs hörte ich mit, weil Schauspieler und Regisseur dicht an der Absperrung vorbeikamen. Roons markantes Gesicht, das jeder Bürger der USA und ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung von den Fernsehschirmen und ungezählten Illustriertenfotos kannten, war korpulent und bunt geschminkt, wie es das grelle Licht der Scheinwerfer verlangte. Die Fernsehserie Commander Crake hatte ihn zum Liebling der Nation gemacht.
Roon verschwand in seinem Garderobewagen.
Der Regisseur setzte den Handlautsprecher an den Mund. »Eine Stunde Pause!«
Die Kette der Statisten in den Uniformen der New Yorker City Police löste sich auf. Die meisten Cops strebten, die Gewehre unter dem Arm, dem Erfrischungswagen zu, um heißen Kaffee und Hotdogs zu bestellen. Ihre Kollegen aus den Streifenwagen schlossen sich an. Nur die echten Cops, die den Absperrdienst versahen, blieben auf ihren Posten.
»Warum steht der Stuntman nicht auf?«, dröhnte die Lautsprecherstimme des Regisseurs. »Ich sagte, es ist Pause!«
Der Mann, der den Gangster gespielt hatte und so kunstvoll vom Felsen gefallen war, lag leicht zusammengekrümmt auf der vielfachen Schicht Schaumgummimatratzen, die den Aufschlag ungefährlich machen sollte. Er war kein Schauspieler, sondern ein Artist. Ein sogenannter Stuntman. Er sprang für die Schauspieler ein, wenn die Handlung eine gefährliche Aktion erforderte.
Es sind die Stuntmen, die in Westernfilmen von den Pferden stürzen, in Krimis Autos zu Schrott fahren, auf Züge springen und sich mit Gangstern prügeln, die ebenfalls von Stuntmen dargestellt werden. Ganze Wolkenkratzer brechen in Katastrophenfilmen über den Stuntmen zusammen. Sie ertrinken in Sintfluten und fallen bei Erdbeben in klaffende Spalten. Wenn King Kong einen Hubschrauber vom Himmel bläst, dann kann man sich darauf verlassen, dass die Maschine von einem Stuntman geflogen wird, es sei denn, es handelt sich nur um eine Trickaufnahme im Spielzeugformat.
Einige Stuntmen haben Karriere gemacht und sind große Schauspieler geworden. Als Schauspieler wurden sie dann von weniger glücklichen Ex-Kollegen in gefährlichen Szenen gedoubelt, wie der Fachausdruck heißt.
Der Stuntman, der den Schauspieler der Sorrow-Rolle ersetzt hatte, lag reglos. Ein Regieassistent beugte sich über ihn und schüttelte ihn an der Schulter. Dann richtete er sich auf und betrachtete seine Hand.
Plötzlich begann er zu schreien. »Polizei! Polizei!«
Ich flankte über die Absperrung.
Ein Kreis von Statisten und Beleuchtern bildete sich um den Mann auf dem Schaummatratzenpolster.
Ich schob die Leute zur Seite. »Machen Sie Platz!«
Der Mann hatte kurz geschnittenes blondes Haar. Am Hinterkopf war es blutgetränkt. Auch der Stoff seiner Jacke war an zwei Stellen von Blut durchfeuchtet. An der linken Schulter und zwischen den Schulterblättern.
Mindestens drei Kugeln hatten den Mann getroffen. Er war tot.
Rock Roons Hand zitterte, als er das Glas an die Lippen setzte. Die Eiswürfel im Whisky klirrten.
»Nein, ich weiß nichts über den Stuntman«, sagte er unwirsch. »Ich kannte nicht einmal seinen Namen.«
»Er hieß Joel Harris und gehörte seit zwei Jahren zum Team«, erwiderte Buster, der Regisseur. »Wie lange soll das Verhör noch dauern?«
Der Wohnraum in Roons Garderobewagen war nicht groß genug für die Beamten des Homicide Department, für Stenografen, Zeugen, nervöse Schauspieler, den Regisseur und ein halbes Dutzend hübsche Frauen, von denen niemand zu wissen schien, welche Funktion sie in dem TV-Team hatten.
Ich stand in einer Ecke. Noch immer war ich Zuschauer. Die Untersuchung leitete Detective Lieutenant Jim McLoy. Der große, schwere Mann war durch nichts aus der Ruhe zu bringen.
»Wie lange?«, wiederholte er die Frage des Regisseurs. »Bis ich herausgefunden habe, warum dieser Joel Harris vom Felsen geschossen wurde.«
»Vielleicht war es ein Unglücksfall!«, schrie Buster.
McLoy schüttelte den Kopf. »Kein Unglücksfall! Meine Leute haben alle Waffen eingesammelt, mit denen Ihre Polizeitruppe gefeuert hat. Alle waren korrekt mit Platzpatronen geladen.«
»Mich interessiert nur, wann ich weiterdrehen kann!« Buster wühlte in seiner dichten grauen Haarmähne. »Lieutenant, jede Minute kostet die Produktionsgesellschaft viertausend Dollar!«
»Gemessen an dem Preis fallen manche Folgen von Commander Crake verdammt langweilig aus«, murmelte McLoy. »Sie haben den Stuntman aus Los Angeles mitgebracht?«
»Richtig, Lieutenant. Jede Folge der Commander-Crake-Serie, die wir drehen, hat eine andere Stadt der USA als Schauplatz. Nur die Statisten werden an Ort und Stelle engagiert. Die Kernmannschaft bringen wir mit oder fliegen sie nach Bedarf aus Los Angeles ein. Dazu gehören auch die meisten Stuntmen, die wir für Actionszenen brauchen. Wir drehen in den Städten nur die Außenaufnahmen oder die Szenen, die in charakteristischen Gebäuden spielen. Für die Folge Commander Crake in New York werden wir noch im World Trade Center und vor den UN-Gebäuden filmen.«
McLoy schwieg.
Buster zerrte an seinen Haaren, als wollte er sie sich vom Kopf reißen. »Lieutenant, mir bleiben nur zwei Tage. Am Montag werden wir in San Francisco erwartet. Die Hotels sind reserviert, die Statisten engagiert. Ich flehe Sie an, Lieutenant! Sammeln Sie Ihre Polizisten ein, nehmen Sie Harris' Leiche mit, und lassen Sie uns weiterdrehen!«
»Tut mir leid, Mister Buster«, antwortete McLoy unerschütterlich. »Wir können den Schauplatz eines Mordes nicht verlassen, bis wir überzeugt sind, alle Spuren gesichert und alle Zeugen vernommen zu haben.«
Rock Roon, dem die Rolle als Commander Crake zu Weltruhm verholfen hatte, hielt das Glas seinem Garderobier hin, der es aus einer Kristallkaraffe füllte.
»Schon mal daran gedacht, dass ich das Opfer sein sollte?«, fragte er.
»Was meinen Sie?«
»Man versucht, mich zu erpressen, Lieutenant!«, antwortete er. »Jede Woche finden sich zwei Dutzend Briefe in meiner Post, deren Schreiber irgendetwas von mir verlangen, Geld, eine Rolle in der Serie und so weiter. Alle drohen mir mit einem Angriff auf mich oder mein Haus oder meine Freundinnen, falls ich ihre Wünsche nicht erfülle.«
Zum ersten Mal mischte ich mich in Vernehmung ein. »Erfüllen Sie die Wünsche, Mister Roon?«
»Natürlich nicht.« Er kniff die Augen zusammen. »Wer sind Sie?«
»Cotton, FBI-Distrikt New York. Was geschieht mit den Briefen?«
»Mein Anwaltsbüro übergibt sie der Polizei in Los Angeles und erstattet Anzeige gegen Unbekannt wegen versuchter Erpressung.«
Ein Mann drängte sich in den Garderobewagen. »He, Dean, warum hat mich niemand angerufen?«
Ein Beamter aus McLoys Crew versuchte, ihn aufzuhalten. »Immer mit der Ruhe, Sir!«
»Verdammt, ich will wissen, was mit Joel passiert ist!«, rief der Mann und schob den Beamten aus dem Weg.
»Joel Harris wurde ermordet. Man hat ihn heimtückisch aus dem Hinterhalt erschossen«, antwortete der Lieutenant. »Wer sind Sie?«
»Mike Globe.« Er wies auf Roon mit einer schnellen und flüchtigen Geste, die Verachtung auszudrücken schien. »Ich halte meinen Kopf für ihn hin, wenn die Szene hart ist. Sein kostbares Gesicht darf keine Schramme abbekommen.«
»Also Stuntman wie der Erschossene?«
»Richtig und eine Art Boss der Jungs. Ich unterhalte eine Agentur für Sensationsdarsteller, Artisten, Stuntmen und so weiter. Die meisten Boys, die in der Crake-Serie mitmachen, habe ich vermittelt. Auch Harris. Ich fühle mich verantwortlich, wenn einem der Männer etwas zustößt. Für uns zahlt keine Versicherung. War es wirklich Mord, Lieutenant?«
»Unfall ist mit hundertprozentiger Gewissheit auszuschließen.«
Globe fuhr sich durch das kurz geschnittene Haar.
»Aber Joel hatte keine Feinde!«, rief er. »Wer soll ihn umgelegt haben? Welches Motiv?«
»Mister Globe, ich werde Sie später vernehmen«, erklärte der Lieutenant. »Bitte lassen Sie mich meine Arbeit weitermachen«.
»Und wann, zum Teufel, kann ich meine Arbeit weitermachen?«, fauchte Dean Buster, der Regisseur.
»Zwei, drei Stunden werden Sie Ihre Ungeduld noch bezähmen müssen.«
Buster wandte sich an einen nachlässig gekleideten, bebrillten Mann, der seit Stunden eine Zigarette an der anderen anzündete.
»Morris, schreib die Schlussszene um. Wenn wir die Explosion der Handgranate nicht im Central Park drehen können, müssen wir alles wegwerfen, was wir im Kasten haben. Denk dir fürs Ende 'ne Atelierszene aus.«
Der Kettenraucher hob protestierend die Hand. »Dean, das bedeutet, dass ich die ganze Konzeption ...«
»Mir egal!«, brüllte der Regisseur.
Lieutenant McLoy sah den Kettenraucher an. »Wer sind Sie?«
»Morris Gallagher, Sir«, antwortete er. »Ich habe das Drehbuch verfasst.«
Alle Blicke richteten sich auf den schmächtigen Mann mit dem wirren Haar und der großen Hornbrille. In der Stille, die plötzlich eintrat, war das Brausen des Straßenverkehrs zu hören.
Der Drehbuchschreiber rückte an seiner Brille und sah von einem zum anderen.
»Was ist denn?«, murmelte er.
Alle starrten den Mann an, der eine Geschichte erfunden hatte, die mit dem Tod eines Menschen endete.
Die Geschichte war Wirklichkeit geworden.
Morris Gallagher spürte offenbar, was alle dachten.
»Seht mich nicht so an!«, schrie er. »Ich bin nicht schuld!«
Über den Bildschirm flimmerte die Folge Crake und der Mittagsmörder.
Die Story war leidlich spannend und geschickt in Szene gesetzt. Rock Roon spielte den Commander Crake als einen kalten Verbrecherjäger, der auch in der gefährlichsten Situation die Nerven behielt und mit keiner Wimper zuckte, was immer passieren mochte.
Seit drei Jahren hatte sich der Erfolg der Crake-Serien über die Staaten und die westliche Welt wie ein Steppenbrand ausgebreitet. Der Erfolg katapultierte Rock Roon auf den Gipfel des Starruhms. Vermutlich war er längst Millionär.
Aber das ganz große Geld an Crake machten die Hintermänner anonymer Produktionsgesellschaften, die den Weltvertrieb organisierten, die Rechte meistbietend versteigerten, T-Shirts mit Roons Konterfei als Commander Crake verkauften, kurz, auf jede nur erdenkliche Weise den Erfolg ausschlachteten. Inzwischen gab es sogar ein Rasierwasser, das Crake Lotion hieß.
Auf dem Bildschirm kam Crake in das Büro eines Anwalts, der in der Story eine undurchsichtige Rolle spielte.
Mr High stoppte das Band des Videorekorders. Das Bild blieb auf der Scheibe stehen.
»Das ist der Mann, der in Los Angeles ermordet wurde«, erklärte unser Chef. »Er hieß Allan Head.«
Der Mann, der den Anwalt spielte, war untersetzt, mit einem feisten Krötengesicht und ein paar sorgfältig über die Glatze verteilten schwarzen Haarsträhnen.
»Head hat zweimal kleine Rollen in Crake-Folgen gespielt«, fuhr Mr High fort. »Seine Vergangenheit ist undurchsichtig. In den Sechzigerjahren unterhielt er Verbindungen zu Verbrecherorganisationen in Los Angeles und Las Vegas. Anscheinend veranstaltete er für die Gangbosse Partys, zu denen er Starlets aus dem großen Reservoir karrieresüchtiger Frauen in Hollywood beschaffte. Die Partys arteten in Orgien aus, bei denen auch Rauschgift eine Rolle spielte. Head wurde zweimal unter Anklage gestellt, jedoch nicht verurteilt.«
Er setzte den Recorder durch einen Knopfdruck wieder in Gang. Auf dem Bildschirm wurde es lebendig. Crake räumte mit einem Fußtritt einen Tisch aus dem Weg, packte den Anwalt an den Jackenaufschlägen und riss ihn aus dem Stuhl.
»Wo ist Kitty?«, kam seine Stimme aus dem Lautsprecher. »Wenn du sie dem Mittagsmörder auslieferst, dann ...«
Phil drehte den Ton ab. »Sehen Sie Zusammenhänge zwischen dem Tod des Schauspielers und der Ermordung des Stuntman, Sir?«
»Allan Head wurde zuletzt zweimal mit James Surcay gesehen. Beim zweiten Mal kurz vor seiner Ermordung. Der FBI-Distrikt Los Angeles hält Surcay für den Boss einer Gangsterorganisation, die Erpressung im großen Stil betreibt. Seine Opfer sind Filmgesellschaften, Studios, Produktionsfirmen, aber auch bekannte Schauspieler und Regisseure. Im Showgeschäft gibt es für einen skrupellosen Erpresser zwei Möglichkeiten. Zum einen die Drohung mit der Veröffentlichung eines Skandals, zum anderen die Störung der Arbeit. Berühmtheiten sind anfällig für Skandale, und Filmaufnahmen sind anfällig für Störungen.«
Auf dem Bildschirm flog gerade ein Auto aus der Kurve, überschlug sich und rasierte eine Plankenwand weg. Ich dachte an den Stuntman, der am Steuer saß und seine Knochen für einen Bruchteil der Gage Rock Roons riskierte.
»Ein veröffentlichter Skandal kann die Karriere eines Schauspielers zerstören. Aufnahmen für einen Film oder eine TV-Serie sind durchorganisierte Unternehmungen. Eine zusammenbrechende Kulisse, eine ausgefallene Kamera, ein Beleuchterstreik, verursachen riesige Verluste. Ein Tummelfeld für eine Erpresserbande, wie Gangster es sich nicht besser wünschen können.«
Ich nickte.
Er reichte uns ein Foto. »Das ist James Surcay. Die Kollegen in Los Angeles möchten ihm das Handwerk legen. Surcay beschränkt seine Tätigkeit nicht auf Kalifornien. Er arbeitet in mehreren Staaten, und es sieht so aus, als hätte er sich die Crake-Produktion besonders vorgenommen.«
Er stand auf. Phil und ich erhoben uns.
»Das Crake-Team dreht noch einen Tag in New York. Versuchen Sie Ihr Glück!«
Ich hatte Frau am Vormittag an der Seite des Regisseurs gesehen. Jetzt saß sie an der Bar des Plaza Hotel und hielt sich an einem Martini fest. Ich schwang mich auf den Hocker links neben ihr.
»Hallo«, sagte sie. »Ich habe Sie heute Vormittag gesehen. Sie sind ein Polizist, aber Sie haben sich nur einmal eingemischt.« Sie nahm einen Schluck. »Unser großer Star fragte Sie nach Ihrem Namen. Jetzt erinnere ich mich. Sie heißen Cotton und sind FBI Agent.« Sie leerte das Glas, schüttelte sich und machte »Brr«. »Das galt dem Martini«, sagte sie, »nicht Ihnen.«
Alle Mitglieder des Aufnahmeteams wohnten im Plaza, ausgenommen das technische Personal.
»Welche Rolle spielten Sie in der Crake-Serie?«, fragte ich.
Sie gab dem Keeper ein Zeichen für einen neuen Martini. Mir schien, sie hatte schon einen kleinen Schwips.
»Ich steh nicht vor der Kamera, sondern sitze daneben«, sagte sie. »Ich bin das Scriptgirl. Ich schreibe auf, was während der Aufnahmen geschieht, notiere alle Anweisungen des Regisseurs, alles Protestgeschrei der Schauspieler, jede technische Panne, und ich sorge dafür, dass Dean Busters heiliger Regiestuhl niemals von einem fremden Hintern besetzt wird.« Sie griff nach dem frischen Martini. »Im Übrigen heiße ich Angie Howell.«
Ich hielt ihre Hand mit dem Martiniglas fest.
»He, G-man, wollen Sie mich nicht trinken lassen? Soviel ich weiß, wurde das Alkoholverbot vor rund vierzig Jahren aufgehoben, lange vor meiner Geburt.«
»Wie gut kannten Sie den Mann, der während der Aufnahmen erschossen wurde?«
»Joel Harris? Ein ruhiger, stiller Junge aus einem Dorf im tiefsten Westen. Keine Schönheit mit seinen dichten Augenbrauen und dem kompakten Körperbau. Darum wurde er auch immer dazu verurteilt, die Actionszenen für Gangster zu übernehmen. Nie durfte er in Polizeiuniformen oder gar stellvertretend für unseren großen Helden vom Felsen fallen oder aus dem Auto springen. In Wahrheit passten die Killerrollen nicht die Spur zu seinem Charakter. Die Hälfte seiner Gage sparte er für den Kauf von Farmland in Iowa.«
»Warum wurde er erschossen?«
Sie zog die Brauen hoch. »Wer ist hier der Detektiv, Sie oder ich?«
»Ich. Aber die Leute, die die Crake-Serien produzieren, bilden eine geschlossene Gesellschaft, in die ein Fremder keinen Eingang findet. Ich stehe draußen. Sie sitzen neben der Kamera, also mittendrin.«
Sie stellte das Martiniglas ab. Ihr Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. Sie war eine hübsche Frau, ungefähr fünfundzwanzig, dunkelhaarig, mit tiefblauen Augen und einem großen, gut geformten Mund.
»Ich weiß nicht, warum Joel Harris ermordet wurde«, sagte sie leise. »Es gibt kein Motiv. Ich denke den ganzen Tag darüber nach. Manchmal glaube ich, Harris fiel einer Verwechslung zum Opfer.«
»Verwechslung? Mit wem?«
»Mit Brad String. Das ist der Schauspieler, der die Rolle des Verbrechers spielt. Er war am Morgen nicht im Central Park, weil er nicht für die Szene gebraucht wurde. Bei den Aufnahmen vor dem UN-Gebäude wird er selbst spielen.«
»Werden Sie erpresst, Miss Howell?«
»Ich verdiene dreihundert Dollar die Woche. Daran nagen die Steuer, die Versicherung und die Gewerkschaft. Was übrig bleibt, lohnt eine Erpressung nicht. Nein, G-man, um Geld werde ich nicht erpresst.« Sie betonte den letzten Satz auf eine besondere Weise.
»Und die Stars der Crake-Serie?«
»Es gibt nur einen Star, den großen Rocky Roon! Er hat Ihnen selbst gesagt, dass er jeden Erpressungsversuch abschmettert.« Ihr Tonfall verriet Spott.
Vom Eingang torkelte ein Mann mit schwerer Schlagseite quer durch die Bar, erreichte die Theke mit Mühe und Not, klammerte sich fest und lallte: »Bourbon on the Rocks!«
Angie Howell wandte sich ihm zu. »Morris, ich wette, du hast die Schlussszenen noch nicht umgeschrieben. Buster feuert dich!«
Ich erkannte in dem Betrunkenen den Drehbuchautor, jenen bebrillten, schmächtigen Kettenraucher, dessen Protest vom Regisseur niedergebrüllt worden war. Jetzt machte Morris Gallagher den Eindruck, als wäre er vom Kettenrauchen zum Dauertrinken übergegangen.
Mit Anstrengung erkletterte er den Barhocker an Angie Howells freier Seite und sah dabei aus wie ein großer, ungeschickt krabbelnder Käfer. Endlich saß er oben.
Er verzog den Mund zu einem ungeschickten Grinsen und zeigte stockfleckige, nikotinverfärbte Zähne.
»Mich feuert niemand«, versicherte er mit schwerer Zunge. »Wenn dein Chef versucht, mich zu feuern, wird er gefeuert.« Gallagher streckte den Arm aus und krümmte den Zeigefinger, als drücke er auf einen Abzug. »Aber so! Peng, peng, peng!«
»Geben Sie ihm einen doppelten Mokka!«, befahl Frau dem Barkeeper.
Der Drehbuchschreiber warf sich ungeschickt in die Brust.
»Ich bin viel wichtiger als Dean Buster! Ein Regisseur kann nur verfilmen, was mir einfällt.« Er klopfte sich vor die Stirn. »Alles kommt von da!«
Der Keeper stellte den Kaffee vor Gallagher hin.
»Ich will Bourbon!«, protestierte Gallagher.
Die Frau schob ihm eine Zigarette zwischen die Lippen. »Schluss mit dem Alkohol!«
»Warum bist du nicht Krankenschwester geworden?«, sagte eine Männerstimme hinter uns.
Ich drehte mich um.
Mike Globe, Stuntman für den Star der Crake-Serie und nach eigener Angabe Chef der übrigen Filmartisten, musste dem betrunkenen Drehbuchautor gefolgt sein. Globe hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Rocky Roon. Größe und Gestalt beider Männer stimmten weitgehend überein. Nur war Globes Gesicht nicht so glatt wie das des Schauspielers. Der größte Unterschied lag im Haar. Globe war blond und trug das Haar kurz geschnitten, ein Unterschied, der sich durch eine Perücke leicht ausgleichen ließ.
Angie Howells Augen verdunkelten sich.