Jerry Cotton Sonder-Edition 251 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 251 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Die Roulettekugel rollte. Ich hatte mein letztes Geld gesetzt. Alles auf die Dreizehn! Bevor die Kugel zum Stillstand kam, fiel mein Blick auf meinen Feind, den Bankhalter. Nichts geht mehr, las ich in seinem kalten Auge, außer Mord ...

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Seitenzahl: 198

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Nichts geht mehr – außer Mord

1

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Vorschau

Impressum

Nichts geht mehr – außer Mord

Die Roulettekugel rollte. Ich hatte mein letztes Geld gesetzt. Alles auf die Dreizehn! Bevor die Kugel zum Stillstand kam, fiel mein Blick auf meinen Feind, den Bankhalter. Nichts geht mehr, las ich in seinem kalten Auge, außer Mord ...

1

»Mich schickt Rac«, sagte der Mann. Er zog die rechte Hand aus der Tasche des Trenchcoats.

Charles Stanwell machte keinen Versuch, aus dem Schreibtischsessel aufzustehen. Den Blick fest auf die langläufige Waffe in der Hand des Fremden gerichtet, sagte er: »Sie machen einen Fehler, wenn Sie ...«

Drei Schüsse zerschlugen den Satz. Stanwells Körper bäumte sich auf.

In den gedämpften Knall der Schüsse mischte sich ein Aufschrei. Der Täter stieß sich vom Schreibtisch ab und schnellte herum.

In der offenen Tür zu dem Anwaltsbüro standen zwei Menschen: eine Frau und ein Kind, ein Junge von zwölf oder dreizehn Jahren.

Der Mann schoss auf sie.

Kein Zögern hemmte ihn, nicht einmal für die Dauer seines Herzschlags.

»Ein Killer«, sagte Basyl Racoff, »ist nur dann erstklassig, wenn er so wenig menschliche Regungen besitzt wie eine Schlange.«

Racoff ging, während er sprach, mit großen Schritten auf und ab. Er pendelte zwischen dem Fenster und dem Barschrank an der gegenüberliegenden Wand. Ein nieselnder Novemberregen hüllte die kahlen Bäume des Central Park in graue Schleier.

»Versteh mich nicht falsch, Dinah«, sprach Racoff weiter. »Ich meine nicht, dass ein Spitzenkiller beim Töten Freude oder Lust empfinden darf. Ein Spitzenkiller wird niemals einen Mord bereuen, denn wenn er einen Auftrag ausgeführt hat, hat er nur etwas getan, das seiner Natur entsprach.«

»Dein Freund Larry hat nicht die leiseste Ähnlichkeit mit einer Schlange«, entgegnete Dinah Ross. Sie streckte den Arm aus, ergriff das Glas, das auf dem niedrigen Couchtisch stand, und setzte es an die Lippen, ohne zu trinken. »Nicht die leiseste Ähnlichkeit«, wiederholte sie. »Ich finde, er sieht sogar gut aus.« Sie rieb das Kinn am Glasrand, eine scheinbar harmlose Geste, die dennoch voller Sinnlichkeit war. »Wenn ich ihn sehe, fällt mir nicht ein kaltes Reptil ein, sondern eine Raubkatze, geschmeidig, kraftvoll, schnell und stark.«

Racoff blieb vor ihr stehen, beide Hände in die Tasche des seidenen Morgenrocks gebohrt.

»Wer sagt dir, dass ich von Larry gesprochen habe?«, fragte er und sah von oben auf Dinah herab. »Wenn ich allgemein über die Natur des Berufskillers philosophiere, darfst du nicht an eine bestimmte Person denken. Wahrscheinlich gibt es den idealen Killer in reiner Ausprägung gar nicht, denn er müsste ohne menschliche Schwächen sein.«

Dinah sah an Racoff hoch. Sie registrierte den gewölbten Bauch unter der Schlafrockseide, das Doppelkinn über dem offenen Hemdkragen, die kleinen Augen, das zynische Lächeln des schmallippigen Munds. Sie empfand Widerwillen gegen den Mann, dessen plumpes, lastendes Gewicht sie, wenn er sie nahm, in die Kissen drückte mit der erstickenden Schwere eines Albtraums. Sie kannte Racoffs Alter: vierunddreißig Jahre. Kein großer Abstand zu ihren sechsundzwanzig, aber in diesem Augenblick hatte sie das Gefühl, sich in der Gewalt eines greisenhaften Wüstlings zu befinden. Sie setzte das Glas an die Lippen und leerte es auf einen Zug.

»Du trinkst zu viel, Dinah«, sagte Racoff, und das zynische Lächeln verschwand langsam von seinem Gesicht. Er sah Dinah lange und durchdringend an. Kein Wimpernschlag milderte den Blick.

Als sie ihn nicht mehr ertragen konnte, stand Dinah auf, ging zum Barschrank und füllte ihr Glas. Instinktiv krümmte sie den Rücken, als könnte sie sich damit gegen Racoffs Blick schützen.

Sie fürchtete ihn. Er war unheimlich schlau. Manchmal schien es, als könnte er die Gedanken anderer Menschen erraten.

Der Gong schlug an. Racoff ging hinaus, um die Tür zu öffnen. Den Rücken seines Morgenrocks zierte eine große chinesische Stickerei, die einen geflügelten und feuerspeienden Drachen darstellte.

Dinah ging zum Fernsehapparat und schaltete ihn ein. Sie blickte auf die Mattscheibe, ohne die bunten Schatten darauf wahrzunehmen.

Sollte sie sich von Racoff trennen?

Seit vier Jahren lebte sie mit ihm. Er war nie kleinlich gewesen. Er hatte ihr Ringe, Armbänder, Perlenketten und einige Pelzmäntel geschenkt. Keine wirklichen Kostbarkeiten, aber auch nichts Schäbiges.

Sie überschlug den Wert. Dreißigtausend Dollar? Vierzigtausend?

Würde er ihr erlauben, alles mitzunehmen?

Sie hörte Racoffs Stimme vom Flur. Er sprach laut und dröhnend wie ein Politiker, der seine Wähler beeindrucken wollte.

Wahrscheinlich würde er versuchen, sie mit allen Mitteln zurückzuhalten. Sie wusste zu viel von seinen Unternehmungen und Geschäften. Sie kannte Namen und Zusammenhänge. Zwar hatte Racoff sie nie direkt eingeweiht, doch drei- oder viermal hatte er ihre Schönheit und ihren Sexappeal eingesetzt, um Partner oder Gegner gefügig zu machen.

Unwillkürlich schüttelte Dinah den Kopf. Nein, freiwillig würde Racoff sie nicht gehen lassen. Wenn sie sich von ihm lösen wollte, musste sie ihn zwingen.

Und womit? Drohungen würden nicht genügen.

Racoff kehrte nicht allein ins Wohnzimmer zurück. Er hatte einen Arm um die Schulter des Mannes gelegt, den er hereinführte. Er sprach auf ihn ein, er lachte, ja, er klopfte dem anderen die Wange.

»Ich freue mich, dich zu sehen, Larry«, dröhnte er. »Seit beinahe dreißig Jahren hüpft mir bei deinem Anblick das Herz vor Freude, Larry. Daran hat sich nichts geändert, seit wir beide zum ersten Mal den Stuhl von Lehrer Adam Smith angesägt haben, du das linke Bein und ich das rechte.« Er entließ den Mann aus der Umarmung. »Begrüß Dinah, und gib ihr ein Küsschen, Larry!«

»Hallo, Larry!«, sagte Dinah und ging auf den Mann zu. Sie reichte ihm beide Hände, küsste ihn auf die Wangen und ließ sich von ihm küssen. Sie hielt seine Hände während der Küsse fest. In den Sekunden der engen Berührung roch sie den herben Duft seines Rasierwassers und spürte die leise Rauigkeit seiner rasierten Haut. Ein seltsam eisiger und alle Poren erregender Schauer überfiel Dinah.

Küsste sie das Gesicht eines Mörders?

Hielt sie Hände, die getötet hatten?

Sie löste sich von Larry Trevor. Nur Blicke verbanden sie noch miteinander, und Dinah las in Trevors Augen Erstaunen, Überraschung und beinahe schon eine Frage.

Plötzlich wusste sie, was sie tun musste, wenn sie Racoff eines Tages loswerden wollte.

Eines Tages ...

»Einen Drink, Larry?«, fragte sie.

»Gerne«, antwortete er. »Bourbon auf Eis bitte.«

Er sprach leise. Seine Stimme hatte keinen besonderen Klang, so wie sein Gesicht keinen besonderen Ausdruck besaß – ein glattes, schmales Jungengesicht, das jünger wirkte als die vierunddreißig Jahre, die Trevor alt war. Genauso alt wie Racoff.

Sie waren zusammen zur Schule gegangen, hatten gemeinsam eine Tankstelle betrieben und waren zur selben Zeit nach New York gekommen.

Eigentlich hatten sie sich nie voneinander getrennt.

War es unmöglich, sie voneinander zu trennen?

Dinah hielt Trevor ihr Glas hin. »Das ist Bourbon. Ich habe ihn gerade für mich gemixt. Macht es dir etwas aus, aus meinem Glas zu trinken?«

»Nichts.« Trevor schüttelte den Kopf und nahm das Glas.

Racoff mischte sich ein. »Lippenstift verdirbt den Geschmack von Bourbon. Bevor du trinkst, sieh nach, ob sie das Glas verschmiert hat!«

Trevor trank und gab das Glas an Dinah zurück.

Racoff zeigte aufs Fenster. »Ein scheußliches Wetter! Würde es dir gefallen, New York zu verlassen und in den Süden zu gehen, Larry?«

»Wohin genau?«

»Las Vegas, zum Beispiel.«

»Warum nicht?«

Racoff legte einen Arm um Trevors, den anderen um Dinahs Schulter. Er schob sie beide gegen das Fenster.

»Seht mal raus«, sagte er. »Diese Luft zerfrisst die Lungen und macht impotent. In Nevada braucht sich niemand Sorgen zu machen, weder um den Zustand der Lungen noch um alles andere. Flieg nach Las Vegas, Larry. Ich gebe dir die Adresse eines Mannes. Er wird dir einen Job als Croupier verschaffen.«

»Croupier? Was ist das?«

»Du wirst hinter einem Spieltisch stehen und das Geld kassieren, das die Leute auf der anderen Seite verloren haben. Man wird dich anlernen. Es ist ein leichter Job.«

»Und du, Basyl?« Trevor wandte den Kopf und sah sie an. »Und Dinah?«

Niemals zuvor hatte er diese Frage gestellt.

»Wir werden nachkommen. Ich muss in New York abwickeln, Gewinne realisieren und Investitionen flüssig machen. Das wird einen oder zwei Monate dauern. Spätestens im Januar werden wir uns in Las Vegas treffen, und ich glaube, wir werden für alle Zeiten dort bleiben.«

»Willst du ein Spielcasino gründen, Rac?«, fragte Dinah.

Racoff lächelte. »Ich glaube, ich werde ein bestehendes Casino übernehmen, und es wird kein kleines sein. Habt ihr eine Vorstellung davon, wie viel Gewinn ein großes Spielcasino abwirft?«

Er drückte die Finger in ihre Schultern und in die des Mannes, den er oft als Freund bezeichnete.

»Eine direkte Beteiligung an der staatlichen Banknotendruckerei würde kaum mehr Geld abwerfen«, erklärte er unter Gelächter.

Hinter ihnen sagte die Stimme eines TV-Sprechers: »Wir bringen Nachrichten aus New York. Zu dem Mord an dem bekannten Rechtsanwalt Charles Stanwell, bei dem außer Mister Stanwell die sechsunddreißigjährige Mary McKenzie und ihr zwölfjähriger Sohn Teddy Opfer des Mörders wurden, teilt die Pressestelle des Homicide Department mit, dass ...«

»Schalt ab, Dinah!«, sagte Racoff. »Wen interessiert so etwas schon?«

Charles Stanwells Büro machte einen seltsam durchwühlten und zerstörten Eindruck, obwohl kein Möbelstück verrückt, keine Papiere verstreut worden waren. Zu viele Menschen hatten sich während der letzten zwölf Stunden in diesem Büro bewegt, hatten Akten durchblättert, Schubladen durchsucht, Spuren gesichert, Zeugen befragt und Fotos geschossen. Inzwischen hatten die meisten Mitglieder der Gruppe V des Homicide Department das Büro verlassen.

Detective Lieutenant Baldwin hockte auf einem Stuhl, stoppelbärtig und übermüdet, aber unvermindert von jenem Gefühl eines grimmigen und ohnmächtigen Zorns erfüllt, das ihn beim Anblick des hingestreckten Jungen ergriffen hatte.

Die Tür wurde geöffnet, und Baldwin hob den Kopf. Andriens, der Fingerabdruckexperte der Gruppe, kam aus dem Leichenschauhaus zurück, wo er die Prints der Opfer genommen hatte.

»Ich habe die Vergleiche durchgeführt, Lieutenant«, sagte er, kniete nieder und breitete die handtellergroßen Plastikplatten auf dem Teppich aus.

Baldwin beugte sich vor. Das Blut stieg ihm in den Kopf. Sein Gesicht lief rot an.

Andriens tippte auf eine lange Reihe von fixierten Abdrücken. »Das alles sind Prints von Charles Stanwell. Diese vier Abdrücke gehören seiner Sekretärin, die seit zwei Tagen Urlaub hat. Zwei andere stammen von der Hand des Hausmeisters, der gestern im Büro die Heizung repariert hat.«

Er hielt eine Platte hoch. Baldwin verengte die Augen.

»Der einzige Abdruck von der Frau, die erschossen wurde. Ich fand ihn auf dem Griff der Tür zwischen Wartezimmer und Stanwells Office.« Andriens legte den Abdruck zurück und wies auf vier Fixierungen. »Ungeklärte Abdrücke! Die meisten sind schwach und undeutlich. Das spricht dafür, dass sie vor Tagen oder Wochen von irgendwelchen Leuten hinterlassen wurden und nur durch Zufall dem Verwischtwerden entgingen. Ich habe nur eine Ausnahme, diese hier!«

Er reichte Baldwin die Platte.

»Was ist es?«, fragte er.

»Der linke Daumen einer Männerhand. Ich fand ihn auf der Schmalseite von Stanwells Schreibtisch. Kommen Sie, Lieutenant, ich zeige Ihnen die Stelle.«

Er führte Baldwin zum Schreibtisch, auf dem noch der Grafitstaub lag, mit dessen Hilfe Andriens die Abdrücke gesichert hatte.

»Hier fand ich ihn.« Der Printexperte wies auf die Schreibtischkante. »Meistens werden die Schmalseiten von Tischen und Türen übersehen, doch ich habe mir angewöhnt, alles mit Grafit zu bestäuben, was groß und eben genug ist, um einen Abdruck festzuhalten.«

Baldwin wies auf einen großen Fleck auf der Platte über dem Daumenabdruck. »Was ist das?«

»Es war der Abdruck einer Hand, aber er wurde verwischt und brachte nichts Brauchbares.«

Baldwin legte die Hand auf die Schreibtischplatte. Auf der anderen Seite des Tischs, Baldwin genau gegenüber, stand Stanwells Sessel mit dunklen Flecken an den Stellen, an denen der Bezugsstoff das Blut aufgesaugt hatte. Er drehte sich mit einem Ruck um, und jetzt lagen die Markierungen der beiden Körper vor ihm.

Baldwin nahm die Hand vom Schreibtisch.

»An dieser Stelle muss er gestanden haben«, sagte er. »Wenn die Ballistiker nach Vermessung der Schusskanäle die Position ausrechnen, werden sie genau diesen Fleck herausfinden, da bin ich mir schon jetzt sicher. Von diesem Platz schoss er dreimal auf Stanwell, zweimal auf die Frau und einmal auf den Jungen. Natürlich musste er sich umdrehen, als er auf die McKenzies schoss.«

Andriens nickte.

»Ich denke, dass er es verdammt hastig tat, weil sie ihn überrascht hatten. Wenn man sich hastig herumdreht, neigt jeder Mensch dazu sich abzustoßen, um dem Körper Schwung zu verleihen. Unser Mann machte keine Ausnahme. Er stieß sich mit der freien, der linken Hand vom Schreibtisch ab. Nachdem er die McKenzies niedergeschossen hatte, erinnerte er sich daran, dass er den Schreibtisch berührt hatte. Er verwischte den Handabdruck, den Abdruck seines Daumens, der auf die Kante geraten war, übersah er dagegen.«

Baldwin biss sich auf die Unterlippe und überlegte.

»Andriens, wenn wir den Kerl fassen, können wir ihn mithilfe dieses Abdrucks auf den elektrischen Stuhl bringen, auch wenn es keinen Augenzeugen mehr geben wird.«

»Noch hat der Junge eine Chance, Lieutenant.«

»Fünf Prozent nenne ich keine faire Chance! Andriens, ich werde den Fall dem FBI übergeben. Ich will, dass der Mörder gefasst wird. Es gibt nichts, was ich mir mehr wünsche. Ich mag die Luft dieser Stadt nicht atmen bei dem Gedanken, dass es die gleiche Luft ist, die einen Kerl am Leben hält, der ein Kind über den Haufen schießt.«

Er trat ans Fenster, die Hände auf dem Rücken verschränkt, und starrte in die Nacht hinaus.

Minutenlang schwieg er, bis er unvermittelt sagte: »In den Regen mischen sich Schneeflocken. Zum Teufel, in diesem Jahr schneit es schon im November. Ich wette, wir werden den ersten Verkehrszusammenbruch noch vor Weihnachten erleben.«

2

Ich schob bunte Chips über den Tresen: rote Fünfziger, blaue Hunderter, zwei lilafarbene Fünfhunderter, goldgeränderte und rechteckige orangegrelle Spielmarken mit den eingestanzten silberflirrenden Ziffern 1 000.

Der Kassierer hinter dem dick vergitterten Schalterfenster grinste. »Sieht ganz gut aus, Sir, oder?«

Ich schwieg. Der Mann hatte keine Ahnung. Überschlägig gerechnet lag ich mit rund dreitausend Steuerdollar im Minus. Seit ich vor einem Monat den ersten Hunderter auf Rot gesetzt und verloren hatte, war ich nie wieder auf den Paristand meiner Zwanzigtausend-Dollar-Ausrüstung gelangt. Ganz im Gegenteil. Noch jetzt lief es mir kalt den Rücken hinunter, wenn ich an die erste Februarwoche dachte, als in einer langen Pechsträhne meine Einsätze zu Wasser geworden waren und sich mein Spielkapital bis auf einen schäbigen Dreitausend-Dollar-Rest verflüchtigt hatte. Damals hatte sich die Alternative abgezeichnet: Mission beenden oder Ms Leeuwerey um Ausstellung einer Anweisung zu bitten.

Es gab wenige Lebewesen auf Gottes Erde, Skorpione und Giftschlangen eingeschlossen, mit denen ich den Kontakt mehr scheute als mit Ms Leeuwerey. Ihre Brillengläser waren so massiv, ihr Blick so bohrend, ihre Fragen strotzten vor Misstrauen, und ihre Äußerungen deuteten darauf hin, dass sie jeden von uns für fähig hielt, sich durch ungerechtfertigtes Abrechnen von Subwayfahrten ein Millionenvermögen auf Staatskosten zu machen.

Inzwischen hatte ich die Verluste bis auf knapp siebzehntausend Dollar Gesamtbestand ausgeglichen. Obwohl ich hoch und riskant spielte, wie meine Rolle es vorschrieb, war die Notwendigkeit der Kontaktaufnahme zu Ms Leeuwerey nun glücklicherweise in einige Ferne gerückt.

Der Kassierer sortierte die Chips. Dann zählte er. »Viertausendachthundertfünfzig, Sir. Wie wünschen Sie die Auszahlung?«

»Große Scheine bitte.«

Links und rechts von den Wechselschaltern standen bewaffnete Hauswächter in den blauen, polizeiähnlichen Uniformen des Diamond Casino, schwere Revolver in offenen Holstern am Gürtel, das Sprechfunkgerät in der linken Brusttasche, am Ärmel und auf dem Mützenband in Silberstickerei das Wort Diamond.

Am Nebenschalter wechselte die langbeinige, braunhaarige Frau, die zwei Stunden lang neben mir am Spieltisch gestanden hatte, grüne Fünf-Dollar-Chips im Wert von fünfundsechzig Dollar.

Ich verstaute meine Notenbündel. Fast gleichzeitig drehten die Frau und ich uns um. Nebeneinander gingen wir auf den Ausgang des Wechselraums zu. Im Ausgang, zwischen einem rothaarigen Wächter und einer schlanken Schwarzen, die die Uniform der Diamond-Polizei mit Grazie trug, stießen wir zusammen.

»Sorry«, sagte sie.

Ich nahm ihren Arm. »Welche Bar bevorzugen Sie? Saphir, Smaragd oder Rubin?«

Alle Einrichtungen des Diamond-Komplexes trugen die Bezeichnungen von Edelsteinen.

»Smaragd kommt nicht infrage«, antwortete sie. »Bei grüner Beleuchtung sehe ich wie eine Wasserleiche aus.«

Sie war hübsch. Ein schmales Gesicht mit schmalrückiger Nase, großer Mund mit perfekt gezeichneten Lippen, ausgeprägtes Kinn und große, langwimprige Augen von faszinierendem Blau. Die Fülle des glänzenden braunen Haars wurde von zwei Schildplattklammern nur mühsam gebändigt. Sie bewegte sich leicht wie jemand, der viel Sport trieb.

»Also Saphir Club?«

»Einverstanden.«

Wir verließen den Wechselraum. Ich bemerkte den skeptischen Blick und ein ironisches Lächeln der Diamond-Polizistin.

Vor uns lag der riesige Saal des Diamond Casino, groß wie ein überdachtes Baseballfeld, erfüllt von Scheppern und Klingeln der Slotmaschinen, von den pausenlosen Ansagen der Croupiers an einem halben Hundert Roulettetischen, den leisen Aufschreien der Gewinner und den deutlichen Seufzern der Verlierer.

Kaum jemand, ausländische Touristen vielleicht ausgenommen, legte den Kopf in den Nacken, um die fantastischen Lichtspiele zu bewundern, die pausenlos über die Decke jagten. Farbsinfonien, Feuerwerke aus Licht und Neon, Gewitterstürme raffiniertester Technik.

Weltraumkriege in Licht und künstlichem Feuer spielten sich auf der Samtschwärze der Decke ab. Maschinen zersprangen zu sprühenden Kaskaden. Lautlose Explosionen in aufzuckenden Flammen, abgelöst von riesigen glühenden Edelsteinen in Blau, Rot, Grün und schließlich überstrahlt vom betäubenden weißen Auffunkeln des Diamanten, Wahrzeichen und Namensgeber des Diamond-Unternehmens.

Und doch blieb der flaue Glanz der Münzen, mit denen Spieler die Slotmaschinen fütterten, stärker, fesselte das fahle Grün der Dollarscheine die Menschen an Roulette- und Bakkarattischen mit größerer Gewalt als das Schauspiel über ihren Köpfen.

»Haben Sie gewonnen?«, fragte die Frau.

»Heute ja.«

»Ich auch. Fünfundzwanzig Dollar. Eigentlich darf ich nicht spielen. Ich gehöre zu den Angestellten der Diamond Company.«

»Wo arbeiten Sie?«

»In der Show.« Sie lachte. »Versuchen Sie nicht, meinen Namen auf dem Programm zu finden. Ich bin nur eines von zwanzig Chorusgirls.«

»Ich kann nicht nach Ihrem Namen suchen, weil ich ihn nicht kenne.«

»Lilly Levin.« Sie sah mich erwartungsvoll an.

Ich verstand die unausgesprochene Frage.

»Jerry«, sagte ich. »Genügt Ihnen das?«

»Vorausgesetzt, dass Sie mich nicht Miss Levin nennen.«

»Ich denke nicht daran. Kommen Sie, Lilly.«

Die drei Diamond-Bars umgaben den Spielsaal wie die Blätter eines überdimensionalen Kleeblatts. Entsprechend der Farben der Edelsteine, deren Namen sie trugen, waren sie in Blau, Grün und Rot gehalten.

Im Saphir Nightclub glühten in die Wände eingelassene Vitrinen, in denen Saphirschmuck im Wert von vielen Hunderttausend Dollar ausgestellt war. Es kam vor, dass ein erfolgreicher Spieler, der seinen Gewinn feierte, zwischen zwei Tänzen eine Vitrine öffnen ließ und seiner Freundin einen Ring oder ein Halsband kaufte.

Die gläserne Tanzfläche, von unten angestrahlt, schimmerte in sattem Blau. Die Bargirls trugen blaue Kleider, die Mixer blaue Jacketts.

Ich legte die Hände um die schmale Taille der Frau und hob sie auf einen Barhocker. Obwohl sie groß war, war ihr Gewicht kaum zu spüren.

»Was wollen Sie trinken?«

»Orangensaft mit einem Schuss Champagner. Ich hasse harte Drinks. Sie machen müde und lähmen die Beine.«

Ich orderte die Drinks. »Warum dürfen Sie nicht spielen?«

»Steht im Vertrag. Showpersonal darf die Spielsäle nicht betreten. Trotzdem machen es alle. Die Wächter weisen keinen zurück.«

»Warum spielen Sie? Brauchen Sie Geld?«

»Natürlich«, antwortete sie, »aber ich glaube nicht, dass man sein Vermögen im Spielsaal verbessern kann. Mir macht das Spiel Vergnügen, doch ich riskiere nie mehr als zwanzig Dollar. Sie sind ein großer Spieler, Jerry, nicht wahr? Ich sah, wie Sie mit den rechteckigen Platten hantierten. Wie viel ist eine solche Platte wert?«

»Man nennt sie nicht Platte, sondern Plaque. Ihr Wert ist tausend Dollar.«

Ihre Augen wurden rund. »Tausend Dollar? Solche Summen setzen Sie?«

In mir keimte der Verdacht, dass sie sich naiver gab, als sie in Wahrheit war.

Ich wechselte das Thema. »Erzählen Sie mir von der Show.«

»Dafür bin ich die falsche Adresse, Jerry. Jemand, der auf der Bühne arbeitet, bekommt von der Show nur blendendes Scheinwerferlicht und die Rücken der Girls in der vorderen Reihe zu sehen.«

»Wollen wir tanzen?«, fragte ich.

Sie glitt vom Barhocker.

Klar, dass sie absolut erstklassig tanzte. Ich holte sie ziemlich dicht heran. Zwar wehrte sie sich nicht, ich spürte jedoch einen Rest Zurückhaltung. Ein Hundert-Dollar-Girl – hundert Dollar für eine gemeinsame Stunde im Hotelzimmer – schien sie nicht zu sein.

Später kam sie auf das Glücksspiel zurück.

»Wenn Sie so hoch spielen, müssen Sie reich sein, Jerry. Warum investieren Sie Ihr Geld nicht auf andere Weise?«

»Ich bin nicht reich. Gewinn ohne Risiko macht mir keinen Spaß. Darum versuche ich mein Glück am Roulettetisch.«

»Risiko gibt es auch bei anderen Unternehmen.«

»Von welchen Unternehmen reden Sie?«

Sie sog durch den Strohhalm den Rest ihres Drinks aus dem Glas. »Zum Beispiel könnten Sie eine Show finanzieren.«

Ich lachte. »Davon verstehe ich nichts, Lilly, aber ich weiß, dass eine gute Show nur mit Millionensummen finanziert werden kann. Darf ich noch einen Drink bestellen?«

»Danke. Für neun Uhr morgens ist eine Probe angesetzt. Ich sollte längst im Bett liegen.«

»Wohnen Sie im Diamond Hotel?«

»Nur indirekt. Für die Angestellten und das Showpersonal liegen die Zimmer in einem separaten Gebäude am Ende des Parks.« Sie lächelte. »Dicht neben dem Geräteschuppen.«

Wir verließen den Saphir Nightclub.

Im großen Casinosaal lief das Spiel auf unvermindert hohen Touren. Ich führte Lilly Levin durch den großen verglasten Gang, der das Casino mit dem zwanzigstöckigen Gebäude des Diamond Hotel verband. In gewisser Weise glich der Diamond-Komplex einem riesigen Termitenhügel, dessen Bewohner nur ungern die Gänge, Räume und Säle verließen, in denen sie alle ihre Bedürfnisse befriedigen konnten: essen, schlafen, lieben – und vor allen Dingen spielen.

Trotzdem gehörte ein großer tropischer Park zum Diamond-Gelände. Ein umfangreiches, teures Bewässerungssystem zauberte tropisches Wachstum aus Nevadas Wüstenerde.

Ich brachte die Frau zum Parkausgang. Lautlos glitten die Flügel der Glastür auseinander. Der schwere Duft tropischer Blüten drang auf uns ein.

Lilly reichte mir die Hand. »Gute Nacht!«

»Lassen Sie sich begleiten. Der Park ist wenig beleuchtet.«

»Ich habe keine Angst, Jerry. Las Vegas ist die sicherste Stadt der USA. Hier werden die Leute nicht in der Dunkelheit überfallen, weil jedes Casino die Möglichkeit besitzt, ihnen das Geld legal abzunehmen.«

»Überfälle kommen trotzdem vor. Meistens werden sie von ausgenommenen Spielern verübt, die sich neues Spielkapital verschaffen wollen. Natürlich sind sie in diesem Job Amateure und werden meistens gefasst.«

Ich nahm ihren Arm, und wir gingen in den Park hinaus.

Die Luft war warm. Die Wassersprenger, die sich auf allen Rasenflächen und über allen Blumenbeeten drehten, lieferten eine angenehme Frische. Groß wie Tennisplätze schimmerten die Rechtecke der beiden Swimmingpools, erhellt von Unterwasserscheinwerfern.

Zwischen den mächtigen tropischen Büschen, die den Weg säumten, herrschte Dunkelheit, wenn auch Las Vegas' Himmel in jeder Nacht das Flackern der tausend Lichtreklamen zurückwarf auf die Stadt.

Wir hatten die Swimmingpools hinter uns gelassen. Wie aus dem Boden gewachsen standen sie vor uns und sperrten den Weg. Die Umrisse ihrer Gestalten zeichneten sich ab.

Drei Männer!

Ihre Gesichter waren nicht zu erkennen.

»Gehen Sie zurück zum Hotel«, sagte ich halblaut und gab Lillys Arm frei.

Sie drehte sich um und stieß einen leisen Schrei aus.

Ich wandte den Kopf.

Zwei Männer blockierten den Rückzug.

Aus der Dreiergruppe löste sich ein Mann und kam auf uns zu.

»Du hast 'ne Menge Geld bei dir, mein Freund«, sagte er. »Her damit, und wir krümmen dir und deinem Püppchen kein Haar!«

Ich konnte nicht sehen, ob er eine Waffe in den Händen hielt. Ich ließ ihn näher herankommen, bis ich ihn in Reichweite hatte. Dann schoss ich ihn mit einem blitzschnellen Haken ab.

Er fiel um. Trotzdem hatte ich ihn nicht genau genug getroffen, denn er blieb nicht stumm, sondern schrie wütend auf.

Im nächsten Augenblick wurde die Frau von meiner Seite weggerissen. Irgendetwas Bösartiges, ein Totschläger oder ein Knüppel, zischte dicht an mir vorbei und streifte meinen linken Arm.