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Sie wollten auf einen Schlag steinreich werden. Deshalb entführten sie zwei bedeutende Firmenchefs. Es waren sehr unterschiedliche Männer. Der eine gelassen und mutig. Der andere unbeherrscht und voller Angst um sein Leben. Der Fall wurde kritisch, als beide Firmen alle Forderungen der Kidnapper ablehnten. Sie zahlten kein Lösegeld für Präsidenten ...
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Seitenzahl: 201
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Kein Lösegeld für Präsidenten
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Impressum
Kein Lösegeld für Präsidenten
Sie wollten auf einen Schlag steinreich werden. Deshalb entführten sie zwei bedeutende Firmenchefs. Es waren sehr unterschiedliche Männer. Der eine gelassen und mutig. Der andere unbeherrscht und voller Angst um sein Leben. Der Fall wurde kritisch, als beide Firmen alle Forderungen der Kidnapper ablehnten. Sie zahlten kein Lösegeld für Präsidenten ...
»Wir sollten umkehren, Señor Wester.« Der einheimische Führer beschattete die Augen mit der Hand. »In zwei Stunden geht die Sonne unter!«
»Ich will diesen verdammten Vogel finden«, antwortete Matthew Wester. »Weiter!«
Am frühen Morgen hatte Wester den Kondor geschossen. Sich überschlagend, mit schlappenden Flügeln stürzte der riesige Vogel aus dem stahlblauen Himmel, und es sah so aus, als würde er seinem Jäger vor die Füße fallen. Dann breiteten sich die mächtigen Schwingen noch einmal aus. Der Absturz ging in einen langen Gleitflug über, und der Aufwind trug das Tier in die Felsen.
Wester verfolgte den letzten Flug des Kondors im Fernglas bis zu dem Augenblick, in dem der Vogel gegen eine steile, weißlich graue Felswand prallte, senkrecht abstürzte und am Fuß der Wand im Geröll verschwand. Die Entfernung schien weniger als fünf Meilen zu betragen. Wester und Pablo, der Indioführer, waren sofort aufgebrochen, um den Kondor zu holen.
Seitdem – schon mehr als zehn Stunden – suchten sie zwischen den steilen, zerklüfteten Kalkfelsen nach Westers Jagdbeute. Wester war besessen von der Vorstellung, den Kondor als Trophäe ausgestopft über dem Kamin seiner Villa schweben zu sehen. Keiner seiner Freunde, kein anderer Direktor der Goron Chemical, kein Mitglied des New Yorker Yacht Club hatte jemals einen Kondor geschossen. Mit einem Kondor konnte er sie alle schlagen.
Die dünne Luft machte das Atmen schwer. Jetzt da die Sonne an Kraft verlor, wurde es sehr schnell kalt.
Sie arbeiteten sich am Fuß einer Felswand entlang aufwärts, von der Wester geschworen hätte, sie wäre die Wand, gegen die der Vogel geprallt war. Aber auf eine geheimnisvolle Weise sahen alle Felsen gleich aus, sobald sie sich ihnen näherten.
Wester hörte hinter sich das Geräusch fallender Steine. Er drehte sich um und griff nach dem Fernglas.
Aus einer dunklen Spalte im Felsen löste sich ein Mann. Er trug einen grüngrauen Parka. In den Händen hielt er ein Schnellfeuergewehr.
Matthew Wester erschrak. Er vertauschte das Fernglas mit dem Funksprechgerät. Hastig drückte er auf den Rufknopf. Zwar würde der Hubschrauber nicht zwischen den Felsen landen können, seine Leibwächter waren jedoch schwer bewaffnet und konnten ihm aus der Luft Feuerschutz für einen Rückzug geben.
Ein Stoß traf ihn zwischen die Schulterblätter. Er stürzte nach vorne zwischen die Steine. Dabei verlor er das Funksprechgerät.
Das Gewehr, mit dem er den Kondor erschossen hatte, rutschte von seiner Schulter. Doch er bekam es noch zu fassen und wälzte sich auf den Rücken.
Pablo trat ihm gegen den Arm. Der Indioführer trug Leinenschuhe mit Bastsohlen. Trotzdem war der Tritt so hart und genau, dass Wester das Gewehr fallen lassen musste.
In der Faust des Indios funkelte die scharfe Klinge des Messers, mit dem er bei der letzten Rast für Wester Scheiben des harten Trockenfleischs geschnitten hatte. Er beugte sich über Wester.
»Sie sind nicht umgekehrt, Señor«, sagte er. »Es ist Ihre Schuld.« Mit der freien Hand nahm er das Gewehr an sich.
Wester wagte nicht sich aufzurichten. Er hörte das Knirschen der Steine unter den Schritten der Männer, die aus den Felsen herabkamen und einer nach dem anderen in seinem Blickfeld auftauchten. Wie der erste, den er gesehen hatte, trugen sie Parkas, Baskenmützen und in den Händen Schnellfeuergewehre.
Pablo grüßte mit erhobener Faust und gab Westers Gewehr einem mageren Bärtigen mit dunklen, brennenden Augen.
Sie wechselten kurze spanische Sätze.
Dann wandte sich der Bärtige an Wester. Sein Englisch war beinahe akzentfrei. »Sie sind Gefangener der Befreiungsbewegung Frente Popular. Wenn Sie zu fliehen versuchen, werden wir Sie erschießen. Stehen Sie auf!«
Wester wurden die Hände auf den Rücken gefesselt. Sie legten ihm eine Schlinge um den Hals, und ein Mann führte ihn, als wäre er ein Maultier.
Nach zwanzig Minuten erreichten sie den Eingang einer Schlucht. Auf einem Felsblock, der den Eingang versperrte, saß ein Wächter, die Maschinenpistole quer über den gekreuzten Knien. Vor den Füßen des Mannes lag mit ausgebreiteten Schwingen ein toter Kondor.
Vierundzwanzig Stunden später erhielt die Verwaltung der Gordon Chemical Company in La Paz folgende Mitteilung.
Der Generaldirektor Matthew Wester befindet sich in der Hand der Frente Popular. Für seine Freilassung fordern wir zehn Millionen Dollar. Die Summe werden wir zum Ankauf von Waffen verwenden. Venceremos!
Das Verwaltungsgebäude der Goron Chemical am unteren Broadway galt als einer der schönsten Wolkenkratzer New Yorks. Es war ein schlanker Vierzig-Etagen-Turm aus getöntem Glas und mattem Edelstahl. Bei Nacht drehte sich auf dem Dach das leuchtende Firmensymbol, gebildet aus den verschlungenen Buchstaben G, C und C, den Initialen von Goron Chemical Company. In den Wirtschaftsblättern und an der Börse wurde der Trust als die GCC bezeichnet.
An diesem Morgen warteten etwa fünfzig Reporter auf Kenneth Frost, den Präsidenten des Verwaltungsrats der GCC. Die Pressekonferenz fand im großen Sitzungssaal statt.
Kenneth Frost betrat den Raum wenige Minuten nach zehn Uhr. Seine Anzüge bezog er aus England, die Hemden aus Italien, und die Krawatten wurden ausschließlich für ihn in einer Seidenweberei in Hongkong angefertigt. Zweimal hatten ihn die Chefredaktionen der führenden Modezeitschriften zum »bestangezogenen Mann des Jahres« gewählt.
Er war ein ausgezeichneter Segler. Sein Golfhandikap lag dicht bei dem eines guten Profispielers. Seine Freundinnen wählte er aus dem Showstar-Angebot des Broadways und Hollywoods. Zwei- oder dreimal war er in Skandale verwickelt gewesen, die einen Mann mit geringerem Stehvermögen zu Fall gebracht hätten. Frost hatte seine Präsidentensessel mit Härte und Skrupellosigkeit zu behaupten gewusst.
Er setzte sich und rückte das Mikrofon zurecht.
»Guten Morgen«, sagte er. »Ich freue mich, dass Sie der Einladung der GCC gefolgt sind. Jede Frage, die Sie mir stellen, werde ich beantworten. Erlauben Sie, dass ich vorher eine Erklärung verlese.«
Ein Mann aus seinem Stab reichte ihm eine Ledermappe.
Frost zog eine dunkle Hornbrille aus der Brusttasche, setzte sie auf und las vor.
»Die Goron Chemical Company bedauert, mitteilen zu müssen, dass der Präsident ihrer Zweigniederlassung in La Paz, Bolivien, Mister Matthew Wester, von Guerilleros der Frente Popular entführt worden ist. Eine Lösegeldforderung von zehn Millionen Dollar wurde gestellt. Die Goron Chemical Company wird nicht auf diese Forderung eingehen. Sie wird Verhandlungen mit den Entführern von Mister Matthew Wester nicht aufnehmen. Als Nachfolger für Mister Wester wurde der bisherige Vizepräsident Chuck Random ernannt. Mister Random fliegt noch heute nach La Paz.« Er klappte die Ledermappe zu und nahm die Brille ab. »Ihre Fragen, Ladys und Gentlemen!«
Ein Journalist sprang auf. »Bedeuten Ihre Worte, dass die GCC Matthew Wester seinem Schicksal überlässt?«
»Ja.«
Eine Welle der Erregung durchlief die Versammlung.
»Halten Sie Ihre Entscheidung für human?«, rief eine Frau.
»Diese Entscheidung wurde lange vor der Entführung Matthew Westers gefällt. Alle Verträge, die die GCC mit ihren Spitzenangestellten schließt, enthalten eine Klausel, in der unsere Direktoren und Präsidenten bestätigen, dass sie sich des Risikos ihrer Position bewusst sind und jede Lösegeldzahlung im Fall einer Entführung ablehnen.«
»Das ist nackte Brutalität!«, schrie die Journalistin.
Kenneth Frost lächelte. »Ma'am, ich fürchte, Sie verstehen nichts von den Bedingungen des internationalen Geschäfts. Bedauerlicherweise sind die meisten Staaten Südamerikas politisch äußerst unruhige Gebiete. Bei der Erteilung von Konzessionen für die Ausbeutung und Verarbeitung von Bodenschätzen werden ausländische Gesellschaften von den Regierungen verpflichtet, Untergrundbewegungen und Oppositionsgruppen nicht durch Zahlung von Erpressungsgeldern oder Schutzgebühren zu unterstützen. Denn diese Summen würden ja nur zur Bekämpfung der Regierung verwendet. Die Guerilleros der Frente Popular haben angekündigt, sie würden von unseren zehn Millionen Dollar Waffen kaufen. Unsere Gesellschaft würde, falls wir Matt Wester auslösen, alle Konzessionen verlieren. Glauben Sie mir, dass der Verlust einige Hundert Millionen Dollar betragen würde. Sehr viel mehr also, als für Wester verlangt wird.«
Ein grauhaariger Zeitungsmann stand auf.
»Mister Frost, sind Sie sich bewusst, dass Sie einen Mann zum Tod verurteilen?«
»Ich verbitte mir Ihre unqualifizierte Behauptung«, antwortete Frost mit Schärfe. »Sie zwingen mich, Einzelheiten der Entführung mitzuteilen, die ich lieber verschwiegen hätte, weil ich ungern einen Menschen beschuldige, der sich zweifellos in Lebensgefahr befindet. GCC gibt jährlich dreißig Millionen Dollar für die Sicherheit ihrer leitenden Angestellten aus. Die Geschäftsleitung stellt Hubschrauber, gepanzerte Limousinen und elektronisch gesicherte Häuser zur Verfügung. Sie zahlt die Gehälter einer großen Truppe erfahrener und zuverlässiger Leibwächter. Für Direktoren, Cheftechniker und Präsidenten von Tochterfirmen in besonders gefährdeten Gebieten bestehen strenge Sicherheitsanweisungen. Ich bedauere, sagen zu müssen, dass Matthew Wester gegen diese Vorschriften in unverantwortlich leichtsinniger Weise verstoßen hat, als er sich zu einem Jagdausflug in ein gefährdetes Gebiet begab. Er ließ den Hubschrauber und zwei Leibwächter zurück und vertraute sich der Führung eines Indios an, der offenbar mit den Guerilleros gemeinsame Sache machte. Ich glaube, Sie alle verstehen, dass wir unsere Investitionen in Bolivien nicht wegen des Leichtsinns eines einzelnen Mannes gefährden können.« Er blickte in die Runde. »Noch Fragen?«
»Haben Sie mit Westers Familie gesprochen?«, rief ein Journalist aus der hinteren Sitzreihe.
»Matthew Westers Gehalt läuft weiter. Sollte sein Tod irgendwann festgestellt werden, tritt eine großzügige Regelung für die Hinterbliebenen in Kraft. Die GCC lässt die Familien ihrer Mitarbeiter nicht im Stich. Unsere Sozialleistungen sind vorbildlich. Die letzte Bilanz weist in dieser Position Ausgaben von gut dreihundert Millionen Dollar aus.«
Die Journalistin, die Frost der Brutalität beschuldigt hatte, rief in den Konferenzsaal: »Wenn Sie entführt würden, Mister President, wäre bestimmt keine Summe für Ihre Freilassung zu hoch!«
»Sie irren, Ma'am!« Kenneth Frost stand auf. »Auch mein Vertrag mit der GCC enthält die Klausel, dass kein Lösegeld für mich bezahlt werden darf. Im Übrigen möchte ich niemandem raten, bei mir einen Kidnappingversuch zu starten.«
Er drehte sich halb um und wies mit einer Handbewegung auf die Angestellten der Gesellschaft. Sie hatten mit ihm den Saal betreten.
»Unter diesen meinen Mitarbeitern befinden sich einige Männer, die sehr gut schießen und sehr schnell zuschlagen können. Ich verstoße nie gegen die Sicherheitsvorschriften. Noch Fragen?«
»Welches Tier jagte Matthew Wester?«
»Soweit ich weiß, einen Kondor!«
»Sie sind sich sicher, dass sich The Prof im Klub aufhält?«, fragte der Lieutenant, der das Einsatzkommando der City Police befehligte.
»Ja«, antwortete ich lakonisch.
Der Lieutenant nahm die Mütze ab und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Dann wird es heiß hergehen. Kann ich meine Leute informieren, welchen Topkiller wir rausholen sollen?«
»Rausholen werden wir ihn, Lieutenant. Sie und Ihre Leute sollen den Block absperren für den Fall, dass wir The Prof nicht festhalten können.«
»Ich habe vierzig Männer und acht Fahrzeuge mitgebracht.«
»Das sollte genügen. Lieutenant, mahnen Sie Ihre Männer zur Vorsicht! Aber schärfen Sie ihnen auch ein, dass uns wenig daran liegt, The Prof ins Leichenschauhaus zu schleppen, statt ihn auf den Zeugenstuhl zu setzen.«
Der Lieutenant legte die Hand an die Mütze und eilte zu seinem Einsatzwagen.
Die West 59th Street zwischen Amsterdam Avenue und Westend Avenue machte in der warmen Sommernacht einen friedlichen Eindruck. Von Zeit zu Zeit glitt ein Wagen über die Fahrbahn. Noch waren Fußgänger unterwegs, denn das Gebiet im Umkreis des Lincoln Center galt auch bei Nacht als sicher.
Vor dem Eingang zum Africa 2000 Nightclub warteten ein halbes Dutzend Taxis auf Fahrgäste. In den beiden letzten Cabs saßen fünf Kollegen aus dem FBI-Hauptquartier als zweite Einsatzgruppe. Sie hatten den Auftrag, im Fall eines Schusswechsels innerhalb der Klubräume einzugreifen.
Der Mann, dem der Aufwand galt, hieß mit bürgerlichem Namen Ray Hamer. Die Unterwelt nannte ihn respektvoll The Prof, den »Profi«, und unsere Zentrale stufte ihn als äußerst gefährlichen und brutalen Berufskiller ein. Begonnen hatte Hamer als Killer der Cosa Nostra.
Später baute er sich eine eigene kleine Gang auf. Seitdem arbeitete er zwar weiter für die großen Organisationen, aber auf eigene Rechnung. Er wurde zu einem gefürchteten Wolf, zu einer hochbezahlten Größe im nie endenden Dschungelkrieg um Einfluss, Macht und Geld, in den die verschiedenen Organisationen des Verbrechens untereinander verstrickt waren.
Über viele Jahre blieb die Cosa Nostra Hamers Hauptauftraggeber. Seit einigen Monaten schien ein Wandel stattzufinden. Die alten Familienbosse, die Paten mit italienischen Namen und sizilianischen Sitten, verloren an Macht. Ihre Gangs, bisher straff organisiert nach Abstammung, Heimatsprache und Tradition, verschmolzen mit anderen Organisationen zu größeren Einheiten des Verbrechens. Die Methoden wechselten. Statt kleinkarierter Erpressung einzelner Geschäfte organisierte Gewinnabschöpfung ganzer Straßenzüge. Statt Hinterhofprostitution Sextouristik nach Jamaica und Puerto Rico. Das Rauschgiftgeschäft, dieser unerschöpfliche Geldbringer, wurde bis in die letzte Verästelung kontrolliert.
Ein anderer Name, eine neue Bezeichnung für organisiertes Verbrechen tauchte auf. Nicht mehr von der Cosa Nostra der Italoamerikaner, den Black Gangs der Schwarzen und den Clans der Iren wurde gesprochen, sondern nur noch vom Trust. Der Trust umfasste und beherrschte alle Syndikate, Familien und Ringe. Eine Aktiengesellschaft des Verbrechens, an der alle Anteile besaßen und der alle dienten.
Niemand kannte die Manager des Trust. Auch das FBI nicht. Wir registrierten die Anzeichen der Veränderung. Die Bekämpfung des Verbrechens wurde noch schwieriger. Die Aufklärungsquote sank. Mit äußerster Anstrengung bemühten sich FBI Agents, eine Spur zu finden, die in den innersten Kreis führte. Eine solche Spur schien The Prof zu sein.
In Miami hatte er einen Grundstücksmakler ermordet, der in einen Großbetrug verwickelt gewesen war. Die Gewinne dieser Betrügereien waren in unbekannte Taschen geflossen. Zwei Wochen später geschah ein Massaker unter den Angehörigen einer kleinen erfolgreichen Ostküstengang, die selbstständig bleiben wollte. Unmittelbar vor dem Anschlag, dem drei Menschen zum Opfer fielen, war Ray Hamer in der Stadt gesehen worden, und schließlich wurde er in Zusammenhang gebracht mit dem Mord an Harvey Broad, der die State Police mit Informationen beliefert hatte.
Kein Zweifel, The Prof arbeitete nicht länger für die Cosa Nostra oder irgendeine andere Gang, sondern für den Trust. Wenn wir ihn fassten, würden wir mehr über die Superorganisation erfahren.
Ich blickte auf die Armbanduhr. »Mitternacht und zehn Minuten. Gehen wir.«
Phil nickte.
Der Portier am Eingang zu Africa 2000 war ein hünenhafter Schwarzer mit dem zerschlagenen Gesicht des Ex-Boxers. Er legte die Hand an den Mützenschild.
»Sie kommen rechtzeitig zur Nightshow.« Er spitzte die Lippen. »Unsere Mädchen sind Spitzenklasse. Jede eine Schönheitskönigin.«
Ein Gang, dessen Wände mit afrikanischen Waffen geschmückt waren, führte in den Vorraum. Zwei, schlanke, langbeinige schwarze Frauen fingen uns ab.
»Dreißig Dollar Eintritt! Die ersten Drinks für Sie, Sir, und das Mädchen, das Sie einladen, sind frei.«
Phil und ich blätterten dreißig Spesendollar hin.
Die Frauen kassierten und begleiteten uns zum Perlenvorhang zwischen Garderobe und Klubraum. Sie lächelten. Ihre Zähne blitzten.
»Wenn Sie uns einladen möchten ...«, sagte eine.
»Vielleicht später, Darling«, sagte ich.
Schlanke Hände mit langen roten Fingernägeln öffneten den Perlenvorhang für uns.
Im Klub brannten nur die Tischlampen. Scheinwerfer tauchten die Tanzfläche in Licht, das zwischen Weiß, Rot und Gelb wechselte.
Drei Frauen, nackt bis auf den kurzen Lendenschurz, tanzten zum hämmernden Rhythmus afrikanischer Trommeln. Der Messingschmuck an ihren Fuß- und Handgelenken klirrte.
In Africa 2000 waren alle Frauen schwarz und alle Gäste weiß. Selbstverständlich war der Klub den politischen Organisationen der Schwarzen ein Dorn im Auge. Zwei- oder dreimal hatte es Krach gegeben. Black-Power-Gruppen hatten den Klub gestürmt und die Frauen rausgeholt, aber dieses Ereignis hatte sich trotz aller Drohungen nicht wiederholt. Mächtige Kräfte schützten den Klub. Black-Power-Führer, die zu einer neuen Aktion aufriefen, wurden zusammengeschlagen. Ihre Häuser brannten, und einer fiel einem Unfall zum Opfer.
Das Trommeln steigerte sich. Die Frauen tanzten mit stampfenden Schritten an den Rand der Tanzfläche. Ihre Glieder zuckten. Ihre Hüften vibrierten. Schritt um Schritt drangen sie mit halben Körperdrehungen zu den Tischen vor. Ihre Hände mit den langen roten Krallennägeln schlugen nach den Gästen wie Raubtierpranken. Sie griffen an, wichen zurück und wandten sich im Sprung einem anderen Tisch, anderen Gästen zu.
Natürlich war dieser Teil der Show nur eine billige Masche. Den Gästen sollte die Nähe der Frauen einheizen. Sie sollten ein bisschen um den Verstand gebracht werden, damit sie die hohen Getränkepreise in Africa 2000 vergaßen.
Die Scheinwerfer folgten den Frauen zwischen die Tischreihen. Mit den Tänzerinnen erfassten sie die Männer, mal einen feisten, lüsternen Glatzkopf, mal einen Spaßvogel, der aus seinem Sessel aufsprang und die Tanzbewegungen mitzumachen versuchte, oder Routiniers, die den Rummel kannten und sich von den Künsten der Frauen nicht aus der Ruhe bringen ließen.
Links von der Tanzfläche wechselte eine Frau die Zielrichtung für ihren Hüftschwung. Der Scheinwerfer wanderte mit. Er erfasste die Männer am Tisch.
Ich spürte Phils Hand auf der Schulter. »Da ist er, The Prof!«
Wir kannten nur Fotos von Ray Hamer, aber es gab keinen Zweifel daran, dass der richtige Mann dort saß. Er ließ keinen Blick von der tanzenden Frau, der dunkel glänzenden Haut, dem vibrierenden Körper. Hamers ausgeprägtes Profil war im Scheinwerferlicht unverkennbar. Ein mageres, zerklüftetes, hässliches Gesicht, tief liegende, seltsam glanzlose Augen, ein strichschmaler Mund über einem massigen Kinn. Das dichte schwarze Haar trug er kurz geschnitten.
Der Mann neben ihm war George Collani, der Besitzer des Klubs, ein dicklicher Vierzigjähriger mit Hängebacken und Doppelkinn, ein zwielichtiger Typ, zu dessen Charakter die Unschuldsfarbe der weißen Nelke im Knopfloch verdammt wenig passte. Er beugte sich zu Hamer, machte eine Bemerkung und brach in Gelächter aus. Ein dritter Mann saß mit Hamer und Collani am selben Tisch. Das Licht streifte ihn nur. Sein Gesicht blieb im Dunkel.
Phil und ich brauchten kein Wort zu wechseln. Wir konnten Hamer überraschen, während seine Aufmerksamkeit ganz auf den nackten Bauchnabel der Frau gerichtet war. Noch trennten uns die ganze Länge des Raums und ein gutes Dutzend voll besetzter Tische von dem Killer.
Wir arbeiteten uns an Hamer heran. Irgendwer protestierte, weil wir ihm die Sicht verdeckten.
»Zur Seite, Mann!«, knurrte er.
Ich beruhigte ihn mit einer Handbewegung. Im selben Augenblick sah ich, wie sich Ray Hamer vorbeugte und einen Gegenstand in die Hand nahm, der dicht am Sektkühler auf dem Tisch gelegen hatte. Im Licht des Scheinwerfers blinkte die Antenne eines Sprechfunkgeräts. The Prof beugte sich vor und drehte den Kopf etwas zur Seite. Kein Zweifel, er lauschte einer Mitteilung aus dem Lautsprecher des Walkie-Talkie.
Danach ging alles sehr schnell.
Hamer ließ das Sprechfunkgerät fallen, als wäre es plötzlich glühend geworden. Er sprang auf, stieß mit einem Fußtritt einen Stuhl aus dem Weg und riss die Tänzerin mit brutaler Gewalt an sich.
Einige Leute lachten, weil sie glaubten, die erotischen Turnübungen der Frau hätten den Mann verrückt gemacht. Nur wenige erkannten, dass Hamer einen schweren Revolver in der Faust hielt.
Phil versuchte, an den Prof heranzukommen, bevor er aus dem Lichtkreis verschwinden konnte. Er passierte zwei, drei Tische. Dann prallte er mit aufspringenden Leuten zusammen.
»Aus dem Weg!«, brüllte er und half mit Rippenstößen nach.
Längst hielt ich den 38er in der Hand. Schießen war unmöglich. Hamer benutzte die Frau, die nichts begriff und sich nicht einmal sträubte, als Abschirmung.
Erst jetzt brach das Trommeln ab. Auf der Beleuchterbühne wurde ein Scheinwerfer herumgeschwenkt. Der weiße Lichtfinger glitt durch den Raum, erfasste Phil.
Ray Hamer schoss sofort. Unmittelbar neben Phil warf ein Mann die Arme hoch.
Ich feuerte auf den Scheinwerfer. Mit lautem Knall zerplatzte er wie eine explodierende Sonne.
Panik brach aus. Die Menschen schrien. Tische und Stühle wurden umgestürzt. Gläser und Flaschen zerbrachen klirrend. Sekunden nach dem Platzen des Scheinwerfers erlosch jede andere Beleuchtung.
Ich brach mir Bahn zur Tanzfläche, an deren Rand Hamer gestanden hatte, als er schoss. Ich kam nicht vorwärts. Die Finsternis machte die Menschen verrückt. Sie brüllten und schlugen wild um sich.
Am Eingang tauchte das Licht von Stablampen auf. Ich hörte die Stimme Steve Dillaggios.
»FBI! Bewahren Sie Ruhe! Jeder bleibt auf seinem Platz!«
Steves Befehl wirkte Wunder. Das Geschrei ebbte ab.
Ich rief Steve an: »Alarmier die Cops! Er versucht den Durchbruch und benutzt eine Frau als Geisel!«
»Okay.« Über Sprechfunk gab er den Alarm weiter.
»Einsatzleitung FBI an Einsatzleitung City Police. Bewaffneter Durchbruchversuch wahrscheinlich! Vorsicht bei Schusswaffengebrauch! Geiselgefährdung!«
Zwei FBI-Kollegen drangen in den Raum vor. Ich ließ mir von Per Holden die Stablampe geben.
»Phil!«
»Hier!«, antwortete er. »Steve, wir brauchen eine Ambulanz! Er hat einen Mann angeschossen.«
Phil kniete neben dem Verletzten.
»Kümmere dich um den Mann!«, bat ich Holden.
Ich ließ den Lichtstrahl der Stablampe über die Gesichter gleiten, bis ich George Collani erwischte. Ich ging dicht an ihn heran.
»Sorgen Sie für Licht!«, rief ich.
»Weiß nicht, ob ich das kann. Es gab einen Kurzschluss, als der Scheinwerfer zerschossen wurde.«
»Unsinn! Das Licht wurde erst Sekunden später ausgeschaltet.«
Collani legte beide Hände an den Mund. Er trug links und rechts Ringe, deren Steine kaltes Feuerwerk sprühten.
»He, Leute, könnt ihr das Licht in Ordnung bringen?«, rief er.
»Wird versucht, Boss!«
Sekunden später flammte die Deckenbeleuchtung auf.
»Zeigen Sie uns den Weg zu den Hinterausgängen!«, schnauzte ich Collani an.
»Es gibt nur eine Treppe zur ersten Etage in meine Wohnung.«
Er log nicht. Die Fenster der Wirtschaftsräume waren vergittert. Die Garderoben der Frauen erhielten Luft und Licht durch einen schmalen, für einen Mann unpassierbaren Schacht.
Collanis Wohnung in der Etage über dem Klub besaß Fenster zur Straße.
Nichts deutete darauf hin, dass Hamer diesen Fluchtweg gewählt hätte. Denn bei einem Sprung aus der ersten Etage wäre er Steve und den Kollegen vor die Füße gefallen.
Ich nahm mir Collani noch einmal vor.
»Der Mann kann sich nicht in Luft aufgelöst haben. Legen Sie sich nicht quer, Collani!«
Er roch an der weißen Nelke im Knopfloch. »Versuchen Sie es mal im Keller. Aber Sie müssen allein runtergehen. Ich will nicht in ein Feuerwerk hineingeraten.«
Eine schmale Stahltür neben den Waschräumen verdeckte die Treppe in den Keller. Ich lief nach unten. Phil blieb in Deckung und gab mir Feuerschutz.
Der Keller war weitläufig. Abgeteilte Räume und Gänge verwandelten ihn in ein Labyrinth. Ich hörte das laute Pfeifen von Ratten, die vor dem Licht meiner Taschenlampe in ihre Löcher flüchteten. Am Ende des Hauptgangs stieß ich auf einen Mauerdurchbruch, durch den man in den Keller des Nachbarhauses gelangte.
Jenseits des Durchbruchs lag die Frau bewusstlos auf dem glitschig-schmutzigen Beton. Sie blutete aus einer Platzwunde am Hinterkopf.
Ich rief Phil, damit er sich um die Frau kümmerte, denn ihr Atem ging flach, und der Puls war kaum zu spüren. Ich drang weiter in den fremden Keller vor, bis ich auf die Treppe stieß. Von oben fiel schwaches Licht. Ich sprang die Treppe hinauf, durchquerte einen Flur, passierte eine offene Haustür und stand auf der Amsterdam Avenue. Auf der anderen Straßenseite parkte ein Streifenwagen der City Police. Die Cops nahmen bei meinem Anblick die Schrotflinte hoch.
»Arme hoch, Mann, und keine Bewegung!«
Ich gehorchte, denn manchmal sind Polizisten sehr nervös.
»FBI Agent Cotton!«, rief ich.
Ein Sergeant verließ die Deckung des Streifenwagens, kam zu mir und sah mir ins Gesicht. »Okay, G-man. Ich sah Sie vor dem Einsatz mit dem Lieutenant sprechen.«
»Irgendwer vor mir aus dem Haus gekommen?«
»Nein, Sir, aber vor zwei oder drei Minuten verließ ein Wagen den Parkplatz dort hinten. Ich habe es gemeldet, bekam jedoch keinen Befehl, das Fahrzeug zu stoppen. Der Parkplatz liegt knapp außerhalb des Sperrbereichs.«
»Danke, Sergeant.«
Ich ging in die Westend Avenue zurück. Vor dem Eingang zu Africa 2000 hatten sich Neugierige gesammelt. Eine Ambulanz fuhr unter schrillem Alarmklingeln vor.
Steve Dillaggio und die G-men überprüften die Gäste des Nachtklubs. Er sah mich fragend an.
»Wahrscheinlich hat er es geschafft«, sagte ich. »Bei Tagesanbruch können wir den Block durchkämmen, doch ich glaube nicht an einen Erfolg. Hamer ist nicht der Mann, der sich zwischen zwei Mülltonnen versteckt.«
»Wie schaffte er es, euch zu entkommen? Ihr wart dichter an ihm dran als jemals ein Polizist zuvor.«
Ich bückte mich und hob das Funksprechgerät auf.
»Damit«, antwortete ich lakonisch. »Einer seiner Leute stand draußen, beobachtete die Umgebung und warnte ihn. Vermutlich fielen ihm die Cops auf.«
Die Sanitäter legten den angeschossenen Besucher des Nachtklubs und die bewusstlose Tänzerin auf Tragen.
Als sie die Frau aufhoben, klirrten die Messingreifen an ihren Armen und Beinen. »Wo ist Collani?«
»An der Bar. Phil hält ihn unter Kontrolle.«
Ungefähr zehn Frauen, Serviererinnen und Animiergirls, auch die beiden Tänzerinnen, standen in einer dichtgedrängten Gruppe beieinander. George Collani beruhigte sie.