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Es war das größte Rauschgiftgeschäft, das die New Yorker Mafia je eingeleitet hatte. Um sechshundert Pfund ging es - für fünfzig Millionen Dollar! Bei so hohen Summen drehten selbst die abgebrühtesten Gangster durch. Die Männer, die den Tod verkauften, versuchten, sich gegenseitig auszutricksen und aus dem Weg zu räumen. Und ganz nebenbei auch Phil und mich ...
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Seitenzahl: 198
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Die den Tod verkaufen
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Impressum
Die den Tod verkaufen
Es war das größte Rauschgiftgeschäft, das die New Yorker Mafia je eingeleitet hatte. Um sechshundert Pfund reinstes Kokain ging es – für unglaubliche fünfzig Millionen Dollar! Bei so hohen Summen drehten selbst die abgebrühtesten Gangster durch. Die Männer, die den Tod verkauften, versuchten, sich gegenseitig auszutricksen und aus dem Weg zu räumen. Und ganz nebenbei auch Phil und mich ...
Schmächtige, braungesichtige Männer zerrten die letzten Kisten aus dem Bauch des plumpen Frachtflugzeugs und reichten sie weiter an andere Männer auf der Ladefläche des offenen Lastwagens. Eine Kiste rutschte den Männern aus den Händen. Sie schlug hart auf.
Wigg sah, dass der übergewichtige Aufseher zusammenzuckte.
»Keine Angst, Jo. Ohne Zünder explodiert das Zeug nicht einmal, wenn du mit einem Hammer draufschlägst.«
»Ich verstehe nichts von Sprengstoff«, antwortete der Mann und zog den Kopf tiefer zwischen den aufgestellten Kragen des pelzgefütterten Anoraks.
Randolph Master, Wiggs Partner und Co-Pilot, beugte sich aus der Ladeluke.
»Die Mühle ist leer, Dannis!«, rief er.
Wigg wandte sich an den übergewichtigen Mann. »Wir sind fertig. Gib mir die Quittung.«
Der Aufseher reichte ihm die Hälfte einer durchgerissenen Fünfdollarnote. Wigg barg sie sorgfältig in der Brusttasche seiner abgewetzten, ölfleckigen Lederjacke, die er bei allen Flügen trug.
»Warum nehmt ihr nicht Landeswährung?«, fragte er.
»Wer will schon das Scheißgeld? Es verliert seinen Wert schneller, als es sich ausgeben lässt. Ich bin mir sicher, auch ihr lasst euch die Flüge in Dollars bezahlen.«
Der Mann sprach breiten Bronx-Slang, und Wigg, selbst einige Jahre in New York gewesen, fragte sich, auf welche Weise der Mann in die Anden verschlagen worden war.
Randolph Master kam vom Flugzeug her auf sie zu. Er zitterte im eisigen Wind, der unablässig über das Hochplateau strich. »Alles okay. Wir können starten.«
»Ich wünschte, ich könnte mitfliegen«, sagte der übergewichtige Mann seufzend. »Nonstop nach New York.«
»Sorry, so viele Meilen schafft unsere Kiste nicht ohne ein paar Ruhepausen«, sagte Wigg. »Warum bleibst du hier, wenn New York dich anzieht?«
»Weil der Boss mich hergeschickt hat. Ich hatte eine spanische Mutter und verstehe die Indios zu kommandieren. Glaubt mir, Leute. Am Tag seiner Rückkehr wird José Slay das größte Fass aufmachen, das jemals in Cat's Nightclub geöffnet wurde.«
»Cat's Nightclub? Eine gute Adresse?«, fragte Wigg.
»Die beste nördlich des Harlem River.«
Die Indios, die das Flugzeug entladen hatten, näherten sich als kleine, dichtgedrängte Gruppe, eine Herde scheuer Tiere. Umgehängte Decken schützten sie notdürftig gegen die Kälte.
Ein Anführer nahm den verbeulten Hut ab. Er flüsterte spanische Worte.
Der feiste José Slay antwortete in barschen Sätzen, nahm ein Bündel Banknoten aus der Tasche und reichte sie dem Mann.
Schwacher Protest wurde aus der Gruppe laut.
»Nada más!«, schrie Slay.
»Ihnen gebt ihr keine Dollars?«, fragte Dannis Wigg.
»Dollars? Wozu? Ihre Bohnen können sie sich auch mit einheimischem Papier kaufen.«
»Wenn ihr Geld nichts taugt, warum macht ihr Geschäfte mit ihnen?«
José Slay lachte. »Weil sie eine Ware besitzen, die sich in den Staaten mit irrem Gewinn verkaufen lässt, und sie haben so viel davon, dass sie selbst darauf herumkauen.« Er wies auf die Indios. »Sie alle kauen Kokablätter. Ihre Vorfahren haben schon vor tausend Jahren Kokasträucher angepflanzt und die Blätter gekaut. Das Zeug hielt sie auf den Füßen, wenn sie ohne genügend Nahrung schuften mussten, für ihre eigenen Fürsten, für die Spanier, heute für die Großgrundbesitzer. Natürlich bringt es sie früh um. Kaum einer wird älter als vierzig.«
Er schrie den Indios Befehle zu. Sie trotteten zum Lastwagen und kletterten auf die Ladefläche.
»Könnt ihr beim nächsten Flug eine Flasche Bourbon mitbringen?«, fragte Slay. »Ich habe Angst vor dem Indioschnaps.«
»Ich werde mich danach umsehen, aber es werden enorme Preise verlangt«, sagte Wigg.
»Fünfzig Dollar ist mir ein echter Bourbon wert.«
Wigg und Randolph Master gingen zur Maschine.
»Lasst euch nicht von einem Jäger erwischen!«, schrie Slay ihnen nach.
Der Start auf der schmalen Piste war schwierig. Wigg musste die Maschine steil hochziehen und sie unmittelbar danach in eine Rechtskurve legen, um von den aufragenden Felswänden freizukommen. Fliegerische Probleme machten weder Wigg noch Randolph Master nervös. Sie waren schon auf ausgeweiteten Dschungelpfaden und gewalzten Stränden gelandet, nicht selten unter Beschuss der anderen Seite. Selbstverständlich hatten sie ihre Maschinen von solchen Behelfspisten auch wieder in die Luft gebracht.
Zehn Minuten nach dem Start keuchte die alte DC 3 über die Berggipfel westwärts. Wigg und Master machten sich keine Sorgen, weil sie die Grenzen dreier Staaten überflogen. In diesem Gebiet existierte keine Radarkontrolle, und Jagdflugzeuge schienen nur bei den Paraden der Generäle eingesetzt zu werden, um eindrucksvoll über die Köpfe der Pressevertreter hinwegzurauschen. Wigg und Master waren noch nie einer Maschine begegnet.
Sie wussten, dass sie Waffen und Munition flogen. Sie waren sich darüber klar, dass sie erschossen würden, wenn sie in die Hände der anderen Seite fielen.
Wer war die andere Seite? Die Regierung? Oder die Rebellen? Und wenn es die Rebellen waren, welche Gruppe unter ihnen war es?
Wigg und Master waren skrupellos genug, sich darüber keine Gedanken zu machen. Ihre Geschäftspartner waren US-Amerikaner, und sie zahlten in Dollars. Sie verfügten über Einfluss und Beziehungen in allen Staaten. Sie beseitigten Schwierigkeiten, wenn Schwierigkeiten auftauchten.
Als Piloten fragten sie nicht danach, welche verbrecherischen Methoden ihre Partner bei der Ausräumung von Schwierigkeiten anwendeten. Sie flogen die Fracht zum vereinbarten Risikopreis, zahlbar in schönen grünen Dollars. Natürlich verletzten sie die Gesetze der Länder, in denen sie starteten und landeten. Da es sich nicht um Gesetze der Vereinigten Staaten handelte, verschwendeten sie keinen Gedanken daran.
Allerdings legten sie großen Wert darauf, ihre Westen für die USA weiß zu halten. Denn ihr Ziel – der Lohn für ihre Verbrechen – sollte ein Bungalow in Kalifornien und eine kleine Fluggesellschaft sein, ausgerüstet mit Hubschraubern und Propellermaschinen für Besichtigungs- und Touristenflüge. Aus diesem Grund übernahmen sie nie Frachten aus oder in die Vereinigten Staaten.
Nach Einbruch der Dunkelheit landeten sie zwischen Verladekränen und Eisenbahngleisen auf einer gut beleuchteten Betonpiste. Sobald die Maschine ausgerollt war und stand, erloschen die Lampen der Landebahnbefeuerung.
Dannis Wigg und Randolph Master turnten aus der Maschine. Sie gingen auf die große Baracke aus Fertigbauteilen am Rand der Piste zu. Die Fenster waren erleuchtet. In der Baracke wartete ein Mann, den sie unter dem Namen Lad Deegan kannten.
»Hallo«, begrüßte Deegan sie in seiner kalten, finsteren Art, die Wigg und Master selbst dann zu spüren glaubten, wenn er ihnen die Anflugdaten für die Landung nannte. »Keine Probleme?«
»Absolut keine Probleme«, antwortete Wigg. »Oh, Slay wünscht sich Bourbon zum Aufwärmen. Kannst du drei oder vier Flaschen vor dem nächsten Flug besorgen?«
»Okay, er wird einen Monat warten müssen. Der Nachschub schwimmt noch auf See.« Er streckte die Hand aus.
Wigg gab ihm die Hälfte der Fünfdollarnote. Deegan öffnete eine Stahlkassette, entnahm einem Umschlag die andere Hälfte und legte die Rissstellen gegeneinander.
»In Ordnung.«
Wigg stand so nah, dass er einen Blick in die Kassette werfen konnte.
Er sah zehn oder fünfzehn grüne Dollarscheine, Einer, Fünfer, Zehner und Zwanziger. Aber von jedem Schein nur eine Hälfte.
Lad Deegan klappte den Deckel der Kassette zu, drehte den Schlüssel und zog ihn ab. Aus einer Schublade nahm er Bündel abgezählten Geldes und schob sie ihnen hin.
»Ich weiß noch nicht, wann der nächste Flug durchgeführt werden kann. Ihr werdet angerufen. Verlasst nicht die Stadt!«
Während Wigg und Master ihren Anteil in den Taschen verstauten, klebte Lad Deegan die beiden Hälften der Dollarnote mit einem durchsichtigen Klebestreifen zusammen.
Sie verließen die Baracke und kehrten zu ihrer Maschine zurück. Wigg glaubte, beim Anflug eingeschränkte Funktionsfähigkeit der Steuerhydraulik gespürt zu haben, und wenn es einen Fehler gab, wollte er ihn sofort finden, weil die Beschaffung von Ersatzteilen Probleme aufwarf, die nicht immer durch Improvisation überbrückt werden konnten.
Eine halbe Stunde hielten sie sich im Cockpit auf und suchten den Fehler. Gegen Mitternacht wurde die Landebahnbefeuerung eingeschaltet.
Wigg stülpte sich den Kopfhörer über und schaltete das Funkgerät ein. Auf der üblichen Frequenz hörte er Deegans Gespräch mit dem Piloten der anfliegenden Maschine.
»... komm runter, Ray!«
»Ja, ich sehe die Piste. Wie geht der Wind?«, antwortete der Pilot.
»Wind Null!«
Dannis Wigg nahm den Hörer ab.
»Ray Cross kommt«, sagte er.
Ray Cross gehörte wie sie zur Zunft der Luftkutscher, die gegen gute Bezahlung jede Fracht in jeden Winkel dieser Erde brachten. Cross war ein schweigsamer Engländer. Er flog eine zweimotorige Beechcraft-Maschine, die er auf Kosten der Ladekapazität durch Zusatztanks für Langstreckenflüge umgebaut hatte. Wigg und Master waren zweimal mit Cross an der Bar des Hotels gestrandet, wobei sich Cross innerhalb einer Stunde betrunken hatte, ohne mehr als ein paar belanglose Worte mit ihnen zu wechseln.
Die Beechcraft landete.
Das leichte Flugzeug brauchte zum Ausrollen nur die halbe Länge der Landebahn und kam vor der Baracke zum Stehen.
Ray Cross kletterte aus der Maschine. Der Engländer war ein langer rothaariger Mann mit schlechter Haltung. Lad Deegan kam ihm aus der Baracke entgegen. Sie schüttelten sich die Hände und gingen in die Baracke zurück.
»Ich frage mich, welche Ware Cross fliegt«, sagte Wigg. »Die Zusatztanks nehmen seiner Nussschale mindestens fünfzig Prozent des Ladegewichts.«
»Wahrscheinlich fliegt er die besseren und teuren Sachen. Zum Beispiel Elektronik.«
Motorengeräusch veranlasste sie, aus dem Cockpitfenster zu blicken.
Ein großer amerikanischer Wagen fuhr langsam über die Rollbahn. Nur ein Scheinwerfer brannte. Als das Fahrzeug in das Licht aus der Baracke geriet, erkannte Dannis Wigg einen verbeulten, von Schmutz überzogenen alten Cadillac, vermutlich 60er Modell.
Drei Männer in der üblichen Kleidung der Indios stiegen aus. Wigg fiel auf, dass der Mann, der den Cadillac gefahren hatte, für einen Indio ungewöhnlich groß war.
Deegan und Cross kamen an den Wagen. Die Männer begrüßten sich nicht. Deegan reichte dem großen Indio etwas, das wie ein Geldschein aussah. Wigg hatte das sichere Gefühl, dass es sich um die zerrissene und geflickte Fünfdollarnote handelte, deren eine Hälfte er aus den Bergen mitgebracht hatte.
Der Kofferraum des Cadillac wurde geöffnet. Die Indios trugen kleine, prall gefüllte Leinensäcke zur Beechcraft. Cross nahm die Säcke an und verstaute sie in der Maschine.
»Was verladen sie?«, fragte Wigg. »Rauschgift?«
»Heroin gibt es hier nicht.«
»Randolph, an einer Rauschgiftschiebung will ich nicht beteiligt sein.«
»Wir fliegen kein Rauschgift«, sagte Master.
Die Verladung dauerte kaum zehn Minuten. Die Indios klappten die Kofferraumhaube zu, warfen sich in den Wagen, wendeten und verschwanden in der Dunkelheit. Auch die Rückleuchten brannten nicht.
Der Tankwagen rollte an die Beechcraft. Indios, die Deegan bei Verladearbeiten beschäftigte, tankten die Maschine unter Cross' Überwachung auf.
In der DC 3 sagte Randolph Master: »Machen wir Schluss! Bei Tageslicht finden wir den Fehler leichter.«
Sie löschten die Cockpitbeleuchtung und kletterten aus der Maschine.
Das Auftanken der Beechcraft war beendet. Cross hob grüßend die Hand, Deegan rief ihnen zu: »Warum noch nicht im Bett oder an der Bar?«
»Wir suchen nach einem Fehler«, antwortete Wigg. »Wir haben ihn noch nicht gefunden.«
Zehn Minuten später, als sie auf der schlechten Küstenstraße nach Malengua fuhren, zog ein Flugzeug über sie hinweg.
»Cross ist schon unterwegs«, sagte Wigg.
Master gab keine Antwort. Er schlief.
In der Nacht fuhr Dannis Wigg aus unruhigem Schlaf auf.
Er sah über sich das braune Gesicht von Assunta, umrahmt vom wirren, tiefschwarzen Haar.
»Was ... was ist los?«, stammelte er.
»Du hast geschrien, Dannis«, sagte sie in ihrem langsamen, kehligen Englisch. »Im Schlaf geschrien.«
Sein Kopf schmerzte. Sie hatten zu viel Tequilaschnaps getrunken. Immer bekam er von dem Zeug Kopfschmerzen. Manche sagten, Tequila enthielte ...
Er erinnerte sich, von Rauschgift geträumt zu haben.
Er, Wigg, hatte am Steuer eines Flugzeugs die Straßen einer Stadt sehr niedrig überflogen. Wie in Vietnam schaltete er die Sprühdüsen ein, um das Entlaubungsmittel abzulassen. Aber es gab keine Bäume in den Straßen, und aus den Düsen rieselten weiße, dünne Kristalle, harmlos aussehend wie Schnee, auf die Stadt nieder.
Menschen fingen die Kristalle auf. Sie waren aus ihren Autos gestiegen, um dem seltsamen Schnee nachzujagen, und die Kristalle schmolzen auf ihrer Haut, ihren Lippen. Dann erfasste ein hektischer Taumel alle Leute. Sie fanden sich zu tanzenden Gruppen zusammen, rissen sich die Kleider vom Leib. Alle Bewegungen, alle Gesten verkamen zu verzweifelt krampfigen Zuckungen. Die Gesichter nahmen in Wiggs Traum die Züge gespenstischer Masken an oder schrumpften zu vertrockneten Mumien, aus deren offenen Mündern gelbe Zahnreihen bleckten.
Wigg versuchte, die Geschwindigkeit zu erhöhen und die Maschine hochzuziehen, doch nichts gelang ihm. Ausgestreckte Arme und Hände hatten sich zu einem Spinnennetz verwoben, in das sich sein Flugzeug zu verfangen drohte. In diesem Augenblick hatte er geschrien ...
Assunta schob sich an ihn heran und streichelte ihn.
»Armer Dannis«, flüsterte sie. »Warum Angst?«
Wigg fühlte ihre Haut, die warme Glätte ihres Körpers. Sie war nackt unter der leichten Decke, wie sie am Tag unter dem einfachen Kattunkleid nackt war. Sie war für ihn da, gefügig seinen Wünschen, willig und voll Verlangen. Vielleicht liebte sie ihn sogar.
Er warf sich herum, suchte ihre Lippen und atmete den Geruch ihrer Haut.
Vor den Gespenstern des Traums floh er in die Arme der Frau.
Ich erinnerte mich gut an Mike Manor.
Unsere erste und einzige Begegnung ereignete sich an einem milden Frühlingstag im April. John D. High machte uns bekannt.
»Das ist Mike Manor von der IR-Sektion«, sagte er. »Ich möchte, dass Sie ihm helfen, einen Dealer zu fangen.«
Manor war ein großer braunhaariger Bursche von knapp dreißig Jahren. Er hatte einen breiten, geraden Rücken und lange Holzfällerarme mit mächtigen Händen. Sein Gesicht hatte jungenhafte Züge. Trotzdem waren seine Augen ernst.
»Einen bestimmten Dealer?«, fragte ich.
»Nein«, antwortete er. »Irgendeiner genügt. Ich will sein Warenangebot sehen.«
Die Dealerjagd in den Straßen New Yorks war im Grunde Aufgabe der City Police. Viele Jahre lang gaben sich die Cops redlich Mühe, Dealer und Pusher von den Straßenecken wegzufangen. Sie füllten die Gerichtssäle und Gefängnisse mit Kleinhändlern, von denen die meisten selbst süchtig waren, ohne mehr zu erreichen als einen beschleunigten Personalwechsel auf der untersten Ebene des schmutzigsten Geschäfts der Welt.
Inzwischen war die tägliche Jagd längst eingestellt worden. Von Zeit zu Zeit wurde eine Razzia veranstaltet, mehr der Optik wegen als in Hoffnung auf einen durchgreifenden Erfolg.
Der ernsthafte Kampf gegen die Rauschgiftpest wurde lautlos und im Untergrund von speziellen Organisationen geführt. In erster Linie von den Agents der Rauschgift-Squad, den Männern des Narcotic Committee und vom FBI, weil sich die Gangster, die im Giftgeschäft Millionengewinne schaufelten, nicht an die Grenzen der Bundesstaaten hielten. Manor war Agent beim Narcotic Committee. Die Buchstaben I und R in der Abteilungsbezeichnung standen für International Researches, Internationale Nachforschungen.
Wir packten Mike in einen verbeulten, ungewaschenen Wagen, der bewusst nur unter der Motorhaube gepflegt wurde, um mit ihm in Gebiete vordringen zu können, in denen ein sauberes Auto Steinwürfe provozierte. Phil übernahm das Steuer, und ich fragte Mike ein bisschen aus.
»Schon lange bei Narcotics?«
»Fünf Jahre.« Er sprach leise und mit zurückhaltender Freundlichkeit.
»Hatten Sie schon einen Auslandseinsatz?«
»Bis vor zwei Wochen arbeitete ich in Südamerika.«
»Welches Land?«
»Ich begann in Mexiko und geriet immer weiter nach Süden.«
»Arbeiten Sie mit den örtlichen Behörden zusammen?«
Er legte die Hände gegeneinander. Sie waren tatsächlich ungewöhnlich groß. »Die Regierungen bewilligen den Einsatz ausländischer Narcotic Agents. Trotzdem finden wir nicht überall Freunde.«
Phil steuerte die Amsterdam Avenue hoch. Keine Ahnung, wie viele Straßenecken, Plätze und Treffpunkte in New York existierten, an denen Rauschgift so gehandelt wurde wie auf einem Markt. Zwei oder drei Dutzend waren es mindestens. Von Zeit zu Zeit wechselten sie ihre Standorte, wenn die Polizei zu oft aufgetaucht war oder wenn es irgendeinen Ärger gegeben hatte, der das Geschäft störte: Schlägereien mit Süchtigen, die nicht zahlen konnten, oder Überfälle von Straßengangs, die sich die teure Ware mit Gewalt verschaffen wollten.
Seit Wochen gab es jeden Vormittag einen großen Markt im Bereich Amsterdam Avenue und der 106th bis 110th Street. Ein günstiger Standort, denn Harlem mit seinem großen Reservoir an Süchtigen war nicht weit, und die Studenten der Columbia Universität bevölkerten den Bezirk.
Als wir die 106th Street passiert hatten, drosselte Phil das Tempo. Die Dealer standen in kleinen Gruppen zusammen oder gingen gemächlich auf und ab. Viele waren auf den ersten Blick nicht von den Käufern zu unterscheiden. Die Verwahrlosung, die Rauschgift verursachte, machte alle zu grauen, schmutzigen Gestalten. Nur selten tänzelte ein Schwarzer in bunten, auffälligen Kleidern an den Hauswänden entlang, den Transistor am Ohr. Ein Zuhälter, der Rauschgift als Lockmittel an süchtige Mädchen verschenkte, um sie dann für sich arbeiten zu lassen.
»Haben Sie sich einen ausgemacht?«, fragte ich.
Manor antwortete nicht. Ich sah mit Erstaunen, dass er verbissen aus dem Fenster starrte. Auf seinen Wangen zeichneten sich rote Flecke ab.
Phil bog in die 107th Street ein. Langsam ließ er den verbeulten Wagen an einigen Puerto-Ricanern vorbeirollen. Eine junge Frau mit braunem, verfilzten Haar und weißem Gesicht streckte die Hand nach uns aus. Zwei Schwarze sahen uns misstrauisch an.
»Den Weißen an dem blauen Auto!«, sagte Manor plötzlich. »Er verkauft gerade ...«
Der Mann, den er meinte, stand dicht am Straßenrand und hatte sich vorgebeugt, um mit den Insassen eines blauen Rabbit zu sprechen. Er richtete sich auf und schob Geld in die Brusttasche seiner schwarzen Lederjacke.
Phil gab Gas. Das Heulen des Motors genügte, die Dealer aufzuscheuchen. Sie flitzten nach allen Seiten davon.
Der Mann in der schwarzen Lederjacke warf den Kopf hoch. Er trug einen schütteren fahlblonden Bart. Instinktiv witterte er, dass er gemeint war. Mit langen Sätzen floh er.
Phil umkurvte den blauen Rabbit, zog unseren Wagen herum, stellte ihn quer und stieg in die Bremse. Genau in der Sekunde gab der Fahrer des Rabbit in der Hoffnung Gas, noch davonzukommen. Blech knallte auf Blech. Glaskrümel regneten auf uns ein, und die verklemmte Hupe des Rabbit heulte laut auf.
Von alldem wurde Mike Manor nicht beeindruckt. Schneller als Phil oder ich stieß er die Tür auf der freien Seite auf und rannte dem flüchtenden Dealer hinterher. Er holte ihn ein, und ich glaubte, dass er ihn mit einem Schlag zwischen die Schultern stoppte, denn der Mann stürzte aus vollem Lauf auf das Pflaster, rutschte zwei, drei Yards auf dem Bauch, überschlug sich und blieb auf dem Rücken liegen. Manor warf sich auf ihn, als wollte er ihn mit dem Gewicht seines Körpers erdrücken.
Die Tür auf meiner Seite war durch den Zusammenstoß blockiert. Phil sprang aus dem Wagen. Ich rutschte am Steuerrad vorbei und folgte ihm.
Wir kümmerten uns um die Leute im Rabbit. Hinter dem Steuer saß wie versteinert ein ungefähr zwanzigjähriger Mann. Auf dem Rücksitz heulten zwei Frauen, die noch jünger waren. Wir holten sie raus und ließen sie die Arme hochnehmen. Phil tastete den Mann ab. Bewaffnet war er nicht.
Ich ging zu Manor. Er kniete jetzt hinter dem Dealer und hielt dessen Hände an den Gelenken fest.
»Er wirft sonst seine Ware weg«, sagte er. »Legen Sie ihm Handschellen an!«
Der Dealer war kein junger Mann. Ich schätzte ihn auf vierzig Jahre. Er hatte ein hartfaltiges, mageres Gesicht. Sein Haar war so schütter wie sein Bart. Seine Kleidung verriet, dass er Geld zu machen verstand. Unter der Lederjacke trug er ein Seidenhemd. Am Handgelenk eine Uhr, deren Gehäuse mit Brillanten besetzt war. Ringe schmückten seine Finger. An einer Kette baumelte ein goldener Anhänger, ein Talisman mit obszönen Motiven.
Ich fügte dem mannigfachen Schmuck ein Paar Handschellen aus silbern schimmerndem Edelstahl zu. Sobald die Hände des Dealers fixiert waren, räumte Manor die Taschen des Mannes aus.
Er fand eine dicke Rolle Dollarnoten, die er mir ebenso zuwarf wie eine Brieftasche aus Krokodilleder, in der der Führerschein des Dealers steckte, ausgestellt auf den Namen Walt Sawka.
Unterdessen holte Manor eine erstaunliche Anzahl briefmarkengroßer, zusammengefalteter Papierchips aus der Kleidung unseres Gefangenen. Er schien jedes denkbare Versteck zu kennen. Als er das Innenfutter der Lederjacke aufriss, fielen ihm noch ein Dutzend Portionen in die Hand.
»Gar nicht so klein, der Fisch«, sagte er.
Nicht die Dealer, aber die Süchtigen tauchten aus den Türnischen, Hausfluren, von den Hinterhöfen, in die sie geflüchtet waren, wieder auf. Zögernd zuerst, dann immer hemmungsloser drängten sie heran.
Manor verstaute die Rauschgiftbriefchen in seinen Jackentaschen.
»Wäre gut, wenn die Cops kämen.« Er packte den Dealer an den Schultern und stellte ihn so mühelos auf die Füße, als hätte der Mann kein Gewicht.
Unter den Süchtigen erkannte ich das verwahrloste Mädchen, das uns zugewinkt hatte. Aus der vordersten Reihe schob es sich, den Blick starr auf uns gerichtet, mit seltsam ruckartigen Bewegungen näher.
»Sie kommen immer zurück, wenn ein Dealer verhaftet worden ist«, sagte Manor mit einem Blick auf die Gruppe. »Sie hoffen, die Chips zu finden, die von den Dealern weggeworfen werden, wenn sie nicht mehr flüchten können.«
Das Mädchen streckte beide Hände aus. »He, Mann! Gib mir einen Chip! Bitte ...« Es zog die Silben zu einem nervensägenden Singsang lang. »Ihr habt so viel davon! Schenkt mir einen ...«
Manors sonst so ruhiges, beinahe steinernes Gesicht verzerrte sich.
»Rufen Sie die Cops!«, knurrte er mich an. »Wenn wir noch lange hier herumstehen, werden die Freaks über uns herfallen und versuchen, uns die Ware mit Gewalt wegzunehmen. Ich habe keine Lust, mich mit Kranken prügeln zu müssen.«
Ein halbes Dutzend Typen, Frauen und Männer, fielen in den Singsang des Mädchens ein: »Schenkt uns! Gebt uns ...!«
Irgendwer schrie eine erste Drohung. »Raus mit dem Stoff oder ...!«
Zum Glück durchschnitt die Sirene eines Streifenwagens das Geheul. Als die Cops ausstiegen, zogen sich die Süchtigen zurück. Wir übergaben den Beamten die Kunden des Dealers aus dem Rabbit. Walt Sawka nahmen wir mit ins FBI-Hauptquartier.
Von außen war es ein gewöhnlicher Aktenkoffer. Innen war er mit Schaumgummi ausgepolstert und enthielt Chemikalien, Glasröhrchen und Reagenzien.
»Genügt Ihnen nicht eine Spur auf der Zungenspitze, um das Zeug als Heroin zu erkennen?«, fragte Phil.
»Natürlich«, antwortete Manor, »aber ich nehme an, dass Sawka nicht nur mit Heroin handelt.«
Der Dealer starrte stumpf vor sich hin. Wir hatten eine kurze Vernehmung durchgeführt und ihn von einem Arzt untersuchen lassen. Der Arzt hatte keine Injektionsspuren gefunden. Sawka schien nicht süchtig zu sein, sondern zu jenen kalten Händlertypen zu gehören, die ins Rauschgiftgeschäft einstiegen, um möglichst schnell viele Dollars zu machen.
Manor sortierte die Papierchips. Ich sah, dass für die Herstellung der Rauschgiftbriefchen Papier von verschiedener Farbe verwendet worden war, blaues, weißes, rotes. Die weißen Chips waren in der Überzahl. Blaue Briefchen gab es ungefähr zehn und von den roten nur vier.
Von jeder Farbe faltete Manor einen Chip auseinander. Sie alle enthielten eine winzige Spur staubfreier weißer Kristalle. Unterschiede waren nicht zu erkennen.
Selbstverständlich hätten wir das Rauschgift im Labor untersuchen lassen können, Manor schien jedoch alles selbst machen zu wollen. Er hantierte geschickt mit den Glasröhrchen, tropfte Reagenzien zu den in Wasser gelösten Kristallen und tauchte schmale Streifen Testpapier in die Flüssigkeit. Unterschiedliche Verfärbungen zeichneten sich auf dem Papier ab. Die ganze Untersuchung dauerte kaum zehn Minuten.
»Gebt mir 'ne Zigarette!«, verlangte Sawka.
Wir beachteten ihn nicht. Wir sahen Mike Manor zu.
Er zeigte uns die Teststreifen. »Wie ich erwartet habe. Sie vergrößern das Angebot.«
»Was heißt das?«
»Das Syndikat handelt wie das Management einer«, er suchte nach dem passenden Vergleich, »einer Waschmittelfabrik. Sie sagen sich: Von unserem Standardwaschmittel verkaufen wir eine große Menge Pakete. Doch wir müssen den Markt ausweiten und dem Verkauf neue Impulse geben. Okay, Leute, lasst uns noch ein Mittel für Seidenwäsche auf den Markt werfen. Und weil wir einmal dabei sind, drücken wir auch noch ein Superwaschmittel rein, mit dem die dicksten Flecken rausgehen.«
Er sprach in einem gelassenen Tonfall und atmete heftig. Mit dem Zeigefinger seiner großen Holzfällerhand wies er auf einen weißen Chip.
»Das Standardwaschmittel! Heroin! Absatz durch Hunderttausende von Süchtigen garantiert!« Mit zwei Fingern ergriff er ein blaues Briefchen. »Für Seidenwäsche! Kokain! Oder Charly! Oder Schnee! Oder einfach K.«
»Und in den roten Chips?«, fragte Phil.