Jerry Cotton Sonder-Edition 254 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 254 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Nacht für Nacht schlich er durch die Straßen von New York und erschoss kleine Gangster aus dem Hinterhalt. Uns vom FBI beschimpfte die Presse, weil er uns immer entkam. Ihn machte sie zum Volkshelden, der dem Verbrechen den Krieg erklärt hatte. Ein Reporter schrieb eine ganze Serie über ihn - Unser Freund, der Mörder! In diesem Augenblick zeigte "unser Freund" sein wahres Gesicht, und Entsetzen packte die Stadt ...

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Seitenzahl: 200

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Unser Freund, der Mörder

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Vorschau

Impressum

Unser Freund, der Mörder

Nacht für Nacht schlich er durch die Straßen von New York und erschoss kleine Gangster aus dem Hinterhalt. Uns vom FBI beschimpfte die Presse, weil er uns immer entkam. Ihn machte sie zum Volkshelden, der dem Verbrechen den Krieg erklärt hatte. Ein Reporter schrieb eine ganze Serie über ihn – Unser Freund, der Mörder! In diesem Augenblick zeigte »unser Freund« sein wahres Gesicht, und Entsetzen packte die Stadt ...

1

Die Räder des Mercury rollten durch ein Schlagloch. Wasser spritzte über die ganze Breite des Bürgersteigs bis an die Hauswände. Dann wurde der Wagen so hart abgebremst, dass er einige Yards über die regennasse Straße schlitterte, bevor er stand.

Maggie öffnete den Schlag. Die Innenbeleuchtung schaltete sich ein. Der Mann am Steuer blickte stur geradeaus.

»Bye, Billy«, sagte Maggie. Der Mann hatte behauptet, er hieße Billy. Deshalb nannte sie ihn so, obwohl sie überzeugt war, dass weder er noch sein Großvater oder irgendwer sonst in seiner Familie Billy hieß. Alle Kunden gaben falsche Namen an.

»Habe ich dir gefallen, Billy?«, fragte sie.

Billy antwortete nicht.

»Komm mal wieder vorbei, wenn dir danach ist.«

»Mache ich«, grunzte Billy. »Nun steig schon aus. Ich muss weiter.«

»Bastard!«, zischte Maggie und schwang die Beine aus dem Wagen. Ihr Rock rutschte weitere fünf Zoll nach oben. Als Mode war Mini längst gestorben, als Berufskleidung noch immer unschlagbar.

Draußen regnete es.

»Ach, verdammt!« Maggie wandte den Kopf. »Hör mal, Junge. Du könntest mich noch zu 'nem wärmenden Drink einladen. Im nächsten Block weiß ich eine Cafeteria.«

Ihr graute vor der kalten und nassen Straße. Selbst Billys Gesellschaft war ihr in diesem Augenblick lieber.

»Keine Zeit. Du hast alles bekommen, was du verlangt hast. Steig endlich aus!«

»Fucking bastard«, sagte Maggie. Doch es klang mehr wie ein Seufzer als eine Beschimpfung.

Der Regen war eisig. Die windgepeitschten Tropfen schmerzten wie Nadelstiche. Schwankend auf zollhohen Stöckelabsätzen hastete Maggie über den Bürgersteig in den Schutz eines Vordachs. Hinter ihr zog Billy die Tür ins Schloss und gab so heftig Gas, als gälte es, einer Gefahr zu entrinnen.

Maggie schüttelte die Tropfen aus dem Haar, öffnete ihre Handtasche und tupfte mit einem Tuch ihr geschminktes Gesicht ab. Sie murmelte Flüche, und sie fror.

Die Straße war menschenleer. Der Regen hatte die Frauen in die Türnischen und Toreinfahrten getrieben.

Von der anderen Straßenseite gellte ein schriller Pfiff, ein hartes und böses Signal, unter dem Maggie zusammenzuckte.

Aus der Dunkelheit einer Toreinfahrt löste sich die Gestalt eines Mannes. Maggie erkannte den goldbraunen Farbton des Alcantara-Mantels. Sie hatte den Mantel bezahlt. Siebenhundertvierzig Dollar bei Salks' in der Fifth Avenue. In der Nacht nach dem Kauf war sie von Hulk geschlagen worden. Als sie ihn an den Mantel und seinen Preis erinnert hatte, hatte er laut gelacht.

Hulk hielt sich dicht an den Hauswänden, bis er das beleuchtete Schaufenster eines Perückengeschäfts erreicht hatte, über dem eine Jalousie den Regen abhielt.

Er pfiff noch einmal sein Signal.

Maggie ging bis an den Rand des Vordachs, winkte und rief: »Hier bin ich!«

»Komm rüber!«, rief er zurück.

»Hulk, es regnet so ... Ich ruiniere meine Frisur.«

»Komm rüber!«, brüllte er.

Sie kannte ihn, instinktsicher wie ein gezähmtes Tier den Dompteur kante, und wusste, wann es die Peitsche zu erwarten hatte. Sie lief in den Regen hinaus, überquerte die Fahrbahn und kam, durchnässt schon wie eine Katze, vor dem Perückenfenster an.

Hulk lehnte an der Schaufensterscheibe, die Hände in den Taschen des Mantels. Als Weißer war Hulk eine Ausnahme unter New Yorks Zuhältern. Zuhälterei war ein »schwarzes« Geschäft, beherrscht von großen, schlanken, bösartigen Schwarzen mit einer Vorliebe für grelle, ausgefallene Kleidung und einer bemerkenswerten Begabung im Gebrauch großer Schnappmesser.

Hulk hatte nach einer Serie von Niederlagen im Halbschwergewicht herausgefunden, dass es einfacher war, mit der Schlagkraft seiner Fäuste Frauen auf die Straße zu treiben als einen ungefähr gleich starken Mann auf die Bretter zu schicken. Die Auseinandersetzung mit den Konkurrenten hatte er dank gewisser Gönner überstanden. Schwierigkeiten mit der Polizei, verursacht durch aufsässige Frauen, hatten dieselben Gönner bereinigt.

Jetzt lief das Geschäft. Hulk sah noch gut genug aus, um ausgerissene Provinzmädchen aufzugabeln und »einzuarbeiten«, wie der Jargon die Phase der Vorbereitung nannte. Er arbeitete nicht mit Rauschgift. So blieben Hulks Frauen länger gesund und wurden nicht so leicht hysterisch wie Druggies, bei denen immer die Gefahr lauerte, dass sie durchdrehten und zur Polizei rannten.

»He, Maggie«, sagte Hulk. »Wie viel hast du?«

Maggie wollte ihn küssen. Sie empfand das Bedürfnis nach der Wärme eines Menschen. Unter Hunderten von Männern, mit denen sie sich einließ, war Hulk ihre einzige wirkliche Bezugsperson.

Er streckte die Hand aus und hielt sie auf Abstand. »Du bist zu nass! Wie viel?«

»Ungefähr zweihundert.«

»Lüg nicht!«

»Ich lüge nicht, Hulk. Ich hatte nur drei Kunden. Sieh dir das Wetter an.«

Er nahm ihr die Handtasche vom Arm und öffnete sie. Er hielt die Tasche so, dass das Licht des Schaufensters hineinfiel. Er fand eine dünne Rolle Geldscheine und eine Zwanzigdollarnote in einem Nebenfach. Er überprüfte Maggies Puderdose und ihr Zigarettenetui aus poliertem Aluminium, das er ihr geschenkt hatte. Dann gab er die Tasche zurück und zählte das Geld.

»Zweihundertachtzig Dollar. Warum lügst du?«

»Nimm nicht alles, Hulk. Ich brauche das Geld für den Friseur und für ...«

»Dann verdien noch ein bisschen, Honey. Die Nacht ist noch lang.« Er drehte Maggie um und versetzte ihr einen Schlag auf den prall verpackten Hintern. »Los, los, Darling. Damit lassen sich mühelos ein paar Hunderter aufreißen, wenn du ihn nur richtig bewegst.«

Er stellte den Kragen hoch, zog den Hut tiefer in die Stirn und ging dicht an den Hauswänden entlang.

»Bastard!«, rief Maggie ihm nach. »Fucking bastard!«

Hulks Wagen stand in der übernächsten Querstraße. Es gehörte zu den Vorsichtsmaßnahmen des Gewerbes, die Frauen nicht vor einem Auto abzukassieren, dessen Nummer von der Polizei notiert werden konnte.

Die übernächste Querstraße, die West 136th Street, war so menschenleer wie die 134th, in der die Frauen arbeiteten.

Hulks Wagen war ein protziger, aufgemotzter, mit allerlei Zusatzgerät herausgeputzter Sportmercedes, ein Zweithandauto zwar, aber noch immer zwanzigtausend Dollar wert. Nur zwanzig Schritt vor diesem Statussymbol seines Berufs wurde Hulk von zwei gelb-roten Blitzen, die in der Tiefe einer nachtschwarzen Toreinfahrt aufzuckten, geblendet.

Zwei krachende Donnerschläge trafen ihn mit betäubender, fast körperlicher Gewalt. Eine unsichtbare Riesenhand riss ihm die Beine unter dem Körper weg. Hulk brachte die Hände nicht mehr aus den Manteltaschen. Flach schlug er mit Körper und Gesicht auf das regennasse Pflaster. Für Sekunden überdröhnte der Aufprall jede andere Empfindung. Dann erreichte die grelle Schmerznachricht Hulks Gehirn.

Er brüllte auf, wälzte sich auf den Rücken. Seine Hände griffen nach den Knien. Er versuchte, die Beine anzuwinkeln, aber da geschah nichts mehr.

Hulk heulte um Hilfe.

Aus der finsteren Toreinfahrt löste sich eine Gestalt und näherte sich mit großen Schritten.

In Hulks Blickfeld tauchte die weiße Fläche eines Gesichts auf. Wie glänzende schwarze Steine starrten dunkle Augen aus der konturlosen Fläche. Geflüsterte Worte, die aus weiter Ferne zu kommen schienen, trafen Hulks Ohr, sickerten durch den Schmerz in sein Bewusstsein.

»Du bist erledigt!«

Noch greller, noch dichter vor Hulks Gesicht zuckten die Blitze, und ihr weißes Feuer umfasste für den Mann auf dem nassen Pflaster das ganze Universum.

Ich hatte einen Nachtklub, zwei Kaschemmen und eine Spielhölle besucht. Jetzt ging ich die Tenth Avenue Richtung Downtown. Vor zehn Tagen war in dieser Gegend ein Mann erschossen worden. Auf die übliche Weise.

Zwei Schrotladungen aus dem Hinterhalt. Dann die tödlichen Schüsse aus der Nähe. Ich ging die Tenth Avenue hinunter als Lockvogel für den »Scavenger«, der nach dieser Methode tötete.

Ich fror und glaubte nicht, dass der kalte Regen die Ursache war. Ich fror, weil ich nicht wusste, wie ich die Schüsse aus dem Schrotgewehr, wenn sie fielen, vermeiden wollte. Schrot streute. Gegen Schrot half keine Schnelligkeit.

Meinetwegen dürfen Sie annehmen, dass ich aus Angst fror. Es wäre die Wahrheit.

Der Mann, der vor zehn Tagen erschossen worden war, hatte als »Kassierer« gegolten, als ein Erpresser, der die kleinen Geschäftsleute schröpfte. Als er starb, trug er zweitausend Dollar in den Taschen. Der Scavenger hatte nichts genommen. Er nahm nie etwas.

Jetzt kassierte ich. Fünfhundert Dollar im Nachtklub, je zweihundert in den Kaschemmen. In der Spielhölle hatte ich dem Besitzer gesagt, dass er nächstens an mich den gleichen Betrag zu zahlen habe wie an den Mann, der nun nicht mehr kommen konnte.

Die Straße war menschenleer. Hin und wieder glitt ein Taxi vorbei.

Mir ging der Gedanke durch den Kopf, zu welchen seltsamen Verbiegungen die Umstände zwingen können. Ich, ein G-man, spielte die Rolle des Gangsters, um einen Mann anzulocken, der seinerseits Gangster jagte. Einen Mann, der sich die Aufgabe gestellt hatte, New Yorks Straßen von Verbrechern zu säubern, ohne Polizeiuniform, ohne ID Card, ohne Regierungsauftrag, nur mit einer Schrotflinte und einem 41er Revolver.

Wie sich die Dinge entwickelt hatten, sah es aus, als kämpften wir an der falschen Front. Der Mann besaß die Zustimmung der Öffentlichkeit und hatte die Presse auf seiner Seite. Sechs von zehn New Yorkern fanden, dass der Mann mit der Schrotflinte und dem 41er genau das Richtige tat, und die Presse liebte ihn. Gewisse Zeitungen bejubelten jedes Opfer, und die Leute von der Birch Society und anderen rechten Vereinen forderten mehr oder weniger unverblümt, die Polizei solle den Scavenger nicht jagen, sondern sich an ihm ein Beispiel nehmen.

Zehn Schritte voraus gähnte die schwarze Öffnung einer Toreinfahrt. Ich verzögerte den Schritt. War da eine Bewegung in der Finsternis? Oder spielten mir meine Nerven einen Streich?

Ich ging weiter und erreichte die Toreinfahrt. Ich hörte den tiefen Atemzug eines Mannes, schnellte herum, riss mit der linken Hand die Jacke zur Seite weg, die Finger schlossen sich um den Griff des 38ers – ich zog!

Zwei Männer brachen aus der Toreinfahrt, ein großer, magerer Schwarzer mit langen, schlenkernden Armen und ein untersetzter, krausköpfiger Weißer in einer Lederjacke. Der Weiße schwang einen Baseballknüppel.

Ich streckte den Finger am Abzug. Das war nicht der Angriff, auf den ich seit sieben Nächten wartete. Was da aus der Toreinfahrt kam, waren gewöhnliche Nachthyänen, Süchtige wahrscheinlich, die sich das Geld für den nächsten Schuss mit Gewalt verschaffen wollten.

»Geld her!«, heulte der Weiße. »Raus mit dem Zaster, oder ich zerschlag dir den Schädel!«

Er schrie so laut wie ein Mann, der in Wahrheit Angst hatte.

Ich wich nach rechts aus, rannte aber nicht weg. Das überraschte ihn so, dass er eine Sekunde vor dem Zuschlagen zögerte. Eine Sekunde, die genügte, ihn mit einem harten linken Haken zu treffen. Es war nicht viel los mit ihm. Er fiel um wie eine schlecht aufgestellte Schaufensterpuppe. Der Baseballknüppel schlug auf das Pflaster.

Der Schwarze begriff, dass ich nicht das richtige Opfer war. Er drehte ab und flitzte mit Schnellzuggeschwindigkeit straßenabwärts. Kurz vor der Straßenkreuzung prallte er gegen ein plötzlich aufgetauchtes Hindernis, fiel und rollte über das Pflaster bis in die Gosse, in der das Pfützenwasser aufspritzte. Der Mann, der ihn gestoppt hatte, ging zu ihm.

Ich hob den Baseballknüppel auf. Der Weiße lag auf dem Rücken.

Als ich mich über ihn beugte, den Holzschläger in der Hand, hob er beide Arme, kreuzte sie vor dem Gesicht und wimmerte: »Bring mich nicht um! Bitte!«

Ich durchsuchte die Taschen seiner Lederjacke. Ich fand einen Führerschein und eine Sozialkarte. Es passte nicht zu meiner Rolle, ihn zu verhaften, doch die Papiere würden es der City Police ermöglichen, ihn später zu kassieren.

Ich stieß einen Pfiff aus. Der Mann, der den Schwarzen gestoppt hatte und der niemand anderes als Phil war, antwortete. Er gab seinen Gefangenen frei und verschwand in der Dunkelheit.

Eine gute Stunde später, im ersten Licht des grauen und trüben Tages, öffnete ich den Schlag des Jaguar und ließ mich auf den Beifahrersitz fallen. Phil wartete hinterm Steuer.

»Fahr los«, sagte ich. »Fahr irgendwohin, wo es heißen Kaffee gibt.«

Phil ließ den Jaguar anrollen. Die Reifen zischten leise. Es regnete nicht mehr, aber die Straßen waren noch nass.

Ich nahm den Hörer der Sprechfunkanlage und meldete mich bei der Zentrale ab. »Phil und ich machen Schluss und legen uns für ein paar Stunden aufs Ohr.«

»Einen Augenblick, Jerry. Ich reiche dich an Steve weiter«, antwortete der Kollege.

Gleich darauf hörte ich die Stimme Steve Dillaggios, der in dieser Nacht die Einsatzleitung hatte.

»Wir haben eine Meldung der City Police reinbekommen, Jerry. Sie untersuchen einen Straßenmord in der West 136th Street. Sie sagen, es sehe wie ein Scavenger-Verbrechen aus.«

»West 136th? Das wäre ein neues Revier für ihn. Bisher ist er niemals nördlich der 60th Street aufgetaucht.«

»Die West 134th ist ein Straßenstrich. Der Mann, den er erschoss, war ein Zuhälter.«

»Okay, Steve, wir fahren hin.« Ich hängte den Hörer in die Halterung und lehnte mich zurück.

»West 136th?«, fragte Phil.

»Ja. Ich hoffe, es gibt da eine Cafeteria, die schon geöffnet ist.«

2

Zwei quergestellte Streifenwagen blockierten die Fahrbahn. Ein Polizist leitete den Verkehr um.

Mittelpunkt des Geschehens schien ein silberfarbener, protziger Mercedes-Sportwagen zu sein, um den Beamte einen Absperrungsring gezogen hatten. Nur wenige Schritte hinter dem Wagen zeichnete sich unter der abdeckenden Plane die Gestalt eines Menschen ab. Schuhe und eine Hand ragten unter dem Segeltuch hervor. Am kleinen Finger der Hand steckte ein massiger Goldring. Blut war nicht zu sehen. Der Regen hatte das Pflaster saubergespült.

Detective Lieutenant Kenneth Tanner schüttelte ein rundes Dutzend Journalisten ab und kam zu uns.

»Hallo«, grüßte er missmutig und wies mit dem Daumen auf die Reporter. »Diese Jungs fragen mich, wann wir endlich den Scavenger identifizieren, damit sie ihm den Preis für die interessanteste Persönlichkeit des Jahres verleihen können. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Sie wollen einen Killer nicht vor Gericht sehen, sondern ihm am liebsten einen Lorbeerkranz aufsetzen.«

Tanner arbeitete seit einem Jahrzehnt im Homicide Department. Seit drei Jahren führte er die zweite Abteilung. Es gab keinen Job, in dem ein Mann schneller alterte. Das Schlimmste war die Aussichtslosigkeit. Durchschnittlich vier Morde pro Nacht und alle aus nichtigen Anlässen: Streit bei einem Rauschgiftdeal, Widerstand bei einem Straßenraub, ein überraschter Einbrecher, ein Autoknacker, der um sich schoss, eine Gang, deren Mitglieder einen Mord begingen.

Die Aufklärungsquote war nicht besonders schlecht. Doch die alte Regel, dass ein aufgeklärter Mord drei andere Morde verhinderte, galt längst nicht mehr im Klima der Gewalt, das die Nächte von New York beherrschte. Kein Wunder also, dass Tanner, der Mitte vierzig war, aussah wie ein Mann Ende fünfzig.

Er hatte Übergewicht, weil er seine Enttäuschungen mit zu viel Essen und zu viel Bier ausglich. Er vernachlässigte sein Äußeres. Sein graues Haar hing in Strähnen bis auf den schmutzigen Hemdkragen. Aber er war ein guter Polizist, der seinen Job ernst nahm und dabei seine Nerven und seine Galle ruinierte.

Die Journalisten drängten nach.

Tanner brüllte seine Beamten an: »Haltet mir diese Hyänen vom Leib!«

Drei Cops sprangen vor, breiteten die Arme aus und drängten die Zeitungsleute ab.

Einer von ihnen rief: »Nennen Sie uns nicht Hyänen, Lieutenant! Das mögen wir nicht! Oder wollen Sie es schwarz auf weiß in meiner Zeitung lesen, dass ein Straßenkehrer New York besser sauber hält als Ihr hochbezahlter Verein?«

Mit hochrotem Kopf brüllte Tanner zurück: »Ihr solltet einen Killer einen Killer nennen, statt für ihn Ehrenbezeichnungen zu erfinden!«

Es war eine seltsame Bezeichnung und niemand wusste, wer sie zum ersten Mal benutzt hatte. Scavenger, das bedeutete nichts anderes als Straßenkehrer. Ein Scavenger hielt die Straße sauber, früher mit Schaufel und Besen und einer kleinen Karre, heute fuhr er eine große Kehrmaschine.

Irgendein Journalist hatte davon geschrieben, dass der Killer New Yorks Straßen vom Dreck des Verbrechens säubere, und plötzlich nannten sie ihn Scavenger, den Straßenkehrer. Und sie verstanden es ebenso als eine ehrenvolle Bezeichnung, wie sie etwa Joe Louis voller Respekt den braunen Bomber genannt hatten. Das war ein verdammt schlechtes Gefühl für Leute wie Lieutenant Tanner und seine Beamten, die es sich gefallen lassen mussten, Schnüffler, Bulle oder Plattfuß genannt zu werden.

»Ist es ein Scavenger-Mord?«, fragte ich.

»Sehen Sie selbst.« Er bückte sich und legte den Kopf frei. Das Gesicht war zur Unkenntlichkeit verstümmelt. »Zwei 41er Kugeln aus nächster Nähe lassen nicht viel übrig«, sagte Tanner, »und dass er vom Schrot aufs Pflaster gestreckt wurde, bevor er die Fangschüsse bekam, lässt sich auch ohne Obduktion erkennen.«

»Wer ist er?«

Tanner breitete die Plane über das zerstörte Gesicht.

»Joe Hulk.« Er wies auf den Wagen. »Über seinen Job brauche ich Ihnen nichts zu sagen, wenn Sie sich seinen Schlitten ansehen. Wir nehmen an, dass er seine Mädchen abkassiert hatte, denn wir fanden zweitausend Dollar in seinen Taschen.«

»Haben Sie die Frauen vernommen?«

»Noch nicht. Als sich herumsprach, dass ein Mord geschehen war, verschwanden sie von den Straßen.«

»Wer kontrolliert die Prostitution in der West 134th?«

»Die Zuhälter. Typen wie der da.« Er wies auf den Mann unter der Plane.

»Und wer kontrolliert die Zuhälter?«

»Vermutlich James Finnerty.«

Neben mir pfiff Phil leise durch die Zähne. »Finnerty? Er gilt als große Kanone. Er kontrolliert eine Menge böser Geschäfte in dieser Stadt.«

Lieutenant Tanner zuckte mit den Schultern. »Fragen Sie mich nicht nach den großen Haien, G-man. Ich bin nur ein City-Polizist, der nachts von seinen unaufgeklärten Straßenmorden Albträume hat. Der Scavenger-Fall ist schon zu groß für mich. Jeden zweiten Tag ruft mich mein Chef an und erzählt mir, der Gouverneur habe ihn nach Fortschritten bei der Aufklärung gefragt. Dabei klingt seine Stimme so vorwurfsvoll, als hätte ich ihm das falsche Pferd beim Florida Derby empfohlen. Wenn es Ihnen gelingt, diesen Lieblingsmörder der Stadt zu fangen, werde ich Ihnen eine Runde Bier ausgeben.«

»Für den Augenblick genügt ein Kaffee. Gibt es einen geöffneten Quick Service in der Nähe?«

»Übernächster Block auf der rechten Seite, Agent Cotton. Der Laden nennt sich Day & Night Inn. Die Mädchen trinken dort Kaffee oder Härteres zwischen zwei Kunden. Die Besitzerin könnte Ihnen sagen, welche Mädchen für Joe Hulk arbeiteten. Aber ich bezweifle, dass sie es Ihnen sagen wird. Versuchen Sie nicht, sie einzuschüchtern. Sie ist zu lange im Geschäft und kennt ihre Rechte.«

»Wie gut ist ihr Kaffee?«

»Ziemlich gut. Sie betrügt die Mädchen nicht, denn sie hat selbst auf der Straße gearbeitet.«

Wir nahmen den Jaguar mit. Die Cafeteria lag im Eckblock der 135th Street und Amsterdam Avenue mit Schaufenstern nach beiden Straßen und dem Eingang in der Mitte.

Es war schwierig, einen Parkplatz zu finden. Die Straßenränder waren vollgestellt mit Autos.

»Fällt dir an den Wagen nichts auf?«, fragte Phil.

»Alles Autos über zehntausend Dollar und eine Menge Exoten dabei.«

»Berufsfahrzeuge.« Phil zauberte den Jaguar in eine viel zu kleine Lücke zwischen einem goldfarbenen Camaro und einem flachen Sportwagen, der vermutlich aus Italien stammte.

Wir stiegen aus und gingen in das Day & Night Inn. Trotz der frühen Stunde war der Laden voll Menschen, darunter mindestens zwei Dutzend ziemlich bunte Frauen.

Die Besitzer der Paradeautos waren leicht zu erkennen. Irgendwie sahen sie aus wie ihre Autos. Zu gelackt, zu gepflegt, zu bunt, zu angeberisch. Die meisten waren Schwarze. Auf der unteren Ebene betreiben durchwegs Schwarze und Puerto-Ricaner das Geschäft mit der Prostitution. Aber die großen Organisatoren hatten eine andere Hautfarbe.

Wir fanden zwei Plätze an der rechteckigen Theke, hinter der drei schmächtige Frauen japanischer Abstammung hin und her flitzten, überwacht und angetrieben von einer hartgesichtigen Lady, deren Aussehen auch von der Lockenperücke kaum gemildert wurde. Die hellen Augen, gelblich und rund wie die eines Raubvogels, musterten uns, während sie die Kaffeemaschine bediente. Als die junge Frau, die unsere Bestellung angenommen hatte, uns den Kaffee bringen wollte, scheuchte die Chefin sie mit einem Wimpernschlag aus dem Weg und brachte die Tassen eigenhändig.

»Ich kenne alle meine Kunden«, sagte sie. Ihre Stimme raspelte rau wie ein ausgeschliffener Motor. »Und wenn ich einen nicht kenne, dann ist er meistens ein Schnüffler. Irre ich mich?«

»Nein«, antwortete ich. »Wollen Sie mir Ihren Namen sagen, Ma'am?«

»Mich nennen alle Elizah. Genügt Ihnen das?«

»Solange wir nicht einen Haftbefehl ausfüllen müssen, genügt es. Ihr Kaffee duftet ausgezeichnet, Elizah.«

»Natürlich wissen wir, dass Joe Hulk erschossen wurde.« Sie klemmte sich eine lange, dünne Zigarre zwischen die geschminkten Lippen. »Wir wissen nicht, wer es ihm besorgte. Diese Frage interessiert hier jeden.«

»Die Frage interessiert auch die Polizei«, sagte ich.

»Stellen Sie sich nicht taub, Schnüffler! War es der Scavenger?«

»Nach der Methode zu urteilen, ja.«

Sie blickte hinüber zu einem Tisch, an dem vier Zuhälter saßen. Ein böses Lächeln legte ihre Jacketkronen bloß.

»Wenn sich das herumspricht, werden eine Menge Leute Durchfall bekommen«, sagte sie. »Aber so wie Sie den Satz lesen, ist er eine Übersetzung.« Sie drückte sich viel drastischer aus.

»Wir möchten wissen, welche Frauen von Hulk betreut wurden.«

Zu unserer Überraschung hob sie einen Arm und schnippte mit den Fingern.

Von einem Tisch rief eine junge Frau: »Meinst du mich, Elizah?«

»Ja, komm her!«

Die Frau stand auf. Es war eine große Blondine in einem roten Minirock. Irgendwie sah sie struppig und zerzaust aus wie eine nass gewordene und noch nicht getrocknete Katze.

»Das ist Maggie«, erklärte Elizah.

Maggie brachte eine Wolke Alkoholdunst mit. Sie schwankte leicht.

»Die Schnüffler sagen, dein Hulk sei vom Scavenger umgeblasen worden. Also beantworte ihre Fragen.«

»Mit Schnüfflern will ich nichts zu tun haben!«, kreischte Maggie.

»Sie werden dich nicht fressen. Sie haben andere Sorgen, als einer Nutte ein Verfahren anzuhängen. Der Scavenger bringt die ganze Polizei ums Renommee.«

Ich bewunderte Elizahs Lebensklugheit.

»Sahen Sie Hulk in der vergangenen Nacht?«, fragte ich.

»Ja«, antwortete Maggie widerwillig. »Ungefähr gegen zwei Uhr morgens.«

»Trafen Sie ihn jede Nacht um diese Zeit?«

»Nein, er kam meistens in meine Wohnung.«

»Gaben Sie ihm heute Nacht Geld?«

Sie zögerte mit der Antwort.

Phil ermunterte sie. »Sie können behaupten, Sie hätten es ihm geliehen.«

»Er nahm zweihundertachtzig Dollar«, sagte Maggie.

»Er brauchte also Geld?«, fragte Phil.

»Vermutlich. Sonst hätte er seinen Hintern nicht vom Barhocker gehoben und wäre in den Regen hinausgekommen.«

»Haben andere Sie und Hulk beobachtet?«

»Weiß ich nicht. Ich habe keinen gesehen. Es regnete. Die Straße war menschenleer. Aber einige Mädchen haben sicherlich in den Türnischen und Hauseingängen gestanden.«

»Zu welchem Ring gehörte Joe Hulk?«, fragte ich.

Sie blickte fragend von einem zum anderen. »Was meinen Sie mit Ring?«

»Schenken Sie sich die Frage«, schlug Elizah vor. »Sie weiß nichts von einem Ring oder einem Syndikat. Für sie ist ihr Pimp die Endstation.«

»Vielleicht können Sie die Frage beantworten, Elizah. Gehörte Hulk zur Organisation von James Finnerty?«

»Den Namen hat hier noch nie jemand gehört«, sagte sie und gab sich nicht die geringste Mühe zu verbergen, dass sie log.

»Elizah, Sie kennen offensichtlich eine Menge Leute in dieser Gegend. Könnte irgendeiner davon uns weiterhelfen?«

Sie holte eine mächtige Rauchwolke aus ihrer Zigarre, sog sie ein und blies den Qualm über die Theke. »Die Jungs, die hier herumsitzen, wollen alle, dass dem Scavenger das Handwerk gelegt wird. Sie würden sich sogar bereitfinden, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Aber sie wissen nichts. Wenn es dunkel wird, fangen sie an sich zu fürchten und wagen sich nicht mehr auf die Straße. Mir macht es Freude, die Großmäuler kleinlaut zu sehen. Ich glaube nicht, dass man mich zu den sogenannten anständigen Leuten zählt, wie sie freue ich mich jedoch darüber, dass der Scavenger New Yorks Straßen sauber kehrt.«

»Er ist ein Killer«, sagte Phil. »Er bringt Leute um, die vor Gericht für ihre Taten mit zwei Jahren Gefängnis bestraft würden.«

»Natürlich ist er ein Verrückter.« Elizah schüttelte den Kopf so heftig, dass ich mir Sorgen um den Sitz ihrer Perücke machte. »Eines Tages werden eure Leute ihn stellen. Oder er fällt den Männern in die Hände, denen er das Geschäft verdirbt, weil er ihre Handlanger von der Straße schießt. Wollen Sie noch einen Kaffee?«

»Danke«, sagte ich.

»Fünfzig Cent für jede Tasse. Für Schnüffler seid ihr ziemlich nette Jungs.«

Wir verließen das Day & Night Inn. Auf dem Weg zum Jaguar vertrat uns ein Mann den Weg.

»Mike Marth vom Crime Magazine