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In sechsunddreißig Ländern bestanden Haftbefehle gegen Pablo Santo. Aber er passierte unbehelligt sämtliche Kontrollen am Kennedy Airport. Santo kam nach New York, um beim Weltfriedenskongress den ungeheuerlichsten Terroranschlag des Jahrhunderts auszulösen. Ein Schlag, der die Welt erschüttern würde. Durch einen tückischen Zufall fiel Santo in die Hände von Gangstern. Doch sein Supercoup rollte ab wie geplant - nur in der Regie der Unterwelt ...
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Seitenzahl: 179
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Kreuzfahrt durch die Unterwelt
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Vorschau
Impressum
Kreuzfahrt durch die Unterwelt
In sechsunddreißig Ländern bestanden Haftbefehle gegen Pablo Santo. Aber er passierte unbehelligt sämtliche Kontrollen am Kennedy Airport. Santo kam nach New York, um beim Weltfriedenskongress den ungeheuerlichsten Terroranschlag des Jahrhunderts auszulösen. Ein Schlag, der die Welt erschüttern würde. Durch einen tückischen Zufall fiel Santo in die Hände von Gangstern. Doch sein Supercoup rollte ab wie geplant – nur in der Regie der Unterwelt ...
Er reichte dem Beamten seinen Pass, lächelnd und ohne den geringsten Anflug von Besorgnis. Der Pass war keine simple Fälschung, sondern die perfekte Arbeit eines Geheimdienstes, dem viele Millionen Dollar, Pfunde, Mark oder Franken für die Ausrüstung der Agenten zur Verfügung standen.
Der Beamte durchblätterte den Pass und blickte flüchtig auf, um Foto und Gesicht zu vergleichen.
In sechsunddreißig Ländern bestanden Haftbefehle gegen Pablo Ramirez Santo. Seit fünfzehn Jahren wurde er von Staatsschützern und Terroristenbekämpfern gesucht. Er galt als der Organisator der blutigsten Terroranschläge, die je verübt wurden. Trotzdem wusste niemand, wie er aussah. Das einzige, dazu noch unscharfe Foto, das von ihm existierte, zeigte das runde Gesicht eines dicklichen jungen Mannes, an dem nur die starken Augenbrauen auffielen.
Der Beamte gab den Pass zurück.
»Willkommen in den Staaten, Mister Williams«, sagte er.
Der Mann, der nach den Angaben in seinem Pass Michael Patrick Williams hieß, britischer Staatsangehöriger war und den Beruf eines Elektroingenieurs ausübte, dankte und passierte die Sperre. Er setzte sein Gepäck, einen Aktenkoffer aus schwarzem Krokodilleder und eine große verbeulte Reisetasche, auf das Laufband und schloss sich der kurzen Schlange vor den Zollkontrolleuren an.
»Führen Sie Gegenstände bei sich, deren Einfuhr verboten ist?«, fragte der Zollbeamte.
Williams schüttelte den Kopf.
»Öffnen Sie bitte die Tasche.«
Er öffnete Reisetasche und Aktenkoffer. Im Koffer lagen Briefe, Vertragsentwürfe und Zeichnungen, denn Michael Patrick Williams kam in seiner Eigenschaft als technischer Direktor einer mittelgroßen britischen Firma zu Lizenzverhandlungen mit General Electric in die USA. Die Reisetasche enthielt seine Wäsche, einen Anzug und einen Smoking.
»Danke, Sir«, sagte der Zöllner nach einem flüchtigen Blick. Williams passierte die letzte Schranke und betrat damit endgültig den Boden der USA, obwohl sich der Boden im Kennedy Airport diesseits und jenseits der Barriere in nichts unterschied.
Er fühlte sich vollständig sicher. Zehntausende von Dollar waren ausgegeben worden, um seine Aktion in New York vorzubereiten. Einige Dutzend Geheimagenten hatten für ihn die Fäden geknüpft, Ausrüstung beschafft und Verstecke vorbereitet. In der UN-Botschaft eines bestimmten Landes hatten Männer, deren Diplomatenstatus sie vor jeder Kontrolle schützte, für ihn Waffen und Sprengstoff ins Land gebracht. Wie bei einer großen Bühnenshow hatten anonyme Helfer die Szene aufgebaut und die Requisiten bereitgestellt.
Michael Patrick Williams alias Pablo Ramirez Santo kam als der große Star, und er würde den ungeheuerlichsten Terroranschlag des Jahrhunderts auslösen.
Für Gray Lloyd war der Kennedy Airport nichts anderes als ein Jagdrevier. Unter den Zehntausenden von Passagieren, die ankamen und abflogen, wählte er die Opfer wie ein Habicht, der aus einer Schar Hühner das schwächste, unsicherste Exemplar aussuchte, bevor er zustieß.
Lloyd bevorzugte alleinreisende junge Frauen, die nicht von Verwandten oder Freunden abgeholt wurden. Wenn er eine Frau erspähte, die sich unsicher umsah, in der Handtasche wühlte oder auf die ein oder andere Weise Ratlosigkeit verriet, pirschte er sich an.
Er sah gut aus, ein großer schlanker Mann von dreißig Jahren mit kurz geschnittenem blondem Haar, dem Gesicht eines Collegeboys und blauen Augen, deren offener Blick den Frauen Vertrauen einflößte. Wenn er lächelte, zeigte er gleichmäßige weiße Zähne. Und er lächelte immer. Mindestens so lange, bis die Frau in seinem Wagen saß.
Natürlich gelang es ihm nicht an jedem Tag, eine einzufangen, und wenn es ihm gelang, dauerte es oft zwei oder drei Wochen, bis er die Frau in der Finsternis schmutziger Hinterzimmer so weichgeknetet hatte, dass er sein Opfer weiterreichen konnte. Niemals schickte Lloyd die eingefangenen Frauen für eigene Rechnung auf die Straße. Das Risiko war ihm zu hoch.
Er verkaufte sie an einen Callgirlring, der vom Syndikat Nathaniel Macys betrieben wurde. Die Macy-Organisation verfügte über alle Möglichkeiten, die Frauen unter Kontrolle zu halten oder verschwinden zu lassen, falls es notwendig wurde.
Gray Lloyd arbeitete auf dem Kennedy Airport nicht allein. Manchmal ergab sich die Notwendigkeit, Gewalt anzuwenden oder den Wagen zu wechseln. Lloyds Helfer hießen Jake Brown, den er aus gemeinsamen Schultagen kannte, und Frio Gonzas.
Brown war ein bulliger Schläger mit niedriger Stirn, dichtem Kraushaar und beschränktem Verstand. Zwischen ihm und Lloyd bestand ein Abhängigkeitsverhältnis besonderer Art. Er gehorchte Lloyd blindlings wie ein Hund dem Herrn. Bedingungslos setzte er seine Stärke und seine hemmungslose Brutalität für Lloyd ein.
Im Gegensatz zu ihm war Frio Gonzas ein verschlagener, schlauer Puerto-Ricaner, der auf die eigene Chance lauerte. Er wusste, dass er zu hässlich war, um allein bei den Frauen Erfolg zu haben. Also unterwarf er sich Lloyd und befolgte dessen Befehle, zumal Lloyd ihm oft das »Zurichten« der Frauen überließ. Trotzdem vergaß Gonzas nie, dass Lloyd den übergroßen Anteil des Verkaufspreises für ein Mädchen behielt und ihn als Handlanger mit ein paar Dollars abspeiste.
Die Frau, die Gray Lloyd an diesem Abend als mögliches Opfer ins Auge gefasst hatte, trug einen hellen Mantel, der zu klein war und in dem sie aussah, als hätte sie ihn geliehen oder geschenkt bekommen. Sie hatte ein schmales Gesicht mit unruhigen Augen, und das Blond ihres Haars stammte zweifellos aus einer Bleichmittelflasche. Sie schleppte eine große Reisetasche aus rotem Leder mit sich herum, auf die sie die Buchstaben J und W aufgeklebt hatte.
Lloyd beobachtete sie, wie sie immer wieder die Flugpläne studierte. Er sah, dass sie pausenlos rauchte. Innerhalb von zwei Stunden wechselte sie siebenmal den Platz in den Reihen der Wartesessel. Auf Lloyd machte sie einen ratlosen, unsicheren Eindruck. Er schätzte sie auf wenig über zwanzig Jahre und vermutete in ihr ein Mädchen aus der Provinz oder dem Ausland. Sie schien irgendwann im Lauf des Tages in New York angekommen zu sein und wusste jetzt nicht, was sie anfangen sollte.
Lloyd machte Brown auf die Kleine aufmerksam.
»'ne Schönheit ist sie nicht«, sagte Jake Brown.
»Sie ist jung. Das genügt. Wo steht der Wagen?«
»Parkplatz 2 in der ersten Reihe.«
»Gib mir den Schlüssel. Ich bringe sie in die Bleecker Street. Sei zur Stelle, wenn sie zu zappeln anfängt. Wo ist Frio?«
»Treibt sich auf der B-Ebene herum.«
»Hol ihn, und fahr mit ihm in die Bleecker Street. Wir konzentrieren uns auf dieses Mädchen. Ich bin mir sicher, dass ich es dazu bringen werde, in den Wagen zu steigen.«
Ein Mann ging gemächlich an der Sesselreihe vorbei. Er war groß und breitschultrig und steckte in einem teuren Anzug, der so gut geschnitten war, dass die zu breiten Hüften und der Bauchansatz nicht auffielen. Er trug einen Aktenkoffer aus Krokodilleder und eine große Reisetasche. Er wählte einen freien Sessel neben der Kleinen. Er sah sie nicht an, und sie hob nicht den Kopf. Er nahm den Aktenkoffer auf die Knie, öffnete ihn und prüfte einige Papiere. Dann schloss er den Koffer, stand auf, nahm mit der freien Hand die Reisetasche und ging zu den Aufzügen.
»Hey, sie haben die Taschen getauscht«, sagte Lloyd und stieß Brown den Ellenbogen in die Rippen. »Hast du gesehen, dass er die Tasche des Mädchens genommen hat?«
»Hab nicht darauf geachtet.«
Lloyd warf alle Pläne über den Haufen. »Komm!«
Sie folgten dem Mann, der gerade eine Rolltreppe betrat. Die Reisetasche in seiner Hand trug die Buchstaben J und W.
Reynold Webster, fünfundvierzig Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, arbeitete seit fünf Jahren als Sicherheitsbeamter für die New York Port Authority, der auch der Kennedy Airport unterstand. Drei Jahre lang hatte er einen wenig erfolgreichen Kampf gegen organisierte Gepäckdiebstähle geführt, bis sein Gesicht bei den Mitgliedern der Gangs so bekannt war, dass sein Auftauchen die Wirkung einer Warnsirene hatte. Die Port Authority zog ihn aus der Gepäckfront zurück und setzte ihn bei der Bekämpfung der allgemeinen Kriminalität auf dem Flughafengebiet ein.
Webster war ein diensteifrig und scheute kein Risiko. Er hatte Überfälle verhindert, Rauschgiftschmuggler gefasst, betrügerische Taxifahrer festgenommen und manches mehr. Er war zweimal zusammengeschlagen worden und hatte sich von der Hand eines flinken Puerto-Ricaners einen Messerstich eingefangen, der ihn für sechs Wochen in ein Krankenhausbett gezwungen hatte. Trotzdem erfüllte er seinen Job weiterhin mit Hingabe. Gern benutzte er Verkleidungen in der Hoffnung, dadurch erfolgreicher zu sein.
An diesem Vormittag trug Webster einen blauen Overall mit der Aufschrift Maintenance. Er hantierte an einem Schaltkasten in der Nähe der Rolltreppe 41 B.
Aus den Augenwinkeln beobachtete er den Mann, der von der Ankunftsebene herunterkam. Der Mann trug eine Aktentasche aus Krokodilleder und eine große Reisetasche mit auffallenden Messingbuchstaben. Er war wie ein Europäer gekleidet, und Webster hätte den Mann nicht beachtet, wenn er die Richtung zu den Ausgängen eingeschlagen hätte. Aber der Mann strebte zielsicher dem Gang C 19 zu.
Der Gang C 19 führte zu zwei Waschräumen und fünf Büros, die ursprünglich an Reisegesellschaften vermietet worden waren. Vier Büros standen inzwischen leer. Das fünfte wurde bei seltenen Gelegenheiten von einer obskuren jamaikanischen Gesellschaft benutzt, Webster und seine Vorgesetzten hatten sie schon lange im Verdacht, sich nicht mit der Vermittlung von Reisen, sondern mit dem illegalen Einschleusen von Jamaikanern zu befassen. Als der Mann Gang C 19 betrat, wurde er für Reynold Webster interessant.
Webster ließ dem Fremden etwas Vorsprung. Der Mann ging an allen Büros vorbei. Auch an dem Office der jamaikanischen Gesellschaft. Dann verschwand er hinter der Tür zum Waschraum am Ende des Gangs.
Zwanzig Sekunden später stand Reynolds Webster vor der Tür und schloss die Finger um den Knauf.
Weißblaues Neonlicht brannte in dem gekachelten Raum. In den Spiegeln über den Waschbecken sah Pablo Ramirez Santo alias Michael Patrick Williams das eigene Gesicht.
Er lächelte sich zu.
Ich bin der gefährlichste Mann der Welt, dachte er. Niemand kennt mich, alle fürchten mich. Präsidenten, Diktatoren, Staatsmänner werden bleich, wenn von mir die Rede ist. Ganze Armeen von Sicherheitsbeamten werden meinetwegen aufgeboten, bewaffnet, trainiert, bezahlt, in Alarm versetzt.
Er näherte sich dem Spiegel, blickte sich in die graugrünen Augen.
»Ich halte die Welt in Atem«, sagte er halblaut auf Spanisch.
Obwohl Ramirez Santo überdurchschnittlich intelligent war, hatte er sich niemals wirklich eingestanden, dass weder politisches Engagement noch Geldgier Ursache seiner ungeheuren Taten gewesen waren, sondern die nackte Eitelkeit. Eine Eitelkeit, die genährt wurde von verborgenen, tief in seinem Unbewussten wurzelnden Gefühlen der Minderwertigkeit. Eine Eitelkeit, die an Wahnsinn grenzte und die ihn in eine maßlose Bewunderung des eigenen Ichs trieb. Nichts vermochte Santo mehr zu fesseln als der Anblick des eigenen Gesichts.
Ein Geräusch riss ihn aus seiner Selbstversunkenheit. Seine Augen glitten ab vom eigenen Spiegelbild. Er sah hinter sich einen Mann im blauen Overall. Der Mann hatte ein dickliches, rundes Gesicht mit kleinen, aber wachen Augen. Santo spürte, dass der Mann eine Gefahr bedeutete.
Er drehte sich um und sagte lächelnd: »Hallo!«
Der Mann im Overall erwiderte den Gruß nicht. »Ich will den Inhalt Ihres Gepäcks sehen.«
»Wollen Sie mich ausrauben?«
Der Mann zog einen Ausweis aus der Brusttasche seines Overalls. »Ich bin Beamter der New York Port Authority. Auf dem Gebiet des Flughafens habe ich alle polizeilichen Vollmachten. Öffnen Sie Ihr Gepäck!«
Santo begriff, dass er sich in ernsthafter Gefahr befand. Das Lächeln verschwand nicht von seinem Gesicht.
»Ich bin erleichtert«, sagte er. »Meine Freunde haben mich vor New Yorks Straßenräubern gewarnt. Ich fürchtete, mich hätte es schon in der ersten Minute erwischt. Wollen Sie meinen Pass sehen? Ich bin Engländer und heiße Michael Patrick Williams.«
»Tun Sie, was ich sage! Öffnen Sie Ihr Gepäck! Ihren Pass werde ich mir später ansehen.«
Santo beobachtete, dass der Mann den Ausweis mit der linken Hand in die Brusttasche zurückschob und die rechte Hand in der Nähe der Seitentasche hielt. Kein Zweifel, dass er dort eine Waffe trug.
»Wie Sie wollen«, sagte er laut, hob die Reisetasche vom Boden und stellte sie auf den Waschtisch.
Er wusste genau, was die Tasche enthielt. Und dass er verloren war, wenn dieser verdammte Schnüffler im Overall einen Blick hineinwarf. Natürlich konnte er versuchen, in die Tasche zu greifen, die 42er-Pistole herausreißen und den NYPA-Mann über den Haufen schießen. Aber er war sich nicht sicher, ob er die Waffe schnell genug in die Finger bekommen konnte. Der Flughafenmann war misstrauisch, und ein misstrauischer Mann reagierte schnell.
Santos Reisetasche war von Fachleuten eines Geheimdienstes gepackt worden. Bevor Santo in die Staaten abgeflogen war, hatte er, neben vielen anderen Dingen, ein Inhaltsverzeichnis auswendig gelernt und sich eingeprägt, was an welcher Stelle lag. Die Pistole, eine kurzläufige MP, die Handgranaten und die drei Platten Plastiksprengstoff befanden sich in der Tasche. Die Außentaschen bargen ein Fallschirmmesser, einen Totschläger aus Stahl und eine Drosselschnur aus dünnem Draht.
Der Sicherheitsbeamte kam näher.
Santo löste die Verschlüsse der Tasche. Noch immer lächelte er. »Warum verdächtigen Sie mich? Sehe ich wie ein Verbrecher aus?«
Genau in diesem Augenblick beschloss er, sich auf seine nackten Hände zu verlassen. Die Geheimdienstler hatten darauf bestanden, ihm ein Dutzend Griffe und Hiebe aus dem Karatearsenal beizubringen. Obwohl er körperliche Anstrengungen hasste, war ihm keine andere Wahl geblieben, als sich dem harten Training zu unterziehen.
Als der Schnüffler den Blick auf die Tasche richtete, schlug er zu. Er traf den NYPA-Beamten mit einem nur halb geglückten Handkantenschlag im Bereich der Halsschlagader und mit einem vollen Hieb über der Nasenwurzel.
Der Mann brach in die Knie. Mit hemmungsloser Brutalität landete Santo einen wuchtigen Fußtritt, der das Bewusstsein des Mannes auslöschte.
Die rote Reisetasche stand auf dem Waschtisch. Santo öffnete ein Außenfach, holte die Drosselschlinge heraus, bückte sich zu seinem Opfer und legte ihm die Schlinge um den Hals. Kaltblütig erwürgte er den wehrlosen Mann.
Nach vier Minuten löste er die Schlinge. Die Augen des Mannes hatten sich geöffnet. Ihr starrer Blick schien auf den Mörder gerichtet.
Santo legte die Schlinge in die Reisetasche, schloss die Tasche und stellte sie auf den Fußboden. Er stieß die Tür zur nächsten Toilettenkabine auf, packte den Toten an den Füßen und zerrte ihn in die Kabine. Dann versuchte er, den schweren Körper hochzuheben und auf den Toilettensitz zu hieven, damit sich die Tür schließen ließ. Die Kabine war eng. Aus der Nase des Toten rann Blut. Einige Tropfen fielen auf Santos Hand und die Manschetten seines Hemds.
Er fluchte auf Arabisch, eine Gewohnheit, die er von seinem ersten Ausbilder übernommen hatte. Schließlich gelang es ihm, den Toten auf den Sitz zu zerren.
»Endlich«, sagte er halblaut.
Genau in dieser Sekunde wurde die Tür zum Waschraum aufgestoßen.
Santo erstarrte. Zwei Männer kamen in den Waschraum, von denen der eine groß, schlank und blond, der andere kompakt, untersetzt und dunkelhaarig war. Der Blonde war mit billiger Eleganz gekleidet. Der Dunkelhaarige trug eine abgeschabte Lederjacke und darunter ein T-Shirt mit dem Porträt von Elvis Presley.
Die Tür zur Kabine stand noch offen. Fünf oder zehn Sekunden lang starrten die Männer den zusammengesunkenen Körper an.
Dann streckte der Blonde die Hand aus. »Warum hast du ihn umgebracht? Welcher Deal läuft hier? Können wir ein bisschen mitverdienen?«
Santo riss sich aus seiner Erstarrung.
»Ich habe ihn gefunden«, sagte er. »Ich wollte die Toilette benutzen und sah den Mann, als ich ...«
Der Blonde lachte, und sein Gelächter machte Santo klar, dass er sich nicht aus seiner Lage herausbluffen konnte. Ihm blieb nur Gewalt.
Mit zwei schnellen Schritten versuchte er, die rote Tasche zu erreichen.
»Jake!«, sagte der Blonde.
Der Bullige setzte sich in Bewegung. Er schnitt Santo den Weg ab. Sein erster Fausthieb traf Santo, als dessen Finger das kühle glatte Leder der Tasche berührten.
Santo taumelte gegen den Waschtisch. Er richtete sich auf. Sein Blick schwamm. Wie durch Nebel sah er das flache Gesicht mit der breiten Nase unter der niedrigen Stirn auf sich zukommen. Er versuchte, die Arme hochzubringen.
Ein schmetternder Schlag schleuderte seinen Kopf in den Nacken, und der dritte, bewusst tief gezielte Hieb bohrte sich wie ein Geschoss in seine Eingeweide.
Er glaubte, laut aufzuschreien. In Wahrheit fehlte ihm die Luft für einen Schrei. Der Schmerz überflutete sein Gehirn mit weißem Feuer.
Lautlos brach Pablo Ramirez Santo zusammen.
Jake Brown drehte sich zu Lloyd um und zeigte in einem stolzen Grinsen die abgekauten Zähne. »War ich gut, Gray?«
Lloyd befahl ihm mit einer energischen Handbewegung zu schweigen. Er ging zu der Toilettenkabine, beugte sich vor und versuchte, dem Toten ins Gesicht zu sehen. »Kennst du ihn?«
»Keine Ahnung«, grunzte Brown. Er war offenbar beleidigt, weil Lloyd ihn nicht für seine präzisen Schläge gelobt hatte.
»Warum mag er ihn umgebracht haben?«
»Ich kann es aus ihm herausprügeln«, sagte Brown.
»Aber nicht hier, Idiot! Wenn wir in der Nähe einer Leiche überrascht werden, kommen wir alle in Teufels Küche.« Er machte einen Schritt über den reglosen Santo hinweg und öffnete die Reisetasche. »Das Mädchen hat ihm ein ganzes Arsenal übergeben.« Er griff in ein Seitenfach, fühlte Papier in schmalen Bündeln und zog eines ans Licht. »Sieh mal an!«
Browns trübbraune Augen leuchteten auf. »Hunderter?«
»Ja, und davon stecken noch eine Menge in der Tasche.«
»Wie viele?«
»Mindestens ein Dutzend.«
»Vergiss nicht, dass ich ihn flachgelegt habe, Gray.«
»Bring ihn zu sich.«
Brown drehte einen Wasserhahn auf und spritzte dem Bewusstlosen Wasser ins Gesicht.
»Wach auf, du Null!« schrie er, als könne Lautstärke den Mann aufwecken.
Gray Lloyd entnahm der Reisetasche einen kurzläufigen Revolver. Er wog ihn in der Hand. »Wo ist Frio?«
Brown hatte begonnen, das Gesicht des Bewusstlosen mit Ohrfeigen zu bearbeiten. »Steht Schmiere am Gangende.«
Lloyd öffnete die Waschraumtür und stieß einen kurzen Pfiff aus. Nach wenigen Sekunden kam Frio Gonzas. Der Puerto-Ricaner war mittelgroß, sehnig, besaß die schnellen, schleichenden Bewegungen einer Raubkatze und große knochige Hände, die deutlicher Brutalität verrieten als das pockennarbige, hässliche Gesicht.
»Ist die Luft rein?«, fragte Lloyd.
»Ja. Niemand zu sehen.«
»Wir müssen ihn zum Ausgang und in den Wagen bringen.« Lloyd wies auf den Mann, den Brown bearbeitete.
»Lohnt das? Warum packen wir ihn nicht hier aus?«
»Er hat den Mann getötet, und ich will wissen, warum er das getan hat.«
Gonzas zog die Lippen von den weißen Raubtierzähnen. »Willst du Schnüffelarbeit machen, Gray?«
Am Waschtisch stieß Jake Brown einen Triumphschrei aus.
»Ich habe ihn so weit. Er klappert mit den Augendeckeln.« Er packte den Mann an den Jackenaufschlägen, stellte ihn auf die Füße, lehnte ihn an die Wand, ohrfeigte ihn und schrie: »Nun mach schon, Niete, oder ich breche dir einen Zahn aus!«
Lloyd schob ihn zur Seite, füllte einen Pappbecher mit Wasser und goss den Inhalt in das Gesicht es Fremden.
Er öffnete die Augen. Sein Blick wurde klar.
»Hörst du mich?«, fragte Lloyd.
Der andere nickte schwach. Lloyd hielt ihm den Revolver vor die Augen. »Das ist eine Kanone aus deinem Arsenal. Wir werden dich zu einem Wagen bringen. Wenn du eine falsche Bewegung machst, besorge ich es dir mit deiner eigenen Kanone. Begriffen?«
»Si«, antwortete Santo.
»He, er spricht Spanisch!«, rief Frio. »Dónde vienes?«
»Das alles wird sich herausstellen.« Lloyd fasste den Arm des Mannes. »Gehen wir!«
»Hör zu, du imperialistischer Schnüffler«, sagte Tanja. »Heute Nacht verspüre ich ungeheure Lust, in einer dekadenten, kapitalistischen Diskothek zu tanzen. Mach einen Vorschlag, G-man!«
Wenn Sie wissen wollen, was mir an Tanja besonders gefiel, fällt mir die Antwort schwer. Natürlich war ihre Figur makellos. Sie hatte die langen Beine eines Mannequins, eine schmale Taille und Traumhüften. Wenn sie hochhackige Schuhe trug, war sie nur ein paar Inch kleiner als ich. Unter dem glatten tiefschwarzen Haar funkelten leicht schrägstehende grüne Augen, die ihrem Gesicht etwas Katzenhaftes verliehen. Aber ich glaube, das Reizvollste an Tanja war der winzige rollende Akzent, der ihr im Übrigen perfektes Englisch würzte.
Wenn Sie mich nach Tanjas vollständigem Namen fragen, so kann ich ihn zwar hinschreiben, doch verlangen Sie nicht von mir, ihn auszusprechen. Tanja hieß komplett Constantia Andrassy. Sie war Ungarin und arbeitete als Dolmetscherin bei der ungarischen UN-Delegation.
Ich weiß nicht, ob besonders misstrauische Leute in der Regierung die Nase über die Verbindung eines FBI Agent mit einem Ostblockgirl gerümpft hätten. Mein Chef Mr High wusste Bescheid und hatte nichts dagegen.
Für Phil gab es dieses Problem nicht. Er bewegte sich auf neutralem Gebiet. Seine Freundin hieß Greta Johansen, arbeitete ebenfalls bei der UN und stammte aus Schweden. Seit Greta Garbo und Ingrid Bergman betrachteten die meisten Amerikaner Schweden als einen Teil der USA.
Wir hatten Tanja und Greta vor sechs Wochen am Strand von Coney Island kennengelernt. Greta, die so blond war wie ein Weizenfeld, war in Schwierigkeiten mit einer Gruppe Texasfarmer geraten, die auf ihrem Trip durch New York Abenteuer suchten. Auf gutes Zureden reagierten die Gentlemen nicht. Tanja hatte, um ihrer Freundin zu helfen, dem Zudringlichsten die Faust ans Doppelkinn geschmettert, worauf sich der Typ mit seinem vollen Ochsengewicht auf sie warf und nach ihrem Bikini grapschte.
Phil und ich machten den Südstaatlern den Unterschied zwischen Coney Island und dem Wilden Westen klar. Am selben Abend aßen wir mit Greta und Tanja Hummer á la Maryland und gingen anschließend zum Tanzen ins Number 400. Seitdem hatten wir uns acht- oder neunmal getroffen, mal zu viert, mal zu zweit. Aber rechnen Sie nicht damit, dass ich Ihnen Geheimnisse aus dem Ostblock verraten werde.
Als Tanja ihren Vorschlag machte, stimmte Greta zu. Es war Freitagabend. Vor uns lag ein Weekend. Wir saßen bei Mario in unserer Stammcafeteria und hatten unseren Hunger an Marios unvergleichlicher Pizza gestillt. Kapitalisten, Ostblockbewohner und Neutrale – Marios Piazza überwand alle Grenzen.
»Okay«, sagte Phil. »Einverstanden mit Lightshop