Jerry Cotton Sonder-Edition 259 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 259 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Fünf Millionen Dollar waren kein Pappenstiel. Desmond Gallagher, Besitzer einer Fluggesellschaft und Gangsterfreund, brauchte sie dringend. Heimlich brachte er diese Summe bei einem Rauschgiftdeal auf die Seite. Doch der Mann, den er betrog, war kein gewöhnlicher Verbrecher, sondern Kenzaburo, Herr über achthundert japanische Gangster. Er schwor Gallagher furchtbare Rache. Am schlimmsten aber waren Phil und ich dran. Wir platzten geradewegs in die blutigen Aktionen von Kenzaburos Kamikaze-Gang!

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Seitenzahl: 198

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Die Kamikaze-Gang

1

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Vorschau

Impressum

Die Kamikaze-Gang

Fünf Millionen Dollar waren kein Pappenstiel. Desmond Gallagher, Besitzer einer Fluggesellschaft und Gangsterfreund, brauchte sie dringend. Heimlich brachte er diese Summe bei einem Rauschgiftdeal auf die Seite. Doch der Mann, den er betrog, war kein gewöhnlicher Verbrecher, sondern Kenzaburo, Herr über achthundert japanische Gangster. Er schwor Gallagher furchtbare Rache. Am schlimmsten aber waren Phil und ich dran. Wir platzten geradewegs in die blutigen Aktionen von Kenzaburos Kamikaze-Gang!

1

»Money back!«, sagte der Mann. So ungefähr klangen die Laute, die er ausstieß. Sein Englisch war nahezu unverständlich.

Riggs zeigte sein breitestes Lächeln. »Nett, dich zu sehen, Freund. Lass uns die Sache bei einem Drink abwickeln. Steig ein.«

Er wies auf die offenen Türen des Mercury. Es war wichtig, dass der Mann einstieg. Riggs wusste, wie viel Anstrengung es erforderte, einen Toten in ein Auto zu verfrachten.

»Money back!«, wiederholte der Mann. »Geld zurück!«

Der Bastard lächelt nicht einmal, dachte Riggs. Angeblich sollen die Typen doch ständig grinsen, sogar im Schlaf.

Er versuchte sein Glück noch einmal. »Ich bring dich in einen netten Schuppen, Freund. Mit Show. Prachtvolle Mädchen. Alle Sorten. Schwarze und Blonde. Lange Beine. Solche Busen.« Er beschrieb die Größe mit einer Bewegung beider Hände und weit gespreizten Fingern.

Keine Miene regte sich im Gesicht des anderen. Nur die Hand streckte er aus und zeigte auf den Koffer. »Darin Dollar?«

Jake Riggs seufzte. Er hatte den Koffer von der Sitzbank gehoben, als er ausgestiegen war, und ihn zwischen sich und den Fremden gestellt, weil er gewohnheitsmäßig dafür sorgte, die Hände frei zu haben. Der Koffer enthielt nichts als einen Packen alter Zeitungen.

Sieht so aus, als bekäme ich ihn nicht in den Wagen, dachte Riggs. Okay, bringen wir's zu Ende. Zum Glück ist er ein Leichtgewicht. Also wird es nicht schwierig sein, ihn fortzuschaffen. Wahrscheinlich passt er in den Kofferraum.

»Dann nimm den Zaster, du sturer Hund!«, sagte Riggs und stieß den Koffer dem Fremden zu.

Der Mann bückte sich, und Riggs zog die Pistole mit dem aufgesetzten Schalldämpfer aus der Manteltasche. Er hatte eine kleinkalibrige Waffe gewählt. Obwohl er die rechte Hand benutzte, mit der er nicht so schnell war wie mit der linken, brauchte er weniger als eine Sekunde.

Die Bewegungen des Fremden waren wie eine Explosion. Der harte, gellende Schrei traf Riggs wie etwas Massives, Körperliches. Ihm schien, als krachten Vorschlaghämmer auf seinen Körper nieder mit einer Wucht, die sein Rückgrat bis in den letzten Wirbel erschütterte.

Riggs prallte gegen das Auto. Ohne es zu merken, zertrümmerte er ein Seitenfenster. Er stürzte zu Boden und verlor für einen Augenblick die Orientierung.

Sein Blackout dauerte nur einen Sekundenbruchteil. Er erfasste die Situation. Der Mann, der so unglaublich schnell zugeschlagen hatte, stand mit leicht gegrätschten Beinen in drei Schritten Abstand. Es sah aus, als hätte er sich nicht von der Stelle gerührt. Sein Gesicht war wie aus Stein. Die kleinen schwarzen Augen musterten Riggs mit der Starrheit von Schlangenblicken.

Riggs' einzige Chance lag in der Tatsache, dass er Linkshänder war. Die Waffe, an die er gewöhnt war, trug er unter der rechten Achsel. Es war ein kurzläufiger Lawman-Colt, den er für den Mord an dem Mann nicht hatte benutzen wollen, weil sein schweres Kaliber den Kopf des Opfers zertrümmert hätte. Die Pistole mit dem Schalldämpfer lag dicht vor den Füßen des Fremden, und Riggs wusste in diesem Moment nicht, ob er einen Schuss losgeworden war oder nicht.

Er senkte den Blick, damit der andere nicht im aufspringenden Funkeln der Augen den Angriff erriet. Stöhnend und schwerfällig richtete er den Oberkörper auf, hielt ihn einige Sekunden lang aufrecht und ließ sich dann zurücksinken, als würde er von den Schmerzen überwältigt. Im Zurücksinken warf er die linke Hand hoch und riss den Colt aus dem Holster. Dann drückte er wieder und wieder auf den Abzug. Er verfeuerte die sechs Kugeln in einem Gefühl von Panik, wie er es nie zuvor empfunden hatte.

Der Abstand war lächerlich gering. Schon die erste Kugel traf Riggs' Gegner in den Kopf. Wie von einer unsichtbaren großen Faust gestoßen, flog der Körper drei Schritte rückwärts. Die Arme schlugen hilflos wie lahme Flügel. In einer letzten Drehung stürzte er aufs Gesicht.

Jake Riggs lag still. Das Echo der Schüsse verebbte in seinen Ohren, und er hörte wieder das Rauschen des eigenen Bluts.

»O Hölle!«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Um ein Haar hätte er ...«

Er wollte aufstehen und benutzte die rechte Hand zum Aufstützen. Der Schmerz fuhr mit so betäubender Gewalt in sein Gehirn, dass er sich sofort wieder fallen ließ. Er starrte seinen rechten Arm an. Unter dem Mantelärmel war nichts zu sehen. Aber Riggs spürte, dass irgendetwas Schreckliches mit seinem Arm geschehen war.

Vorsichtig stand er auf. Er hielt den Arm steif. Stück für Stück schob er den Mantel- und Jackenärmel hoch. Jede Berührung zwang ihm ein Stöhnen aus der Kehle.

Eine seltsame Verformung zeichnete sich unter der Haut ab.

Riggs begriff, dass die Handkantenschläge des Mannes seinen Arm gebrochen hatten.

Die junge Frau ging dicht vorbei und lächelte uns sanft und freundlich an, als wären wir alte Freunde. Sie trug einen knöchellangen, sehr bunten Wickelrock und sonst nichts, im Wortsinne: nichts, weder Schuhe und Strümpfe noch den leisesten Anflug von Oberbekleidung.

Phil und ich lächelten zurück. Was sonst hätten wir tun sollen?

Die Begegnung fand nicht auf Hawaii statt, nicht auf einer Südseeinsel und nicht einmal in einem Nudistencamp, sondern auf dem Präsident Jefferson Boulevard in Sausalito. Die junge Frau kam aus einem Selbstbedienungsladen der Safeway-Kette und schob einen Einkaufswagen vor sich her. Ihre hübschen Brüste hüpften im Rhythmus ihrer Schritte.

Nichts Ungewöhnliches für Sausalito, Hippie-Hauptstadt im Schatten San Franciscos auf der anderen Seite des Golden Gate und mit Frisco verbunden durch die berühmteste Hängebrücke der Welt.

Man las, hörte und sah nicht mehr viel von den Hippies.

Andere Aussteigergruppen hatten sie in den Schlagzeilen der Medien abgelöst. Aber sie existierten noch. Kalifornien war nach wie vor Hippieland.

»Nacktheit ist ihre neue Masche in diesem Jahr«, sagte Detective Sergeant Beeker von der Californian State Police. »Sie propagieren das Recht jeden Bürgers, überall so unbekleidet herumzulaufen, wie es ihm Spaß macht. Sie sagen, nichts stehe in der Verfassung, dass der Mensch gezwungen sei, Hemd und Hose zu tragen.«

»Haben sie recht?«, fragte Phil.

Sergeant Beeker grinste.

»Wahrscheinlich haben sie recht. Trotzdem sind eine Menge Leute dagegen, besonders die Fabrikanten von Büstenhaltern und alle Einwohner von Kalifornien, die es sich nicht erlauben können, hüllenlos in Erscheinung zu treten.« Er blickte an sich herunter und strich mit beiden Händen über die stattliche Wölbung seines Bauchs. »Wie ich, zum Beispiel.«

Die junge Frau lud den Inhalt des Einkaufwagens in den Kofferraum eines uralten Dodge um, dessen brüchige Karosserie mit leuchtenden Farben in bizarren Mustern bemalt war. Sie schlug die Heckklappe zu und setzte sich hinters Steuer.

»An Wochenenden kommen Busladungen aus Utah, Nevada und Oregon, um sich über die nackten und sündigen Hippies auf ihren Hausbooten zu entrüsten.« Beeker zog eine zerdrückte Zigarre aus der Brusttasche, biss die Spitze ab und klemmte die Zigarre zwischen die Zähne. »Je prüder der Staat, desto größer die Nachfrage. Viele bringen solche Ferngläser mit.« Er zeigte die Größe mit den Händen.

Er schien sich in dieses Thema zu verlieren. Es war Zeit, ihn an den Zweck unseres Aufenthalts in Sausalito zu erinnern.

»Haben Ihre Leute Jake Riggs unter Kontrolle?«, fragte ich.

»Bis gestern ist er jede Nacht in das Hotel zurückgekommen«, antwortete er.

»Und gestern?«

Beeker wälzte die Zigarre in den anderen Mundwinkel. »Die letzte Meldung erhielt ich um neun Uhr morgens. Zu dieser Zeit war er noch nicht aufgetaucht.«

»Sie wissen nicht, wo er während der Nacht war?«

Beeker ging sofort hoch.

»Machen Sie mir keine Vorwürfe, G-man. Ihre Zentrale gab uns strikte Anweisung, lediglich Riggs' Aufenthaltsort festzustellen und im Übrigen die Finger von ihm zu lassen. Danach habe ich mich gerichtet. Ich fand ihn im Brannif Hotel und stellte zwei Leute ab, die sein Kommen und Gehen überwachten, aber ihm nur folgen sollten, falls er den Koffer in der Hand hielt und das Hotel verließ. Soviel ich weiß, steht sein Wagen noch in der Hotelgarage. Er wird zurückkommen.« Er streckte den Arm aus und wies auf ein großes weißes Gebäude. »Das Brannif Hotel.«

»Gehen Sie allein hinein, Sergeant. Riggs kennt uns. Wenn er uns sieht, weiß er, dass wir nicht ohne Haftbefehl von New York nach San Francisco gekommen sind.«

»Na und? Es wäre verrückt, sich mit drei Polizisten anzulegen.«

»Seine Reaktionen sind schwer vorauszusagen. Er ist labil. Kann sein, dass er die Arme hochnimmt. Kann sein, dass er losballert.«

»Er hätte keine Chance. Einer von uns würde ihn umlegen. Ich weiß, dass ihr G-men nicht viel von uns Wald- und Feldpolizisten haltet, aber ich versichere Ihnen, dass ich mit meiner Kanone umzugehen weiß, Cotton.«

»Genau das fürchte ich, Sergeant. Wir wollen Jake Riggs lebend. Wir können ihm zwei Morde nachweisen, einen in Alabama, einen zweiten in Florida. Ein Riggs, der sich selbst in gefährlicher Nähe zum elektrischen Stuhl sähe, würde vielleicht über die Jobs reden, die er für den großen Boss übernommen hat.«

»Für welchen Boss?«

»Den Inselking.«

»Kenne ich nicht.«

»Ist nur ein Spitzname. Bitte gehen Sie, und erkundigen Sie sich, ob Riggs ins Hotel zurückgekommen ist.«

Phil und ich blieben auf der anderen Straßenseite. Nach wenigen Minuten kehrte der Sergeant zurück.

»Riggs scheint sich in einem Krankenhaus aufzuhalten«, sagte er. »Das Hotel erhielt einen Anruf vom Redwood Hospital. Sie fragten, ob Riggs im Hotel bekannt sei und ob seine Kreditkarten akzeptiert werden könnten.«

»Wo ist das Redwood Hospital?«, fragte ich.

»Am Presidio Park auf der anderen Seite. Wir sind auf dem Weg nach Sausalito daran vorbeigefahren.«

Beeker brachte uns in seinem Wagen über die Golden Gate Bridge nach San Francisco zurück. Wir fuhren über den Doyle Drive einen bewaldeten Hügel hinauf, auf dessen Kuppe sich eine Reihe von Gebäuden aus roten Ziegeln abzeichneten.

»Das Hospital«, erklärte Beeker.

Vor der Einfahrt ragte ein riesiger Redwoodbaum, nach dem die Krankenanstalt benannt war.

Der Sergeant fuhr durch bis zum Haupteingang, vor dem zwischen zwei Ambulanzautos ein Streifenwagen der San Francisco Police stand.

In der Eingangshalle wandte sich Beeker an die Schwester in der Empfangsloge. »Wir suchen einen Patienten. Sein Name ist Jake Riggs.«

»Sind Sie auch von der Polizei?«, fragte sie.

»Wieso auch?«

»Vor wenigen Minuten sind uniformierte Beamte wegen Jake Riggs gekommen. Ich habe sie zur Chirurgie und zu Doktor Hazler geschickt, der sie anscheinend gerufen hatte.«

»Chirurgie? Wo ist das?«, fragte ich hastig.

»Fünfte Etage. Dort rechts sind die Aufzüge.«

Phil und ich rannten. Keine Kabine der drei Aufzüge war unten. Phil hieb die Faust auf den Rufknopf.

Beeker kam angaloppiert. »Begreifen Sie, warum sich die Frisco Cops für Riggs interessieren?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, irgendetwas läuft schief.«

Die Kabine kam und brachte eine Pflegerin und eine Frau in einem Rollstuhl, der vorsichtig von der Pflegerin aus dem Aufzug geschoben wurde.

Wir drängten in die Kabine. Die Schachttür schloss sich, der Fahrstuhl glitt nach oben.

Eine unerträglich lange Zeit schien es zu dauern, bis er die fünfte Etage erreichte und stoppte.

Wir sahen vor uns einen langen Flur mit weißen Türen rechts und links. Zwei Krankenschwestern gingen ihrer Arbeit nach. Eine stützte einen Mann, der stark hinkte. Die andere sortierte auf einem verchromten fahrbaren Tisch Flaschen und Ampullen. Ganz am Ende des Gangs hantierte eine blau gekleidete Schwarze mit einem summenden Staubsauger.

Ich sprach die Schwester am Chromtisch an. »Jake Riggs. Welches Zimmer?«

Sie wies auf eine Tür. »509. Gerade hat Schwester Sue zwei Polizeibeamte zu ihm geführt und ...«

Ich wechselte einen Blick mit Phil. Was sollten wir tun? Hineingehen? Abwarten, ob sich alles als harmlos herausstellte?

»Wo ist Doktor Hazler?«, fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf. »Nicht zu sprechen. Er wurde zu einem Notfall ...«

Sie konnte den Satz nicht beenden.

Zwei Schüsse zerrissen krachend die Stille und nahmen uns die Entscheidung ab.

Der Aufschrei eines Menschen. Das Geräusch eines schweren Falls. Gebrüllte unverständliche Wortfetzen hinter einer geschlossenen Tür.

Die Schüsse und Schreie zerstörten die behütete Ruhe im Hospital. Klingeln begannen zu schrillen. Türen schlugen. Menschen stürzten aus den Zimmern. Rufe gellten durch die Korridore. Irgendwo heulte eine Sirene auf.

Die Tür von 509 wurde aufgerissen.

Eine Krankenschwester, die ihr Häubchen verloren hatte, stolperte auf den Gang. Ihr Haar hatte sich aufgelöst und hing bis zu den Schultern herab. In den weit aufgerissenen Augen stand die Angst. Blut floss aus ihrer Nase über Mund und Kinn und tropfte auf den weißen Kittel.

Der Mann hinter ihr überragte sie um einen Kopf. Er hatte glattes schwarzes Haar, eine schmale, gebogene Nase und graue Augen. Bekleidet war er mit Hose und Hemd. Sein rechter Arm hing in einer schwarzen Tuchschlinge.

Jack Riggs sah uns und schoss sofort.

Ich hechtete nach links, riss Sergeant Beeker aus dem Stand und krachte mit ihm gegen die nächste Tür, die unter der doppelten Wucht aufsprang. Wir stürzten auf den Boden.

Phil tat das Gleiche nach rechts mit der Schwester, die uns die Auskunft gegeben hatte. Ich hörte das Klirren des Chromtisches, den er dabei umriss.

Kein zweiter Schuss fiel.

Ich löste mich von Beeker, der mich fassungslos anstarrte und reaktionslos auf dem gefliesten Boden lag. Wir waren in einen Waschraum gestürzt, und der Sergeant musste hart aufgeschlagen sein.

Ich robbte zur Tür und richtete mich auf. Phil lag auf der anderen Seite des Gangs, drückte die Krankenschwester an die Wand und schützte sie mit seinem Körper.

Die Tür von 509 stand offen. Riggs hatte seine Geisel ins Zimmer zurückgezerrt.

»Riggs, gib auf! Lass die Schwester frei!«, rief ich.

Er antwortete sofort.

»Ich habe dich erkannt, Cotton.« Nichts in seiner Stimme verriet Erregung. Sie drückte die kalte Entschlossenheit aus, für die Riggs berüchtigt war und die ihn so gefährlich machte. »Versuch nicht, mir die Ohren vollzusäuseln. Ich komme mit der Frau raus, fahre mit ihr nach unten und steige in einen Wagen. Wenn ihr versucht, mich aufzuhalten, besorg ich's ihr.«

Ich spürte Sergeant Beekers Atem in meinem Nacken und drehte mich um. Er hielt seinen Revolver in der Hand.

»Stecken Sie das Ding ein«, flüsterte ich.

Auf der anderen Seite des Gangs begann Phil, mit der Krankenschwester zurückzukriechen, um sie in Sicherheit zu bringen.

»Hör zu, Riggs!«, rief ich. »Du kannst mich als Geisel haben!«

»Ich kenne eure Tricks. Verhandeln, bis eure Spezialisten aufmarschiert sind und ihr euren Apparat angeworfen habt. Nicht mit mir. Ich komme jetzt, Cotton.«

Er kam tatsächlich. Die Schwester diente ihm als Schutzschild. Sie ging unsicher und hielt den Kopf auf eine merkwürdige Weise gereckt. Ich erkannte die Ursache. Riggs hatte ihr eine Gardinenschnur um den Hals gelegt, die er mit der Hand des verletzten Arms hielt. Ich fragte mich, was mit dem Arm geschehen war und wie weit er ihn benutzen konnte.

»Riggs, ich will, dass der Frau nicht noch mehr zustößt. Hier ist meine Kanone.«

Ich zog den 38er und schob ihn auf dem Boden in den Gang hinaus. Die Waffe rutschte Riggs bis vor die Füße.

Die Arme über den Kopf erhoben, trat ich auf den Gang.

Riggs stoppte die Frau mit einem harten Ruck an der Schnur, die sich zuzog wie das Würgehalsband eines Hundes. Sie rang nach Luft.

»Aus dem Weg, G-man, oder ...«

»Riggs, nimm Vernunft an.«

»G-man, ich gebe dir drei Sekunden, oder ich blas dir ein faustgroßes Loch quer durch deine Figur.«

Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken. Riggs benutzte Kanonen mit überschwerem Kaliber. Faustgroßes Loch? Die eine Kugel, die in die Wand eingeschlagen war, hatte einen Quadratyard Putz runtergeholt.

»Irgendwer muss dir den Weg freihalten, Riggs. Das Krankenhaus ist in Aufruhr. Schon die Neugierigen können dir den Ausgang versperren, und wenn erst einmal die Reporter dranhängen, bist du verloren. Die Zeitungsjungs pfeifen auf deine Drohungen. Die wollen ihre Sensation und kümmern sich einen Dreck darum, ob du die Frau ...« Ich sprach sehr schnell. Drei Sekunden waren nicht lang, und faustgroße Löcher heilten nie wieder. »Wer soll dich fahren, Riggs? Dein rechter Arm scheint außer Funktion, und die Frau verliert die Nerven. Du brauchst mich, Riggs.«

Über fünf Schritte Abstand hinweg starrte ich ihm in die Augen, die er leicht zusammengekniffen hatte, als visierte er ein fernes Ziel an.

»Weg mit der Jacke, G-man!«, befahl er.

Ich zog die Jacke aus, schleuderte sie weit weg.

»Und die Hosen.«

Ich löste den Gürtel, stieg aus den Hosen, schob sie mit dem Fuß zur Seite.

»Dreh dich um. Hände über den Kopf.«

Ohne Zögern gehorchte ich.

»Der Dicke soll rauskommen und seine Kanone fallen lassen.«

»Beeker, kommen Sie raus. Tun Sie, was er sagt.«

Der Sergeant kam, legte seinen Revolver so sorgfältig auf den Boden, als wäre er zerbrechlich. Mit rotem Gesicht richtete er sich auf, beide Arme zur Seite weggestreckt. Mit offenem Mund und aufgerissenen Augen sah er töricht und hilflos aus wie ein gefangener Fisch.

»Dein Freund Decker. Wo ist er? Du warst nicht allein, Cotton.«

Phil, der die Schwester in Sicherheit gebracht hatte, trat aus der Türnische.

»Geh rückwärts bis zu den Lifts. Lass die Arme keine Sekunde sinken.«

Längst waren wir nicht mehr allein. Mindestens zwölf Menschen, die meisten in der weißen Kleidung der Krankenhausbediensteten, waren zusammengelaufen. Sie blockierten den Weg zu den Aufzügen, wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten, sondern beobachteten unsere seltsame Prozession, die sich auf sie zubewegte, zuerst Phil, rückwärtsgehend, dann ich ohne Jacke und Hose, mit leerem Revolverholster unter der Achsel, ein nahezu lächerlicher Anblick, aber dann die Krankenschwester mit dem blutigen Gesicht und dem blutbesudelten Kittel, von Riggs am Halsstrick geführt, und Riggs selbst, ein bewaffneter, zum Letzten entschlossener Mörder.

»Gehen Sie aus dem Weg!«, rief ich. »Schneller! Machen Sie Platz! Oder Sie riskieren das Leben Ihrer Kollegin!«

Ein grauhaariger Mann, zweifellos Arzt, begriff und sorgte dafür, dass wir ungehindert die Aufzüge erreichten.

Eine Kabine befand sich auf der Chirurgie-Etage.

»Geh als Erster rein, Cotton! Bleib vorne stehen!«, befahl Riggs.

Die Kabine war geräumig, berechnet für den Krankentransport in Rollstühlen und Betten.

Riggs dirigierte seine Geisel an mir vorbei in die linke Ecke. Immer sorgte er dafür, dass sich die Frau zwischen ihm und mir befand.

»Drück den Knopf fürs Erdgeschoss.«

Ich gehorchte. Die Schachttür schloss sich, die Kabine glitt abwärts. Riggs, die Frau und ich waren für eine halbe Minute allein.

»Sind Sie Schwester Sue?«, sprach ich die Frau an.

»Ja«, antwortete sie hauchleise.

»Verzweifeln Sie nicht, Sue. Alles wird gut enden. Befolgen Sie alle Befehle. He, Riggs, schnür ihr nicht die Luft ab. Wenn sie umfällt, gibt es auch für dich Schwierigkeiten.«

»Halt die Schnauze, Schnüffler!«, knurrte er.

Ich konnte nicht sehen, welche Waffe er in der Hand hielt. Auf jeden Fall hatte er einen zweiten Revolver im Gürtel, vermutlich eine Copwaffe. Ich wagte nicht daran zu denken, was den Polizisten zugestoßen war.

Die Kabine setzte auf. Die Tür glitt zurück. Ich sah die Empfangshalle des Redwood Hospital vor mir. Sie wimmelte von Menschen. Noch immer heulte eine Sirene. Niemand schien zu wissen, was geschehen war.

Atemlos nach der Abwärtsjagd über die Treppen von fünf Etagen, erschien Phil auf der Szene.

Der Anblick der vielen Menschen in der Halle machte Riggs nervös.

»Bring uns durch, G-man, oder es gibt 'ne Menge Leichen.«

Ich verließ den Lift mit hochgereckten Armen.

»Hören Sie alle zu!«, rief ich.

Mit einem Schlag verstummte das Stimmengewirr.

»Das ist eine Geiselnahme!«, überbrüllte ich die heulende Sirene. »Der Mann hinter Schwester Sue ist bewaffnet und wird schießen, falls versucht wird, ihn aufzuhalten! Mischen Sie sich also nicht ein! Befolgen Sie die Anordnungen des FBI Agents Decker. Gehen Sie aus dem Weg!«

Phil rang noch nach Luft.

»Macht Platz, Leute!«, keuchte er.

Er sorgte für eine Gasse, und ich setzte mich in Bewegung. Riggs stieß seine Geisel vorwärts und hielt sich dicht hinter mir.

Dreißig, vierzig Augenpaare starrten uns an. Bis auf das Heulen der Sirene und Phils ständig wiederholte Aufforderung, Platz zu machen, gab niemand einen Laut von sich.

Die Hälfte der Halle hatten wir durchquert, als Riggs rief: »Da sind Cops!«

Es war eine Gruppe von vier uniformierten Beamten, die in dieser Sekunde durch den Eingang kamen.

»Phil ...!«, rief ich warnend.

Mein Partner hatte die Polizisten gesehen, die so reagierten, wie sie es gelernt hatten. Sie griffen nach ihren Waffen.

Phil sprang vor und schrie: »Decker vom FBI! Hände weg von den Schusswaffen! Ihr gefährdet die Geisel!«

Sie zögerten. Zwar zogen sie die Revolver nicht, ließen aber die Hände auf den Griffen.

Der einzige Schwarze unter ihnen, der die Rangabzeichen eines Sergeants trug, fragte: »Wer ist der Mann?«

»Jake Riggs, ein Berufskiller aus New York.«

»Und der Bursche ohne Hosen?«

»Jerry Cotton, FBI Agent wie ich.«

»Warum macht ihr dem Killer nicht klar, dass er keine Chance mehr hat?«

Riggs gab die Antwort auf seine Weise. Er feuerte eine Kugel in die Glaskabine neben dem Eingang, in der im Normalfall die Empfangsschwester saß. Jetzt drängte sich mindestens ein halbes Dutzend Menschen in dem gläsernen Verschlag, und Riggs schoss auf sie, ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, wen seine Kugel töten würde.

Unter der Wucht des Projektils zerbarst eine große Glasscheibe und stürzte nach innen. Zum Glück war das Glas so massiv, dass die Kugel zum Querschläger wurde, der jaulend eine lange Schramme in die Decke fräste.

Klar, dass der Schuss Panik auslöste. Alle stürzten auseinander, schreiend, um sich schlagend, einander anrempelnd.

Klar auch, dass die Cops ihre Kanonen zogen. Ein blutiges Ende schien unvermeidbar.

Phil brüllte wie ein Wahnsinniger: »Nicht schießen! Nicht schießen!«

Zu unserem Glück behielt der schwarze Sergeant die Nerven und brüllte seine Leute an: »Kein Feuerwerk, Jungs! Ruhe! Ruhe! Die Schießeisen zurück in die Holster!«

»Der Bastard ist verrückt!«, rief ein Polizist. »Er legt uns um!«

»Meine Verantwortung«, sagte der Sergeant.

»Aber meine Leiche!«, empörte sich der Cop und schob widerwillig den Revolver ins Holster.

Mit großer Armbewegung trieb der Sergeant die Cops zur Seite, wandte sich uns zu. »Beeilt euch. Bringt den Kerl endlich ins Freie, wo er weniger Unheil anrichten kann.«

Aus der Glaskabine drangen Schreie und Hilferufe. Alle, die sich darin befanden, hatten sich hingeworfen und waren von den Bruchstücken der großen Glasscheibe getroffen worden.

Ich drehte mich zu Riggs und der Frau um. Schwester Sues Augen standen starr und blicklos in dem blutverschmierten Gesicht, als nähme sie nichts von ihrer Umwelt wahr. Riggs hatte die Lippen von den Zähnen gezogen und zeigte sein Gebiss wie ein Tier, das dem Feind Kampfbereitschaft bis zum Äußersten signalisiert.

Ich hob den Fuß, machte den ersten, den zweiten Schritt, ging schneller, sah mich um. Riggs trieb die Frau vorwärts, zwang sie, sich meinem Tempo anzupassen. Plötzlich schien alles völlig glatt abzulaufen. Wir passierten die Cops. Der schwarze Sergeant hielt sein Walkie-Talkie in der Hand und sprach flüsternd ins Mikrofon. Die große automatische Tür öffnete sich.

Ich trat ins Freie. Meine Sinne registrierten die Kühle und Frische der Luft nach dem Geruch von Desinfektionsmitteln, Explosionsgasen und Angst, der jeden Atemzug der letzten Minuten geschwängert hatte. Obwohl nichts entschieden war, fasste ich Hoffnung.

»Welchen Wagen willst du?«, fragte ich über die Schulter.

In der Auffahrt standen drei Streifenwagen der Polizei, die Ambulanzfahrzeuge und der Wagen, mit dem wir gekommen waren. Er war das einzige Zivilfahrzeug, ein Chevrolet Malibu ohne jede Kennzeichnung, dass er einem Polizeibeamten gehörte.

»Den Malibu«, antwortete Riggs.

»Ich weiß nicht, ob der Schlüssel steckt.«

»Sieh nach.«

Sechs Treppenstufen trennten den Eingang von der Auffahrt. Ich lief sie hinunter, beugte mich in den Wagen.

Der Schlüssel steckte im Zündschloss.

Ich richtete mich auf, drehte mich um und rief Riggs zu: »Okay! Schlüssel steckt!«

Er drängte Schwester Sue vorwärts. Schwankend nahm sie die erste Stufe.