1,99 €
Der übergewichtige Kassman besaß ein gut gehendes Feinschmeckerrestaurant in New York. Doch hinter dieser Tarnung betrieb Kassman ein grausiges Geschäft: die Mord-AG. Er hatte eine kleine Armee von Killern, die jeden umbrachten, dessen Tod von interessierten Personen bestellt und bei Kassman bezahlt wurde. Bis eines Tages sein Topkiller, den er selbst nicht kannte, alles an sich reißen wollte. Es war Lester, der beste Mann der Mord-AG ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 202
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Der beste Mann der Mord-AG
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
Vorschau
Impressum
Der beste Mann der Mord-AG
Der übergewichtige Kassman besaß ein gut gehendes Feinschmeckerrestaurant in New York. Doch hinter dieser Tarnung betrieb Kassman ein grausiges Geschäft: die Mord-AG. Er hatte eine kleine Armee von Killern, die jeden umbrachten, dessen Tod von interessierten Personen bestellt und bei Kassman bezahlt wurde. Bis eines Tages sein Topkiller, den er selbst nicht kannte, alles an sich reißen wollte. Es war Lester, der beste Mann der Mord-AG ...
Auf mein höfliches Klopfen an seine Tür hin gab Zacco Turner die denkbar unhöflichste Antwort: eine lange Serie aus einer Maschinenpistole.
Die Kugeln durchschlugen das dünne Holz. Splitter spritzten durch die Luft. Ich presste mich links von der Tür gegen die Wand. Rechts stand Phil. Aufrecht und starr wie Schildwachen der englischen Königin rahmten wir Turners Tür ein, obwohl er nicht die leiseste Ähnlichkeit mit einer Königin hatte, sondern als Killer für Kassmans Mord-AG arbeitete. Auch das Haus war alles andere als ein Palast. Turner veranstaltete sein Feuerwerk in einem vergammelten Fünf-Etagen-Bau der Lower East Side.
Sein gezielter Salut zu unserem Staatsbesuch dauerte fünfzehn Sekunden. Dann brüllte er zur Begrüßung: »Ich schick euch zur Hölle, G-men!«
G-men.
Woher wusste Zacco Turner, wer vor seiner Tür stand? Doch im Augenblick blieb die Frage zweitrangig.
Wie üblich verlegten wir uns aufs Überreden.
»Gib auf, Zacco. Du kannst dir den Weg nicht freischießen«, sagte ich.
»Ich lege jeden um.«
»Unsinn, Zacco. Du kannst nicht drei Dutzend Polizisten umlegen. Die Straße ist abgeriegelt.«
Der Satz entsprach nicht unbedingt der lauteren Wahrheit. Nichts war abgeriegelt. Nirgendwo warteten schussbereite Cops. Nur Phil und ich standen Turner im Weg und hofften, dass er nichts davon ahnte.
Überall im Haus schrien Menschen, schlugen Türen, bebten die Holztreppen unter den Füßen der Bewohner, die ins Freie drängten. Auf dem Podest zur fünften Etage erschien eine schwarze Mammy, die zwei plärrende Kleinkinder an die gewaltigen Brüste presste.
Ich winkte heftig mit den Armen. »Zurück in die Wohnung! Schließen Sie die Tür!«
Jammernd rief sie die Heiligen um Hilfe an. Die Kinder legten noch einen Zahn an Lautstärke zu. Das Gebrüll und Geschrei im Haus hielt an. Und zur Krönung des Wirrwarrs drückte Turner noch einmal auf den Abzug.
Vier Kugeln durchschlugen das Türblatt und knallten ins Holz der Treppe, auf deren Podest die Mammy stand. Sie heulte auf wie eine Schiffsirene und drehte ab. Himmel, welche Kehrseite. Krachend fiel hinter ihr die Wohnungstür ins Schloss. Wir konnten uns wieder mit Turner beschäftigen.
»Als Kronzeuge gegen Kassman gibt dir der Richter eine faire Chance, Zacco. Sei vernünftig, und komm raus«, sagte ich.
»Bei mir ist eine Frau!«, schrie er. »Wenn ihr reinkommt, knall ich sie ab. Los, Baby, sag's ihnen. Sag den Schnüfflern, dass ich dir die Mündung an deine Birne halte. Sag's ihnen, zum Teufel.«
Es war kein Bluff. Eine Frau rief schluchzend: »Bitte, Zacco! Tu's nicht. Lass mich gehen. Bitte. Ich bin doch nur raufgekommen weil du ... Du hast bekommen, was du wolltest. Lass mich gehen. Ich verlange kein Geld.«
Das Klatschen der Schläge war deutlich zu hören. Die Schmerzensschreie der Frau gingen in lautes Weinen über, das Zacco Turner überbrüllte: »Alles klar, G-men? Ich schwöre euch, ich besorg's ihr!«
Kein Zweifel, Turner hielt eine Frau in seiner Gewalt, vermutlich eine junge Frau, die er von der Straße mitgelotst hatte. Damit hatten wir nicht gerechnet. Schließlich war es elf Uhr vormittags. Doch wirklich nicht die übliche Zeit für, na ja, Sie wissen schon.
Eine Frau in Turners Wohnung. Das änderte die Lage. Ob Professorentochter oder Prostituierte, Gewaltaktionen kamen nicht mehr infrage. Jetzt mussten wir uns auf eine lange Belagerung und viel Geduld einrichten, und dazu brauchten wir die Cops.
Phil kam zur gleichen Erkenntnis und holte das Walkie-Talkie aus der Tasche. Er rief das Hauptquartier und sagte, sie sollten die City Police veranlassen, ein paar Streifenwagen und eine Special Action Squad in die Hester Street zu schicken.
Es war inzwischen ziemlich still geworden, im Haus und auch in Turners Wohnung.
»Roger. Bitte bestätigen«, sagte er.
Plötzlich presste er das Walkie-Talkie ans Ohr, lauschte angespannt, winkte mir heftig zu, und zeigte aufs Gerät.
Ich holte mein Walkie-Talkie heraus und folgte Phils Beispiel.
»... über die Feuerleiter aufs Dach, Zacco«, hörte ich eine Männerstimme. »Beeil dich.« Trotz des Rauschens vieler Störungen waren die Worte gut zu verstehen.
»... Die Cops schießen mich von der Leiter.«
Das war Zacco Turners Stimme. Turner flüsterte, damit wir ihn nicht auf direktem Weg hörten.
»Es gibt keine Cops in der Straße. Nur die beiden G-men vor deiner Tür. Verdammt, warum hast du nicht früher auf das Rufzeichen reagiert? Schnell. Geh aufs Dach und ...«
»Zwei Feds kann ich mit der MP umnieten. Sie haben nur einfache Kanonen und ...«
»Die kannst du nicht umnieten. Das sind Topjungs. Cotton und Decker.« Der Mann sprach mit schneidender Schärfe. »Verdammter Armleuchter, wenn du nicht in drei Minuten auf dem Dach auftauchst, lass ich dich in deiner Scheiße ersticken.«
»Ich benutz die Nutte als Geisel.«
»Sie hindert dich nur.«
»Nein, sie ist mein einziger Schutz«, beharrte Turner. »Ich gehe nicht ohne sie ...«
»Schlepp sie meinetwegen mit, aber beeil dich.«
»Okay, okay, ich komme.«
Ich nickte Phil zu, verständigte mich mit ihm über die Rollenverteilung durch ein Handzeichen und flitzte die Treppe zur fünften Etage hoch.
Alle Wohnungstüren waren verschlossen. Mir blieb keine Zeit für ein langes Öffnungspalaver. Zweimal trat ich vors Schloss. Die Tür sprang auf.
Die zweite Begegnung mit der überaus kräftigen Mammy und ihren jaulenden Sprösslingen. Sie stand im kleinen Flur und füllte ihn vollständig aus. Ich quetschte mich an ihr vorbei und grinste sie unter Aufbietung aller Gesichtsmuskeln so immens freundlich an, dass ihr das Hilfegeschrei in der Kehle erstarb.
Die nächste Tür stieß ich mit der Schulter auf und platzte in die Küche. Auf dem Herd qualmte es aus drei Töpfen. Auf einem zerschlissenen Sofa lag ein magerer Mann in Unterwäsche, ein Weißer, und schnarchte. Mit jedem Atemstoß blies er eine Wolke Fuseldunst in die stickige Luft.
Ich ging zum Fenster und schob es hoch.
Die Feuerleiter verlief als Stahltreppe im Zickzackmuster in der Hausmitte. Eine Etage tiefer sah ich Zacco Turner, der sich aus der Fensteröffnung wand und die Frau mitzerrte. Wir hatten ihn wirklich übel gestört, denn er trug nur eine Hose und war barfuß.
Die Frau war eine knallige Blondine, bekleidet mit einem schwarzen Slip und ihrem langen strohblonden Haar. Mit der linken Hand hatte Turner sie gepackt. In der rechten hielt er eine Uzi, eine überaus handliche Kugelspritze, bei kapitalistischen Gangstern nicht weniger beliebt als russische Kalaschnikows bei linken Terroristen.
Als die Schüsse fielen, steckte die Frau noch zur Hälfte im Zimmer. Zacco Turner wurde getroffen. Die Wucht der Einschläge warf seinen Körper nach vorne, bevor die Knie nachgaben und Turner zusammenbrach. Er kippte seitlich weg.
Die Uzi schlug scheppernd auf eine Stahlstufe. Sekundenlang hielt ihn das Gegengewicht der Frau, in deren Haar er seine linke Hand geschlagen hatte. Dann verloren seine Finger die Kraft. Der Griff löste sich. Turners Körper rutschte kopfüber die Stalltreppe hinunter, bis das Gittergeländer ihn auffing und festhielt.
Unten schrien die Leute. Die Hester Street war schmal. Keine Midtown Avenue, nur eine alte Wohnstraße mit verfallenen Häusern. Aus allen Fenstern starrten neugierige Gesichter.
Wo war der Schütze? Aus welchem Fenster, von welchem Dach hatte er geschossen?
Ich glaubte eine Bewegung zwischen den Dachaufbauten eines Hauses zu sehen, das zwanzig Yards weiter straßenaufwärts stand.
Ich warf mich herum und raste durch die Küche. Der Betrunkene schnarchte unverändert. Ich war zu hastig und rannte voll in die Mammy rein. Erst im zweiten Anlauf kam ich an ihr vorbei.
Phil stürzte aus Turners Wohnung.
»Weißt du, wo?«, schrie er.
»Das braune Haus auf der anderen Seite.«
Wir hetzten die Treppen hinunter, brachen aus dem Eingang und überquerten die Fahrbahn. Viel zu viele Menschen standen uns im Weg, und im Eingang des Hauses mit dem abblätternden braunen Anstrich ballte sich eine Gruppe Frauen und Kinder. Wir verloren kostbare Sekunden.
Das Haus hatte fünf Etagen wie der Bau, in dem wir Turner aufgespürt hatten. Von der letzten Etage führte eine schmale und steile Treppe aufs Dach.
Alte New Yorker Hausdächer hatten mehr Aufbauten als ein Schiffsdampfer. Kamine, Entlüftungsschächte, Antennen, Kaninchenställe und Abstellverschläge machten sich den Platz streitig. Dazwischen war jede Menge Gerümpel.
Phil fand die Waffen neben einem gemauerten Kamin, ein Repetiergewehr mit abnehmbarem Schaft. Fünf Schritte weiter lag ein japanisches Walkie-Talkie.
»Wir hätten ihm auf der Treppe begegnen müssen«, sagte Phil.
Nein, auch wenn wir schneller gewesen wären, hätten wir ihn nicht auf der Treppe abfangen können. Er hatte das Haus auf anderem Weg verlassen. Erst bei gründlicher Nachsuche durch die Spurensicherung des Homicide Department entdeckte ein Beamter das Seil, das Turners Mörder um die Stahlsäule einer TV-Antenne geschlungen hatte und das auf der Hausrückseite bis auf den Grund des Lichtschachts fiel.
»Wenn er sich daran abgeseilt hatte, musste er sich körperlich in Bestform befunden haben«, stellte Phil fest.
Auf der anderen Straßenseite in Turners Wohnung lief die Untersuchung in üblicher Routine ab. Seine Leiche wurde fotografiert. Der Polizeiarzt stellte den Tod fest, bevor der Körper in einer Zinkkiste abtransportiert wurde.
Die blonde Frau war mit ein paar Kratzern und einem mittleren Schock davongekommen. Sie war fähig, unsere Fragen zu beantworten.
Turner hatte sie um zehn Uhr in einem Coffeeshop aufgerissen und in seine Wohnung mitgenommen. Nach dem ersten Durchgang war Turner eingeschlafen.
Die Blondine hatte das Zimmer nach etwas Trinkbarem abgesucht, war im Eisschrank fündig geworden und mit einem gut gefüllten Glas ins Bett zurückgekehrt. Sie hatte sich von dem ständigen Summen und Blinken gestört gefühlt, das ein schmales schwarzes Gerät auf dem Nachttisch von sich gegeben hatte. Sie wusste, wie ein Walkie-Talkie aussah, aber sie konnte es nicht bedienen. Schließlich hatte sie Zacco Turner so lange geschüttelt, bis er aufgewacht war.
»Irgendwer will dich sprechen.«
Turner hatte sich das Walkie-Talkie geschnappt und ins Mikro gesagt: »Was ist los?« Im selben Augenblick hatten wir an die Tür geklopft. Turner war aus dem Bett zum Kleiderschrank gehechtet, hatte die Türen aufgerissen, die Maschinenpistole aus dem Versteck geholt und sofort losgeballert.
»Lagen Sie noch im Bett, Miss?«, fragte Phil freundlich.
Sie nickte. »Ich war starr vor Schreck. Als er sich nach den ersten Schüssen auf mich stürzte, dachte ich, er würde mich umbringen.«
»Wann hat er wieder nach dem Walkie-Talkie gegriffen?«
»Es war eingeschaltet, und ein Mann rief immer wieder Zaccos Namen, bis er schließlich das Gerät aufnahm und sagte: ›Was soll ich tun?‹«
»Nannte Turner seinerseits einen Namen?«
»Nein, ich erinnere mich nicht.«
»Danke, Miss. Wir freuen uns, dass Sie den Zwischenfall unbeschadet überstanden haben.«
Sie war schon wieder in Form und lächelte Phil vielversprechend an. »Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, G-man. Wenn Sie mich nicht so schnell von der Feuerleiter in die Wohnung zurückgezogen hätten, wäre auch ich ein Opfer des Mörders geworden.«
»Nicht der Rede wert«, sagte Phil. »Hoffentlich habe ich Sie nicht zu hart angefasst.«
»Ich denke, Sie haben gespürt, dass ich nicht aus Watte bin.«
Phil drängte zur Tür. Es war höchste Zeit, das Gespräch zu beenden.
Volle zweihundert Pfund brachte Jo Kassman auf die Waage. Wenn er sich zwischen den Tischreihen seines Restaurants durchschob, begannen manche Gäste schneller zu essen, aus Furcht, Kassman könnte ihnen die Schüssel wegnehmen. Er erweckte den Eindruck absoluter Unersättlichkeit.
Das Restaurant befand sich in einem schmalen, alten Haus der Front Street, überragt vom vielzackigen Gebirge der Downtown-Wolkenkratzer, eines der seltenen alten Häuser, die von der Bodenspekulation nicht gefressen worden waren und bis auf Widerruf schwarz und schäbig ihr Dasein zwischen Stahl- und Betontürmen fristeten.
Kassmans Restaurant hieß The Kitchen. Er hatte alle vier Etagen des Hauses und sämtliche Anbauten gemietet, The Kitchen einen Speak-easy-Look gegeben und die Räume im Stil einer Gangsterkneipe der Prohibitionszeit eingerichtet. Es gab Hinterzimmer, einen Billardraum, Brandy in Kaffeetassen und italienische Gerichte. Die Spekulation mit der Nostalgiewelle zahlte sich aus. The Kitchen entwickelte sich zu einem vielbesuchten Restaurant, und es entwickelte sich zu genau dem, was es zu sein vorgab: zu einem Treffpunkt für Gangster.
Gegen Gangster war Jo Kassman nicht allergisch. Er selbst hatte seine Laufbahn als Buchmacher begonnen, bis er zu dick geworden war, um beim Einkassieren der Wetten täglich viele Treppen zu steigen. Über einige Zwischenstufen hatte er sich zum Chefberater des Faranghi-Syndikats aufgeschwungen.
Die Faranghis, Vater Jerome, drei Söhne und ein rundes Dutzend Vettern, waren mit ein paar Millionen Dollar Startkapital aus dem Libanon in die Staaten gekommen und hatten versucht, einen Anteil am New Yorker Rauschgiftmarkt zu erobern. Nach anfänglichen Erfolgen waren Jerome, zwei Söhne und der ein oder andere Vetter auf der Strecke geblieben. Der Rest des Clans hatte einen hastigen Rückzug in den Libanon angetreten.
Obwohl Jo Kassman ein wichtiger Mann in der Faranghi-Organisation war, wurde ihm nie ein Haar gekrümmt. Auch später blieb er ungeschoren.
Wir brauchten ein Jahr, bis wir die Zusammenhänge durchschauten.
Nach den ersten Erfolgen der Libanesen hatten die Bosse von fünf Syndikaten, deren Geschäfte bereits durch die Aktivität der Faranghis gelitten hatten, ihre internen Streitigkeiten begraben und sich auf die Gründung einer Organisation verständigt, mit deren Hilfe die Konkurrenz ausgeschaltet werden sollte.
Sie hatten sich verhalten wie die Gründer einer normalen Aktiengesellschaft, pro Kopf fünfzigtausend Dollar als Startkapital eingezahlt und die Verpflichtung übernommen, ein Fünftel der Kosten zu tragen. Dann hatten sie nach einem geeigneten Geschäftsführer Ausschau gehalten und waren auf den grandiosen Gedanken verfallen, Jo Kassman den Posten anzubieten.
Ohne Skrupel und ohne Zögern hatte Kassman angenommen. Acht Monate später waren die wichtigsten Faranghi-Männer tot, erschossen von Killern, die Kassman angeheuert und denen er die Gelegenheit verschafft hatte, an ihre Opfer heranzukommen.
Die Aktiengesellschaft hatte ihre Aufgabe erfüllt. Sie hätte liquidiert werden können. Stattdessen geschah, was schon einmal mit einer Mord-AG in den Zwanzigerjahren geschehen war. Sie existierte als selbstständige Firma weiter, unabhängig auch von ihren Gründern, ein Dienstleistungsunternehmen für jedermann, der einen Mord brauchte und bereit war, dafür zu zahlen.
Der Name blieb haften.
Mord-AG.
Die Geschäfte führte ein übergewichtiger Restaurantbesitzer: Jo Kassman.
Im Erdgeschoss von The Kitchen servierte ein halbes Dutzend Kellner Schnellgerichte für Clerks und Sekretärinnen der nahen Bürotürme.
Eine steile Treppe führte zur ersten Etage hinauf. Dort standen die Tische in Nischen. Die Speisekarte war umfangreicher und enthielt die berühmten Leibgerichte der großen Gangster: Makkaroni à la Carbonara, Saltimbocca und Gefillte Fisch.
Kassman stand neben der Kasse, sprach mit der Kassiererin, einer jungen Schwarzen, und tätschelte die geschwungene Rückseite des Mädchens, das wehrlos lächelte. Als Kassman uns erblickte, ging ein breites Lächeln auf seinem Gesicht auf. Er flüsterte dem Mädchen etwas zu, lachte laut, und ihr blieb keine andere Wahl, als mitzulachen. Kassman ließ ihre Rückseite in Ruhe und kam zu uns.
Er war ein Sechs-Fuß-Mann mit einem kantigen Schädel, auf dem eisgraues Stoppelhaar wuchs. Die blauen Augen standen weit auseinander. Die Nase war kurz und knollig, der Mund breit mit dicken Lippen. Ein strammer Bauch wölbte die Jacke. Er ging auf übergroßen Füßen, für die er die Schuhe nach Maß anfertigen lassen musste. Seine Erscheinung erinnerte an einen Grizzlybär.
»Willkommen zum Lunch, G-men!«, trompetete er. »Es ist eine hohe Ehre für The Kitchen, wenn New Yorks Edelschnüffler ihre leicht verdienten Steuerdollars bei uns verfrühstücken. Der Küchenchef empfiehlt heute Ossobuco oder, falls ihr jiddische Küche vorzieht, Hechtklößchen in Sauerrahm.«
»Jack Turner, genannt Zacco, der beste Mann deiner Mord-AG ist tot«, sagte ich.
Er gab sich keine Mühe zu verbergen, dass die Nachricht für ihn nicht neu war.
»Tut mir leid um Mister Turner. Er war häufig Gast in meinem Restaurant. Daher kenne ich ihn. Ich betreibe nämlich ein Restaurant, G-men, und nicht eine Aktiengesellschaft für Mord, wie ihr immer wieder behauptet.«
»Wir wollen dir ein paar Fragen stellen, Kassman.«
»In Ordnung, ich stehe zur Verfügung. In der Ecke ist ein Tisch frei.«
Er führte uns zu einem Nischentisch, ließ sich auf einen Stuhl fallen und winkte dem Kellner.
»Was wollt ihr essen?«, fragte er uns.
Phil und ich lehnten ab.
»Wenigstens einen Drink?«
»Auch keinen Drink«, sagte ich.
»Hoffentlich erlaubt ihr, dass ich etwas esse?«
Er beauftragte den Kellner, ihm Wein und Muscheln in Safran zu bringen.
»Legt los«, sagte er, sobald sich der Kellner entfernt hatte.
»Wann hast du Turner zuletzt gesehen?«, fragte ich.
»Ich schätze, dass er zum letzten Mal vor ungefähr drei Wochen zum Lunch kam.«
»Richtig. Du schicktest ihn nach Atlanta, wo er am 8. August Fanny Wortigo erschoss.«
»Ich kenne keine Fanny Wortigo.«
»Niemand behauptet, dass du die Menschen, auf die du einen Killer ansetzt, persönlich kennst. Für dich sind sie ja nur ein Auftrag.«
Der Kellner brachte den Wein und füllte ein Glas aus der Karaffe. Kassman kostete und grunzte zufrieden.
»Noch nie war ich in Atlanta«, sagte er und setzte das Glas ab.
»Fanny Wortigo verwaltete einen Nachtklub für das Greenwood-Syndikat, wobei sie dick in die eigene Tasche wirtschaftete. Außerdem verzieh sie Nathaniel Greenwood die jüngere Freundin nicht, die er an ihre Stelle gesetzt hatte. Als Greenwood sie wegen der Unterschlagungen feuern wollte, drohte sie ihm mit Anzeigen und Enthüllungen. Da er tatsächlich ein paar saftige Spritzer auf der Weste hatte, zum Beispiel Prostitution, Rauschgiftdeals, Alkoholpanscherei, Steuerhinterziehung und so weiter, entschloss er sich für den radikalen Weg, um seine Ex-Freundin loszuwerden. Am 14. Mai, Kassman, hat Nathaniel Greenwood in deinem Restaurant gegessen und sich mit dir über den Auftrag zur Tötung von Fanny Wortigo verständigt.«
»Es steht schlecht um mich.« Aus Kassmans Stimme troff Spott wie Fett aus einem Weihnachtskrapfen. »Wenn Mister Greenwood ein Geständnis unterschrieben hat, werde ich auf dem elektrischen Stuhl enden.«
Der Kellner servierte eine Terrine, aus der der Duft scharfer Gewürze aufstieg. Kassman stopfte sich eine große Serviette in den Hemdkragen und begann, den Inhalt der Terrine in sich hereinzuschaufeln.
»Hat Mister Greenwood gestanden?«, fragte er zwischen zwei Löffeln.
Natürlich hatte Greenwood nicht gestanden. Was ich Kassman vorhielt, war die Rekonstruktion der Tat und ihrer Motive. In der Nacht, in der Turner die Frau erschoss, hatte sich Greenwood bei einem Meeting der Republikanischen Partei befunden und sogar eine große Rede geschwungen, die ihm ein Fünfhundert-Personen-Alibi verschaffte. Nein, weder Greenwood noch Kassman konnten wir wegen des Mordes in Atlanta verhaften.
Zacco Turner hätten wir verhaften können, denn er hatte schlampig gearbeitet und sein Opfer vor Augenzeugen getötet. Zwei zufällige Zeugen waren Beamte der Atlanta City Police, die sich zwar selbst in einer verfänglichen Situation befunden hatten, in Zivil und mit spärlich bekleideten Mädchen auf den Knien, aber Turner mit hundertprozentiger Sicherheit als Täter identifizierten.
Aus und vorbei. Das Glückslos hatte sich im letzten Augenblick als Niete entpuppt. In unserem Kampf gegen die Mord-AG besaßen Haftbefehl und Zeugenaussagen gegen Zacco Turner nur noch den Wert von Altpapier.
»Ihr solltet die Muscheln versuchen«, sagte Kassman. »Sie schmecken fantastisch.«
Ein Mann kam an unseren Tisch. Ohne jede Einleitung stellte er die Frage: »Sind Sie Polizeibeamte? Detektives?«
Ich erinnerte mich, ihn beim Heraufkommen an einem Tisch in der Nähe der Treppe gesehen zu haben, zusammen mit einer jungen Frau. Die Frau saß noch an diesem Tisch.
»Scher dich zum Teufel!«, schrie Kassman.
Der Mann war jung, Anfang dreißig. Das blonde Haar trug er halblang. Er hatte das glatte, scheinbar unausgeprägte Gesicht eines Collegeschülers, zu dem die schmalen zusammengekniffenen Augen mit ihrer grüngrauen Iris schlecht passten.
»Wer sind Sie?«, fragte ich.
»Robert Gilbride von R & G News Agency.«
»Reporter?«
Er machte eine ungeduldige Handbewegung. »Natürlich. Zu welcher Sorte Polizei zählen Sie? City? State? Federal?«
Kassman warf den Löffel in die Terrine. Die Safransauce spritzte.
»Ich gebe dir fürs Verschwinden drei Sekunden!«, brüllte er.
»Vermuten Sie auch, dass Jo Kassman Boss und Organisator der neuen Mord-AG ist?«, fragte der Reporter unbeirrt.
Kassman wuchtete seine zweihundertfünfzig Pfund so heftig in die Höhe, dass der Stuhl umstürzte, und nahm sich den Blonden zur Brust. Gilbride leistete Widerstand. Obwohl er mindestens hundert Pfund weniger wog, schien er gut trainiert zu sein. Ohne offen zuzuschlagen, machte er Kassman das Leben schwer, bis dieser es aufgab, seinen Gegner durch schieres Gewicht zur Treppe zu drängen, und wutentbrannt versuchte, den Mann zusammenzuschlagen.
Ich sah, dass die junge Frau aufgestanden war und mit einer Pocketkamera Aufnahme nach Aufnahme von Kassmans Angriff auf ihren Begleiter machte.
Die Kellner griffen ein. Sie packten Gilbride, rissen ihm die Arme auf den Rücken und machten ihn wehrlos.
Kassman zögerte keine Sekunde. Er rammte dem Wehrlosen die Faust tief unter die Gürtellinie. Gilbride sackte zusammen. Kassman holte mit der Rechten aus.
»Hör auf, Kassman!«, rief ich scharf.
»In die Gosse mit dem Bastard!«
Ich beobachtete, wie die junge Frau die Kamera zusammenschob, zum Tisch zurückging und nach ihrer Schultertasche griff. Sie warf ein paar Geldscheine auf den Tisch und wandte sich zur Treppe.
Kassman versperrte ihr den Weg. »Gib den Film raus, verdammtes Flittchen!«
Sie war mittelgroß, braunhaarig, weder hübsch noch hässlich und nicht besonders gut angezogen mit dem verdrückten blauen Rock und einer Bluse, die eine baldige Wäsche bitter nötig hatte.
»Lassen Sie mich gehen«, zischte sie Kassman an.
Er hielt sie mit einer groben Handbewegung zurück.
»Den Film«, wiederholte er. »Glaub mir, Süße, du wärst nicht die erste Nutte, der ich ein Make-up verpasse, das sich nicht abschminken lässt.«
Phil drängte sich zwischen Kassman und die Frau.
»Hör auf, den wilden Mann zu spielen«, sagte er ruhig.
»Niemand hat das Recht, in meinem Haus ohne meine Einwilligung herumzufotografieren.«
Phil streckte die Hand aus. »Geben Sie den Film mir.«
»Ihnen so wenig wie dem Fettwanst!«, rief sie schrill.
»Dann beschlagnahme ich ihn.« Phil zeigte ihr die ID Card. »Fotos von FBI Agents dürfen nur mit ausdrücklicher Erlaubnis veröffentlicht werden.«
»Ich habe nicht Sie fotografiert.«
»Mag sein, aber es besteht die Möglichkeit, dass wir auf den Bildern zu sehen sind. Wir entwickeln den Film.« Einen Grad energischer befahl er: »Beeilen Sie sich!«
Sie gehorchte, öffnete die Kamera und gab den Film ab.
»Kann ich gehen?«, fragte sie. »Ich muss mich um Bob kümmern. Wer weiß, ob dieses Schwein ihn nicht umgebracht hat.«
Kassman hob den Arm.
Phil fing seine Hand ab. »Warten Sie auf der Straße auf uns, Miss.«
Sie ging zur Treppe, und Kassman brüllte ihr nach: »Lass dich nie wieder hier blicken oder ...!« Den zusammengeschlagenen Reporter hatten die Kellner schon nach unten getragen.
Nur langsam verebbte die Zornesröte in Kassmans grobem Gesicht.
»Räumt auf!«, herrschte er seine Kellner an und stampfte nach vorne, wo die Treppe nach oben in die dritte und vierte Etage weiterführte, in der seine privaten Räume lagen.
»Kennst du den Mann?«, fragte Phil.
»In den letzten Wochen war er oft hier. Er bestellte wenig, saß aber stundenlang mit seiner Nutte herum. Ich erinnere mich, dass er dauernd Notizen machte.« Er schlug sich vor die Stirn. »Mir fällt ein, dass einige meiner Leute mir berichteten, ein Mann habe sich an sie herangemacht und versucht, sie über mich auszuhorchen. Ich dachte nicht weiter darüber nach, weil ich annahm, es handle sich um einen Schnüffler von eurer Sorte. Reporter sind schlimmer.«
»Warum?«
Er grinste, aber seine schlechte Laune war noch nicht verflogen. Das Grinsen fiel dünn aus. »Ihr braucht Beweise. Den Sensationshyänen genügen Gerüchte. Was sie veröffentlichen, kann einen Mann ruinieren, auch wenn die Story erstunken und erlogen ist.«
»Um welche Firma sorgst du dich?«, fragte ich. »Um The Kitchen? Oder um die Mord-AG?
Fünf Sekunden lang starrte er mich wortlos an. Dann stampfte er die Stufen hinauf, drehte sich aber auf der halben Treppe noch einmal um.
»Wenn ich eine Aktiengesellschaft für Mord leitete«, sagte er, »würde ich meinen besten Mann auf diese Zeitungshyäne ansetzen.«
Gilbride saß auf dem Bordstein. Er hielt den Kopf in den Nacken gelegt. Die junge Frau kniete neben ihm und bemühte sich, mit Papiertaschentüchern das Blut zu stillen, das aus seiner Nase und den aufgeplatzten Lippen sickerte. In kurzen Abständen warf sie ein vollgesogenes Tuch in den nahen Gully.
»Lilly sagt mir, dass Sie FBI Agents sind«, näselte der Reporter unter dem Tuch hervor. »Also hat mich meine Nase nicht getrogen.«
»Ihre Nase wird Ihnen in den nächsten vier, fünf Tagen ziemlich viel Kummer machen«, antwortete ich. »Warum nannten Sie Jo Kassman den Boss der neuen Mord-AG?«
»Weil er es ist.«
»Wer hat Ihnen das erzählt?«
»Ich habe es herausgefunden.«
»Uns würde interessieren, wie Sie es herausgefunden haben.«