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In der Bronx hauste der Trader, Boss eines Mädchenhändlerrings, der südamerikanische Bordelle belieferte. Nichts war über ihn bekannt - außer dass er gute Beziehungen zum 44. Polizeirevier haben musste. Das FBI ermittelte in diesem heiklen Fall verdeckt und mit kleinstem Aufgebot. Die Nachforschungen führte ein Mann in der Uniform eines Streifenpolizisten fast allein, und allein ertrug er alle Gefahren. Ich, der einsame Cop ...
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Seitenzahl: 190
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Der einsame Cop
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Vorschau
Impressum
Der einsame Cop
In der Bronx hauste der Trader, Boss eines Mädchenhändlerrings, der südamerikanische Bordelle belieferte. Nichts war über ihn bekannt – außer dass er gute Beziehungen zum 44. Polizeirevier haben musste. Das FBI ermittelte in diesem heiklen Fall verdeckt und mit kleinstem Aufgebot. Die Nachforschungen führte ein Mann in der Uniform eines Streifenpolizisten fast allein, und allein ertrug er alle Gefahren. Ich, der einsame Cop ...
»Ich kaufe nie eingepackte Ware«, sagte der Mann. »Zieh das Schätzchen aus!«
Alice begriff, dass sie in eine Falle geraten war. Allein mit drei Männern in dem schmutzigen Zimmer mit seinen verhängten Fenstern, der verschlossenen Tür, den billigen Möbeln war sie ohne Chance. Niemand würde ihre Schreie hören, niemand ihr helfen.
Sie blickte von einem zum anderen. Sie suchte in den Gesichtern, den Augen nach einem Zeichen von Erbarmen und Mitleid.
Bruce lehnte an der Wand, die Arme verschränkt, den Kopf leicht zur Seite gedreht. Nichts an ihm hatte sich verändert. Alles war noch vorhanden, das ihr gestern, als er sie in der Subway angesprochen hatte, Vertrauen eingeflößt hatte: das offene Gesicht, die blauen Augen mit den langen dunklen Wimpern, das weiche blonde Haar. Wie in der Subway trug er ein sauberes weißes Hemd, blaue Jeans und Turnschuhe, die nicht schmutzig und nicht abgelatscht aussahen. Nichts hatte sich geändert. Nur das Lächeln in den blauen Augen, in das sie sich in der ersten Stunde ihrer Bekanntschaft verliebt hatte, war verschwunden.
Der andere, der am Abend in der Cafeteria an ihren Tisch gekommen war und den Bruce als seinen Freund Mickey vorgestellt hatte, hockte krummrückig und mit angezogenen Knien auf einem Tisch. Gestern hatte er sie mit einer Kaskade von Späßen und Witzen überschüttet, hatte sie so amüsiert und zum Lachen gebracht, dass sie schließlich sein zweifelhaftes Aussehen, das lange schwarzfettige Haar, die flinken Knopfaugen und schmutzigen Krallennägel vergaß. Jetzt hockte er auf dem Tisch wie ein beutegieriger Geier. Eine glänzende Speichelspur zog sich aus einem Mundwinkel über sein Kinn.
Von dem dritten Mann wusste sie nur, dass er Andrew hieß. »Bevor ich dich zum Flughafen bringe, fahren wir bei Andrew vorbei«, hatte Bruce am Morgen gesagt.
Das also war Andrew. Ein großer, schwerer Klotz von einem Kerl, das Gesicht von Falten durchkerbt, die Stirn breit unter dichtem Haar von schmutzig brauner Farbe, die Augen von kaltem Grau. Viel älter als Bruce oder Mickey. Ein Mann um die vierzig. Er trug einen karierten Anzug von greller Eleganz, vier Ringe an den Händen und ein breites Goldarmband mit brillanten besetzter Uhr.
Er hatte Alice' Gruß nicht beantwortet. Minutenlang, während Bruce die Tür schloss und sich Mickey auf den Tisch schwang, hatte er sie aus eisigen Augen angestarrt und dann den brutalen Befehl gegeben: »Zieh das Schätzchen aus!«
Bruce stieß sich von der Tür ab. Mit einem Fußtritt räumte er Alice' großen Rucksack, den er für sie getragen hatte, aus dem Weg.
»Sie ist prima, Andrew«, sagte er. »Gestern Nacht habe ich sie mir angesehen und sie gründlich ausprobiert.«
Es war eine Lüge. Nichts war zwischen ihnen in Bruce' Wohnung geschehen außer ein paar Küssen und ein bisschen Geknutsche. Er hatte sie nicht bedrängt, deswegen hatte sie ihm vertraut.
Seine Hände, die sie vor Stunden zärtlich gestreichelt hatten, packten ihre Arme.
»Knöpf die Bluse auf!«, herrschte er sie an.
Warum sie gehorchte, hätte Alice nicht erklären können. Vielleicht hoffte sie, Willfährigkeit würde sie vor Schlimmerem retten. Mit mechanischen Bewegungen öffnete sie einen Knopf nach dem anderen.
»Nicht so lahm!«, schrie Bruce sie an.
Mickey sprang vom Tisch. Wieder sah er aus wie ein Geier, der neben einer Beute landete und die Wucht des Aufsetzens mit plumpen Hüpfbewegungen ausglich. Mit solchen kurzen Sprüngen kam Mickey näher.
»Lass mich helfen, Bruce!«, krähte er.
Bruce fetzte Alice die Bluse vom Körper. Sie schrie und stieß ihn zurück. Brutal schlug er ihr mit Handfläche und -rücken ins Gesicht, und als sie die Arme zum Schutz hob, riss er ihr den Büstenhalter herunter.
Mickey packte zu. Von hinten schlang er die Arme um Alice und schloss die schmutzigen Krallenfinger um ihre Brüste.
»Die Jeans, Bruce. Weg mit den Jeans!«
Er stieß ihr ein Knie in den Rücken und zog Alice nach hinten. Sie wäre auf den Boden gestürzt. Da Mickey sie festhielt, verlor sie nur den Stand. Bruce beugte sich über sie und zerrte am Reißverschluss der Jeans.
»Macht ihr keine blauen Flecke«, warnte Andrew aus seinem Sessel. »Für jede Schramme zieh ich euch zehn Dollar ab.«
Alice versuchte, nach Bruce zu treten. Sie war zu hastig und traf nur seine Hüfte.
Sie merkte, dass sich Bruce aufrichtete und irgendetwas Mickeys Aufmerksamkeit von ihr ablenkte.
Sie besann sich auf alles, was sie an ihrem College in drei Judokursen gelernt hatte. Zum zweiten Mal trat sie zu. Diesmal traf der Kick Bruce genau an der richtigen Stelle. Er stieß ein wildes Schmerzgebrüll aus, presste beide Hände auf seine Kostbarkeiten, krümmte sich und schrie wieder und wieder: »O verdammt! O verdammt!«
Alice bäumte sich auf, warf die Arme hoch und verschränkte die Hände in Mickeys Nacken. Sie zog den Geierkopf zu sich herunter und drehte ihm den Hals zu. Er stieß ein lang gezogenes Geheul aus und ließ sie los.
Alice drehte sich nach links mit so starkem Schwung, dass Mickey von den Füßen gerissen wurde. Er krachte auf den Rücken. Alice löste im richtigen Augenblick den Griff und sprang auf. Dicht vor ihren Füßen wälzte sich Mickey auf die Seite.
Erst jetzt sah Alice, dass ein vierter Mann den Raum betreten hatte. Noch stand er in der geöffneten Tür, die Hand am Knauf.
Der Anblick der offenen Tür traf Alice wie ein Blitzschlag und setzte jeden Funken Energie in ihr frei.
Mit einem gellenden Schrei stürzte sie sich auf den Mann, der ihr den Weg in die Freiheit versperrte. Sie warf die Arme hoch. Ihre Hände waren gestreckt, gespannt. Wie in einer Großaufnahme auf der Kinoleinwand sah sie nichts von dem Mann außer dem Stück Hals. Genau an dieser Stelle wollte sie treffen, und es war ihr gleichgültig, welche Folgen das haben würde.
Plötzlich war der Mann verschwunden. Die Türöffnung war frei. Vor Alice' Ansturm war der Fremde hastig in den Hausflur zurückgewichen, und Alice streifte ihn, als sie aus dem Zimmer rannte. Er machte nicht den leisesten Versuch, sie aufzuhalten.
Sie rannte die Treppe hinunter und warf sich gegen die Haustür. Wilde Angst, die Tür könnte verschlossen sein, brachte sie fast um den Verstand.
Sie zerrte am Knauf. Die Tür gab nach und ließ sich öffnen. Vor ihr lag der quadratische, schmutzige Hof mit den beiden überquellenden Müllcontainern, über die sie sich beim Hineingehen gewundert hatte.
Zwei Toreinfahrten, die eine links, die andere rechts gähnten Alice wie aufgerissene schwarze Schlünde an. Sie war unfähig, sich daran zu erinnern, durch welche Einfahrt Bruce sie in den Hof und ins Haus geführt hatte. Sie blieb stehen. Ihr wurde bewusst, dass ihr Oberkörper nackt war, und sie kreuzte die Arme vor der Brust.
Dann hörte sie Stimmen und wüstes Fluchen hinter sich. Wie ein aufgescheuchtes Reh flüchtete sie weiter. Sie rannte durch die linke Toreinfahrt und gelangte auf einen seltsam idyllischen Platz, in dessen Mitte eine kleine Gruppe verstaubter Bäume stand.
Sie lief an den Bäumen vorbei und glaubte, in dem grauen Licht der nahen Dämmerung Menschen zu sehen, wagte aber nicht stehen zu bleiben. Ihr wurde bewusst, dass es stark regnete, ein kalter Novemberregen.
Eine schmale Straße mündete auf den Platz. Dicht vor der Einmündung stand ein Wagen, lackiert in Blau und Weiß, ein Wappen auf der Tür, große Ziffern auf Kofferhaube und Heck und ein Gerüst mit Signallampen und Sirenen auf dem Dach.
Ein Polizeifahrzeug.
Alice stieß einen lauten Jubelschrei aus.
Sie riss die Tür auf. »Officer! Helfen Sie mir!«
Der Beamte stieg aus und fasste sie an den Armen. »Was ist los, Mädchen?«
Sie keuchte und hatte nur Atem für ein paar hervorgestoßene Worte. »Männer ... verfolgen mich ... Ich sollte ... verkauft werden ...«
»Steig ein.«
Er öffnete den hinteren Schlag und drängte sie in den Wagen. Sie ließ sich auf die Sitzbank fallen. Er warf die Tür ins Schloss, stieg selbst ein und startete den Motor, fuhr aber nicht an.
»Wie viele Männer waren es?«, fragte er über die Schulter.
»Drei, nein, vier. Der vierte Mann kam, als die anderen schon über mich hergefallen waren.«
»Kennst du Namen?«
»Nur Vornamen. Bruce sprach mich gestern Abend an und verhalf mir zu einer Unterkunft für die Nacht. Mickey stieß in einer Cafeteria zu uns, und der Mann, zu dem sie mich heute Morgen brachten, nannte sich Andrew. Von dem vierten Mann weiß ich keinen Namen, und ich weiß auch nicht, wie er aussah. Die drei anderen kann ich beschreiben, und ich weiß, wo Bruce wohnt.«
»Hängst du an der Spritze?«
»Nein. Ich kam gestern aus Kansas in New York an. Ein Bekannter hatte versprochen, mir einen Job als Hostess bei der UN zu besorgen. Ich traf ihn nicht an. Er war auf einer Dienstreise in Afrika. Ich stand in einer Subway Station herum und wusste nicht, was ich tun sollte, als Bruce mich ansprach. Er sah so vertrauenerweckend aus. Ich fiel auf ihn herein und ...«
»Niemand kommt«, unterbrach der Mann.
Der Regen rann als dichter Schleier über die Fenster und machte sie nahezu undurchsichtig. Der Polizist hatte den Wischer nicht eingeschaltet.
Alice beugte sich vor. Wieder glaubte sie, in der Nähe der Bäume die Gestalten von drei oder vier Menschen zu sehen, die eng beieinander hockten, seltsam vermummt waren und sich nicht bewegten. Eine Gestalt war klein wie die eines Kindes.
Alice schauderte. Im Rückspiegel begegnete ihr Blick den Augen des Polizisten. Sie kauerte sich zusammen und versuchte, ihre Nacktheit zu verdecken.
»Ich friere, Officer«, flüsterte sie. »Bitte, bringen Sie mich weg von hier.«
Er fuhr an.
»Hinter dir liegt eine Decke«, sagte er.
Mit einem Gefühl der Dankbarkeit hüllte sie sich in die Decke.
Während der Fahrt stellte der Mann am Steuer Fragen. »Wie lautet dein vollständiger Name?«
»Alice Mellison, Sir.«
»Wie alt bist du?«
»Zweiundzwanzig.«
»Leben deine Eltern noch?«
»Ja, in Scott City, Kansas. Daddy betreibt eine Reparaturwerkstatt für Landmaschinen.«
»Wer ist der Mann, der dir einen Job bei der UN besorgen wollte?«
»William Hornet, ein Bruder meiner Mutter. Onkel Bill hat einen Job als Abteilungsleiter in der UN-Verwaltung.«
»Bist du zum ersten Mal in New York?«
»Ja, Sir.«
»Weißt du, in welchem Stadtteil wir sind?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Hast du deine Eltern darüber informiert, dass du deinen Onkel nicht angetroffen hast?«
»Nein, Sir. Ich wollte nach Buffalo fliegen. Dort wohnt ein Vetter von Daddy, bei dem ich auf Onkel Bills Rückkehr aus Afrika hätte warten können.«
»In Ordnung«, sagte er.
»Bringen Sie mich zum Revier?«
»Als Erstes bringe ich dich zu einem Arzt. Falls du vergewaltigt worden bist, muss eine Untersuchung durchgeführt werden.«
»Ich wurde nicht vergewaltigt, Officer.«
»Auf jeden Fall ist es gut, wenn der Doc dich ansieht. Dann kann er auch feststellen, ob du wirklich clean bist.«
»Was meinen Sie mit clean?«
»Rauschgift«, antwortete er.
»Aber ich sagte Ihnen, dass ich nicht süchtig bin.«
»Das sagen sie alle. Außerdem müssen aufgegriffene Mädchen auf Geschlechtskrankheiten hin untersucht werden. Die meisten von deiner Sorte machen einen schnellen Dollar an der Straßenecke.«
»Officer, ich wurde verschleppt!«, beteuerte Alice.
Der Mann nickte. »Das wird sich herausstellen.«
Nach einer Zehn-Minuten-Fahrt stoppte er den Streifenwagen vor einem Bungalow. Er stieg aus, öffnete den Schlag und holte Alice aus dem Wagen.
Noch immer regnete es in Strömen. Auf dem kurzen Weg zur Tür ließ er Alice' Arm nicht los.
Er läutete und sagte wenige Worte, die Alice nicht verstand, in die Sprechanlage.
Die Tür wurde elektrisch geöffnet. Alice sah eine große Halle mit Bildern an den Wänden und kostbaren Teppichen auf dem Marmorboden.
Niemand kam. Der Officer führte Alice durch die Halle. Er öffnete eine Tür und gab ihren Arm frei.
»Warte hier.«
Der Raum war wie eine Arztpraxis eingerichtet mit einem weißen Metallschreibtisch, zwei Glasschränken mit Geräten und Medikamenten und einer weiß bezogenen Untersuchungsliege.
Alice setzte sich auf einen Stuhl. Von ihrem durchnässten Haar tropfte Wasser auf den gekachelten Boden. Sie wartete lange. Als endlich die Tür geöffnet wurde, kam eine Frau herein. Sie war groß, elegant gekleidet, sorgfältig frisiert.
»Sie müssen noch etwas warten«, sagte sie. »Der Doc macht Krankenbesuche.« Sie nahm Alice die Decke ab. »Das geben wir dem Officer zurück.«
Sie legte die Decke zusammen. Alice sah, dass in den Stoff die Worte Eigentum der New York City Police eingewebt waren.
»Oh, Sie sind völlig durchnässt, meine Kleine.« Die Frau berührte Alice' nasses Haar. »Ziehen Sie sich aus, und nehmen Sie den Bademantel dort hinten. Sie dürfen sich auch auf der Liege ausstrecken.« Sie fasste Alice unters Kinn und hob ihren Kopf an. »Ich fürchte, Sie hatten ein schlechtes Erlebnis, mein Mädchen«, sagte sie und lächelte ihr in die Augen. »Denken Sie nicht mehr daran.«
»Wo ist der Officer?«, fragte Alice.
»Er fährt zu seinem Revier und holt Sie ab, sobald der Doc Sie untersucht hat. Wir rufen ihn an.«
Die Frau verließ den Raum und schloss die Tür.
Alice streifte die Jeans ab, nahm den Bademantel vom Haken und schlüpfte hinein. Sie rieb mit dem Frotteestoff ihre Haut trocken.
Wärme breitete sich angenehm in ihr aus. Die Gewissheit, eine große Gefahr unbeschadet überstanden zu haben, erfüllte sie mit einem Gefühl der Entspannung.
Sie streckte sich auf der Liege aus, zog die Knie an und bedeckte die Hände mit den Augen.
Länger als eine Viertelstunde lag sie reglos und bemühte sich, ruhig und tief zu atmen. Einmal sank sie in leichten Schlaf, aus dem wüste Traumbilder sie nach wenigen Minuten aufschreckten.
Unruhe erfasste sie. Seit über einer halben Stunde wartete sie auf den Arzt.
Wäre es nicht besser gewesen, sie hätte darauf bestanden, zum Polizeirevier gebracht zu werden? Musste sie sich von einem Arzt untersuchen lassen, wenn es keinen Grund für eine Untersuchung gab?
Als die Tür geöffnet wurde, richtete sie sich erleichtert auf.
»Hallo, Baby!«, sagte eine Männerstimme.
Alice' Blut gefror zu Eis. Ihr Herzschlag setzte aus.
Der Mann, der den Raum betrat, war niemand anders als Andrew, und hinter ihm drängten Bruce und Mickey ins Zimmer.
Bericht des Konsulats der Vereinigten Staaten von Amerika in São Paolo, Brasilien, an das US-Außenministerium in Washington.
Am 14. Februar dieses Jahres 23:40 Uhr Ortszeit verstarb im hiesigen Hospital Barmherzigkeit der Heiligen Mutter eine junge Frau, die sich als amerikanische Staatsbürgerin bezeichnet und ihren Namen mit Alice Mellison angegeben hatte. (Unkorrekte Schreibweise als Folge mangelnder Englischkenntnisse des Krankenhauspersonals denkbar).
Sie verstarb drei Stunden nach der Einlieferung an den Folgen eines Verkehrsunfalls, bevor ein Angehöriger unserer Konsularabteilung mit ihr sprechen konnte. Nach dem beigefügten Bericht des Polizeihauptquartiers São Paolo ergab eine schwierige und unvollständige Vernehmung der Schwerverletzten, dass sie etwa im November vorigen Jahres in New York gekidnappt, später nach Brasilien gebracht und gezwungen worden sei, in einem Bordell zu arbeiten. (Anlage 1).
Die polizeiliche Vernehmung von Augenzeugen des Unfalls (Anlage 2) ergibt die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau auf der Flucht von einem Auto absichtlich überfahren wurde. Die Suche nach den Tätern blieb bisher ergebnislos.
Aufgrund der schweren Verletzungen musste die Vernehmung der Frau mehrfach unterbrochen werden. Nähere Angaben über das Bordell und seine Betreiber oder über ihre Entführer in New York konnten nicht in Erfahrung gebracht werden.
Die brasilianische Polizei stellte dem Konsulat Fotos (Anlagen 3 bis 5) der Verstorbenen und Fingerabdrücke (Anlagen 6 und 7) zur Verfügung. Ich übermittle Ihnen die Beweisstücke mit der Bitte, geeignete Schritte zur Feststellung der Identität der Verstorbenen einzuleiten und gegebenenfalls Angehörige zu benachrichtigen.
Die angebliche Alice Mellison wurde als Tote unbekannter Identität im Reihengrab 818 des Friedhofs Aufstieg zur Herrlichkeit bestattet. Die Sterbeurkunde finden Sie als Anlage 8.
Rechnungen des Krankenhauses und des Sozialdienstes der Stadt São Paolo (Fotokopieanlagen 9 bis 10), die zur Begleichung durch die Regierung der USA vorgelegt wurden, mussten bis zur endgültigen Klärung der Identität der Toten an die ausstellenden brasilianischen Abteilungen zurückverwiesen werden.
Bericht der Vermisstenabteilung des Federal Bureau of Investigation, Washington D. C. vom 2. März.
Fall 24. Reihe, 12 602.
Fotovergleiche und Vergleiche der Fingerabdrücke einer am 14. Februar in São Paolo verstorbenen Frau mit hier vorhandenen Daten der seit dem November vorigen Jahres als vermisst gemeldeten Alice Mellison aus Scott City, Kansas, ergaben eine Übereinstimmung von hundert Prozent. Die Tote wurde somit als die amerikanische Staatsbürgerin Alice Mellison identifiziert. Ihre Angehörigen wurden benachrichtigt.
Somit wechselt der Fall aus der Zuständigkeit der Vermisstenabteilung in die Zuständigkeit der Abteilung für Menschenraub und Verschleppung.
Bericht des Senior Policeman Joseph Wallcott, zugeteilt dem 44. Revier (intern genannt Bronx II) vom 5. April ds. Jahres.
Der aufgegriffene Stadtstreicher Amos Horseshoe wurde in die Ausnüchterungszelle 5 des Reviers eingeliefert, über die ich in der Nacht des 5. April die Aufsicht führte. Anweisungsgemäß wurde der Zustand der Eingelieferten halbstündlich überprüft. Um halb drei früh stellte ich bei Amos Horseshoe Atemnot und unregelmäßigen Puls fest und alarmierte den Arzt. Bis zum Eintreffen des Arztes blieb ich bei Horseshoe, den ich seit vielen Jahren kenne.
H. sagte sinngemäß, wenn ich mich um ihn kümmere, wolle er mir bei meinen Aufgaben behilflich sein. Er kenne alle Ganoven des Bezirks und könne mir manchen Tipp geben. So habe er im vergangenen November beobachtet, dass ein halb nacktes Mädchen aus einem Haus am Nelson Place geflüchtet und in einen Polizeiwagen unseres Reviers gestiegen sei. Ich führte H.s Gerede auf seinen alkoholisierten Zustand zurück und schenkte ihm keine Beachtung.
Er wurde zornig und behauptete, Zeugen benennen zu können. Mit ihm hätten ein gewisser Chicky, ein junger Fixer, der Melvin genannt werde, und eine Frau den Vorgang beobachtet. Ich sollte ihm Fotos des vermissten Mädchens zeigen, und er werde mir sagen, welches Mädchen es gewesen sei. Er habe das Mädchen genau gesehen.
Um ihn zu beruhigen und weil der Arzt noch nicht kam, legte ich ihm die Mappen mit Fotos vermisster Mädchen vor, wie sie in jedem Revier zur Einprägung für die Beamten ausliegen. Horseshoe wies ohne Zögern auf das Foto mit der Registriernummer 24/12 602. Die Vermisste heißt Alice Mellison aus Scott City, Kansas, und gilt seit dem 24. November vorigen Jahres in New York als vermisst. Wenig später kam der Arzt und ordnete die sofortige Überführung Horseshoes in ein Krankenhaus an, in dem der Mann gegen fünf Uhr morgens starb.
Eine Überprüfung der Diensttagebücher im November ergab keinen Hinweis auf einen Kontakt der Alice Mellison mit einem Beamten des Reviers 44. Eintragungen, die zur Schilderung des H. passen würden, konnten nicht festgestellt werden.
Anweisung des City-Police-Hauptquartiers an Lieutenant Warren Niels, Leiter des 44. Revier (Bronx II). Datum: 8. April.
Die vermisste Alice Mellison starb am 14. Februar in São Paolo an den Folgen eines vermutlich mit Absicht herbeigeführten Verkehrsunfalls. Alles spricht für eine gewaltsame Entführung und einen schweren Fall von Menschenhandel. Daher bitte ich, intensive Nachforschungen auf der Basis des Berichts von Senior Policeman Wallcott einzuleiten und mir zu berichten. Beachten Sie mögliche Zusammenhänge mit zwei vergeblichen Razzien gegen Menschenhändlerzentren in Ihrem Revier.
Bericht des Homicide Department, Einsatzgruppe D vom 3. Mai.
Der Tote lag in seinem Bett auf dem Rücken. Er war bekleidet, trug jedoch keine Schuhe.
Gemäß Feststellung des Polizeiarztes deutet eine Schädelfraktur am Hinterkopf darauf hin, dass Joseph Wallcott niedergeschlagen und danach in bewusstlosem Zustand von den Tätern bzw. von einem Täter mit einer Schlinge erdrosselt wurde. Die Tatsache, dass sich die Wunde am Hinterkopf befindet, bedeutet, dass Wallcott entweder von hinten überrascht wurde oder dass er den oder die Täter kannte und sich nicht scheute, ihnen bzw. ihm den Rücken zuzuwenden.
Ob Wallcott noch lebend ins Bett geschleppt oder vorher erdrosselt wurde, ließ sich nicht eindeutig klären. Die Würgemale am Hals beweisen die Verwendung einer Schlinge, die vom Täter nicht am Tatort zurückgelassen wurde. Die Wohnung wurde in einem gründlich durchsuchten Zustand angetroffen. Da Joseph Wallcott nach dem Tod seiner Frau allein in dem Haus lebte, konnte nicht festgestellt werden, ob bzw. was geraubt wurde.
Senior Policeman Joseph Wallcott diente zweiundzwanzig Jahre der New York City Police.
Seine einzige Tochter starb 1979 an den Folgen einer Überdosis Heroin.
Es war ein kochender Julitag.
Die Sonne knallte in die Straßen und weichte den Asphalt zu zähem Brei auf.
Die Leute lagen im Schatten herum und hielten sich durch massenhaftes Einflößen kalter Getränke am Leben.
New York ähnelte einer grauen Stadt in der Wüste, in der die Sonne das Leben ausdörrte.
Ich hatte dienstfrei und durchstreifte der Hitze zum Trotz mein neues Revier. Ich schlenderte die Canal Street abwärts Richtung Harlem River. Der Fluss, gleichgültig wie schmutzig er war, zog die Bewohner an. Er versprach Kühlung, denn in diesem Bereich der Bronx gab es nicht viele klimatisierte Wohnungen.
Ein Junge, etwa zwölf Jahre alt, vertrat mir den Weg.
»He, Whitey!«, grüßte er und hob die Hand. »Schenk mir 'ne Zigarette.«
Er war mager, mit dunklem Haar und schwarzen blitzenden Augen. In seinem Englisch rollte das harte R der spanisch sprechenden Puerto-Ricaner.
»Du solltest nicht rauchen. Ist verdammt ungesund.«
»Wer sagt dir, dass ich rauchen will?«, sagte er. »Vielleicht will ich deine Zigaretten verkaufen. Gib mir zwei Dollar, und ich bin auch zufrieden.«
Ich gab ihm fünfzig Cent. Er warf die Münze hoch, ließ sie mit einem Taschenspielertrick verschwinden.
»Suchst du ein Mädchen, Whitey?«
»Nein.«
»Gegen fünf Dollar bring ich dich zu den besten Girls von New York. Keine ist älter als achtzehn Jahre, und du hast die freie Auswahl in allen Hautfarben.«
»Wenn du nicht auf der Stelle verschwindest, hast du die freie Auswahl zwischen einer rechten und einer linken Ohrfeige.«
Er rammte mir die kleine, harte Faust in die Magengrube. »Fuck yourself, Gringo!«
Ich griff nach ihm. Mit der Schnelligkeit einer zustoßenden Natter tauchte er unter meinen Armen weg, flitzte so dicht an mir vorbei, dass er meine Hüfte streifte, und rannte straßenaufwärts. Nach fünfzig Schritten blieb er stehen, wandte sich um und wiederholte mit einer Geste – hochgereckte Faust, Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger – die mündliche Aufforderung.
Ich lachte und antwortete mit einer Handbewegung, die ihm zu verstehen gab, dass ich ihm bei der nächsten Begegnung den Hals umdrehen würde. In Wahrheit war ich ihm nicht böse. Die Straßenkinder der Bronx handelten nach den Gesetzen des Dschungels, in den sie hineingeboren worden waren und in dem sie aufwuchsen.
Ich setzte meinen Weg fort. Es war Sonntag. An den Ufern des Harlem River, der die Bronx von Manhattan trennte, tummelte sich das bunte Völkergemisch, das nirgendwo in der Riesenstadt so komprimiert beieinander haust wie in der südlichen Bronx. Auf den spärlichen Wiesen mit ihrem abgetretenen braunen Gras spielten langgliedrige schwarze Boys Basket- und Baseball, lagerten und picknickten Großfamilien von Chicanos, die Männer kaum mittelgroß, untersetzt, die Frauen bunt gekleidet, dickbusig, die jungen Mädchen oft schön wie eine indianische Carmen.