Jerry Cotton Sonder-Edition 263 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 263 E-Book

Jerry Cotton

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Schock am Broadway! Mitten in einer Musicalaufführung wurde hinter der Bühne eine Tänzerin ermordet. Von jetzt an war jede Vorstellung ein Spiel um Tod und Leben. Denn wir fanden heraus, dass ein Mörderpaar es auf alle Tanzgirls abgesehen hatte. Das Theater war auf Wochen hinaus ausverkauft. Aber Phil und ich hatten jedes Mal die Hand am Revolver, wenn der Vorhang aufging - zum Mörder-Musical ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 195

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Mörder-Musical

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

Vorschau

Impressum

Mörder-Musical

Schock am Broadway! Mitten in einer Musicalaufführung wurde hinter der Bühne eine Tänzerin brutal ermordet. Von jetzt an war jede Vorstellung ein Spiel um Tod und Leben. Denn wir fanden heraus, dass ein Mörderpaar es auf alle Tanzgirls abgesehen hatte. Das Theater war auf Wochen hinaus ausverkauft. Aber Phil und ich hatten jedes Mal die Hand am Revolver, wenn der Vorhang aufging – zum Mörder-Musical ...

1

Was uns beim kleinsten Fehler bevorstand, war klar.

Ein Feuerwerk erster Klasse.

Jeder wusste, dass Buddy Hark mit Waffen behängt herumlief.

Behängt wie ein Christbaum mit Weihnachtsschmuck.

Wir setzten unsere Hoffnung darauf, dass Buddy nicht herumlief, sondern lag, und beim besten Willen vermochte ich mir nicht vorzustellen, dass er bei der Beschäftigung, der er sich vermutlich hingab, auch nur einen kleinen Revolver bei sich trug.

Wohin hätte er ihn stecken sollen?

Aber zweifellos hatte Hark sein Arsenal in Reichweite abgelegt, und er galt als schnell und absolut rücksichtslos. Wer wegen vierfachen Mordes gesucht wurde, nahm auf nichts mehr Rücksicht.

Nicht einmal auf sich selbst.

Phil öffnete das Türschloss so lautlos, als hätte er nicht einen Spezialschlüssel, sondern Zauberkräfte benutzt.

Die Tür quietschte leise in den Angeln. Wir erstarrten und hielten den Atem an.

Der warme Dunst der Wohnung schlug uns entgegen, geschwängert mit dem Geruch von Tabakrauch und vom Parfüm der Frau, die Hark bei sich hatte.

Licht fiel aus einem Zimmer, dessen Tür halb offen stand.

Phil berührte meine Schulter zweimal. Das bedeutete, dass er vorausgehen wollte.

Ich nickte.

Geräuschlos bewegte sich Phil auf die offene Tür zu.

Auf diesen Einsatz hatten wir uns besonders vorbereitet. Wir trugen Turnschuhe, eng anliegende Overalls, darunter eine kugelsichere Weste, die nichts nutzen konnte, wenn Hark eine Chance erwischte, mit Handgranaten um sich zu werfen.

Die 38er steckten in den Holstern, denn wir waren entschlossen, nicht zu schießen.

Wir wollten keinen toten Zeugen und kein unschuldiges Opfer.

Phil erreichte die Tür, wandte den Kopf und wartete, bis ich mich herangearbeitet hatte.

Aus dem Zimmer drang ein lautes, hartes Geräusch, brach ab und setzte wieder ein.

Auf Phils Gesicht, das vom Licht aus dem Zimmer getroffen wurde, breitete sich entzücktes Grinsen aus. Ich hob die Hand und reckte den Daumen.

Besser hätten wir's nicht antreffen können, denn das gleichmäßige, rasselnde Geräusch war nichts anderes als lautes Schnarchen.

Schnarchen eines schlafenden Mannes.

Mit einer vorsichtigen, sanften Bewegung drückte Phil die Tür weit auf. Ich blickte ihm über die Schulter.

Ein friedliches Bild.

Buddy lag links im großen Bett, beide Arme unter dem Kopf verschränkt. Die schwarzen Locken hingen ihm wirr in die Stirn. Die breite, behaarte Brust hob und senkte sich in gleichmäßigen Atemzügen, und aus dem halb geöffneten Mund drang das kräftige Schnarchen. Er war ein prächtiges Exemplar der Gattung Mann, und die Blondine, die neben ihm lag, lächelte im Schlaf glücklich und zufrieden.

Phil wies mit dem Daumen auf sich, dann auf Buddy. Ich fügte mich. Heute hatte er das Kommando. Für mich also die Blondine.

Fünf, vier, drei, zwei Schritte ...

Die Blondine schlug die Augen auf.

Blaue Augen. Sehr schöne Augen und großes Erstaunen im Blick.

Nein, Baby, ich bin nicht der Weihnachtsmann.

Das begriff sie auch ohne ausdrückliche Erklärung und kreischte los: »Buddy!«

So hübsch und eine Stimme wie eine Schiffssirene.

Ich sprang vor, packte sie und riss sie von Buddys Seite, riss sie runter vom Bett, das sich im selben Augenblick, als sich Phil auf Hark warf, in eine Kampfarena verwandelte.

Die Frau zappelte in meinen Armen. Sie strampelte und trat um sich. Sie zog mir die Fingernägel durchs Gesicht.

Verdammt blamabel, es zuzugeben, aber ich hatte sie noch nicht gebändigt, als sich Hark unter Phils drittem Hieb aufbäumte und dann seitlich vom Bett fiel, genau zwischen zwei Revolver, eine Mini-MP und fünf Handgranaten, die er dort griffbereit ausgebreitet hatte.

Für einen Herzschlag hielten wir den Atem an.

Nichts geschah. Buddy Hark streckte sich und versank in neuen Schlaf.

Unfreiwillig und ohne Schnarchen.

»Ihr Hundesöhne!«, schrie die Blondine. »Bastarde! Killer! Copgangster!«

Ihr fiel eine Menge ein.

Mit Buddys Ausscheiden gab es keinen Grund, sie länger vom Bett fernzuhalten.

Ich legte sie zurück.

Anders ausgedrückt, ich schaffte sie mir vom Hals und warf sie auf die Matratze, dass die Sprungfedern krachten. Dann schleuderte ich ihr die dünne Decke nach, die ich mitgerissen hatte.

Sie zog die Decke an sich. »Dreckskerle! Hurensöhne!«

Plötzlich weinte sie.

Phil fesselte die Hände des nackten Buddy Hark mit einer Plastikschlinge. Er räumte die Waffen und die Handgranaten außer Reichweite und breitete Buddys rotes Hemd über seine wichtigste Blöße.

Ich bot der schluchzenden Blondine die eigenen Kleider an, die über einem Stuhl hingen.

Sie weigerte sich wie ein trotziges Kind und heulte weiter.

Buddy öffnete die Augen, starrte uns an, zerrte etwas an seinen Fesseln, begriff und sagte: »Scheiße!«

Feierlich legte Phil ihm die Hand auf die nackte Schulter und sprach die Formel. »Bud Hark, ich verhafte Sie unter dem Verdacht, Morde in New York, Chicago, Pasadena und Milwaukee begangen zu haben. Alle Aussagen können gegen Sie verwandt werden. Sie haben Anspruch auf den Beistand eines Anwalts.«

»Scheiße!«, wiederholte Buddy. Dann machte er eine Kopfbewegung zu der Frau. »Hat sie mich verpfiffen?«

»Nein«, antwortete Phil wahrheitsgemäß. »Willst du deine Hose haben?«

»Ja, und einen Whisky.«

Sein gutes Beispiel steckte die Blondine an. Sie streifte ihr Kleid über und stellte das Weinen ein.

Hark, inzwischen mit seinen Jeans bekleidet, ließ sich in einen Sessel fallen, nahm das Whiskyglas zwischen die gefesselten Hände, leerte es und knurrte: »Noch einen.«

Phil erfüllte den Wunsch aus einer Flasche, die beide schon früher und zur Anregung halb geleert hatten.

»Wer hat mich verpfiffen?«, wiederholte Hark düster.

»Niemand, Buddy. Wir fanden heraus, dass du diese Wohnung vor drei Monaten gemietet hast, und legten uns auf die Lauer.«

»Du lügst, Schnüffler. Ich wette, es war der Typ, der mich für einen Mord an einem Tanzgirl kaufen wollte. Weil ich mich weigerte, gab er euch den Tipp. War's so?«

»Welche Frau solltest du umbringen?«, fragte ich.

»Ein Tanzgirl aus einer Broadwayshow. Er schickte ein Foto.«

»Hast du's noch?«

»Wahrscheinlich liegt es irgendwo herum.«

»Wer war der Mann?«

»Sein Gesicht zeigte er nicht. Er rief an und sagte, der Tod des Mädchens sei ihm zehntausend Dollar wert. Er schicke ein Foto und tausend Dollar Anzahlung. Das Foto und die Dollars fand ich am anderen Tag im Briefkasten.«

Er machte eine Kopfbewegung zu der Frau. »Babsy und ich investierten den Zaster in zwei lustige Abende. Als der Mann wieder anrief und wissen wollte, ob ich den Job übernähme, verlangte ich die Hälfte als Vorauszahlung und eine offene Aussprache. Ich wollte ihn übers Ohr hauen. Natürlich hätte ich das Mädchen nicht umgebracht. Noch nie habe ich irgendwen umgebracht. Da seid ihr auf der falschen Fährte. Wenn ihr den Mann fasst, werde ich als Kronzeuge gegen ihn auftreten.«

Phil hob den Telefonhörer aus der Gabel und rief die City Police an. »Das FBI bittet um Unterstützung bei einem Transport. Schicken Sie eine Beamtin mit. Eine Festgenommene ist eine Frau.«

Zwei Stunden später, als Bud Hark und seine Freundin, deren Name sich als Barbara Scilone herausstellte, längst abtransportiert waren, fand ich in der kleinen Küche ein Hochglanzfoto, das acht Frauen in einer Bühnenkulisse zeigte.

Sie trugen Kostüme im Stil der Zwanzigerjahre, identische blonde Pagenfrisuren, kleine blaue Hüte, kurze Kleider mit plissierten Röcken und Spangenschuhe.

Es war ein Reklamefoto und trug in Goldschrift den Aufdruck Tanzgirl des Mörder Musicals.

Über dem Kopf einer Frau, der dritten von links, war ein Kreuz eingezeichnet.

In Schwarz.

Die große Tanzszene des Musicals lag am Schluss des zweiten Akts. Zu den schnellen Rhythmen eines Ragtime tanzten die Frauen und acht männliche Partner die Begegnung zwischen Mörder und Opfer, eine Begegnung, die mit Flirt begann und mit Mord endete.

Die Choreografie nahm den Inhalt des dritten Akts vorweg. Abwechselnd tanzten die Frauen und die Männer die Rolle der Mörder, der Mörderinnen und der Opfer.

Die Musik variierte die Melodie des Titelsongs Mörder in der Stadt.

Es gab Szenenbeifall. Die Frauen formierten sich zur Linie, die Tänzer verneigten sich. Schließlich fiel der Vorhang.

Im Gewirr der Aufbauten und Requisiten hasteten die Frauen zur Garderobe. Im Laufen zerrten sie an den Reißverschlüssen, rissen sich die blauen Hüte von den blonden Perücken, denn in der ersten Szene des dritten Akts hatten sie als Gäste in jenem Nightclub aufzutreten, in dem der Berufsmörder Percy auf sein letztes Opfer, das Mädchen Vivian, traf, sich in sie verliebt, ohne zu ahnen, dass auch Vivian eine skrupellose Mörderin war – mit dem Auftrag, ihn zu beseitigen.

Schon halb ausgezogen drängten die Tanzgirls in die Garderobe. Kleider flogen durch die Luft, Schuhe wurden weggeschleudert, Puderwolken stäubten. Über knappe Slips streiften sie lange, hautenge Abendkleider, geschlitzt bis zu den Schenkeln, drückten sich Stirnreifen auf die Perücken, befestigten Straußenfedern an den Schultern und warfen sich endlos lange Perlenketten um den Hals. Sie drängten sich vor den Spiegeln, stießen sich und keiften sich an. Die beiden schwarzen Garderobieren hasteten von einer zur anderen, zogen hier einen Reißverschluss hoch, befestigten dort Strassschmuck mit einer Sicherheitsnadel.

Aus dem Lautsprecher quäkte die Stimme des Inspizienten. »Ballett auf die Bühne. Noch zwei Minuten.«

Die erste stürmte aus der Garderobe, die zweite, dritte. Aus ihrem Umkleideraum kamen die Tänzer in Fräcken und Smokings. Dazwischen Statisten, die als Barkeeper, Kellner und Zigarettengirls die Nightclubszene anreicherten. Alle liefen eilig zur Bühne, wo der Inspizient und zwei Gehilfen den Ansturm ordneten, jeden auf seinen Platz schickten und sich vergewisserten, dass alle zur Stelle waren.

»Dreißig Sekunden!«, rief der Inspizient.

Sein Auge fiel auf einen Tänzer. »Auf deinen Platz, Marco!«

»Alice fehlt.«

Mit nachtwandlerischer Sicherheit drückte der Inspizient auf dem Regiepult den Rufknopf der Ballettgarderobe und fauchte ins Mikrofon: »Verdammt, wo bleibt Alice?«

»Nicht mehr in der Garderobe«, kam die Antwort.

Das Orchester setzte mit schräger Saxofonmusik und rasantem Schlagzeug ein.

»Was soll ich machen?«, rief Marco.

»Bleib raus aus der Szene.« Der Inspizient hielt ihn am Ärmel fest. Mit der freien Hand gab er das Zeichen zum Einsatz. »Action!«

Die Vorhänge flogen auseinander.

Phil telefonierte mit Ron Hartfield, einem befreundeten Journalisten. Ich konnte mithören.

»Ron, was weißt du über eine Show, die sich Mörder-Musical nennt?«

»Ja, kenne ich. Das Musical läuft seit zwei Monaten im Stardust Theater am Broadway. Die Hauptrollen spielen Betty Soon und William Ryval.«

»Was spielen sie?«

»Einen Mörder und eine Mörderin. Zwei Akte lang bringen sie eine Menge Leute um. Im dritten nehmen sie sich gegenseitig aufs Korn, verlieben sich ineinander und ...«

»... geben ihre Revolver an der Garderobe ab?«

Hartfield lachte. »Den Schluss kann das Publikum wählen. Es gibt drei Varianten. Entweder bringt er die Frau um. Oder sie erledigt ihn. Oder die Polizei erscheint auf der Bildfläche, und beide werden erschossen. Beim Kartenkauf kreuzen die Besucher die Varianten an, die sie sehen wollen. Der Wunsch der Mehrheit wird erfüllt.«

»Was wünscht sich die Mehrheit?«

»Der Mann soll ins Gras beißen. Sechzig Prozent der Zuschauer sind Frauen. Alles klar?«

»Nimmst du uns mit der Variantenstory auf den Arm?«

»Durchaus nicht. Der Regisseur hat sich den dreifachen Schluss als Gag einfallen lassen. Wer am Broadway Erfolg haben will, muss Extras bieten. Ein Mann wie Jack Calfar riskiert höhere Kosten. Als Engel besitzt er den Ruf besonderer Großzügigkeit.«

Phil und ich sahen uns an. Der Ruf, den Jack Calfar beim FBI genoss, hing nicht mit seiner Großzügigkeit zusammen, sondern mit Rauschgifthandel, Erpressung, Wettschwindel und Wucher. Calfar war ein übler Haifisch. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass er am Broadway als Finanzier von Theateraufführungen und Musicalinszenierungen auftrat. Solche Leute wurden in der Branche Engel genannt, obwohl es sich um clevere und eiskalte Geschäftsleute handelte.

»Hast du das Musical gesehen?«, fragte Phil.

»Ja. Keine schlechte Show. Gute Musik. Gute Ausstattung. Trotzdem glaube ich nicht, dass es ein Langläufer wird und schon gar nicht ein Welterfolg. Wahrscheinlich verschwindet es am Ende der Saison von der Bildfläche. Trotz des dreifachen Schlusses nach Wahl.«

»Danke, Ron.« Phil legte auf und blickte auf die Armbanduhr. »Wenn wir sofort losfahren, kommen wir rechtzeitig zum letzten Akt.«

Wir kamen zu spät. Die Leute strömten schon aus dem Stardust Theater am Broadway. Offensichtlich war die Vorstellung zu Ende.

Wir kämpften uns gegen den Strom bis zu einem Türhüter, den wir nach Jack Calfar fragten.

»Ich weiß nicht, ob Mister Calfar heute in der Vorstellung war.«

»Vielleicht zählt er die Kasse nach«, beharrte Phil. »Wir wollen ihn sprechen.«

Der Mann hängte sich an ein Telefon, kehrte zurück und erklärte: »Mister Calfar lässt Sie abholen.«

Wir warteten in der Halle vor den Garderoben, die sich zusehends leerten. Nach wenigen Minuten lief ein alter Bekannter eine der vier Treppen zur ersten Etage herunter. Schon von Weitem grinste er uns an.

Vor drei Jahren, als er noch für Ernest Reeves gearbeitet hatte, hatten wir Harry Turchuck und seine Crew beim Auseinandernehmen eines Nachtklubs überrascht, dessen Besitzer die Schutzgebühren nicht bezahlen wollte. Turchuck hatte die Arme nicht gehoben, sondern sich auf einen harten Gang eingelassen. Seitdem mussten vier goldene Eckpfeiler sein Gebiss stützen. Aber die waren ihm erst eingebaut worden, nachdem Ernest Reeves ihn gegen Kaution rausgeholt und später durch teure Anwälte vor Gericht freigepaukt hatte.

Turchuck war ein grobknochiger Vierziger mit einem kantigen Holzfällergesicht, großen Händen und runden Schlägerschultern. Sein Intelligenzquotient hätte keinen Professor vom Stuhl gerissen. Zum Ausgleich brachte er eine Menge Tücke und grenzenlose Brutalität mit, Eigenschaften, die von Bossen wie Ernest Reeves und Jack Calfar hoch geschätzt wurden.

»Hi, Schnüffler!«, begrüßte er uns und wies mit dem Daumen auf die Treppe. »Jack will euch sehen.«

Er drehte sich um und stampfte die Stufen hinauf. Wir hielten uns an seiner Seite.

»Hast du den Brötchengeber gewechselt?«, fragte ich.

»Warum nicht? Jack hat mir ehrliche Arbeit angeboten.« Er ließ seine Goldzähne blitzen. »Arbeit, bei der ich mich nicht mit Bastarden eurer Sorte herumschlagen muss.«

»Sehr gut«, lobte Phil. »Was tust du für Jack Calfar? Weist du Plätze im Theater an?«

In Turchucks hellblauen Schweinsaugen blitzte Wut auf.

»Dir würde ich verdammt gerne einen Platz im Sarg anweisen«, knurrte er und ging schneller.

Er führte uns an den Logen und den Eingängen zu den Balkonreihen vorbei in einen schmalen düsteren Seitenflur, an dem einige Büroräume lagen. Er öffnete die Tür am Ende des Flurs und rief: »Die Schnüffler!«

»Nenn New Yorks Elitepolizisten nicht Schnüffler, Harry«, sagte Jack Calfar lachend, stand auf und kam uns entgegen. »Hi, Cotton. Hi, Decker.«

Calfar war groß, breitschultrig und schwarzhaarig. Die dichten Augenbrauen und die Hakennase verliehen ihm das Aussehen eines Piraten in einem Hollywoodfilm. Er trug immer teure Maßanzüge, Seidenhemden und handgearbeitete Schuhe.

Noch nie hatte er vor Gericht gestanden. In seiner Karriere gab es keine Phase, in der er Drecksarbeit für einen anderen Gangsterboss verrichtet hätte. Unser Computer wusste, dass Calfar das erste große Geld mit einem schwunghaften Kokainhandel in Künstlerkreisen verdient und damit den Grundstock für ein Verbrechenssyndikat gelegt hatte, das sich längst mit den großen Mafiafamilien messen konnte.

Vielleicht hatte er auch Ernest Reeves überflügelt, der als der größte Boss der Ostküste galt.

Aus seiner Anfangszeit hatte sich Calfar eine Vorliebe für den Umgang mit Künstlern bewahrt. Oft sah man eine Showlady an seiner Seite. Sein Bild tauchte in Variety und anderen Bühnenzeitungen auf. Und immer wieder steckte er einen Teil seiner schmutzigen Dollars in die Produktion von Musicals am Broadway oder in andere Showgeschäfte.

Calfar war nicht allein. In einem Sessel saß eine schlanke, stark geschminkte Frau in einem Abendkleid aus glitzernder Kunstfaser, das aus der Nähe billig und verschmutzt aussah, aber im Scheinwerferlicht wahrscheinlich wie eine große Galarobe wirkte. Die Frau hatte die Perücke abgestreift und balancierte sie auf der Fußspitze. Das eigene Haar trug sie aufgesteckt und mit einem Tuch befestigt. In den Händen hielt sie links eine Zigarette, rechts ein Glas mit Eiswürfeln und hellbraunem Whisky.

»Das sind G-men, Betty«, sagte Calfar und wies mit einer Kopfbewegung auf uns. »Pass auf, dass sie dich nicht festnehmen.« Lachend erklärte er: »Betty Soon ist der Star unseres Musicals. Sie spielt die Rolle der Mörderin Vivian.«

Die Schauspielerin musterte uns ohne großes Interesse. Um ihren Mund zeichneten sich unter der Schminkschicht dünne Falten ab.

Ich zog das Foto aus einem Umschlag und hielt es Calfar vor die Augen. »Dieses Mädchen wollen wir sprechen.«

»Das Mädchen mit dem Kreuz über dem Kopf?« Er nahm mir das Foto aus der Hand und zeigte es Betty Soon. »Wer ist das, Betty?«

»Dritte von links? Ich glaube, sie heißt Alice«, antwortete sie träge. »Frag Musher oder Lonjo.«

Calfar ging zum Schreibtisch und drückte den Knopf einer Haussprechanlage.

Eine respektvolle Männerstimme meldete sich. »Bühnenausgang. Guten Abend, Mister Calfar, Sir.«

»Haben Regisseur Musher und Serge Lonjo das Theater schon verlassen?«

»Nein, Sir.«

»Suchen Sie beide. Sie sollen sich bei mir melden.«

»Sofort, Sir.«

»Augenblick. Sind die Ballettmädchen noch im Haus?«

»Zwei sind schon gegangen, Sir.«

»Schließen Sie den Bühnenausgang. Alle haben zu warten.«

»Geht in Ordnung, Mister Calfar, Sir.«

Calfar ließ den Schalter der Sprechanlage los und blickte auf. Sein Gesicht hatte sich verfinstert. »Warum sucht ihr das Mädchen? Was hat sie ausgefressen?«

»Wir wissen nichts über sie, außer dass irgendwer einem Berufskiller zehntausend Dollar für ihren Tod geboten hat«, sagte ich.

»Wenn ich richtig gezählt habe, stand sie vor einer Stunde noch auf der Bühne.« Calfar ging mit wenigen großen Schritten zur Stirnwand und zog einen Vorhang zur Seite.

Ein schmales, zwei Handspannen hohes Fenster bot einen Blick in den Zuschauerraum und auf die Bühne. Der große Vorhang war herabgelassen, und im Zuschauerraum brannte nur die Notbeleuchtung.

»Hast du wirklich gezählt, Jack?«, fragte Betty Soon aus ihrem Sessel. »Etwa so: Eins, zwei, drei, vier, welche schläft heut Nacht mit mir?«

»Halt den Mund!«, fauchte Calfar.

Die Sprechanlage summte. Calfar meldete sich.

»Ich bin's, Serge«, sagte eine helle Stimme, bei der nur schwer zu entscheiden war, ob sie einem Mann oder einer Frau gehörte.

»Bei mir sind zwei Polizisten. Sie suchen das Tanzgirl Alice.«

Die Stimme lachte die Tonleiter hinauf bis zum hohen C. »Das muss sie geahnt haben. Seit dem zweiten Akt ist sie verschwunden. Zur Nightclubszene trat sie nicht mehr an.«

Calfar warf uns einen fragenden Blick zu.

»Dazu möchten wir mehr erfahren«, sagte Phil.

»In Ordnung.« Er wandte sich dem Mikrofon zu. »Wir kommen runter. Niemand hat das Theater zu verlassen.«

»Wie du wünschst, Jack.«

Calfar nickte uns zu. »Gehen wir.« Er fragte Betty Soon: »Kommst du mit?«

»Nein, ich trinke noch ein Glas Whisky.«

Er presste die Lippen aufeinander, öffnete die Tür und ging voraus.

Theater waren immer verwinkelte, labyrinthische Bauten mit zahllosen Gängen, Fluren und Treppen. Calfar brachte uns durch einen schmalen, fensterlosen Korridor zu Stahltreppen, die in die Kulissen hinter der Bühne führten. Am Fuß der letzten Treppe wartete eine kleine Personengruppe.

»Ted Musher, der Regisseur«, sagte Calfar. »Serge Lonjo, der Ballettmeister. Sol Greenfield, der Bühneninspizient, und Simon, der Portier des Bühnenausgangs.«

Bei jedem Namen wies er mit einer Handbewegung auf einen Mann. Der Regisseur und der Ballettchef nickten uns zu. Der Bühneninspizient gab einen Knurrlaut von sich, und der Portier nahm die verwaschene Baseballmütze ab.

»Was ist los mit Alice?«, fragte Calfar unwirsch.

»Sie fehlte beim dritten Akt«, erklärte Greenfield, der Bühneninspizient. »Ich hielt ihren Partner Marco zurück. Wir wickelten die Nightclubszene mit sieben Tanzpaaren ab.«

»Ich werde sie feuern!«, schrie Lonjo, der Ballettchef. Seine Stimme hatte einen schrillen Klang. »Anscheinend hat sie dir die Arbeit abgenommen und sich ohne deinen Segen aus dem Staub gemacht.«

Der Portier hob die Hand wie ein Junge, der sich beim Lehrer meldete. »Sir, die Mädchen, die schon das Theater verließen, waren Emily Roe und Jessy Wyan.«

»Auch Jessy Wyan?«, fragte Calfar nach. »Sind Sie sich sicher, Simon?«

»Ganz sicher, Sir. Ich habe die Stundenkarte geprüft.«

Phil empfand wie ich, dass uns das Gerede nicht weiterbrachte. Er schaltete sich ein. »Wer kennt den vollständigen Namen von Alice?«

»Alice Marcesi«, antwortete Lonjo.

»Wer hat Miss Marcesi zuletzt gesehen?«

»Ihre Kolleginnen und die Garderobieren beim Umkleiden.«

»Okay. Wo können wir sie sprechen?«

»In der Garderobe der Tanzgirls.«

»Dann bringen Sie uns hin.«

Alle gingen mit, und so war es eine kopfstarke Männermannschaft, die in die Garderobe eindrang und auf fünf Mädchen in allen Phasen des Umziehens stieß. Zwei schwarze Garderobieren ordneten Kostüme auf langen Kleiderständern.

»Wir vermissen Alice Marcesi«, sagte Phil. »Wer von Ihnen ...?«

»Wir auch.« Eine Garderobenfrau wies auf den Garderobenständer. »Ihr Kostüm fehlt.« Sie schwenkte ihre zweihundert Pfund herum und zeigte auf einen schmalen Schrank. »Dort hängen ihre Zivilkleider. Sie muss das Theater im Kostüm verlassen haben.«

»In welchem Kostüm?«, fragte Lonjo.

»Im Abendkleid für die Nightclubszene. Ich habe ihr eigenhändig die Agraffe mit der Straußenfeder festgesteckt.«

»Verließ sie die Garderobe mit den anderen?«

»Selbstverständlich.«

Phil wandte sich an die Frauen. »Miss Marcesi kam nicht auf der Bühne an. Hat jemand von Ihnen gesehen, dass sie umkehrte oder einen anderen Weg wählte?«

»Sie wurde von einem Bühnenarbeiter aufgehalten«, sagte eine der jungen Frauen.

»Wo?«

»Am zweiten Aufgang zur Beleuchterbühne.«

»Kannten Sie den Mann? Hatten Sie ihn schon vorher gesehen?«

»Wir müssen uns zwischen dem zweiten und dritten Akt sehr beeilen. Ich habe nicht auf sein Aussehen geachtet.«

»Woher wollen Sie wissen, dass er ein Bühnenarbeiter war?«

»Er trug den üblichen Overall.«

»Bitte sagen Sie mir Ihren Namen.«

»Eve Gaynor, Sir.« Sie war eine hübsche, schmale Frau mit blauen Augen und weißblondem Haar.

Phil warf mir einen fragenden Blick zu. Ich nickte.

»Ich schlage vor, dass wir das Theater nach Alice Marcesi durchsuchen«, sagte er. »Schalten Sie die Beleuchtung hinter der Bühne ein, und rufen Sie alle Leute zusammen, die sich an der Suche beteiligen können.«

»Was erwarten Sie, G-man?«, fragte Calfar böse. »Glauben Sie, das Mädchen hätte sich versteckt?«

Phil antwortete nicht. Wir verließen die Garderobe. Ted Musher, der Regisseur, ein magerer Mann mit einer grauen Haarmähne, die ihm das Aussehen einer alten Frau verlieh, rief die Bühnenarbeiter zusammen und ließ die Beleuchtung einschalten.

Von einem Bühnenhaus sahen die Zuschauer nur den Ausschnitt, auf dem die Show ablief. Dahinter verbarg sich der Apparat, der unentbehrlich war: Hängeböden, mit Scheinwerfern bestückte Beleuchterbrücken, Requisitenräume, Garderoben, Gänge, Flure, Lager für unbenutzte Kulissen und anderes. Jede Show hinterließ irgendwelches Gerümpel, das die Ecken füllte und die Durchgänge verengte. Das alles bildete ein Labyrinth, in dem sich nicht einmal die Leute, die täglich darin arbeiteten, bis in den letzten Winkel auskannten.

Die Durchsuchung lief kaum zehn Minuten, als ein Bühnenarbeiter einen Kollegen anrief: »Joe, schalt ein Spotlight ein und richte es hierher! Irgendetwas liegt hier!«

Ich stand in der Nähe des Arbeiters und ging zu ihm. »Was haben Sie gefunden?«

»Weiß nicht, was es ist, Sir. Unter der Treppe zwischen den Stellwänden schimmert etwas Helles.«

Der Spotscheinwerfer wurde eingeschaltet und herumgeschwenkt. Sein weißer Lichtfinger glitt über die Bühne und fiel in die Kulissen. Dann erfasste er den Arbeiter und mich.

Phil, Calfar und die anderen kamen zu uns.

»Zehn Inch nach links, Joe!«, rief der Bühnenarbeiter. »Eine Handbreit tiefer!«

Das weiße Licht tastete sich unter die Treppe. Bunte Farbmuster glühten auf. Der Raum zwischen Treppe und Wand war ausgefüllt von großen, quadratischen und bemalten Styroportafeln, aus denen sich Kulissenwände zusammenbauen ließen. Die Tafeln waren so gegeneinandergestellt, dass dazwischen ein schmaler Raum blieb wie der Eingang zu einem Zelt.

Der Lichtstrahl erfasste das Weiße, das der Arbeiter gesehen hatte.

Der Mann stöhnte auf und wandte sich ab.