Jerry Cotton Sonder-Edition 265 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 265 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Auf der idyllischen Cherry Island vor der US-Küste feierte Inselbesitzer Jack Glonn mit drei schwerreichen Freunden und vier bildhübschen Frauen eine ausgelassene Luxusparty. Mitten hinein platzte die Landung der Blue Star - mit einer Ladung Rauschgift an Bord und einer Crew aus rücksichtslosen Gangstern, unter die ich geraten war. In wenigen Stunden verwandelte sich das geplante Festival der Liebe unter Palmen und blitzenden Sternen in ein blutiges Festival der Killer ...

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Seitenzahl: 193

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Festival der Killer

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Vorschau

Impressum

Festival der Killer

Auf der idyllischen Cherry Island vor der US-Küste feierte Inselbesitzer Jack Glonn mit drei schwerreichen Freunden und vier bildhübschen, verführerischen Frauen eine ausgelassene Luxusparty. Mitten hinein platzte die Landung der Blue Star – mit einer Ladung Rauschgift an Bord und einer Crew aus rücksichtslosen Gangstern, unter die ich geraten war. In wenigen Stunden verwandelte sich das geplante Festival der Liebe unter Palmen und blitzenden Sternen in ein blutiges Festival der Killer ...

1

Zwei Männer betraten die Hotelhalle. Ein breitschultriger Weißer mit strammem Haarschnitt, einem Ambosskinn, verschwitztem rotem Gesicht und ein Schwarzer, schlank, sehnig und so verdammt britisch wie das ganze Hotel, die ganze Insel und der ganze Staat.

Dass beide Cops waren, daran gab es nicht den leisesten Zweifel.

Ich verkroch mich hinter meiner Zeitung. Der Druck des Revolvers unter der linken Achsel übte keine beruhigende Wirkung aus. Wenn die Jungs mich meinten, würde es in der menschenwimmelnden Hotelhalle zu einem Krach kommen, von dem niemand das Ende voraussagen konnte. Auf jeden Fall würden den übergewichtigen amerikanischen Touristen ein paar ungemütliche Minuten bevorstehen. Sollte ich eine oder mehrere Geiseln nehmen?

Heimlich musterte ich die bunten, lauten Heerscharen. Ältere Frauen waren ebenso ungeeignet wie dicke, alte Männer. Die einen bekamen Herzanfälle und kippten aufs Pflaster, die anderen kreischten möglicherweise los wie Sirenen, wenn man ihnen eine Revolvermündung ans Doppelkinn setzte.

Am besten wäre ein Ehepaar, nicht älter als dreißig, bei dem die Angst nicht nur ums eigene Leben, sondern auch um das des Partners beide besonders gefügig machte. Aber ich sah niemanden in der Halle, der mit einem Exemplar des anderen Geschlechts Händchen hielt.

Zielstrebig wie Panzerwagen kamen die Jungs in die Halle. Sie fuhren auf mich zu. Ich hörte die Ketten rasseln. Es sah so aus, als wäre es besser, die Zeitung zusammenzufalten.

Plötzlich wechselten sie die Richtung und stürzten sich auf eine Frau, die links von mir in einem Ledersessel saß und gelangweilt in einem Modejournal geblättert hatte.

Mit der Langeweile war es vorbei.

Der Weiße riss ihr das Heft aus der Hand, packte sie an den Armen und brüllte: »Verhaftet! Keine Bewegung, oder es geht dir dreckig!«

Mag sein, dass sie für einen Augenblick die Fassung verlor, aber es war wirklich nur ein Augenblick. Dann kreischte sie los, trat ihm vors Schienbein, zog die Knie an, ohne Rücksicht darauf, dass ihr Rock bis zu den Schenkeln hochrutschte, und versuchte, ihn an einer Stelle zu treffen, an der es ihm wehgetan hätte.

Eine echte Chance hatte sie nie. Er verstand sein Geschäft, drehte sich zur Seite weg, blieb außerhalb der Reichweite ihrer schönen Beine und zerrte sie aus dem Sessel hoch. Sie verlor einen Schuh, der im hohen Bogen durch die Halle flog, doch sie gab nicht auf. Sie benutzte ihre Ellenbogen und eine Menge schmutziger Worte. Der rotgesichtige Cop ließ sich allerdings weder von dem einen noch dem anderen beeindrucken.

Der Schwarze mischte sich nicht ein. Er behielt die Menschen in der Halle im Auge. Sein Gesicht zeigte einen Ausdruck von Besorgnis. Anscheinend rechnete er damit, irgendwer könne der Lady zur Hilfe eilen, und ich glaube nicht, dass er dabei an einen Touristen dachte.

Auch ich sah keine Veranlassung, den feinen Kavalier zu spielen, der sich um jede in Bedrängnis geratene Frau kümmerte. Zugegeben, die Frau, der der Cop jetzt die Arme verdrehte, war mir vor zehn Minuten aufgefallen, als alles noch auf einen friedlichen Tag hindeutete. Sie sah hinreißend aus. Eine große, schlanke Blondine, sonnengebräunte Haut, graue Augen, dunkle Wimpern, alle Kurven vorhanden und hübsch ausgeprägt, ganz zu schweigen von ihren Beinen, die jeden Strumpffabrikanten ins Träumen versetzt hätten.

Nicht nur einen Strumpffabrikanten. Auch ich hatte darüber nachgedacht, wie sich die Beziehungen zu der Frau und ihren Beinen verbessern ließen, bevor die verdammten Cops aufgekreuzt waren und die Stimmung verdorben hatten.

Ich hielt den Moment für gekommen, mich aus der Gefahrenzone zu entfernen. Das Geschrei der Schönen hatte die meisten Leute in der Halle aufmerksam gemacht. Sie glotzten herüber und drängten heran, obwohl eine Verhaftung unter Gewaltanwendung in ihrem Sightseeingprogramm nicht vorgesehen war. Ich stand auf und wandte mich angewidert von der hässlichen Szene ab.

Verdammtes Pech, dass der schwarze Schnüffler mich genau in der Sekunde anschaute.

Er war ein intelligenter Junge. Ich sah, wie in seinen Augen der Funke des Erkennens aufblitzte. Er riss die Jacke auf und griff nach seiner Kanone, die er in einem Gürtelholster trug.

Blitzschnell trat ich vor den Sessel, aus dem ich gerade aufgestanden war. Das Ding schlitterte ihm gegen die Beine und brachte ihn aus dem Stand, ohne ihn umzuwerfen. Er bekam seine Kanone nicht richtig in den Griff.

Ich zog und gab es ihm. Mit drei Kugeln nietete ich ihn um. Auf seinem weißen Hemd, links und rechts von seinem Schlips, sprangen drei rote Flecke auf, zwei links und einer rechts. Er kippte um und verschwand hinter dem Sessel.

Klar, dass den Touristen der Spaß am Zuschauen verging, als es krachte. Nach allen Seiten stoben sie auseinander, rannten sich gegenseitig um und warfen sich hin.

Für mich war nur ein Mann in der Halle gefährlich.

Der zweite Cop.

Noch hatte er die Lady nicht losgelassen.

Ich sprang über den niedrigen Couchtisch und stieß ihm die Mündung unters Ambosskinn. »Keine Bewegung, Mann!«

Er erstarrte zur Salzsäule. Seine braunen Augen quollen aus den Höhlen.

»Lass die Lady los!«

Er öffnete die Pranken und gab die Blondine frei. Sie sah sich wild um wie ein Tier, das einen Fluchtweg suchte.

»Nimm ihm die Waffe ab.«

Sie begriff und wühlte dem Cop unter der Jacke herum, bis sie einen riesigen 45er Revolver ans Licht brachte, der so schwer war, dass sie ihn mit beiden Händen halten musste.

»Habt ihr einen Wagen vor der Tür?«, fragte ich und verlieh meinem Revolver mehr Druck.

Er klimperte mit den Wimpern und signalisierte auf diese Weise ein Ja.

»Du wirst uns zum Wagen bringen. Mich und die Lady. Wenn irgendetwas schiefläuft, wirst du als Erster umgelegt.«

»Okay«, flüsterte er so vorsichtig, als fürchtete er, die Lippenbewegung könnte sich auf meinen Abzugsfinger übertragen.

»Bleib dicht neben mir!«, befahl ich der Blondine. »Zeig allen die Kanone!«

Niemand hielt uns auf, auch nicht der Hoteldetektiv, falls es einen gab. Die große Ausgangstür öffnete sich automatisch, denn den Lichtzellen war es völlig gleichgültig, wer die Schranke durchschritt.

Der Wagen parkte direkt vorm Ausgang, obwohl dort nur zum Aus- und Einsteigen gehalten werden durfte. Aber die Polizei nahm sich ja immer Sonderrechte heraus.

In unserem Fall war das nicht ungünstig. Ich zwang den Cop hinters Steuer und setzte mich neben ihn. Die Blondine sprang in den Fahrgastraum.

Ich stieß ihm den Revolverlauf zwischen die Rippen. »Gib Gas, Bastard!«

Ungeschickt hantierte er an Zündung und Schaltung. Der Wagen war eine alte britische Karre. Er schien sich nicht damit auszukennen, endlich brachte er ihn doch in Gang.

Wir rollten aus der Hotelauffahrt auf die Straße.

»Wohin?«, gurgelte er.

Ja, verdammt. Das war die Frage. Von den neunundzwanzig Inseln der Bahamas war diese eine der kleinsten, und alle Straßen mündeten im Ozean.

»Batata-Bucht«, sagte die Blondine.

Ich drehte mich zu ihr um. »Was meinst du?«

»Er soll zur Batata-Bucht fahren.«

»Du sollst zur Batata-Bucht fahren!«, brüllte ich dem Cop ins Ohr.

»Ich weiß nicht, wo das ist«, zischte er und sprühte vor Nervosität fein verteilte Spucke gegen die Windschutzscheibe.

»Wieso kennst du dich nicht auf der Insel aus, auf der du rumläufst und nette Leute verhaftest?«

»Bin Amerikaner.«

Das hätte mir längst auffallen können, denn er knetete jedes Wort breit wie Kaugummi. Die Einheimischen sprachen ein näselndes, spitzes Englisch, als hätten sie alle in Oxford studiert.

»Von welcher Truppe?«

Er schluckte. Sein Adamsapfel stieg auf und ab. Ich ließ ihn den Revolver spüren.

»Wie heißt der Verein, der dich losgeschickt hat?«

Die Blondine hämmert vor Wut mit den Fäusten gegen die Rückenlehne.

»Er soll zur Batata-Bucht fahren!«, schrie sie. »Das ist die falsche Richtung!«

»Wenden!«, befahl ich. Zu ihr sagte ich: »Sag ihm, wie er fahren soll. Nur nicht noch einmal am Hotel vorbei. Das können wir uns nicht leisten.«

Für mich als New Yorker war es fast unglaublich, wie friedlich die Welt blieb. Keine Sirene heulte. Keine Alarmklingel schrillte. Nicht zu Fuß, nicht zu Pferd und nicht auf Rädern tauchten Polizisten auf. Kein rotes Flackerlicht signalisierte Gefahr.

Die Sonne schien. Sightseeingbusse schaukelten Touristen zu den Stränden. In offenen Buggy Cars fuhren sonnenverbrannte Boys und Girls zum Tauchen und Fischespeeren. Jedermann schien nur sein Vergnügen im Kopf zu haben.

Hatte ich nicht vor drei Minuten einen Polizisten umgenietet und einen anderen als Geisel genommen?

Es kam mir fast vor, als interessierte sich niemand dafür. Anscheinend besaßen die vier oder fünf Dutzend Cops, die es auf der Insel geben mochte, nicht genügend Erfahrung mit Verbrechen oberhalb eines Taschendiebstahls. Der Wagen, den wir gekapert hatten, hatte nicht einmal eine Sprechfunkeinrichtung.

Die Blondine dirigierte den Cop mit genauen Anweisungen.

Rechts. Links. Wieder rechts. Jeden Befehl begleitete sie mit einem Faustschlag. Sie hatte nur eine kleine Hand, aber sie schlug kräftig zu.

Unterdessen leerte ich seine Brusttaschen, fand zweihundertdreißig Dollar, einen Brief der amerikanischen Botschaft weit weg in Nassau auf der Hauptinsel und einen Ausweis des US-Justizministeriums. Unser neuer Freund hieß Hendrich Ferguson und arbeitete in der Anti Drug Force. Die Jungs bekämpften den Rauschgifthandel weltweit, weil sich die US-Regierung darüber ärgerte, dass mit dem Zeug so viel Geld verdiente und davon so wenig Steuern gezahlt wurden.

Nach acht Minuten durchbrausten wir einen schmalen Dschungelpfad, der sich zum Meer senkte und in einer dieser zauberhaften Buchten mündete: weißer Strand, kristallklares Wasser, wiegende Palmen. Na ja, Sie wissen schon, wie es die Reiseprospekte beschreiben.

In dieser Bucht lieferte ein schmales, schnittiges knallrotes Motorboot das Tüpfelchen zur Traumkulisse. Der Kahn schaukelte dicht am Strand an einer ausgeworfenen Boje.

Der Sand war so fest, dass der Wagen nicht stecken blieb, sondern bis ans Wasser rollte.

»Halt!«, befahl die Blondine und hämmerte dem Cop zum letzten Mal die Faust gegen den Hinterkopf.

Er trat auf die Bremse. Noch bevor der Wagen stand, stieß sie die Tür auf, sprang hinaus und rannte zum Boot. Das Wasser spritzte unter ihren Füßen.

»Halt!«, schrie ich meinerseits. »Warte!«

Ich wollte aus dem Wagen springen, besann mich jedoch und brüllte den Polizisten an: »Tür auf!«

Er drückte die Tür auf. Ich schlug zu, und er kippte seitlich aus dem Wagen.

Ich sprang raus und rannte der Frau nach. Das Wasser war so seicht, dass es mir, als ich das Boot erreichte, kaum bis zum Knie schwappte.

Sie saß schon im Boot, und der Mann, der ihr hineingeholfen hatte, warf gerade den Außenbordmotor an. Bei meinem Anblick ergriff er einen armlangen Baseballknüppel und zeigte sich entschlossen, mir eher den Schädel einzuschlagen, als mich an Bord zu nehmen.

Ich hob den Revolver. »Wenn ich zurückbleiben muss, kommt keiner von hier weg.«

»Lass ihn an Bord, Big«, sagte die Blondine. »Die Cops suchen ihn.«

Der Mann legte den Knüppel aus der Hand und holte die Boje ein.

Ich schwang mich über die Bordkante. Das Boot legte sich schräg. Die Frau rutschte vom Sitz, und wir fielen gegeneinander. Ich hielt mich an ihr fest. Sie war nicht der schlechteste Halt für einen Mann in bedrängter Lage.

»Verdammter ...!«

Wie immer sie mich nannte, das Wort ging im Aufbrüllen des Außenbordmotors unter. Das Boot nahm die Nase aus dem Wasser, wurde von dem Mann am Steuer gewendet, als wäre es ein Pferd, das auf der Hinterhand herumgerissen wurde, und raste hinaus auf die offene See.

Big, der Bursche am Steuer, der offenbar so genannt wurde, weil er groß, breit und schwer zugleich war, wandte den Kopf.

»Es wird Hymes wenig gefallen, dass du 'nen Fremden mitbringst!«, rief er durch das Brüllen des Motors.

Nach allem, was ich über Howard Hymes wusste, gab es nur sehr wenige Dinge, die ihm gefielen.

Wahrscheinlich nur zwei: erstens er sich selbst und zweitens der Anblick gebündelter Hundertdollarnoten in hohen und zahlreichen Stapeln.

So weit erwartete ich mir von der Begegnung keine Überraschung.

Das Problem lag darin, dass Howard Hymes alles, was ihm nicht gefiel – gleichgültig ob Gegenstand oder Mensch –, kurzerhand zu vernichten pflegte.

Die Blondine fasste mich ins Auge.

»Wer bist du? Warum hast du dich eingemischt?«

»Eingemischt?« Ich lachte. »Denkst du, ich hätte deinetwegen einen Cop umgenietet? So schön bist du nicht, Schätzchen. Der andere Schnüffler hat mich erkannt. Ich weiß nicht, was du auf dem Kerbholz hast, doch ich wette, falls sie nur ein Paar Handschellen bei sich hatten, wäre ihnen die Wahl zwischen dir und mir nicht schwergefallen.«

»Wer bist du?«, wiederholte sie.

»Jesse Caught«, antwortete ich missgelaunt. »Augenblicklich laufe ich unter dem Namen William Dunn und mit einem schlecht gefälschten Pass herum.«

»Warum wirst du gesucht, Caught?«

»Weil ich mich ungebührlich benommen habe.«

»Quatsch!«

»Nein, die Wahrheit. In einer Bank. Sie waren über mein Benehmen und das meiner Kumpel so empört, dass sie die Cops riefen. Ich war der Einzige, der rauskam. Die anderen müssen nachsitzen. Die Beerdigung von zwei Cops soll eine feierliche Angelegenheit gewesen sein.«

»Hat es sich gelohnt?«, fragte sie sachlich.

Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ein bisschen Kleingeld brachte ich raus, aber das liegt in einem Koffer unter meinem Hotelbett.«

Big drehte sich am Steuer um und rief: »Ein Polizeiboot!«

Ein weißer Kahn mit flatternden Wimpeln am kurzen Antennenmast preschte aus Westen auf uns zu. Ein Uniformierter stand im Bug und glotzte durch sein Doppelglas. Die hohe Bugwelle erweckte den Eindruck großer Geschwindigkeit. Die Sirene heulte in kurzen, atemlosen Stößen.

Big änderte die Richtung um ein paar Strich und gab Vollgas. Der Abstand zwischen dem Polizeiboot und unserem Wellenflitzer wuchs. Die beeindruckende Bugwelle war nur Bluff.

Sie erkannten, dass wir nicht einzuholen waren, setzten einen Blinkscheinwerfer in Betrieb und morsten Drohungen. »Sofort beidrehen, oder wir eröffnen das Feuer!«

Big kümmerte sich nicht darum. Der Polizist vertauschte das Fernglas mit einer Maschinenpistole, doch er hatte zu lange gewartet. Der Abstand betrug dreihundert Yards. Sein Boot tanzte auf den Wellen. Unser Boot tanzte auf den Wellen. Wie sollte er treffen? Er setzte zwei Serien in den Ozean, warf die Kugelspritze weg und griff wieder zum Fernglas. Okay, solange seine Augen keine Laserstrahlen verschossen, hatte ich nichts dagegen, dass er uns beglotzte.

»Wie geht's weiter?«, fragte ich die Frau. »Habt ihr genug Sprit im Tank für die Reise bis Kuba?« Ich kratzte die Stelle hinter meinen Ohren. »Ich weiß nicht, ob ich überhaupt dahin will. Sie haben zwar keinen Auslieferungsvertrag mit den USA, aber auch keinen Sinn für freie Entfaltung. Ich möchte nicht auf einer Zuckerrohrplantage arbeiten müssen.«

»Das ist nicht die Richtung nach Kuba«, sagte die Blondine. »Vorne liegt Howard Hymes' Schiff.« Sie zeigte auf die Umrisse eines großen Kajütkreuzers am Horizont.

»Glaubst du, die Cops lassen uns an Bord gehen?«

»Die Blue Star liegt außerhalb der Hoheitszone.«

»Vielleicht kümmern sie sich einen feuchten Kehricht darum.«

»Das wäre Piraterie. Howard würde sich dagegen wehren.«

»Die Cops sind bewaffnet.«

Sie grinste mich an. Hübsche Zähne hatte sie. »Wir auch.«

Die Umrisse des Hymes-Boots wurden rasch größer und deutlicher. Rumpf und Aufbauten waren nicht weiß wie meist üblich, sondern azurblau lackiert.

»Sie geben auf«, sagte die Blondine.

Tatsächlich erstarb am Polizeiboot die Bugwelle. Eine Minute später dümpelte das Schiff antriebslos in der schwachen Dünung.

Auf der Blue Star standen vier Männer an der Backbordreling. Der große, hartgesichtige Mann mit dem flatternden schwarzen Haar war Howard Hymes. Das wusste ich. Von den anderen Mitgliedern der Besatzung wusste ich wenig. Dass Hymes nicht mit Schlappschwänzen auf große Fahrt ging, war ohnedies klar.

Mit einer Handbewegung schickte er einen Mann an die Heck-Davits, mit denen das kleine Rennboot an Bord genommen werden sollte.

Big drosselte die Geschwindigkeit. Wir glitten an der Bordwand entlang.

Hymes beugte sich über die Reling und brüllte: »Wer ist der Hundesohn?«

»Er wird von den Cops gesucht!«, rief die Blondine zurück.

Big befestigte die Haken der Davitstaue in den Ösen am Heck. Ich machte mich nützlich und tat dasselbe am Bug. An Bord sprang der Motor an. Das Rennboot wurde aus dem Wasser gehievt.

»Übrigens heiße ich Grace Morgan«, sagte die Blondine, während wir mit dem Boot nach oben schwebten.

Sie erzählte mir keine Neuigkeit.

Ich sprang an Bord und half Grace aus dem Boot. Als Letzter schwang sich Big auf die Planken der Blue Star.

»Ich hab keine Schuld, Boss«, sagte er. »Sie wollte, dass ich den Mann mitnehme.«

Wir standen uns gegenüber, Hymes einen halben Schritt vor den drei Männern der Besatzung. Unter dichten Augenbrauen starrten mich seine runden schwarzen Raubvogelaugen kalt und ausdruckslos an.

Ohne den Kopf zu wenden, befahl er: »Wirf die Maschine an, Teller!«

Ein untersetzter Graukopf mit breitem Gesicht löste sich aus der Gruppe, enterte die Leiter zur Brücke und verschwand im Steuerstand. Die anspringenden Dieselmotoren ließen das Schiff erzittern. Die Blue Star nahm Fahrt auf.

»Komm her«, sagte Hymes und meinte Grace Morgan.

Sie ahnte, was geschehen würde, und versuchte, seinen Händen zu entgehen.

»Ich konnte nichts dafür, Howard«, erklärte sie hastig. »Ich saß in der Hotelhalle und wartete auf Careno, wie du mir befohlen hattest. Er kam nicht. Stattdessen tauchten zwei Polizisten auf und stürzten sich auf mich.«

»Dieser Bastard«, knirschte Hymes. »Ich habe ihm nie getraut. Sprich weiter.«

Grace wies auf mich. »Es saß in der Halle. Als er aufstand und weggehen wollte, versuchte der zweite Polizist, ihn festzunehmen. Er schoss ihn nieder.«

»Wirklich?«, fragte Hymes und zog die schweren Augenbrauen hoch.

»Ja, er legte den Cop um und nahm den anderen, der mich festhielt, als Geisel.«

»Wirklich?«, fragte er zum zweiten Mal und in einem Tonfall, als hörte er ein völlig unglaubwürdiges Märchen. Dann schnippte er mit den Fingern. »Loogby, häng dich rein und hör dir an, was sie über den Zwischenfall nach Nassau berichten.«

Diesmal entfernte sich ein junger blonder Bursche von etwa sechsundzwanzig Jahren und ging in die Funkkajüte.

»Im Polizeiwagen rasten wir zur Bucht«, fuhr Grace fort. »Während ich an Bord ging, erledigte er den zweiten Polizisten und ...«

»Wieder mit einer Kugel?« Hymes wollte es genau wissen.

Ich tat den Mund auf. »Nein. Ich zog ihm den Revolverlauf über den Schädel.«

Hymes schien es nicht zu gefallen, dass ich selbst zu reden wagte.

Da ich schon angefangen hatte, setzte ich hinzu: »Ich heiße Jesse Caught.«

»Warum sucht dich die Polizei?«

»Banküberfall in Miami am 4. Mai.«

»Der Überfall auf die Filiale der Florida State Bank?«, fragte Hymes.

Na also. Der große Hai hatte den Köder geschluckt. Zumindest schnupperte er daran. Denn am 4. Mai hatte sich Hymes in Florida aufgehalten, und es war selbstverständlich, dass er von diesem aufsehenerregenden Bankraub gehört hatte, bei dem zwei Polizisten erschossen worden waren.

»Das warst du?«, vergewisserte er sich.

»Nicht ich allein.«

»Gehen die toten Cops auf dein Konto?«

Ich hob die Hand und reckte den Daumen. »Einer.«

»Wie bist du rausgekommen?«

»Falscher Pass und zwanzigtausend Dollar für den Trip auf einem lausigen Fischerboot.«

»Ich kann nichts mit dir anfangen«, sagte Hymes, rieb die Handflächen gegeneinander und nickte Big und dem letzten Mann seiner Crew zu, der noch neben ihm stand.

»Werft ihn über Bord.«

Er sagte den Satz so lässig, als wünschte er, dass das Licht gelöscht würde.

Grace Morgan empörte sich. »Howard, er hat mich befreit! Ohne ihn würde ich jetzt hinter Gittern sitzen!«

Big und der andere Mann bewegten sich auf mich zu. Big sah aus, wie er hieß. Gut sechseinhalb Fuß, zweihundert Pfund und ein schwarzer Fußsack von Bart als Draufgabe.

Der andere hatte auch keine Sonderration für unterernährte Jugendliche nötig. Ein bulliger Halbschwergewichtler mit Stiernacken und den runden Schultern des schnellen Schlägers.

»Wie wär's mit einem bisschen Dankbarkeit, Mister Hymes?«, sagte ich. »Immerhin habe ich Ihnen Ihr Mädchen zurückgebracht. Ohne mich müssten Sie heute Nacht allein in Ihrer Koje frieren.«

»Weg mit ihm!«, schrie er.

Sofort kam der Halbschwergewichtler herangeschossen und feuerte einen wuchtigen Haken nach meinem Kinn.

Sein Distanzgefühl taugte nicht viel. Fünf Inch, um die ich den Kopf zurücknahm, genügten. Wie eine fehlstartende Rakete zischte seine Faust ins Leere. Der eigene Schwung riss ihn nach vorne. Er stolperte in zwei linke Konter und einen rechten Haken hinein. Ein Handkantenschlag gab ihm den Rest.

Ich trat zwei Schritte zur Seite, damit er Platz hatte. Da lag er nun auf den Planken und heulte.

Hymes richtete den Blick seiner runden Raubvogelaugen erst auf den Mann, dann auf den Revolver in meiner Hand. Er erkannte, dass ich seinen Bauchnabel als das Schwarze in einer Zielscheibe ansah, und es wurde ihm klar, dass ich bei der kurzen Entfernung, die uns trennte, nicht besonders weit daneben treffen würde.

Er streckte eine Hand aus, schloss die Finger um Grace' Arm und versuchte, sie vor sich zu ziehen. Andere als Kugelfang zu benutzen, entsprach seinem wichtigsten Charakterzug.

Mit zwei großen Schritten stand ich vor ihm und verkürzte den Abstand zwischen der Revolvermündung und seinem Bauchnabel auf lächerliche vier Inch.

»Warum willst du einen Mann über Bord werfen lassen, der bereit ist, für dich zu arbeiten?«, fragte ich. »Ich weiß nicht, welches Geschäft du betreibst, aber ich bin gelehrig.« Ich suchte seinen Blick. »Und ich mache alles.«

»Ich arbeite nicht mit Fremden«, antwortete er finster.

»Mach eine Ausnahme«, schlug ich vor.

Er schwieg.

Langsam setzte ich hinzu: »Du hast keine andere Wahl, als mit mir eine Ausnahme zu machen. Ich kann nicht gut schwimmen.«

Eine neue Stimme hallte übers Schiff. »He du! Wirf deine Kanone weg!«

Ich hob den Kopf. Auf der Kommandobrücke stand der grauhaarige Teller, den Hymes hinaufgeschickt hatte, um die Blue Star in Gang zu bringen. Er hielt eine kurzläufige Maschinenpistole in der Hand.

»Lass fallen!«, wiederholte er.

Ich schob die Hand vor und überbrückte die letzten fünf Inch zwischen Hymes' Haut und der Mündung. Nein, ich stieß sie ihm nicht in die Magengrube. Sanft setzte ich die Mündung auf.

Ich spürte, wie er zusammenschauerte.

»Dein Mann kann nicht verhindern, dass ich den Finger krümme, Hymes, und wenn es das Letzte ist, das ich auf dieser Welt tue.« Ich lächelte. »Lass uns das hässliche Spiel beenden. Wenn du für mich Verwendung hast, werde ich gute Arbeit leisten. Wenn nicht, setz mich im nächsten Hafen ab, den dein Boot anläuft. Ich nehme nicht an, dass du als erstes Ziel einen Hafen in den USA ansteuern wirst.«

Sein Gesicht verriet, wie wenig ihm der Vorschlag gefiel. Er hasste es, zu einer Entscheidung gezwungen zu werden, die ihm nicht schmeckte. Hinter der gefurchten Stirn zermarterte er sein Gehirn auf der Suche nach einem Ausweg, der ihn von der Revolvermündung weggebracht und ihm doch die Möglichkeit verschafft hätte, mich den Haien zum Fraß vorzuwerfen.

In diesem Augenblick kam Loogby, der blonde Junge, der für die Funkbude zuständig war, aus der Kajüte links neben der Brückenleiter.

Erstaunt blickte er sich um. Mit einem Kopfhörer auf den Ohren hatte er von der Auseinandersetzung auf Deck nichts mitbekommen.

»Boss ...«, begann er, brach ab und starrte auf den Revolver.

»Sprich weiter«, sagte Hymes.

»Sie melden den Tod eines Constable Lieutenant und die Verletzung eines amerikanischen Agenten. Nassau schickt einen Hubschrauber.« Loogby stotterte bei seinem Bericht und konnte die Augen nicht vom Revolver wenden. Bestimmt hatte er Hymes noch nie in einer solchen Situation gesehen.