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Vor Mark Frechette zitterte die halbe Unterwelt. Der New Yorker Gangsterboss war ein König in seinem Reich. Er duldete keinen Widerspruch. Wer bei ihm aufmuckte, war ein toter Mann. Doch dann zog Gefahr für ihn auf. Sie kam von einer Seite, die für uns vom FBI ebenso überraschend war wie für den allmächtigen Boss. Sie kam von sanfter Hand ...
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Seitenzahl: 188
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhalt
Von sanfter Hand
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
Vor Mark Frechette zitterte die halbe Unterwelt. Der New Yorker Gangsterboss war ein König in seinem Reich. Er duldete keinen Widerspruch. Wer bei ihm aufmuckte, war ein toter Mann. Doch dann zog Gefahr für ihn auf. Sie kam von einer Seite, die für uns vom FBI ebenso überraschend war wie für den allmächtigen Boss. Sie kam von sanfter Hand ...
Das harte Bremsmanöver kam so überraschend, dass Patrolman James Harries mit der Brust gegen das Armaturenbrett knallte. In der nächsten Sekunde drehte sich der Streifenwagen der New York City Police auf dem schlierigen Asphalt der Beach Street. Harries versuchte sich festzukrallen. Es ging zu schnell. Bevor seine Finger Halt fanden, schlug er mit dem Kopf gegen den Türholm.
»Rechts vor dir, James!«
Sergeant Matt Mayberrys Zuruf riss Harries aus der Benommenheit, die sich wie ein weicher Watteteppich über sein Bewusstsein gelegt hatte.
»Die Frau!«
Patrolman Harries riss die Augen auf. Die Frau, die Sergeant Mayberry meinte, bestand für Harries nur aus einem schlanken Schatten, der sich eilig bewegte und schließlich mit der Fassade der Eisenwarenhandlung verschmolz, die sich schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite befand.
»Da stimmt was nicht, Partner.«
Wer wie Sergeant Matt Mayberry mehr als die Hälfte seines Lebens täglich in einem Patrol Car der New York City Police zugebracht hatte, bekam einen untrüglichen Blick für Ärger. Harries' Blick war in dem Moment wieder klar, als der Sergeant die Tür aufstieß und in die Beach Street sprang. Der Sergeant, mit dem er seit einigen Wochen unterwegs war, griff nach der Dienstwaffe. Im selben Augenblick sah er auch die Frau wieder, die aus dem Schatten der Fassade heraustrat und am Straßenrand stehen blieb.
Unzweifelhaft hatte sie den Streifenwagen und Sergeant Mayberry entdeckt. Sie hob die Hand, winkte und schrie etwas, das Harries nicht verstehen konnte.
Sergeant Mayberry, der zwei Sekunden lang zögernd stehen geblieben war, hatte inzwischen den 38er Smith-&-Wesson-Dienstrevolver aus dem Holster freibekommen. Er entfernte sich langsam vom Streifenwagen, hob die Waffe mit der Linken und gab James Harries mit der Rechten zu verstehen, dass er ihm folgen solle.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Harries nichts begriffen. Er nahm an, dass Mayberry mehr als er gesehen hatte.
Harries stieß die Beifahrertür des Streifenwagens auf. Mehr aus Gewohnheit als verstandesgemäß schlossen sich seine Finger um den Griff der Dienstwaffe.
In dieser Sekunde zerrissen die Scheinwerfer eines Wagens die Dunkelheit. Ein alter Chevrolet Monte Carlo schlingerte aus der schmalen Seitenstraße, aus der die junge Frau in die Beach Street gekommen war. Er drehte sich halb und hielt schließlich so, dass sich die junge Frau mitten im Scheinwerferlicht befand.
Harries hielt die Luft an.
Sergeant Mayberry verharrte. Er stellte sich auf die Zehenspitzen. Die blaue Schirmmütze rutschte ihm in den Nacken, als er den Kopf zurücklegte, um besser sehen zu können.
»Polizei!«
Die junge Frau am Bordstein drehte sich um.
Harries sah zum ersten Mal ihr Gesicht. Schmal, mit eingefallenen Wangen. Ein strenger Gesichtsausdruck, der durch die blonden Haare, die bis zur Schulter reichten, noch unterstrichen wurde. Auffallend waren die großen Augen, in denen sich Angst und Entsetzen spiegelte. Geblendet durch das Scheinwerferlicht des Chevrolet, kniff sie die Lider etwas zusammen. Ihr Blick war auf der Suche nach Mayberry, der sich mitten auf der Beach Street in die Hocke niederließ, die Dienstwaffe mit beiden Händen packte und den Chevy anvisierte.
»Polizei!«
Patrolman James Harries stieß die angehaltene Luft aus. Vor vier Wochen war er von der Polizeiakademie zum 1. Revier in der Downtown geschickt worden. Seitdem hatte Mayberry ihn unter seine Fittiche genommen, um ihm als jungem Beamten zu zeigen, dass er sich einen Beruf ausgesucht hatte, von dem man besser nicht träumte. Bis auf einige kleine Zwischenfälle, die Mayberry allesamt mit leichter Hand gelöst hatte, war es zu keiner wirklichen Gefahrensituation gekommen.
Jetzt war das anders. Harries spürte das Kribbeln, das bei seinen Füßen begann und schließlich durch seinen ganzen Körper flutete. In diesen Sekunden fühlte er sich hilflos und verlassen wie ein Kind im Dunkeln.
Sein Blick glitt über den auf dem feuchten Asphalt knienden Sergeant hinweg zum Chevy. Dann weiter zu der jungen, schlanken Frau, die wie ein Star im Scheinwerferlicht stand.
Harries zog die Dienstwaffe, spannte den Hammer und hob den 38er, ohne so recht zu wissen, wie er sich verhalten sollte.
Zwei Sekunden später brach die Hölle los. Zum ersten Mal bekam Harries am eigenen Leib zu spüren, was es hieß, Polizist in New York zu sein.
Aus dem Seitenfenster des Chevy zuckten Mündungsblitze durch die Nacht. Die Schussexplosionen brachen sich an den hohen Fassaden und wurden als Echo zurückgeworfen.
Die junge Frau stand nicht mehr im Scheinwerferlicht. Sie wurde aus dem Lichtschein herausgeschleudert und stürzte dort auf den dunklen Teil der Straße. Noch einmal drehte sie sich. Es sah aus, als versuchte sie sich zu erheben. Dann zuckte ihr Körper wie gepeitscht zusammen, als weitere Schüsse aus dem Chevy abgegeben wurden. Sie rollte über den Gehsteig und blieb auf dem Rücken liegen.
Wie ein Film zog das vor den Augen von Patrolman James Harries ab.
Sergeant Mayberry sprang auf. Zwei Schüsse hatte er auf den Chevy abgegeben, in dem sich der Killer klein machte.
Der Motor des Wagens brüllte auf.
Wie ein Fels in der Brandung stand Sergeant Mayberry in der Beach Street, hielt die Dienstwaffe in beiden Händen, brachte sie in Anschlag und krümmte den Finger.
Dreimal bäumte sich der Smith & Wesson in seinen Fäusten auf, als der Chevy einen Satz nach vorne machte, der Motor abgewürgt wurde und der Wagen schräg zur Fahrbahn stehend wieder zum Halten kam.
Harries hetzte um den Streifenwagen herum, umrundete die Kühlerhaube und ließ sich vor dem linken Vorderreifen in die Knie nieder. Erst nach dieser Aktion wurde ihm bewusst, dass er genau das Falsche getan hatte: Vor dem Reifen saß er wie auf dem Präsentierteller. Wenn der Killer im Chevy Gelegenheit dazu bekam, konnte der ihn leicht treffen.
Harries ließ sich auf den feucht glänzenden Asphalt fallen.
Der Chevy, der schräg zur Fahrbahn stand, löste sich in dieser Sekunde in einem hellen Feuerblitz auf. Eine dumpfe Explosion rollte durch die Beach Street, und die Flammensäule stieg neun Fuß hoch in den Nachthimmel auf.
Sergeant Mayberry stand noch immer hochaufgerichtet auf der Straße. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er in das Feuer. Sein Blick war auf der Suche nach dem Killer, der entweder in den Flammen schmorte und einen ersten Vorgeschmack auf die Hölle bekam oder den Wagen durch die Beifahrertür schon lange verlassen hatte. Mayberry hatte es nicht sehen können.
»Geh von der anderen Seite ran, Cop!«, schrie der Sergeant ihm zu. »Versuch, ihn in die Zange zu nehmen!«
Harries sprang auf. In diesem Moment hatte er grenzenloses Vertrauen zu dem im Dienst ergrauten Sergeant. Mayberry, davon war James Harries überzeugt, wollte die Sache so regeln, dass keiner von ihnen in eine tödliche Gefahr geriet. Er spurtete los, schlug einen Haken zum Gehsteig auf der rechten Seite, wollte so den brennenden Chevy passieren und irgendwo in Deckung gehen, von wo aus er die Straße auf der anderen Seite des brennenden Wagens einsehen konnte.
Er kam drei Schritte weit, als Mayberrys Schrei ihm in den Ohren gellte.
Harries blieb stehen. Die Beine versagten ihm einfach den Dienst. Selbst wenn er es gewollt hätte, er war gar nicht mehr dazu in der Lage, auch nur einen einzigen Schritt zu laufen. Sein Kopf ruckte nach links.
Der Sergeant taumelte zurück. Seine Rechte war in den Stoff des Hemds gekrallt, wo sich das Polizeiabzeichen befand. Verzweifelt versuchte er, die Linke mit dem schweren 38er zu heben und die Waffe wieder auf den brennenden Chevy zu richten. Es gelang ihm nicht.
Aus dem Flammensee heraus fielen die nächsten beiden Schüsse. Jedes Mal wurde Mayberry einen Yard zurückgetrieben. Sein massiger Körper bäumte sich wie unter Schlägen auf. Dann stürzte er wie ein gefällter Baum und blieb lang ausgestreckt auf der Straße liegen.
Etwas in Harries' Brust zerriss schmerzhaft. Er spürte den Kloß, der ihm in der Kehle steckte. Noch immer war er nicht fähig, sich von der Stelle zu rühren. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er einen Menschen sterben sehen.
Rechts neben seinem Kopf klatschte ein Projektil gegen die Fassade des Hauses, wurde als Querschläger zurückgetrieben und erwischte Harries an der Schulter.
Der harte Schlag und der einsetzende Schmerz rissen Harries aus der Lethargie. Brüllend sprang er einige Schritte zurück, prallte mit der Hüfte an den Streifenwagen, dann schoss er.
Seitlich des brennenden Chevy sah er den Schatten des Killers, der die Frau und den Sergeant erschossen hatte. Eine mittelgroße, hagere Gestalt. Der helle Trenchcoat war im Widerschein der Flammen beinahe weiß. Harries sah den eckigen Kopf, das eingefallene Gesicht und den altmodischen Borsalinohut, den der Kerl trug.
Von nun an gab es in Harries nur einen Gedanken: Er wollte den Kerl erwischen, um welchen Preis auch immer!
Sein Kopf war klar, seine Gedanken arbeiteten wie mechanisch und ließen ihn die Dinge tun, die ein Polizist in dieser Situation zu tun hatte.
Er visierte den Mann neben dem brennenden Chevy an, jagte einen Schuss herüber und zog mit der Linken die Tür des Streifenwagens auf.
Der Mann zuckte zusammen. Hatte er ihn getroffen? Dann tauchte der Kerl weg, aber der helle Trenchcoat war im Licht der flackernden Flammen noch gut auszumachen. Der Killer lag am Boden und drehte sich auf die Seite.
Harries' Hand tastete nach hinten. Er bekam das Mikro zu packen, zog es an sich heran und jagte mit klarer Stimme einen Hilferuf an alle Wagen.
Harries richtete sich wieder auf. Der Killer hatte sich ebenfalls erhoben und wollte entkommen.
Harries schoss auf ihn und sah die Funken, die seine eigenen Kugeln auf dem Asphalt schlugen. Plötzlich änderte der Killer die Richtung. Anstatt den Fluchtweg über die Beach Street zur Greenwich Street fortzusetzen, schlug er einen Haken und rannte auf die Lagerhalle der Eisenhandlung zu. Mit der Schulter drückte er die Scheibe eines Fensters ein und zog sich mühsam ins Innere.
Harries stockte der Atem. Seit vier Wochen fuhr er mit Mayberry in dieser Gegend Streife. Er kannte sie beinahe so gut wie seine Westentasche und war sich sicher, dass es aus der Lagerhalle der Eisenhandlung kein Entkommen gab. Das lang gestreckte Steingebäude verfügte über kein Fenster, das wusste Harries genau.
Wenn der Killer gerade in dieses Gebäude geflüchtet war, so hieß das nichts anderes, als dass er sich in der Gegend nicht auskannte.
Harries stieß die angehaltene Luft aus. Er sprang in den Streifenwagen, startete ihn und lenkte ihn um den brennenden Chevy herum. Er drehte ihn so, dass der Kühler zur Lagerhalle zeigte. Dann schaltete er alle Lichter ein und verließ den Wagen schnell wieder, bevor der Killer aus der Lagerhalle das Feuer auf ihn eröffnen konnte.
Schweiß rann ihm über die Stirn, als er hinter dem Streifenwagen Deckung bezog. Mit dem Handrücken wischte er sich darüber hinweg. Er hatte das gute Gefühl, alles richtig zu machen.
Niemand, auch Sergeant Mayberry nicht, der seinen Job wie kein zweiter beherrscht und sämtliche Tricks im Streifendienst gekannt hatte, hätte es besser tun können.
Mayberry.
Harries' Blick ruckte nach rechts.
Mayberry lag noch immer so, wie er gefallen war. Keinen Inch hatte er sich von der Stelle gerührt. Genau wie die junge Frau, die nur zehn Yards von ihm entfernt auf dem Gehsteig lag.
Tote.
Harries erschauderte. Die Waffe in seiner Hand zitterte. Sekundenlang war er versucht wegzulaufen. Schließlich kämpfte er die natürliche Angst nieder, hob den Revolver und feuerte zu seiner eigenen Beruhigung einfach zwei Schüsse durch das Fenster, durch das der Killer in die Lagerhalle gelangt war.
Drinnen rührte sich nichts.
»Beach Street, Feuergefecht zwischen der Besatzung eines Streifenwagens und einem Killer. Wenn die Meldung korrekt war, hatte es zwei Tote gegeben.«
Ich fing den Funkspruch am Spring Street Terminal auf, warf Phil Decker einen Blick zu und drehte den Jaguar quer über die Straße.
Zu Hilfe gerufen wurden die Patrol Cars der New York City Police. Da wir uns ebenfalls nicht weit von der Beach Street entfernt befanden, war es selbstverständlich, dass wir uns auf den Weg machten, um den Cops unsere Hilfe anzubieten.
Es war halb drei Uhr nachts. Wir hatten den letzten Bus aus Chicago überprüft, aber der Mann, den wir erwarteten, war nicht gekommen. Ein normaler Auftrag nach einem Hilfeersuchen der Kollegen aus Chicago, die einen ihrer Klienten vermissten und annahmen, dass er sich mit dem Bus auf den Weg nach New York gemacht hatte. Ich hatte das Funksprechgerät auf die Frequenz der New Yorker City Police geschaltet.
»Hier noch einmal Patrolman James Harries«, gab ein Cop mit aufgeregter Stimme durch. »Schickt für alle Fälle auch einen Rettungswagen!«
»Unterwegs, Harries. Die ersten Wagen müssen gleich eintreffen. Hat sich etwas geändert?«
»Nichts. Der Mann befindet sich noch im Schuppen der Eisenhandlung. Er kann nicht entkommen. Es gibt keine Fenster. Ich stehe auf der Straßenseite und werde ihn bestimmt nicht vorbeilassen.«
»Okay.«
Ich befand mich in der Greenwich Street, Ecke Vandam Street, als dieses letzte Gespräch über den Äther ging. Vor mir die großen Kreuzungen im Dreieck Canal und Watts Street, kurz vor der Einfahrt in den Holland Tunnel.
Selbst um diese Zeit herrschte noch Verkehr. Frachtwagen auf dem Weg nach Jersey City, einige Taxis und Privatfahrzeuge.
Ich setzte das Rotlicht und schaltete die Sirene ein. Sicher ist sicher, auch wenn der Respekt vor Rotlicht und Sirene in letzter Zeit immer mehr zu wünschen übrig ließ. Aber um diese Zeit konnte niemand später behaupten, er hätte nichts gehört und gesehen.
Phil griff automatisch nach den Gurten und rutschte tiefer in den Sitz, als ich das Gaspedal durchtrat. Er starrte mit zusammengezogenen Augen in den hellen Lichtteppich, den die aufgeblendeten Scheinwerfer des Jaguar vor uns auf die Straße legten.
»Ich weiß nicht, wie das mit der Versicherung für G-men ist«, knurrte er mich von der Seite an. »Schließlich mischen wir uns in eine Sache ein, die nicht unser Job ist.«
Ich drehte den Kopf und zeigte ihm die Zähne.
Beinahe etwas zu lange.
Der Truck kam aus der Desbrosses Street, hinter der großen Kreuzung der Watts Street, wo ich eigentlich nichts mehr erwartete. Er war halb in die Kreuzung eingefahren, als ich ihn bemerkte. Ein großes dunkles Ungetüm, das sich dem Jaguar wie eine riesige Barrikade in den Weg schob. Zu der Sirene und dem Rotlicht setzte ich die Hupe ein.
Der Fahrer musste uns lange bemerkt haben. Entweder schlief er, oder sie hatten ihm auf seinen Weg nach New York auf dem Highway mit einem Strafzettel bedacht, sodass er gegen alles, was nach Polizei roch, eine ungeheure Wut im Bauch hatte.
Phil machte sich noch kleiner.
Ich schätzte die Entfernung. Vielleicht zehn Yards. Eine Vollbremsung hätte uns wirklich das Genick gebrochen. Erstens kann man auch einen Jaguar mit siebzig Meilen Stundengeschwindigkeit nicht innerhalb von zehn Yards herunterbremsen, zweitens war die Straße durch den Regen so glitschig, dass sich die Rakete auf Rädern selbstständig gemacht hätte.
Die einzige Möglichkeit war die, mehr Geschwindigkeit aufzunehmen, um gerade noch vor der Schnauze des Trucks über die Kreuzung zu huschen.
Ich trat das Gaspedal durch. Die 270 PS trieben den Wagen voran. Rechts von mir wurde der Schatten des Trucks bedrohlich groß. Gleichzeitig knallte der Fahrer des Trucks mir mit sämtlichen Hupen einen dröhnenden Fluch um die Ohren.
Ich schoss regelrecht an ihm vorbei. Als der Truck mich passierte, gab es zwischen seiner platten Schnauze und meinem Heck kaum mehr als ein paar Inch Spielraum.
Phil stieß die angehaltene Luft aus, drehte mit einem Ruck den Kopf und blickte aus dem Rückfenster. Der Truck war lange Richtung Hudson Street verschwunden.
»Verdammt!«, keuchte er. Mehr brachte er nicht heraus. Der Schreck stand ihm noch ins Gesicht geschrieben.
Ich setzte ein gequältes Grinsen auf.
»War doch Platz genug, Freund«, sagte ich und war versucht, die Fahrt zur Beach Street abzubrechen, um mir den Fahrer des Trucks zu schnappen. Was er getan hatte, war unverantwortlich. Leute, die sich im Verkehr so rüpelhaft und rücksichtslos benahmen, gehörten nicht hinters Steuer.
»Wenn er wüsste, was für ein Glück er hat, dass wir ihm nicht folgen können, würde er sich selbst gratulieren«, keuchte Phil.
Um Haaresbreite waren wir am Tod vorbeigerast.
Zwei Patrol Cars jagten aus der Hubert Street, bogen mit gellenden Sirenen und Rotlicht in die Greenwich Street und setzten sich wie Leithunde vor unseren Jaguar. Ich brauchte den Wagen der New York City Police nur noch zu folgen.
Drei weitere Fahrzeuge befanden sich schon am Einsatzort. Mitten auf der Straße stand ein ausgebrannter Chevrolet Monte Carlo, aus dem schwarze Rauchwolken stiegen. Es roch nach verbranntem Gummi. Scheinwerfer waren auf die Lagerhalle einer Eisenhandlung gerichtet und fingen ein zerbrochenes Fenster ein. Nicht weit vom Eingang entfernt lag eine Frau auf dem Gehsteig. Rechts daneben, noch auf der Straße, lag zusammengekrümmt ein Cop.
Für die beiden kam jede Hilfe zu spät. Wer immer den Rettungswagen angefordert hatte, es war nicht nötig gewesen.
Phil und ich stiegen aus, nachdem ich den Jaguar im Schutz eines Streifenwagens abgestellt hatte. Zwei Cops kamen uns entgegen und schauten uns misstrauisch an.
»FBI«, sagte ich und zeigte meinen Ausweis. »Wer leitet den Einsatz?«
»Bis jetzt niemand«, antwortete einer der Cops. Ein junger Bursche, der für sein Alter ein hartes Gesicht und kalte Augen hatte. »Der Lieutenant und der Captain sind unterwegs. Captain Sommer vom 1. Revier.«
Der Cop wollte mir noch mehr berichten, als der neutrale Oldsmobile angerast kam und direkt neben uns zum Halten gebracht wurde.
»Wo ist Harries?«, brüllte ein übergewichtiger Mann, der sich mühsam aus dem Oldsmobile schälte.
»Hier, Sir.«
Ein junger Patrolman näherte sich uns. Sein linker Arm hing kraftlos nach unten. Das Hemd war an der Schulter aufgerissen und blutverschmiert. Ein junges, verzweifeltes Gesicht. Harries konnte die Tränen nicht zurückhalten, die ihm über die Wangen liefen. Mit einer müden, resignierenden Handbewegung deutete er auf den zusammengekrümmt auf dem Asphalt liegenden Polizisten.
»Sergeant Mayberry ist tot, Sir«, sagte er mit versagender Stimme. »Ich konnte nichts tun. Der Killer sitzt in der Lagerhalle. Er hat die junge Frau erschossen und schließlich ...«
Der Vorgesetzte legte dem jungen Patrolman die Hand auf die Schulter.
»Okay, Harries«, sagte er. »Okay. Warten Sie auf den Rettungswagen, und lassen Sie nach Ihrer Schulter schauen. Sieht nicht gut aus, aber Sie werden's überleben, denke ich.«
»Denke ich auch, Sir.«
Harries wandte sich ab und verschwand hinter dem Wall von Streifenwagen.
»Was ist mit euch?«
Ich drehte mich um. Der Mann, der hinter uns stand, war klein, spitzgesichtig und hatte schmale Lippen. Der Blick seiner eng zusammenstehenden grauen Augen durchbohrte mich beinahe.
»FBI«, sagte ich. »Die Special Agents Decker und Cotton.«
Er wich einen halben Schritt zurück. Es hatte den Anschein, als würden seine Lippen noch schmaler, doch das ging eigentlich gar nicht.
Der Übergewichtige stieß ein heiseres Lachen aus. Es klang wenig begeistert.
»Das ist Lieutenant Duvall, ich bin Captain Sommer«, sagte er. »Der Lieutenant mag keine G-men. Ich weiß nicht, warum, aber es ist so. Er kommt aus Chicago. Vielleicht war sein Vater Schwarzbrenner, und Jungs aus eurem Verein haben dem Alten das Handwerk gelegt.«
Duvall knurrte etwas Unverständliches. Dann lief er dem Patrolman Harries nach und war wenig später aus unserem Blickfeld verschwunden.
»Ist das ein FBI-Fall?«, fragte Sommer und rieb sich mit dem Handrücken über die feucht glänzende Stirn.
»Nicht dass ich wüsste«, antwortete ich. »Wir waren nur in der Nähe, als die Meldung über Funk kam.«
Der Rettungswagen erschien und wurde weitab vom Geschehen geparkt. Falls der Killer wirklich in der Lagerhalle der Eisenhandlung saß, konnte er den Wagen nicht mit Blei eindecken. Einige Leute stiegen aus, rannten geduckt über die Straße und trennten sich. Zwei Männer gingen zu der Frau auf dem Gehsteig, zwei andere zu dem Polizisten, der auf der Straße lag. Es dauerte nur wenige Sekunden. Dann richteten sie sich wieder auf und schüttelten den Kopf.
Die beiden waren tot, das hatte Patrolman Harries richtig durchgegeben.
Captain Sommer nahm die breiten Schultern zurück und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Sie war respektabel. Allein mit seiner wuchtigen Erscheinung konnte er Leute davon abhalten, etwas Unüberlegtes gegen ihn zu unternehmen. Sein Blick ruckte zur Lagerhalle der Eisenhandlung.
»Okay«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. »Okay, Freund, wir schnappen dich. Darauf kannst du Gift nehmen!«
Mark Frechette spürte, wie er bleich wurde, und presste sich den Hörer dichter ans Ohr. Nervös kratzte er sich am Kopf. Die Asche fiel von der Zigarette, die ihm im Mundwinkel klebte.
Frechette verteilte sie mit einer wütenden Handbewegung auf dem Hosenbein seines dunkelblauen Anzugs.
»Das ist allein deine Sache, Powell«, sagte er wütend. »Du hast ihn ausgesucht. Sorg dafür, dass er uns keine Schwierigkeiten machen kann.«
Ian Powell, der sich am anderen Ende der Leitung befand, stieß einen leisen Fluch aus. »Die Cops haben ihn eingekreist. Er sitzt in einer Lagerhalle in der Beach Street und hat nicht die geringste Chance, den Cops die Hacken zu zeigen.«
»Hast du Kontakt zu ihm?«
»In der Lagerhalle gibt es ein Telefon.«
»Wirklich keine Möglichkeit rauszukommen?«
»Keine.«
Frechette strich sich über die vollen grauen Haare, die im Lichtschein der Bar bläulich schimmerten, weil er einen Aufheller nach jeder Haarwäsche benutzte, um die letzten dunklen Strähnen ebenfalls zu bleichen.
»Er kennt dich, Powell. Du kannst sicher sein, dass er den Mund nicht hält, wenn die Cops ihn zu packen kriegen. Hat er seinen Auftrag erfüllt?«
»Sue Silbert ist tot.«
Frechette atmete auf. Er griff nach seinem Whiskyglas. Als ein Barmädchen in seine Nähe kommen wollte, vertrieb er es mit einer unwilligen Handbewegung.
»Aber er hat auch einen Cop erwischt.«
Frechette verschluckte sich. Er hustete und stellte das Glas auf die Theke zurück.
»Sag das noch einmal«, verlangte er dann.
»Er hat auch einen Cop erwischt. Sie haben ihn überrascht und hätten ihm beinahe einen Strich durch die Rechnung gemacht.«
»Dann erwisch ihn, Powell, oder schieß dir selbst eine Kugel in den verdammten Schädel.«
Frechette warf den Hörer wütend auf die Gabel zurück und schob das Telefon so weit nach hinten, dass es beinahe von der Theke gerutscht wäre. Einige Sekunden blieb er sitzen. Schließlich stand er auf und ging in den hinteren Teil der Bar, wo zwei Männer am Tisch saßen und auf ihn warteten.
Jonathan Wilder schob seine Sonnenbrille zurecht. Er mussten sie tragen, weil er unter der Basedow'schen Krankheit litt, die ihm die Augäpfel weit aus den Höhlen herauspresste. Er schaute Frechette fragend an. Er setzte sich schweigend und zündete sich eine Zigarette an.