1,99 €
Wenige Tage vor seiner Hinrichtung widerrief Johnny Finch sein Mordgeständnis. Und er wollte mich, der ich ihn seinerzeit gefasst hatte, sprechen. In der Todeszelle überzeugte er mich, dass er die Wahrheit sagte. Mir blieben 48 Stunden, das zu beweisen. Nur, die wirklichen Mörder hatte etwas dagegen, und schon bald war ich dem Tod so nahe wie Johnny Finch...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 182
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Nur noch 48 Stunden
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Film: »Der Cop«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4194-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Nur noch 48 Stunden
1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.
Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:
»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.
Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.
1
Der Direktor des Staatsgefängnisses des Staates New York ließ sich von einem Wärter den Zugang zu dem Gebäudeteil aufschließen, in dem die Todeszellen untergebracht waren.
Hier blickten die Gangster, die ihr Todesurteil bereits kassiert hatten, deren Hinrichtungstermin aber noch nicht festgelegt war, mehr oder minder nervös ihren letzten Stunden entgegen.
»Öffnen Sie mir die Zelle von Finch!«, sagte der Direktor zu dem Wärter, der ihn hergeführt hatte.
Die schwere Tür der Todeszelle drehte sich kreischend in den Angeln. Der Direktor trat ein.
»Lassen Sie mich allein, und warten Sie vor der Tür!«, sagte er zu dem Wärter.
Finch war aufgestanden. Gespannt blickte er dem Direktor entgegen. Der Sträfling glaubte zu wissen, was er jetzt hören würde.
Der Direktor zog ein Schreiben aus seiner Brusttasche. »Hören Sie zu, Finch!«, sagte er ernst. »Sie können sich denken, weshalb ich komme.«
»Ich glaube, ja«, antwortete Finch mit einem Hoffnungsschimmer in der Stimme.
Erstaunt blickte der Direktor von dem Schreiben auf. »Ihr Gnadengesuch ist abgelehnt worden«, fuhr er fort. »Hier ist das Schreiben des Gouverneurs. Er hat die Hinrichtung auf übermorgen festgesetzt.«
Finchs Gesicht verzog sich. Fast sah es so aus, als ob er weinen wollte. Er biss auf die Unterlippe, schaute dem Direktor in die Augen, der betreten auf den Boden starrte. Dann senkte auch Finch den Blick. »Nein«, stammelte er, »nein, das ist doch nicht möglich. Ich dachte …« Er sank auf die Pritsche. Sein ganzer Körper zitterte.
»Hören Sie!«, sagte der Direktor und nahm die Brille wieder ab, die er beim Blick auf das Papier aufgesetzt hatte. »Das kann Sie doch eigentlich nicht überraschen, Finch …«
Der Gangster fuhr hoch. Eine Sekunde lang hatte der Direktor den Eindruck, Finch wollte sich auf ihn stürzen. Aber es war nur die Erregung, die den Mann von seiner Pritsche riss. »Ich bin unschuldig!«, schrie Finch, »unschuldig, verstehen Sie? Ich bin kein Mörder!«
Verständnislos starrte der Direktor ihn an. »Sie haben doch alles gestanden«, wandte er ein. »Freiwillig und ohne Zwang. Ich kann verstehen, dass Sie jetzt verzweifelt sind. Aber Sie können doch Ihr Geständnis nicht aus der Welt schaffen!«
»Mein Geständnis!«, schrie Finch. »Alles Lüge! Alles erfunden. Ja, ich war beteiligt an dem Überfall, das leugne ich nicht. Aber ich war gar nicht mit drin in den Bankräumen. Ich hab draußen Schmiere gestanden das war alles.«
»Wenn es wirklich so ist«, stellte der Direktor ungerührt fest, »dann verstehe ich nicht, warum Sie die ganze Schuld auf sich genommen haben. Warum die Tatwaffe in Ihrem Besitz war. Mit Ihren Fingerabdrücken. Und warum Ihre Wäschereirechnung neben dem Safe auf dem Fußboden lag. Agent Cotton hat Sie doch dadurch überführen können.«
Der Direktor hatte nach dem Eintreffen der Ablehnung des Gnadengesuchs durch den Gouverneur noch einmal die Akten durchgeblättert, so dass er genau Bescheid wusste.
»Agent Cotton«, murmelte Finch, dessen Energie wieder verraucht schien, »das ist es! Cotton muss mich retten! Er wird es schaffen.«
»Unsinn!«, wandte der Direktor ein. »Was soll das alles, Finch? Tragen Sie es wie ein Mann! Der G-man hat Sie geschnappt. Glauben Sie, das FBI ist dafür da, Leute wie Sie vom elektrischen Stuhl runterzuholen?«
Finch fuhr hoch, wie von der Tarantel gestochen. »Ich will noch nicht sterben! Ich bin unschuldig. Verstehen Sie doch, Direktor, unschuldig! Ich flehe Sie an, helfen Sie mir! Sie können doch einen Unschuldigen nicht hinrichten lassen. Das ist Mord!«
»Den Mord haben Sie begangen, Finch«, rügte ihn der Direktor streng. »Vergessen Sie das nicht!«
Der Gangster riss sich zusammen. Seine Gestalt straffte sich.
»Sie können das sicher nicht verstehen, Herr Direktor«, sagte er beschwörend, »aber es ist die volle, unumstößliche Wahrheit. Ich habe die Tat für einen anderen auf mich genommen, damit er sich in Sicherheit bringen konnte. Wenn ich Cotton erzählen kann, wie alles zusammenhängt, wird er mich hier rausholen, das weiß ich.«
»Falls Sie glauben, Finch, dass Sie etwas davon haben, wenn Sie durch solche Mätzchen den Termin Ihrer Hinrichtung hinauszögern, irren Sie sich. Es wird nur jedes Mal schlimmer. Und Cotton kann keine Wunder vollbringen, wenn es nicht wirklich wahr ist, dass Sie unschuldig sind.«
»Bei allem, was mir heilig ist, Direktor«, beteuerte Finch leidenschaftlich. »Ich bin kein Mörder!«
Irgendetwas in den Augen des Gangsters ließ den Direktor stutzig werden. Er kannte die Lügen, die ihm die Häftlinge auftischten. Er kannte die Ausreden und das falsche Pathos von Gangstern, die den Kopf aus der Schlinge ziehen wollten. Bei Finch war es etwas anderes.
»Ich kann Ihnen nichts versprechen, Finch«, sagte er nach einem kurzen Zögern. »Ich weiß nicht, ob ich Cotton erreiche. Aber ich will wenigstens versuchen, ihm Bescheid zu sagen.«
»Das werde ich Ihnen nie vergessen«, flüsterte Finch überzeugt.
Vielleicht umfasste dieses »Nie« nicht mehr als 48 Stunden.
***
Es war noch früher Morgen, als in meiner Wohnung das Telefon schrillte.
»Hallo«, sagte ich ohne viel Begeisterung in die Muschel.
»Ist dort Agent Cotton?«, fragte eine Stimme, die so amtlich klang wie eine gerichtliche Vorladung.
»Persönlich«, bestätigte ich.
»Hier spricht Direktor Merryl vom Staatsgefängnis New York. Ich habe eine wichtige Nachricht für Sie, Agent Cotton.«
»Schießen Sie los, Mister Merryl!«
»Erinnern Sie sich an John Finch?«, fragte er.
»Und ob!«, antwortete ich prompt. »Wenn Sie John Finch, den Mörder und Bankräuber, meinen.«
»Wundern Sie sich nicht, dass ich anrufe, Agent Cotton!«, sagte der Direktor etwas verlegen. »Ich weiß selbst nicht, wie ich dazu komme. Möglicherweise hat mir der Mann einen dicken Bären aufgebunden. Aber ich dachte mir, vielleicht ist doch etwas Wahres an der Geschichte.«
Und dann servierte er mir brühwarm, was sich vor wenigen Minuten in Finchs Zelle abgespielt hatte.
»Hm«, murmelte ich, als Merryl zu Ende war, »das ist eine merkwürdige Sache …«
»Allerdings!«, unterbrach mich der Direktor. »Aber ich meinte, Sie müssten es jedenfalls wissen. Weil Sie Finch doch gefangen haben. Und es könnte ja doch sein …«
Ich war fest von Finchs Schuld überzeugt gewesen. Die Beweise waren erdrückend. Und sein Geständnis war echt. Und jetzt? Nur Angst vor der Hinrichtung? Oder …?
»Okay, Direktor. Falls ich zu Ihnen komme, werden Sie mir Gelegenheit geben, mich ausführlich mit Finch zu unterhalten? Ich kann es nicht dienstlich tun, solange ich nicht weiß, was an der Sache dran ist. Erst muss er seine Karten auf den Tisch legen.«
»Das geht in Ordnung, Agent Cotton«, erklärte der Direktor erleichtert. Er hatte jetzt alles getan, was er tun konnte. Mehr sogar, als die Vorschriften verlangten. »Wann kommen Sie?«
»So schnell es geht. Achtundvierzig Stunden sind eine mächtig knappe Zeit.«
***
Direktor Merryl starrte mich überrascht an, als ich in sein Zimmer trat. »Haben Sie einen Hubschrauber benutzt?«, fragte er.
»Düsenauto mit Vollgas«, antwortete ich knapp. »Kann ich gleich zu Finch?«
Während wir durch die Gänge des Gefängnisses eilten, konnte der Direktor die Frage nicht unterdrücken: »Glauben Sie, Agent Cotton, dass an Finchs Behauptung etwas dran ist? Ist es möglich, dass sich ein Mann zum Tode verurteilen lässt und auf irgendein Wunder wartet?«
Ich zuckte die Achseln. »Warten Sie ab, bis ich mit Finch gesprochen habe! Ich kenne seinen Fall so genau, dass er mir keine Märchen auftischen kann.«
»Und wenn er recht hat?«, fragte Merryl.
Wir waren an der Tür der Todeszelle angelangt. Der Wärter öffnete.
Finchs Augen starrten mich fassungslos an. »Agent«, schrie er, während er von seiner Pritsche hochhechtete. »Sie sind schon da!«
Ich ging auf seine Worte nicht ein, sondern machte dem Direktor ein Zeichen, dass er mich allein lassen sollte. Der Wärter ließ die Tür hinter mir ins Schloss fallen.
»Also, Finch«, begann ich, »was ist das für ein Bluff, den Sie dem gutmütigen Direktor aufgetischt haben?«
Seine Augen brannten wie Feuer. »Das ist kein Bluff, Agent«, sagte er heftig. »Es ist die volle Wahrheit.«
»Die ist Ihnen erst in der Todeszelle eingefallen?«
Er zuckte zusammen. »Mein Geständnis war eine Lüge. Die Indizien wurden Ihnen absichtlich untergeschoben, damit Sie von dem wahren Mörder fortgelockt wurden. Sie sollten mich ja finden. Mich und nicht Tony Giardello!«
»Giardello?«, fragte ich überrascht. »Wer ist das?«
»Na also«, sagte er resigniert. »Er ist Ihnen nicht einmal aufgefallen. Er war Angestellter in der Bank und hat die Weichen für uns gestellt. Von ihm kam die Idee, und er war es auch, der den Kassierer über den Haufen schoss.«
»Und Sie, Finch?«, fragte ich. Noch immer kam mir die ganze Story ziemlich mysteriös vor.
»Ich stand nur Schmiere. Das war ja der Grund, dass ich den Mord auf mich nehmen sollte. Weil mir sonst nichts nachzuweisen war. Die Wäschereirechnung hab ich Tony selbst gegeben, dass er sie neben den Safe legte. Und von ihm bekam ich das Schießeisen, von dem er seine Fingerabdrücke gewischt hatte, damit ich meine Prints draufdrückte.«
»Jetzt erzählen Sie mir nur, Finch, wieso Sie der Teufel ritt, die ganze Sache auf sich zu nehmen!«
»Die Boys hatten mir gesagt, es wäre kein Risiko dabei. Nach einer gewissen Zeit würde Giardello wie zufällig seine Stellung bei der Bank aufgeben und von der Bildfläche verschwinden. Dann würde er seinen Anteil vom Raub dazu benutzen, sich außerhalb der Staaten in Sicherheit zu bringen.«
»Ich begreife langsam«, sagte ich. »Die Brüder haben Ihnen versprochen, dann die Wahrheit bekanntzugeben. Das würde Ihnen für das Schmierestehen lediglich eine kleinere Strafe einbringen. Sobald Sie später entlassen wären, würde Ihr Anteil auf Sie warten. Ist es nicht so?«
»250 000 Bucks«, sagte er andächtig. »Mehr, als ich mein ganzes Leben brauche.«
»Finch, Sie sind ein Trottel!«, sagte ich aus tiefster Überzeugung. »Haben Sie im Ernst geglaubt, Ihre sauberen Komplizen holten Sie heraus und stellten sich selbst bloß? Ein toter Mann redet nicht mehr. Von übermorgen an sind sie für alle Zeiten in Sicherheit, denn Sie haben für sie bezahlt!«
»Ich weiß«, sagte er niedergeschlagen, »dass ich mich wie ein Greenhorn benommen habe. Aber die Chance, ohne viel Risiko zu 250 000 Bucks zu kommen, hat mich geblendet.«
Mitleidig schüttelte ich den Kopf. »Ich weiß nicht, ob Ihre Story wahr ist, Finch. Aber wenn sie wahr ist, dann kommen Sie nicht wegen Mord, sondern wegen Dummheit auf den elektrischen Stuhl.«
Seine Lippen begannen zu zittern. »Sie sagen das so, Agent, als ob … Nachdem Sie wissen, wie es geschehen ist, wird die Hinrichtung doch verschoben, nicht wahr?«
»Sorry, Finch«, sagte ich, »machen Sie sich keine Illusionen! Ihre Story mag stimmen, aber ohne Beweise ist sie keinen Cent wert. Kein Gouverneur der Staaten wird die Hinrichtung aufschieben.«
Das erregte Rot seines Gesichts wich einem Grau, das sein Entsetzen zum Ausdruck brachte. »Sie können mich doch nicht für etwas hinrichten, das ich nicht begangen habe«, sagte er weinerlich.
»Bis zum Beweis des Gegenteils doch«, widersprach ich. »Der Gouverneur kann nur auf Grund von Tatsachen handeln.«
Er presste die Hände zusammen. »Agent«, stammelte er, »helfen Sie mir doch! Ist es gerecht, wenn ich für etwas sterben soll, das ich nicht getan habe? Sie dürfen es nicht zulassen! Sonst haben Sie einen Mord auf dem Gewissen!«
Ich kann nicht leugnen, dass es mir kalt den Rücken herunterlief. »Damned, Finch«, sagte ich, während ich auf die Uhr blickte. »Jetzt bleiben mir nur noch 46 Stunden. Los, erzählen Sie mir vom ersten Augenblick an, wie die Tat geplant, wer daran beteiligt war! Vielleicht reicht die Zeit aus, um den Platz auf dem elektrischen Stuhl für den richtigen Mann freizumachen!«
***
»Sie glauben mir doch, G-man?«, fragte Finch ängstlich, während der Wärter bereits die Tür aufschloss.
Ich zuckte mit den Schultern. »Das wird sich herausstellen. Jedenfalls kannst du sicher sein, Finch, dass ich deine Story nachprüfe. Und wenn du nur in einem Punkt gelogen hast, dann rettet dich nicht einmal der Präsident vor deinem Schicksal!«
Er starrte mir wie gehetzt nach, als ich aus der Zelle huschte.
Direktor Merryl blickte mir gespannt entgegen. »Da sind Sie ja wieder! Der Kerl spinnt, nicht wahr?«
Ich nahm mir keine Zeit, ihm die Einzelheiten zu erzählen. »Klingt ziemlich vernünftig, was er mir jetzt aufgetischt hat. Aber ob es stimmt, muss ich erst noch feststellen.«
Obwohl er mich mit Fragen löcherte, ließ ich mich nicht aufhalten. Jetzt kam es auf jede Minute an.
Während ich in meinem roten Jaguar saß und auf Manhattan zusteuerte, stellte ich einen Plan auf. Es gab ein paar Punkte in Finchs Erzählung, die ich sofort nachprüfen konnte. Alles andere hing vom Ergebnis ab. Der Nightclub mit dem viel sagenden Namen Whispering lag in der East Street. Ich schaffte es sogar, einen Parkplatz in der Nähe zu erwischen.
Ich hatte schon gefürchtet, der Club wäre geschlossen. Aber zum Glück war eine Putzfrau damit beschäftigt, nach den Ereignissen der Nacht sauberzumachen.
Bereits auf den Fotos, die einladend am Eingang hingen, las ich den Namen, um den es mir ging.
John Finch hatte mir gesagt, dass seine Freundin Yvonne Macpherson Tänzerin im Whispering wäre.
»Wo finde ich den Geschäftsführer?«, fragte ich das unscheinbare Wesen, das gerade den Staubsauger schwang.
»Mister Hamilton schläft jetzt«, erklärte sie abweisend.
»Und wo finde ich ihn?«, fragte ich noch einmal und zeigte ihr meine Erkennungsmarke.
»Seine Wohnung liegt hinten«, sagte sie mürrisch.
Hamilton fauchte ganz schön, als ich ihn aus seinen Träumen riss. »Damned! Wer hat Sie hereingelassen? Kann man nicht einmal in Ruhe schlafen?«
Ich zeigte ihm meinen Ausweis. »Arbeitet bei Ihnen Miss Yvonne Macpherson?«
»Ja. Was hat sie ausgefressen?«
»Nichts. Aber ich brauche ihre Anschrift.«
Hamilton und trottete mir voran ins Büro. Er wühlte in seinen Akten und legte mir dann eine Karte mit der Adresse hin. Yvonne wohnte in Brooklyn.
»Ich dachte schon«, murmelte Hamilton, »das Girl hätte was auf dem Kerbholz. Nachdem sie mich jetzt zwei Tage versetzt hat.«
Ich reagierte wie ein Boxer auf einen Schwinger. »Wieso versetzt? Wollen Sie sagen, dass sie die letzten beiden Tage nicht hier war?«
»Genau das. Wenn sie heute wieder nicht kommt, wird sie gefeuert.«
Ich murmelte etwas nicht sehr Schönes und ließ Hamilton einfach stehen. Obwohl es eigentlich sinnlos war, ob ich nun zehn Minuten früher oder später zu Yvonnes Wohnung kam, gab ich dem Jaguar die Sporen. Dann stand ich beim Hauswart des Gebäudes, in dem Yvonne wohnen sollte.
»Das Girl hat ein Zimmer bei Mrs Strong«, gab er an und wies mich ins 6. Stockwerk des Apartmenthauses.
Ohne allzu viel Hoffnung klingelte ich.
Eine ältere Dame in einem dunkelblauen Kleid öffnete. »Ja, Miss Macpherson wohnt hier«, bestätigte sie, nachdem ich gefragt hatte.
»Aber ich mache mir Sorgen um sie. Sie war schon zwei Tage nicht mehr hier.«
Ich erfuhr, dass am Montag zwei Männer zu Yvonne gekommen waren. »Haben Sie gehört, worum es ging?«, wollte ich wissen.
Die alte Lady wurde regelrecht rot. »Ich weiß nicht, es ist mir so peinlich. Aber ich bekam ein paar Sätze mit.«
Sie war ziemlich verlegen, dass sie offensichtlich gelauscht hatte. Aber die Neugier älterer Damen ist oft Gold wert. Ich machte ihr jedenfalls Mut, mir alles zu sagen. Es stellte sich heraus, dass sie so ziemlich das ganze Gespräch mitbekommen hatte.
»Die Männer erzählten ihr, dass sich mit ihrem Freund alles zum Guten gewendet habe. Sie schlugen ihr vor, sie sollte mitkommen, um ihn abzuholen. Erst wollte Miss Macpherson nicht recht, weil sie sagte, es sei ihr unangenehm. Aber dann gab sie doch nach.«
»Haben Sie zufällig den Namen des Freundes gehört?«
»Er heißt Johnny«, sagte Mrs Strong bestimmt. »Das habe ich genau verstanden. Miss Macpherson war ganz vergnügt, nachdem sie die Nachricht gehört hatte. Sie sagte mir, sie werde in ein paar Stunden wieder zurück sein. Aber jetzt mache ich mir doch ganz ernste Sorgen.«
»Wissen Sie eigentlich, wo Ihre Mieterin diesen Johnny abholen sollte?«
»Das haben sie nicht genau gesagt. Ich habe auch schon darüber nachgedacht. Vielleicht aus dem Krankenhaus.«
Ich bat Mrs Strong, dass ich mich einmal in Yvonnes Zimmer umsehen könnte. Aber ich fand wenig, was mir weiterhalf.
Nur eins: auf dem Nachttisch stand ein Foto des Mannes, der in wenig mehr als 40 Stunden den Weg zum elektrischen Stuhl antreten musste. Es gab keinen Zweifel, dass Yvonne Macpherson die Freundin von Johnny Finch war. Und ebenso wenig, dass sie mit einem faulen Trick weggelockt worden war.
John Finch hatte mir versichert, dass Yvonne Bescheid wisse. Sie habe ihm von vornherein abgeraten. Deshalb hätten sie auch vereinbart, dass sie im Notfall aktiv werden solle. Aber diese Chance war jetzt dahin.
»Es kann sein«, sagte ich zu Mrs Strong, »dass ich Sie bitten muss, die beiden Männer zu identifizieren, die Ihre Mieterin abgeholt haben. Wie sahen sie denn aus?«
»Einer war groß und stark, der andere schlank«, sagte sie.
»Haarfarbe?«
»Sie behielten die Hüte auf dem Kopf. Eigentlich konnte ich nicht viel von ihnen sehen.«
Die Beschreibung war nicht umwerfend, aber es ist nicht jedermanns Sache, so zu beobachten, dass man anschließend eine Zeichnung danach machen konnte. Immerhin war der Beweis erbracht, dass an John Finchs Erzählung etwas Wahres sein musste.
Eigentlich hätte ich jetzt nach Kingston fahren müssen. Kingston liegt im Staat New York und war der Ort, an dem der Überfall auf die Bank stattgefunden hatte.
Aber ich konnte es mir in der augenblicklichen Lage einfach nicht leisten, durch die Fahrt einige Stunden zu verlieren.
So parkte ich meinen Wagen im Hof unseres District Office und hängte mich ans Telefon. Ich hatte den Direktor der Bank in Kingston bei der Aufklärung des Überfalls kennengelernt.
Er schaltete auch sofort, als er meinen Namen hörte. »Hallo, Agent Cotton! Nett, dass Sie anrufen. Haben Sie schon gehört, dass es John Finch jetzt endgültig an den Kragen geht?«
»Ich weiß, ich weiß. Ich habe noch ein paar Fragen zu dem Fall, Mister Linley.«
Er stutzte einen Augenblick. »Ist er denn noch nicht abgeschlossen? Oder hat Finch endlich etwas darüber verraten, wo das Geld geblieben ist?«
Ich ging auf seine Fragen nicht ein. »Ich habe damals ein paar Ihrer Angestellten verhört. Ein Mister Giardello war nicht darunter. Können Sie mir sagen, ob er bei Ihnen beschäftigt ist?«
»Er war es, Agent Cotton. Damals jedenfalls. Aber ein paar Monate nach dem Überfall bekam er ein günstiges Angebot aus Baltimore und ist dorthin gegangen.«
»Wissen Sie, zu welcher Bank?«
Direktor Linley konnte sich nicht erinnern. Aber eine Anfrage bei seinem Personalchef genügte, um die Frage zu beantworten. »Er ist zur National City Bank gegangen«, erfuhr ich.
»Kam Ihnen das nicht ungewöhnlich vor?«
»Eigentlich nicht. Mister Giardello konnte sich in Baltimore verbessern, wie er bei der Kündigung sagte. Glauben Sie etwa, dass sein Weggehen mit dem Überfall bei uns zu tun hatte?«
»Es ist nicht ausgeschlossen. Aber behalten Sie das zunächst bitte für sich! Noch eins: War Giardello verheiratet?«
»Unverheiratet. Er hatte überhaupt keine Angehörigen, soweit wir wissen.«
Ich bedankte mich bei Linley. Auch das hatte mir Finch prophezeit: dass Giardello nicht mehr in Kingston sein würde.
Ich blieb an der Strippe und ließ mir den Chef der National City Bank in Baltimore geben. Ich sagte ihm, wer ich war, und bat ihn um Auskunft über einen seiner Angestellten.
»Bedaure«, sagte er kühl. »Solche Auskünfte kann ich nicht telefonisch geben. Weiß ich denn, ob Sie wirklich zum FBI gehören?«
Da hatte er recht. Ich gab ihm unsere Telefonnummer und gab ihm den Rat, umgehend bei uns durchzurufen. Fünf Minuten später waren wir erneut verbunden.
»Also«, sagte ich, »es geht um Mister Tony Giardello. Ist er noch bei Ihnen?«
Auch hier wiederholte sich das Spiel mit dem Personalchef. »Tut mir leid«, sagte der Direktor, als er sich wieder meldete. »Aber ein Mister Giardello ist nie bei uns angestellt gewesen.«
Das hatte ich mir beinahe gedacht. Aber ich gab noch nicht auf. »Immerhin«, wandte ich ein, »hat dieser Mister Giardello bei der Bank in Kingston gekündigt, weil er ein gutes Angebot von Ihnen hatte.«
»Ausgeschlossen«, sagte der Direktor entschieden. »Mein Personalchef hat mir eben versichert, dass wir nie mit einem Herrn dieses Namens zu tun hatten.«
»Noch einen Moment!«, warf ich ein. »Es wäre ja möglich, dass Giardello unter einem anderen Namen bei Ihnen arbeitet.«
»Sie können sicher sein, Agent«, erklärte der Direktor eisig, »dass wir uns genau über die Lebensverhältnisse und früheren Beschäftigungen der Gentlemen unterrichten, die bei uns eingestellt werden. Es ist völlig ausgeschlossen, dass jemand unter einem falschen Namen bei uns arbeitet.«
»Hoffentlich«, sagte ich und bedankte mich.
Mir war jetzt klar, dass mit Giardello etwas nicht stimmte. Auch in diesem Punkt hatte John Finch mich nicht belogen.
Aber würde das ausreichen, um ihn zu retten?
2
»Wen wollen Sie sprechen?«, fragte die Frau am Telefon der Snyder Bank von Concord in New Hampshire.
»Ich habe es Ihnen eben gesagt«, erklärte Mrs Wallace ungeduldig. »Mister Giardello.«
»Tut mir leid«, gab die Frau zur Antwort. »Wir haben keinen Mister Giardello.«
»Aber das ist doch nicht möglich. Mein Bruder hat mir gesagt, dass er bei Ihnen beschäftigt ist.« Mrs Lucia Wallace war ehrlich empört.
»Das muss ein Irrtum sein. Sie können sich darauf verlassen, dass ich die Namen aller Herren genau kenne. Seit wann soll er denn hier sein?«
»Seit drei Monaten ungefähr«, meinte Lucia Wallace.